Fehlermeldung

  • Notice: Undefined index: access in _menu_link_translate() (Zeile 913 von /home/www/21/93/hshgpado/drupal/includes/menu.inc).
  • Notice: Undefined index: access in _menu_tree_check_access() (Zeile 1446 von /home/www/21/93/hshgpado/drupal/includes/menu.inc).

THEO OSTERN 2013

Eberhard Jüngel

Vom Ernst des Lebens

«Des Lachens enthielt er sich», meinte einst eine sich mit aller intellektuellen Schärfe für die «reine» Lehre einsetzende Theologie. Als man zu klären versuchte, wer die Person eigentlich ist, deren die Christenheit am Karfreitag und am Osterfest gedenkt, bekam man seinerzeit zwar nicht nur dies, aber doch auch dies zu hören: Jesus Christus enthielt sich des Lachens. Wollte er nicht? Konnte er nicht? War er humorlos? Oder waren es jene, die von ihm behaupteten, dass er ihr Heiland sei. Jesus Christus – ein humorloser Heiland?
«Heiland»

«Heiland» ist ein Titel, der dem am Kreuz hingerichteten Menschensohn Jesus von Nazareth seit jenen Tagen zuerkannt wurde, in denen der so schändlich Getötete als ein in ganz neuer Weise Lebendiger verschiedenen Menschen erschienen ist: «auferstanden von den Toten». Das waren die Geburtsstunden des christlichen Glaubens, will heissen: eines herzlichen Vertrauens, mit dem sterbliche Menschen sich dem in ganz neuer Weise Lebendigen anvertrauten. Denn Glauben ist keineswegs so etwas wie ein Fürwahrhalten, dessen Wahrheitsanspruch hinter dem des Wissens zurückbleibt, so dass man – mit Immanuel Kant formuliert – das vermeintliche theologische Wissen aufheben müsste, um zum Glauben Platz zu bekommen. Wer im Sinne des Neuen Testaments glaubt, vertraut sich vielmehr dem Geglaubten ganz und gar an, so dass die geglaubte Wahrheit ihm sogar näher kommt, als er sich selber nahe zu sein vermag.

In dieser ungewohnten Nähe lernt der Mensch sich selbst und auch Gott neu kennen. Die geglaubte Wahrheit öffnet ihm nicht nur die Augen, sondern auch den Verstand und das Herz dafür, dass der Mensch von sich selbst nicht loskommt – und das heisst im biblischen Sinn des Wortes, dass er gottlos ist. Gott aber ist menschlich. Und der menschliche Gott vermag den gottlosen Menschen menschlich zu machen. Dazu muss das auf sich selbst fixierte menschliche Ich allerdings von sich selbst loskommen. Christliche Mystiker, aber auch die Reformatoren sprachen eindrücklich davon, als sie behaupteten, dass der Glaubende sich selber verlässt und gerade so lernt, auf neue Weise «ich» zu sagen.
Die erlittene und vergebene Gottlosigkeit

Glaubend lässt sich das menschliche Ich auf die geglaubte Wahrheit so ein, dass sich ihm eine neue Gemeinschaft eröffnet, die nicht zuletzt darin besteht, dass den Glaubenden ein gemeinsamer Weg ermöglicht, aber auch zugemutet wird: ein Weg weg von sich selbst, hin zu anderen. Und unter den anderen gilt Jesus Christus als derjenige, der uns auf den Weg bringt: auf diesen Weg weg von uns selbst. Wer ihm das zutraut, der vertraut sich ihm so an, dass sich das menschliche Selbstverständnis von Grund auf verändert. – Warum? Und inwiefern? Wer sich einem anderen anvertraut, wer sich gar einem anderen so anvertraut, dass er von ihm nicht nur im Leben, sondern auch im Tode Hilfe erwartet, der muss nicht nur seinen Mitmenschen, sondern wohl auch sich selber sagen, warum und inwiefern der in ganz neuer Weise Lebendige das vermag. Was macht den Gekreuzigten derart attraktiv?

Die biblischen Texte, die ihn verkündigen, beantworten diese Frage auf unterschiedliche Weise. Doch allen Auskünften ist die Gewissheit gemeinsam, dass dieser am Kreuz den Tod erleidende Mensch die offenkundige, aber auch die verborgene menschliche Gottlosigkeit, also auch die in, mit und unter aller religiösen Selbstverwirklichung Triumphe feiernde Gottlosigkeit erlitten hat – dass er aber diese Gottlosigkeit ihrerseits Gott anvertraut hat. Und der macht das Beste daraus. Und was ist das Beste, was man mit öffentlich oder heimlich gelebtem Atheismus machen kann? Antwort: ihn tilgen. Und wie kann man die öffentlich demonstrierte oder geschickt verborgene Gottlosigkeit am besten tilgen? Antwort: Indem man sie vergibt, definitiv vergibt. Doch zu solcher definitiven Vergebung ist nur Gott selbst berechtigt. Und wozu er berechtigt ist, davon macht er auch Gebrauch. Und wie! Er begegnet der menschlichen Grundsünde nicht mit einem saloppen «Das wird schon wieder». Indem er vergibt, setzt er sich vielmehr selber mit dem auseinander, was er vergibt. Diese Auseinandersetzung wird der Welt vor Augen geführt, wenn Jesus Christus «recht» verkündigt wird.

Dann sind der Osterglaube und der Glaube an den Gekreuzigten eins. Denn dann wird der in seinem Tod unsere Gottlosigkeit erleidende Jude aus Nazareth als derjenige verkündigt, der dem Tod nicht das letzte Wort überlässt. Das letzte Wort hat vielmehr derjenige, dem die Menschheit auch das erste Wort verdankt (Johannes 1, 1). Es ist ein schöpferisches Wort, das aber mitten in der Zeit noch einmal anfängt, indem es sich mit dem gekreuzigten Jesus so identifiziert, dass er in ganz neuer Weise zu leben vermag. «Der Tod», schreibt Paulus an die Korinther, «wurde verschlungen in den Sieg.» Es ist der «Sieg» über unsere öffentlich oder heimlich gelebte Gottlosigkeit – ein «Sieg», der uns zugutekommt (1. Korinther. 15, 54–57). Als von den Toten Auferweckter verheisst der Gekreuzigte auch uns ewiges Leben.
Weinen und Lachen

Der die menschliche Gottlosigkeit erleidende Gekreuzigte einerseits und der die Gottlosigkeit definitiv vergebende Heiland andrerseits, Karfreitag also und Ostern – das mag ein Wechsel sein! Martin Luther hat ihn einen «fröhlichen Wechsel» genannt und als das Allerheiligste verehrt. Ja, Fröhlichkeit kann auch heilig sein. Jedenfalls dann, wenn weder die Fröhlichkeit noch die Heiligkeit auf die Nerven geht und wenn die Fröhlichkeit nicht auf so etwas wie spirituelle Behaglichkeit zielt. Die christliche Kirche hat des «fröhlichen Wechsels» auch dadurch gedacht, dass sich in ihrer Liturgie ein «Osterlachen» ereignen kann – und ab und an ja auch wirklich ereignet. Lässt sich ein solches österliches Lachen denken, ohne dass ein lachender Heiland gedacht werden dürfte? Soll er etwa auch nicht weinen dürfen?

Wer lachen kann, vermag auch zu weinen. Ostern und Karfreitag – gehören sie nicht auch insofern zusammen, als Jesus Christus mit uns zu lachen und mit uns zu weinen vermag? Und besteht der wahre Ernst des Lebens nicht zuletzt darin, dass beides geschieht – jedes zu seiner Zeit?

Eberhard Jüngel ist emeritierter Professor für systematische Theologie und Religionsphilosophie an der Universität Tübingen.

NZZ
Samstag, 30. März, 08:57
Vom Ernst des Lebens

courtesy of webmatter.de