CH KIRCHEN FRANKREICH MELDUNG
Französische Gemeinde verkauft Kirche
Aus Kirchturm wird Minarett
Als "älteste Tochter der Kirche" wird Frankreich bezeichnet. Von der Basilika Notre-Dame de la Garde hoch über Marseille bis zum Mont-Saint-Michel im Ärmelkanal, vom Straßburger Münster bis zu den Kalvarienbergen der Bretagne prägen christliche Gottesbauten das Land.
Inzwischen ist die Tochter jedoch zum Sorgenkind geworden. Wenn der Vatikan klagt, ein "Tsunami der Säkularisierung" zerzause den Westen, muss sich Frankreich angesprochen fühlen. 1961, kurz vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil, gingen 35 Prozent der Franzosen jeden Sonntag zur Messe. Heute besuchen laut einer Umfrage nur mehr sechs Prozent einen katholischen Gottesdienst - im Monat.
Um manche Gemeinden steht es noch schlechter. Vierzon etwa, ein traditionsreiches Städtchen im Zentrum Frankreichs, zählt 2.000 Einwohner. Nur 300 gehen regelmäßig zur Messe. Vierzon verfügt jedoch, aus besseren Zeiten, über sechs katholische Gotteshäuser, von denen fünf die Diözese unterhalten muss. Das kostet zu viel in einem Land, in dem - außer in Elsass-Lothringen - keine Kirchensteuer erhoben wird. Daher haben die aktiven Katholiken in Vierzon beschlossen, ihre Kirche Saint-Éloi zu verkaufen. Ein Interessent steht schon bereit: die "Vereinigung der Marokkaner". Sie möchte die Kirche in eine Moschee verwandeln.
Nun gibt es berühmte Beispiele für solche Metamorphosen. Die Hagia Sophia in Istanbul wurde von der Kirche zur Moschee und dann zum Museum. Die Mezquita in Córdoba war einst die Hauptmoschee der andalusischen Stadt. Seit der Reconquista ist sie eine Kathedrale. Frankreich aber ist solche Verwandlungen nicht gewöhnt. Der Fall Vierzon erregt viel Aufsehen. Manche sehen darin ein Symbol dafür, dass der Islam das Christentum verdrängt. "Wir verkaufen unsere Kirchtürme, um daraus Minarette zu machen", klagt eine Katholikin namens Jeanine dem Figaro. "Was kommt als Nächstes?" Die Diözese betont, der Erzbischof habe noch nicht entschieden, an wen verkauft wird. Zunächst soll die 1955 errichtete Kirche noch von Immobilienmaklern angeboten werden.
Pfarrer Alain Krauth führt Interessenten durch den Bau. "Die Fenster und die ganze Architektur sind neutral, ohne auffällige religiöse Zeichen", sagt er. Auch ein Warenmagazin oder Handwerksbetrieb könne dort einziehen.
Das Observatorium für das religiöse Kulturerbe prophezeit, in Frankreich würden künftig viele Kirchen "recycelt" und zu Büros oder Restaurants gemacht. Oder zu Moscheen. Die Muslime von Vierzon könnten das Gebäude gut gebrauchen: Angesichts des Zulaufs an Gläubigen reichen ihre Gebetsräume nicht mehr aus.
Pfarrer Krauth sagt, seine Gemeindemitglieder reagierten konträr. "Manche begrüßen es, wenn ihre alte Kirche weiter als Gotteshaus dient, für andere Gläubige, die einen gemäßigten Islam leben." Andere fürchteten sich vor einem radikalen Islam. Die Zerschlagung einer Islamisten-Zelle vor einer Woche in Frankreich habe diese Angst verstärkt.
Doch was denkt der Pfarrer selbst? Er scheint sich an Nathan dem Weisen zu orientieren und eine Moschee zu akzeptieren, "wenn hier kein Heiliger Krieg geführt, sondern in Frieden und Gerechtigkeit gelebt wird".
SZ
|