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MAYER, SUSANNE













Eine Kamelienblüte ist ein kreisrundes zartes Wunder, das Verehrer zuweilen am tiefen Ausschnitt einer Schönen entdecken. Es erinnert an Zeiten, als die Lust noch ein Laster war und zu einem Herzschmerz führte, an dem man zu sterben glaubte.


Eine Kamelienblüte wächst in Wahrheit an einem Baum, und ein solcher Baum kann über die Jahre acht oder zehn Meter hoch werden und trägt dann Hunderte von Blüten, in Schneeweiß oder in tiefem Rosa, in Rot-Weiß geflammt, in offenen Schalen oder zu dichten Strudeln gedreht, und wenn man dann den Kopf in den Nacken legt und hochschaut, ist auch das ein Anblick, der schmerzlich im Herzen ziehen kann. Wenn 10 oder 20, gar 30 solcher Bäume sich entlang eines Weges aneinander reihen, Bäume mit glänzendem dunklen Laub, von dem der Regen tropft, auf einen Teppich von abgeworfenen Blütenblättern, auf müdes Altrosé oder vergilbendes Weiß, dann ist das fast mehr, als man ertragen kann. Auch wenn man extra von Frankfurt oder Mönchengladbach angereist ist, mit lästigen Zwischenlandungen irgendwo, um sich auf Madeira, der Insel der Blumen, wie es im Tourismusdeutsch heißt, so etwas anzusehen. Selbst hoffnungslos Pflanzenverrückte müssen einmal durchatmen, wenn sie in den Garten der Familie Blandy durch das steinerne Tor treten und die Allee der Kamelienbäume in einer sanften Rechtsbeuge den Berg hinuntereilen sehen.


Links oben am Hang wühlt der Wind im gelben Blütenschaum der Mimosenbäume.


Ihnen zu Füßen erheben Hunderte von Callas ihre weißen Trompeten, die in einer Verschwendung blühen wie bei uns im Sommer nur der gemeine Löwenzahn.


Rechts unten in der Schlucht haben Baumfarne ihre weiten Schirme entfaltet, bewacht von Heerscharen der orangeroten Montbretien-Speere. Und noch haben wir gar nicht gesehen, wie sich der Rasen sattgrün zu dem weißen Haus hinzieht, nicht die Dombeya identifiziert, von der die rosafarbenen Blütentrauben schwer herunterhängen. Die Insel Madeira, die eine vulkanische Eruption zwei knappe Flugstunden von Lissabon entfernt in den Atlantischen Ozean platzierte, ist unter botanischen Gesichtspunkten eine Offenbarung.


Ein kleines Gebirge aus roter Lava. Gut 50 Kilometer lang, etwa 20 Kilometer breit und in der Mitte steil aufragend, bis auf 1800 Meter hoch. Der Boden, aus mineralhaltigen Schlacken, ist immens fruchtbar. Die Temperatur, im Winter wie im Sommer, ist außerordentlich gnädig. Ein einziger Frühling!


Durchschnittlich 16, 17 Grad. Hitze ? Selten. Frost? Nie! Die Winde sind immer günstig, und sie tragen fleißig Wolken herbei, dicke, schwarze Wirbel oder triefende grauweiße Fetzen, die dann im Gebirge hängen.


Wer subtropische Vegetation genießen will, muss an Regenkleidung denken. Die Bananenplantagen, die noch vor zehn Jahren bis ans Meer reichten, bevor Hotelgäste diese Logenplätze beanspruchten - 27 000 Betten immerhin! -, wollen begossen sein, die Feuerranken, die Passionsblumen, die Feigenbäume, die über die Gartenmauern lappen, dürfen nicht dürsten.


Die Straße windet sich hoch. Rechts und links ziehen sich an den Böschungen kilometerlang die Agapanthus-Kolonien dahin, die für den Sommer ein Meer von hohen tiefblauen oder weißen Blütendolden bereithalten, ein Anblick, der Menschen grimmig stimmen kann, die im deutschen Gartencenter schon mal 20 Mark für ein einziges Töpfchen dieser Pflanze hingeblättert haben. Schon nach 15, 20 Minuten wird es spürbar frischer. Dies ist die Gegend des Gemüses, auch der Pfirsiche, Kirschen, der Walnüsse, hier wächst der berühmte Wein.


Und dann kommen die sagenhaften Lorbeerwälder.


Kanarischer Lorbeer. Laurus azorica. Laurus foetens. Laurus indica. Uralte Eukalyptusbäume haben dazwischen ihren Platz behauptet, und von ihren Stämmen hängen schorfige Fetzen, als hätte sich die Rinde im Strom der Jahre abgeschrubbelt. Der Laurazeenwald, der auf der Insel alles bedeckte, als vor 600 Jahren der erste Portugiese vor Anker ging, ist eine archaische Landschaft. An toten Ästen hängen graumoosige Flechten. Es ist kalt, und es ist vollkommen einsam. Bis man wieder in tieferen Gegenden angelangt ist, wo ein alter Mann seinen Weg geht, die dicke Wollmütze über die Ohren gezogen, in der Hand einen Sack mit Grünzeug, eine Harke auf der Schulter.


Gärten auf Madeira mögen ja für jeden etwas vollkommen anderes bedeuteten.


Für die Pflanzenfreaks bedeutet es vielleicht, noch eine der endemischen Sedumarten in ihren Notizheftchen abhaken zu können. Für die Menschen auf dem Land bedeuten Gärten das mühevolle Schlagen von Terrassen in die Berge.


Steine aufschichten zu Mauern. Windbrecher bauen aus den fedrigen Stämmen der Erica, die wächst oben in den Laurazeenwäldern und wird noch heute auf turmhoch beladenen Wagen die Nordhänge runterbugsiert, bis zur Küste. Hier endet Madeira in schorfigen, schwarzen Felsen, und der Atlantik brandet mit einer solchen Wucht an, dass die Wogen der Gischt davonrollen und sie in weißen Schleiern hinterhereilt. Vor diesen Salznebeln muss das Grün beschützt werden. Wer vom Berg auf die Gärten hinunterschaut, sieht ein Muster von kleinen Körben, die aus Erica gesteckt sind und die sich aneinander schmiegen. Drinnen ist die Erde zu kleinen Wällen aufgeworfen, und dazwischen sitzen rund die Kohlköpfe und der Salat.


Die meisten Menschen hier leben natürlich längst im Dunstkreis des hauptstädtischen Funchal, das sich die Hänge hoch frisst und das Land in teure Parzellen verwandelt hat. So bleibt den Einheimischen, auf schmalen Terrassen und Balkonen ihre Leidenschaften in Töpfe, in Plastikkanister, in Betontröge zu stecken, zartrosa Begonien, Sansevierien im Spalier und immer und überall Orchideen, 20, 30, 40 Töpfe mit dickfleischigen Blättern, in der Hoffnung auf eine Blüte: wenn nicht in diesem Jahr, dann im nächsten!


Die großen Gärten aber sind von hohen Mauern abgeschirmt. Von weitem sieht man die Dächer eines Landguts. Quintas heißen diese Anlagen aus der Zeit, in der eine Oberschicht aus reichen Portugiesen und Engländern das Terrain des Zuckerhandels und des Weinexports zwischen sich abgesteckt hatte, die Blandys, die Reids, und es sind vor allem diese Gärten, auf die Touristen aus aller Welt hungrig sind. Der Magnoliengarten heißen sie heute, der botanische Garten, der Palheiro-Garten.


Schon Sisi schritt durch den Bougainvillea-Bogen


In diesen Gärten wachsen die Tennisplätze so natürlich aus dem Rasen wie ein 100-jähriger Drachenbaum. Hier sammelten die Hausherren kostbare Exoten. Ihre Namen sind wie Verheißungen zu beten. Frangipani! Jakarandas! Die Tradition der Insel ist verwoben mit der gärtnerischen Finesse der Briten und den Träumen der Besitzer.


Zum Beispiel der Monte Palace Tropical Garden. Man muss zweifeln, ob es auf der Welt eine umfassendere Sammlung jener kuriosen Cyca gibt, palmenähnlicher Gewächse, die der Hausherr im Exil in Südafrika lieben lernte. Puschel ohne Hals oder mit krummem Stiel. Sie quälen ihre Freunde mit einem schleppenden Zuwachs von 2,5 Zentimetern im Jahr. Die besten der über 700 Exemplare hier sind natürlich hoch und eindrucksvoll. In Monte Palace wachsen entlang der moosigen Wege kostbare Gemälde aus Keramik an den Mauern, Azulejos aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert, die Geschichten von Liebe, von Krieg, von Macht erzählen. In den Teichen schwimmen asiatische Koi-Fische. Über den Wegen wachen leuchtend rote Tore, zur Feier der japanisch-portugiesischen Freundschaft. Das hat durchaus einen Hauch von Disney World.


Oder der Garten unser aller Kaiserin Sisi, Quinta Vigia in Funchal, wo heute im Gartenhaus Akten gehegt werden und fliederfarbene I-Macs flimmern, im Einsatz für den Präsidenten der madeirensischen Verwaltung. Hier also ging früher sie spazieren. Einmal um das Beet, wo die Palmen aus den weißen Azaleen wachsen. Durch den Lorbeerbogen. Einmal hoch geschaut zum Ficus Benjamin, glatt 20 Meter! Noch einmal durch den Bougainvillea-Tunnel. Hier eine Magnolia grandiflora, im Würgegriff eines monströsen Philodendron. Noch mal um die Azaleen. Voller Sehnsucht aufs Meer geschaut. Aus dem Pfauengehege schrillen klagende Schreie. Elisabeth Amalie Eugenie kam zweimal nach Madeira, sie litt an der Lunge, und es heißt, sie habe sich auf Madeira unendlich gelangweilt.


Die heutigen Reisenden sind natürlich unendlich beschäftigt. Einen Blick werfen in den kleinen Park gegenüber, der vor dem Hospicio da Princeza Dona Maria Amelia liegt, in dem Schulmädchen in Faltenröckchen mit Lackschuhen um die Beete jagen. Den Magnoliengarten nicht vergessen! Auf den Blumenmarkt, Agapanthus-Ableger kaufen, Baumfarne für den Wintergarten eintüten. In den Stadtpark, Jardim SÆo Francisco. Am besten gleich nebenan im Weinkeller der Blandys einen Vintage Madeira kosten. Apropos Blandys. Allein für ihren Garten braucht man natürlich einen Tag.


Es ist der wundervollste Garten. Am Wasserlauf steht scharlachroter Rhododendron. Man sollte in den Ribeiro do Inferno absteigen, wo die Farnbäume wuchern, muss in der Kapelle ein Päuschen einlegen und mit Odilia und Maria ein Schwätzchen halten. Die beiden Damen in Schwarz liegen auf den Knien und bearbeiten mit ihren Handsicheln das Unkraut, dass sich zwischen die schwarzen Kiesel des Weges gesetzt hat. Maria lässt die Sichel sinken.


Ihr Blick wandert den Weg hoch, sie sieht die Taglilien, die Buchshecken, die weißen Iris, sicher sieht sie vor allem Abertausende von Kieseln. "The work is never ending", sagt Maria. Dem ist Glauben zu schenken.


Information


Preisbeispiel: Die beschriebene einwöchige Tour ist bei Gartenreisen Baur, Höge 2, 88693 Deggenhausertal, Tel. 07555/92 06 11, Fax 92 06 22


Internet: www.gartenreisen.de, von 2990 Mark an zu buchen, inklusive Flügen, Halbpension und Reiseleitung. Nächste Termine: 15. und 21. April.


Veranstalter: Gartentouren nach Madeira (und zu anderen Zielen) bieten unter anderem Ravenala Touristik, Fleischhauerstraße 37, 23552 Lübeck, Tel.


0451/710 25, Fax 70 44 24


Royal Touristik GmbH Natur erleben!, Weißenburgstraße 51, 50670 Köln, Tel. 0221/732 68 02, Fax 732 68 03 an.


Literatur: Wanderführer und Handbücher zu den Pflanzen gibt es auf Madeira in vielen Läden zu kaufen.


Auskunft: Im Tourismusbüro in Funchal, Avenida Arriaga 18, ist ein Faltblatt mit den Adressen der wichtigsten Gärten zu erhalten.



Auszug aus: DIE ZEIT Nr. 11 09.03.2000 Reise



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