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Prof. Dr. E. Flitner.





























M a x W e b e r, Religionssoziologie III. [1]









Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen.



Das antike Judentum * ).


I. Die israelitische Eidgenossenschaft und Jahwe S. 1. - Vorbemerkung: das soziologische Problem der jüdischen Religionsgeschichte S. 1. - Allgemeingeschichtliche und klimatische Bedingungen S. 8. - Die Beduinen S. 13. - Die Städte und die gibborim S. 16· - Die israelitischen Bauern S. 27· - Die gerim und die Erzväterethik S. 34. - Das Sozialrecht der israelitischen Rechtssammlungen S. 76. - Die Berith S. 81. - Der Jahwebund und seine Organe S. 86. - Hieiliger Krieg, Beschneidung, Nasiräer und Nebijim S. 99. - Rezeption und Charakter des Bundeskriegsgottes S. 126, - Die nicht jahwistischen Kulte S. 149. - Der Sabbat S. 159. - Baal und Jahwe. Die Idole und die Lade S. 165. - Opfer und Sühne S. 173. - Die Leviten und die Thora S. 181. - Die Entfaltung des Priestertums und das Kultmonopol von Jerusalem S. 186. - Der Kampf des Jahwismus gegen die Orgiastik. S. 200. - Die israelitischen Intellektuellen und die Nachbarkulturen S. 207. - Magie und Etli k S. 233 - Mythologema und Eschatologien S. 240. - Die vorexilische Ethik in ihren Beziehnngen zu der Ethik der Nachbarkulturen S. 250.



I.


Das eigentümliche religionsgeschichtlich - soziologische Problem des Judentums läßt sich weitaus am besten aus der Verglei-

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chung mit der indischen Kastenordnung verstehen. Denn was waren, soziologisch angesehen, die Juden ? Ein Pariavolk.

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Das heißt, wie wir aus Indien wissen: ein rituell, formell oder faktisch, von der sozialen Umwelt geschiedenes Gastvolk. Alle we-

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sentlichen Züge seines Verhaltens zur Umwelt, vor allem seine längst vor der Zwangsinternierung bestehende freiwillige Ghetto-

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existent und die Art des Dualismus von Binnen- und Außenmoral lassen sich daraus ableiten. Die Unterschiede gegenüber indischen Pariastämmen liegen beim Judentum in folgenden drei wichtigen Umständen: 1. Das Judentum war (oder vielmehr wurde) ein Pariavolk in einer kastenlosen Umwelt. - 2. Die Heilsverheißungen, an welchen die rituelle Besonderung des Judentums verankert war, waren durchaus andere als diejenigen der indischen Kasten. Für die indischen Pariakasten galt, sahen wir, als Prämie rituell korrekten, d. h. kastengerechten, Verhaltens der Aufstieg innerhalb der als ewig und unabänderlich gedachten Kastenordnung der Welt im Wege der Wiedergeburt. Die Erhaltung der Kastenordnung wie sie war und das Verbleiben nicht nur des Einzelnen in der Kaste,

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sondern der Kaste als solcher in ihrer Stellung zu den anderen Kasten: dieses eminent sozialkonservative Verhalten war Vorbedingung alles Heils; denn die Welt war ewig und hatte keine „Geschichte“. Für den Juden war die Verheißung die gerade entgegengesetzte: die Sozialordnung der Welt war in das Gegenteil dessen verkehrt, was für die Zukunft verheißen war und sollte künftig wieder umgestürzt werden, so, daß dem Judentum seine Stellung als Herrenvolk der Erde wieder zufallen würde. Die Welt war weder ewig noch unabänderlich, sondern sie war erschaffen und ihre gegenwärtigen Ordnungen waren ein Produkt des Tuns der Menschen, vor allem: der Juden, und der Reaktion ihres Gottes darauf: ein geschichtliches Erzeugnis also, bestimmt, dem eigentlich gott-gewollten Zustand wieder Platz zu machen. Das ganze Verhalten der antiken Juden zum Leben wurde durch diese Vorstellung einer künftigen gottgeleiteten politischen und Sozialrevolution bestimmt. Und zwar - 3: in einer ganz bestimmten Richtung. Denn die rituelle Korrektheit und die dadurch bedingte Abgesondertheit von der sozialen Umwelt war nur eine Seite der ihnen auferlegten Gebote. Daneben stand eine in hohem Grade rationale, das heißt von Magie sowohl wie von allen Formen irrationaler Heilssuche freie religiöse Ethik des innerweltlichen Handelns, innerlich weltenfern stehend allen Heilswegen der asiatischen Erlösungsreligionen. Diese Ethik liegt in weitgehendem Maße noch der heutigen europäischen und vorderasiatischen religiösen Ethik zugrunde. Und darauf beruht das Interesse der Weltgeschichte am Judentum.

Die weltgeschichtliche Tragweite der jüdischen religiösen Entwicklung ist begründet vor allem durch die Schöpfung des „Alten Testamentes“. Denn zu den wichtigsten geistigen Leistungen der paulinischen Mission gehört es, daß sie dies heilige Buch der Juden als ein heiliges Buch des Christentums in diese Religion hinüberrettete und dabei doch alle jene Züge der darin eingeschärften Ethik als nicht mehr verbindlich, weil durch den christlichen Heiland außer Kraft gesetzt, ausschied, welche gerade

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die charakteristische Sonderstellung der Juden: ihre Pariavolkslage, rituell verankerten. Man braucht sich, um die Tragweite dieser Tat zu ermessen, nur vorzustellen, was ohne sie eingetreten wäre. Ohne die Uebernahme des Alten Testamentes als heiligen Buches hätte es auf dem Boden des Hellenismus zwar pneumatische Sekten und Mysteriengemeinschaften mit dem Kult des Kyrios Christas gegeben, aber nimmermehr eine christliche Kirche und eine christliche Alltagsethik. Denn dafür fehlte dann jede Grundlage. Ohne die Emanzipation von den rituellen, die kastenartige Absonderung der Juden begründenden Vorschriften der Thora aber wäre die christliche Gemeinde ganz ebenso wie etwa die Essener und Therapeuten eine kleine Sekte des jüdischen Pariavolks geblieben. Aber gerade in dem Kern der aus dem selbstgeschaffenen Ghetto befreienden Heilslehre des Christentums knüpfte die paulinische Mission an eine jüdische, wennschon halbverschüttete Lehre an, welche aus der religiösen Erfahrung des Exilsvolks stammte. Denn ohne die höchst besondersartigen Verheißungen des unbekannten großen Schriftstellers der Exilszeit, der die prophetische Theodizee des Leidens Jes. 40 - 55 verfaßt hat, insbesondere die Lehre vom lehrenden und schuldlos freiwillig als Sühnopfer leidenden und sterbenden Knecht Jahwes wäre trotz der späteren Menschensohn - Esoterik die Entwicklung der christlichen Lehre vom Opfertod des göttlichen Heilands in ihrer Sonderart gegenüber andern äußerlich ähnlichen Mysterienlehren nicht denkbar gewesen. Auf der anderen Seite ist aber das Judentum ausgesprochenermaßen Anreger und teilweise Vorbild der Verkündigung Mohammeds geworden. Wir befinden uns also bei Betrachtung seiner Entwicklungsbedingungen, ganz abgesehen von der Bedeutung des jüdischen Pariavolks selbst innerhalb der Wirtschaft des europäischen Mittelalters und der Neuzeit vor allem aus diesen Gründen der universalhistorischen Wirkung seiner Religion an einem Angelpunkt der ganzen Kulturentwicklung des Occidents und vorderasiatischen Orients. An geschichtlicher Bedeutung kann ihm nur die Entwicklung der hellenischen Geisteskultur und, für Westeuropa, des römischen Rechts und der auf dem römischen Amtsbegriff fußenden römischen Kirche, dann weiterhin der mittelalterlich - ständischen Ordnung und schließlich der sie sprengenden, aber ihre Institutionen fortbildenden Einflüsse, auf religiösem Gebiet, also des Protestantismus, gleichgeordnet werden.

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Das Problem ist also: wie sind die Juden zu einem Pariavolk mit dieser höchst spezifischem Eigenart geworden ? -

Das syrisch - palästinische Bergland war abwechselnd mesopotamischen und ägyptischen Einflüssen ausgesetzt. Die ersteren waren durch die Stammesgemeinschaft der in alter Zeit in Syrien ebenso wie in Mesopotamien herrschenden Amoriter, dann durch den politischen Aufstieg der babylonischen Macht Ende des 3. Jahrtausends und dauernd durch den Einfluß der kommerziellen Bedeutung Babylons, als des Entstehungsgebiets der frühkapitalistischen Geschäftsformen, bedingt. Die ägyptischen Einflüsse beruhten zunächst auf den Handelsbeziehungen schon des alten Reichs zur phönizischen Küste, auf dem ägyptischen Bergbau auf der Sinaihalbinsel und auf der geographischen Nähe als solcher. Eine dauernde und feste politische Unterwerfung war in der Zeit vor dem 17. Jahrhundert v. Chr. von keinem jener beiden großen Kulturzentren her möglich, weil die damalige militärische und administrative Technik eine solche ausschloß. Das Pferd fehlte zwar wenigstens in Mesopotamien nicht gänzlich, aber es war noch nicht zum Instrument einer eigenen Militärtechnik geworden. Das geschah erst in jenen Völkerwanderungen, welche in Aegypten die Hyksosherrschaft, in Mesopotamien die kassitische Herrschaft begründeten. Nunmehr erst entstand die Wagenkampftechnik und damit Möglichkeit und Anreiz zu großen Eroberungsexpeditionen in ferne Gebiete. Palästina wurde zuerst von Aegypten her als Beuteobjekt gesucht. Mit der Befreiung von den Hyksos - unter deren Herrschern anscheinend der Name „Jakob“ zum erstenmal auftaucht - begnügte sich die 18. Dynastie nicht, sondern drang erobernd bis an den Euphrat vor. Ihre Statthalter und Vasallen blieben in Palästina, auch als die Tendenz zur Expansion aus innerpolitischen Gründen erlahmte. Die Dynastie der Ramessiden mußte den Kampf um Palästina schon deshalb wieder Aufnahmen, weil inzwischen das starke kleinasiatische Reich der Hethiter nach Süden vorgedrungen war und Aegypten bedrohte. Durch ein Kompromiß unter Ramses II. wurde Syrien geteilt, Palästina blieb in ägyptischer Hand und war es nominell bis nach dem Ende der Ramessiden, also während eines großen Teils der israelitischen sog. „Richterzeit“. Tatsächlich sank aber die Macht sowohl des ägyptischen wie des hethitischen Reichs vor allem aus innerpolitischen Gründen so stark, daß Syrien und Palästina vom

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13. Jahrhundert an mehrere Jahrhunderte im wesentlichen sich selbst überlassen blieben, bis, seit dem 9. Jahrhundert, die inzwischen neugeschaffene Militärmacht der Assyrer, seit dem 7. die der Babylonier und, nach einem ersten Vorstoß im 10. Jahrhundert, im 7. Jahrhundert auch die ägyptische Macht wieder eingriffen und vom letzten Drittel des 8. Jahrhunderts an die Selbständigkeit des Gebietes Stück für Stück an die assyrischen, teilweise und zeitweise an die ägyptischen, definitiv dann an die babylonischen Großkönige verloren ging, deren Erbe die Perserherrschaft antrat. Nur in jener Zwischenzeit, welche einen weitgehenden allgemeinen Rückgang aller internationalen politischen und kommerziellen Beziehungen bedeutete und im Zusammenhang damit in Griechenland die sog. dorische Wanderung sah, konnte auch Palästina sich unabhängig von fremden Großmächten entwickeln. Die Phönikerstädte und die in jener Zeit der Schwäche Aegyptens von der See her einwandernden Philister von der einen, die Beduinenstämme der Wüste von der anderen Seite, dann im 10. und 9. Jahrhundert das damaskenische Reich der Aramäer, waren Palästinas stärkste Nachbarn. Gegen die letztgenannte Macht rief der israelitische König die Assyrer ins Land. In jene Zwischenperiode fällt, wenn nicht die Entstehung, so doch die militärische Höhe des israelitischen Bundes, des Reichs Davids und dann der Königreiche Israel und Juda.

Wenn die politische Macht der großen Kulturstaaten am Euphrat und Nil damals gering war, so hat man sich doch sehr zu hüten, diese Epoche in Palästina sich als primitiv und barbarisch vorzustellen. Nicht nur blieben diplomatische und auch kommerzielle Beziehungen, wenn auch erschwert, bestehen, sondern auch der geistige Einfluß der Kulturgebiete dauerte fort. Durch Sprache und Schrift war Palästina dauernd, auch während der ägyptischen Herrschaft, dem geographisch entfernteren Euphratgebiet verbunden geblieben, und tatsächlich ist dessen Einfluß vor allem im Rechtsleben, aber ebenso in Mythen und kosmischen Vorstellungen unverkennbar. Agyptens Einfluß auf die Kultur Palästinas scheint, rein äußerlich, angesichts der geographischen Nähe auffallend gering. Dies hatte seinen Grund zunächst in der inneren Eigenart der ägyptischen Kultur, deren Trägern. Tempel- und Amts - Pfründnern, jeder Proselytismus fernlag. Starke Beeinflussung der palästinischen geistigen Entwicklung durch Aegypten ist in manchen für uns wichtigen

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Punkten dennoch wahrscheinlich. Aber sie erfolgte teils auf dem Umweg über Phönizien, teils blieb sie mehr ein nicht ganz leicht zu fassender und meist wesentlich negativer „Entwicklungsreiz“. Denn jene scheinbar geringe direkte Beeinflussung folgte außer aus sprachlichen Gründen auch aus den tiefgehenden Unterschieden der natürlichen Lebensbedingungen und der auf ihnen ruhenden sozialen Ordnung. Der aus der Notwendigkeit der Bewässerungsregulierung und aus den königlichen Bauten erwachsene ägyptische Fronstaat stand den Existenzformen der Bewohner Palästinas als etwas tief Fremdartiges, ein „Diensthaus“, das sie als „eisernen Ofen“ verabscheuten, gegenüber. Und die Aegypter ihrerseits betrachteten alle nicht an dem göttlichen Geschenk der Nilüberschwemmungen und der königlichen Schreiberverwaltung teilnehmenden Nachbarn als Barbaren. Die religiös einflußreichen Schichten in Palästina aber lehnten vor allem die wichtigste Grundlage der ägyptischen Priestermacht: den Totenkult, als eine schauerliche Entwertung ihrer eigenen, in der bei nicht hierokratisch reglementierten Völkern typischen Art, durchaus innerweltlich gerichteten Interessen ebenso ab, wie sich die ägyptische Dynastie selbst unter Amenophis IV. zeitweilig, aber gegenüber der schon fest verankerten Macht der Priester vergeblich, ihnen zu entziehen suchte. Der Gegensatz gegen Aegypten war letztlich in den natürlichen und sozialen Unterschieden begründet; obwohl auch innerhalb Palästinas die Lebensbedingungen und sozialen Verhältnisse recht verschiedene waren.

Palästina birgt erhebliche klimatisch bedingte Gegensätze der Wirtschafts-möglichkeiten1). In den Ebenen namentlich des mittleren und Nordgebiets war neben Getreideanbau mit Rindviehzucht schon bei Beginn unserer Nachrichten auch Obst-, Feigen-, Wein- und Oelbau heimisch. In den Oasen der angrenzenden Wüste und auf dem Gebiet der Palmenstadt Jericho auch Dattelzucht. Bewässerung aus den starken Quellen, in den palästinischen Ebenen. Regen machte den Anbau möglich. Die sterile Wüste im Süden und Osten war und ist nicht nur den Bauern, sondern ebenso den Hirten ein Ort des Schreckens und der

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Sitz der Dämonen. Nur die vom periodischen Regen bestrichenen Randgebiete, die Steppen, waren und sind als Kamel- oder Kleinviehweide und daneben in günstigen Jahren zum nomadisierenden Gelegenheitsanbau von Getreide brauchbar. Allerhand Uebergänge bis zur Möglichkeit regelmäßigen seßhaften Anbaus fanden und finden sich1). Insbesondere war und ist die Art der Weiden verschieden. Zuweilen lassen sie sich als örtlich festbegrenzte Weidebezirke von einer Ansiedelung aus entweder nur für Kleinvieh oder daneben auch für Großvieh benutzen. Häufiger aber müssen gemäß dem jährlichen Wechsel zwischen winterlicher Regenperiode und sommerlicher regenloser Zeit die Weiden gewechselt werden2). Entweder derart, daß Sommer- und Winterdörfer, die letzteren oben an den Berghängen liegend, von den Viehzüchtern abwechselnd benutzt werden und leerstehen -, was übrigens auch bei Ackerbauern auf weit auseinanderliegenden Feldern mit Verschiedenheit der Vegetationsperiode vorkommt. Oder aber so, daß die Weidereviere der verschiedenen Jahreszeiten so weit auseinanderliegen oder in ihren Erträgen so wechseln, daß feste Ansiedelungen gar nicht möglich sind. Die Kleinviehzüchter, denn nur sie kommen in diesem Fall in Frage, leben dann nach Art der Kamelhirten der Wüste in Zelten und treiben im periodischen Weidewechsel ihre Herden über weite Entfernungen teils mehr von Ost nach West, teils mehr von Nord nach Süd, wie sich dies in Süditalien, Spanien, der Balkanhalbinsel und Nordafrika ganz ebenso findet1). Beim Weidewechsel pflegt je nach Möglichkeit die Naturweide mit Brechweide und Stoppelweide auf den abgeernteten Feldern kombiniert zu werden. Oder so, daß mit Zeiten der Dorfsässigkeit Zeiten des Nomadisierens oder der auswärtigen Arbeitssuche abwechseln: dorfsässige Bauern im Gebirge Jude wohnen teilweise die Hälfte des Jahres in Zelten. Die Grade der vollen hausgesessenen Bodenständigkeit einerseits, des Zeltnomadentums andererseits sind also durch alle denkbaren Uebergänge miteinander verbunden und labil. Wie in der Antike sind noch

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in der Gegenwart Uebergänge sowohl vom Nomadentum zum Ackerbau infolge Zunahme der Bevölkerung und damit des Brotbedarfs, wie auch das gerade umgekehrte: Uebergang vom Fellachentum zum Nomadentum infolge von Versandung, vorgekommen. Mit Ausnahme des immerhin eng begrenzten aus Quellen bewässerten Landes hängt eben das ganze Schicksal des Jahres von dem Maß und der Verteilung des Regens ab1) . Von diesem gibt es zweierlei Art. Den einen bringt der Scirocco von Süden in oft ungeheuer starken Gewittern mit Wolkenbrüchen. Ein starker Blitz bedeutet den Fellachen und Beduinen starken Regen. Kommt kein Regen, so ist heute wie in der Antike „Gott in der Ferne“ und dies gilt heute wie damals als Folge von Sünden, besonders solchen der Schechs2). Für die Ackerbaukrume namentlich des Ostjordanlandes oft verhängnisvoll, füllt dieser Platzregen in der Steppe die Zisternen und ist also namentlich den Kamelzüchtern der Wüste erwünscht, für die deshalb der regenspendende Gott ein jähzorniger Gott des Wettersturms war und blieb. Für die Dattelpalmen und die Baumvegetation überhaupt ist dieser starke Regen nicht nachteilig, bei nicht allzu großem Uebermaß nützlich. Den milden Landregen dagegen, bei welchem die Ackerkrume und die Bergweiden gedeihen, bringt jener Südwest- und Westwind, den Elia auf dem Karmel vom Meer her erwartete. Für den Ackerbauer ist also jener Regen der erwünschteste, bei welchem der regenspendende Gott nicht im Gewitter oder Sturm - die auch ihm freilich oft vorangehen -, sondern „in stillem, sanftem Sausen“ naht.

Im eigentlichen Palästina ist die „Wüste Juda“, die Abflachung des Berglands vom Toten Meer, von jeher wie heute ein Gebiet fast ohne feste Siedelung. Innerhalb des mittel- und nordisraelitischen Berglandes dagegen fällt im Winter (November bis März) so viel Regen wie in Mitteleuropa im ganzen Jahresdurchschnitt. Daher ist in guten Jahren, d . h. wenn starke Frühregen (in der Antike oft schon vom Laubhüttenfest an) und Spätregen (bis Mai) eingetreten sind, gute Getreideernte in den Tälern und starker Blumen- und Graswuchs an den Berghängen zu erwarten, während allerdings beim Ausbleiben der Früh- und Spätregen die absolute Dürre des Sommers, die alles Gras verdorren

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läßt, sich über mehr als zwei Drittel des Jahres erstrecken kann und dann vor allem die Schafhirten auf auswärtigen Zukauf von Getreide in der Antike aus Aegypten, oder auf Fortwanderung angewiesen waren. Die Existenz namentlich dieser Hirten ist also meteorologisch prekär, und nur in guten Jahren war Palästina für sie ein Land wo „Milch und Honig“ - es ist offenbar Dattelhonig, den die Beduinen schon in der Thutmose - Zeit kannten, vielleicht auch Feigenhonig und daneben Honig von wilden Bienen gemeint - „fließen“1) .

Die naturgegebenen Kontraste der Wirtschaftsbedingungen haben von jeher in Gegensätzen der ökonomischen und sozialen Struktur sich ausgedrückt.

Am einen Ende der Skala standen und stehen die Wüsten - Beduinen. Der eigentliche bedu, der sich auch innerhalb Nordarabiens streng vom seßhaften Araber unterscheidet, verachtete voll jeher den Ackerbau, verschmähte Haus und befestigte Orte, lebte von Kamelmilch und Datteln, kannte keinen Wein, bedurfte und duldete keine Art von staatlicher Organi-

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sation. Wie neben anderen namentlich Wellhausen1) es für die epische Zeit der Araber geschildert hat, ist neben dem Muchtar, dem Haupt der Familie (d. h. der Zeltgemeinschaft) das Sippenhaupt, der Schech, die einzige normalerweise perennierende Autorität. Zur Sippe zählt der Komplex von Zeltgemeinschaften, welche sich, gleichviel ob mit Recht, von einem Ahn abstammend wissen und deren Zelte deshalb benachbart stehen. Sie ist der durch strenge Blutrachepflicht am festesten zusammengekittete Verband. Gemeinschaften mehrerer Sippen bilden sich durch Gemeinsamkeit des Wanderns und Lagerns zu gegenseitigem Schutz. Der dadurch entstehende „Stamm“ umfaßt selten mehr als einige tausend Seelen. Ein ständiges Oberhaupt hat er nur, wenn ein Mann sich durch kriegerische Leistungen oder schiedsrichterliche Weisheit so ausgezeichnet hat, daß er kraft seines Charisma als „Sayid“ anerkannt wird. Sein Prestige kann dann als Erbcharisma auf die jeweiligen Schechs seiner Sippe übergehen, namentlich wenn diese vermögend ist. Auch der Sayid ist aber nur primus inter pares. Im Palaver des Stammes (bei kleinen Stämmen oft allabendlich) führt er den Vorsitz, gibt, wo sich die Meinungen die Wage halten, den Ausschlag, bestimmt Aufbruchszeit und Lagerungsort. Es fehlt ihm aber ebenso wie den Schachs jede Zwangsgewalt. Sein Beispiel und Schiedsspruch werden von den Sippen befolgt, solange sich sein Charisma bewährt. Auch alle Teilnahme an Kriegszügen ist freiwillig und wird nur durch Spott und Beschämung indirekt erzwungen. Die einzelne Sippe begibt sich nach Belieben auf Abenteuer. Ebenso gibt sie Fremden eigenmächtig ihren Schutz. Beides kann, das erstere durch Repressalien, das letztere durch Rache bei Verletzung des Gastrechts, auf die Gemeinschaft zurückwirken. Diese selbst greift aber nur ausnahmsweise ein. Denn jeder Verband, der über die Sippe hinausgeht, bleibt höchst labil. Die Einzelsippen schließen sich nach Gelegenheit anderweit an und trennen sich vom bisherigen Stamm. Und der Unterschied zwischen einem schwachen Stamm und einer zahlreichen Sippe ist flüssig. Allerdings kann die politische Zusammenfassung eines Stammes auch bei den Beduinen unter Umständen zu einem relativ festen Gebilde werden. Dann nämlich, wenn es einem charismatischen Fürsten gelingt, sich und seiner Sippe eine dauernde

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militärische Herrenstellung zu schaffen. Das ist indessen nach der Natur der Sache nur dann möglich, wenn der Kriegsfürst entweder aus den intensiv angebauten Oasen Bodenrenten und Tribute oder aus den Zöllen und Geleitgeldern der Karawanen feste Einnahmen erlangt hat mittelst deren er eine persönliche Gefolgschaft in seinen Felsenburgen unterhalten kann1). Sonst sind alle Machtstellungen Einzelner sehr labil. Alle Notablen haben letzlich nur „Pflichten“ und werden nur durch soziale Ehre, allenfalls durch einen gewissen Vorzug bei der Beurteilung, entgolten. Trotzdem kann die soziale Ungleichheit durch Besitz und Erbcharisma unter den Sippen eine erhebliche sein. Andererseits besteht aber die strenge Pflicht der brüderlichen Nothilfe, zunächst innerhalb der Sippe, unter Umständen aber auch innerhalb des Stammes. Der Nichtbruder dagegen ist rechtlos, wenn er nicht durch Speisegemeinschaft in den Schutzverband aufgenommen ist. Die Weidegebiete, welche die lockere und labile Stammesgemeinschaft in Anspruch nimmt und schützt, werden aus gegenseitiger Furcht vor Rache innegehalten, wechseln aber je nach Machtlage, die namentlich im Kampf um das wichtigste Objekt: die Brunnen, zum Austrag kommt. Appropriiertes Bodeneigentum gibt es nicht. Krieg und Raub, vor allem Straßenraub, den gelegentlich auszuüben als Ehrensache gilt, stempeln den typischen beduinischen Ehrbegriff. Berühmte Abstammung, eigene Tapferkeit, Freigebigkeit sind die drei Dinge, die am Mann gerühmt werden. Rücksicht auf den Adel seiner Familie und die soziale Ehre seines guten Namens galten dem vorislamischen Araber als die ausschlaggebenden Motive alles Handelns.

Oekonomisch gilt der heutige Beduine als phantasieloser Traditionslist1) und dabei als friedlichem Erwerb abgeneigt. Das wird insofern nur bedingt generalisiert werden dürfen, als hohe Zwischenhandels- und Geleitgelderverdienste die an die Karawanenstraßen der Wüste angrenzenden Stämme zu Interessenten an diesem Handel zu machen pflegten, wo immer er bestand. Die hohe Heiligkeit des Gastrechts beruht zum Teil auch auf diesem Interesse am Wanderhandel. Wie auf dem Meere

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Seehandel und Piraterie, so gehörte in der Wüste Zwischenhandel und Straßenraub zusammen, denn das Kamel ist das vorzüglichste aller tierischen Transportmittel1). Der fremde Händler wurde und wird beraubt, soweit nicht entweder eine fremde Macht die Straßen durch Garnisonen militärisch deckt oder die Kaufleute feste Schutzabkommen mit den die Straßen beherrschenden Stämmen selbst besitzen.

Von eigentlichem Beduinenrecht zeigen nun die altisraelitischen Rechts- sammlungen nichts und der Tradition ist der Beduine der Todfeind Israels. Ewige Fehde herrscht zwischen Jahwe und Amalek. Der mit dem „Kainszeichen“, der Stammestätowierung, versehene Ahn des Keniterstammes, Kein, ist a1s Mörder von Gott zur Unstetheit vrerflucht und nur die furchtbare Härte der Blutrache ist sein Privileg. Auch sonst fehlen beduinische Anklänge in der israelitischen Sitte fast ganz. Nur eine wichtige Spur ist da: das Bestreichen der Türpfosten mit Blut, als Abwehr der Dämonen, ist in Arabien verbreitet. Auf militärischem Gebiet könnte jene meist als rein utopisch - theologische Konstruktion der Prophetenzeit gedeutete Vorschrift des Deuteronomium: daß aus dem Heeresaufgebot alle diejenigen, welche sich zu „feig“ fühlen, ausgeschieden oder heimgeschickt werden sollen, wohl mit der absoluten Freiwilligkeit der Beteiligung an Beduinenkriegsfahrten in historische Verbindung gebracht werden. Indessen ist dafür nicht eine Uebernahme von den Beduinen, sondern es sind wohl Reminiszenzen an die den später zu besprechenden Viehzüchterstämmen eigenen Gewohnheiten, die allerdings den beduinischen entsprechen, die Quelle.

Am anderen Ende der Skala stand und steht die Stadt (gir). Wir müssen sie etwas näher zu analysieren suchen. Ihre Vorläufer waren unzweifelhaft auch in Palästina einerseits Burgen kriegerischer Häuptlinge für sich und ihre persönliche Gefolgschaft, andererseits Zufluchtsstätten für Vieh und Menschen in bedrohten, besonders in den der Wüste benachbarten Gebieten. Von beiden berichtet unsere Tradition nichts ausführliches1).

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Die Stadt, die sie kennt, konnte ökonomisch und politisch angesehen, etwas sehr Verschiedenes darstellen. Entweder nur eine kleine befestigte Ackerbürgergemeinde mit Markt. Dann war sie nur graduell vom Bauerndorf verschieden. Bei voller Entwicklung war sie dagegen in der ganzen orientalischen Antike nicht nur Marktort, sondern vor allem Festung und als solche Sitz des Wehrverbandes des Lokalgottes und seiner Priester und des je nachdem monarchischen oder oligarchischen politischen Machtträgers. Dies entspricht ganz offenbar den Analogien der mittelländischen Polis.

Die syrisch - palästinensischen Städte zeigen in der Tat in ihrer politischen Verfassung ein Entwicklungsstadium, welches der althellenischen „Geschlechterpolis“ nah steht. Schon in vorisraelitischer Zeit waren die phönikischen Seestädte und die Städte der Philister als Vollstädte organisiert. Für die Zeit Thutmoses III. ergeben die ägyptischen Quellen das Bestehen zahlreicher Stadtstaaten in Palästina, darunter bereits solcher, die auch in der kanaanäischen Zeit Israels weiterbestanden (so: Lakisch)1). In der Tell - e1 - Amarna -Korrespondenz erscheint unter Amenophis IV (Echnaton) neben den Vasallenkönigen und Statthaltern des Pharao mit ihren Garnisonen, Magazinen und Arsenalen in den größeren Städten, am deutlichsten in Tyros und Byblos, eine stadtsässige Schicht, welche das Stadthaus (bitu) in der Gewalt hat und eine eigene der ägyptischen Herrschaft oft feindliche Politik treibt2). Sie muß offenbar, gleichviel welches ihre sonstige Eigenart war, ein wehrhaftes Patriziat dargestellt haben1). Ihr Verhältnis zu den Vasallenfürsten und

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Statthaltern des Pharao war offensichtlich schon ähnlich wie später das der stadtsässigen israelitischen Sippen zu solchen Militärfürsten, wie etwa Abimelech, Gideons Sohn, einer war. Und auch in einer anderen Hinsicht sind offenbare Gleichheiten der vorisraelitischen mit der israelitischen und sogar noch der spätjüdischen Zeit festzustellen. Noch in den talmudischen Quellen werden mehrere Kategorien von Ortschaften unterschieden, und zwar derart, daß zu jeder befestigten Hauptstadt eine Anzahl Landstädte und zu beiden wieder Dörfer als politische Dependenzen gehören. Der gleiche oder ähnliche Zustand wird aber bereits in den Amarnabriefen1) und dann ebenso in dem aus der Königszeit stammenden Josuabuch1) ( Jos. 15, 45 - 47; 17, 11; 13, 23. 28 ;


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vgl. Jud. II, 27 und Num. 21, 25. 32) vorausgesetzt. Er hat also offenbar während der ganzen Dauer der für uns überblickbaren Geschichte überall da bestanden, wo die städtische Organisation des Wehrverbandes politisch und ökonomisch zur Vollentwicklung gelangte. Die abhängigen Orte waren dann in der Lage von Periökenortschaften, d. h. politisch rechtlos. Die Herrensippen waren oder galten als stadtsässig. In Jeremias Heimatsort Anathot gibt es „nur kleine Leute“, die kein Verständnis für seine Prophetie haben (Jer. 5, 4), also geht er in die Stadt Jerusalem, wo die „Großen“ sind, in der Hoffnung auf besseren Erfolg. Aller politische Einfluß liegt in der Hand dieser Großen der Hauptstadt. Daß unter Zedekia auf Nebukadnezars Befehl zeitweise andere als sie die Gewalt, vor allem die Aemter, innehaben, gilt als eine Anomalie, deren Möglichkeit Jesaja als Strafgericht bei fortdauernder Verworfenheit der Großen, zugleich aber als ein furchtbares Uebel für das Gemeinwesen in Aussicht stellte. Aber die Leute von Anathot galten weder als Metöken, noch als Sonderstand, sondern als Israeliten, die nur nicht zu den „Großen“ gehörten1). Hier ist also der Typus der herrschenden Geschlechter - Polis ganz in frühantiker Art: mit politisch rechtlosen, aber doch als Freie geltenden Periöken - Orten entwickelt.

Die Bedeutung der Sippen - Organisation blieb auch in den Städten grundlegend. Aber neben ihre ausschließliche Bedeutung für die soziale Organisation bei den Beduinenstämmen tritt in der Stadt die Beteiligung am Grundbesitz als Grundlage der Rechte und überwiegt schließlich jene. Die Gliederung pflegte im israelitischen Altertum eine solche nach Vaterhäusern (beth aboth): Hausgemeinschaften also, zu sein, welche als Unterteile der Sippe (mischpacha) galten, die ihrerseits Teile des Stammes

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(schebat) waren. Aber, wie wir sahen: die Tradition des Josuabuchs läßt den Stamm bereits in Städte und Dörfer, statt in Sippen und Familien, zerfallen. Ob jeder Israelit einer „Sippe“ angehörte, könnte nach anderen Analogien fraglich sein. Die Quellen nehmen es an: jeder freie Israelit ist wehrfähig. Aber innerhalb der Wehrfähigen entstand eine zunehmende Differenzierung. In der Tradition werden gelegentlich (in Gibeon Jos. 10, 2) ausdrücklich alle Bürger (anaschim, anderwärts. z. B Jos. 9, 3 josebim) einer Stadt mit den gibborim, den Kriegern. (Rittern) identifiziert. Aber das ist nicht die Regel. Unter den gibborim werden vielmehr regelmäßig die bne chail, die „Söhne von Besitz“, d. h. die Besitzer von Erbland verstanden und „gibbore chail“ genannt, zum Unterschiede1) von den gewöhnlichen Marinen (`am), deren militärisch ausgebildeter Teil später (Jos. 8, 11; 10, 7; 2 Kön. 25, 4) „Kriegsmarinen“ (`am hamilchamah) genannt wird. Ein gibbor chail heißt Boss im Ruthbuche. Die für die Aufbringung des assyrischen Tributs von König Menahem mit einer Zwangsumlage von je 50 Sekel belegten größten Besitzer werden ebenso genannt (2. Kön. 15, 20, die von Ed. Meyer s. Z. mit Recht herangezogene wichtigste Stelle), und ebenso werden zuweilen scheinbar ganz allgemein alle Kriegsleute bezeichnet. Aber ein „ben chail“ ist ebensowenig wie im spanischen, wörtlich gleichbedeutenden Ausdruck, „Hi-

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dalgo“ jeder Besitzer von irgendwelchem Land. Sondern „bne chail“ sind die ökonomisch kraft ihres ererbten Besitzes zur vollwertigen Selbstequipierung fähigen, also die ökonomisch voll wehrfähigen und wehrpflichtigen, deshalb politisch vollberechtigten Sippen. Bei diesen Sippen war überall und in allen Zeiten, wo kostspielige Bewaffnung und Ausbildung militärisch ausschlaggebend war, die politische Macht1).

Auch wo, wie in der frühen Antike sehr oft, ein erbcharismatischer Stadtfürst (nasi) an der Spitze der Stadt stand, hatte er die Gewalt als primus inter pares mit den Aaltesten (sekenim) dieser Sippen zu teilen. Außerdem aber mit den Familienhäuptern (roschi beth aboth) seiner eigenen Sippe. Die Macht dieser konnte so groß und zugleich das Uebergewicht der Fürstensippe über alle anderen Sippen der Stadt und deren Aelteste so bedeutend sein, daß die Stadt als eine Oligarchie der Familienhäupter der Fürstensippe erschien, wie wir dies in der israelitischen Geschichte sehr regelmäßig finden. Die Verhältnisse waren aber wohl verschieden. Sichem wird in den Genesiserzählungen durch eine reiche Sippe, die bne Chamor, beherrscht, deren Haupt den Titel Nasi (Fürst) führt und „Vater Sichems“ heißt (Jud. 8, 28). Für wichtige Angelegenheiten, z. B. für die Aufnahme Fremder in den Bürger- und Bodenrechtsverband bedarf dieses Stadthaupt der Zustimmung der „Mannen“ (anaschim) Sichems. Neben diese alte Herrensippe trat nach dem Midianiterkrieg als übermächtige Konkurrentin die Sippe Gideons, welche dann in der Revolte gegen Abimelech wieder durch die Sippe Chamors verdrängt wurde. Die Sippen waren, wie in frühhellenischer Zeit, oft interlokal angesessen : zuweilen hatte eine Sippe die Vormacht in mehreren, namentlich kleineren. Städten. So hatte in Gilead die Sippe Jairs die Macht über eine ganze Gruppe von Zeltdörfern, die später gelegentlich auch „Städte“ genannt werden. Die reale Macht lag in aller Regel in den Händen der „Aeltesten“ (sekenim). Diese erscheinen in allen denjenigen Teilen der Ueberlieferung, welche auf dem Boden der Stadtverfassung stehen, also vor allem im deuteronomischen Gesetz, als eine „im Tor“, d. h. auf dem Marktplatz am Tor der Stadt sitzende, Gericht haltende und die Verwaltung regelnde ständige Behörde, die Sikne ha gir, deren Fxistenz im Josuabuch für kanaa-

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näische ebenso wie israelitische Städte vorausgesetzt wird. Für die Stadt Jesreel werden neben den Aeltesten „Edle“ (chorim) erwähnt. Anderwärts tauchen neben den Aeltesten die Häupter der Vaterhäuser (roschi beth aboth) auf, die man auch in der Spätzeit (Esra) als Repräsentanten der Städte neben den sekenim und den, damals offenbar mit diesen identischen, anders bezeichneten Städtvorstehern findet. Im ersten Fall scheint es sich also um einen charismatischen Dauervorzug eines oder mehrerer Geschlechter zu handeln, welche die Stadtmagistratur stellen, im letzteren um die Familienhäupter aller wehrhaften Sippen der Stadt. Auch in den älteren Traditionen finden sich solche Unterschiede. Inwieweit diesen terminologischen Verschiedenheiten wirklich verschiedene politische Organisationen entsprachen, ist aber nicht überliefert und nicht ersichtlich. Die charismatische Honoratiorenstellung einer Sippe hing natürlich vor allem von ihrer militärischen Macht und, was damit zusammenhing, von ihrem Reichtum ab. Die Stellung dieser grundgesessenen städtischen Sippen entsprach wohl etwa derjenigen Oligarchie, welche aus der Darstellung Snouck Hurgronjes für Mekka bekannt ist. Die gibbore chail, die besitzenden Kriegshelden, entsprechen den römischen „adsidui“. Auch die philistäische Ritterschaft bestand aus trainierten Kriegern. Ein „Krieger von Jugend auf“ wird Goliath genannt: das setzt Besitz voraus. Die altisraelitischen politischen Machthaber der bergsässigen Stämme werden dagegen gelegentlich „Stabträger“ genannt, wie die homerischen Fürsten auch.

Beim Vergleich der israelitischen mit den vorisraelitischen und mit den mesopotamischen Verhältnissen fällt auf: daß an Stelle des einen Stadtkönigs der Amarnazeit und noch der späten Ramessidenepoche und des einen Ortsältesten der babylonischen Urkunden in Israel niemals nur ein Aeltester, sondern stets deren mehrere genannt werden1): ein ebenso sicheres Zeichen der Geschlechter-herrschaft wie die Mehrheit der Suffeten und der Konsuln.

Anders gestaltete sich die Lage, wenn am charismatischer

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Kriegsfürst durch Werbung einer persönlichen Gefolgschaft oder einer besoldeten, oft fremdbürtigen, jedenfalls nur von ihm abhängigen Leibgarde, durch Rekrutierung ihm persönlich ergebener Beamter (sarim) aus jenen Gefolgsleuten oder auch aus Sklaven, Freigelassenen, politisch rechtlosen Unterklassen, es dahin brachte, sich als Stadtherr von der Aristokratie der Aeltesten unabhängig zu machen. Stützte er seine Herrschaft gänzlich auf diese Machtquellen, so entstand jene Form des Fürstentums, welche die königsfeindliche Auffassung später mit dem Begriff „Königtum“ verband. Der alte legitime erbcharismatische „Fürst“ war für sie ein Mann, der auf dem Esel reitet: auf diesem Reittier der vorsalomonischen Zeit soll nach ihrer Ansicht daher auch der messianische Fürst der Zukunft dereinst wiederkommen. Ein „König“ dagegen ist ihr ein Mann, der Rosse und Kriegswagen hält nach Art des Pharao. Mit seinem Hort, seinen Magazinen, seinen Eunuchen und vor allem mit der in seiner Manage befindlichen Garde beherrscht er von seinen Burgen aus die Stadt und die abhängige Landschaft, setzt seine Vögte über sie, gibt seinen Gefolgsleuten, Offizieren und Beamten Lehen, vor allem wohl Burglehen - wie sie vermutlich die „Leute von der Burg (millo)“ in Sichem hatten (Jud. 9, 6. 20), legt Fronden auf und erweitert dadurch den Ertrag seines eigenen Grundbesitzes. In Sichem hat König Abimelech seinen Burgvogt sitzen ( Jud. 9, 26 - 30), dem die alte erbcharismatische Autorität der bne Chamor hat weichen müssen. Die altisraelitische Tradition sieht solche persönliche Militärherrschaft eines Einzelnen als „Tyrannis“ an. Das Gleichnis von der Herrschaft des Dornbuschs und der Fluch: daß Feuer vom König Abimelech auf die Patrizier von Sichem und ebenso von diesen auf jenen ausgehen möge, kennzeichnet den Gegensatz zwischen charismatischer Tyrannis und erbcharismatischem Patriziat. Der „Tyrann“ stützt sich eben, wie in Athen Peisistratos, auf geworbene „arme Leute“ (rekim) und das sind „Taugenichtse“ (phichasim“ Jud. 9, 4): - wir werden von ihrer sozialen Herkunft noch zu sprechen haben. Der Uebergang zwischen Fürstentum und Stadtkönigtum war aber in Wahrheit natürlich durchaus flüssig. Denn in der ganzen israelitischen Antike blieben die großen grundsässigen Sippen und ihre Aeltesten in aller Regel ein auch von dem mächtigsten König auf die Dauer nicht zu ignorierendes Element. Wie es für die ältere Zeit die seltene Ausnahme ist, wenn von einem „Huren-

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sohn“, also einem Emporkömmling (Jephta) als charismatischem Führer berichtet wird, so in der Königszeit bei den Beamten der Könige. Im Nordreiche finden sich freilich mehrere Könige ohne Vatersnamen, also ohne Abkunft aus vollwertiger Sippe; Omri trägt überhaupt keinen israelitischen Namen. Das priesterliche Königsrecht im Deuteronomium hält es daher für nötig, israelitische Blutsreinheit als Vorbedingung der Königswürde einzuschärfen. Ueberall aber hat der König mit den gibbore chail, den voll wehrfähigen Grundbesitzern und den Honoratioren - Vertretern: den Sekenim der großen Sippen, zu rechnen, welche für die Redaktoren der echten politischen Tradition auch im Deuteronomium (Deut. Kap. 21, 22, 25 im Gegensatz zu den theologisch beeinflußten Stellen 16, 18 und 17, 8. 9) die allein legitimen Vertreter des Volkes sind. Die Machtlage schwankte. Ein König kann es unter Umständen wagen, im Notfall die gibbore chail zu besteuern, wie Menahem für den assyrischen Tribut tat. Und es ist allerdings auch zu beobachten1), daß, im Gegensatz zu allen anderen Epochen, die Stadtältesten in der Zeit zwischen Salomo und Josia in den Quellen stärker zurücktreten; ja es ist möglich, daß sie in ihrer richterlichen Stellung wenigstens in den Residenzen, die ja königliche Festungen waren, ganz durch die Vögte und Beamten der Könige verdrängt wurden und nur in den Landgebieten ihre alte Stellung behielten, wie dies in fast allen Monarchien Asiens der Fall war. Allein sobald die Machtstellung des Königtums (z. B. infolge einer Revolution, wie unter Jehu) sank, vollends aber nach dem gänzlichen Wegfall des Königstums in nachexilischer Zeit, treten alsbald die Aeltesten in den Städten wieder in der alten Machtstellung auf. Was aber noch wichtiger war: nur ganz ausnahmsweise spielten Königssklaven und Eunuchen in der Wahrnehmung amtlicher Funktionen eine Rolle. Fremdbürtige oder aus niedrigem Stand emporgestiegene Gefolgsleute, Offiziere und Beamte finden sich allerdings. Am meisten in den Anfängen des Aufstiegs eines neuen Fürsten. Vielleicht von der Zeit Davids und Salonios abgesehen, sind aber in normalen Zeiten die wichtigen Aemter wenigstens im judäischen Stadtkönigtum ganz überwiegend in den Händen alter einheimischer reicher Geschlechter. Einem solchen gehörte z. B.

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auch Davids Feldhauptmann Joab an, und die Ueberlieferung (2. Sam. 3, 39) läßt erkennen, daß gegenüber seiner mächtigen Sippe König David nicht in der Lage war, eine Bestrafung gegen ihn zu wagen und deshalb seine Rache auf dem Totenbett Salomo anempfahl. Der Haß der vornehmen Geschlechter Jerusalems spricht aus dem Orakel Jesaias (22, 15) gegen den landfremden Hausmeier Sebea. Normalerweise hat kein König gegen den Willen der Geschlechter dauernd regieren können. Die „Sarim von Jerusalem“ und „von Juda“, von denen Jeremia (34, 19) spricht, gelten ihm zugleich, wie der Zusammenhang ergibt, als Vertreter der reichsten Familiem des Landes.

Wenn so die vollentwickelte altisraelitische Stadt ein Verband der ökonomisch wehrfähigen erbcharismatischen Sippen war, ganz ebenso wie die frühhellenische und die frühmittelalterliche, so war dieser Verband auch hier ebenso wie dort labil in seiner Zusammensetzung. Sippen wurden in der vorköniglichen Zeit neu zu vollem Recht in die Stadt aufgenommen ( Jud. 9, 26), andere ausgetrieben, Blutrache und Fehden zwischen den Stadtsippen und Bündnisse einzelner von ihnen nach außen waren offenbar nichts Seltenes. Die Einzelsippe gewährte auch hier Fremden ein, freilich nach der Tradition oft prekäres, Gastrecht.

Politisch entspricht dieser Zustand etwa dem, was für die hellenische Geschlechterstadt und für Rom in der Zeit der Aufnahme der gens Claudia in den Bürgerverband gegolten haben muß. Nur war der Zusammenhalt eher noch lockerer. Ein förmlicher Synoikismos ist erst die Stadtgründung Esras und Nehemias mit ihrer festen Verteilung der Leitorgien auf die zur Einsiedelung in die Stadt sich verpflichtenden Sippen. Wie dagegen die städtischen Lasten, auch die Heereslast, der Frühzeit verteilt waren, wissen wir nicht. Im Verhältnis zu den umfassenderen politischen Verbänden: Stamm, Bund, war die Stadt offenbar einem Aufgebotskontingent - wie es scheint einem Vielfachen der taktischen Einheit von 50 Mann1), oft einer Tausendschaft - gleichgesetzt2). Ueber die sonstigen Beziehungen zwischen Stammverband und Stadt lassen uns die Quellen völlig im Dunkeln3). Der „Stamm“ war hier vermutlich eine Angelegenheit

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jener ökonomisch wehrhaften Sippen, die ihm traditionell angehörten. Die vollfreien Plebejer dagegen gehörten wohl lediglich dem Ort ihrer Ansiedelung an: darauf läßt die formelle Behandlung der plebs beim Synoikismos nach dem Exil schließen. Die Wandlung der Militärtechnik muß da mitgesprochen haben. Jedenfalls beruhte in den philistäischen und kanaanäischen Stadtverbänden auf dem Aufgebot der eisernen Kriegswagen der Rittersippen die militärische und politische Herrschaft des Patriziats über das umliegende Land und seine Bewohner und ebenso zweifellos in den israelitischen Städten.

Nicht nur politisch, sondern, wie in der althellenischen und altitalischen Polis, auch ökonomisch beherrschten die stadtsässigen Patriziersippen das flache Land. Sie lebten von den Renten ihres ländlichen Grundbesitzes, den sie durch fronende oder zinsende Sklaven oder Hörige oder durch Colonen (Natural- oder Teilpächter), die in typisch - antiker Art besonders stark aus Schuldsklaven rekrutiert waren, bewirtschafteten und durch Bewucherung der freien Bauern ständig vermehrten. Die antike Klassenschichtung: der stadtsässige Patriziat als Gläubiger, die Bauern draußen als Schuldner, bestand also auch in den israelitischen Städten. Die Mittel zur Bewucherung des platten Landes bezogen die stadtsässigen Sippen auch dort teilweise zweifellos durch direkte oder indirekte Einkünfte aus Handelsgewinsten. Denn Palästina war in geschichtlicher Zeit, soweit wir zurückblicken können, ein Durchgangsland für den Handel zwischen Aegypten, den Orontes- und Euphratgebieten, dem Roten und dem Mittelmeer. Im Deboralied tritt die Bedeutung der Karawanenstraßen für die Wirtschaft stark hervor: daß sie still liegen und die Reisenden auf krummen Pfaden schleichen müssen, wird als Folge des Konflikts zwischen dem kanaanäischen Patriziat und der Eidgenossenschaft ebenso stark hervorgehoben wie das Feiern der Bauern auf dem Felde. Sehr wesentlich um die Herrschaft über diese Straßen handelte es sich auch bei den Versuchen der Städte, das Bergland zu unterwerfen, und sicher sehr wesentlich auch um der Vorteile willen, die dieser Handel bot, und nicht nur wegen der Teilnahme an der politischen Herrenstellung, wurde die Stadtsässigkeit hier wie in der ganzen Frühantike von den mächtigen Sippen gesucht. Entweder sie selbst beteiligten sich sei es am Platzhandel oder, an der Küste, am Seehandel oder, im Binnenland, am Karawanenhandel, namentlich

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wohl in der Form der Kommenda oder ähnlicher Rechtsformen von Kapitalvorschüssen, wie sie das in Israel genau bekannte altbabylonische Recht darbot. Oder sie hatten Stapel- und Umschlags- oder Geleitrechte oder erhoben Abgaben. Wir wissen das nicht näher. Jedenfalls aber lieferten diese Einkünfte wohl wesentliche Teile der Mittel sowohl zur Landakkumulation und persönlichen Schuldversklavung der bewucherten Bauern als zur eigenen militärischen Equipierung und Ausbildung. Das alles sind die typischen Erscheinungen der frühantiken Polis. Für sie blieb hier wie überall entscheidend, daß sie Trägerin der damals höchstentwickelten militärischen Technik war. Denn der stadtsässige Patriziat war in Palästina Träger des von der Mitte des 2. Jahrtausends an sich über die ganze Erde, von China bis Irland verbreitenden ritterlichen Wagenkampfs, dessen Kosten, bei Selbstequipierung, nur die vermögendsten Sippen aus eigenen Mitteln ökonomisch gewachsen waren. Dem was wir von der Polis der Mittelmeergebiete kennen, entspricht es denn auch, daß die Bauern des besten, des rentenfähigen Bodens, es vornehmlich waren, deren Landbesitz dem Akkumulationsstreben in patrizischen Händen am meisten ausgesetzt und militärisch am wenigsten zum Widerstand in der Lage war. Wie in Attika die fruchtbare Pedia der Sitz der patrizischen Grundherrschaften war, so auch in Palästina die Ebenen. Und wie in Attika die Diakrioi an den militärisch für die Ritterschaft am schwersten zugänglichen Berghängen, auf dem rentelosen Boden, sitzen, so auch in Israel die freien Bauern und Hirtensippen, die auch ihrerseits abgabepflichtig zu machen der Stadtpatriziat mit wechselndem Erfolge versucht.

Von diesen freien in der Frühzeit Israels offenbar zum größten Teil außerhalb aller städtischen Verbände lebenden Bauern und ihrer sozialen und politischen Organisation erfahren wir nun in den Quellen gar nichts. Diese Erscheinung ist an sich typisch. Ebenso wie man infolge des Fehlens ausführlichen Quellenmaterials über die freien Bauern für die römische Frühzeit geglaubt hat, es habe außer den Patriziern nur Klienten und für die römische Spätzeit, es habe nur Großgrundbesitzer und Sklaven, für Aegypten, es habe nur Beamte und unfreie Arbeiter oder Bauern auf Königsland gegeben, und wie man für Sparte unwillkürlich mit der Vorstellung belastet ist, als habe es nur Spartiaten und Heloten gegeben, so stehen die freien Bauern des alten Israels

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im tiefen Schatten des Schweigens der Quellen, aus denen eigentlich fast nichts als eben ihre Existenz und ursprüngliche Machtstellung zu entnehmen ist. Diese ist freilich aus dem Deboralied, welches den siegreichen Kampf des israelitischen Bauernstandes unter Debora und Barak gegen den kanaanäischen Städtebund unter Siseras Führung besingt, ganz unzweifelhaft ersichtlich. Ihre Lebensverhältnisse aber sind sehr dunkel.

Ganz unbekannt ist vor allem die Art ihrer politischen Organisation. Die untereinander verschiedenen alten Bezeichnungen für ihre Führer, z. B. im Deboralied, sagen uns über die innere Struktur der politischen Verbände nichts. Ebenso nicht über Art und Maß der sozialen Differenzierung, welche offenbar auch unter den Bauern des Gebirgen bestand. Die militärische Gliederung nach Tausendschaften scheint schon bei ihnen heimisch gewesen zu sein1) - die runde Zahl von 40 000 Waffenfähigen im ganzen Israel, welche im Deboralied genannt wird, legt das nahe. Aber alles weitere ist unbekannt. Ebenso steht es mit den ökonomischen Verhältnissen. Von Feldgemeinschaft finden sich sichere Spuren nicht. Man hat einige Stellen darauf gedeutet und zumVergleich die heutigen Verhältnisse herangezogen, wo die vermutlich aus Abgabepächtern hervorgegangenen Grundherren in einigen Gebieten Palästinas gelegentlich Landzuteilungen vornehmen. Allein dies sind poltisch bedingte Verhältnisse orientalischer Sultansherrschaft, die nichts für die bäuerliche Frühzeit Israels ergeben. Wenn von Jeremia berichtet wird, daß er sich auf das Land begeben habe, um seinen Anteil unter seinen „Leuten“ (`am) zu empfangen ( Jer. 37, 12), so ist diese allein wichtige, aber in ihrer Deutung unsichere, von den dafür angeführten Stellen wohl dahin zu verstehen: daß die großen Sippen unter Umständen über Landbesitz verfügten, sei es über dauernd gemeinsamen Sippenbesitz, der periodisch umgeteilt wurde, sei es über erbloses Land eines Genossen. Jedenfalls war Jeremia kein „Bauer“, Die Stelle bei Micha (2, 5), welche den Anteil der Frauen in der Gemeinde (Rahel) als chelob bezeichnet, zeigt nur, daß die Anteile erst bei

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der Siedelung mit dem Strick zugemessen wurden, beweist aber nichts für periodische Umteilungen. Ob das „Sabbatjahr“ irgendwie mit einer feldgemein-schaftlichen Vergangenheit zusammenhängen könnte, ist später zu erörtern, bleibt aber, wie vorweg bemerkt sei, mehr als fraglich. Im übrigen läßt sich die Lage der freien Bauern nur indirekt erschließen. Daß der altisraelitische Bund in stärkstem Maße gerade ein Bauernbund war, zeigt das Deboralied, welches die Bauern den kanaanäischen Rittern des Städtebundes entgegenstellt und rühmt, daß sie „wie gibborim“ gekämpft haben. Daß der Bund in historischer Zeit niemals nur Bauernbund war, steht ebenfalls fest. In den Heeren der späteren Königszeit ist von „Bauern“ keine Rede mehr oder mindestens sind diese nicht Träger der Wehrkraft. Schon die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß ökonomische und militärtechnische Verschiebungen hier die gleiche Rolle gespielt haben wie überall sonst. Der Uebergang zur kostspieligeren Rüstung schaltet, bei Geltung des Prinzips der Selbstequipierung des Heeres, die ökonomisch dazu nicht fähigen kleineren Grundbesitzer überall aus dem voll wehrfähigen Heeresverbande aus, zumal ihre ökonomische „Unabkömmlichkeit“ schon an sich wesentlich geringer ist als die der Grundherrn, die von Renten leben. Die Heraushebung der gibbore chail aus der Masse der freien Krieger, der `am, beruht zweifellos auf diesem Umstand, und es ist anzunehmen, wenn auch im einzelnen nicht greifbar, daß der Bruchteil, welchen die Schicht der ökonomisch wehrfähigen und deshalb politisch vollberechtigten Krieger in Israel bildete, sich mit zunehmender Kostspieligkeit der Rüstung zunehmend verminderte. In der nachexilisch redigierten Chronistik werden zwar die gibborim und bne Chail gelegentlich mit allen Männern identifiziert, welche „Schild und Schwert führen“ und „den Bogen spannen“1), oder auch einfach mit „Bogenschützen“2). Allein die Chronistik ist (in politischer Hinsicht) für die fromme Plebs eingenommen und deutet ihr Matorial entsprechend. Nach der älteren Ueberlieferung führten die gibborim als Waffe die Lanze, waren (vor allem) gepanzert und offenbar Wagenkämpfer, im Gegensatz zu dem bäuerlichen Fußvolk, dessen Bewaffung zwar, nach dem Deboralied (Jud. 5, 8), ebenfalls aus Schild und Lanze, zuweilen aber nur aus Schleudern bestand,

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sicher aber stets wesentlich leichter war und dem namentlich der Panzer fehlte1). Die Krieger des (damals) bäuerlichen Stammen der Benjaminiten werden im Richterbuch „Schwertträger“ genannt (20, 35). Neben die Kosten der ritterlichen Rüstung trat aber bei dem Vollkrieger die Notwendigkeit, für die Zwecke der kriegerischen Einschulung ökonomisch abkömmlich zu sein. Im Occident haben diese Umstände zu einer entsprechenden Ständebildung geführt. In Israel ist die Entwicklung endgültig in eine ähnliche Bahn geraten, nachdem die großen kanaanäischen Städte der Eidgenossenschaft eingegliedert waren. Zwar von einem wirklichen weltlichen Adel als besonderem Stande ist zu keiner Zeit in den Quellen die Rede. Die vollberechtigten Sippen standen einander gleich: der König konnte offenbar jede freie Israelitin heiraten. Allein nicht alle freien Sippen sind politisch gleichgestellt. Denn natürlich bestanden durch die ökonomische Wehrfähigkeit, welche Vorbedingung aller politischen Rechte war, und durch die auf Erbcharisma einzelner gaufürstlicher Sippen ruhenden politischen und sozialen Vormachtstellungen starke Unterschiede. Die Bedeutung einer Sippe in der vorköniglichen Zeit bezeichnet die Tradition stets durch die Anzahl der auf Eseln reitenden Angehörigen, die sie zählt. Für die Zeit des zweiten Königsbuchs ist die Verwendung des Ausdrucks `am haarez für die außer den Königen, Priestern und Beamten vorhandenen politisch ins Gewicht fallenden Leute typisch. Gelegentlich bedeutet der Ausdruck einfach „das Volk des ganzen Landes“, nicht das „Landvolk“ allein. Aber in manchen Stellen steht es offenbar anders2). Es handelt sich um Leute, von denen eine Anzahl

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(anscheinend aber nicht viele) damals durch einen besonderen königlichen Offizier militärisch ausgebildet werden: Nebukadnezar findet 60 solche in Jerusalem und führt sie mit fort. Sie sind Gegner der späteren Propheten, Gegner der von Jeremia empfohlenen Unterwerfung unter Babel und später Gegner der zurückkehrenden Exulantengemeinde Jerusalems. Ganz ebenso empören sich die „bne chail“ und deren Führer, die sare ha chailim (2. Kön. 25, 23) gegen den der Prophetenpartei entnommenen Statthalter Nebukadnezars, Gedalja, und erschlagen ihn. Mit den in Jerusalem zurückgelassenen einfachen „Ackersleuten“ (2. Kön. 25, 12) sind die fortgeführten `am haarez (das. V. 19) nicht identisch. Sie dürften vielmehr zur Partei jener sare ha chailim gehört haben. Wo der Ausdruck „Plebs“ bedeuten soll, wird dies durch einen besonderen Zusatz kenntlich gemacht (2. Kön. 24, 14). Es steht, angesichts jener Nachricht von der militärischen Ausbildung von `am haarez, zur Wahl: anzunehmen, daß der König damals zwangsweise aus der politisch rechtlosen Plebs Leute aushob und drillen ließ, daß also diese plebejische Schicht mit jenem Namen bezeichnet wurde. Aber ihre Beteiligung an Königs-

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akklamationen und Contrerevolutionen spricht nicht dafür. Sondern man wird in ihnen dem Schwerpunkt nach die nationale, aber den damaligen jahwistischen Puritanern, den Gegnern der ländlichen Kulte, feindliche „Squirearchie“ mit ihrem bäuerlichen Anhang zu sehen haben, als welche sie nach dem Exil auftreten.

Die volle Wahrhaftigkeit und also: politische Macht lag aber in vorexilischer Zeit in erster Linie bei den stadtsässigen Sippen. Die prophetischen Quellen reden von den „Großen“ im Gegensatz zum „Volk“ in so typischer Art, daß mit jenem Ausdruck ein zwar offenbar nicht rechtlich geschlossener, aber doch faktisch begrenzter Kreis gemeint sein muß. Die vorexilischen Geschlechtsregister, welche bei Jerem. (24, 30) wenigstens für Jerusalem vorausgesetzt zu sein scheinen, haben offenbar nur die Sippen dieses Kreises umfaßt und dienten bei den weltlichen Sippen zweifellos der Evidenthaltung der als gibborim Heeres-pflichtigen: „Chail“, „Vermögen“, heißt außerdem auch „Heer“ und (kriege-rische) „Tüchtigkeit“. Die „Großen“ des prophetischen Zeitalters sind also ebenfalls jene Sippen, die in Waffen geübte, voll gepanzerte und ausgerüstete Krieger stellten, und demgemäß auch die Politik des Staates entschieden, weil sie Gerichte und Aemter in der Hand hatten. Offenbar ist mit zunehmendem Ausscheiden der Bauern aus dem Heer auch die Sippenverfassung bei ihnen verfallen. Denn dadurch erklärt sich am ehesten, daß beim Synoikismus Esras so zahlreiche nicht mit einem Geschlecht, sondern nach der bloßen Ortsgebürtigkeit aufgeführten Leute auftauchen: die Geschlechtsregister umfaßten eben nur die toll wehrfähigen Sippen, römisch gesprochen: die „classis“. - Der nicht zu diesen vollwertigen Sippen gehörige freie Mann gilt nun manchen angesehenen Forschern (so Ed. Meyer) als identisch mit dem „ger“ oder „toschab“ der Quellen: dem Beisassen , Metöken1). Allein gerade dies ist äußerst

M a x W e b e r, Religionssoziologie III.

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unwahrscheinlich. Denn der nach Ausmaß seines Besitzes nicht als Ritter wehrfähige israelitische Bauer des Deboraheeres und des Heerbanns Sauls kann schwerlich jene rituelle Sonderstellung eingenommen haben, welche den gerim in älterer Zeit eignete (Fehlen der Beschneidung !). Und wo immer von „kleinen Leuten“ im Gegensatz zu den „Großen“ die Rede ist (so bei den Propheten, vor allem bei Jeremia) sind ja gerade sie die von den Großen bedrückten israelitischen Brüder und gelten als Träger korrekter Lebensführung und Frömmigkeit. Der ökonomisch nicht voll wehrfähige israelitische freie Bauer wird vielmehr im wesentlichen jene Stellung eingenommen haben, die wir im ganzen Altertum den Agroikoi, Perioikoi und Plebeji zugewiesen sehen und die wir bei Hesiod ziemlich deutlich erkennen können. Persönlich frei, entbehrt er der aktiven politischen Rechte, vor allem der Teilnahme am Richteramt, sei es rechtlich, sei es faktisch. Darauf eben beruhte für die Patrizier die Möglichkeit jener Bewucherung und Schuld - Versklavung, der Rechtsbeugung und Vergewaltigung des bäuerlichen Demos, worüber die Klagen durch die gesamte alttestamentliche Literatur gehen. Diese ökonomische Klassenschichtung ist Israel mit den Städten der ganzen Frühantike gemeinsam. Die Schuldsklaven insbesondere sind eine typische Erscheinung. Sie finden sich in der Traditionals Gefolgschaft und Reisläufer bei allen charismatischen Führern, von Jephtha (Jud. II, 3), Saul (Sam. 13, 6: den Philistern versklavte Hebräer), vor allem David I. Sam. 22, 2) angefangen bis zu Judas Makkabäus (I . Makk. 3, 9). Einst der Kern des Heerbanns der israelitischen Eidgenossenschaft im Kampf gegen den kanaanäischen wagenkämpfenden Stadtpatriziat, wurde der freie Bauer so mit zunehmender Stadtsässigkeit der großen israelitischen Sippen und Uebergang zur Wagenkampftechnik nun zunehmend der Plebejer innerhalb des eigenen Volks.

Der Metöke, gar oder toschab, war dagegen etwas ganz anderes.

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Seine Lage muß aus vor- und nachexilischen Quellen kombiniert erschlossen werden.

In der Lage der „gerim“ befanden sich vor allen Dingen große Teile der Handwerker und Kaufleute. Dies war in den Städten ganz ebenso der Fall wie draußen bei den Beduinen der Wüste. Innerhalb der Stammesverbände der letzteren war, nach den arabischen Verhältnissen zu schließen, für sie als Genossen überhaupt kein Platz. Gerade die für den Beduinen wichtigsten Handwerker, die Schmiede, haben bei ihnen fast immer die Stellung entweder geradezu rituell unreiner, oder (und meist) wenigstens vom Konnubium und gewöhnlich auch von der Kommensalität ausgeschlossener Gasthandwerker gehabt. Sie bilden eine Pariakaste, die nur traditionellen, meist: religiösen, Schutz genießt. Ebenso die gleichfalls bei den Beduinen unentbehrlichen Barden und Musikanten. Ganz entsprechend ist in der Genesis (4, 21. 22) Kain der Stammvater der Schmiede und Musikanten und zugleich (4, 17) der erste Städtegründer. Danach darf man annehmen, daß für die Zeit der Entstehung dieses Stammbaums diese Handwerker auch in Palästina, ähnlich wie in Indien, als Gastvolk außerhalb nicht nur der gibborim, sondern außerhalb der israelitischen Bruderschaft überhaupt, standen. Daneben finden wir freilich die Auffassung bestimmter hochqualifizierter Handwerke als freier charismatischer Künste. Der Geist Jahwes fährt (Ex. 31, 3 f.) in Bezaleel, Sohn Uris, Enkel Huts, vom Stamme Jude, also: in einen Vollfreien, und lehrt ihn in Edelmetall, Stein und Holz zu arbeiten. Neben ihm tritt ein anderer Vollfreier vom Stamme Dan als Gehilfe auf. Sie liefern Kultparamente. Wir erinnern uns der rituell bevorrechteten Stellung der Kammalarhandwerker in Indien, welche die gleichen Künste ausübten. Und die Aehnlichkeit geht weiter. Die Kammaler sind in Südindien privilegierte, von außen her importierte Königshandwerker. Dan ist nach der Tradition im Gebiet von Sidon angesiedelt und I. Kön. 7, 14 wird von dem Werkmeister des salomonischen Tempelbaues, Hiram, berichtet, daß er ein Tyrier, nach Bericht der Tradition aber von einer naphtalitischen Mutter, also ein Halbblutmann gewesen sei, den Salomon an seinen Hof berief. Wir dürfen annehmen, daß die für Königsbauten und militärische Bedürfnisse wichtigen Gewerbe überhaupt als Königshandwerke organisiert waren. In der nachexilischen Chronistik werden Byssosweber, Töpfer und Zimmer-

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laute als stammfremde, vielleicht als Königshandwerker der vorexilischen Zeit angeführt, wie in anderem Zusammenhang zu erörtern sein wird. Bei der Zerstörung Jerusalems führte Nebukadnezar außer den wehrhaften Geschlechtern auch die Handwerker, vor allem wohl die Königshandwerker, aus der Stadt fort. Bei der Rückkehr aus dem Exil und der Neukonstituierung des Gemeinwesens unter Esra und Nehemia finden sich die Goldschmiede, Krämer und Salbenhändler außerhalb der alten Geschlechtsverbände als Gilden organisiert. Sie wurden damals zwar ihrer Stammfremdheit entkleidet und in den jüdischen konfessionellen Gemeindeverband aufgenommen. Aber noch in der Zeit des Sirachiden und vermutlich noch weit später galten die Handwerker im Gegensatz zu den altisraelitischen Geschlechtern als politisch amtsunfähig. Sie bildeten also jetzt einen spezifisch städtischen „Demos“. Diese plebejische Schicht umfaßte aber damals, im nachexilischen Stadtstaat, nicht nur Handwerker und Händler. Sondern, wie Eduard Meyer überzeugend nachgewiesen hat, außerdem 1. die zahlreichen in der Liste der unter Kyros zurückgekehrten nicht nach der Sippe, sondern als Männer (anaschim) aus einem bestimmten Ort des Bezirks Jerusalem, also als plebejische Ortsangehörige einer von der Hauptstadt abhängigen Landstadt aufgeführten Personen und ebenso 2. die ohne eine solche Ortsangabe mit dem Ausdruck „Söhne des zurückgesetzten Weibes“ (bne has senua) gezählten mehreren tausend Leute, welche Michaelis und Eduard Meyer sicher mit Recht als plebejische Ortsangehörige der Stadtgemeinde Jerusalem selbst ansehen. Beides sind offenbar israelitische, in den alten Geschlechtsregistern der gibborim nicht enthalten gewesene Plebejer. Die Angehörigen dieser Schicht, einerlei ob sie in früherer Zeit als israelitische Plebejer oder (wie die meisten Handwerker) als Metöken gegolten hatten, wurden also nun, nach Eduard Meyers einleuchtend begründeter Annahme, wenn sie das Gesetz auf sich nahmen, mit den ihnen zugewiesenen Landanteilen wie ein nach dem Heimatsort benanntes Geschlecht organisiert und so in die neuen Bürgerregister eingetragen. Die alten Geschlechtsregister wurden zwar dem Synoikismos, als welcher die Neukonstituierung Jerusalems vollzogen wurde, zugrunde gelegt: als eine Quotenvertretung der alten Geschlechter galten die mit Häusern in der Hauptstadt sich ansiedelnden Familien. Aber diese Reminiszenzen an die alte Geschlechter-

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verfassung sind später verschwunden, offenbar weil ihr militärischer Zweck in dem vorerst ganz unmilitärischen Clientelstadtstaat fortgefallen war. Die offizielle Vorstellung der nachexilischen Chronistik (I. Chron. 10, 2) kennt neben dem vollfreien Israeliten nur kultisch bedingte, positiv (wie die Priester und Leviten) oder negativ (wie die Nethinim) privilegierte Geburtsstände, aber keinen weltlichen. Selbst die bei der Rückkehr noch als existierend aufgezählte Davididensippe ist später verschollen, dann die Stammbäume der Vorfahren von Jesus in den Evangelien sind Fabrikate um der alten Verheißungen willen. Die theoretisch fortbestehende Gliederung nach Sippen und die anfänglich noch vorhandene leiturgische Gliederung (von der bald zu reden ist) traten an Bedeutung völlig zurück hinter der rein persönlichen Zugehörigkeit zum „kahal“ oder „cheber hajjehudim“, dem jüdischen konfessionellen Verbande, und diese wurde nunmehr entweder durch jüdische Abstammung und Uebernahme der Ritualpflichten oder durch persönliche Aufnahme erworben. Zwischen diesen beiden Kategorien: den Altjuden und den Neujuden, bestanden nur noch einzelne Reste ständischer Unterschiede (vor allem im Konnubium mit den Priestern). Sonst standen sie gleich. Nur die ständische Sonderstellung der Priestergeschlechter blieb also bestehen und ist später gesondert zu erörtern. Daß jetzt ebenso wie die, sei es grundsässigen, sei es Kleinpacht - Bauern, auch alle Handwerker , wenn sie sich zu Jahwe bekannten, zwar amtsunfähig blieben, aber als Volljuden angesehen wurden, bedeutete die Entstehung eines städtischen „Demos“ im Sinne der typischen Ständescheidung. Vor dem Exil bestand er nicht, weil damals das Prinzip der rituellen Stammfremdheit die Ständescheidung beherrschte. Aber auch nach dem Exil sind die Plebejer nie als ein wirklicher „Demos“ im technischen Sinn der antiken klassischen Polisverfassung konstituiert worden. Und ebenso reicht als ein „popolo“, eine „Bürgerschaft“, im Sinne des Mittelalters. Weder, wie in der Antike, eine Versammlung nach Demoi oder Tribus oder ähnlichen lokalen Abteilungen des politischen Wehr- und Stimmverbandes aller ansässigen Bürger, noch, wie im Mittelalter, eine Schwurbrüderschaft und Vertretung der Bürger nach Zünften trat jemals, soviel bekannt, ins Leben1). Dazu fehlten eben auch jetzt die politischen Vorbe-

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dingungen: die Militärorganisation des antiken Hopliten- oder des mittelalter-lichen Bürgerheeres, welche die Grundlage der politischen Macht der occidentalen Plebejer wurde.

Die faktische soziale und ökonomische Situation war, trotz jener Aenderung der Rechtslage, auch nach dem Exil im Prinzip der vorexilischen ähnlich. Die reichen Landbesitzer residierten meist in Jerusalem und verzehrten dort ihre Renten. Zwar gab es auch jetzt mächtige Geschlechter, die nicht in Jerusalem selbst ansässig waren. Auch sie aber galten normalerweise als in einer Stadt eingebürgert. Das Geschlecht der Hasmonäer heißt, obwohl ihr Mausoleum auf einem Berge nahe dem Meeresgestade aufragte, doch das vornehmste in der Stadt Modin (I. Makk. 2, 17). Die nicht in Jerusalem zusammengesiedelten vornehmen weltlichen Sippen waren in aller Regel Gegner der rituell korrekten Judengemeinde, wovon die frommen Hasmonäer, für die priesterliche Abstammung in Anspruch genommen wird, eben eine Ausnahme machten1). Und die ökonomisch und politisch mächtigen Geschlechter innerhalb der Städte, namentlich auch innerhalb Jerusalems, bedrückten damals die Plebejer ganz ebenso durch Wucher und Beugung des Rechts wie dereinst jene „Großen“ gegen welche die vorexilischen Propheten sich gewendet hatten. Furchtbar hallen namentlich die Klagen und das Rachegeschrei der Psalmisten gegen diese Reichen oder, wie sie bezeichnend genannt werden, „Fetten“, die also auch im Namen ganz dem „popolo grasso“ der mittelalterlichen italienischen Terminologie entsprachen. Und wie nach der Tradition einst schon um Abimelech und dann um David, so scharen sich jetzt um Judas Makkabäus die Unterdrückten und zwar vor allem: die Schuldsklaven, als seine Gefolgschaft und schlachten mit ihm die Gott-

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losen, das sind, wie in den Psalmen stets: die „Fetten“, in allen Städten Judas ab (I. Makk. 3, 9), Die ökonomische Grundlage der Ständegliederung war also sehr konstant. Das wichtige Neue war dabei nur, daß im Verlauf der nachexilischen Entwicklung der städtische Demos, das Kleinbürgertum, in steigendem Maße als eigentlicher Träger dar Frömmigkeit, als „Gemeinde der Chasidim“, hervortritt und zunehmend eine schließlich, mit dem Aufkommen der Pharisäerpartei, geradezu ausschlaggebende Rolle spielte, obwohl formell offenbar seine politischen Rechte kaum geändert waren. Beides: faktische Bedeutung und formelle Rechtlosigkeit des Demos, hing mit der später zu erörternden theokratischen Eigenart des spätjüdischen Stadtstaates zusammen. Diese konfessionelle Grundlage des Gemeindeverbandes bedingte es auch, daß die alten Ausdrücke für den „Metöken“ nunmehr, wo die alte Stammfremdheit der Gasthandwerker gegenüber den Israeliten fortgefallen war, ihren alten Sinn verloren und einen ganz neuen später zu besprechenden gewannen (den des „Proselyten“). Hier interessiert uns vorerst noch weiter der alte, vorexilische Sinn. Denn trotz Konstanz der ökonomischen Grundlage war die rechtliche Position des Demos in der vorexilischen Zeit eine sehr abweichende gewesen.

Der vorexilische Metöke (ger) ist von dem gänzlich Landfremden, dem nokri, durchaus geschieden. Der letztere ist rechtlos. Der ger ist zwar stammfremd, aber rechtlich geschützt. Ein Stammfremder konnte aber auf zwei Arten zu einem Schutzverhältnis gelangen. Entweder er wurde als Schutzgenosse eines einzelnen Hausvaters behandelt. Dann stand er in dessen rein persönlichem Schutz, welchen ja auch der ganz fremde nokri, etwa ein durchreisender Gast, genießen konnte. Der Schutz gegen die Willkür der Stammesgenossen des Schutzherrn war aber dann nur eine Frage der Macht dieses letzteren. Nur das Mißfallen des Gottes oder die Rache seiner Stammesgenossen konnte ihn, wenn diese versagte, schützen: das Schicksal der göttlichen Gäste Loths in Sodom und des Leviten in Gibea zeigen die Lage. Als in diesem Sinne rechtlos galt aber in einem israelitischen Stamm auch ein in einem anderen ist israelitischen Stamm zugelassener Metöke, wie wiederum das Beispiel des Leviten in der Erzählung von der Schandtat von Gibea zeigt. Ebenso geht daraus hervor, daß auch der vollberechtigte Angehörige eines israelitischen Stammes, der sich bei einem anderen Stamm niedergelassen hat, auch bei

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einem als nahe verwandt geltenden wie Benjamin gegenüber Ephraim, dort stets nur als Metöke, nicht als Genosse galt. Er war fähig, ein Haus zu erwerben, wie der Ephraimit jener Erzählung in Gibea, der als „Hausvater“ bezeichnet wird. Ob auch sonstigen Grundbesitz, ist nicht ersichtlich und für die Frühzeit nicht wahrscheinlich, wenn auch nicht unmöglich, für später aber sicher: von zwei Erzvätern, die als gerim galten, wird es berichtet. (Es fragte sich ja nur, welcher Verband: Sippe oder Ortsverband oder Stamm, darüber zu befinden hatte, und welche sonstigen Rechte mit dem Grunderwerb verknüpftwaren)1). Die wohl aus der Zeit vor dem Exil stammende Norm Lev. 25, 35 verfügt, daß ein „verarmter“ d. h. grundbesitzlos gewordener Israelit als ger gehalten werden solle: darnach war jedenfalls - und ganz begreiflicherweise - Grundbesitzlosigkeit eines der normalen Merkmale des ger, wenn es auch vielleicht nicht universell galt. Welches aber auch seine Stellung in dieser Hinsicht war, ein Beisasse, der nicht nur unter dem privaten Schutz eines Einzelnen und dem religiösen des Gastrechts steht, sondern dessen Rechtslage von dem politischen Verband als solchem geregelt und geschützt wurde, war was die Quellen regelmäßig unter „ger“ meinen. Dies Rechtsverhältnis wird bezeichnet mit dem Ausdruck „ger ascher bisch`arecha“ der alten Rechtssammlungen: „der Metöke in deinen Toren“, d. h. der zum Rechtssprengel der Stadt als solcher gehörige, zu ihr in einem geregelten Schutzverhältnis stehende Metöke1). Weder also steht er nur in einem bloßen individuellen vorübergehenden Gastschutzverhältnis, wie es auch der nokri genießen kann, noch auch andererseits in einem persönlichen dauernden Klientelverhältnis zu einem einzelnen Herrn. Er scheint den Quellen als gerichtsstandsfähig zu gelten, denn vor seiner Bedrückung wird gewarnt: vielleicht bedurfte er eines Gerichtspatrons. Die nachdrückliche Vorschrift des heiligen Rechts, daß für den Israeliten und den ger das gleiche Recht in allem zu gelten habe, macht den Eindruck einer Neuerung: die konfes-

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sionelle Assimilation der gerim war im Gange, ja einige ihrer Kategorien gehörten, wie wir sehen werden, zu den Hauptträgern des Jahwismus. Ursprünglich konnten aber in der Rechtsstellung eines ger in diesem Sinn sich genau ebensogut Nichtisraeliten befinden wie Israeliten aus einem anderen Stamme. Das erstere war die Regel: Für den ger galten die rituellen Vorschriften der vollfreien Israeliten ursprünglich nicht. Diese umfaßten zwar den ganzen Hausstand, aber auch ausschließlich diesen durch Hausgemeinschaft und häusliches Kultmahl verbundenen Personenkreis. Nur die Sabbatruhe galt in der Zeit der ältesten vorliegenden Redaktion der Rechtsbücher auch für den ger, vermutlich zur Verhütung der Konkurrenz ihrer Arbeit gegen die des Israeliten1). Nicht aber, nach dem älteren Recht, die Beschneidung - die für ihn fakultativ war (Ex. 12, 48) -, welcher dagegen zur Zeit dieser Satzung bereits jeder Sklave unterzogen werden sollte. Deshalb konnte der Sklave am Passahmahl teilnehmen. Dieser Zustand muß sich freilich schon lange vor dem Exil erheblich geändert haben. Denn wenn die Priestergesetzgebung (Lev. 17, 10; Nom. 9, 14; 15, 15. 16) den Grundsatz aufstellte, daß für Israeliten und Metöken in allem das gleiche Recht und die gleichen Ritualpflichten gelten sollten, so war dies zweifellos die Folge davon, daß inzwischen zahlreiche beschnittene und rituell korrekt lebende gerim entstanden waren, und wir werden sehen, daß und wodurch dies geschah. Der Sklave scheint dagegen nach vordeuteronomischem Recht nicht der Sabbatruhepflicht unterlegen zu haben (2. Kön. 4, 22: die Erzählung stammt aus den Prophetenlegenden der Zeit der Jehu - Dynastie).

Die rechtlichen und sittlichen Gebote der heiligen Schriften sprechen nun von dem ger regelmäßig wie von einem isolierten Individuum. Das entspricht aber, wie die Tradition erkennen läßt, nicht einmal den Verhältnissen des vollentwickelten Stadtstaates und keinesfalls denen der Frühzeit. Hier sind die als gerim politisch nicht zu den israelitischen Stämmen gerechneten Bevölkerungsteile ebenso wie die politisch nicht vollberechtigten Israeliten (Bauern) stets als in Verbänden organisiert gedacht. Die letzteren in Dörfern, die gerim teils in Ortsverbänden,

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teils ohne solche in Sippen und Stämmen. Ganz ebenso bleibt ja auch die Stammesverfassung bestehen, wenn ein israelitischer Stamm sich einem fremden politischen Verband einordnen muß. Zwar, daß die Daniten im Deboralied auf phönizischen Schiffen dienen, beweist dafür nichts, da es sich hier wohl nur um individuelle Verdingung Einzelner als Lohnarbeiter handelt. Aber der Stamm Issachar wird im Jakobsegen ganz allgemein ein „Fronknecht“ genannt. Die Issachariten waren also offenbar als solche einem herrschenden fremden Stadtstaat politisch unfrei angegliedert, hatten aber ihre Stammesorganisation behalten. Ebenso kennt anderseits die Tradition die kanaanäischen Gibeoniten als leiturgiepflichtige aber autonome Unterworfene Israels, kraft eines mit ihnen von den Heeresvorständen bei der Einwanderung geschlossenen Bundes. Dies Verhältnis ist wohl zu scheiden von der ständischen Lage, in welcher sich nach dem Bericht über die Neukonstituierung von Jerusalem unter Esra und Nehemia die Torhüter, Sänger und Tempeldiener (nethinim) und außerdem die „Knechte Salomos“ befanden. Denn diese waren erbliche, sippenmäßig gegliederte leiturgiepflichtige Gruppen von Juden, nicht aber gerim. Die bne Korah, deren Vorvater als Rebell gegen die Priester schon in der Mosestradition eine Rolle spielt, und die bne Asaph, beide Träger von Psalmenkunst, waren derartige Sängersippen, die einmal gerim gewesen, jetzt aber Volljuden geworden waren. Anders die altisraelitischen gerim. Im Gegensatz zu den nach Geschlecht und Stamm bezeichneten vollfrei israelitischen charismatischen Künstlern des Stiftshüttenberichts einerseits und dem ohne Sippenbezeichnung genannten fremdbürtigen Königshandwerker des Tempelbauberichts andererseits galten, wie wir sahen, der Genesis die Eisenarbeiter und Musiker als den Israeliten stamm - fremde Sippen mit einem Eponymos. Ebenso galten von den vermutlich leiturgischen Königshandwerkern jedenfalls die Byssosweber1) und Töpfer2), wohl auch die Zimmerleute3) als gerim.

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Als solche galten auch die bald zu besprechenden Hirten, die im Stammbaum (Gen. 4, 20) neben den Eisenarbeitern und Musikern als Nachfahren Kains aufgezählt werden: Kein, der soeben noch in der Brudermordslegende (Gen. 4, 2) im Gegensätz zu dem Hirten Abel als Bauer, dann, nach der Verfluchung, als Beduine behandelt wird (4, 12), ist in diesem Stammbaum offensichtlich ganz allgemein der Vater aller typischen Gaststämme innerhalb Israels, sein Bruder Seth aber der Stammvater des seßhaften weinbauenden Israel, welches Noah vertritt. In der noachischen Dreiteilung der Stämme gilt Kanaan als ein unfreier Stamm, der einerseits dem Sem, dem Stammvater der kontinentalen Herrenvölker einschließlich der Hebräer, andererseits dem Japhet, dem Stammvater der nördlichen und westlichen Küsten- und Inselvölker fronpflichtig ist. Japhet seinerseits aber „wohnt in den Hütten Sems“, ist also zweifellos als freier Metöke und vermutlich als Kaufmann gedacht. Die Sage wird in einer Zeit scharfer Gegensätze gegen die Reste der Kanaanäer und freundlicher Beziehungen zu den Phönikern entstanden sein. Eine allgemeine Zinspflicht sämtlicher noch im Lande sitzenden Kanaanäer führt die Tradition (I. Kön. 9, 20) auf Salomo zurück1). Es scheint danach verschiedene Arten von gerim gegeben zu haben; freie und fronpflichtige, über deren Rechtsstellung im einzelnen nichts auszusagen ist1). Wie auch immer aber die tatsächlichen Verhältnisse gewesen sein mögen, deren Ausdruck oder Reminiszenz alle diese Konstruktionen der Tradition waren, so bleibt jedenfalls sicher: daß die gerim nicht zu den, sei es als gibborim sei es als `am hamilchama, heerbannpflichtigen bne Jisraël gerechnet und daß sie vorgestellt

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wurden als stammfremd und als organisiert, teils als bodensässige Klientelstämme, teils aber als nicht bodensässige Gaststämme und Gastsippen. Ursprünglich waren sie rituell von den Israeliten geschieden und dadurch wenigstens von einem ebenbürtigen connubium ausgeschlossen, wie die Erzählung von Sichern und Dina lehrt. - Die Erscheinung rituell geschiedener Gaststämme kennen wir ja eingehend aus Indien. Diesem Typus des eigener Bodenständigkeit entbehrenden Gaststamms fügen sich nun auch die beiden für uns wichtigsten und am besten in der Ueberlieferung erkennbaren Beispiele von gerim: die Kleinvieh züchtenden Hirten und die levitischen Priester. Beide teilen miteinander in der Tradition die Eigentümlichkeit, am Grundbesitz des politisch vollberechtigten Wehrverbandes nicht beteiligt zu sein. Beide hatten aber wie alle gerim ein festes Rechtsverhältnis zu der ansässigen Bevölkerung. Beiden waren in den Stammesgebieten Israels keine Ackerländereien, wohl aber Wohngrundstücke - meist zwar: vor den Toren - und Weiderechte für ihr Vieh angewiesen. Aus religionsgeschichtlichen Gründen werden wir gerade diese beiden Kategorien noch näher betrachten müssen. Die Hirten, weil die Tradition ihnen die „Erzväter“ zuweist und weil sie für die Prägung der prophetischen Jahwereligion eine beträchtliche historische Rolle gespielt haben. Die Leviten aber als Träger des Jahwekults.

Ueber welches Gebiet die oben geschilderte städtische Organisation sich jeweils erstreckte, hing von der politischen Machtlage und zwar insbesondere davon ab, in welchen Gebieten die Beduinen im Zaun gehalten werden konnten. Daher war sie in der römischen Kaiserzeit tief in die Wüstengebiete vorgedrungen, um durch die islamische Invasion wenigstens im Ostjordanland, welches, im Gegensatz zum Westgebiet, von den bedu okkupiert wurde, wieder vernichtet zu werden. Der Ansturm der Beduinen gegen die städtisch organisierten Gemeinschaften durchzieht die ganze palästinische Geschichte. In den Amarnabriefen erscheinen die mit dem Ideogramm Sa Gaz, dessen Aussprache bisher nicht ermittelt ist, bezeichneten Krieger teils, und in der Regel, als Feinde, mit denen die ägyptischen Vasallen und Statthalter zu kämpfen haben, teils aber auch als Reisläufer im Dienst von Vasallen1). Die Korrespondenz Hammurapis kennt die Sa Gaz als Nomaden an der Westgrenze

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Mesopotamiens, wo sie unter einem königlichen Vogt stehen. Die in Syrien und Nordpalästina einbrechenden Sa Gaz verbrennen die eroberten Städte1). Oder aber sie veranlassen die ansässige Bevölkerung dazu, den ägyptischen Vasallen zu erschlagen, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen und „wie Sa Gaz zu sein“2). Oder sie erobern die Städte, ohne sie zu zerstören, setzen sich also offenbar als Fronherrn des platten Landes an die Stelle der bisherigen ägyptischen Vasallen und Parteigänger. Fraglich bleibt nun aber in all diesen Fällen: ob diese Sa Gaz3) wirklich Beduinen, also Kamelzüchter aus dem Wüstengebiet waren oder vielleicht etwas ganz anderes.

Zwischen der bodenständigen Bevölkerung, also dem Stadtpatriziat und den seßhaften, teils freien, teils fron- oder zins- oder pachtpflichtigen Bauern, welche Korn, Früchte und Wein ziehen und Rinder halten, einerseits und andererseits den freien kamelzüchtenden Beduinen in der Mitte steht nämlich noch eine für alle Länder der Mittelmeergebiete bis in die Neuzeit charakteristische Schicht: Die halbnomadischen Kleinvieh - d. h. Schaf- und Ziegenzüchter4). Die Lebensform dieser Schicht ist im Mittelmeergebiet überall bestimmt durch die Notwendigkeit und, für Kleinvieh im Gegensatz zu Rindern, auch leichte Ausführbarkeit des Weidewechsels auf weite Entfernungen hin: über die Abruzzen hinweg nach Apulien, oder quer durch halb Spanien, und ähnlich weit in Nordafrika und dem Balkan. Diese in Spanien sogenannte „Transhumanz“1) bedingt zweierlei: Einmal gemeinsame periodische Wanderung und daher, im Gegensatz zu dem formlosen Zusammenschluß der Beduinen, eine nach innen etwas fester geregelte Gemeinschaft. Dann aber, nach außen, eine fest geregelte Beziehung zu den Grundbesitzern der betroffenen Gebiete. Sowohl die Stoppel- und Brechweiderechte wie die Wanderungswege müssen fest vereinbart sein, wenn nicht die ohnehin oft gewaltsamen Beziehungen zu dauernden Fehden führen sollen. Denn überall

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haben diese Hirten die Neigung, die ihnen zustehenden Wege- und Weiderechte zu überschreiten, ihre Herden vorzeitig in die Felder einbrechen oder die an den Wanderstraßen liegenden Aecker verwüsten zu lassen, wie dies Jeremia (12, 10) von seinem Weinberg und Acker erzählt1) . Das Bestehen und die erhebliche Bedeutung dieses Wanderhirtentums ist für alle Epochen Palästinas historisch sicher. Heute findet es sich auch bei Kamelzüchtern, die aus dem Ostjordanland ihre Herden auf Stoppel und Brache in Galiläa treiben. Das war aber nicht das Typische. Die klassischen Repräsentanten der Kleinviehzüchter in der früheren palästinischen Antike waren die Rechabiten, eine Genossenschaft, welche fast durch das ganze Land nordsüdlich gewandert sein muß. Denn sie waren Keniter, und dieser Stamm grenzte einerseits an die Amalekiter der südlichen Wüste, mit denen er gelegentlich verbündet war, andererseits findet man ihn, im Deboralied, im Norden. Das eigentliche Weidegebiet der Rechabiten lag zu Jeremias Zeit offenbar im judäischen Gebirge, von wo sie bei Kriegsgefahr ihre Herden in den Mauerring von Jerusalem brachten. 2 1/2 Jahrhunderte vorher, bei der Revolution Jehus im Nordreich, wirkten sie dort entscheidend mit. Sie waren Kleinviehzüchter. Wie die Beduinen verschmähten sie Häuser und feste Siedelung, verpönten den festen Ackerbau und tranken keinen Wein (Jer. 35). Dies galt ihnen als durch den Stifter des Verbandes, den Jahwepropheten Jonadab ben Rechab, auferlegtes göttliches Gebot. Aehnlich weit wie sie wanderten andere Kleinviehzüchterverbände. Der alte, später verschollene Stamm Simeon hatte nach der Tradition einerseits kontraktliche Verhandlungen über Weiderechte im Gebiet von Sichem angeknüpft, andererseits galten in der Tradition südliche Teile der Wüste Juda als sein Sitz. Neben dem reinen Typus, wie ihn die Rechabiten darstellten, gab es natürlich zahlreiche Uebergangsformen. Irgendwelchen nach Maß und Stätte mehr oder minder unsteten Ackerbau für den Eigenbedarf pflegen auch Wanderhirten oft zu treiben1). Der Uebergang zu den seßhaften Bauern war daher flüssig. Nur konnte bei ihnen die Bodenappropriation, da das Land in erster Linie Weidegebiet war, keine vollständige sein und der Schwerpunkt ihres Besitzes

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lag im Viehstand. Die langsamere Beweglichkeit des Kleinviehs hemmte ihre Bewegungsfreiheit im Vergleich mit den Beduinen, deren Räubereien sie daher ausgesetzt waren. Gegen diese waren sie also die naturgemäßen Bundesgenossen der verstärkt in gleicher Lage befindlichen ansässigen Bauern: es bestand „ewige Feindschaft zwischen Jahwe und Amalek“. Kain, der tätowierte Beduine, gilt, dem Hirten Abel gegenüber, als verflucht zur ewigen Unrast. Aber daneben finden sich gelegentlich auch Bündnisse von Viehzüchtern (den Kenitern) mit Beduinen und wurde die Verwandtschaft mit den Edomitern stark empfunden. Naturgemäß war der Uebergang vom Beduinentum zur halbnomadischen Viehzüchterei besonders flüssig, und Kombinationen der verschiedenen Arten von Vieh kamen vor, bei den Erzvätern sowohl wie z. B. bei Hiob, der als Besitzer von Schafen, Eseln, Rindern und Kamelen, als haussässig und weintrinkend vorgestellt wird. Die Abkommen des Kain, der zunächst als Wüstenbeduine gilt, die Keniter1), sind in historischer Zeit ein als ganz besonders gottesfürchtig geltender Viehzüchterstamm, wie die Genealogie der Genesis zum Ausdruck bringt. Die Midianiter haben in der Zeit Gideons offenbar nicht nur Kamele als Vieh. Ebenso sicher die Edomiter und zweifellos auch schon jener Schech, bei welchem der flüchtige Aegypter Sinuhe in der Zeit des Sesostris gastliche Aufnahme fand . - Aehnlich flüssig war die Grenze nach der andern Seite.

Die Beziehungen der Kleinviehzüchter zu der ackerbauenden ländlichen und ebenso zu der stadtsässigen Bevölkerung beruhten normalerweise auf kontaktlich festgestellten Weide- und Wegerechten: sie waren gerim. Diese Beziehungen konnten sehr leicht zu einer vollen Einbürgerung ihrer ökonomisch leistungsfähigsten Sippen in die Städte führen, sei es durch Vertrag, sei es nach gewaltsamen Konflikten. Die Daniten hatten nach der Tradition lange kein festes Gebiet in Israel (Jud. 18, 1), d. h. sie waren Wanderhirten auf judäischem Gebiet, bis sie sich der Stadt Lajisch auf bis dahin sidonischem Gebiet bemächtigten.

Die Wanderhirten unterlagen nun aber ganz allgemein bestimmten Entwicklungstendenzen. Epochen des Friedens, zunehmender Bevölkerung und Besitzanhäufung bedetuteten

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stets: Einschränkung der Weidereviere zugunsten zunehmender Benutzung als Ackerland und nötigten damit zu steigender Intensität der Ausnutzung der verbleibenden Weidereviere selbst. Beides führte in aller Regel zu steigender Bindung der Hirten an festere und kleinere Weidebezirke und dadurch wieder unvermeidlich zu einer Verkleinerung ihrer sozialen Einheiten. Diese waren dementsprechend labil. Die normale soziale Organisation der Kleinviehzüchter ähnelte derjenigen der Beduinen: die Großfamilie als Wirtschaftsgemeinschaft, die Sippe als Garantin der persönlichen Sicherheit durch Blutrachepflicht, der Stamm, ein Verband von Sippen, als Träger der militärischen Sicherung der Weidereviere. Diese Verbände waren, infolge jener Umstände, beiden Kleinviehzüchtern nicht notwendig dauerhafter als bei den Beduinen. Grade bei jenen scheint die Stammesbildung besonders oft nur durch charismatische Führer geschaffen zu sein: so wahrscheinlich der später verschwundene Stamm Machir, ebenso vielleicht Manasse und doch wohl auch der Stamm der „bne Jemini“, alles Stämme, die vom Gebirge Ephraim aus sich in die Bergweidegebiete nach Osten und Süden vorschoben. Es fehlt diesen Häuptlingen aber normalerweise an einer stabilen Machtgrundlage. Ein Stamm, der aus reinen Kleinviehzüchtern zusammengesetzt ist, ist daher durch die Natur der Lebensbedingungen eher stärkeren Chancen des Zerfalls ausgesetzt als eine Beduinengemeinschaft es wenigstens in dem Fall ist, daß sie entweder in der Beherrschung von Oasen oder von Karawanenstraßen einen Rückhalt für die ökonomische Stabilität ihres Stammesfürstentums findet. Ein Beispiel für die Labilität und den rein charismatischen Charakter des Kriegsfürstentums bei reinen Viehzüchterstämmen ist die Vorstellung der Tradition von der Stellung Jephthas, eines ostjordanischen Kriegshelden, dem von den Aeltesten des Stammes Gilead anfänglich nur die Würde eines „kazir“, eines Kriegsführers, dem germanischen „Herzog“ entsprechend, für die Dauer des Befreiungskrieges gegen die Ammoniter angeboten wird (Jud. 11, 6). Er lehnt das ab und das Heer (ha`am, die Mannen) überträgt ihm nun auf Antrag der Aeltesten die lebenslängliche, aber nicht erbliche, Würde eines „rosch“ (Häuptlings, Fürsten, Obersten, Jud. 11, 11). Eben dahin gehören die zahlreichen ephemeren Richter (schofetim) der israelitischen Frühzeit, teils mir charismatische Kriegsführer, teils vielleicht auch mit dem Charisma richterlicher Weis-

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heil begnadet. Ihre Macht blieb rein persönlich. Der ostjordanische Held Jerubbaal - Gideon, welcher mit einer rein freiwilligen Gefolgschaft in den Midianiterkrieg zieht, lehnt nach der Tradition die ihm von „Einigen in Israel“ angebotene erbliche Herrschaft ab (Jud. 8, 23) und begnügt sich mit seinem Beuteanteil, aus dem er eine religiöse Stiftung macht (welche, ist anzunehmen, ihm und seinen Nachfahren Erträgnisse von Wallfahrten abwerfen sollte). Dauerhafte politische Bildungen fanden sich meist gerade auf den Zwischengebieten zwischen dem eigentlichen Wüstenbeduinentum und den palästinischen Bergweiden im Osten und Süden. So das Königtum der Moatiter in Ahabs Zeiten, welches Inschriften hinterlassen hat, ebenso das der Ammoniter schon in der Jephthazeit, namentlich aber das in steten Beziehungen zu Juda stehende, durch eine Reihe von zehn aufeinander folgenden Herrschern vertretene Königtum der Edomiter vor der Unterwerfung durch David. Daß diese edomitischen Könige offenbar nicht erblich aufeinander folgen, scheint den rein persönlich charismatischen Charakter ihrer Herrscherstellung anzudeuten. Bei Kleinviehzüchtern waren dagegen rein politische Bildungen sehr labil. Bedrohung durch Beduinen oder umgekehrt die Chance kriegerischer Erweiterung der Weidereviere führten zu festerem Zusammenschluß im größeren Verband unter einem Kriegshäuptling. Umgekehrt bedeutete in friedlichen Zeiten die vorhin bezeichnete Entwicklungstendenz: Abspaltung einzelner Sippen und Zerfall der Stämme. Schon im Bericht über die Deboraschlacht finden wir den Mann der Heldin Jael, einen Keniter, als einen Viehzüchter erwähnt, der sich von seinem Stamm gesondert und kraft Freundschaftsvertrags seine Zelte als ger auf dem Gebiete eines kanaanäischen Stadtkönigs aufgeschlagen hat1). Die alten Stämme Simeon und Levi sind schon zur Zeit der Zusammenstellung des Jakobsegens „zerteilt und zerstreut“, im noch späteren Mosessegen (Deut. 33) wird Simeon gar nicht mehr und Levi nur noch als eine Berufspriesterschaft erwähnt. Einzelne simeonitische Geschlechter kennt die nachexilische Chronistik (I. Chron. 5, 41. 42) als unter den Edomitern in Seir ansässig, der Rest hat „seinen Anteil in Juda“ empfangen, d. h. ist in diesem Stamm aufgegangen. Der Stamm Ruben, einst der Hegemon des Bundes, ist im

M a x W e b e r, Religionssoziologie III.

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Jakobsegen seiner Macht entkleidet, im Mosessegen wird darum gebetet, daß er nicht ganz verschwinde, später ist er verschollen. Vom Josephstamm spalten sich Viehzüchtersippen ab: im Deboralied steht ein nachher verschollener Stamm Machir, später ein in sich wiederum geteilter Stamm Manasse neben Ephraim. Die Vernichtung der Stämme Simeon und Levi wird mit einem Verrat und gewaltsamen Konflikt gegen die Sichemiten in Zusammenhang gebracht. In der Tat kann ein kriegerischer Verlust des Viehbesitzes, ebenso aber auch dessen Dezimierung durch Viehseuchen einen reinen Viehzüchterstamm plötzlich zur Auflösung oder Verknechtung bei den besitzenden Nachbarn bringen. Aber schon die bloße Tatsache des Drucks der zunehmenden Seßhaftigkeit gegen die Weidereviere wirkte ebendahin. Der allmähliche Uebergang vom Halbbeduinentum zur Kleinviehzucht, dann zur Seßhaftigkeit und weiter zur Stadtsässigkeit unter der Wirkung dieses Drucks spiegelt sich sowohl in den Sagen wie in der historischen Tradition. Abraham hält in der Sage außer Schafen auch Kamele und trinkt keinen Wein, sondern bewirtet die drei Männer der göttlichen Epiphanie mit Milch. Er wandert als kontraktlich weideberechtigter gar zwischen verschiedenen Orten und erst am Ende seines Lebens läßt ihn die Sage in Hehron nach langer Verhandlung ein Erbbegräbnis erwerben (Gen. 23, 16). Isaak zeltet kraft Kontrakts auf dem Gebiet von Gerar und gräbt dort Brunnen, muß aber wiederholt seinen Sitz wechseln. Jakob gilt zwar, im Gegensatz zu dem Bauern Esau, wesentlich als in Zelten wohnender Viehzüchter, wird aber als ger in Sichem seßhaft und kauft Land (Gen. 33, 19). Am Schluß seines Lebens gilt es als List, daß er sich beim Pharao als reinen Kleinviehzüchter einführt, um so als rituell gemiedener ger ohne Vermischung mit den Aegyptern leben zu können. Er betreibt Ackerbau und bedarf Getreide zur Nahrung. Allen Erzvätern wird Rinderbesitz zugeschrieben. Joseph vollends reguliert als Wesir Aegyptens die dortige Grundsteuer .

In der politischen Organisation und auch militärisch bedeuten diese Verschiebungen tiefgreifende Wandlungen.

In der historischen Tradition finden sich für die einzelnen israelitischen Stämme alle Uebergänge, vom Halbbeduinentum zur halbnomadischen Kleinviehzucht und von beiden durch das Mittelstadium des Gelegenheits - Ackerbaus (Gen. 26, 12

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bei Isaak) sowohl zur Ansässigkeit als städtische Herrensippen, wie zum seßhaften Ackerbau sowohl als freie wie als fronpflichtige Bauern1) Abgeschlossen tritt dann die weitgehende universelle Wandlung zur Stadtsässigkeit hervor in der politischen Geographie Palästinas, wie sie im Buche Josua gegeben wird. Wie Josua selbst hier mit einer Stadt als Lehen für seine Dienste entgolten wird ( Jos. 19, 50), so werden alle Stämme, selbst

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Juda, als Inhaber von Städten mit Dörfern als Dependenzen behandelt (cf. Jos. Kap. 15), in deren Bezirke das ganze Land eingeteilt erscheint. Selbst für die Zeit, der diese Stelle vermutlich entstammt, traf dies wohl nur theoretisch zu. Denn die judäischen Südstämme sind politisch noch in historischer Zeit nach Art der Beduinen vornehmlich sippenmäßig, die Nordstämme dagegen außerdem (und für die Verwaltung offenbar: vor allem) nach Art der mesopotamischen Staaten in Tausendschaften und Fünfzigerschaften gegliedert. Die Tausendschaftskontingente, als die Aufgebots - Einheiten, konnten an sich natürlich auch auf die Viehzüchterstämme übertragen werden. Man konnte einen einzelnen Stamm oder Stammesteil einer oder mehreren Tausendschaften gleichsetzen und ihm selbst die Art des Aufgebots überlassen. Dies erfolgte dann wohl in verschiedener Art. Das Deboralied bezeichnet die Führer der Stammeskontingente mit sehr verschiedenen Ausdrücken, die doch wohl auf sehr verschiedene militärische Struktur schließen lassen. Die Königsherrschaft wird naturgemäß nach Einheitlichkeit gestrebt haben. Wie „Fünfzigern“ später der allgemeine technische Ausdruck für Ausheben und Aufbieten wurde, so werden in der Tradition die Obersten der Tausendschaften und Fünfzigerschaften ganz allgemein als Leute angesehen, die auch im Frieden in ihren Aushebungsdistrikten Jurisdiktion haben. Dies ist indessen zweifellos erst Produkt der Königszeit und galt wohl selbst damals nicht allgemein und dauernd. Bei den viehzüchtenden, gentilizisch gegliederten Ostjordanstämmen, und ebenso beim Stamm Juda bestanden vermutlich andere Verhältnisse: als Friedensbeamte wenigstens kennen sie, scheint es, jene Offiziere nicht, sondern nur ihre Aeltesten.

Der nach Fünfziger- und Tausendschaften gegliederte Bundesheerbann ist überhaupt nicht die einzige und jedenfalls nicht die älteste Art der Militärorganisation, welche die Quellen kennen. Zwei andere Arten finden sich. Für den zwischen den Nordstämmen und Juda sitzenden Stamm Benjamin läßt der Bericht ( Jud. 21, 21 f.) über die Vorgänge nach dem Kampf wegen des Gibeafrevels, - eine ätiologische Sage für die bei den Benjaminiten offenbar bekannt gewesene Raubehe, - es recht wahrscheinlich erscheinen, daß dieser Räuberstamm ursprünglich eine straffe familienlose Organisation der Jungmannschaft nach Art des „Männerhauses“ besessen hat: vermutlich eben hierauf wird seine trotz

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des kleinen Gebiets zeitweise große Machtstellung beruht haben. Andererseits wurde bereits ertwähnt, daß die eigentlichen Viehzüchterstämme in der Regel die gleiche Stellung zum Kriege eingenommen haben, welche sich bei den Beduinen typisch findet: absolute Freiwilligkeit der Teilnahme, also reiner Charismatismus. Diesen behandelt nun das Deuteronomium als die eigentlich klassische Art. Die Tradition läßt Gideon sein Aufgebot zweimal sichten: zunächst darf nach Hause gehen, wer feige ist. Dann aber wird auch noch jeder ausgeschieden, der an einer Furth in seinem Durst die Heldenwürde vergessen und wie ein Hund das Wasser geleckt hat (Jud. 7, 51)). Ersteres ist ein Paradigma für die, dem später zu erörternden tendenziösen „nomadischen Ideal“ entsprechende, Konstruktion des Deuteronomiums (Kapitel 20), wonach nicht nur die Jungverheirateten und diejenigen, welche einen Hof oder ein Feld oder einen Weinberg neu angelegt haben, sondern jeder der sich fürchtet, daheim bleiben soll: denn - das ist die theologische Begründung - das Vertrauen auf Jahwe allein genügt für den Sieg. Beim Aufgebot des Judas Makkabäus findet sich das Paradigma wiederholt. Daß diese Vorschriften, wie Schwally angenommen hat, nicht theologischer Konstruktion, sondern alten magischen Vorstellungen entstammten, scheint nicht sicher. Dagegen werden wir später in der freiwilligen „Weihe“ zum Glaubenskämpfer (Nasir) Formen der religiösen Heeresbildung kennen lernen, an welche diese Vorstellungen anknüpfen konnten. Aber der Ursprung lag doch wohl in Beduinengepflogenheiten.

Praktisch angesehen war ein Krieg in diesen Formen ein reiner Gefolgschafts-krieg. In der Tat hatten fast alle Kämpfe der israelitischen Richterzeit diesen Charakter. Im Grunde nur für drei Fälle: den Deborakrieg, die (wohl legendäre) Bundesexekution gegen Benjamin und den Befreiungskrieg Sauls ist in der Tradition das Gesamtaufgebot des Bundesheerbanns bestimmt überliefert. Alle diese drei Fälle gehören zum Typus des später zu besprechenden „heiligen“ Krieges. Der gottgefällige König der Priestertradition ist zwar David. Aber die Art wie er seine Stellung gewinnt und seine ersten Kriege führt, ist in der iraelitischen Geschichte das letzte, zugleich schon in eine neue Zeit hinüberführende, Beispiel des Gefolgschaftskrieges und des charismatischen Fürstentums.

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Den Dualismus von Bauern und Hirten zeigt auch die Tradition über die ersten Könige. Saul gilt ihr als Bauer, David als Hirt. Saul läßt sie mit dem Aufgebot des nationalen Heerbanns, David mit Freischaarenkampf die Befreiung beginnen. Gewisse Unterschiede in der Struktur der Herrschaft beider sind trotz des tendenziösen Charakters der jetzigen Tradition wohl noch erkennbar. Saul hatte als Grundlage seiner Macht die eigene Sippe und die Kriegsmannschaft des Stammes Benjamin hinter sich. Mit Benjaminiten besetzte er die wichtigsten Aemter. Immerhin finden sich unter seinen Kriegern fremdstämmige Helden als persönliche Gefolgsleute. David stützte sich (I. Sam. 22, 1 ff.) zunächst auf rein persönliche Gefolgschaft und diese setzte sich nach der Tradition zusammen: 1. aus seiner Sippe, 2. aus „Bedrängten“ und zwar vor allem aus Schildsklaven, katilinarischen Existenzen also, und 3. aus geworbenen kretischen und philistäischen Söldnern (Krethi und Plethi I. Sam. 30, 5 und öfter). Neben diesen Elementen tritt nun aber bei David weit stärker als schon bei Saul und den Sauliden hervor: 4. die Gefolgschaft seiner eigentlichen persönlichen Genossen, jener Kreis von Paladinen und Rittern, welche die Königstradition im einzelnen bei Namen kennt und deren Taten sie aufzählt. Es sind das zunächst Angehörige judäischer, z. T. sehr mächtiger Sippen (Joab). Neben diese traten, durch Uebertritt von Paladinen Sauls (Abner) auch nichtjudäische und ferner auch eine Anzahl nichtisraelitischer Ritter: eine stattliche Zahl rein persönlicher „Hetairoi“. Der Stamm Juda als solcher, zur Zeit von Davids Abfall von den Philistern noch diesen untertan, stellte sich erst später geschlossen hinter David. Der Anschluß des Nordlandes an David aber erfolgte erst nach Ausrottung der Sippe Sauls, und zwar kraft eines besonderen Vertrages (berith) zwischen ihm und den Aeltesten der Stämme. Ein Vertrag, ein Bund also, begründete hier, und zwar erstmalig, die nationale Einheit aller späteren zwölf Stämme Israels unter einem Nationalkönig. Erst durch einen solchen Vertrag also, das ist der Standpunkt der Tradition, wird ein charismatischer Heerführer zum legitimen, nunmehr zum Heerbannaufgebot berechtigten Monarchen: Fürstengefolgschaft und fürstliche Soldtruppen stehen gegenüber dem legitimen Volksheer des durch berith eingesetzten Königs. Dies inmitten der judäischen Viehzüchter zunächst mit Hilfe

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einer persönlichen Gefolgschaft und der Macht der großen judäischen Sippen begründete, davididische Königtums wurde nun eben von Anfang an seit der Einnahme Jerusalems zum Stadtkönigtum. Nachdem in den Revolten unter den Sauliden, dann unter Absalon, Adonis, Jerobeam der alte Gegensatz der Bauernstämme gegen die Stadtherrschaft sich erhoben und schließlich das Reich gesprengt hatte, verfiel das Nordreich mit der Gründung von Schomrom (Samaria) unter den Omriden ganz dem gleichen Schicksal, an dem die Revolte Jehus im Erfolg nichts änderte. Das Südreich aber war seit dem Abfall der Nordstämme schon fast ebenso identisch mit dem Weichbild von Jerusalem wie die theokratische Polis nach dem Exil.

Diese politische Entwicklung war es hauptsächlich, welche neben der mindestens relativ sehr starken Verminderung der Zahl der halbnomadischen Kleinviehzüchter auch den Zerfall ihrer Stämme durch Verkleinerung der Weidereviere herbeiführte. Die für uns wichtigste Folge war dabei die Entmilitarisierung der Hirten. Ihre zersplitterten Sippen waren nunmehr sowohl gegenüber den seßhaften Bauern wie, erst recht, gegenüber dem wehr-haften Stadtpatriziat die schwächeren und nur geduldeten. Den Abraham betrachtet die uns vorliegende Form als politisch machtlosen Metöken der Hethiter in Hebron und anderer Städte, in deren Gebiet erweilt, in Salem als Zehntpflichtigen des dortigen Priesterkönigs. Jakob wohnt nach seinem Ankauf in Sichem, wie alle gerim, vor den Toren der Stadt (Gen. 33, 18). Zur Zeit dieser Redaktion war sicherlich die Mehrzahl der noch vorhandenen Kleinviehzüchter auch tatsächlich in dieser Lage. Dennoch gelten der Tradition die Erzväter, ebenso wie später Hiob, als schwer reiche Männer. Höchstwahrscheinlich traf aber auch dies für die Viehzüchter der späteren Zeit im allgemeinen nicht mehr zu. Denn für Wanderviehzüchter besteht im allgemeinen die Chance zu verarmen, und jedenfalls die Rechabiten sind dem Jeremia keine Großherdenbesitzer, sondern kleine Leute, ebenso wie der Judäer Amos von Thekoa es war, der von Sykomorenfrüchten und seinem Vieh lebte. Im ganzen Mittelmeerbecken war dies überall ähnlich, mit Ausnahme vereinzelter und dann freilich unter Umständen sehr großer Herdenmagnaten.

Diese Tatsachen sind zunächst vielleicht wichtig für die Frage, an welche ökonomischen Kategorien die Rechtsquellen,

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Propheten und Psalmisten denken, wenn, sie von den „Armen“ (ebjonim) sprechen, wie dies so außerordentlich oft geschieht. Erst in nachexilischer Zeit kann darunter ein städtischer Demos: Kleinhändler, Handwerker, freie Kontraktarbeiter verstanden (oder doch: mitverstanden) sein. In vorexilischer Zeit gehören dahin offensichtlich vor allem die vom Patriziat bewucherten Bauern des platten Landes. Aber außer ihnen, vielleicht stärker als dies in den Quellen hervortritt, auch Kleinviehzüchter. Es wäre nun an sich nicht unmöglich, daß eine Anzahl von sozialethischen Vorschriften im Interesse der Armen, welche namentlich in spätjüdischer Zeit, in der rabbinischen Kasuistik, umfangreich abgehandelt werden, mit dieser Situation ursprünglich zusammenhingen. Einmal das Nachleserecht und das später sogen. Recht der „Armenecke“. Die israelitische Karität schreibt vor, die Nachlese der Stoppeln auf dem Acker zu unterlassen und diesen nicht bis auf die letzte Aehre abzuernten, sondern für die Bedürftigen etwas stehen zu lassen. In der älteren Fassung, welche das Deuteronomium (24, 19) bewahrt, sollen vergessene Garben nicht nachträglich geholt, sondern den gerim, Witwen und Waisen gelassen werden. Die jüngere Fassung (Lev. 19, 9 f.) ritualisiert in der für die priesterliche Redaktion typischen Art dies dahin: daß Aecker und Weinberge absichtlich nicht voll abgelegen und daß an den Enden für gerim und Arme etwas stehenbleiben solle. Die ältere Fassung der Vorschrift ist supersitiöser Herkunft: die numina des Ackerbodens verlaufen ihren Anteil an dessen Früchten und daher gehört, was liegen blieb, ihnen. Aber die offenbar spätere Wendung zugunsten der „Armen“ läßt fragen, was unter diesen ursprünglich verstanden war. An dem locus classicus für die Praxis, im Buch Ruth, ist es eine von einem Israeliten geheiratete, dann verwitwete Stammfremde, der die Stoppellese zugute kommt. Sie tat, das war wohl der ursprüngliche Sinn, unerkannt Arbeit auf dem Acker des mit ihr verschwägerten gibbor Boss. Also scheinen die Kolonen und Landarbeiter des Patriziats in erster Linie gemeint gewesen zu sein1). Es ist aber wenigstens denkbar, daß auch das typische Verbrüderungs-

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verhältnis mit den als Metöken auf die Stoppelweide und Nachlese angewiesenen grundbesitzlosen Kleinviehzüchtern der typische praktische Anwendungsfall der Vorschrift gewesen sei, wie sie auch in Arabien, wo sie noch jetzt weit verbreitet ist, den grundbesitzlosen Klassen zugute kommt. Und die Frage muß wenigstens aufgeworfen werden, ob irgendwelche Zusammenhänge mit solchen Kleinviehzüchterrechten auch für eine vielbesprochene, spezifisch israelitische sozialethische Vorschrift: das religiöse Brechjahr („Sabbatjahr“) für den palästinischen Boden bestehen könnten. In der jetzigen Fassung der Bestimmung besagt diese, daß alle sieben Jahre Aecker, Baumpflanzungen und Weinberge völlig unbestellt gelassen werden, die freiwachsenden Früchte den Armen und eventuell den wilden Tieren zugutekommen sollen. In dieser schroffen Form findet sich die Vorschrift in der im allgemeinen ältesten Rechts- und Sittengesetzsammlung, dem sogen. Bundesbuch (Ex. 23, 10. 11). Die Vorschrift ist, was wohl zu beachten ist, keine Rechtsinstitution und steht auch rein äußerlich nicht in demjenigen Teil der Sammlung, welcher in leidlicher systematischer Ordnung präzise juristisch angegebene Tatbestände regelt, sondern unter den offensichtlich der religiösen Paränese entstammenden Bestimmungen. Sie ist eine sittliche Vorschrift, kein rechtliches Gebot. Als Institution hat sie aber im Spätjudentum zweifellos nicht nur theoretisch gegolten, sondern praktische Folgen gehabt, wie sowohl die zahlreichen Responsen der Rabbinen über das Verhalten gegenüber dem verbotswidrig gebauten Getreide wie auch andere Nachrichten deutlich zeigen, und sie hat noch für die gegenwärtigen zionistischen Siedelungsversuche in Palästina eine Rolle gespielt1) . Die späteste Sammlung, das Priestergesetz, enthält (Lev. 25, 4 - 7) die Vorschrift mit ausführlichem Kommentar in der Form: daß man auf dem Land nicht arbeiten, sondern die freiwachsenden Früchte nur „Speise“ sein lassen solle für den Besitzer, seinen Knecht (`ebed), Tagelöhner (sakir), Metöken (toschab) und Gäste und, wird hinzugesetzt, „für das Vieh und die Tiere seines Landes“. Der Sinn ist hier also ein etwas anderer als im Bundesbuch: die im persönlichen Schutz

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verhältnis des Besitzers stehenden Personen sind diejenigen, denen die Bestimmung zugute kommen soll. Das würde die Deutung zulassen: daß es sich ursprünglich um ein Pacht- und Fron - Erlaßjahr zugunsten der Kolonen gehandelt habe. Damit würde die Art, wie die Schwurverpflichtung der Gemeinde der Zurückgekehrten unter Esra das siebente Jahr erwähnt, gut zusammenstimmen: „wir wollen das siebente Jahreseinkommen fallen lassen“ (Neh. 10, 31). Die aus der Königszeit, zwar interpoliert, aber im ganzen doch in leidlicher Redaktion überlieferte, deuteronomische Sammlung endlich kennt - und dies ist bei dem Charakter gerade dieses Gesetzbuchs als eines Kompendiums der religiösen Ethik wichtig - das Sabbatjahr des Ackers überhaupt nicht, sondern eine ganz andere Institution: den siebenjährigen Schulderlaß. Die Wahrscheinlichkeit einer Interpolation des Sabbatjahrs im Bundesbuch aus dem Priestergesetz liegt daher überaus nahe angesichts der Unwahrscheinlichkeit einer wirklichen Durchführung der dort gegebenen Bestimmungen bei den vorexilischen Ackerbauern. Wenn sie trotzdem auf alte Gepflogenheiten zurückgehen sollten, könnte entweder eine Institution aus dem intermittiererden Ackerbau der Wanderhirten, also ein Rest alter zeitlicher Grenzen der Bodenappropriation: „Feldgemeinschaft“ in diesem Sinn, zugrunde gelegen haben. Oder aber irgendeine typische Bestimmung über die Art der Brechweiderechte der Wanderhirten auf dem Lande der seßhaften Sippen. - Zweifellos ist freilich die Mitwirkung theologischer Konsequenzmacherei unter Einwirkung der Schulderlaßbestimmung des Deuteronomiums und der allgemeinen Steigerung des Sabbatgedankens in der Exilszeit. Damals wahrscheinlich ist von der babylonischen Exilsgemeinde diese wie andere Institutionen des Spätjudentums ritualisiert und dann in das Bundesbuch interpoliert worden. Alles in Allem bleibt die Rolle des Wanderhirtentums für diese Vorschriften problematisch.

Wichtiger als diese sehr unsicher bleibenden Möglichkeiten einer ökonomischen Deutung solcher einzelnen sozialethischen Institutionen ist aber für unseren Zusammenhang die allgemeine Auffassung, welche die volkstümliche Tradition der Königszeit von der Lage der Kleinviehzüchter hatte und welche in ihrer Auffassung der Erzväter zum Ausdruck kommt. Diese Auffassung ist ihrerseits eine Konsequenz charakteristischer Verhältnisse und ist für das Judentum folgenreich geworden.

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Die Erzväterlegende behandelt die Patriarchen als ganz spezifisch pazifistische Erscheinungen1) . Ihr Gott ist ein Gott der Friedfertigen (Gen. 13, 14 f.). Sie treten als isolierte Hausväter auf. Von politischen Verbänden unter ihnen weiß sie nichts. Sie sind geduldete Metöken. Ihre Lage ist die von Hirten, welche familienweise durch friedlichen Kontrakt sich von der ansässigen Bevölkerung Weidereviere sichern und nötigenfalls, wie Abraham und Loth, friedlich unter sich verteilen. Es fehlt ihnen jeglicher Zug von persönlichem Heldentum. Eine Mischung von vertrauensvoll gottergebener Demut und Gutmütigkeit mit einer von ihrem Gott unterstützten geriebenen Verschlagenheit kennzeichnet sie. Die Erzähler rechnen darauf, daß ihr Publikum es selbstverständlich findet, wenn die Erzväter lieber ihre begehrenswert schönen Weiber für ihre Schwestern ausgeben und dem jeweiligen Schutzherrn preisgeben2), es Gott anheimstellend, sie aus dessen Harem durch Plagen gegen den Besitzer wieder zu befreien, als daß sie für ihre Frauenehre eintreten. Es erscheint ihnen direkt löblich, daß sie, um die Heiligkeit des Gastrechts nicht verletzen zu müssen, ihre eigenen Töchter statt der Gäste preiszugeben bereit sind. Ihre Verkehrsethik ist fragwürdig. Ein ergötzliches Spiel der Uebervorteilung herrscht jahrelang zwischen Jakob und seinem Schwiegervater, sowohl beim Feilschen um die begehrten Weiber, wie bei dem vom Schwiegersohn durch Knechtdienst erworbenen Vieh. Heimlich geht schließlich der Stammvater Israels dem schwiegerväterlichen Dienstherrn durch unter Mitnahme von dessen Hausgötzen, damit dieser seinen Weg nicht verrate. Sogar die Etymologie seines Namens wird diesen Qualitäten angepaßt und es scheint, daß „Jakobstrug“ eine zur Zeit der Propheten sprichwörtliche Wendung war. Vollends unanstößig erscheint es der Sage, daß ihr ausdrücklich als frommer Hirt geschilderter Held seinem hungrig heimkommenden, im Gegensatz zu ihm als unbedachter Bauer1) und Jäger geschilderten Bruder2) die

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Erstgeburt um etwas Speise abfeilscht, ihn dann um den väterlichen Segen mit Hilfe der Mutter betrügt, später vor dem Zusammentreffen mit ihm ein höchst jämmerliches Angstgebet an seinen Gott richtet (Gen. 32, 10 f.), durch List und für einen Kriegshelden würdelose Erniedrigung sich der gefürchteten Rache entzieht. Spröde Tugend in Verbindung mit einer rührsamen Großmut gegen die Brüder, die ihn aus Neid töten wollen und in die Sklaverei verkaufen, weil er im Traum sich als ihren Herrn gefühlt hat, ist die Eigenschaft ihres bevorzugten Helden Joseph. Seine fiskalischen Fähigkeiten in der Ausnutzung der Notlage der Untertanen des Pharao qualifizieren ihn zu dessen Wesir, was nicht hindert, daß er seine Familie veranlaßt, seinem Herrn halbwahre Auskünfte über ihren Beruf zu geben. Auch die Seeräuber- und Kauffahrerethik des vielgewandten Odysseus und sein in Notlagen oft maßloses Jammern zur Helferin Athena liegt ja für uns oft außerhalb des Bereichs der Heldenwürde. Aber Dinge wie die zuerst angefi,ihrten werden von ihm doch nicht berichtet. Es sind das Züge von Pariavolksethik, deren Einfluß auf die Außenmoral der Juden in der Zeit ihrer Zerstreuung als internationales Gastvolk nicht unterschätzt werden dürfen, und die mit dem sehr ausgeprägten gläubigen Gehorsam zusammen erst das Gesamtbild der von der Tradition verklärten inneren Haltung dieser Schicht geben. Diese aber ist eben unzweifelhaft eine Schicht von, als machtlose Metöken, zwischen wehrhaften Bürgern sitzenden Kleinviehzüchtern.

Die moderne Analyse, welche die religionsgeschichtliche Wichtigkeit gerade dieser Schicht zunehmend betont hat, neigt nun dazu, diesen pazifistischen Charakter der Halbnomaden als etwas ihnen naturnotwendig Eigenes anzusehen. Aber das trifft entschieden nicht zu1). Er ist vielmehr erst Folge jener

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wehrlosen Zersplitterung der Kleinviehzüchter, welche bei zunehmender Seßhaftigkeit eintritt. Er fehlt durchaus, wo immer sie in machtvollen politischen Verbänden organisiert sind. Die Erzväter haben im Bewußtsein der Israeliten keineswegs immer ihre in der jetzigen Redaktion der Thora niedergelegte Stellung eingenommen. Insbesondere Abraham und Isaak kennt die ältere vorexilische Prophetie als Personen nicht. Amos kennt die Erzväter Isaak, Jakob, Joseph nur als Volksnamen (7, 9. l6; 3, 13; 6, 8; 7, 2; 5, 6. 15). Abraham der mit Jakob bei Micha als Empfänger der Verheißungen Jahwes erscheint (7, 20) tritt erst bei Hesekiel (33, 24) als der volkstümliche erste legitime Inhaber des Landes Kanaan auf. Die theologischen Literatenkreise, speziell der sog. „Elohist“ und die deuteronomische Schule, scheinen den jetzt in der Redaktion auf ihnen liegenden Akzent geschaffen zu haben. Ihr Charakter hat dabei offensichtlich starke Wandlungen erfahren, welche eben mit jener sozialen Deklassierung und Entmilitarisierung der Hirten zusammenhängen. In der durch die Altersfolge der Stammväter ausgedrückten alten Rangfolge der Stämme stehen Ruben, Simeon, Levi und Juda voran, lauter wesentlich halbnomadische, zugleich aber höchst kriegerische und als gewaltsam bekannte Stämme, von denen die ersten drei später zersplittert waren, Juda nach gewaltsamer Erlangung der Hegemonie stadtköniglich organisiert wurde. Solche starken Viehzüchterstämme waren keineswegs in der Lage geduldeter Metöken. Die kriegerische Tradition kennt sie als Herren des Landes und die von ihnen abhängigen Städte entweder als leiturgiepflichtige Schutzverwandte, wie Gibeon, oder als heeresfolgepflichtig, wie im Deboralied die Stadt Meros. Aehnliches kennt aber auch die Erzväterlegende: Isaak wird der Stadt Gerar, deren Metöke er ist, mit zunehmendem Reichtum und steigender Klientel zu übermächtig (Gen. 26, 14 16). Auch Jakob ist in der ursprünglichen Tradition ein starker Held, der einen Gott im nächtlichen Ringkampf bezwingt. Das von ihm nach seinem Segen an Joseph (Gen. 48, 22) „mit Pfeil und Bogen“ erworbene Stück Land hinterläßt er dem führenden Stamm als Vorzugserbe: es ist Sichem, der spätere Mittel-

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punkt Ephraims. Die später rezipierte pazifistische Tradition (Gen. 33, 19) aber läßt ihn dies Grundstück charakteristischerweise nicht erobern, sondern friedlich kaufen1). Das vielbesprochene 14. Kapitel der Genesis2) endlich kennt Abraham als kriegerischen Helden, der mit mehreren hundert Klienten ins Feld zieht und den verbündeten Königen Mesopotamiens, Hammurapi eingeschlossen, die von ihnen im Kampf mit den kanaanäischen Stadtkönigen gemachte Beute siegreich wieder abjagt. Sehr klar tritt der Gegensatz von Kriegerehrgefühl und utilitarischem Hirtenpazifismus in der entgegengesetzten Stellungnahme des friedfertigen Erzvaters Jakob einerseits, seiner kriegerischen Söhne Simeon und Levi andererseits, zur Schändung der Dina durch Sichem zutage (Gen. 34, 30. 31). Die in solchen Fragmenten erhaltenen ganz andersartigen Züge sind offenbar erst unter den Verhältnissen der späteren Zeit völlig zurückgetreten hinter jener pazifistischen Haltung, welche den nunmehr bestehenden Umständen entsprach3). Für die unter solchen Umständen entstandene oder rezipierte pazifistische Tradition erst ist Jakob deshalb fromm, weil er in den Zelten bleibt und ebenso Abel der gute friedliche Hirt und sein Mörder Kain einerseits der seßhafte gewaltsame Ackerbauer, dessen fleischloses Opfer der Gott verschmäht hat, andererseits der zur Unstetheit verflochte Beduine und endlich der Städtebauer: das sind die drei typischen Gegner der nunmehrigen machtlosen zwischen sie eingekeilten Kleinviehzüchter1).

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Gegen den Stadtpatriziat und gegen die Beduinen standen aber beide Gruppen: Bauern und Hirten, im gleichen Gegensatz und es entwickelte sich den erstgenannten beiden Gruppen gegenüber daher eine Interessengemeinschaft zwischen ihnen. Die Amarnatafeln ebenso wie das Deboralied, der Spruch des Jakobsegens über Ephraim und die Tradition über Gideon, Jephtha und Samuel geben diese Interessenlage in jeweils verschiedener Art wieder und auch die Epoche noch der beiden ersten Könige zeigt diese Situation in ihren politischen Konsequenzen.

Starke Unterschiede der Zusammensetzung zwischen den einzelnen Stämmen bestanden. Asser und Dan scheinen die am frühester stadtsässigen, Ephraim und die Stämme Issachar, Sebulon, Naphthali scheinen die am stärksten mit ansässigen eigentlichen Bauern durchsetzten Stämme gewesen zu sein. Sie waren daher vor allem durch die phönikischen, philistäischen und kanaanäischen Stadtpatriziate in ihrer ökonomischen und politischen Unabhängigkeit bedroht, die Issachar früh aufgab. Die viehzüchtenden Ostjordanstämme dagegen wurden vor allem durch die Streifzüge der Beduinen der Wüste, der Midianiter und Amalekiter, gefährdet, deren Angriffe sie zwangen, sich wie in Gideons Zeit in Höhlen zu bergen. Von den Westjordanstämmen hatte wesentlich Ephraim unter diesen „Pfeilschützen“ zeitweise zu leiden. Noch die Kriege der Bauernaufgebote Sauls gehen zur einen Hälfte gegen die amalekitischen Beduinen. Erst die Herrschaft Davids stellte durch Unterwerfung Edoms und durch die damit gesicherte Herrschaft über die Karawanenstraße bis zum Roten Meer für geraume Zeit das Uebergewricht der Ansässigen über die Wüstenstämme her. An dieser Pazifizierung der Wüste waren nun Stadtpatriziat, Bauern und Hirten im ganzen gleichmäßig interessiert. Im übrigen aber bestand ein oft scharfer Interessengegensatz. Zunächst zwischen Bauern und Viehzüchtern. Es werden zwischen den israelitischen Viehzüchter stämmen östlich des Jordan und den Ephrai-

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miten gewaltsame Konflikte erwähnt. Die Tradition berichtet namentlich von einem Krieg Ephraims gegen den siegreichen Gideon (Jud. 8, 1 f.) und einem Vergleich, der diese Gegensätze aus dem Wege räumen sollte. Die Abzweigung der Stämme Machir und Manasse über den Jordan nach Osten, der Streit Ephraims über die Vormacht zuerst mit Gilead, dann mit Manasse, den die Sage vom Segen Jakobs über Ephraim und Manasse wiedergibt, ebenso die Abzweigung des „jüngeren Bruders“ Benjamin nach Süden zu, und dann der von der späteren Legende aufgegriffene Kampf Ephraims mit dem Räuberstamm Benjamin stellen teils Vorstöße der Bauern in die am leichtesten anbaufähigen Teile des von Viehzüchtern bewohnten Berglandes dar, teils Rückstöße und Raubzüge der Viehzüchterstämme gegen das Bauerngebiet. Die Kämpfe Judas gegen Benjamin und ebenso schon weit früher die territoriale Ausdehnung Judas auf vorher benjaminitisches und danitisches Gebiet waren Vorstöße dieses neu entstehenden Viehzüchterstammes gegen die altisraelitischen Stämme im Norden. Dieser Gegensatz zwischen Bauern und Viehzüchtern kommt in der ganzen frühisraelitischen Tradition zum Ausdruck. Auch in der politischen Haltung der Stämme nach außen.

Der Feind, gegen welchen sich gemeinsam die bereits seßhaften, vor allem: die bergsässigen Bauern und die halhnomadischen Hirten, wenigstens des Westjordanlandes, zu wehren hatten, war der wehrhafte Patriziat der Städte in den fruchtbaren Ebenen und an der Küste. Männliche und weibliche Sklaven, Fronden und Abgaben, nach dem Deboralied namentlich schönes Hausgewebe, suchen die stadtsässigen Patrizier im Kriege zu gewinnen. Daneben, wie schon früher bemerkt, die eigene Kontrolle über die Karawanenstraßen. Neben der Beherrschung dieser Straßen und dem Gewinn, den sie brachte, erstrebten die freien Bauern und Hirten der Berge die Sicherung ihrer Fron- und Abgabenfreiheit gegenüber dem Stadtpatriziat, und suchten womöglich ihrerseits die Städte zu nehmen, teils um sie zu zerstören, teils um sich selbst als Herrenschicht darin festzusetzen. Es entspricht dieser Gegensatz, soweit solche Vergleiche Sinn haben, im Wesen den Kämpfen der an der Gotthardstraße sitzenden Schweizer Urkantone gegen Zürich, der Samniten gegen Rom, der Aitoler gegen die hellenischen Städtebünde und die Makedonenkönige. Mit geringer Ungenauigkeit kann man

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sagen: es kämpfte dabei das Bergvolk gegen die Ebene. Dieser naturgegebene Gegensatz nahm erst in der Zeit des judäischen Königtums ein Ende. Vorher beherrscht er die ganze Geschichte Palästinas von Anfang unserer Kunde an. Schon in der Amarnazeit bedrohen die Feinde, Se Gaz und Chabiri, „von den Bergen her“ die Städte in den Ebenen. In der Tradition über die Kämpfe um den Besitz Kanaans sind es die mit eisernen Wagen versehenen Städte, welche die Israeliten nicht nehmen können. Alle israelitischen Helden der sog. Richterzeit sind Angehörige landsässiger Sippen, die auf Eseln, den Reittieren der Berge, nicht auf Pferden reiten und deren Reichtum und Macht, wie wir sahen, nach der Zahl der auf Eseln berittenen Sippengenossen geschätzt wurde. Noch Sauls Residenz war ein Dorf in einem Bergtal und noch Davids Heerführer Joab weiß mit den Beutepferden nichts anzufangen und läßt ihnen die Fesseln lähmen. Aber das Maß des Gegensatzes gegen die Städte war bei Bauern und Viehzüchtern verschieden. Die Hauptinteressenten des Kampfs gegen den Städtepatriziat waren die ansässigen Bauern, die der Fronknechtschaft am meisten ausgesetzt waren. Der Deborakrieg verläuft wesentlich als ein Bauernkrieg. Daß das untrainierte Fußvolk der Berge doch wie Ritter (gibborim) gefochten und gesiegt hat, ist es, was ihm im Liede zum höchsten Ruhm gerechnet wird. Einerseits die viehzüchtenden, nicht bäuerlichen, Ostjordanstämme Ruben und Gilead, welche dieser Kampf nicht interessierte, andererseits die Bundesstadt Meros, vor allem aber charakteristischerweise der an der Küste früh stadtsässig gewordene Stamm Asset und der ebenfalls, auf sidonischem Gebiet, stadtsässige Stamm Dan blieben dem Kampfe fern. Auch gegen die Philistäer haben die nordisraelitischen Bauern und die Hirten des Berglands Juda erst spät gemeinsame Sache gemacht, die letzteren blieben dem Kampf zunächst ganz fern und den Philistern treu. Der Ritterschaft, der Philister stellt die Tradition daher in Saul den benjaminitischen Bauern, welcher vom Pfluge weg König wird, und dann erst ihren Liebling, den nur mit der Schleuder bewaffneten judäischen Hirten David als typische Vertreter der beiden Kategorien von Israeliten gegenüber. In Wahrheit freilich war David anfänglich ein bergsässiger Gefolgschaftshäuptling des üblichen katilinarischen Charakters und Lehensmann der Philister, von denen er sich erst unabhängig machte, als er Stadtfürst von Jerusalem

M a x W e b e r, Religionssoziologie III.

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wurde: der Kampf eines seiner Recken mit Goliath fand erst statt, als er schon König war.

Die Schaffung einer einheitlichen Militärmonarchie mit einem Aufgebot wagenkämpfender Ritter entschied dann das Schicksal des Heerbanns der freien Bauern und Hirten Israels. Die benjaminitische Herrschaft blieb wesentlich ländliche Stammeshegemonie, obwohl immerhin schon Saul nach der Tradition sich eine persönliche Gefolgschaft, teilweise von Stammfremden, hielt. Aber der Esel war noch für Saul das charakteristische Tier. Gegen Davids Stadtkönigtum erhoben sich stets erneut die altbäuerlichen nordisraelitischen Gebiete. Unter Salomo wurde dann die königliche Kriegsmacht mit Rossen und Wagen organisiert, die er (wenn die Lesung nicht verderbt ist) aus dem ihm durch Heirat verbundenen Aegypten bezog. Sofort setzte - wie später näher zu besprechen ist - die Opposition ein, welche bis in die Rabbinenzeit hinein Salomos Beurteilung zu einer höchst zwiespältigen gemacht hat. Nach seinem Tode erhoben sich gegen sein Stadtkönigtum die noch nicht städtisch organisierten Stämme, um nach wenigen Generationen mit der Gründung von Schomrom (Samaria) ebenfalls in ein, wiederholt von landsässigen Usurpatoren bedrohtes, Stadtkönigtum mit den in der Tradition und in den assyrischen Inschriften erwähnten zahlreichen Kriegswagen der Omridendynastie auszumünden. Die bisher wesentlich nebeneinander gelagerten sozialen Gebilde: Viehzüchterstämme, Bauernstämme, Städte werden nun in Eins geschmolzen, die Hauptstadt und die in ihr ansässigen Herrensippen politisch ausschlaggebend. In der Zeit vor Salomo lag dagegen der eigentliche Kern des alten Bundes in den an Zahl zunehmend überwiegenden Bauern des Berglandes einerseits und den an relativer Bedeutung langsam abnehmenden Viehzüchtern der Steppengebiete andererseits, zu welchen einzelne Marktflecken und Landstädte in den Bergflußtälern und an den Paßstraßen, erst sekundär aber und allmählich zunehmend auch starke Festungsstädte hinzutraten. Eine starke Zunahme der Viehzüchter einerseits, der stadtsässigen Bevölkerung andererseits muß der Hinzutritt des großen judäischen Gebiets unter David gebracht haben. Politisch und sozial kam er nur der Macht des Patriziats zugute, welches nun ausschlaggebend wurde. Aber innerhalb der plebejischen Schichten bestand der alte innere Gegensatz der seßhaften Bauern, die im Nor-

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den überwogen, zu den Kleinviehzüchtern, die im Süden vorherrschten, weiter und hat, wie wir sehen werden, auch für die religiöse Entwicklung Folgen gehabt. Allein zunehmend war an Stelle der alten Gliederung Israels in wehrhafte bäuerliche Grundeigentümer- oder Hirtensippen einerseits, schutzverwandte Gastsippen von Handwerkern, Tagelöhnern, Musikern andererseits die ganz andere getreten: auf der einen Seite stadtsässiger grundherrlicher Patriziat als Träger der ritterlichen Kriegerschulung, auf der anderen verschuldete oder ganz landlos gewordene, also proletarisierte, Israeliten und zum Jahwe - Ritual bekehrte Metöken, welche nun eine, rein mit den Augen der Priester angesehen, einheitliche Schicht von „Armen“ gegenüber dem Patriziat bildeten. Sie waren keine sozial oder ökonomisch einheitliche Schicht, sondern umfassen alle nicht zu den wehrhaften Sippen Gehörigen.

Diese sehr komplexe und überdies sehr wechselvolle, aber allmählich sich in der Richtung der Beherrschung des flachen Landes durch das Stadtpatriziat verschiebende soziale Zusammensetzung der Israeliten spiegelt sich nun in eigentümlicher Art in den Rechtssammlungen wieder, die uns aus vorexilischer Zeit erhalten sind. Mehr in einzelnen Symptomen und in dem „Geist“: der Art der Stellungnahme zu den typischen Gegensätzen, äußert sich die soziale Umwelt, als in der formellen Eigenart und dem Inhalt der Sammlungen. Denn in diesen zeigt sich der maßgebende Einfluß des Umstands: daß Palästina von Anfang an ein von lebhaftem Handel durchzogenes, mit Städten ziemlich stark durchsetztes, dem Einfluß der großen Kulturländer mit alter ökonomischer Entwicklung stark ausgesetztes Gebiet war. Der Gegensatz von verschuldeten Bauern gegen stadtsässige Gläubiger war von Anfang an vorhanden. Dies zeigt sich schon in der unter dem Namen „Bundesbuch“ (Ex. 21, 21 - 22, 20) bekannten alten Zusammenstellung unbekannten, aber sicher über die erste Königszeit hinausgehenden Alters, - einer systematisch geordneten Darstellung vorwiegend rechtlichen Inhalts mit Anhängen vorwiegend paränetisch - verkehrssittlichen Charakters1). Beduinenrecht findet sich darin ebensowenig wie an anderen Stellen der uns erhaltenen

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Satzungen. Weder Brunnenrechte noch das Kamel oder die Dattelpalme kommen als Rechtsobjekte vor. Die Zisternen spielen im „Bundesbuch“ (Ex. 21, 33) nur insofern eine Rolle, als Vieh durch Hineinfallen verunglücken kann. Aber das Recht des Bundesbuchs ist auch kein solches von Halbnomaden oder überhaupt von vorwiegenden Viehzüchtern. Das Vieh kommt zwar häufig vor als ein Hauptobjekt beweglichen Vermögens. Aber: vor allem das Rindvieh, erst hinter ihm die Schafe. Archaistisch ist es gewiß, daß der stößige Ochse selbst als verantwortlich gesteinigt wird1). Aber es handelt sich dabei ganz offensichtlich um Viehbesitz von Bauern und um Schutz von Bauern gegen das, Vieh anderer. Schädigung von Aeckern und Weinbergen durch Vieh wird geregelt (22, 3), aber als Besitzer des schädigenden Viehs wird ein ansässiger Landbesitzer, nicht ein Halbnomade, vorausgesetzt. Das Pferd kommt nicht vor. Rinder und Schafe stellen den Viehstand dar. Die Interessen der in Dörfern und Städten seßhaften Ackerbauern kümmern das Recht fast allein. Es wird vom Einbruch in Häuser gehandelt (22, 7) und die Haftbarkeit des Hauswirts gegenüber dem Mieter geregelt (22, 8). Auch formell ist das Recht durchaus nicht primitiv. Denn der Grundsatz der Talion, der auch in Babylon bestand und keineswegs ein an sich primitives Prinzip ist, wird im Bundesbuch (21, 22 ff. 2) nur für den Fall der Schädigung bei einer offenen Rauferei aufgestellt, dagegen, was oft übersehen wird, nicht für Körperverletzungen anderer Art oder gar grundsätzlich für alle Verbrechen. Die Blutrache besteht, daneben aber schon ein ziemlich entwickeltes Wergeld- und Bußesystem und zum Teil auch ein eigentliches Kriminalrecht mit Unterscheidung von Mord und Totschlag, von Verschulden und Zufall. Ebenso leidlich rationale Prinzipien der Risikoverteilung. All dies repräsentiert ganz wesentlich vorgeschrittenere Stadien, als etwa dasjenige der lex Salica. Daß es sich um eine von Babylonien sehr stark beeinflußte Kultur handelt und daß auch das Recht selbst von dort her bestimmend beeinflußt war, zeigt sich nicht nur in den zweifellosen Parallelen in Hammurapis

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Gesetz1), sondern vor allem in der entwickelten Geldwirtschaft2) . Neben der Naturalleihe (22, 14) und der Viehkommenda (22, 10) steht das Gelddarlehen (22, 25) und das Gelddepot (22, 7). Die Leistung der Wergelder und Bußen erfolgte in Geld. Das Faustpfand, der Sklavenkauf, insbesondere der Verkauf eigener Kinder (21, 1 f.) und zweifellos auch der eigenen Person3) in die Schuldknechtschaft bestehen. Auch die als Teil der Paränese an die eigentlichen Rechtssatzungen angehängte Festordnung (23, 14 f.) ist durchaus die eines seßhaften Ackerbauvolkes. Das später universell rezipierte große Fest der Schafzüchter: das Passah, findet gar keine Erwähnung. Vielmehr findet sich allein das später mit dem Passah verbundene Fest der ungesäuerten Brote, also ein Bauernfest. Und auch die übrigen Feste schließen sich an Ackerarbeit und Ernte an.

Besonders charakteristisch für den „Geist“ der Sammlung ist nun das Prozeß-, Sklaven- und Metökenrecht. Diese Teile des Rechtsbuchs und seiner paränetischen Anhänge sind am ehesten zu vergleichen mit den von hellenischen Aisymneten und den römischen Dezemvirn zur Ausgleichung der Kämpfe zwischen dem Patriziat und der Plebs, ähnlich aber von den mesopotamischen Herrschern, welche priesterlich beeinflußte Wohlfahrtspolitiktrieben, über die gleichen Punkte gegebenen Gesetzen. Die weitestgehenden Bestimmungen gehören allerdings der Paränese an. Es sollen keine Geschenke genommen werden (23, 8) , es sollen weder (23, 6) die Rechte des Armen (ebjon) zugunsten des angesehenen Mannes noch - und dies wird vorangestellt - das geltende Recht (23, 2) den Wünschen der Menge entsprechend gebeugt werden. Dies letztere war offenbar nur mög-

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lieh, wenn die Menge (rab) eine an den Aemtern nicht beteiligte, aber zu den Vollfreien gehörige Plebs war. Der Metöke (ger) soll nicht geschunden (22, 21), noch (im Prozeß) ungerecht behandelt werden (23, 9). Der Sabbath, der ja für reine Viehzüchter keinen rechten ökonomischen Sinn gehabt hätte, wird ausdrücklich als ein Tag des Ausruhens für das Arbeitsvieh, die Sklaven („Söhne der Magd“)1) und Metöken motiviert (23, 12). Es muß angenommen werden, daß unter diesen Metöken hier außerhalb des Stadtverbandes stehende Kolonen als Bearbeiter der Felder gedacht sind. Von dem in seiner jetzigen Fassung entweder interpolierten oder in seinem Sinn entstellten Sabbatjahr war schon die Rede2). Am radikalsten ist aber das Schuld- und das Sklavenrecht, welches mit dem Schuldrecht unmittelbar zusammenhängt. Denn der Sklave gilt in erster Linie als Schuldsklave, sei es daß er sich selbst oder daß ihn seine Eltern in der Not verkauft (römisch: in mancipium gegeben) haben. Zwar die paränetische Pfändungsschranke (Verbot der Pfändung der Kleidung: 22, 26) geht in der israelitischen Sammlung nicht soweit, wie bei Hammurapi (Verbot der Pfändung des Arbeitsviehs). Dagegen ist das in der Paränese enthaltene sehr folgenreiche Verbot, beim Leihen an einen armen Volksgenossen diesen zu Schaden zu bringen und Zins (neschech)1) von ihm zu nehmen (22, 25) - die Quelle der Scheidung von Binnen- und Außenethik im Judentum - dem babylonischen Recht ganz fremd. Es entstammt primär der alten Brüderlichkeitsethik des Nachbarschaftsverbandes rriit seiner Pflicht zinsloser Nothilfe. Die sehr allgemeine unpräsize Fassung schließt es aus, daß die Vorschrift dem praktischen Rechtsleben entstammte. Sie war ein religiöses Gebot und bildet die paränetische

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Ergänzung für diejenigen rechtlichen Vorschriften, welche, als für die Tendenz der ganzen Sammlung besonders wichtig, an die Spitze aller ihrer Satzungen gestellt sind. Nämlich (21; 2 f.): 1. ein hebräischer Knecht, ein Schuldsklave also, muß nach 6 Dienstjahren freigelassen werden, es sei denn, daß er ein Weib aus dem Hausstand des Herrn genommen hat und, um sie zu behalten, freiwillig in dessen dauernder Knechtschaft zu bleiben wünscht, was dann durch eine religiöse Zeremonie (Ohrdurchlöcherung vor dem Hausgötzen) bezeugt werden muß. Ferner: 2. eine hebräische Schuldsklavin wird frei, wenn der Herr sie nicht entweder zu seinem Weibe oder zum Weib seines Sohnes macht, und wenn er sie im ersteren Fall gegenüber später genommenen Frauen in Nahrung, Kleidung oder Sexualverkehr zurücksetzt. Diese durchaus präsizen Vorschriften waren zweifellos altes praktisches Recht. Die ersterwähnte Bestimmung hat auch das Gesetzbuch Hammurapis mit sogar noch kürzerer Frist (3 Jahre) für den Fall, daß nicht Selbstverkauf, sondern Verkauf der Ehefrau oder der Kinder durch den Hausvater für dessen Schulden vorliegt. Einen Verkauf der Ehefrau kennt das israelitische Recht überhaupt nicht. In ihm treten gegenüber dem babylonischen Recht Bestimmungen zum Schutz der Person des Sklaven dazu: schwere Körperverletzung durch den Herrn begründet (21, 26. 27) den Anspruch auf Freilassung, Totschlag (21, 20) Kriminalstrafe, wenn der Tod sofort eintritt, während anderen Falls der Grundsatz gilt: daß der Herr ja nur sein eigenes Betriebskapital geschädigt hat und der Sklave rechtlos ist (21, 21). In Hammurapis Gesetz (116) finden sich Schutzbestimmungen dagegen, daß der Gläubiger den Schuldknecht - auch hier stets als Sohn oder Knecht des Schuldners gedacht - durch Entbehrungen oder Mißhandlungen sterben läßt.

Alles in allem trägt diese Rechtssammlung den Stempel von Verhältnissen an sich, welche zwar weit engere und dürftigere, im Rahmen von Kleinstädten sich bewegende ökonomische Zustände darstellen als diejenigen der altbabylonischen Gesetzgebung, nicht aber prinzipiell von diesen verschiedene. Wichtige Gegensätze finden sich. Der Hirt der babylonischen Gesetze ist ein angestellter Hirte des Königs oder ein privater Dienstmann großer Herdenbesitzer (wie Jakob in der Legende bei Laban), derjenige des Bundesbuchs ist ein Bauer. Individualbesitz an Land wird (22, 5) als selbstverständlich vorausgesetzt, im übrigen frei-

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lieh über das Bodenrecht nicht gehandelt. Der Bauer ist in Babylonien im allgemeinen Kolon, Schuldknecht, Sklave, Pächter, besonders oft Teilpächter eines stadtsässigen großen Grundherrn. Kolonen gab es in Palästina auch. Aber das Gesetz interessiert sich für sie nicht: sie sind gerim. Der Grundbesitzer des Bundesbuchs ist dagegen ein mit einigen Knechten, Mägden und eventuell auch mit Schuldsklaven oder politisch rechtlosen Kolonen wirtschaftender, sein Land nicht, wie sehr häufig der babylonische Grundherr, durch Administratoren, sondern persönlich verwaltender Ackerbürger oder mittelgroßer Landwirt. Es fehlt ferner der Großhändler und große Gelddarleiher Babylons. Die Kaufleute sind wohl teils als Fremde, teils als Metöken zu denken; das Rechtsbuch erwähnt sie nicht. Alle diese Verhältnisse dürften von denen der Zeit des Deboraliedes vor allem insofern prinzipiell abweichen, als die freien Bauern jetzt Plebejer unterhalb der sich entwickelnden stadtsässigen Patriziate geworden sind. Eben auf den dadurch hervorgerufenen Gegensätzen innerhalb Israels hat zweifellos das Bedürfnis nach dieser Kodifikation beruht. Die Zustände der ostjordanischen und der zur Zeit dieser Rechtssammlung vielleicht noch gar nicht zu Israel gezählten Südstämme bleiben völlig außer Betracht. Die Rechtssammlung könnte sehr wohl auf ephraimitischem Boden, etwa in Sichem, entstanden sein. Der Ausdruck Nasi für den Fürsten, den zu beschimpfen verboten wird (22, 27) - die einzige politische Paränese -, paßt ebenso wie der Gebrauch von „Elohim“ für die Gottheit eben dahin und die ganzen Zustände in die Zeit etwa bei Beginn der Königsherrschaft.

Nicht unwesentlich verschobene Verhältnisse setzt die aus der Zeit, als das Reich Juda in Wahrheit schon nahezu mit der Polis Jerusalem nebst den von ihr politisch abhängigen Kleinstädten und Dörfern identisch war, stammende Umarbeitung des Bundesbuchs voraus, welche in das deuteronomische „Lehrbuch“ aufgenommen ist (besonders 12 - 26). Inwieweit diese aus mindes-tens zwei verschiedenen Bestandteilen (12 - 19 und 20 - 25) zusammengesetzte Sammlung dem unter Josia (621) von den Priestern „aufgefundenen“ und dann durch den König auf ihre Veranlassung als verbindlich oktroyierten angeblichen mosaischen „Sefer hattorah“ von Anfang an zugehört hat, kann hier dahingestellt bleiben1). Wiedergabe

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und Amendierung praktisch geltenden Rechts, theologische Lehrhaftigkeit und sittlicher Utopismus sind in diesen Satzungen die gleiche Verbindung eingegangen, wie in den meisten überlieferten derartigen Sammlungen Israels überhaupt. Aber es ist doch die Beziehung zur realen Umwelt eines lebendigen Rechts fühlbarer als in den späteren rein priesterlichen Sammlungen der Exilszeit. Nach wie vor spielt der Viehbesitz (Rinder und Schafe) eine bedeutende Rolle und werden weder Kameele noch Pferde welche letztere vielmehr nur als Kriegspferde des Königs in Betracht kommen - als Gegenstand des Privatverkehrs erwähnt. Reichtum ist zwar in erster Linie Ueberfluß an Getreide, Most, Oe1, Feigen, Granatäpfeln, Honig, Vieh (Deut. 7, 13; 8, 8) aber auch (8, 13) an Silber und Gold. Der Erzbergbau im Lande wird als einer von dessen Vorzügen erwähnt (8, 9). Die Brunnen bedeuten in den Bergen von Juda zwar viel (6, 11), aber als wichtiger, auch für die Beziehung zum Gott bedeutsamer, Unterschied gegenüber Aegypten wird erwähnt: daß man dort das Land besäen und selbst bewässern müsse, „wie einen Gemüsegarten“ (11, 10), während auf den Bergen und Auen Palästinas der von Gott gesendete Regen die Ernte gebe (11, 11). Die gestiegene Bedeutung des Grundeigentums tritt in dem schworen Fluch gegen Grenzverrückung (27, 11 vgl. 19, 14.) hervor, die Abschwächung sowohl der alten patriarchalen Stellung des Hausvaters wie der alten Geschlossenheit und Solidarhaftung der Sippen nach außen in dem Verbot der Antastung des Vorzugserbteils des ältesten Sohns (21, 16) einerseits und der Beseitigung der Strafhaftung der Familienglieder füreinander andererseits (24, 16). In diesem Punkt ist das Rechtsbuch ziemlich modern, die Praxis selbst wird in einer (wohl deuteronomistischen) Tradition übrigens schon König Amazia zugeschrieben (2. Kön. 14, 6). Die Blutrache besteht nach wie vor (19, 6), aber das Prozeßrecht einschließlich des Beweisrechts ist, namentlich durch das (noch in unserem kanonistischen Kriminalprozeß nachwirkende) Gebot des Zweizeugenbeweises verhältnismäßig weitgehend rationalisiert.

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Das ethische Brüderlichkeitsgebot, welches im Bundesbuch und den angehängten paränetischen Ermahnungen mehrfach in etwas allgemeinen (dabei meist gerade in den der Interpollation am meisten verdächtigen) Stellen behandelt wird, ist zu weitgehenden sozialen Schutzbestimmungen für Witwen, Waisen, Knechte, Arbeiter, Metöken, Kranken fortentwickelt, von denen noch in anderem Zusammenhang unten zu reden ist. Der Fluch gegen das Geschenknehmen der Richter (27, 25), gegen das Beugen des Rechts der soeben genannten schutzbedürftigen Personen (27, 19) und das Verbot jeder Art von Bedrückung gegen sie (24, 17) steht neben dem Fluch gegen die Irreleitung von Blinden (27, 18) und der Wiederholung des älteren Gebots, das verlaufene Vieh des Nächsten ihm zurückzustellen (12, 1. 3). Von der Witwe darf gar nicht (24, 17), von den Armen nur beschränkt Pfand genommen werden (24, 10. 12). Den Knecht darf man nicht schinden (23, 17) und - eine sehr weitgehende Bestimmung: - einen Arbeiter, der seinen Herrn verläßt, diesem nicht wieder ausliefern (23, 16). Dem Arbeiter, auch dem Metöken als Arbeiter, ist der Lohn am selben Tage zu zahlen (24, 15. 16). Die steigende Bedeutung freier Tagelöhner tritt in all diesen Bestimmungen hervor. Der Sabbat gilt auch jetzt (5, 14) als Ruhetag im Interesse der Bauern selbst. Es werde, heißt es, zwar immer Arme im Volk geben (15, 11), aber es sollte eigentlich keine israelitischen Bettler geben (15, 4): auf diesem Grundsatz beruhen die sozialen Bestimmungen, denen fast sämtlich eine ziemlich geringe Präzision und also die Herkunft aus religiöser Paränese nicht: geltendem Recht eignet.

Das Brechjahr für den Acker kennt die Sammlung, wie früher bemerkt, nicht: ein sehr starker Beweis für dessen nachträgliche Interpolation im Bundesbuch, auf welchem ja das Deuteronomium sonst fußt. Dagegen wird, und zwar im Interesse der Witwen und Waisen und der Metöken, die Nachlese auf dem Acker, im Wein- und Oelgarten untersagt (24, 19 f.) und gestattet, von den Früchten des Ackers und Weinbergs eines anderen seinen Hunger zu stillen (23, 25. 26). Beides sind Reste alten Nachbarschaftsrechts zwischen Grundherren und Fronpflichtigen, vielleicht auch ein Reflex der üblichen Beziehung zwischen ansässig gewordenen Bauern und nichtansässigen Kleinviehzüchtern.

Schon das Vorstehende zeigt, daß das Pfand- und Schuld-

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recht das eigentliche Gebiet auch dieses Sozialrechts ist, noch weit mehr als schon im Bundesbuch. Statt des Brechjahrs für den Acker kennt das Deuteronomium ein jenem noch unbekanntes radikales Schuldrecht. Ueber die wiederholt eingeschärfte, schon dem Bundesbuch bekannte sechsjährige Zeitgrenze der Schuldknechtschaft hebräischer Schuldner (15, 12) hinaus statuiert es die Pflicht, den entlassenen Schuldknecht, da er ja „Mehrwert“ erarbeitet habe, mit einem Zehrpfennig in Naturalien auszustatten. Vor allem aber die Kassierung aller Schulden eines Volksgenossen - im Gegensatz zum Fremdbürtigen - im „Erlaßjahr“ (schnath schmitta, genauer: schmitta kesafim). Während nun aber für das Sabbatjahr (schmitta karka oth) in spätisraelitischer Zeit Beweise praktischer Geltung vorliegen, ist trotz der sehr nachdrücklichen Drohungen des Gesetzes gegen alle Umgebungen und trotz der Einschärfung im Schwurbund unter Nehemia (Neh. 10, 32) schon früh, endgültig durch Hillel, eine Form (der sog. Prosbul) gefunden worden, welche gestattete, die Erlaßjahrbestimmung kontraktlich außer Wirksamkeit zu setzen. Nie findet sich eine sichere Spur ihrer Anwendung. Sie war paränetischen Ursprungs und blieb utopisch. Aber auch die nicht paränetisch, sondern gesetzlich gebotene Freilassung der Schuldsklaven, die das Bundesbuch ebenso wie das babylonische Recht kannte, ist nicht einmal unter Zedekia innegehalten worden, trotzdem in der politischen Not damals (Jer. 34, 8 f.) ein besonderer feierlicher Beschluß (berith), dies zu tun, gefaßt war (dessen Bruch Jeremia zu den schwersten Unheildrohungen veranlaßte). Es ist also fraglich, ob und welche Tragweite die Vorschriften des Schuldrechts, insbesondere des Erlaßjahrs, ursprünglich gehabt haben, und es scheint nicht unwahrscheinlich, daß hier eine gelegentliche Maßregel der Schuldentlastung zugrundelag, die dann von den theologischen Redaktoren institutionell festgelegt und mit dem in der Exilszeit steigend wichtig gewordenen Sabbatgedanken in Beziehung gesetzt worden ist. Denn der Sache nach handelt es sich um eine „Seisachthie“, wie wir sie aus den antiken Mittelmeerstädten kennen und wie sie ja auch jener Beschluß unter Zedekia darstellte. Daß mit wachsender Geldbesitz - Akkumulation durch den Handel der stadtsässige Patriziat und die von ihm bewucherte Bauernschaft als typische Klassengegensätze galten, beweist im Deuteronomium besonders deutlich die unmittelbar

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an jenes Gebot des Erlaßjahres anschließende berühmte Verheißung (15, 6): „Du wirst vielen Völkern leihen und wirst von niemand borgen“, mit dem gleichbedeutenden Zusatz: „Du wirst über viele Völker herrschen und über dich wird niemand herrschen.“ Daß das allsiebenjährige allgemeine Erlaßjahr selbst und diese im Zusammenhang damit stehende Stelle theologische Interpolationen der Exilszeit sind, wird durch das Vorhandensein eines Doppelgängers in der jetzigen Redaktion höchst wahrscheinlich. Nach Wiederholung der Verheißung (28, 12) wird hier die genau entsprechende Drohung (28, 43. 44) für den Fall des Abfalls von Jahwe ausgesprochen: „Der ger bei dir wird über dich steigen und oben sein, du aber wirst heruntersteigen und immer unten sein, er wird dir leihen, du wirst borgen, er wird das Haupt, du wirst der Schwanz sein“, - Ankündigungen, die wir dem Sinne nach bei den Propheten wiederfinden werden. Diese - wegen der Art der Erwähnung des ger - offenbar vorexilischen Stellen bestätigen aber zugleich auf das deutlichste, daß jener Klassengegensatz zugrunde lag. Der mittelalterliche und moderne Geld- und Pfandwucher der Juden, diese Karikatur, in welcher sich jene Verheißung erfüllt hat, war mit der Heilsverheißung wahrlich nicht gemeint. Nein, die Verheißung sollte bedeuten: Israel wird, in Jerusalem seßhaft, der Patriziat der Welt sein, die anderen Völker aber in der Lage politisch untertäniger und verschuldeter Bauern draußen vor den Toren, genau so wie in jeder typischen Polis der gesamten Frühantike, von der sumerisch - akkadischen Zeit angefangen, das Verhältnis zwischen den Stadtbürgern und dem Lande war. Noch in talmodischer Zeit wird dabei die ebenfalls für die ganze Antike typische Lage vorausgesetzt : daß der verschuldete Bauer, der seinen Erbbesitz dem Gläubiger hat überlassen müssen, als Pächter, also als Kolone, auf dem früher ihm selbst gehörigen Acker sitzt. So soll aber das Verhältnis der israelitischen Stammesbrüder untereinander nicht sein dürfen: das ist der Sinn des sozialen Schuldrechts und der zugehörigen Paränese. Daß der Kaufmann ursprünglich stets, und auch damals noch oft, ein Metöke war, zeigt die Art des Auftretens des ger in der deuteronomischen Unheilandrohung. Aber so tief hatte doch schon die Entwicklung zur Stadtsässigkeit der Israeliten selbst gewirkt, daß jetzt die Klassenlage des Stadtpatriziats als

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ihre selbstverständliche Zukunftsverheißung auftritt1). Israelitische, im Ausland (Damaskus) ansässige Kaufleute, werden erstmalig in dem Vertrag Ahabs mit Benhadad (I. Kön. 21, 34) erwähnt. In den israelitischen Städten selbst sind sie natürlich erst recht schon längst dagewesen. Auch heute bildet der Getreidehandel in Palästina die Duelle schwerer Bewucherung der Fellachen. - Daß es sich im Deuteronomium durchaus um städtische Verhältnisse handelt, zeigt auch der sonstige Inhalt des Gesetzes. Bestimmungen über die Sicherung des Hausdachs durch eine Brüstung, damit niemand herabfällt (22, 8), Asylstädte für den Totschläger (19, 3), die Gerichtsstätte „in den Toren“ (16, 8), das Gebot rechten Maßes und Gewichts (25, 14. 15) gehören alle dahin. Den armen Bruder darf man nicht bewuchern (23, 20), man soll ihm bereitwillig leihen (15, 8): ein Bestandteil des alten Nothilfegebots der typischen Nachbarschaftsethik. Dieser arme Bruder ist aber hier im Zweifel immer ein Mann in einer Stadt (15, 7), d. h. zweifellos ein in einem Stadtbezirk (der jetzt als selbstverständliche politische Einheit gilt) und wohl in aller Regel als Kleinbauer, ansässiger Israelit.

Die jetzigen Rechtsnormen des Deuteronomium dürften zwar aus der vorexilischen Zeit des Stadtkönigtums stammen sind aber sicherlich im Exil von Theologen überarbeitet worden Vermutlich ähnliches, nur mit ganz wesentlicher Verstärkung des Anteils der Arbeit der Exilstheologen gilt von dem sog: „Heiligkeitsgesetz“2). Die in dieser Sammlung und ebenso in der ganz im Exil entstandenen sog. „Priestergesetzgebung“1), welche die Masse des Stoffs des heutigen 3. und 4. und Teile des 2. Buches Mose schuf, enthaltenen sozialen Vorschriften sind teils ihrem Alter, teils der Realität ihrer Geltung nach problematisch. Theologische Konsequenzmacherei schuf sie, unter Anknüpfung an Reminiszenzen aus der Vergangenheit, für ein

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Jahwe heiliges Volk“, ein Volk von „Metöken Jahwes“ auf dem diesem gehörigen heiligen Boden, auf welchen man von ihm zurückgeführt zu werden hoffte. Wir begegnen neben dem Wucherverbot und der vermutlich hier zuerst in ihre jetzige Form gebrachten und von da aus in das Bundesbuch interpolierten Sabbatjahrsbestimmung zunächst einer weiteren Abwandlung der Schuldhaftnormen. Einen israelitischen Schuldhäftling soll man (Lev. 25, 39. 46) nicht wie einen Leibeigenen, sondern wie einen freien Tagelöhner halten, für welchen (19, I3) die deuteronomische Bestimmung über die Lohnzahlung wiederholt wird. Als Leibeigene darf ein Israelit nur Heiden oder Metöken besitzen (Lev. 25, 44. 45), denn alle Israeliten sind Leibeigene Gottes (Lev. 25, 42). Hat sich ein Israelit einem Metöken verkaufen müssen, so soll ihn seine Sippe oder er sich selbst jederzeit auslösen dürfen (25, 48). Alle iraelitischen Schuldhäftlinge aber sollen jedenfalls alle siebenmal sieben Jahre, im sog. Halljahr, frei werden. In diesem unter Posaunenschall auszurufenden Freijahr soll aber auch jedes Grundstück, welches - es wird als selbstverständlich angenommen (vgl. Lev. 25, 25): aus Not - verkauft worden ist, wieder frei an den Verkäufer zurückfallen (25, 13 f.), falls nicht der nächste Sippenbruder es schon vorher einlöst (25, 25), wozu er jederzeit das Recht hat. Denn ein Verkauf von Land auf ewige Zeiten soll nicht zulässig sein, da das Land Gottes Eigentum, die Israeliten aber darauf nur Gottes Metöken sind: auch ein Beweis, daß als Kennzeichen der Metöken das mangelnde Bodenrecht galt. Nur Häuser innerhalb einer ummauerten Stadt dürfen für ewig verkauft werden und sind nur innerhalb eines Jahres einlösbar (25, 29). Eine weitgehende Kasuistik regelt die bis zum Halljahr anzurechnenden Jahresraten. - Es steht fest, daß das Halljahr selbst eine nie praktisch gewordene theologische Konstruktion der Exilszeit war, und die Art der Motivierung der anderen Vorschriften laßt für sie das gleiche vermuten. Aber es fragt sich immerhin, ob nicht dennoch im lebenden Recht Anknüpfungspunkte vorhanden gewesen waren. Zunächst läßt die Erzählung von der Schuldsklavenfreilassung unter Zedekia (Jer. 34, 8 f.) in Verbindung mit der bei Trito - Jesaja (61, 2) vorkommenden Prophezeiung von einem „Gnadenjahr (schnath razon) Jahwes“ erkennen, daß die öffentliche Verkündigung eines „Freilassungsjahrs“ für alle Schuldversklavten offenbar nicht nur in

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jenem Einzelfall, unter Zedekia, stattgefunden hatte, sondern ein typischer Vorgang war, vermutlich in Kriegsnot, wo man aller Wehrhaften benötigte und wo ähnliches auch bei den Hellenen vorkam. Dann aber könnte auch in dem Rückfall des Bodenbesitzes an die Sippe eine Reminiszenz alten Rechts stecken. Denn es muß auffallen, daß innerhalb der Rechtssammlungen nur an dieser Stelle von Kauf und Verkauf von Grund und Boden die Rede ist, von welchem sowohl das Bundesbuch wie das Deuteronomium schweigen. Es fragt sich also, ob und unter welchen Voraussetzungen eine dauernde Veräußerung von Boden in Altisrael zulässig war. Im babylonischen Recht ist der alte Retraktanspruch der Sippe erst allmählich überwunden worden. Aus Jeremias Orakeln wissen wir, daß im Fall der Absicht einer Veräußerung von Erbland ein Vorangebot an einen Sippengenossen mindestens durch die Sitte vorgeschrieben und daß es für den Berechtigten eine ungern abgelehnte Anstandspflicht war, den Acker zu erwerben, damit er nicht an Fremde falle. Der Himmel möge verhüten, daß er seinen Erbacker verkaufe, erwidert in der Tradition auch Naboth dem König Ahab auf dessen Kaufangebot. Das zeigt, daß zur Zeit dieser Redaktion der Geschichte der Verkauf ohne Befragung der Sippe zwar an sich als rechtlich möglich galt, - wie dies übrigens die zahlreichen gegen die Bodenakkumulation der Reichen eifernden Stellen der Propheten beweisen, - daß er aber für das Erbland durch die Sitte mißbilligt wurde. Das Priestergesetz ist, abgesehen von einer schon erwähnten Stelle des Deuteronomium, auch die einzige Rechtsquelle, welche das Bodenerbrecht erörtert. Indirekt spielte dieses freilich eine Rolle bei der alten Institution der sog. Leviratsehe. Denn das Recht und die Pflicht, die kinderlose Witwe des Bruders zu heiraten, um ihm „Samen zu erwecken“, brachte Recht und Pflicht zur Uebernahme eines Landbesitzes mit sich, welcher im Falle der Ablehnung durch den nächststehenden an denjenigen entfernteren Anwärter fiel, der sich der Ehepflicht unterzog. Oder vielmehr, nach der Art der Auffassung der Tradition (Ruth 4, 1 f.) gerade umgekehrt: wer aus der Sippe das Land des kinderlos Verstorbenen haben wollte, mußte die Witwe heiraten. Aus der gesamten Tradition geht hervor, daß mindestens in der Zeit der Redaktion der Erzväterlegende es als üblich galt, daß der Hausvater vor dem Tode oder wenn er sich (wie dies bei dem Sirachiden erwähnt wird)

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auf das Altenteil zurückzog, mit ziemlich weitgehender Freiheit die Verteilung seines Besitzes unter die Kinder regelte und dabei offenbar durch feierlichen Segen und Fluch seinen Verfügungen Nachdruck verlieh. Daß als Erben des Landes hier wie in allen militärischen Verbänden der Antike nur die Söhne in Betracht kamen, verstand sich von selbst. Das Deuteronomium suchte, wie erwähnt, den ältesten Hohn zu schützen gegen Antastung seines Vorzugsanteils durch den Vater, der ja sehr leicht unter dem Einfluß einer Lieblingsfrau die Kinder ungerecht behandeln konnte, wie sich das in ägyptischen Erzählungen findet. Das Priestergesetz führte die Bindung weiter. Es statuiert die Erbfähigkeit der Töchter am Grund und Boden hinter den Söhnen (Num. 27, 8 - 10) und bestimmt im Zusammenhang damit, daß solche Erbtöchter, damit das Land nicht dem Stamm entfremdet werde, nur innerhalb des Stammes heiraten sollen. Diejenigen Mädchen, zu deren Gunsten nach der Legende Moses die Bestimmung erläßt, heiraten daraufhin Vettern, also Sippengenossen. Stamm und Sippe werden nicht immer scharf geschieden und es liegt nahe anzunehmen, daß hier die Sippe und nicht der Stamm gemeint war. Denn wenigstens nach altem Recht scheint, wie wir sahen, der Ungenosse des Stammes überhaupt als ger und also als unfähig zum Bodenerwerb gegolten zu haben1).

Allerdings wäre es möglich, daß außer der alten Sippengebundenheit auch noch andere Gewalten in die Gestaltung des Grundbesitzes eingegriffen haben und wir in diesen Bestimmungen Reste davon vor uns sehen2) . Wir finden in den hellenischen Städten den „Kleros“ teils durch Sippenansprüche, teils durch militärische Veräußerungsbeschränkungen gebunden. Das althellenische Erbtochterrecht entstammte, wenn nicht allein, so jedenfalls auch militärischen Interessen. Dem hellenischen Ausdruck für Kleros entsprach aber, wie Ed. Meyer mit Recht bemerkt, der israelitische für Landlos: „Chelek“, der die Nebenbedeutung „Beuteanteil“ hat, also keineswegs agrarkommunistischen oder sippenmäßigen, sondern militärischen Ursprungs

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ist1): wo immer die Heeresmacht auf der Selbstequipierung der freien Grundbesitzer ruhte, war der Landbesitz Funktion der Wahrhaftigkeit. Ebenso hatte der bei der Leviratsehe und den verwandten Institutionen maßgebende Wunsch, den „Namen“ der Sippe in Israel zu erhalten, neben später zu besprechenden religiösen wohl auch militärische Grundlagen: das Geschlechtsregister der ökonomisch wehrfähigen Sippen war Grundlage des Aufgebots. Aus dem Deboralied scheint hervorzugehen, daß der Sollbestand des Bundesheerbanns (40 000) in runden Tausendschaftsziffern festgelegt war - wie dies der späteren Rolle der Tausendschaften als der Normalkontingente entspricht und aus der Nachricht über das Aufgebot gegen den Stamm Benjamin ergibt sich, daß man in Quoten dieses Sollbestandes: in diesem Falle z. B. ( Jud. 20, 10): einen von zehn, aufbot. Da die Tausendschaften zweifellos auf die einzelnen Bundesglieder fest verteilt waren, so hatte schon deshalb der kontingentpflichtige Stamm, neben dem eigenen Interesse an seiner Wehrkraft, auch ein durch diese Bundeskriegsverfassung bedingtes Interesse an der Erhaltung der Kriegerlose. Es ist also immerhin möglich, daß er zu ähnlichen Maßregeln griff, wie die hellenischen Städte, bei welchen es bekanntlich nicht leicht auszumachen ist, welche von den in Resten überlieferten Bindungen des Kleros älten Sippenrechten und welche vielmehr Interessen des Militärverbandes entsprangen. Die verschiedenen Institionen, deren teils rudimentäre, teils theologisch entstellte Reste uns in den Quellen entgegentreten, von den für uns ganz unkenntlichen Sabbatjahrs- und den Seisachthiebestimmungen angefangen bis zum Levirat und Erbtöchterrecht, dem Vorzugsanteil des Aeltesten (als des Kleros - Erben) und den Resten des Sippenretrakts bei Erbgütern, kannten dann in solchen militaristisch bedingten Eingriffen eine ihrer Quellen gehabt haben. Ebendahin würde es dann gehören, daß in Ermangelung von Leibeserben nach der Abraham - Geschichte (Gen. 15, 2. 3) der Großknecht (in diesem Fall sogar ein aus Damaskus stammender Kaufsklave) in das Erbe einrückt: daß ein Erbe für den Kleros da ist, nicht: wer es ist, daran ist diese Auffassung interessiert. Andererseits: Wer verarmt ist, d. h. wer seinen Grundbesitz

M a x W e b e r, Retigionssoziologie III.

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in der Not hat aufgeben müssen, verliert die Qualität als Voll - Israelit und soll - nach dem Heiligkeitsgesetz (Lev. 25, 35) - wie ein ger gehalten werden. Durch alle diese verschiedenen Institutionen sollte verhütet werden, daß eine Sippe aus der Schicht der ökonomisch voll Wehrfähigen in die Masse der zur Aufbringung der Kosten der Equipierung nicht Fähigen (römisch gesprochen: der „proletarii“, „Nachkömmlinge“) oder gar der ganz Grundbesitzlosen (gerim) hinabsank. Wir werden später, bei Besprechung des Nasiräats, noch auf einige mit solchen Möglichkeiten im Zusammenhang stehende andere Hypothesen zu sprechen kommen. Doch bleibt dies alles unsicher. Auch könnte es jedenfalls schwerlich universell gegolten haben. Schon deshalb, weil die eben erwähnte Bundeskriegsverfassung des Deboraliedes und der historischen Literatur für Nordisrael ja nicht unbedingt notwendig zu solchen Einrichtungen führen mußten. Denn die Aufbringung des Kontingents war vermutlich innere Angelegenheit des einzelnen Stammes und dieser konnte darin vielleicht verschieden verfahren.

Dem Gesamteindruck nach bedeutet die Abfolge dieser Rechtssammlungen eine steigende Theologisierung des Rechts1) . Ehe wir die Quelle und die Eigenart dieses Prozesses näher verfolgen, müssen wir die äußeren Formen, in welcher diese Theokratisierung der irsaelitischen Sozialordnung sich vollzog und die Gewalten, welche sie beförderten, kennen lernen. Eine Eigentümlichkeit der israelitischen Sozialordnung spricht sich schon in dem Namen des ältesten Rechtsbuchs aus : Sefer. ha berith, „Bundesbuch“. Der wichtige Begriff der „berith“ ist es, der uns daran interessiert1) .

Ein „Schwurbund“ von Gegnern der ägyptischen Herrschaft findet sich schon in den Amarnabriefen erwähnt2) . Auch der Name „Chabiru“ für die Feinde der ägyptischen Statthalter

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in den Amarnatafeln, den man mit Ibri (Hebräer) identifizieren wollte, wird, angesichts gewisser sprachlicher Schwierigkeiten, neuerdings zuweilen mit dem jüdischen Ausdruck „Chaber“ - „Genosse“, zusammengebracht, der in nachexi-lischer Zeit den rituell korrekten Volljuden ebenso wie „Cheber“: „Genossen-schaft“, auf den Münzen der Makkabäer1) die volljüdische Gemeinschaft bezeichnet und der auch in der älteren Tradition gelegentlich (z. B. Jud. 20, 11) verwendet wird für die Bundesarmee (a. a. O. in einem heiligen Krieg wegen Religionsfrevels)2). Die Ableitung von Chabiru aus diesem Wort bleibt freilich unwahrscheinlich3).

Daß die verschiedensten unter göttlichen Schutz gestellten Verbrüderungen die israelitische Geschichte durchziehen, wäre an sich nichts ihr Spezifisches. Jedes politische Bündnis, aber auch fast jeder privatrechtliche Vertrag pflegte ja in der Antike eidlich, d. h durch Selbstverfluchung bekräftigt zu werden. Sondern das Eigenartige ist zunächst die überaus weite Erstreckung der religiösen „berith“ als der wirklichen (oder konstruierten) Grundlage der verschiedensten rechtlichen und sittlichen Beziehungen. Vor allem war Israel selbst als politisches Gemeinwesen eine Eidgenossenschaft. Ein Israelit, auch ein Angehöriger eines anderen Stammes, der zu den Angeredeten nur im Verhältnis eines ger steht, redet Israeliten daher als „Brüder“ (achim) an, etwa so, wie jeder Schweizer Redner bei offiziellen Gelegenheiten zu Schweizer Landsleuten als „Eidgenossen“ zu reden hat. Und wie David nach der offiziellen Tradition durch berith legitimer

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König wird, so läßt diese auch mit seinem Enkel Rehabeam die Aeltesten der Nordstämme über seine Anerkennung nach Art einer Wahlkapitulation verhandeln. Aber auch die Einbürgerung von Viehzüchtersippen in eine kanaanäische Stadt, oder umgekehrt die Angliederung etwa der Gibeoniten als fronpflichtiger Gemeinde an Israel erfolgt stets durch eine, berith genannte, Schwurverbrüderung. Alle gerim, auch die Erzväter, befinden sich in ihrer Rechtslage durch berith1). Die Schwurverbrüderungen läßt die Tradition rituell unter Herstellung der Speisegemeinschaft der sich Verbrüdernden vor sich gehen (Gen. 26, 30 vgl. mit Jos. 9, 14). Die von Mose im göttlichen Auftrag verkündete Rechtssammlung wird (Ex. 24, 7) „Buch

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des Bundes“ (sefer ha berith) genannt1) und ebenso heißen auch jene religiösen Vorschriften, welche er nach göttlichem Geheiß auf zwei Tafeln schreibt (Ex. 34, 28) „Worte des Bundes“ (dibre ha berith). Ebenso wird der deuteronomische sefer hattorah, das „Buch der Lehre“, als welches es zunächst (2. Kön. 22) auftritt, in dem anschließenden Bericht über seine Annahme als Gesetz unter Josia (2. Kön. 23, 2) „Buch des Bundes“, sein Inhalt „Worte des Bundes“ genannt. Im Josuabuch ist eine Tradition aufbewahrt, wonach Josua nach vollendeter Eroberung des Landes einen Bund (berith) mit dem Volke gemacht und den Inhalt in das „Buch der Thora Gottes“ niedergeschrieben habe. An welche der verschiedenen Rechtssammlungen der Referent dabei gedacht hat, ist nicht feststellbar. Dagegen ist (Jud. 9, 4) überliefert, daß in Sichem zu Abimelechs Zeit ein „Haus“ eines „Bundesbaal“ (Baal berith) bestand, dessen Tempelschatz zugleich als Schatz der Stadt benutzt wurde. Und die deuteronomische Tradition (Hauptstelle: Deut. 27, 14 f.)2) kennt eine feierliche Zeremonie, welche angeblich erstmals bei Eroberung des Landes, nach der späteren Vorstellung unter Assistenz von Vertretern von sechs Stämmen auf dem Berge Garizim, von sechs anderen auf dem Berge Ebal (zwischen denen Sichem liegt) vollzogen wurde. Die (vier bis fünf) Varianten der Erzählung ergeben folgendes Bild. Gegen den Garizim hin oder auf ihm wird durch die Priester für diejenigen, welche die heiligen Gebote halten, ein feierlicher Segen gesprochen, gegen den Ebal hin oder auf ihm ein feierlicher Fluch gegen die, welche sie verletzen. Von diesen

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Geboten wird dabei (Deut. 27, 2 f.) erwähnt, daß sie auf getünchten Steinen aufgezeichnet seien (was beweist, daß jedenfalls bereits nicht mehr die Keilschrift herrschte; im übrigen ist das Alter freilich problematisch). Auf die Zeremonie wird in der Tradition an noch mehreren Stellen Bezug genommen (Deut. 11, 26 f.; Jos. 8, 30 f.; 23, 2 f.). Im Wesen der Sache wird sie wohl trotz der späten (deuteronomistischen) Ueberlieferung schon in älterer Zeit so oder ähnlich bestanden haben, weil die dabei erwähnten Kultstätten auf den Bergen gerade diesem Redaktor wenig sympathisch sein mußten, zumal dort nach den Ueberlieferungen Malsteine (ein von den Puritanern verworfener Brauch) und die alten Orakelterebinthen (ebenfalls bedenklich) standen, die Gebeine Josephs (Grabkult) lagen und sogar (nach einem anscheinend babylonischen Ritus) Götterbilder vergraben waren. Die überlieferte Fluchformel (Deut. 27, 13 f.), der sog. „sexuelle Dekalog“, zählt zwölf bestimmte Sünden auf : Idolatrie, Fluch gegen die Eltern, Grenzverrückung, Irreführung eines Blinden, Beugen des Rechts der Metöken, Waisen und Witwen, sexuelle Sünden (Inzest und Bestialität), Mord ( = heimlicher Todschlag), Bestechlichkeit des Richters. Wenn auch das Alter unsicher bleibt, so besteht angesichts ihres Zusammenhangs mit den Vorschriften des Bundesbuchs doch die größte Wahrscheinlichkeit, daß der „Bundesbaal“ derjenige Funktionsgott war, welcher auf Grund der offenbar regelmäßig wiederholten Verfluchungen diese vom Volk feierlich auf sich genommenen Satzungen schützte1). Sein Kult aber gilt einer allerdings stark verunstalteten Tradition als eingeführt in Sichem im Anschluß an eine Auseinandersetzung und Verständigung Gideons und der Ostjordanstämme mit Ephraim während des Midianiterkriegs ( Jud. 8, 1. 33); der Bundesbaal war also doch wohl der

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Garant eines jener Bundesschlüsse, durch welche Israel neu konstituiert wurde.

In immer wiederholten rituellen Bundesschlüssen sehen wir sich nun auch in historischer Zeit die innerpolitische Geschichte Israels bewegen: Die Herstellung des reinen Jahwekults in Jerusalem unter Joas und später die Annahme des deuteronomischen Gesetzes unter Josia erfolgen nach der Tradition durch berith1), ganz ebenso der Beschluß unter Zedekia, die Schuldsklaven dem Gesetz gemäß freizulassen (Jer. 34, 8 f.), und dann wiederum die feierliche Annahme der Gemeindeordnung unter Nehemia, bei welcher, wie bei jener Fluchzeremonie, eine Anzahl besonders wichtiger Satzungen herausgegriffen und der inzwischen üblich gewordenen Beurkundungspraxis entsprechend von den synoikisierten Geschlechtshäuptern feierlich untersiegelt wurden (Neh. 10). Das für unsere Zusammenhänge Entscheidende war nun aber dabei dies: gerade die älteren, vorexilischen, von diesen Fällen von Recht schaffender berith des Gesamtvolks Israel und für dieses als solches sind, in deutlichem Gegensatz zu den berith - Schlüssen unter Einzelnen oder mit Metöken nicht nur Kontrakte und Verbrüderungen der beteiligten Parteien untereinander, welche unter den Schutz des Gottes als Zeugen und Rächers von Meineid gestellt werden. Sondern sie galten gerade der alten, vor allem der durch den sog. „Jahwisten“ vertretenen, Auffassung als Bundesschließungen mit dem Gott selbst, der also bei der Rache des Bundesbruchs seine eigenen verletzten Vertragsrechte, nicht nur die seinem Schutz empfohlenen Ansprüche der vertragstreuen Partei vertritt1). Diese sehr wichtige Konzeption hat die Entwicklung der israelitischen Religiosität überaus stark beeinflußt. Auf die Verletzung der ihm persönlich, als Vertragsschließenden, durch Eid angelobten Vertragstreue gründet der Gott der Propheten seine furchtbaren Unheilsdrohungen, wie er andererseits selbst an die Zusagen gemahnt wird, die er den Vorfahren durch Eid (so zuerst Micha 7, 20) angelobt hat. Die ganze Beziehung schon der legendären Vorväter Israels zu Gott hatte sich für die spätere

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durch die Exilspriester bestimmte Auffassung von Anbeginn an in immer neuen Bundesschließungen realisiert: in dem Bunde mit Noah, dem mit Abraham, Isaak, Jakob und schließlich dem Sinaibund. Zwar hatte sich inzwischen die anthropomorphe Auffassung von einem zweiseitigen Pakt mit dem veränderten Gottesbegriff in die einer göttlichen, nur durch besondere Zusage verbürgten Verfügung abgeschwächt, aber auch die Zukunftshoffnung des Jeremia geht letztlich dahin, daß Jahwe künftig mit seinem Volk abermals einen Bund, aber unter gnädigeren Bedingungen als mit den Vätern, abschließen werde. Woher stammt nun diese Besonderheit der israelitischen Konzeption ? Einige allgemeine politische Sachverhalte und ein besonderes religionsgeschichtliches Ereignis trafen zusammen, um sie entstehen zu lassen.

Die Bedeutung des „Bundes“ - Begriffs für Israel an sich hat ihren Grund darin, daß die alte Sozialverfassung Israels zum sehr wesentlichen Teil auf einer durch Kontrakt regulierten Dauerbeziehung grundbesitzender Kriegersippen mit Gaststämmen als rechtlich geschützten Metöken: Wanderhirten und Gasthandwerkern, Kaufleuten und Priestern, beruhte. Ein ganzes Gewirr solcher Verbrüderungen, sahen wir, beherrschte die soziale und ökonomische Gliederung. Daß aber der Bund mit dem Gott Jahwe selbst eine für Israels Selbstbeurteilung seiner Gesamtstellung unter den Völkern grundlegende Konzeption wurde, hing mit folgenden weiteren Umständen zusammen.

Oben wurde die in den Lebensbedingungen begründete besonders große Labilität aller politischen Verbände bei den Beduinen und Viehzüchtern: die Neigung aller dieser Stammesorganisationen, sich bald in Sippen zu zersplittern, bald anderweit neu zusammenzuballen, besprochen. Das Schicksal der Stämme Roben, Simeon, Levi, Machir einerseits, Juda andererseits bietet die Beispiele. Mit dieser Unbeständigkeit kontrastiert nun auffallend die außerordentliche Stabilität eines bestimmten Verbandstypus, der sich gerade bei diesen nicht vollseßhaften Schichten findet: des religiösen Ordens oder ordensartigen Kultverbandes. Als tragfähige Basis für politische und militärische Organisationen auf lange Sicht scheint geradezu nur ein derartiger religiöser Verband geeignet gewesen zu sein. Ein solcher waren die Rechabiten: Durch Jahrhunderte, von Jehus Zeiten bis auf Jeremia, sehen wir sie fortbestehen und re-

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ligionspolitisch wirken, in der Nehemiachronik wird ein Rechabit erwähnt, im Mittelalter noch will Benjamin von Tudela sie unter einem „Nasi“ in der babylonischen Wüste getroffen haben, und andere Reisende glaubten ihre Spuren gar im 19. Jahrhundert bei Mekka zu finden. Wesentlich religiös scheint auch der streng jahwistische Keniterstamm, dem die Rechabiten angehörten, zusammen-geschlossen gewesen zu sein. Denn es ist durch Stade mindestens höchst wahrscheinlich gemacht, daß das „Kainszeichen“, d. h. die kenitische1) Stammestätowierung, nicht nur Stammesmarke, sondern, und zwar natürlich primär, Kultgemeinschaftszeichen war2): die indischen Sektenabzeichen würden die Analogie darstellen. Das großartigste Beispiel eines ordensartigen Verbandes von prinzipiell ganz der gleichen Art war auf dem gleichen Boden natürlich: der Islam und die ihm angehörigen kriegerischen Orden, welche zahlreiche und zwar die besonders dauerhaften islamischen Staatsgründungen geschaffen haben. - Der Tatbestand war dabei nun nicht etwa der: daß die Lebensbedingungen der Beduinen und Halbnomaden eine Ordensgründung aus sich heraus „erzeugt“ hätten, etwa als „ideologische Exponenten“ ihrer ökonomischen Existenzbedingungen. Diese Art materialistischer Geschichtskonstruktion ist hier wie sonst gleich unzutreffend. Vielmehr: wenn eine solche Gründung erfolgte, so hatte sie, unter den Lebensbedingungen dieser Schichten, die weitaus stärksten Chancen, im Auslesekampf die übrigen, labileren, politischen Gebilde zu überdauern. Ob sie aber entstand, das hing von ganz konkreten religions - historischen und oft von höchstpersönlichen Umständen und Schicksalen ab. War dann die religiöse Verbrüderung in ihrer Leistungsfähigkeit als politisches und ökonomisches Machtmittel einmal bewährt und erkannt, dann trug dies naturgemäß zu ihrer Ausbreitung mächtig bei. Muhammeds sowohl wie Jonadab ben Rechab's Verkündigungen sind nicht als Produkte populationistischer oder ökonomischer Bedingungen zu „erklären“, so sehr ihr Inhalt durch solche mitbestimmt wurde. Sondern sie waren Ausdrücke persönlicher Erlebnisse und Ab-

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sichten. Aber die geistigen und sozialen Mittel, deren sie sich bedienten, und ferner die Tatsache des großen Erfolgs gerade dieses Typus von Schöpfungen sind allerdings aus jenen Lebensbedingungen zu verstehen. Ebenso für Altisrael.

Wie die Rechabiten ihre Bedeutung dem Zusammenschluß als Orden, so verdankte vielleicht Juda seinen Zusammenschluß als Stamm zu einem macht-vollen politischen Gebilde einer Verbrüderung durch einen besonderen Jahwebund. Der Stamm tritt erst spät in der Geschichte auf. Das Deboralied kennt ihn nicht. Die Quellen bezeichnen ihn, in der für Viehzüchter typischen Art, gelegentlich auch als: Sippe. Er war zur Zeit des Mosessegens in politischer Bedrängnis, zur Zeit Sauls ein Tributärstamm der Philister. Der Jakobsegen dagegen kennt ihn als Hegemon in Israel und zugleich als Weinbauer, während in der aus Viehzüchterkreisen stammenden Erzväterlegende Abraham, obwohl in dem weinberühmten judäischen Hebron ansässig, seinen himmlischen Gästen keinen Wein vorsetzt. Der Stamm hatte also - wenn er auch schwerlich, wie Guthe annimmt, erst durch David entstand - doch unter ihm sein Gebiet erweitert und war, offenbar unter Vermengung mit Kanaanäern, seßhaft geworden. Die nach den offiziellen Aufzählungen und Genealogien später zum Stamm Juda gerechneten Sippen sind zum Teil wohl kanaanäischen, zum Teil offenkundig beduinischen Ursprungs: so die zeitweise mit Amalek verbündeten Keniter. Der Stamm Simeon ist teils in Juda aufgegangen, teils unter den Edomitern ansässig geworden. Die früheste Erwähnung eines Leviten bezeichnet diesen als einen Judäer: offenbar wurde auch der Stamm Levi dem Schwerpunkt nach von Juda aufgesogen. Die noch unter Saul bestehende Sonderstellung des Stammes dauerte in anderer Form auch unter den Davididen an: Unter Salomo gehörte sein Gebiet wenigstens zum größten Teil nicht zu den Provinzen des Reichs, sondern war königliche Hausmacht. Seinen endgültigen Umfang hatte er jedenfalls erst durch das Kriegsfürstentum Davids erhalten und vermutlich im Zusammenhang mit der Uebernahme des reinen Jahwekults. Schon die ihm, wie es scheint und wie namentlich Luther annimmt, als Besonderheit eignende bedeutende Stellung der Priester bei der Urteilsfindung (durch Prozeßorakel) legt die Annahme einer spezifisch religiösen Verbrüderung als Grundlage seines so festen Stammeszusammenhalts nahe. Er wäre dann aus Frag-

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menten verschiedener ethnischer Herkunft durch Gemeinschaft des Kults und der Priester zusammengefügt worden. Diese Annahme wird dann ganz besonders wahrscheinlich, wenn der Name „Jehuda“ als ein Derivat von Jahwe anzusehen sein sollte.

Was schließlich die israelitische Eidgenossenschaft selbst anlangt, so war sie nach eindeutiger Ueberlieferung ein Kriegsbund unter und mit Jahwe als dem Kriegsgott des Bundes, Garant seiner sozialen Ordnungen und Schöpfer des materiellen Gedeihens der Eidgenosse:n, insbesondere des dafür nötigen Regens. Der Name „Israel“, sei es, daß er unmittelbar „das Volk des kämpfenden Gottes“ benennen sollte, sei es daß er (unwahrschein-licherweise) ursprünglich „Jesorel“ zu sprechen war und also den Gott bedeutete, „auf den man vertraut“, bringt das zum Ausdruck. Ein Stammesname war „Israel“ jedenfalls nicht, sondern der Name eines Verbandes, und zwar: eines kultischen Bundes1). Zur Bezeichnung eines Eponymos hat erst die theologische Bearbeitung der Legenden vom Heros Jakob den Namen Israel gemacht: daher der schattenhafte Charakter dieser Personifikation. - Wir müssen die Struktur des Bundes etwas näher betrachten.

Sein Umfang hat gewechselt. Als Verband muß Israel in Palästina schon zur Zeit des Könibs Merneptah, des angeblichen Pharao des Auszugs, existiert haben, denn es wird damals in einer bekannten Inschrift2) erwähnt, daß die Angriffe des königlichen Heeres seine Mannschaften und seinen Besitz dezimiert hätten.. In der Art der Erwähnung tritt hervor, daß Israel, im Gegensatz zu den kleinen und größeren Stadtstaaten, als ein nicht stadtsässiger Verband galt. Im Deborakrieg bilden, wie wir sahen, die Bauern, die zu Fuß, und deren Fürsten, die auf weißen Eseln in das Feld ziehen, den Kern des gegen die wagenfahrenden Ritter der Stadtkönige kämpfenden Heeres. Das Deboralied kennt als Bundesglieder außer den am Krieg teilnehmenden Bergstämmen Ephraim und dessen beiden Absplitterungen Machir und Benjamin, sowie Sebulon, Naphtali und Issachar, noch: die seßhaften Stämme Asset und Dan nahe dem Meer und andererseits: die Viehzüchterstämme Ruben und

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Gilead östlich des Jordan, die sich aber der Bundeshilfe entziehen; gesondert nennt es die Stadt Meros als bundbrüchig. Die beiden Sagensammlungen kennen dann die übliche Zwölfzahl der Stämme: Machir ist durch Manasse, Gilead durch Gad ersetzt, Juda und Simeon sind hinzugetreten, und je nachdem Levi mitgezählt oder wie im Mosessegen als Priesterstamm besonders gerechnet wird, sind Ephraim und Manasse als zwei Stämme oder gemeinsam als das „Haus Joseph“ gezählt. In der Zeit des Deboraliedes galten aber zweifellos weder Juda noch Simeon noch Levi als zugehörige Stämme. Damals und später galt Ephraim oder Joseph unzweifelhaft als Kernstamm des Bundes, wie seine Voranstellung im Liede, seine Abstammung von der Lieblingsfrau Jakobs und seine Kennzeichnung als dessen Lieblingssohn (bzw. -enkel) beweisen. Der Stamm erinnert sich im Deboralied seiner Kämpfe mit den Beduinen und auch im Jakobsegen ist von diesen „Pfeilschützen“ als seinen Gegnern die Rede. Gerade für ihn wird im Mosessegen ausdrücklich und sicher auf Grund alter Tradition eine Beziehung zu der mosaischen Dornbuschepiphanie erwähnt. Gerade er also war zweifellos an den Ereignissen, welche zur Rezeption Jahwes als des Kriegsgottes Israels führten, beteiligt. Der in der Tradition am frühesten einen Jahwenamen tragende Heerführer des Bundes, Josua, ist Ephraimit und in dessen Gebiet begraben. So wird denn auch Jahwe, der von Seit in Edom im Wettersturm heranzieht und die Kanaanäer vernichtet, als Kriegsgott des unter Ephraims Hegemonie stehenden Bundes im Deboralied gepriesen. Zu Ephraims Gebiet gehörte von Kultstätten Jahwes vor allem Sichem mit dem „Bundesbaal“. Doch scheint es, daß die eigentliche Kultstätte außerhalb der Stadt lag, welche der Tradition als lange kanaanäisch galt. Offenbar ist Ephraim bis zur Schaffung der nordisraelitischen Residenz Schomron (Samaria) mit am meisten ein Verband bergsässiger freier Großbauern geblieben, auf deren Wehrkraft Israels Macht dereinst so sehr beruhte, daß der Stammesname später sehr regelmäßig schlechthin für das ganze Nordreich gebraucht wurde. Aber eine alte Reminiszenz muß Ruben, Simeon, Levi, welche in den Sagensammlungen vorangestellt werden und von der älteren Schwester Lea abstammen, als Kern des Bundes gekannt haben. Juda dagegen taucht überhaupt erst in verhältnismäßig späten Sagensprüchen auf und gewinnt seine Stellung erst seit

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David. Dem Feldherrn Sauls, Abner, galten die Judäer noch als „Hundsköpfe“.

Dieser in seinem Bestand labile israelitische Bund verfügte bis zur Königszeit, soviel ersichtlich, über dauernde politische Organe überhaupt nicht. Die Stämme stehen in gelegentlicher Fehde miteinander. Das religiöse Völkerrecht, welches z. B. das Umhacken der Fruchtbäume untersagte, galt, wenn es überhaupt in alte Zeit zurückgeht, vermutlich gerade für solche Fehden innerhalb des Verbandes. Die Bundesglieder versagen im Deboralied teilweise die Bundeshilfe. Gelegentlich, aber nicht immer, führt das zur Verfluchung und zum Heiligen Krieg gegen den Eidbrüchigen. Ein gemeinsames Indigenat besteht nicht. Ein solches hatte anscheinend nur der Stamm. Schwere Verletzung des Metökenrechtes, welches jeder Israelit in jedem anderen Stamm genoß, rächte allerdings unter Umständen der Bund. Irgend ein einheitliches Gericht oder eine einheitliche Verwaltungsbehörde irgendwelcher Art bestand aber offenbar in Friedenszeiten nicht. Die Bundeseinheit äußerte sich darin, daß ein von Jahwe beglaubigter Kriegsheld oder Kriegsprophet regelmäßig Autorität auch über die Grenzen seines Stammes hinaus beanspruchte. Zu ihm kam man von weither, um Rechtshändel schlichten zu lassen oder Belehrung über kultische und sittliche Pflichten zu suchen. Derartiges wird von Debora ( Jud. 4, 5) berichtet, und die heute vorliegende Redaktion der Tradition hat sämtliche charismatische Kriegshelden der alten Bundeszeit zu „Schofetim“: „Richtern“ Israels gemacht, welche, in ununterbrochener Reihe aufeinander gefolgt wären, in ganz Israel richterliche Autorität genossen hätten und deren letzter, Samuel, während seines Amts alljährlich Bethel, Gilgal und Mizpa bereist habe (I. Sam. 7, 15. 16), um „Recht zu sprechen“ und dann, nach Erwählung des Königs, sein Amt wie ein römischer oder hellenischer Polis - Beamter auf Grund eines öffentlichen Rechenschaftsberichts und der Aufforderung, etwaige Klagen gegen ihn jetzt vorzubringen, nach empfangener Decharge feierlich niedergelegt habe (I. Sam. 12). Die Tradition über Samuel ist ohne Frage eine deuteronomistische königsfeindliche Konstruktion, welche das Verhalten des idealen, Jahwe wohlgefälligen Fürsten paradigmatisch im Gegensatz zu den Königen der Gegenwart vorführt. Wie aber steht es mit der prinzipiellen

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Stellung der „Schofetim“ ? Während Stade die Ansicht vertritt1), daß die spätere Tradition ganz einfach die alten Kriegshelden Jahwes nachträglich zu friedlichen „Richtern“ gestempelt habe, hat Klostermann in geistreicher Art die „Richter“ Israels mit den „Gesetzessprechern“ (lögsögumadr) der nordischen, vor allem der isländischen Praxis: den Trägern der mündlichen Rechtsüberlieferung und Vorläufern der schriftlichen Rechtsfixierung, in Parallele gestellt2). Er sucht auf diese Art namentlich die Entstehung und literarische Eigenart der vor - exilischen Rechtsbücher zu erklären, welche ebem aus den öffentlichen Rechtsbelehrungen dieser „Gesetzessprecher“ entstanden seien. Die namentlich von Puukko eingehend bekämpfte Hypothese enthält nach zahlreichen rechtssoziologischen Analogien einen gewissen Wahrheitswert. Ueberall entwickelt sich das Recht zunächst durch Rechtsorakel, Weistümer, Responsen charismatisch qualifizierter Träger der Rechtsweisheit. Aber nicht überall nehmen diese die sehr spezifische Stellung der nordischen Gesetzessprecher ein, deren Amt - denn das war es - mit der Organisation der germanischen Gerichtsgemeinde eng zusammenhing. Die von der jetzigen Redaktion der Tradition sogenannten „Richter“ hatten offenbar ein untereinander sehr verschiedenes Gepräge, waren aber im allgemeinen weit davon entfernt, die eigentlichen Träger der Rechtsweisheit zu sein. Die normale Rechtsweisung legt die Tradition in die Hände der sekenim (Aeltesten). Das Ordal andererseits und das reguläre Prozeßorakel war Sache der Priester und das letztere wurde, wie später zu erwähnen, in älterer Zeit durch rein mechanische Mittel (Los) erzielt. Im übrigen aber erwähnt die Tradition sehr verschiedene Bezeichnungen von Honoratioren, welche innerhalb der einzelnen Stämme traditionelle Autorität genossen. Für eine charismatisch geübte Rechtsweisung konnte also nur neben all diesen Quellen der Rechtsfindung Raum sein. Die Gestalten der „Schofetim“ nun, welche die heutige Fassung des sog. Richterbuchs uns vorführt, sind sehr verschiedener Art. Sieht man von

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denjenigen ab, von denen nur ihre Existenz berichtet ist (Jair, Ebzon, Elan, Abdon), so gilt Simson als ein rein individuell seine Fehden ausfechtender Held, Ehud ebenso, nur mit dem Unterschied, daß er den Bedrücker Israels erschlägt, Othniel, Samgar, Barak, Gideon, Jephtha und wohl auch Thola als erfolgreiche Heerführer Israels, in Wahrheit offenbar: ihrer eignen und benachbarter Stämme. Nur von einem Teil von ihnen wird, und zwar nur ganz allgemein bemerkt, daß sie Israel im Frieden „gerichtet“ hätten. Aller Schwerpunkt liegt vielmehr in ihrer Leistung also „Heiland“, das heißt: Retter aus schwerer Kriegsnot. Daneben erscheint in einer als „heiliger Krieg“ vorgestellten. Bundesexekution ( Jud. 20, 28) ein Priester aus dem Elidengeschlecht (Pinchas) als Orakelgeber des Heeres. Reiner Priester ist Eli. Seine Söhne werden als Priester, aber zugleich als berufene Führer des Heerbanns gegen die Philister vorgestellt. Diese letztgenannten Traditionen über die Eliden sind äußerst verdächtig und spät, die Tradition über Samuel aber, der bald als Nabi, bald als Seher, bald als Prediger (I. Sam. 4, 1), bald als Nasir, bald als Priester, bald endlich als Heerführer behandelt wird, ist schlechthin unbrauchbar. Die Zeit, in der diese Darstellungen redigiert wurden, wußte von den wirklichen Verhältnissen der Bundeszeit ersichtlich nichts Sicheres mehr. Die zuverlässigste Quelle: das Deboralied, zeigt die Prophetin neben dem führenden naphtalitischen Kriegshelden Barak, der als Führer des Heerbanns eine ganze Anzahl mit ihm verbündeter Honoratioren der andern Stämme neben sich hat. Nur von Debora und von Samuel weiß die Tradition ausdrücklich zu berichten, daß sie regelmäßig „Recht gesprochen“ hätten, d. h. auf Verlangen Prozeßorakel gaben. Das gleiche berichtet die heutige Redaktion des Hexateuch von Mose. Von ihm und von Josua, außerdem nur von Samuel in einem sicher legendären Fall: der Feststellung der Königsprärogative nach Sauls Wahl, wird die Schöpfung „objektiver“ dauernd geltender Rechtsnormen und ihre schriftliche Fixierung berichtet. Für ein kontinuierlich funktionierendes „Gesetzessprechen“ nach nordgermanischer Analogie ist bei den „Schofetim“ jedenfalls kein Raum. Politische Orakel, nicht Prozeßorakel, gaben die „Propheten“ von der Art der Debora, und politisch - militärische Entschliessungen, nicht Rechtssprüche oder Weistümer, waren die spezifische Tätigkeit der charismatischen „Schofetim“. Dabei ist durchaus wahrschein-

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lich, daß beide: bewährte Propheten ebenso wie bewährte Kriegshelden, auch im Frieden für die Schlichtung von Streitigkeiten in Anspruch genommen wurden und daß die weltlichen Kriegshelden diese, wie überall, als Herrenrecht ihrerseits in die Hand nahmen, wenn sie dazu gelangt waren, ihre Herrschaft soweit zu befestigen, wie etwa Abimelech. Aber selbst die ersten Könige galten noch nicht in erster Linie als Träger oder gar Schöpfer von Recht, sondern als Kriegsführer. Bei David setzt die Tradition (2. Sam. 14, 2 f.) voraus, daß der König sich in eine Blutfehde gegebenenfalls einmischt. Aber erst Salomo hat offenbar die Rechtspflege systematisch in die Hand genommen (I. Kön. 3, 16 f.): unter ihm ist von einer von ihm erbauten Gerichtshalle die Rede (I. Kön. 7, 7). Vermutlich wegen dieser Neuerung galt er der Nachwelt als Quelle richterlicher Weisheit. Aber von einer amtlichen Fürsorge für die Einheitlichkeit des Rechtes hören wir auch bei den Königen zunächst nichts und noch unter Ahab kann der Hof zwar eine Rechtsbeugung durch Beeinflussung der Richter herbeiführen1), aber nicht der König erscheint als Richter. Erst bei Jeremia (21, 21) erscheint der König als vormittags zu Gericht sitzend. Aber das Gericht über den Propheten selbst (Jer. 26) besteht aus Beamten (Sarim) und Aeltesten (Sekenim) mit den Mannen (`am) als Gerichtsumstand (kahal ha `am).

Die Tradition könnte sich nicht so verhalten, wenn die Rechtsschöpfung den Schofetim und ihren Nachfolgern in der Macht: den Königen, als Hauptattribut eigen und die Quelle der jetzt vorliegenden Rechtssammlungen gewesen wäre. Die erwähnten vereinzelten unklaren Angaben der Tradition sind ersichtlich spätere Eintragungen einer Zeit, welche - wie wir sehen werden - das „gute alte Recht“ und den idealen pazifistischen Fürsten der verderbten Gegenwart gegenüberstellte. Auch die Rechtssammlungen selbst müßten anders aussehen, wenn sie einer für Israel ursprünglich einheitlichen regelmäßigen amtlichen Rechtsweisung entsprungen wären. Dann müßte auch ihre wirklich dauernde praktische Geltung zweifellos sein. Gerade das Gegenteil ist aber zum mindesten für das Schuldsklavenrecht,

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also den praktisch wichtigsten Teil des ganzen Sozialrechts, wie wir sahen, sicher.

Das Recht konnte sich in Israel entwickeln einmal durch die Rechtspraxis von Dingstätten, wie in aller Welt. Ein einmal ergangener Rechtsspruch galt als Präzedens, von dem ungern abgewichen wurde. „Chuk“1) scheint der alte typische Ausdruck für die durch Präzedenzfall entstandene verbindliche Sitte und Rechtsgewohnheit gewesen zu sein ( Jud. 11, 39). Der nach der so entstandenen Sitte Rechtsweisungen gebende Führer (im Deboralied auch Kriegsführer) hieß in Altisrael „chokek“2) . In den späten Quellen werden gelegentlich synonym damit Thora, Gedah, Mischpat gebraucht. Indessen Thora war in der präzisen Sprache Orakel und seelsorgerische Belehrung durch die Leviten, wie wir sehen werden, Gedah, wie weiterhin festzustellen ist, eine durch Beschluß der Heeresversammlung anerkannte Anordnung. Endlich „mischpat“ war sowohl „Urteil“ wie Rechtsnorm, also der am entschiedendsten rein juristische dieser Ausdrücke. Soweit es sich um Normen handelt, scheint er besonders gern für rational formuliertes Recht gebraucht zu werden3), im Gegensatz zu chuk. Die auf babylonischem Einfluß beruhenden Bundesbuchnormen sind mischpat, nicht chuk4). Aber beide Rechtsquellen hatten gemeinsam, daß sie nur schon geltendes oder als geltend vorausgesetztes oder fingiertes Recht anwendeten oder feststellten. Für die bewußte Neuschaffung von Recht kam in Israel zunächst das mündliche Orakel (debar Jahweh oder debar Elohim) in Betracht. In die kategorische Form eines solchen Gebotes: „Du sollst …“ kleiden auch die Theologen der späteren Zeit ihre sozialethischen Anweisungen. Die zweite Form der bewußten Neuschöpfung, Israel eigentümlich, war die feierliche „berith“, stets: nach

M a x W e b e r, Religionssoziologie III.

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vorangegangenem Orakel. Sie wurde natürlich nur in besonders wichtigen Fällen, dann aber sowohl für einmalige Maßregeln: so die Sklavenfreilassung unter Zedekia, wie für die Anerkennung dauernd geltender Normen verwendet: so kam sie nach der Tradition bei Annahme des deuteronomischen Gesetzbuchs in Anwendung. Dem Inhalt nach heute durch höchst widerspruchsvolle Interpolationen entstellt, ist dessen vermutlich echter Kern keinenfalls Produkt einer öffentlichen Gesetzessprechertätigkeit oder überhaupt von Rechtskundigen. Sondern, wie auch die Tradition erkennen läßt, Erzeugnis interner Arbeit einer spezifischen Theologen - Schule, deren Charakter hier vorerst noch unerörtert bleibt. Wieviel von den aus der Rechtsüberlieferung entnommenen Mischpatim, welche es (cap. 12 - 26) enthält, dem publizierten Kompendium ursprünglich angehörten, ist nicht sicher auszumachen. Jedenfalls aber sind sie auf stadtstaatlichem Boden gewachsen, mit Theologumena durchsetzt und eine stark theologisch geartete Fortbildung der im „Bundesbuch“ vorliegenden Rechtsnormen. Auch die Mischpatim des Bundesbuchs aber könnten nur zum kleinsten Teil gemeines Recht des alten Israel darstellen, passen für Viehzüchtergemeinschaften überhaupt nicht, sind auch keineswegs spezifisch bäuerliches Recht, sondern - nach Abzug der vermutlich interpolierten Theologumena - ein Kompromiß von Interessen, welcher die Entwicklung der typischen antiken Klassengegensätze voraussetzt. Formell ist die Struktur die, daß einem, wie Baentsch und Holzinger mit Recht darlegen, ganz leidlich systematisch geordneten Kodex von Mischpatim (Ex. 21, 1 - 22, 16) systemlos Einzel - debarim angehängt sind, die teils rechtlichen, teils sittlichen, teils kultischen Charakters sind. Materiell ist für die Mischpatim der, in hohe Vergangenheit zurückreichende, babylonische Einfluß zweifellos. Die formale juristische Technik und Präzision ist bei den rein profanen Mischpatim nicht gering, bei den debarim teilweise äußerst mangelhaft. Die Redaktion der juristischen Bestandteile muß also in den Händen erfahrener Rechtspraktiker gelegen haben, und diese können - da der König und seine Beamten nicht in Betracht kommen - wohl nur in den Kreisen der an der Rechtsfindung beteiligten sekenim, einer wichtigen und zur Rechtsbelehrung viel besuchten Gerichtsstätte Nordisraels gesucht werden, wie etwa Sichem es war. Der Inhalt dieser eigentlichen Rechtsnormen - im Gegensatz

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zu der angehängten und eingefügten Paränese - entstammt jedenfalls nicht priesterlicher Rechtsfindung. Inwieweit der im Deuteronomium erhobene Anspruch der Priester: an der Rechtsfindung beteiligt und für zweifelhafte Fälle ausschlaggebend zu sein, in vorexilischer Zeit geltendem Recht entsprach, ist durchaus fraglich. In der Königszeit muß im allgemeinen eher mit einem Zurücktreten der Bedeutung der alten Prozeßorakel gerechnet werden, wie sie auch für Babylonien zu beobachten ist1). Der deuteronomische Anspruch entspricht dem, was in Aegypten zur Zeit der Herrschaft der Amon - Priester geltendes Recht war. Die offensichtliche Beteiligung der Reflexion über die Gottwohlgefälligkeit und Billigkeit des als geltensollend dargestellten Rechts und die Beifügung der debarim bestätigen, daß es sich beim Deuteronomium um ein „Rechtsbuch“, also eine private und formell unmaßgebliche, aber nach Art des Sachsenspiegels oder der Sammlung des Manu populär gewordene Arbeit handelte, welche unter dem Einfluß theologisch interessierter Kreise entstand und durch Zusätze erweitert wurde. - Eine gemeinsame, formell maßgebliche Rechtsweisungsstätte Israels gab es in der alten Bundeszeit nach alledem nicht. Sondern nur die intermittierende, verschieden weit reichende Macht der charismatischen Kriegshelden, das Ansehen bewährter Orakelgeber und alter Kultstätten des Bundeskriegsgottes (vor allem: Silo), endlich vielleicht (aber unsicher) auch einige periodische amphiktyonische Ritualakte, wie möglicherweise jene sichemitische Segens- und Fluchzeremonie und die mehrfach ( Jud. 21, 19 und I. Sam. 1, 3) erwähnten jährlichen Jahwefeste in Silo. Formell wurde der Bund aktuell nur in Zeiten eines Bundeskriegs. Dann allerdings übte die gedah, wie vornehmlich die ganze Heeresversammlung ganz Israels genannt wird, Justiz gegen Frevler am Kriegsrecht oder an den rituellen und sozialen Geboten Jahwes. Wie der Ausdruck gedah für „Anordnung“ zeigt, konnten durch sie auch generelle Verfügungen getroffen werden. In beiden Fällen beteiligte sich das Heer selbst wohl, wie meist in solchen Fällen, durch Akklamation zu den Vorschlägen der vom Herzog aus den Aeltesten der Kontingente bestimmten Kriegsobersten, welche vielleicht den gelegentlich vorkommenden Titel „Aelteste

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in Israel“ führten. Diese werden ihrerseits vorher ein Orakel eingeholt haben.

Ueber die Verteilung der Beute, namentlich über die Teilnahme der Nicht-kombattanten daran, bestanden angeblich (nach Num. 31, 27) feste Grundsätze, die jedoch in der Erzäh lung von Davids Beuteverteilung (I. Sam. 30, 26) als eine von diesem eingeführte Neuerung erscheinen. Der Casus foederis eines Bundes-krieges, dessen Heerführer und das Ziel des Krieges wurden durchweg charis-matisch und prophetisch durch Erweckungen und Orakel Jahwes als des Kriegs-herrn des Bundes bestimmt. Als eigentlicher Herzog eines Bundeskriegs galt Jahwe selbst. Ihm persönlich, nicht nur den Eidgenossen, haben die Eidbrüchi-gen die Hilfe versagt und verfallen daher, wie Jabes, der Ausrottung. Ein Bundes-krieg war daher ein heiliger Krieg1) oder er konnte es doch jederzeit werden, und wurde in Zeiten der Not sicher immer dazu erklärt. Die gedah, das versammelte Heer, heißt im Deboralied (Jud. 5, 11) und beim heiligen Krieg gegen Benjamin (Jud. 20) ganz einfach die „Mannen Gottes“ (`am Jahwe bzw. ´am haelohim). Das hatte zunächst rituelle Folgen. In der Philisterzeit wurde nach der Samuel tradition das tragbare Feldheiligtum: die „Lade Jahwes“ in das Heerlager gebracht und nach einem in der Priestertradition erhaltenen Spruch der Gott rituell ersucht: sich, sei es aus ihr als seinem Behältnis, sei es von ihr als seinem Thronsitz, zu erheben und dem Heer voranzuziehen, nach dem Kampf ebenso: wieder Platz zu nehmen. Auch das Ephod, später ein priesterliches Bekleidungsstück, erscheint gelegentlich (I. Sam. 14, 3; 23, 6. 9; 30, 7) im Lager. Durch Verfluchung der Feinde, Orakel und Gelübde vor der Schlacht, Sagenzauber während der Schlacht wurde gesucht, Jahwes Eingreifen zu sichern. Zu den Mitteln hier für gehörten mindestens in Zeiten großer Kriegsnot auch Men schenopfer, wie sie zuletzt noch König Manasse gebracht hat. Aber auch abgesehen von jenen besonderen Gelübden, die sich in der ganzen Welt verbreitet finden, mußte im heiligen Kriege das Heer die vorgeschriebene Askese üben: vor allem Fasten und sexuelle Abstinenz. David und seine Gefolgschaft durften, nach Annahme der Tradition, vom heiligen Brot essen, wenn

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sie sich, als Krieger, sexuell enthalten hatten. Vergebens läßt David, als sich Folgen seines Ehebruchs mit Baths ba zeigen, deren Mann Uria aus dem Felde kommen, damit er selbst mit seiner Frau Umgang pflege und so die Spur verloren gehe: Uria enthält sich, der militärischen Disziplin gehorchend, des Umgangs. Der Bruch der Askese, speziell des Fastens, durch einen Einzelnen bedroht alle mit dem Zorn Jahwes und bedingt daher den Tod des Uebertreters: nur durch Opferung eines Ersatzmannes wendet das Heer diesen von Sauls Sohn Jonathan ab.

Mit der Vorbereitung zum Einbruch in Kanaan unter Josua wird von einer Tradition auch die universelle Beschneidung in Zusammenhang gebracht. Sie war den Israeliten mit den umwohnenden Völkern, mit Ausnahme der von Uebersee eingewanderten Philister, vor allem aber mit den Aegyptern gemeinsam, von denen sie, nach Herodot, Syrien und Phönizien angenommen hatten. Sie ist der einzige vielleicht von Aegypten übernommene Bestandteil des israeli-tischen Ritus. Ihr ursprünglicher Sinn ist bekanntlich Gegenstand ungeschlichteten Streits. Vielleicht galt sie in Aegypten anfänglich nicht universell, sondern für die Vornehmen1) und würde dann entweder mit der Jünglingsweihe der Krieger oder mit der priesterlichen Novizenweihe im Zusammenhang stehen. Ihr Vollzug im Kindesalter ist sicher erst Produkt späterer Zeit. Auch an Ismael vollzieht Abraham sie im 13. Jahre2). Die ätiologische Sage von Moses und Zippora im Exodus zeigt andererseits, daß sie jedenfalls auch als gegen dämonische Einflüsse beim geschlechtlichen Verkehr gerichtet galt. Inwieweit die in der rabbinischen Tradition sich öfter findende Beziehung zu der Verheißung reichlicher Nachkommenschaft alt ist, steht durchaus dahin. Dagegen zeigt sich, daß in der friedlichen nachexilischen Zeit ihre Unentbehrlichkeit für Proselyten wenigstens nicht absolut feststand. In älterer vorexilischer Zeit waren, was wohl zu beachten ist, die nicht wehrpflichtigen gerim - und das war die gesamte

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nicht bodenständige Bevölkerung des Landes - auch der Beschneidung nicht unterworfen. Dies könnte als ein Hauptargument für deren Herkunft aus der Kriegeraskese sprechen, welche das Wahrscheinlichste bleibt. Andererseits aber soll jedes Mitglied des Hausstandes, nach einer Bestimmung von allerdings unbestimmtem Alter1) auch der Sklave, beschnitten werden, und dies gilt (Ex. 12, 48) als Voraussetzung der Teilnahme am häuslichen Passahmahl. Die Spuren der Herkunft bleiben also etwas vieldeutig. Daraus, daß der Unbeschnittene ('arel) später in einen besonderen Hades gelangt (Hes 31 18; 32, 18) ist auch nichts Sicheres zu entnehmen2). Jedenfalls galt der fremde Unbeschnittene in spezifischem Sinn als ritueller Barbar und Vorhäute der Feinde wie in Aegypten nach Art der indianischen Skalpe als Trophäen. Das weitaus Wahrscheinlichste ist alles in allem, daß sie ursprünglich mit der Kriegeraskese und Jünglingsweihe der Jungmannschaft irgendwie zusammenhängt: Ob außerdem etwa mit irgendwelcher dabei im Ursprungsland üblicher phallischen Orgiastik, bleibt wohl für immer im Dunkeln3). Hygienisch rationalistische Deutungen, wie sie noch immer vorkommen, sind jedenfalls hier wie meist ganz besonders unwahrscheinlich.

Neben die Maßregeln zur Heiligung des Heeres trat nun im heiligen Krieg das rituelle Tabu für die Beute: deren Weihung an den Kriegsgott des Bundes, der Cherem, der zur Zeit der nachexilischen Umwandlung in eine befriedete konfessionelle Gemeinde als Exkommunikation inkorrekt lebender Gemeindegenossen fortlebte. Reste privater Tabuierung scheinen sich auch in Israel zu finden. Die Tabuierung und Opferung der ganzen oder eines Teils der lebenden und toten Beute an den

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Gott aber war sehr universell verbreitet und namentlich in Aegypten bekannt, wo der König kraft ritueller Pflicht die Gefangenen abschlachtete. Die Feinde galten hier wie dort als Gottlose: von ritterlichem Empfinden findet sich in keinem von beiden Fällen eine Spur. Der Cherem im Kriege konnte verschieden weit gehen, und jedenfalls zeigen die Regeln über die Beutetei1ung, daß die Tabuierung der gesamten Beute: Männer, Weiber, Kinder, Vieh, Häuser, Hausrat nicht die Regel war. Zum Teil wurden nur die erwachsenen Männer: „Alles was an die Wand pißt“ oder wohl auch nur die Fürsten und Honoratioren, als Opfer geschlachtet. Außerhalb des heiligen Krieges unterschied, wie der Islam, so auch das altisraelitische Kriegsrecht zwischen Feinden, die sich freiwillig unterwarfen und solchen, die im Kampf verharrten und beließ den ersteren das Leben (Deut. 20, 11). Danach ist auch gehandelt worden, und zwar innerhalb sowohl wie außerhalb des kanaanäischen Gebiets. Erst die prophetisch beeinflußte Theorie von der spezifischen Heiligkeit des von Gott verheißenen Landes, wie sie in Elias Zeit zuerst hervortritt, verlangte die absolute Reinigung dieses Gebiets von Götzendienern (Deut. 7, 2. 3). Und nur die Theorie der Kriegsprophetie, dann des Exils und die Entwicklung des Judentums zur Konfession neigte sich dem fanatischen Grundsatz zu, daß man den Landesfeind schlechthin auszurotten habe1). Abgesehen davon, daß bei weitem nicht alle Kriege, sondern nur die des Bundes als solchem, und vielleicht auch sie nicht immer, als heilige Kriege galten, zeigt der Gegensatz im Verhalten Sauls gegen die Anforderungen, welche die Tradition dem Samuel in den Mund legt, die relative Jugend der letzten Konsequenzen des Cherem. Diese wurden nun aber mit rücksichtloser Schärfe auch in der Gestaltung der Ueberlieferung durchgeführt und dieses wesentlich theoretische blutige Kriegsrecht brachte jene eigentümliche Verbindung einer fast wollüstigen Grausamkeitsphantasie mit den Geboten der Milde gegen die Schwachen und Metöken hervor, welche manchen Partien der heiligen Schriften ihr Gepräge gibt.

In Verbindung mit der allgemeinen Kriegeraskese kennt die israelitische Kriegsführung auch die Erscheinungen der Krieger-

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ekstase in ihren beiden auch sonst verbreiteten Formen. Entweder als Gemeinschaftsekstase, wie sie der Kriegstanz und die Fleisch- oder Alkoholorgie der Krieger erzeugen. Davon finden sich einige Spuren in der Tradition, deren deutlichste das den Philistern unheimliche Kriegsgeschrei (Teru`ah I. Sam. 4, 5) der Israeliten nach dem Eintreffen der Lade Jahwes im Kriegslager ist (vermutlich doch: ein Kriegstanz um diese) und das gelegentlich (I. Sam. 14, 32) erwähnte Essen rohen Fleischs und Bluts (entgegen also dem normalen Ritual) nach der siegreichen Schlacht. Oder als individuelle charismatische Heldenekstase, wie sie sich sehr universell verbreitet bei den Helden vom Typus des Tydeus oder Cuchullin oder der „Amok - Läufer“ und in typischer Art vor allem bei den nordischen „Berserkern“ findet, deren Ekstase sie in einem Rausch von tollwutartigem Blutdurst sich in die Mitte der Feinde stürzen und halb besinnungslos abschlachten läßt, was um sie ist1). Ein typischer Berserker dieser Art ist der Simson der Sage, einerlei ob er seinem Ursprung nach, wie der Name (Schamasch) nahelegt, aus einem Sonnenmythos stammt. Wenn der Geist Jahwes über ihn kommt, so zerreißt er Löwen, steckt Felder in Brand, reißt Häuser ein, schlägt mit beliebigen Werkzeugen beliebige Massen von Menschen tot und verübt andere Akte wilder Kriegswut. Er steht sicher als Vertreter eines Typus in der Tradition. Zwischen dem als ekstatischen Berserker auftretenden Einzelhelden und der nur akuten Gemeinschaftsekstase des Kriegstanzes in der Mitte steht das asketische Training einer berufsmäßigen Kriegerschaft zur Kriegsekstase. Eine solche ist in Rudimenten wohl in den „Nasiräern“ zu finden, den „Abgesonderten“1), ursprünglich wohl sicher asketisch geschulten Kriegsekstatikern, welche - das einzig sicher Ueberlieferte - ihr Haar ungeschoren ließen und sich des Alkohols, ursprünglich wohl auch des Sexualverkehrs, enthielten2). Auch Simson galt als solcher und ging in der ursprünglichen Legende wohl deshalb zugrunde,

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weil er sich zum Bruch des sexuellen Tabu hatte verführen lassen. Die Nasiräer als Kern des Heeres finden sich in dem zweifellos alten Segensspruch des Mosessegens über Joseph (Deut. 33, 16), und das „langwallende Haar“ ( ?) der Mannen (`am), die sich zum Kriege weihten (hithnadeb), erscheint im Anfang des Deboraliedes. In der späteren pazifistischen Entwicklung ist der Nasiräat zu einer Kasteiungsaskese kraft Gelübdes mit rituell exemplarischer Lebensführung, vor allen mit Enthaltung von Verunreinigung, geworden, - was er ursprünglich sicher nicht war, denn der Simson der Sage rührt Aas (des Löwen) an, gilt aber als Nasir. Das überlieferte Nasiräer - Ritual (Num. 6) hat schon diesen Charakter. Ursprünglich war, neben der magischen Vorbereitung für die Ekstase, wohl gerade die Erhaltung der physischen Vollkraft der Zweck jener Vorschriften. Graf Baudissins Hypothese, daß der in den Rechtsbüchern durch eine Ablösungsgebühr ersetzte alte Anspruch Jahwes auf alle menschliche Erstgeburt ursprünglich die Verpflichtung der Eidgenossen bedeutet habe, ihm den Aeltesten als nasiräischen Berufskrieger zu weihen, - womit man dann noch die Vorschrift des doppelten Erbanteils für den Aeltesten, um ihn ökonomisch „abkömmlich“ zu machen, kombinieren könnte, - bleibt eine ansprechende, aber nicht sicher zu beweisende Vermutung, für welche vor allem der enge Zusammenhang zwischen den „Nasiräern“ und „Erstgeborenen“ im Mosessegen für Joseph (Deut. 33, 16. 17) sprechen könnte. Jedenfalls macht es die Erwähnung der Nasiräer in beiden Sagensprüchen über Joseph wahrscheinlich, daß in diesem Stamm zur Zeit dieser Sprüche ein Kern von jahwistischen Glaubenskämpfern, eine Art jahwistischer Kriegsorden also (wenn man den Ausdruck zulassen will), der Träger der Kampfkraft gewesen ist. Näheres zu wissen ist unmöglich. Ebenso können wir nur sehr undeutlich die Beziehungen des alten Nasiräats zu einer andern aus der Zeit des alten Bauernheerbanns herrührenden Erscheinung erkennen: den Nebijim1). Beide

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hatten enge Berührungen. Samuel wird in der Tradition von den Eltern in einer Art zum Jahwedienst geweiht, die dem Nasiräat entspricht und gilt einer allerdings fragwürdigen Ueberlieferung als Kriegsheld gegen die Philister. Andererseits aber gilt er auch als Nabi und Haupt einer Nebijim - Schule. Der Nasir, der Kriegsekstatiker, stand, wie immer man diese Tradition bewertet, in jedem Fall dem Nabi, dem magischen Ekstatiker, nahe. Daß Nasir und Nabi ineinander übergehen, entspricht auch durchaus dem sonst bekannten Wesen von Glaubenskämpferorganisationen.

Die „Nebijim“ sind in keiner Art eine Israel oder Vorderasien allein eigentümliche Erscheinung. Daß weder in Aegypten (vor der Ptolemäerzeit) noch in Mesopotamien die Existenz ähnlicher Formen der Ekstase bezeugt ist, sondern nur für Phönizien, hat sicherlich seinen Grund lediglich in der Diskreditierung der orgiastischen Kulte und der bürokratischen Reglementierung und Verpfründung der Mantik schon in der Frühzeit der Großkönigtümer, wie in China. „Propheten“ heißen in Aegypten einfach die Inhaber bestimmter Arten von Tempelpfründen. In Israel aber wie in Phönizien und Hellas blieb, wie in Indien, die prophetische Ekstase infolge des Fehlens der Bürokratisierung eine lebendige Macht, und in Israel insbesondere stand sie in der Zeit der Befreiungskriege als Massenekstase in Verbindung mit der nationalen Bewegung. Die israelitischen Nebijim unterschieden sich im Wesen offenbar nicht von den schulmäßigen Berufsekstatikern, die wir über die ganze Erde hin verbreitet finden. Ihre Rekrutierung erfolgte nach persönlichem Charisma und war, wie die geringschätzige Behandlung durch die spätere Tradition erkennen läßt, stark plebejisch. Sie tätowierten sich offenbar (I. Kön. 20, 41), ähnlich den indischen Mendikanten, an der Stirn und trugen eine Tracht, zu welcher vor allem eine besondere Art von Mantel gehörte, durch dessen magisch wirkendes Ueberwerfen, scheint es, das Schulhaupt (der „Vater“) seine Jünger oder Nachfolger designierte. Sie trieben gemeinsam ihre Uebungen in besonderen Behausungen, anscheinend zuweilen auf Bergen (so dem Karmel); doch werden auch in einigen israelitischen Orten (Gibea, Rama, Gilgal, Bethel, Jericho) „Nebijim“ erwähnt. Dauernde Askese oder Familienlosigkeit werden für sie nicht überliefert (2. Kön. 4, 1). Musik und Tanz gehörten hier wie

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sonst zu den Mitteln der Erzeugung der Ekstase (2. Kön. 3, 15). Die Nebijim des phönikischen Baal, welche unter der Omriden - Dynastie in Nordisrael Eingang fanden, verwendeten einen Hinktanz um den Altar mit orgiastischer Selbstverwundung als Regenzauber. Selbstverwundung und auch (I. Kön. 20, 35 f.) gegenseitige Verwundung gehörten neben der Erzeugung kataleptischer Zustände und Irrereden auch zu den Praktiken der Jahwe - Nebijim, ohne daß wir über die Einzelheiten Genaueres wüßten. Der Zweck war der Erwerb magischer Kräfte. Die Mirakel, welche (2. Kön. 4, 1 f.; 4, 8 f.; 4., 18 f.; 4, 38 f.; 4, 42 f.; 6. 1 f.; 8, 1 f.) von dem letzten Meister der Zunft, Elisa, erzählt werden, tragen durchaus das typische Gepräge der berufsmäßigen Zauberei, wie sie in indischen und andern Magierlegenden sich finden. Und wie alle solche ekstatischen Zauberer wurden - wie jene Zaubergeschichten (und die von Elia überlieferten) erkennen lassen - Nebijim teils als Medizinmänner, teils als Regenzauberer in Anspruch genommen, teils aber traten sie wie die indischen Naga und die ihnen am ehesten vergleichbaren Derwische, als Feldkapläne und wohl auch direkt als Glaubenskämpfer in Aktion. Als Kriegspropheten traten die Jahwe - Nebijim in Nordisrael beim Beginn der Nationalkriege auf, vor allem in den Befreiungskämpfen gegen die unbeschnittenen Philister, die ja recht eigentlich Religionskriege waren. Aber wohl damals nicht zum erstenmal, sondern in allen eigentlichen Befreiungskriegen - deren erster der Deborakrieg war - ist offenbar auch die ekstatische Prophetie hervorgetreten. Sie hatte zunächst nichts mit irgendeiner „Weissagung“ zu tun (das Orakel war ja zu Gideons Zeit reines Losorakel), sondern ihr Werk war, wie bei Debora, der „Mutter Israels“: Aufruf zum Glaubenskampf, Verheißung des Sieges und ekstatischer Siegeszauber. Daß freilich diese ekstatische Kriegsprophetie Einzelner mit der späteren schulmäßigen Nabi - Ekstase in direkter Verbindung stand, ist nicht sicher erweislich: das Deboralied und das Richterbuch kennt die letztere nicht.

Aber Beziehungen bestanden wohl sicher. Denn die Kriegsekstase war keineswegs auf die individuelle Ekstase der charismatischen Berserker und Kriegspropheten der früheren und die Massenekstase der Derwischbanden der späteren Zeit des bäuerlichen Heeres beschränkt. Sondern es finden sich überall die Verbindungsglieder. Nicht nur wird von den charismatischen

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Kriegsführern der sogen. Richterzeit sicher ein erheblicher Teil, wenn nicht alle, den Charakter von Kriegsekstatikern gehabt haben, sondern vor allem auch von dem ersten König Israels ist dies ausdrücklich überliefert. Und zwar im Zusamenhang mit Beziehungen zu den Nebijim. Nach einer Tradition, die den Sachverhalt nicht mehr verstand, gerät Saul angeblich „zufällig“ nach seiner den „Geist Jahwes“ vermittelnden Salbung unmittelbar vor seinem öffentlichen Auftreten als König in eine Gesellschaft von Nebijim hinein und wird selbst von der Nabi - Ekstase erfaßt (I. Sam. 10). Aber auch später, noch während seines Kampfs gegen David, erfaßt ihn (I. Sam. 19, 24) bei einem wiederum angeblich zufälligen Besuch in Samuels Nabischulen, die Ekstase, so daß er nackt umhergeht, irre redet und einen ganzen Tag in Ohnmacht ist. In einem von Jahwe gesandten heiligen Wutanfall zerstückt er bei der Nachricht von den Kapitulations-verhandlungen von Jabes den Ochsen und ruft ganz Israel unter religiösem Fluch gegen die Säumigen zum Befreiungskampf auf. Seine Anfälle von Wut gegen David wertete die davididische Tradition als Folge eines bösen, aber ebenfalls von Jahwe stammenden, Geistes. Er war offenbar ein kriegerischer Ekstatiker wie Mohammed. Aber ebenso wie Saul weilt auch David in Samuels Nabi-wohnungen. Er tanzt vor der Bundeslade, als sie im Triumph eingebracht wird. Wie die Beziehung im einzelnen ausgesehen hat, ist aus solchen Nachrichten nicht mehr feststellbar, aber sie bestand.

Wie die Ekstasen Sauls, so wird aber von der späteren Tradition auch dieser ekstatische Akt Davids halb schonend entschuldigt. Ihr erschienen diese Züge als unköniglich. Michal, Davids Weib, spricht es ausdrücklich aus, daß ein König sich nicht benehmen dürfe „wie ein Plebejer“, und der Spruch: „Wie kommt Saul unter die Nebijim ? wer ist ihr (der Nebijim) Vater ?“ drückt das genau Entsprechende aus: die Verachtung dieser würdelosen Plebs. Einerseits die noch zu erörternde veränderte Stellung der literarisch gebildeten Schichten der späteren Königszeit zu den alten Ekstatikern spricht dabei mit. Andererseits die inzwischen veränderte Stellung dieser Derwische infolge der seit Davids Stadtresidenz, endgültig aber seit Salomo, durchaus veränderten Struktur des Königtums. Vor seiner Etablierung als Stadtkönig war David ein charismatischer Fürst im alten Sinn, den der Erfolg allein als Gottesgesalbten legitimierte.

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Als daher die Amalekiter die Herden und Weiber seiner Gefolgschaft geraubt haben, gerät er in Gefahr, von dieser kurzerhand als dafür verantwortlich erschlagen zu werden. Anders wurde das mit der endgültigen Begründung der erbcharismatischen stadtsässigen Monarchie und der Aenderung der Heeresverfassung, welche auf diese folgte. Salomo importierte Rosse und Wagen aus Aegypten und schuf damit das Ritterheer. Die königliche Manage bestand mindestens für die Leibtruppen und einen Teil, wenn nicht alle, Wagenkämpfer (I. Kön. 10, 26), die unter Salomo als in besondern „Wagenstadien“ untergebracht auftreten. Seitdem vermutlich heißt in der Redaktion der Tradition das „Heer“, z. B. das Wagenheer des Pharao, einfach dessen „Vermögen“ (chail), der königliche Oberst darüber der „sar chailim“. Dazu traten leiturgiepflichtige Königshandwerker und Untertanenfronden für die Festungs-, Palast- und Tempelbauten und auch für die Bestellung des sich ausdehnenden Königslandes, königliche Beamte mit Pfründen und Landleben als Offiziere und wenigstens in den Residenzen auch als Richter, ein königlicher Drillmeister für die Heeresmannschaft, ein Kronschatz als Machtmittel und für Spenden an die Getreuen, zu seiner Speisung Eigenhandel des Königs auf dem Roten Meer und Abgaben der unterworfenen Fremdgebiete, aber auch regelmäßige Naturalabgaben der in 12 Bezirke eingeteilten Untertanen zur monatlich reihumgehenden Versorgung der königlichen Tafel, schließlich auch Arbeitsfronden nach ägyptischer Art. Ein regulärer Harem, Verschwägerungen und Bündnisse mit den Herrschern der großen Mächte, vor allem Aegyptens und Phöniziens, um Weltpolitik treiben zu können, im Gefolge davon Import fremder Kulte, teils nur in der Form von Hofkapellen für die fremden Prinzessinnen, teils aber auch durch Einfügung der fremden Götter in die eigenen Kulte, waren die sofort eintretenden Konsequenzen der Königsmacht. Das Königtum gewann so die bei den großen Kriegsmächten des Orients typischen Züge. Die königlichen Schreiber, der Kanzler, der Majordomus, der Rentmeister und der typisch ägyptische Rangtitel „Freund des Königs“ (re`eh hamelech) treten auf. Auch weltliche Stellen sind mit Priestern oder Priestersöhnen, als den Schreibkundigen, besetzt (I. Kön. 4, 1 f.) und das bedeutete hier, wie überall, eine Steigerung der Macht der schulmäßig gebildeten Priester an Stelle der charismatischen Ekstatiker.

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Aber dazu trat noch anderes. Aus der lockeren Eidgenossenschaft von Bauern, Hirtensippen und kleinen Bergstädten versuchte durch alle jene Mittel Salomo ein straff organisiertes politisches Gebilde zu schaffen. Zwölf geographische königliche Verwaltungsbezirke traten an die Stelle der durch den Jahwebund vereinigten Stämme: diese wurden jetzt Phylen, wie sie in allen antiken Stadtstaaten für die Repartierung der Staatslasten bestanden. Der größte Teil des Herrenstammes Juda scheint als Hausmacht eximiert gewesen zu sein, wie in den meisten monarchischen Staatenbildungen. Im übrigen knüpfte die Gliederung wohl meist an die Grenzen der alten Stämme an. Die Teilung Josephs in Ephraim und die beiden Manasse hängt vielleicht damit zusammen. Die Stereotypierung der 12 Stämme Israels erhielt wohl erst dadurch ihren Abschluß. Der wiederholte Abfall der Nordstämme änderte nach der Gründung von Samaria gar nichts daran, daß beide Reiche seitdem diesen Charakter behielten. Damit aber und vor allem mit dem steigenden Gewicht des Wagenkämpferheeres mußten der alte ekstatische Heldencharismatismus ebenso wie der alte Bundesheerbann an Bedeutung schwinden. Das stehende Heer: die königlichen Leibgarden und Soldtruppen, gewannen auf Kosten des alten bäuerlichen Aufgebots zunehmende Bedeutung. Die alten Gibborim waren wohl nur die panhopliefähige „classis“ (römisch gesprochen) des Eidgenossenheeres gewesen. Mit der nunmehr steigernden Kostspieligkeit der Ausrüstung aber wurden sie eine Ritterschaft, zu deren Gunsten der Heerbann der Gemeinfreien zunehmend zurücktrat. Die Grundlage der königlichen Heeresmacht bildeten in zunehmendem Umfang die Magazine und Arsenale, welche namentlich für Hiskia (2.Chron. 32, 28) erwähnt werden. Damit trat jene Entmilitarisierung der bäuerlichen Schichten ein, von der schon gesprochen wurde. Der durch die Stadtentwicklung eingetretene Zustand verhielt sich an sich zu dem der alten israelitischen Eidgenossenschaft etwa so wie die Hegemonie der „Großmächtigen Herren von Bern“ zu dem ursprünglichen Bauernbund der Schweizer Urkantone. Wesentlich verschärfend aber trat dabei in Israel hinzu die Herrschaft des Fronkönigtums. Man wußte sehr gut, daß der alte Bund und sein Heer sozial anders ausgesehen hatten und als etwas Neues wurden die Steuern und Königsfronden der freien Israeliten bitter empfunden.

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Die alten Vorkämpfer der Freiheit, die Nebijim, wurden von der eingetretenen Aenderung stark betroffen. Sie waren die geistlichen Lenker der alten Bauernaufgebote gewesen. Mirjam, Debora, nach der späteren (fragwürdigen) Tradition auch Samuel, die alten Berserker - Helden und die Banden der Derwische galten der populären Erinnerung als die vom „Geist“ des Bundeskriegsgotts ergriffenen Träger der echten frommen Heldengesinnung. Der Feind waren die wagenkämpfenden Ritter gewesen - ägyptische, kanaanäische und philistäische -, gegen welche Jahwe durch die Erweckung der Helden- und Prophetenekstase dem Bauernheer den Sieg verliehen hatte. Jetzt aber wurde das Heer der eigenen Könige selbst ein Aufgebot geschulter wagenkämpfender Ritter und fremdstämmiger Söldlinge, in welchen für die Nebijim und Nasiräer kein Platz mehr war. Auch die Nabi - Ekstase und die Nasiräer - Askese wurden also - dies war ein religionsgeschichtlich sehr wichtiger Zug dieser innerpolitischen Entwicklung - entmilitarisiert. Wir sahen schon, wie der Degout der höfischen Gesellschaft gegen Davids ekstatischen Tanz der Michal in den Mund gelegt wurde. Einen „Verrückten“ nennt ein Offizier Jehus jenen Nabi, der von dem Haupt der Jahwe - Nebijim, Elisa, geschickt wurde, um dem Feldherrn die Salbung zum Gegenkönig anzubieten. Bei dieser von den Rechabiten unterstützten jahwistischen Revolte Jehus gegen die Omridendynastie traten unter der Führung des Elisa auch die von ihm geführten ekstatischen Nebijim noch einmal als politischer Faktor hervor. Es fällt aber auf, daß in den Berichten über die Nebijim Elisas die ekstatischen Erscheinungen wesentlich temperierter erscheinen als in der Saul- und Samuel - Tradition: nicht vagierende, dionysisch rasende Banden, sondern durch Musik zur Ekstase angeregte seßhafte Schulen sind ihre Träger. Und es ist überhaupt das letzte Mal, daß wir in dieser Art von ihnen als einem politischen Faktor hören. Die nächste Erwähnung ist eine negative: der Prophet Amos verwahrt sich unter Jerobeam II. dagegen, ein „Nabi“ zu sein. Damit war offenbar gemeint: ein berufsmäßig geschulter Ekstatiker, der daraus ein Gewerbe macht. Denn an anderen Stellen braucht auch Amos den Namen Nabi als Ehrentitel. Aber immer wieder kehrt bei den Schriftpropheten die Klage über die Lügenhaftigkeit und Verderbnis der Nebijim. Damit sind stete Berufsekstatiker gemeint.

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Daß die berufsmäßige Nabi - Ekstase nur teilweise politisch orientiert, im übrigen aber ein einfacher Erwerb als Magier war, geht aus den Quellen deutlich hervor. Einen nationalisraelitischen Charakter hatten offenbar diese freien Nebijim nicht. Sie stellen ihre Dienste unter Umständen auch Nichtisraeliten zur Verfügung. Elisa geht nach Damaskus und der Feind Ahabs, König Benhadad, läßt ihn konsultieren. Auch seinem am Aussatz erkrankten Feldhauptmann gibt er ein magisches Heilmittel an, durch welches dieser zum Jahwe - Verehrer bekehrt wird. Er verkündet dem Feldherren des Damaskenerkönigs, Hasael, dem späteren Todfeinde Israels, seine Bestimmung zur Krone des Aramäerreichs. Ebenso steht er auch dem eigenen König auf Verlangen als ekstatischer Zauberer im Moabiterkrieg zur Verfügung. Aber in festem Dienst steht er nicht: er gilt der Tradition als Leiter einer Gemeinschaft freier Nebijim. Die im Königsdienst steherden Nebijim waren in Phönizien alt. König Ahab hatte Baal - Nebijim seiner phönikischen Frau in seinen Diensten, aber, da er seine Kinder jahwistisch benannte, sicher auch Jahwe - Nebijim. Beide in der von jeher in Syrien typischen Art: als Pfründner, die an der königlichen Tafel lebten. Offenbar gab es aber damals schon eine Kategorie von Nebijim, welche jede Verwertung des ekstatischen Charisma zu irgendwelchen Erwerbszwecken perhorreszierte. Dieser Standpunkt wird, mit fraglichem Recht, dem Elisa zugeschrieben. Er schlägt den Schüler, der Entgelt nimmt, mit Aussatz. Das entspricht dem, was wir bei den Intellektuellenschichten auch anderer Länder, bis zu den hellenischen Philosophen, als Gebot der Standesehre wiederfinden und diesen Anschauungen entsprang auch die Ablehnung des Nabi - Titels durch Amos. Sowohl jene berufsmäßigen Königsnebijim wie auch diese Schicht von freien Nebijim aber, welche sich als Hüter der reinen Jahwe - Tradition fühlten, sahen sich, da ihre unmittelbar militärische Bedeutung als Glaubenskämpfer seit der Wagenkampftechnik fortfiel und nur, für die ersteren, eine Art magische Feldkaplanschaft blieb, jetzt darauf hingewiesen, vor allem die andere, solchen Ekstatikern eigene Gabe zu pflegen: die ekstatische Weissagung.

Die Beziehung der Nabi - Ekstase zur Weissagung ist zweifellos alt, wie schon der Zusammenhang des (nicht hebräischen) Wortes „Nabi“ mit dem Namen des babylonischen Orakelgotts nahelegt. Daß die phönizischen Stadtkönige schon der Ramessidenzeit

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sich Ekstatiker als Propheten hielten und nach deren Weisungen ebenso handelten, wie die mesopotamischen Könige nach den Orakeln der Tempelpriester, zeigt die Reisebeschreibung des ägyptischen Schreibers und Abgesandten des Amonpriesters Wen Amon, aus der Zeit etwa des Deboraliedes, für Byblos. Einer der Propheten des Königs gibt in der Ekstase ein Orakel, welches die gute Behandlung des Gastes empfiehlt und danach wird gehandelt. Die alten charismatischen Kriegsfürsten Israels hatten entweder ihrerseits den Gott direkt um ein Omen gebeten oder ihre Entscheidung an ein bestimmtes Zeichen geknüpft: so, nach der Tradition, Gideon dreimal nacheinander. Oder sie waren von einem ekstatischen Nabi zum Krieg aufgerufen worden, wie vor allem Barak von Debora. Zum erstenmal von Saul wird in der historischen Tradition berichtet, daß er einen „Seher“ (Roch), der zugleich Nabi war (Samuel), von sich aus um ein Orakel und um magisch wirksamen Segen für das eigene und Fluch gegen das feindliche Heer bat. Die gleichen Leistungen schrieb dann die Legende für die Vorzeit dem ebenfalls als ein, politischen Zauber bewirkender, Roch und zwar, wie die etwas unklaren Andeutungen (Num. 24, 1) beweisen, als Ekstatiker, aufgefaßten Moabiter oder Midianiter Bileam zu. Er wird von der Legende eingeführt als herbeigeholt durch den feindlichen König und von Jahwe wider seinen Willen gezwungen, Israel zu segnen. Indessen das entstammt späteren Vorstellungen vom Wesen der prophetischen Berufung. Bileams Segenssprüche für Israel und Unheilsdrohungen gegen Amalek, Kain, Edom entsprechen den überall typischen Heilsprophetien.

Da die historische Situation, welche sie voraussetzen, derjenigen der Zeit der ersten Könige entspricht, darf man in den ihn zugeschriebenen Sprüchen die ersten sicheren Repräsentanten einer Heilsprophetie für Gesamtisrael sehen. Für den Zusammenhang der Figur Bileams mit der gerade für Nordisrael typischen Art von Ekstatik sprechen dabei die Vorwürfe, welche ihm später (Num. 31, 16; 25, 1) gemacht wurden. Ueber diesen Heilsspruch zeitlich rückwärts führen einige der Segenssprüche in den Sammlungen dieser. So vor allem der für den Stamm Joseph im Jakobsegen (Gen. 49, 22 f.), in älterer Fassung im Mosessegen (Deut. 33, 13 f.). Aber er scheidet sich dadurch von jenem Bileamspruch, daß er offenbar nicht den Zweck magischer Beeinflussung bestimmter politischer Ereignisse hatte.

M a x W e b e r, Religionssoziologie III.

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Er war keine Heilsprophetie, sondern vermutlich ein bei Stammesfesten von Barden vorgetragenes Preislied auf das schöne, fruchtbare Land des Stammes, verbunden mit dem Erflehen des Segens des Dornbusch - bewohnenden Jahwe für die tapferen Nasiräer und Erstgeborenen des Stammes. Aehnlich fleht der zweifellos spätere Mosesspruch über Juda (Ex. 33, 7) den Segen auf diesen Stamm herab, der als von Feinden bedrängt, aber zum Hegemon des Bundes designiert gilt. Er scheint indessen wesentlich literarischen Charakters zu sein. Die andern Stammsprüche sind teils allgemeine Preislieder auf den Landbesitz oder das Heer des Stammes, oder umgekehrt Tadel- und Spottverse oder, wie bei Ruben, Simeon, Levi, nachträgliche Rechtfertigungen ihres Untergangs, sämtlich aber ohne eigentlich prophetischen Charakter. Ein anderes Gepräge trägt nur der Spruch für Juda im Jakobsegen (Gen. 49, 9 f.). Er enthält neben dem Lobe des weingesegneten jüdischen Landes die Zusicherung, daß dieser Stamm das Szepter behalten und daß aus ihm der große Held Israels kommen werde. Der Spruch ist ganz offenbar ein Produkt der großen Machtentfaltung Davids und zweifellos eine vaticinatio ex eventu. Aber er hat die Art der Heilsweissagung in der Form einer Königsprophetie und ist das zeitlich vermutlich älteste erhaltene Produkt dieser Art in Israel. An allen orientalischen Höfen, namentlich auch im benachbarten Aegypten, war diese Art von höfischer Heilsprophetie bekannt und sie ist seit David von den israelitischen Königspropheten gepflegt worden. Im Judaspruch gilt das Heil noch dem Stamme des Königs als dem Hegemon. Bei den typischen Königsprophetien galt er dem Könige. Für diesen handelte es sich dabei vor allem darum, den Fortbestand seiner Dynastie durch ein unzweideutiges und zugleich wirkungskräftiges Orakel zu sichern. Daß ein solches dem David persönlich von Jahwe gegeben worden sei, ist die Form, in welcher die älteste überlieferte Heilsprophetie (2. Sam. 23, 1 f.) der Davididendynastie auftritt. Hier legt der Königsprophet seinen Spruch zugunsten der Dynastie deren erstem König selbst in den Mund, den die Tradition als einen von Jahwes Geist ergriffenen Ekstatiker auf dem Thron behandelt. Eine dem Salomo und seinem Tempel freundliche spätere Tradition, wohl die gleiche, welche seine zweifelhafte Legitimität zu stützen suchte, indem sie den sonst in der vorprophetischen Ueberlieferung als freien „Seher“

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geltenden Nathan zu einem in die Hof- und Priester - Intriguen nach Davids Tod eingreifenden höfischen Parteigänger machte, legt dagegen diesem Propheten ein entsprechendes Heilsorakel für Salomo und den ewigen Bestand des davididischen Throns in Verbindung mit dem Tempelbau in den Mund (2. Sam 7, 8 f.). Dürfte dem Orakel ein hohes Alter zugeschrieben werden, so wäre es die früheste erhaltene Heilsprophetie des spätern Typus. Von den späteren Königen Israels berichtet die Tradition namentlich für Ahab die Benutzung seiner offenbar ziemlich zahlreichen höfischen Nebijim als Orakelgeber und, was stets damit identisch ist, als Spender magisch wirkender Glücksverheißungen. Unter der streng jahwistischen Dynastie Jehus wird dann zum erstenmal der Fall berichtet (2. Kön. 14, 25), daß ein Orakel des Jona, des Sohnes des Amittai von Gath in Galiläa, welches - zweifellos während des schweren Kriegs gegen die Aramäer - einen König vorausgesagt habe, der die Grenze des davididischen Reichs wieder herstellen werde, durch die Kriegstaten Jerobeams II. erfüllt und daß dieser also der geweissagte König gewesen sei. Hier tritt also die Weissagung vom Retterkönig nicht nur - wie bei dem Judaspruch im Jakobsegen als literarische Form, sondern als wirkliches Orakel auf. Zweifellos handelt es sich auch hier um einen königlichen Heilspropheten. Ihre dauernde Verwendung in beiden Teilreichen steht auch anderweit fest und ist durch die scharfen Worte der späteren unabhängigen Schriftpropheten gegen die Lügenpropheten der Könige genügend bezeugt. -

Wie man aus dem Gesagten sieht, scheidet die heutige Fassung der Tradition nicht mehr zwischen „Nabi“ und „Roeh“. Sie behauptet vielmehr gelegentlich ausdrücklich, daß letzteres der ältere Name für den ersteren gewesen sei - wobei sie unter „Nabi“ den spätern Schriftpropheten versteht. - Allein das trifft zweifellos nicht zu. Alle jene heillose Unklarheit, in welcher heute Figuren wie Bileam, Samuel, Nathan, auch noch Elia, vor uns stehen, schreibt sich nicht nur daher, daß in der Tat hier wie überall die Uebergänge der Typen flüssig waren, sondern aus der tendenziösen Ausmerzung und Verwischung der alten Gegensätze. Was der typische „Roeh“ ursprünglich war, zeigt der Bericht über das zitierte Heilsorakel des Nathan: ein Mann, der auf Grund von Traumdeutungen Orakel gab, entweder also eigene oder (wie Joseph in der novellisti-

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schen Tradition) fremde Träume erfolgreich deutete oder - und das war die Hauptsache - in der apathischen Ekstase Hellgesichte hatte. Was ihn vom alten Nabi unterscheidet, ist vor allem die Nichtverwendung der diesem typischen orgiastischen Rauschmittel und also auch: der Massenekstase. Er erhält seine Gesichte einsam und wird von seinen Kunden zum Zweck der Befragung aufgesucht. Nicht immer - z. B. dem Nathan nicht -, aber in aller Regel traute man ihm magische Kräfte zu. Es scheint, daß für einen solchen zugleich mit magischen Kräften ausgerüsteten „Roeh“ der Name „Gottesmann“ (isch haelohim) gebräuchlich war. Samuels Stellung in der historischen Tradition erklärt sich vielleicht ursprünglich daraus, daß er zuerst in der Zeit der Befreiungskämpfe die seitdem als klassisch zugelassenen Formen der Jahwe - Offenbarung: Traum und hellseherische Entrückungsvision, für politische Orakel gepflegt hatte. Nathan und Gad (2. Sam. 24, 11) unter David, Ahia von Silo unter Salomo und Jerobeam (I. Kön. 15, 19), Jehu der Sohn Hananis unter Baesa scheinen diesem Typus angehört zu haben. Später sind sie daher mit den Nebijim - freien oder Königspropheten - in einen Topf geworfen worden. Die Erteilung politischer Orakel war aber offenbar nicht die ursprüngliche und wohl dauernd nicht die hauptsächliche Tätigkeit der „Seher“ gewesen. Und andererseits waren die offiziellen Orakel der angestellten Jahwepriester, politische und prozessuale, nicht Traum- oder Visions-, sondern Losorakel.

Auch die Roeh - Ekstase war zunächst privater Erwerb. Die Tradition berichtet noch, wie Alltagsfragen aller Art, z. B. nach dem Verbleib von Eselinnen, vor den Seher gebracht und die kraft Hellgesichts abgegebenen Orakel durch Geschenk entgolten werden (I. Sam. 9, 6. 7). Allerdings: der späteren Tradition ist der Gottesmann und Seher vor allem ein Mann, der den Willen des Bundesgottes den maßgebenden Autoritäten: den Aeltesten, oder dem König oder einem von ihm zum charismatischen Kriegsfürsten zu erweckenden Helden, verkündet. So verfahren schon Samuel und Nathan. Allein hier hat die prophetisch beeinflußte jetzige Redaktion vor allem der deuteronomischen, den Samuel auf den Schild hebenden Schule offenbar dem wirklichen „Seher“ der alten Zeit eine ganz andere, von ihm verschiedene Figur substituiert. Alle bisher behandelten Typen gehören nämlich dem Gebiet der seßhaften

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bäuerlichen Stämme des Nordens an. Das ist kein Zufall, wie sich später zeigen wird. Die Viehzüchterstämme und der ihnen genuine Jahwismus kannten dagegen - und ebenfalls nicht zufällig - andere Arten, in welchen die Gottheit ihren Willen kund tut. Die älteste ist die Epiphanie. Sie findet sich bei allen Erzvätern, in der historischen Tradition zunächst in der legendären Versammlung des Volks in Bochim (Jud. 2, 1), zuletzt aber bei Gideon. Aus Jahwe selbst ist dabei schon ein göttlicher Bote geworden. Denn der spätem Tradition hat nur Mose Jahwe von Angesicht zu Angesicht gesehen. Immer aber handelt es sich darum: daß derjenige, welchem die Epiphanie zuteil wird, die leibhaftige Stimme Jahwes oder seines Boten hört, nicht ein bloßes Traumgesicht empfängt. Das ist also wiederum ein anderer Prophetentypus1). Seine Vertreter behaupten, den „Träumen von Träumen“, deren Gesichte unsicher und unkontrollierbar seien, überlegen zu sein. Das in ihren Augen entscheidende Merkmal bleibt auch in der späteren Zeit der klassischen Prophetie das gleiche: persönlich muß man mit Jahwe verkehrt, in der „Ratversammlung“ des Gottes gewesen sein und die Stimme des Herrn selbst gehört haben, wenn das Orakel gelten soll. Dem dadurch beeinflußten Zweige der Tradition galten demgemäß die Traumorakel als unklassisch und trügerisch und die bloß Träume deutenden Seher als verdächtig. Mochte auch die Traumdeutung, trotz des rücksichtslosen Kampfs namentlich Jeremias dagegen, noch in späterer, nachexilischer Zeit ( Joel 3, 1; Daniel 2, 1 f.) Prestige unter babylonischem Einfluß wiedergewinnen und jedenfalls nie gänzlich abgelehnt werden, so war doch wenigstens in vorexilischer Zeit, die Entstehung einer priesterlichen Traumdeutungslehre nach Art der mesopotamischen Traumbücher nicht möglich. Kombinationen von „Sehen“ und „Hören“ kommen vor: Amos wird von seinem Gegnern „Choseh“ genannt und seine Eingebungen sind Verbindungen von „Ge-


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sichten“ mit auditiven Deutungen dieser durch Jahwe. Aber es sind reale Wachgesichte. Das Uebergewicht des „Hörens“ ist auch bei ihm bestimmend für den Typus.

Das Temperament eines auditiven, nicht durch Traumvision in der apathischen Ekstase, sondern emotional durch Stimmenhören inspirierten Propheten, ist naturgemäß ein weit erregteres und aktiveres als das eines Traumvisionärs. Daher offenbar kam der Name „Nabi“ auch für diese Orakelgeber auf. Ihr Typus prägte nun die Tradition. Ihr ist seitdem der „Gottesmann“ vor allem ein Mann, der den Willen des Bundesgottes teils, wie die Nebijah Hulda unter Josia oder wie Jeremia unter Zedekia auf Befragen, teils aber und zunehmend gerade ungefragt den politischen Machthabern kündet, mag ihnen das Orakel erfreulich sein oder nicht, ja gerade dann, wenn es ihnen unerfreulich ist. Samuel gilt der Tradition als der erste, dessen Prestige ihm dies zu tun erlaubte, und die spätere Anschauung legte auf die Möglichkeit, daß ein amtloser und nicht zu den Priestergeschlechtern gehörender Mann von diesem prophetischen Geist Jahwes ergriffen sein könne - was offenbar gelegentlich von den Interessenten angefochten wurde - solches Gewicht, daß sie dafür in Eldad und Modad (Num. 11, 29) ein eigenes mosaisches Paradigma schuf. In der legendenumwobenen Figur des Elia erreichte dieser Typus seinen Höhepunkt und bog zugleich schon teilweise in den neuen des späteren (Schrift-) „Propheten“ um, der sich von dem alten Gottesmann dadurch unterscheidet, daß seine Orakel mindestens teilsweise sich an die Adresse der politisch interessierten Oeffentlichkeit des „Publikums“ wendet, nicht nur an die verfassungsmäßigen Gewalten - je nachdem: König oder Aelteste - allein. Elia, der durch die tendenziöse Tradition der Nebijim wenigstens indirekt mit der Nabischule Elisas - die noch ganz den traditionellen Charakter trägt - in Beziehung gebracht wird, ist die erste spezifisch „klerikale“ Gestalt der israelitischen Geschichte. Zu einem Magier vom Typus des Elisa hat ihn erst die Legende und die - sogar in der Tradition als „Streberei“ hervortretende - Absicht dieses Epigonen der alten Nebijim gemacht, sich als seinen Nachfolger hinstellen zu können. Im Gegenteil war das Eindrucksvolle seines Auftretens offenbar gerade darin begründet, daß er kein anderes Mittel als die einfache Anrufung Jahwes im Gebet, im Gegensatz zu dem ekstatischen Zauber der Baals - Nebijim,

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verwendete. Elisa ist nicht zufällig, wie wir sehen werden, der Tradition ein seßhafter Bauer, während Elia aus Thisbe jenseits des Jordans, also aus dem Steppengebiet stammt und ein Wanderleben über das ganze Gebiet der Jahweverehrung hin bis zum Horeb führt, von der Königin des Nordreichs mit dem Tode bedroht, während Elisa als Kriegsmagier Ahabs fungiert. Elia empfängt seine Befehle von Jahwe in der Einsamkeit und verkündet sie persönlich, als Bote seines Gottes, so, wie dies die jahwistische Anschauung seiner Zeit den Epiphanien der Engel Jahwes zuzuschreiben pflegte. Darauf und auf der bis dahin unerhörten Rücksichtslosigkeit seines Auftretens gegenüber den politischen Machthabern beruhte sein beispielloses Prestige. Historisch aber ist er wichtig als der erste historisch leidlich sicher greifbare Unheilsprophet und darin der Vorläufer jener Reihe großartiger Gestalten, die für unsern heutigen literarischen Bestand mit Amos beginnt und mit Hesekiel ein Ende nimmt. Sie wurden die geistigen Träger der Opposition gegen das Königtum und alle die von ihm (wirklich oder angeblich) verschuldeten Neuerungen, von den perhorreszierten fremden und kanaanäischen Kulten angefangen bis zum sozialen Druck gegen die einstigen Träger des Bundesheerbanns. Wie bei den apathisch ekstatischen Traumsehern, so ist auch bei ihnen das entscheidende Unterscheidungsmerkmal gegenüber den orgiastisch - massenekstatischen Nebijim: die Einsamkeit. Psychologisch freilich, wie schon angedeutet und später zu erörtern, aus gänzlich andern Gründen. Soziologisch aber zunächst deshalb, weil Unheilprophetie sich nicht, wie Heilsprophetie, berufsmäßig lehren läßt, weil sie ferner nicht erwerbsmäßig verwertbar ist: denn ein böses Omen - und das war jedes Unheilorakel - kaufte man nicht, und weil endlich alle sozialen Gewalten und Gemeinschaften dem Unheilpropheten aus dem Wege gehen oder ihn geradezu als Verderber des Volks und aller guten Omina verfemen. Die Einsamkeit sowohl wie die hier zuerst zum Grundsatz erhobene Ablehnung des Erwerbs durch Orakel1) seitens der Unheilpropheten war also in den Verhältnissen begründet und nur teilweise freiwillig. Sie be-

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dingte es aber, daß in ihnen die großen Ideologen des Jahwismus erstanden, die gar keine Rücksichten kannten und ebendadurch jene gewaltigen Wirkungen erzielten, die ihnen beschieden waren. Den Elia bezeichnet König Ahab als Unheilmenschen und Volksverderber. Er hat in der Tat auch seelisch schon ganz den Typus der spätern Propheten. Als einen von Jahwes zornigem Geist Besessenen der leidenschaftlichsten Art, der nach dem siegreichen Gottesurteil gegen die konkurrierenden Baalspriester vom Karmel hochgeschürzt vor dem Königswagen her bis in die Residenz hinabrennt, aber auch als Glaubenshelden, der mit seinem Gott wie Mose ringt und schilt und von ihm einer Epiphanie gewürdigt wird, die der des Mose zunächstkommt, als den letzten großen Magier und den einzigen unter den von Jahwe in den Himmel Entrückten, dem die jetzige Redaktion diese Ehre gegönnt hat, kennt ihn die Tradition und so hat diese Figur die Phantasie der Gläubigen mit Wiederkunfts - Erwartungen bis in die späteste Zeit beschäftigt. Gleichzeitig mit dieser von der Legende ins Uebermenschliche gesteigerten Gestalt findet sich aber in der Tradition eine rein geschichtliche Figur, welche, von allen solchen übernatürlichen Zügen befreit, in einem entscheidenden Punkt ebenfalls bereits dem Typus der späteren „Propheten“ entspricht und auch von den Redaktoren der Tradition als einer ihrer Prototypen behandelt wird: Micha, der Sohn des Jimla, der vor den Feldzug den Hunderten von Heilspropheten im Dienste Ahabs mit einer Unheilsweissagung entgegentritt, die dann in Erfüllung geht (I. Kön. 22, 8 f.). Dies: die politische Unheilsandrohung, die zugleich magisch als böses Omen gewertet wurde, schien, wie schon den Zeitgenossen des Elia (I. Kön. 21, 20), so auch denen des Micha und Jeremua (Jer. 26, 18) das charakteristische Merkmal einer besonderen Art von Prophetie. Sie war politisch gefährlich. Aber es schien auch gefährlich, den von Jahwe ergriffenen Unheilskünder anzutasten. Das Merkmal wurde nun auch rückwärts in die halb legendären Gestalten der früheren „Seher“ der Vorzeit hineinprojiziert und dadurch der (angebliche) Moabiter Bileam zu einem den Israeliten, Elisa zu einem dem Hasael wider ihren Willen Heil weissagenden Propheten gemacht.

Das erste Auftreten der unabhängigen politisch orientierten „Seher“, deren Nachfolger diese „Propheten“ wurden, fällt nicht zufällig ziemlich genau mit jener großen Wandlung zusammen,

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welche unter David und Salomo das Königtum für die politische und dadurch auch für die soziale Struktur Israels mit sich brachte. Die Frage des Tempelbaues, Thronfolgefragen, private Sünden des Monarchen, Kult und die allerverschiedensten politischen und persönlichen Entschließungen - bei Elia zuerst auch eine soziale Ungerechtigkeit des Königs - sind Gegenstände ihrer Orakel und ihrer meist unerbetenen, oft außerordentlich scharfen Kritik. Diese Kritik aber legt in der Tradition ein für allemal einen Maßstab zugrunde: das „gute alte Recht“ des altisraelitischen Bundes, so, wie die Träger der Kritik es verstanden. Die Umwandlung des Staates in einen Leiturgiestaat, in ein „ägyptisches Diensthaus“ im Zusammenhang mit dem Wagenkampf und der Weltpolitik ist ihnen die Quelle alles Uebels. Der ganze bürokratische Apparat ist ägyptischer Greuel, Volkszählungen ziehen, selbst wenn Jahwe selbst dazu - zur Strafe für Sünden - die Anregung gegeben hat, eine Pest nach sich. Das entsprach der volkstümlichen Auffassung. Die israelitischen Bauern wußten, daß sie einst für Fronfreiheit gegen die Ritter gekämpft hatten. Jetzt spürten sie die politische und ökonomische Uebermacht des Königs und der Patrizier und ihre eigene zunehmende Schuldverknechtung. Die vom König unabhängigen Seher und Propheten, die Erben der Volkstümlichheit der nun außer Betrieb gesetzten kriegerischen Nebijim, verklären daher die Zeit, wo Jahwe selbst als Herzog dem Bauernheer voranzog und der auf dem Esel reitende Fürst sich nicht auf Rosse und Wagen und auf Bündnisse verließ, sondern ausschließlich auf den Bundeskriegsgott und seine Hilfe. Von hier aus kam zuerst die hohe Wertung des „Glaubens“ an Jahwes Verheißungen in die israelitische Religiosität hinein. Der Name „Jahwe Zebaoth“, Jahwe der Heerscharen1), welcher dem Pentateuch und dem Richterbuch fremd ist, wurde nun erst die von den Sehern und später, nach ihrem Beispiel, von den Schriftpropheten, vor allem (aber nicht: nur) den Unheilpropheten fast ausschließlich gebrauchte Gottesbezeichnung. Die „Zebaoth“ waren dabei zwar zunächst die himmlischen Diener Jahwes, vor allem das schon im Deboralied

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mitkämpfende Sternengeisterheer (Zebah) und die Engel. In der weltlichen Tradition aber bedeutet Zebaoth, wie Kautzsch mit Recht hervorhebt, an allen jenen (26) Stellen, wo das Wort ohne Verbindung mit dem Gottesnamen vorkommt, stets den alten Heerbann Israels. Dessen Gott war in den Augen dieser Kreise Jahwe und an diesen ist daher zweifellos bei jenem prophetischen Gottestitel mindestens mitgedacht. Und zwar finden sich solche Stellen auch in der jüngeren Tradition aus einer in der wirklichen Politik pazifistischen Zeit. Es handelt sich eben um eine nachträgliche ideale und tendenziöse Konstruktion der eidgenössischen Vergangenheit Israels. Die jahwistische Unheilsprophetie brauchte den Ausdruck nicht nur, weil die Prophetie der alten, guten Zeit Kriegsprophetie gewesen war, und nicht nur um zum Ausdruck zu bringen, daß Jahwe allein der legitime Heerkönig Israels sei (was zuerst Jos. 6, 5 vgl. 24, 21 behauptet wird). Sondern auch deshalb, weil die alten Verheißungen des Gottes, wie wir sehen werden, neben dem materiellen vor allem gerade das kriegerische Heil Israels zum Gegenstand gehabt hatten und sie davon sich nicht lossagen konnte und wollte. Neben die pazifistische Gestaltung der Erzvätersagen, welche im Kreise der entmilitarisierten Kleinviehzüchter ihre Heimat hatte, und neben die Verklärung des alten Sozialrechts, vor allem des sozialen Schuldrechts des Jahwebundes, an welchem die entmilitarisierten Plebejer hingen, trat so die spezifisch glaubenskämpferische Legende der tatsächlich ebenfalls entmilitarisierten, nur noch in ihrer Phantasie mit Jahwe gemeinsam kämpfenden Propheten, die jetzt statt kriegerischer Derwische und ekstatischer Therapeuten und Regenmacher als eine Schicht literarisch gebildeter politischer Ideologen auftraten. Nach einer gelegentlichen Bemerkung des Amos (2, 11 f.) scheint es, daß die königliche Bürokratie die unbequemen demokratischen Glaubenskämpfer, die Nasiräer und freien Nebijim, ganz bewußt bekämpft hat. Dies ist, nach allen Analogien von anderswoher, an sich höchst wahrscheinlich und wird es noch mehr dadurch, daß in Zeiten starker Regierungen auch die Prophetie schwieg. Aber in Zeiten sinkender Macht und äußerer Bedrohung regten sich alsbald die alten demokratischen Erinnerungen. Die utopische Phantasie ihrer Träger sättigte sich um so mehr mit blutigen Bildern kriegerischer Heldentaten Jahwes, je unmilitärischer sie selbst inzwischen geworden waren, - ganz so, wie wir

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ja auch heute in allen Ländern das Höchstmaß von Kriegsdurst bei jenen Literaten - Schichten erleben, welche vom Schützengraben am weitesten entfernt und ihrer Natur nach am wenigsten kriegerisch geartet sind. - Der eigentliche Stein des Anstoßes für diese Literaten mußte nun die Politik des Königstums sein, welche alle jene Umgestaltungen der alten Heeres- und Sozialordnung herbeigeführt hatte. In diesem Gegensatz gegen die politischen und sozialen Umformungen fanden alle: die rechabitischen und anderen von Jahwepriestern geleiteten Hirten,die Bauern, die exemplarisch frommen Jahweverehrer, sich im Zeichen der Verklärung der guten alten Zeit der reinen Jahwefrömmigkeit und des freien Jahwebundes zusammen. Die äußere und innere Unabhängigkeit dieser Kritik gegenüber dem König war durch das Fehlen eines hierokratischen Charakters des Königtums begünstigt. Der israelitische König hatte keine priesterliche Würde. Zwar Ansätze dazu finden sich, wenn David das Ephod trägt. Aber im übrigen war der König zwar in der Lage, die Priester der von ihm sustentierten Heiligtümer anzustellen und zu entlassen1), ja sie wie seine Beamten zu behandeln, ebenso wie große Grundherren (Micha) dies an ihren Kapellen taten. Er konnte opfern, wie ursprünglich jeder Israelit. Aber er hatte nicht die Qualifikation, Orakel zu geben, Weihe und Sühne zu senden. Dies war dem charismatisch Qualifizierten: dem Propheten und später dem geschulten Leviten, vorbehalten. Das relative Zurücktreten der Bedeutung des Gemeinschaftsopfers in der Tradition der Jahwereligion, bedingt durch das ursprüngliche Fehlen einer perennierenden Bundesautorität und den Charakter der Beziehung Jahwes zur Eidgenossenschaft, kam der Selbständigkeit der hierokratischen Machtstellung der freien Nebijim (ebenso wie später der Thoralehrer) gegenüber dem König zugute.

Die spätere Tradition legt daher dem Samuel, den sie zugleich als „Roeh“ und „Nabi“ und als Vertreter des alten Rechts verklärt, die Schilderung des Inhalts des ihr verhaßten neuen Königsrechts in den Mund. Weil das Volk trotz aller Warnung darauf bestand, sich einen König zu küren, sollte Samuel es schriftlich (I Sam. 10, 25), also, dem allesbeherrschenden Gedanken

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der berith entsprechend, nach Art einer Verfassungsurkunde im Archiv niedergelegt haben (I Sam. 8, 11): Der König wird Hauptleute über Tausend und Fünfzig ernennen. Er wird die Söhne der Israeliten für die Bedienung seiner Kriegswagen pressen, andere zum Dienst als Waffenschmiede und Wagenbauer, ihre Töchter zum Salbenbereiten, Kochen und Backen (für seine Tafel und den Heeresbedarf). Er wird Felder, Wein- und Oelgärten als Lehen für seine Beamten verlangen, Ackerbestellungs- und Erntefronden, namentlich Zwangsdienst von Knechten, Mägden, Rindern und Eseln für sein Königsland und seinen sonstigen Bedarf, den Zehnten von Wein, Feld und Kleinvieh für die Bezahlung seiner Offiziere und Soldaten. Die freien Israeliten werden seine „Knechte“ (d. h. Untertanen statt Eidgenossen) sein1). Gegen diesen Zustand wendete sich die politische Tendenzlegende und redigierte die Ueberlieferung um. Während z. B. die echte Tradition (2 Sam. 21, 19) weiß, daß einer der Ritter Davids, Elhanan der Bethlehemiter, den Gathiter Goliath erschlagen hat, läßt die Tendenzlegende ihn von dem unbekannten und ungepanzerten Hirtenknaben David mit einem Stein nach Bauernart getötet werden. Massenhafte Züge ähnlicher Art sind teils aus der echten Tradition ausgelesen unter Unterdrückung anderer, teils neu erfunden. Der Vorliebe dieser Tradition für das alte Bauernheer verdanken wir vermutlich die Erhaltung gerade des Deboraliedes aus den alten Liedersammlungen, andererseits aber auch die Art, wie die Eroberung Kanaans und die Kriege der Richterzeit legendär umgestaltet worden sind. Vor allem aber kommt auf ihre Rechnung die Verklärung der brüderlichen Gleichheit und Schlichtheit der Eidgenossen in der Wüstenzeit, dieses von Budde sehr glücklich sogenannte „nomadische Ideal“. Daher waltet diese Tendenz ganz offensichtlich auch bei der Auslese der uns aus den alten Rechtssammlungen allein aufbewahrten früher besprochenen sozialrechtlichen Bestimmungen und bei deren vermutlich ziemlich weitgehender Interpolation mit utopischen Theologumenen .

Aus der gleichen Tendenz heraus verlangten die Vertreter der alten Tradition: der König solle nicht, um Rosse und Wagen zu halten, „in das ägyptische Diensthaus zurückkehren“ (Deut. 17, 16). Glanz und Pracht des salomonischen Hofs und Tempels

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verwarfen sie zugunsten der alten Bauernfreiheit und des alten schmucklosen Kults auf einem Erdaltar. Allein Angesichte der bedeutenden Interessen, welche mit dem glänzenden königlichen Tempelkult verknüpft waren, standen diese Forderungen selbst in den Kreisen der frommen Jahwisten nicht ohne Gegner da. Die Stellungnahme zu Salomos grundstürzenden Neuerungen und zum Königtum überhaupt ist demgemäß in den Ouellen uneinheitlich. Ein Teil der Tradition weiß, daß in der königlosen Zeit Unordnung und Willkür herrschte und entschuldigt alles, was vom späteren rituell und ethisch korrekten Standpunkt aus als Frevel galt, damit: daß damals kein König in Israe1 war und deshalb jeder „tat, was ihm gut schien“ (Jud. 17, 16; 21, 25, ähnlich: 18, 1; 19, 1). Die gewaltige Machtstellung vor allem Davids, aber auch Salomos als des Erbauers des Tempels, wirkte naturgemäß in der Richtung der Verklärung gerade dieser Könige auf Kosten sowohl des Bauernfürsten Saul wie der späteren Teilkönige. In der Zeit großer kriegerischer Erfolge in den Befreiungskriegen und gleich nachher war eben das Prestige des Königtums gewaltig1). Der König empfing durch die Salbung den „Geist“ Jahwes, er hatte noch keinerlei dauernd wirksam konkurrierende klerikale Priestermacht neben sich, opferte dem Gott persönlich im Priestergewand (nach der Tradition tat dies David) und schaltete über Priesterstellen und Kultorte fast so frei wie manche mesopotamischen Großkönige. Der König gilt daher dieser Tradition als „Messias“: „Gesalbter“ (ha maschiah) Jahwes, wie nach dem Exil der Hohepriester. Die bei der normalen Thronfolge anscheinend nicht erforderliche, aber bei der prophetischen Legitimierung von Usurpatoren (David, Jehu, darnach vermutlich: Saul in der einen der drei Traditionen) vorkommende Salbung, wahrscheinlich einem alten Brauch einheimischer Stadtfürsten (vielleicht Jerusalems) entnommen, gewann eine rituelle Bedeutung1). - Aber ein anderer Zweig der Tradition stand unter dem Eindruck der späteren

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Abnahme der Macht des Landes und des aufsteigenden Prestiges der Propheten. Er weiß daher, daß, ehe Israel sich einen König setzte, der Bundesgott selbst und er allein und unmittelbar der Herrscher gewesen war, daß dieser keines solchen Amts-, Steuer- und Fron - Apparats bedurft hatte wie die jetzigen Könige, vielmehr seinem Volke durch die Seher und Helden der Vorzeit seinen Willen jeweils offenbart und ihm, wenn es seinen Geboten gehorchte, stets erneut geholfen hatte. - Stärker noch als im Südreiche, wo die Nähe Jerusalems wirkte, scheint diese Stimmung bei den ephraimitischen Bauern geherrscht zu haben. Von den Propheten gab zuerst Hosea ihr Ausdruck. Das Prestige der davidischen Dynastie, der einzigen dauernd sich auf ihrem Thron behauptenden, direkt durch die Forderung der Abschaffung des Königstums anzutasten, war im Südreiche kaum möglich. Daher ging dort das Programm auf Beseitigung der Neuerungen, welche das Königtum gebracht hatte. Auf politischem Gebiet vor allem: des Militarismus mit seinen Rossen und Wagen, dem Kronschatz, des Harems der fremden Prinzessinnen und ihrer Kälte und der königlichen Günstlinge als Beamter, der Bau- und Ackerfronden der Untertanen. Der König soll, verlangt das Deuteronomium, die hochmütigen Sultansallüren der Großkönige abtun und wieder ein charismatischer primus inter pares werden, ohne viele Rosse und Wagen, - also ein auf dem Esel reitender weiser Richter und Schirmer der einfachen Leute. Dann wird der alte Bundesgott Jahwe, wie einst mit dem Bauernheer, auch gegen noch so übermächtig scheinende Feinde, mit ihm sein, wenn er nur - was Vorbedingung für alles andere ist - den Prätensionen der Weltpolitik, die an all jenen Neuerungen schuld war, entsagt. Wir werden sehen, wie sich priesterliche Machtinteressen und Theologen - Ideologien in diesem Programm zusammenfanden, welches tatsächlich unter Josia wenige Jahrzehnte vor dem Untergang Jerusalems das deuteronomische Gesetz durchzuführen versuchte.

Das Königtum war in Israel kein patrimoniales Wohlfahrtskönigtum, sondern mit der Macht der gibborim verbündet. Die Vertreter der alten Tradition wendeten sich daher gegen beide zugleich. Mit großer Wucht tritt diese Strömung in den Orakeln der vorexilischen Schriftpropheten hervor. Ueber ihre politische Stellung und Bedeutung im ganzen ist später zusammenhängend zu reden. Hier kommt es auf die Vorwürfe an, welche sie der

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populären Kritik an den sozialpolitischen Zuständen entnahmen. Das Geschenke nehmen, die Bestechung, die Rechtsbeugung stehen an der Spitze (Amos 2, 6. Jesaja 1, 23; 5, 3), durch welche „Recht in Galle verwandelt“ wird (Amos 6, 12), Blutgeld wird genommen (Amos 3, 12), unschuldiges Blut vergossen ( Jesaja 1, 15; 7, 6; 22, 3) das Volk geschunden (Micha 3, 2 - 3) die Rechtsprechung zum Vorteil der Gottlosen und zum Nachteil der Armen, Witwen und Waisen (Jesaja 10, 2) und der Gerechten (Amos 5, 12) verkehrt, statt Recht Gewaltsamkeit (Jeremia 7, 6; 22, 3) und Schinderei geübt (Jesaja 5, 7), Acker an Acker und Haus an Hass wird gereiht ( Jesaja 5, 8; Micha 2, 1. 2), die Armen (Amos 8, 4), insbesondere die „Armen im Tor“ (Amos 5, 12), d. h. die von den Stadt-patriziaten beherrschte Landbevölkerung unterdrückt, Korn in großen Lasten von ihnen genommen (Amos 5, 11), die Weiber und Kinder vom Hof getrieben (Micha 2, 9), Unrecht an den Dürftigen verübt (Amos 4, 1), von dem Ertrag ihrer - entgegen dem Pfändungsverbot - gepfändeten Kleider schlemmen die Reichen (Amos 2, 8). Hochmütig sind die Reichen (Amos 6, 4 f.; vgl. Jesaja 3, 16), die gibborim saufen ( Jesaja 5, 22; vgl. 5, 11), und das Kardinallaster ist der Geiz (Amos 2, 1, so auch nach dem Exil Habakuk 3, 9). Es sind die in aller Welt, vor allem aber doch im Occident, in der vorkapitalistischen - antiken, frühmittelalterlichen - Epoche, von den plebejischen Schichten je nachdem gegen die höfischen Beamten oder gegen patrizische Stadtgeschlechter erhobenen Vorwürfe, deren Mundstück z. B. im hellenischen Altertum Hesiod ist. In Israel waren, wie wir sahen, Königtum und reiche ökonomisch wehrhafte Sippen in enger Verbindung, die Beamten der Könige meist den Patriziern entnommen. Diese typischen sozialen Gegensätze treten in der Prophetie mit großer Deutlichkeit zutage.

Stets und überall aber beruft sich diese stadtadels- und königsfeindliche Tradition auf den alten Bund, den einst Jahwe durch Mose mit Israel im Gegensatz zu allen anderen Völkern geschlossen habe und auf das ganz einzigartige historische Ereignis, welches dieser ebenfalls einzigartigen Bundesschließung zugrundeliege. Und in der Tat: das für Israel besondersartige Verhältnis: der Bundesschluß nicht nur unter der Garantie des Gottes, sondern mit dem Gott selbst als Gegenpartei, war ganz offenbar wirklich das Produkt jenes konkreten Geschehnisses, auf welches einmütig die gesamte israelitische Tra-

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dition diesen Vorgang zurückführt. Allen Propheten gilt als Wahrzeichen einerseits der Macht des Gottes und der unbedingten Verläßlichkeit seiner Verheißungen und andererseits der dauernden Dankesschuld Israels gegen ihn die Befreiung von der ägyptischen Fronpflicht durch die wunderbare Vernichtung eines ägyptischen Heeres im Schilfmeer. Und zwar war das besondersartige des Vorganges, daß dies Wunder bewirkt wurde durch einen in Israel bis dahin fremden Gott, der nun daraufhin mit feierlichem berith unter Einrichtung des Jahwekultes durch Mose als Bundesgott rezipiert wurde. Diese Rezeption erfolgte aber auf Grund beiderseitiger Versprechungen, welche durch den Propheten Mose nach beiden Seiten hin vermittelt wurden. Die Versprechungen des Volkes begründeten seine besonders dauernde Verpflichtung gegenüber dem Gott, und die als Gegengabe gebotenen Versprechungen des Gottes machten ihn in einem so eminenten Sinne, wie keinen in der Weltgeschichte sonst irgendwo bekannten Gott, zu einem Gott der Verheißung für Israel. Dies ist die unzweideutige Auffassung der Tradition. Es ist die ganz offenbare Voraussetzung des nirgends sonst in der Umwelt sich findenden, dagegen schon im Deboralied vorausgesetzten Begriffs des „Abfalls“ von Jahwe als eines spezifisch verderblichen Frevels1). Und es ist vor allem die unentbehrliche gedankliche Grundlage für die nirgendwo sonst erreichte Bedeutung der Prophetie und der Heilsweissagungen. Zwar Reichtum, langes Leben, zahlreiche Nachkommen und ein guter Name war von jeher überall in der Welt das, was Priester und Mystagogen dem Verehrer ihres Gottes versprachen und was die Könige sich von ihren Hofpropheten verheißen ließen. Und ebenso verstand es sich überall von selbst, daß der Kriegsgott des Stammes oder der Gott des Königs mit ihm gegen die Feinde sein werde. So auch in Israel. Daß er zahlreiche Nachkommen haben werde, so daß das Volk werden solle wie Sand am Heer, Sieg über alle Feinde, Regen, reiche Ernten und sicheren Besitz, endlich: daß der Name der legendären Ahnherren und der des gesegneten Volkes selbst ein Segenswort sein werde, - dies erhoffte man von dem angenommenen mächtigen Bundesgott.

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Aber weil das Verhältnis zu ihm auf einer berith beruhte, gewann diese Hoffnung eine äußerst feste Grundlage und galt als auf ausdrücklicher Verheißung: einem Schwur des Gottes, beruhend. Die Verheißungen sind ursprünglich nicht als an besondere Bedingungen geknüpft vorgestellt, und ihre ältesten Formulierungen in der Tradition machen sie auch nicht von irgendwelchem besonderen, etwa einem spezifisch sittlichen, Verhalten Israels abhängig. Sondern sie sind - selbstver-ständlich - nur an die eine Bedingung geknüpft: daß Jahwe eben Israels Gott ist und von ihm als solcher behandelt wird: dann wird Jahwe mit ihm gehen durch Dick und Dünn. Darauf allein kam es an und dies allein war es, was die militaristischen Träger des „Geistes“ Jahwes, die Nasiräer und Nebijim, die Glaubenskämpfer, wußten und (wie schon das Devoralied tut) dem Heerbann einprägten. Die den antiken Religionen sonst ganz fremde Vorstellung von der „Abgötterei“ als eines Frevels gewann dadurch ihre penetrante Bedeutung. - Sein eigener Eidschwur und schlechterdings gar nichts anderes ist es - so schärft noch das Deuteronomium (7, 7) ein -, was Jahwe veranlaßt, Israel vor allen anderen Völkern zu bevorzugen, nicht etwa dessen sittlich höherer Wert. Immerhin: dies entsprach schon der volkstümlichen Anschauung nicht. Diese wußte - wie bei jedem Volk - daß andere Völker den Israeliten ungleichwertig waren und also auch dem Gott dafür gelten mußten. Und zwar beruhte, wie überall, die Ungleichwertigkeit darauf, daß sie andere Lebensgewohnheiten hatten, Dinge taten, die man „nie getan hat in Israel“. Da nun Jahwe durch die berith Vertragspartner der rituellen und sozialen Ordnungen des Bundes war, so war der Grund der Minderwertigkeit der anderen für Jahwe eben der: daß sie seine Ordnungen nicht kannten oder jedenfalls nicht hielten. Dieser negative Grund der Unterscheidung, die Jahwe macht, tritt denn auch, vereint mit jener Auffassung, im Deuteronomium auf. Aber die Auffassung der religiös Interessierten war schon damals weiter gegangen. In der ganzen Welt schützen die Götter der sozialen Ordnung diese, ahnden ihre Verletzung, belohnen ihre Innehaltung. Die Auffassung der Beziehung zum Bundesgott als berith mußte dies in spezifisch gesteigerter Art glauben, sobald man Anlaß hatte, sich die Frage nach dem Grunde des Verhaltens des Gottes vorzulegen. Dieser Anlaß entstand mit dem Rückgang der politischen Machtstellung Israels. Man kann

M a x W e b e r, Religionssoziologie III.

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deutlich bemerken, daß die Erinnerung an Mose und den Bund und auch die Bedeutung des „Bundes“ - Gedankens überhaupt zeitweise, nämlich unter dem Einfluß der blendenden Machtstellung des Königstums, zurückgetreten war, späterhin aber, kurz vor der Exilszeit und während der Redaktion der Priestertradition im Exil, einen neuen Höhepunkt erreicht: die ganz natürliche Folge des Sinkens des Prestiges der politischen Gewalten und der Frage nach dem Grunde des Verfalls. Das alte Recht des Bundes und die Bedeutung der Innehaltung von Jahwes Geboten als der Bedingung seiner Gnade trat nun mit großer Gewalt hervor und prägte die Zukunftshoffnungen: sie sind jetzt an die Voraussetzung des Gehorsams gegen die alten Gebote geknüpft, und die „Bundes“ - Vorstellung wurde so, in einer Art wie bei keinem anderen Volk, die spezifische Dynamik der ethischen Konzeptionen der Priesterlehre und Prophetie. Die Vorstellung, daß die religiöse Beziehung Israels zu Jahwe durch den Begriff eines mit ihm selbst eingegangenen „Bundes“ erschöpfend gekennzeichnet sei, fanden die Schriftpropheten als festes Material vor. Die den Propheten charakteristischen Unheildrohungen gegen Israel fehlen in den als genuin „jahwistisch“ und „elohistisch“ angesehenen Traditionen freilich noch. Auch die vermutlich älteste der großen ausdrücklichen göttlichen Heilsverheißungen an Abraham (Gen. 15, 18 - 21): die Zusage der Herrschaft über das Land Kanaan (nach einem Zusatz: von der Grenze Aegyptens bis an den Euphrat !) gehört erst der von Wellhausen so genannten „jehovistischen“ Redaktion, also der prophetischen Zeit, an. Auch sie geschieht durch förmliche rituelle berith Gottes mit dem Erzvater. Der göttliche Schwur ist dabei die Folge des bedingungslosen Glaubens des letzteren an den Gott, welchen dieser ihm „zur Gerechtigkeit rechnet“. Das ist nun schon eine ersichtlich sekundäre, weil sehr abstrakte Fassung. Sie entspricht der von der exilischen Redaktion überlieferten Form (Gen. 12, 1 f.). Aber die Vorstellung von der Bedeutung des Gehorsams rein als solchem selbst muß unbedingt wesentlich älter sein. Denn z. B. die Geschichte von der Opferung Isaaks als Paradigma des echten bedingungslosen Glaubens scheint vorprophetisch („elohistisch“) redigiert, wenn auch die ausdrückliche Erneuerung der Schwurzusage des Gottes aus diesem Anlaß als späterer Zusatz gilt. Die Formulierung des Inhalts der berith in der Form einer Verheißung als Lohn

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für Gehorsam also ist in unsern Redaktionen später. Aber so fest stand schon bei Beginn der Aera der Schriftpropheten die Konzeption der berith selbst, daß gleich einer der Ersten: Hosea, den religiösen Sinn der Beziehung zum Gott nach Art einer Ehe, jeden Verstoß gegen die Verpflichtungen Israels als Ehebruch gegen Jahwe auffassen konnte. Und nichts spricht deutlicher für die bis in die späteste Zeit dauernde völlige Selbstverständlichkeit dieser uralten Grundlage, als daß die zum Teil höchst ausgelassenen Liebeslieder der als „Hohes Lied“ in den heutigen Kanon aufgenommenen Sammlung für eine freilich schon stark „pietistisch“ -sentimental empfindende Nachwelt die Bedeutung als ein adäquater Ausdruck des Verhältnisses Jahwes zu seinem Volk erlangen konnten. „Eifersucht“ (kin'ah) Jahwes gegen die anderen Götter war daher eine seiner am festesten stehenden Eigenschaften bei allen Propheten von Hosea bis Hesekiel1).

Daß Jahwe ein durch die mosaische Kultordnung für den israelitischen Kriegsbund neu rezipierter Gott war2), sagt die gerade in diesem Fall ältere der beiden Großen Quellensammlungen, der sog. „Elohist“, sehr unzweideutig. Eine unerwartete Epiphanie des Gottes, nach der ältesten auch im Segensspruch für Ephraim erhaltenen Ueberlieferung in der Lohe eines Dornbuschs in der Wüste nahe dem Horeb, offenbart ihn dem als israelitischer Hirte in midianitischen Diensten aufgefaßten Mose. Der Gott, von ihm nach seinem Namen gefragt, antwortet ausweichend, nach der Redaktion der Tradition mit dem etymologischen Wortspiel: „Ich bin der ich bin“, nennt aber dabei den anscheinend nicht israelitischen Namen „Jahwe“1). Der

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Gott der Erzväter, mit dem er später identifiziert wurde, führt in dieser älteren Quelle den Jahwenamen noch nicht, sondern nur den „El“ - Namen in verschie-denen Zusammensetzungen, deren höchst bewertete in der späteren Tradition der Priester „El Schaddaj“ wurde: - ebenfalls ein etymologisch wohl nicht israeli-tisches Wort: „Mose“ ebenso wie „Pinchas“ sind ägyptische Namen, seine „kuschitische“ Frau wird in einer Tradition dem Mose von Mirjam und Aaron vorgerückt: Reminiszenzen alter Zwiste zwischen Priestergeschlechtern, in denen jedoch wohl eine Kenntnis davon fortlebt: daß auch später noch Jahwe und seine Priester als ganz oder halb Landfremde galten. Die ägyptischen Namen beweisen natürlich in einer Zeit ägyptischer Vorherrschaft in Palästina und der Sinaiwüste so wenig etwas für ägyptische Herkunft des Bundesstifters oder vollends seinem Gottes, wie babylonische oder hellenische Namen bei Juden der Spätzeit über deren Abkunft etwas aussagen. Immerhin fehlt Mose im Gegensatz zu Josua ursprünglich die (erst spät und künstlich konstruierte) israelitische Abstammungs-bezeichnung und ist der levitische Ursprung der auf ihn am wahrscheinlichsten zurückgehenden (elidischen) Priestersippe ebenfalls erst spätere Konstruktion. Wie dem sei, jedenfalls zeigt die alte Ueberlieferung deutlich, daß der Gott schon außerhalb Israels verehrt worden war, als er rezipiert wurde. Offenbar waren es die an Israel südlich angrenzenden Beduinen- und Oasen - Stämme, unter denen er organisierte Verehrung genossen hatte. Auf Bergen war von Anfang an sein Sitz, die Oase Kodes aber in der Sinaiwüste galt der ältesten Tradition als sein eigentlicher Kultort, wo das Grab der Prophetin Mirjam gezeigt wurde und wo vermutlich entscheidende Akte der Konstituierung Israels sich abspielten. Am „Haderwasser“ von Kades (Deut. 33, 8), d. h. am Quell jener Oase, an welchem seine Priester Prozeßorakel erteilten, war der für den Ursprung der Leviten wichtigste Ort seiner organisierten Verehrung. Sein Priester1) Jethro, in der Tradition Schwieger-

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vater und Berater des Mose, galt als Midianiter. Ebenso galt die legendenverdunkelte Gestalt des Bileam, der in seinem Namen weissagt, als fremder, teils moabitischer, teils ammonitischer, nach der richtigen Deutung aber wohl edomitischer oder midianitischer Seher, den die Israeliten später im Kriege erschlagen. Wie nun mit dem Vorgang in Kades die feste Ansässigkeit des Gottes auf dem Sinai und der von einer jüngeren Tradition dorthin verlegte Bundesschluß zu vereinigen ist, bleibt hier dahingestellt. Die Edomiter sind früh erobernd gegen die ägyptische Grenze zu vorgedrungen und Edom, insbesondere das Waldgebirge Seir der Wohnsitz Esaus (Gen. 32, 3), des älteren Bruders Jakobs, wo später auch Geschlechter des früh verschollenen Stammes Simeon ansässig waren (I. Chron. 5, 41. 42), galt noch Jeremia und Obadja als alter Sitz der Jahweweisheit. Das levitische Geschlecht der Korachiten (Ex. 6, 21) scheint (Gen. 36, 5) ursprünglich auf Esau, also edomitische Abstammung, zurückzugehen. Aus Seir zieht Jahwe im Deboralied zum Kampf heran und von dorther hört noch der Dichter des schönen unter die Jesajaorakel geratenen Wächterlieds aus der Exilszeit, trotz der damaligen bitteren Feindschaft gegen Edom, den Ruf: „Wie lang noch die Nacht“ ? Die Keniter, später besonders eifrige Jahweverehrer, gehörten ursprünglich nicht einmal zum Stamme Juda, geschweige denn zu Israel, für welches ja Kain sowohl in der Totschlaglegende wie in dem einen der alten Bileam - Sprüche ein Verfluchter war. Daß der Sinai, später dem Horeb gleichgesetzt, ein Vulkan an der nordwestarabischen Küste nahe dem Schilfmeer östlich gegenüber der heute sog. Sinaihalbinsel war, begegnet manchem Zweifel. Niemals aber hat jedenfalls auch nur die Sage behauptet, daß er je zum Gebiet Israels gehört habe. Ebensowenig Kades. Und ebenso sicher galt Jahwe der alten Tradition weder als der ursprüngliche Gott Israels, noch als Gott nur Israels, noch als ein in Israel residierender Gott. Erst der späteren Schlußredaktion des Hexateuch, welche Jahwe zum Weltgott macht, ist es selbstverständlich, daß auch die Erzväten keinen anderen Gott als ihn verehrt haben. Der alten Tradition ist er noch in der Jephthalegende ein Gott neben anderen, nur ein besonders mächtiger und erhabener. Und ferner ist er zwar der „Gott Israels“ und für Jephtha „mein Gott“, so wie Kamos der Gott des Ammoniterkönigs ist, aber doch in einem sehr besonderen Sinne. Er war - und das blieb eine folgenreiche Vorstellung -

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ein „Gott aus der Ferne“, von seinem entlegenen, dem Himmel nahen Bergessitz aus waltend und gegebenenfalls persönlich in die Geschehnisse eingreifend. Diese „Ferne“ gab ihm von vornherein eine besondere Majestät. Zwar eine der alten Ueberlieferungen wußte, daß auf dem Sinai die Aeltesten selbst mit ihm zur Tafel gesessen hatten. Aber die überwiegende Ansicht der späteren Zeit war des Glaubens, daß von allen Menschen nur Mose ihn von Angesicht zu Angesicht gesehen (Num. 12, 6 f.) und daß danach selbst dessen Antlitz in so übernatürlichem Glanz geleuchtet habe, daß er es vor dem Volk bedecken mußte: - dies letzte vielleicht eine Reminiszenz an die alten Teraphim - Masken, von denen noch zu reden sein wird. Und die eigentliche Meinung (Ex. 33, 20) ging dahin, daß auch Mose ihn auf seine Bitte nur von rückwärts habe an sich vorbeiziehen sehen können, weil jedermann, der sein Antlitz erblickte, des Todes sei. - Nicht ein altvertrauter Orts- oder Stammesgott, sondern eine fremde und geheimnisvolle Gestalt war es, welche der israelitischen Eidgenossenschaft die Weihe gab.

Die Vernichtung jenes ägyptischen Heeres, auf welche das gewaltige Prestige dieses Gottes von der Tradition zurückgeführt wird, geschah offenbar durch eine nach plötzlicher Ebbe ebenso plötzlich eintretende Sturmflut des Schilfmeers östlich der Sinaihalbinsel, ziemlich wahrscheinlich - wie die Erscheinung der Feuer- und Wolkensäule und die Feuerglut auf dem Berge andeuten - im Zusammenhang mit vulkanischen Erscheinungen irgendwelcher Art. Sowohl diese Schilfmeerkatastrophe wie der ägyptische Aufenthalt Israels sind mehrfach bezweifelt worden. Aber daß Viehzüchter der Steppe bei Dürre oder Bedrohung Schutz als Metöken im ägyptischen Grenzlande suchten, war nach den ägyptischen Quellen nichts Ungewöhnliches; ganz selbstverständlich war dann ihre gelegentliche Heranziehung zu Fronden durch die Könige und ebenso naheliegend, daß sie sich der Fronbelastung bei gegebener Gelegenheit entzogen. Da jene Grenzfestungen, an deren Bau die Israeliten mitgewirkt haben wollen, unter Ramses II. gebaut zu sein scheinen, Israel aber unter dessen Nachfolger Merneptah bereits in Palästina als Feind erwähnt wird, bleibt freilich die Chronologie der Einwanderung und des Auszügs besonders dann sehr schwierig, wenn man die weit früher, unter Amenophis III. und IV., als Feinde in Palästina auftretenden „Chabiru“ identifiziert mit den Ibrim,

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den „Jenseitigen“, d. h. wohl den Ostjordanischen, als welche die Israeliten und andere mit ihnen als verwandt geltende Stämme1) in der Tradition vom Standpunkt der Fremden aus, im eigenen Munde der Israeliten aber, außer bei dem als Wanderhirte gedachten Abraham, welcher stets „der Hebräer“ heißt, nur einmal im Bundesbuch2) und sonst fast nur im Verkehr mit Fremden bezeichnet werden3). Es ist wohl als sicher anzunehmen, daß die später zum israelitischen Bunde zusammengetretenen Stämme in verschiedenen Wellen über das westjordanische Land hereingebrochen sind und daß auch die Zusammensetzung des Bundes selbst, wie schon früher sich als wahrscheinlich zeigte, gewechselt hat und Kanaanäer einerseits, frühere Beduinenstämme andererseits mit einbezogen worden sind. Daß an dem ägyptischen Aufenthalt nicht alle späteren Stämme Israels oder deren Vorfahren mitbeteiligt waren, ist wohl ebenfalls sicher. Den viel später sich bildenden Stamm Juda läßt die verläßlichste, weil natürlichste, Tradition von Süden her, nicht von Osten, in seine Wohnsitze eindringen. Ob, wie die Phöniker angeblich - aber schwerlich wirklich - vom persischen Meerbusen her und ein Teil der Sa - Gaz - Nomaden vermutlich von der Grenze Mesopotamiens zuwanderten, so auch ein hinter der Abraham- (oder Abram-) Tradition sich bergender Bestandteil der Israeliten schon früher, etwa in der Amarnazeit, aus der mesopotamischen Steppe zugewandert ist, bleibt dunkel.

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Es scheint aber nicht unmöglich. Der Name (Abiram) ist in Babylon häufig. Zwar enthält die dem Abraham zugeschriebene Religiosität keine erkennbaren babylonischen Züge. Indessen die Kedor - Laomer - Tradition ist doch eine auffällige Eigentümlichkeit. Auch andere Züge der Tradition lassen mehrere Wellen der Ueberflutung des Landes vermuten. Als Kern des altisraelitischen Bundes aber, wie ihn das Deboralied kennt, galt den Segenspruchsammlungen und der priesterlichen Tradition jedenfalls der von Mose zum Zweck der Eroberung und Behauptung des Westjordanlandes gestiftete Bund mit dem Gott, der das Schilfmeerwunder gewirkt hatte. An der Geschichtlichkeit der Person des Mose1) zu zweifeln, liegt kein Grund vor1). Es handelt sich nur darum, welche Eigenart seiner Leistung zuzusprechen ist.

Eine wirklich sichere Feststellung des Herganges erscheint historisch schlechthin unmöglich. Die Vorstellung, daß ein Gesetzbuch (etwa das Bundesbuch) oder ein Katalog ethischer Pflichten (etwa der Dekalog) den Gegenstand der berith gebildet habe, ist ganz unhistorisch und pragmatisch gedacht, von andern

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unübersteiglichen Schwierigkeiten abgesehen. Die Uebernahme der an den Orten seiner bisherigen Verehrung geltenden, der Umwelt entsprechend offenbar überaus einfachen Riten (bildloser Kult, vielleicht Beschneidung, sicher aber: Losorakel) und gewisse allereinfachste, für einen erobernden Heerbann von Steppennomaden geeignete soziale Brüderlichkeits - Ordnungen, schließlich: das Prestige der Kriegsprophetie als solcher, sind die aus rein sachlichen Gründen und nach allen, auch den islamischen Analogien wahrscheinlichsten Inhalte der Verbrüderung, die ja vielleicht nicht die erste ihrer Art war. Die besondere Schärfe, mit welcher der Gott Mord an Volksgenossen und Verletzung des Gastrechts perhorresziert und das strenge Beute - Tabu passen ebenfalls in diese Provenienz. Wir werden ohne zu große Unvorsichtigkeit annehmen dürfen, daß dies etwa die (ausdrücklich oder der Sache nach) durch die berith übernommenen Verpflichtungen Israels waren. Sie enthalten an sich keinerlei Bestandteile, die nicht unter ähnlichen Verhältnissen auch sonst geschichtlich vorkämen. Und Jahwe ? Er war und blieb immer ein Gott der Erlösung und Verheißung. Aber das Wichtige war: sowohl Erlösung und Verheißung betrafen aktuelle politische, nicht innerliche, Dinge. Erlösung von der Knechtschaft der Aegypter, nicht von einer brüchigen, sinnlosen Welt, Verheißung der Herrschaft über Kanaan, das man erobern wollte, und ein glückliches Dasein dort, nicht Verheißung transzendenter Güter, bot der Gott. Gerade dieser primitive ungebrochene Naturalismus und gerade jene auf primitive materielle und soziale Kulturverhältnisse zurückgehende rituelle Eigenart wurden das Wichtige. Und gerade in der alsbald nach der Einwanderung beginnenden Verbindung mit den überall verbreiteten Elementen einer rationalen und geistig differenzierten Kultur. Denn ganz universell ist jene Erscheinung: daß Kulturrezeptionen im allgemeinen gerade da ganz neue und eigenartige Gebilde erzeugen, wo sie Gelegenheit haben und genötigt sind, sich mit Vorstellungsreihen zu verschmelzen, welche ihrerseits noch unsublimiert und nicht durch priesterliche, amtliche oder literarische Prägung stereotypiert sind und also die Anpassung der alten rationalisierten Gebilde an ganz neue und relativ einfache Bedingungen erzwingen.

Die israelitischen, lediglich auf die mosaische Stiftung zurückgehenden Konzeptionenstellten die in Kanaan verbreiteten

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orientalischen Bildungselemente vor diese Notwendigkeit. Durch welche eigenen Qualitäten aber geschah das ? Zunächst also: welche Züge eignen dem, nach der Tradition, von Mose für den (gleichviel wie beschaffenen) israelitischen Bund neu eingeführten Gott und dessen Beziehung zu Israel ?

Jahwe zeigt in der alten Tradition verschiedene charakteristische Oualitäten. Die hochgradigen anthropomorphen Züge1), welche er gerade in den älteren und namentlich den aus dem Süden stammenden Teilen der Tradition (des sog. „Jahwisten“) trägt, teilt er mit den althellenischen und anderen Göttern kriegerischer Völker. Nicht überall und vielleicht nicht von Anfang an, aber offenbar sehr früh und dann sehr regelmäßig haftet ihm aber ein Zug an, der in dieser Stärke sich nicht oft findet: daß seine Nähe, unter Umständen selbst die Nähe der von seinem „Geist“ (ruach) befallenen „Gottesmänner“ unheimlich und gefährlich, sein Anblick, wie wir sahen, tödlich ist. Der für Jahwe in besonders hohem Grade spezifische Begriff der Heiligkeit besagt, wie, anschließend an Graf Baudissins Untersuchungen, jetzt allgemein angenommen wird, ursprünglich ausschließlich oder wesentlich diese aus der Gefahr jeder Berührung und jedes Erblickens des Gottes folgende Unnahbarkeit und Abgesondertheit von allen nicht eigens für das Ertragen seiner Nähe rituell qualifizierten Menschen sowohl wie auch Gegenständen. Diese wichtige Qualität hängt offenbar zum teil mit der später zu besprechenden alten Bildlosigkeit seines Kults, zunächst aber mit seiner jetzt zu besprechenden Natur und der Art seiner Manifestationen zusammen. Er ähnelt dem indischen Indra, denn wie dieser ist er, für Israel wenigstens, zunächst und vor allem Kriegsgott. „Einen Kriegsmann“ (isch hamilchamah) nennt ihn eine Variante eines alten Berichts (Ex. 18, 25). Nach Blut, dem Blut der Feinde, der Ungehorsamen, der Opfer lechzt er. Ueber alle Maßen gewaltig ist seine Leidenschaft. In seinem Grimm verzehrt er die Feinde mit Feuer oder läßt sie von der Erde verschlingen, stürzt sie, wie die Wagen der Aegypter nach dem alten Doppelteiler des Mirjamreigens, ins Meer oder läßt ihre Wagen wie die der Kanaanäer in der Deboraschlacht im regengeschwollenen Bach stecken bleiben, so daß die israelitischen Bauern sie ebenso abschlachten konnten, wie dies der lateinischen

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Ritterschaft in Griechenland einmal in der späten Kreuzzugszeit widerfuhr. Noch bei den Propheten ist die Furchtbarkeit seines Zorns und seiner Kriegsmacht der hervorstechende Zug. Großartig wie sein Zorn ist aber auch seine Gnade. Denn sein leidenschaftliches Herz ist wandelbar. Ihn reut es, den Menschen Gutes getan zu haben, wenn sie es ihm schlecht vergelten, und dann wieder gereut ihn sein übergroßer Zorn. Die späte rabbinische Tradition läßt ihn selbst beten (!): daß seine eigene Barmherzigkeit über seinen Zorn die Oberhand behalten möge. Im Wettersturm zieht er persönlich dem Heerbann zu Hilfe. Und seinen Freunden hilft er, wie Athene dem Odysseus, unbedenklich auch in List und Trug. Aber man ist nie sicher, durch irgend ein unwissentliches Versehen seinen Grimm zu reizen oder von einem göttlichen Numen aus dem Kreise seiner Geister ganz unerwartet und unmotiviert überfallen und mit Vernichtung bedroht zu werden. Der „Geist“, die ruach, Jahwes, ist in vorprophetischer Zeit weder eine ethische Potenz noch ein religiöser Dauerhabitus, sondern eine akute dämonisch -übermenschliche Kraft verschiedenen, sehr oft und vorzugsweise aber furchtbaren Charakters. Die wilden charismatischen Kriegshelden der israelitischen Stämme, Berserker wie Simson, Nasiräer und ekstatische Nebijim, wissen sich von dieser Kraft erfaßt und fühlen sich als seine Gefolgen. Alle Kriegspropheten und -prophetinnen treten in Jahwes Namen auf; auch die Träger eines anderen theophoren (Baals-) Namens wie Jerubbaal nehmen als Kriegsfürsten einen neuen Namen (Gideon) an.

Zum Kriegsgott eignete sich Jahwe ebenso wie Indra um deswillen, weil er wie dieser ursprünglich ein Gott der großen Naturkatastrophen war. Erdbeben (I. Sam. 14, 15: Jos. 2, 12 f.; 46, 7), vulkanische Erscheinungen (Gen. 19, 24; Ex. 19, 11; Psalm 46, 7) unterirdisches ( Jos. 30, 27) und himmlisches Feuer, der Wüstenwind von Süden und Südosten (Sach. 9, 14) und die Gewitter sind die Begleiterscheinungen seines Auftretens, die Blitze wie bei Indra seine Pfeile (Ps. 18, 15) noch bei den Propheten und Psalmisten. Zum Umkreise der Naturkatastrophen gehörte für Palästina auch die Insekten-, vor allem die Heuschreckenplage, welche der Südostwind ins Land brachte. Mit Heuschrecken plagt daher der Gott die Feinde seines Volks und Schwärme von Hornissen sendet er vor ihm her, die Feinde zu verwirren, Massen von Schlangen zur Bestrafung des eigenen

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Volkes. Endlich: die Seuchen (Hos. 13, 14). Mit Pest schlägt der Gott die Aegypter, ebenso die Philister und andere, die sich an seiner heiligen Lade vergreifen (I. Sam. 4, 8; 6, 6. 19). Der Schlangenstab seiner Priester im Tempel von Jerusalem deutet wohl auf diese einstige Bedeutung als Pestgott hin. Denn als „Herr“ der Krankheit konnte er sie auch abwehren und war ihr Arzt, wie überall im gleichen Fall. Alle furchtbaren und schicksalhaften Naturerscheinungen also waren die Domäne des Gottes: er vereinigte die Züge Indras mit denen Rudras. Neben jenem Charakter kriegerischer und naturmythischer Wildheit zeigt er freundlichere Züge schon in der alten Tradition als Herr des Regens. Nachdrücklich weist er sein Volk darauf hin, daß in Israel nicht wie in Aegypten der Ackerertrag durch die Bewässerung bedingt werde - also, heißt das, ein Produkt der bürokratischen Verwaltung des irdischen Königs und der eigenen Arbeit des Bauern sei -, sondern durch den von ihm, Jahwe, nach seiner freien Gnade gespendeten Regen. Die starken Gewitterregen, wie sie namentlich dem an die Wüste angrenzenden Steppengebiet eigneten, waren sein Werk. Der Regen verknüpfte ihn von Anfang an mit dem Einzelnen und seinen ökonomischen Interessen und erleichterte das später immer mehr hervortretende Eindringen der Züge eines gütigen Natur- und Himmelsgottes in sein Bild. Vor allem unter dem Einfluß der in den umliegenden Kulturländern und auch in Palästina selbst verbreiteten Konzeptionen höchster Himmelsgötter trat diese Sublimierung und Rationalisierung des Bildes des Gottes zu einem weisen Weltenlenker ein. Daneben war auch der, wie wir sehen werden, bei den israelitischen Intellektuellen sich entwickelnde Vorsehungsglauben mitbestimmend. Aber nie verschwanden aus seinem Bilde die von dem alten Jahwe stammenden Züge des furchtbaren Katastrophengottes. In all jenen Mythologemen und mythologisch beeinflußten Bildern, deren Benutzung der Sprache der Propheten ihre unvergleichliche Großartigkeit verleiht, spielen diese Züge die entscheidende Rolle. In erster Linie solche Machtbeweise, nicht Beweise weiser Ordnung, sind, bis tief in die exilische und nachexilische Zeit, die von Jahwe gelenkten Naturvorgänge. Der Zusammenhang der bis in die Zeit nach dem Exil stets festgehaltenen Qualitäten Jahwes als eines Gottes der furchtbaren Naturkatastrophen, nicht der ewigen Naturordnung war, außer in der allgemeinen Verwandtschaft

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jener Vorgänge mit dem Kriege, eben rein historisch dadurch begründet, daß der Gott sich dieser seiner Macht, zuerst gegen die Aegypter, dann, in der Deboraschlacht, gegen die Kanaanäer und ebenso später gegen Israels Feinde in der Schlacht bedient hatte. Der „Gottesschrecken“ (cherdath Elohim, I. Sam. 14, 15): die durch Natureingriffe, namentlich Erdbeben (a. a. O.) und schwere Gewitter (Deboraschlacht) erregte Panik der Feinde wurde ihm zugeschrieben und eine solche, vulkanisch bedingte, Panik (der Aegypter) hatte zur Rezeption des Gottes geführt. Das blieb unvergessen.

Praktisch wichtig war nun aber vor allem, daß Jahwe wenigstens für das alte Israel trotz dieses Charakters auch ein sozialer Verbandsgott wurde und blieb. Auch das in besonderem Sinn. Er war, wie wir annehmen müssen: seit Mose, der Bundesgott des israelitischen Bundes und, dem Zweck des Bundes entsprechend, vor allem der Bundeskriegsgott. Aber dies war er in sehr eigener Art. Durch einen Bundesvertrag ist er dazu geworden. Und dieser Vertrag mußte außer unter den Bundesgliedern auch mit ihm selbst abgeschlossen werden deshalb, weil er nicht ein inmitten des Volkes residierender oder schon bekannter, sondern ein bisher fremder Gott war und ein „Gott aus der Ferne“ blieb. Dies war das Entscheidende der Beziehungen. Jahwe war ein Wahlgott. Durch berith mit ihm hat sich ihn das Bundesvolk erwählt, ganz ebenso wie es sich später durch berith seinen König einsetzte. Und umgekehrt hat er dieses Volk aus allen anderen nach freiem Entschluß erwählt. Das hält er dem Volk durch die priesterliche Thora und die prophetischen Orakel später immer wieder vor: aus freier Gnade hat er dies und kein anderes Volk sich als sein Volk ausersehen, ihm Verheißungen gegeben wie keinem andern und da für seine Versprechungen entgegengenommen. Und daher war nun überall, wo das Bundesvolk als solches eine berith machte, er, der Gott, der ideelle Gegenpartner. Alle Verletzungen der heiligen Satzungen waren also nicht nur Verstöße gegen Ordnungen, die er garantiert, wie dies andere Götter auch tun, sondern Verletzungen der feierlichsten Vertragsverpflichtungen gegen ihn selbst. Ihm persönlich, nicht nur dem Bunde, verweigert die Heerfolge, wer dem Bundesaufgebot nicht folgt: er ist „Jahwe nicht zu Hilfe gezogen“. Das Bundesheer wird „Mannen Gottes“ (,am haelohim) genannt ( Jud. 20, 1 f.).

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Auf diese Art wurde er aber außer zum Bundeskriegsgott auch zum Vertragspartner des durch berith festgestellten Bundesrechts, vor allem der sozialrechtlichen Ordnungen. Da der Bund als solcher ein Verband von Stämmen zunächst ohne alle staatliche Organisation war, konnten ja neue Satzungen gleichviel ob kultischer oder rechtlicher Art im Prinzip gar nicht anders als durch neue Vereinbarung (berith) auf Grund eines Orakels entstehen, ganz ebenso wie der ursprüngliche Bund. Alle diese Satzungen standen damit auf der gleichen Grundlage wie das alte Vertragsverhältnis, welches zwischen ihm und dem Volk bestand. Insofern war gerade in der Zeit vor dem Königtum die „berith“ staatsrechtlich durchaus nichts nur Theoretisches. Ebenso aber auch nicht für die religiöse Vorstellung. Bei Jeremia (2, 5) fragt Jahwe: welches Unrecht denn die Väter an ihm erfunden hätten ? Und andrerseits mahnt ihn Jeremia (14, 21): seinen Bund mit Israel nicht zu brechen.

Weder konnte dieser als Vertragspartner geltende Bundesgott in Israel als ein bloßer Funktionsgott irgendwelcher Naturvorgänge oder sozialen Einrichtungen angesehen werden. Noch war er ein Lokalgott in dem Sinn, wie die orientalischen Städte einen solchen überall kannten. Auch nicht ein bloßer Gott des „Landes“. Sondern die Personengemeinschaft des israelitischen Bundesheeres mußte bei jener Auffassung als sein mit ihm durch die Bundesgemeinschaft verbundenes Volk gelten. Dies war die eigentlich klassische Auffassung der Tradition. Die Uebertragung der Heiligkeit auf den politischen Landbesitz als das „Heilige Land“ ist erst eine spätere, vermutlich durch heterogene, teils dem Baalkult, teils der Lokalisierung Jahwes als Gott der Königsresidenz entstammende Gottesvorstellungen vermittelte Konzeption, die sich in der Königszeit für David in einer Tradition unsicheren Alters, dann im Nordreich bei Elisas Bekehrung des Naeman zuerst bezeugt findet.

Jahwe schützt als Garant der Bundesordnungen Sitte und Brauch. Das, was in Israel „unerhört“ ist, ist auch ihm ein Greuel. Er war aber seinem ursprünglichen Charakter entsprechend Garant des Bundesrechts und der Sitte nicht in dem Sinne wie Varuna oder ähnliche Götter es waren: Hüter der schon an sich vorhandenen Heiligkeit der unabänderlichen Ordnung: des Rechts oder einer an festen Maßstäben zu messenden „Gerechtigkeit“. Nein, durch positive berith mit ihm war dies

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positive Recht für Israel geschaffen; es war nicht immer dagewesen und es konnte sein, daß es durch neue Offenbarung und neue berith mit dem Gott wieder geändert wurde. Nicht erst Paulos, sondern, wenn auch nur gelegentlich, schon einzelne Propheten (Jeremia, Hesekiel) glaubten, daß der Gott manche Satzungen dem Volk als ein hartes Joch oder zur Strafe auferlegt habe, ganz ebenso wie - nach dem volkstümlichen Mythos - dem Adam die Arbeitsmühsal und den Tod. Das Recht war nicht ein ewiges Tao oder Dharma, sondern eine positive göttliche Satzung, über deren Innehaltung Jahwe eiferte. Zwar hat der ethische Rationalismus der deuteronomischen Schule später gelegentlich (Deut. 4, 2) das Gesetz Gottes als „ewig“ bezeichhet und die ursprüngliche sittliche Vollkommenheit (Deut. 4, 8) der gerechten Ordnungen des Gottes gerühmt, wie sie kein anderes Volk besitze. Allein diese gelegentlichen paränetischen Argumentationen enthalten nicht die aus dem „berith“ Charakter des Rechts unvermeidlich sich ergebende typische Stellungnahme. Die Verfügungen des Gottes stehen in seiner Hand und sind an sich wandelbar. Er kann sich durch berith an sie binden, aber das ist dann Ergebnis seines freien Willensentschlusses. Ewige Ordnungen kennt denn auch erst die priesterliche Redaktion und zwar sind dies fast durchweg kultische oder auf die Rechte der erst in der Exilszeit zum Kultmonopol aufgestiegenen Aaroniden bezügliche Normen, welche, gerade weil sie Neuerungen waren, pathetisch mit diesem Ausdruck (chukath golam) belegt wurden (Ex. 27, 21; Lev. 3, 17; 16, 31; 23, 14. 31. 41; Deut. 12, 1 betreffen kultische, Lev. 7, 37; 24, 3; Num. 18, 23 priesterrechtliche Ordnungen aus der Exilszeit; I. Gen. 9, 14: berith golam die theologischen Konstruktionen des noachischen Bundes). Die einzige weltliche „ewige“ Ordnung: die Bestimmung, daß für ewige Zeiten Israel und die gerim die gleichen Rechte haben sollen, ist ebenfalls eine von den Priestern geschaffene Neuerung der Exilszeit. Man kann solche Novellen geradezu an der Verwendung des Ausdrucks „ewig“ erkennen. Niemals wird in der alten Literatur Israels behauptet, daß diese und keine andere Sozialordnung an sich die ewig unabänderlich kraft ihrer inneren Vollkommenheit geltende sei und deshalb von Jahwe gehütet werde. Es ist im höchsten Grade bezeichnend, daß der Gott, als er dem Hiob auf dessen Verlangen, ihm Rede zu stehen über die Unge-

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rechtigkeit der Ordnung des Menschendaseins, im Wettersturm erscheint, mit keinem Wort die Weisheit seiner Ordnung der menschlichen Beziehungen vertritt, wie sie etwa dem Konfuzianer selbstverständlich war, sondern ganz und gar nur seine souveräne Macht und Größe in den Naturereignissen. Bis in die Zeiten der Entstehung der altchristlichen Naturrechtslehre hinein ist diese historisch bedingte Eigenart des Gottes folgenreich gewesen.

Von Anfang an lagen gewisse Züge einer über Israel hinausgreifenden Stellung und in diesem Sinn eines gewissen Universalismus in der Konzeption Jahwes, richtiger: in der eigenartigen Beziehung, in der sich, aus rein historischen Gründen, der israelitische Bund zu diesem Gott befand. Man hat sich neuerdings darüber gestritten, ob Monolatrie (exklusive Verehrung nur eines von den mehreren Göttern), Henotheismus (aktuelle Behandlung des gerade angerufenen Gottes als des einzig mächtigen), oder Monotheismus (prinzipielle Einzigkeit) die alte Jahwevorstellung beherrscht haben. In dieser Art ist wohl schon die Frage falsch gestellt. Die Anschauung hat nicht nur gewechselt, sondern war zur selben Zeit je nach den sozialen Kreisen ganz verschieden. Für den Krieger war es klar: daß der Gott, den er anruft, sein Gott sei und folglich der Gott der Feinde ein anderer: so behandelt das Richterbuch (11, 24) in der Jephtha - Erzählung, das Königsbuch (2. Kön. 3, 27) in der Erzählung vom Moabiterkrieg die Götter Jahwe und Kamos1). Für den König und die stadtsässigen, vor allem die Tempelpriester- und Patrizier - Schichten, aber auch für den städtischen Massenglauben war es klar: daß der Gott im Tempel der Stadt lokalisiert sei, daß anderwärts also andere Götter seien, daß der eigene Gott mit der Existenz der Stadt stehe und falle, daß, wer aus der Stadt (oder dem zugehörigen Lande) gehen müsse, dem eigenen Gott nicht dienen könne, sondern fremden Göttern dienen müsse (so David: I. Sam. 26, 19), daß dagegen, wer aus fremdem Land kommt, dem einheimischen Gott zu dienen gut tue, weil dieser sich sonst rächen könnte (so Jahwe an den assyrischen Kolonisten in Samaria, 2. Kön. 17, 25. 26). Dies ist Produkt stadtsässiger Kultur. Für den Israeliten einer Tempelstadt, zumal Jerusalems, war Jahwe im Tempel ansässig. Für


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eine solche Lokalisierung bot seit alters die Lade Jahwes naturgemäßen Anlaß. Das überlieferte Ritual zeigt, daß die Krieger im Felde sich ihn als auf diesem Lagerheiligtum anwesend vorstellten. Ganz anders war naturgemäß der Standpunkt der halbnomadischen Viehzüchterstämme. Der von ihnen beeinflußten Tradition versteht es sich von selbst, daß der Gott auch im fremden Land mit dem Israeliten ist (Gen. 28, 20). Sie wissen rechtgut: daß Jahwe auch von nichtisraelitischen Stämmen verehrt wird und ihre Legenden setzen daher das gleiche als selbstverständlich nicht nur von Laban (Gen. 24, 50; 31, 19), immerhin einem Verwandten, sondern auch für Abimelech von Gerar (Gen. 20, 11; 21, 23) voraus. In der Joseph - Novelle (Gen. 41, 39) ist sogar jene Auffassung spürbar, die bei handeltreibenden Weltvölkern, wie den Hellenen und den späteren Römern, typisch war: die naive Identifikation bestimmter fremder Götter mit den eigenen, wie sie im nachexilischen Judentum sich für den Gott des Nebukadnezar (bei Daniel) und des Perserkönigs findet. Im ganzen aber war diese Vorstellungsweise dem älteren Israel fremd, weil Jahwe durch berith sein Gott geworden war. Das schloß, nach der ursprünglichen Vorstellung, zum mindesten aus, daß er im gleichen Sinn wie für Israel auch der ganz persönliche Schutzgott femder Könige sei, wie etwa Marduk und Ahuramazda es waren. Die beruflichen Jahwepropheten der alten Zeit, die Nebijim und Seher, waren offenbar weder von der Einzigkeit noch auch davon überzeugt, daß gerade nur in Israel ihr Gott zu Hause sei. Sie hatten zum Teil internationale Kundschaft und die Elia - Tradition setzt wenigstens an einer Stelle (I. Kön. 17, 9) voraus, daß auch die Witwe in Sidon Gebote Jahwes von diesem empfange. Im übrigen war ihr Gott zwar nicht der einzige, aber natürlich der stärkste von allen, die andern letztlich „Nichtse“. Das konnte auch die alte jahwistische Kriegertradition ( Jos. 2, 9) akzeptieren. Ihr kam es vor allem auf die Sonderstellung Israels kraft der berith an. Für sie stand fest: Mochten auch andere Jahwe verehren, Israel stand doch in seiner besonderen Hut. Jahwe war ihr nicht der Feind fremder Völker: - dieser Anschauung hat sich erst der nationale Fanatismus der königlichen Heilspropheten und der konfessionelle Fanatismus der Priester nach dem Exil gelegentlich genähert. Aber, wie wir später sehen werden: auf Israel allein kam es ihm an, wie dies ja von jedem Lokalgott oder Lokalheiligen und jeder lokalisierten Madonna

M a x W e b e r, Religionssoziologie III.

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aller Zeiten auch erwartet wurde, - nur daß bei Jahwe eben die im Resultat ähnliche Vorstellung ursprünglich nicht von der Lokalisierung, sondern gerade von einem (relativen) Universalismus und der partikulären berith mit Israel ausging. Die verschiedenen Auffassungen aber standen nebeneinander und ihre logische Gegensätzlichkeit wurde, wie üblich, nicht empfunden. Jedenfalls hat man sich zu hüten, die „partikularistischere“ Gottesauffassung für die notwendig ältere zu halten. In gewissem Umfang und Sinn trifft das Gegenteil zu, und bei Jahwe war dies unvermeidlich so. In der rhythmischen alten Gottesrede Ex. 19, 5 nennt Jahwe sich, ehe er den Inhalt des zu schließenden Bundes verkündet, der Israel zu seinem Eigentum machen soll, geradezu den „Herren der ganzen Welt“. Auch diese Auffassung fand sich also schon in vorprophetischer Zeit gelegentlich neben den anderen. „Universalistisch“ in diesem Sinn treten ja auch die Götter anderer Völker auf. Vor allem die Großkönigsgötter der Hauptstädte der Weltreiche. In Aegypten hat Amon unter der Priesterherrschaft der späteren Ramessidenzeit universelle Macht der Heilsspendung in Anspruch genommen1). Aehnliches werden die Berater und Hofpropheten israelitischer Könige in Erinnerung an das Davidsreich von Jahwe verkündet haben2). Aber historisch ruhte der besondersartige (relative) Universalismus Jahwes nicht auf dieser Grundlage. Sondern: auf der Tatsache seiner Rezeption. Jahwe hatte eben in einem anderen Sinn als andere Götter bereits bestanden und seine Macht bewährt, ehe Israel ihm opferte. Das hatte gewichtige kultische Konsequenzen. Mochten auch Opfer als ihm angenehm, folglich als geeignete Mittel gelten, seine Gunst zu gewinnen, schwerlich konnte doch die sonst so häufige Vorstellung aufkommen: daß der Gott in seiner Existenz davon abhängig sei, daß sie ihm dargebracht würden1). Er thronte in der Ferne auf

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seiner Bergeshöhe und bedurfte ihrer nicht, wenn er sie auch gern genoß. Dazu kam nun aber, was wohl zu beachten ist, in der Zeit vor dem Königtum in Friedenszeiten das Fehlen jeglicher politischen oder hierokratischen Instanz, die im Namen des Bundes hätte Opfer darbringen können: wir wissen von solchen gar nichts und ihre Existenz scheint ausgeschlossen. Das Opfer also konnte schlechterdings, gerade in alter Zeit, in der Beziehung zu Jahwe nicht jene Bedeutung gewinnen, wie anderwärts. Insofern waren also die Propheten später ganz im Recht, nicht nur für die Wüstenzeit, sondern für den israelitischen Bund überhaupt, wenn sie betonten: damals habe man Gott nicht durch Opfer gedient. Da die spezifische Form, durch welche das Bundesvolk immer wieder mit ihm in Berührung trat, die berith war, so lag es nahe, die Erfüllung der durch berith mit ihm geheiligten Gebote für mindestens so wichtig oder eigentlich für wichtiger zu halten als die von den Einzelnen nach Gelegenheit und später von den Königen und Tempelpriestern dargebrachten Opfer, wie dies denn von einem Teil der reinen Jahweverehrer auch immer erneut geschah1). Es hat in der späteren Königszeit immer in Israel eine Partei gegeben - und ihr haben gerade die gewaltigsten Schriftpropheten, wie Amos und Jeremia zugehört -, welche die Erinnerung an diesen Zustand wach erhielt und alle und jede Opfer als Jahwe letztlich gänzlich gleichgültig hinstellte. Begreiflicherweise hingen gerade die am wenigsten an festen Kultstätten seßhaften, also die Kleinviehzüchterschichten, am meisten dieser Auffassung an. Genaue Innehaltung der ihm spezifischen Riten und im übrigen Gehorsam gegen seine Offenbarungen war augenscheinlich das, was der gewaltige himmlische Kriegsfürst in Wahrheit verlangte: diese folgenreiche Auffassung ist - wiederum politisch bedingt - zweifellos von Anfang an in Israel gerade bei den eifrigsten Hütern der alten Tradition lebendig geblieben. Mochten die ursprünglich von ihm dem Kriegerbunde auferlegten ethischen Gebote noch so primitiv und barbarisch gewesen sein (was heute nicht mehr sicher auszumachen

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ist), - in jenem Sinn war er doch eben unvermeidlich weit mehr als andere Götter ein ganz spezifisch auf die Erfüllung bestimmter Gebote: ritueller und sozial -ethischer Alltags - Normen, „eifernder“ Gott. Wohlgemerkt: nicht ein Gott, der eine ewig gültige Ethik schätzte oder selbst an ethischen Maßstäben gemessen würde. Das stellte sich erst allmälich als Produkt des Intellektuellenrationalismus ein. Nein, er verfuhr wie ein König, in Zorn und Leidenschaft, wenn die ihm kraft berith geschuldeten Pflichten nicht erfüllt werden. Es handelte sich um Pflichten, wie sie der erkorene Herr vom Untergebenen verlangt, um ganz positive Verpflichtungen, über deren absoluten ethischen Wert man zunächst nicht grübelte und nicht zu grübeln hatte. Das was „in Israel nicht erhört“ war und das positiv durch berith Festgestellte war der Inhalt des Gesollten. Aber auf dessen Erfüllung hielt der Gott mindestens soviel, nach einer schon früh verbreiteten Ansicht sogar mehr, als auf Opferdienst. Schon Traditionen von hohem Alter zeigen ihn in gewaltigem Zorn nicht nur wegen ritueller, sondern auch wegen ethischer Frevel. Und als selbstverständlich wird vorausgesetzt, daß der heilige Krieg des Bundes wegen schwerer Verstöße gegen ethische Pflichten - wegen solcher Dinge, die „in Israel nicht gesehen worden waren“ (Jud. 19, 30) - über Bundesglieder verhängt werden konnte. Der Grund aber für ein Einschreiten des Bundes aus solchen Gründen, also für eine spezifisch stark ethische Orientierung des altisraelitischen Bundesrechts, lag in der religiösen Solidarhaft der Bundesglieder für die Frevel aller einzelnen. Diese überaus wichtige und folgenreiche Voraussetzung einer Haftung der Gesamtheit für jeden in ihrer Mitte wissentlich oder unwissentlich geduldeten Frevler war, wie dem Repressalienrecht aller internationalen Beziehungen bis heute, so dem religiösen Glauben eines Volkes selbstverständlich, welches wie Israel seinem Gott als ein Verband freier Volksgenossen gegenüberstand. Während die Haftung des einzelnen für die Sünden seiner Vorfahren und Nächstversippten sich in babylonischen Hymnen findet, war jene Solidarhaft des ganzen Volkes für alle einzelnen - die Voraussetzung aller prophetischen Unheilsverkündigungen - in einem rein bürokratischen Staat naturgemäß gedanklich nicht entwickelt. Die politische Struktur spielte also auch hier eine entscheidende Rolle. Wie die Volksgenossen füreinander, so haften die Nachfahren bis in entfernte

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Glieder für Frevel der Vorfahren. Das war bei der Blutrache ganz ebenso und also nichts Auffallendes. Und mit Abschwächung der Blutrache änderte sich das: die deuteronomische Spekulation sah in beiden Arten der Haftung für fremdes Verschulden: für den Genossen wie für die Voreltern, eine Härte, ohne doch die Anschauung wirklich beseitigen zu können. Für Israel war sie eine Folge des berith - Verhältnisses mit dem Gott selbst.

Die Qualität des Gottes als eines durch besonderen Vertragsakt angenommenen Bundeskriegsgotts und Garanten des Bundesrechts erklärt auch noch eine Eigentümlichkeit von großer Tragweite: er war und blieb, bei allem Anthropomorphismus, unbeweibt und daher kinderlos. Auch die bne Elohim des sechsten Genesiskapitels waren keine „bne Jahwe“. Eine weibliche Ergänzung konnte bei der Eigenart seiner Stellung gar nicht in Frage kommen. Sie fehlte ihm ebenso, wie sie auch sonst gelegentlich gewissen Funktionsgöttern, welche soziale Ordnungen garantieren, (Varuna, Apollon) und importierten Göttern (Dionysos) aus ganz ähnlichen Gründen fehlte. Bei Jahwe aber trug dieser Umstand sicher sehr wesentlich dazu bei, ihn von Anfang an als etwas, anderen Göttergestalten gegenüber, Besondersartiges, Weltferneres erscheinen zu lassen; vor allem hemmte er - wie wir sehen werden - echte Mythenbildung, die immer „Theogonie“ ist. Auch diese sehr wichtige Eigentümlichkeit war also vermutlich durch jene politische Besonderheit der Entstehung seines Kults bedingt. Solche Züge von Präeminenz des Bundesgotts begründeten aber, wie wir schon sahen, keineswegs notwendig einen Anspruch auf Exklusivität seiner Geltung. Wie es nach außen den Göttern anderer Völker gegenüber stand, davon war schon die Rede: Jephtha behandelt die Existenz und Macht des ammohitischen und später auch moabitischen Gottes Kamos als ganz selbstverständlich. Noch unter Ahab ist die Auffassung keine andere: der Moabiterkönig vermag durch das Opfer seines eigenen Sohnes den Kamos so zu stärken, daß sein Grimm gegen Israel und dessen Gott die Oberhand gewinnt. Aber - worauf es hier ankommt - auch nach innen bestand der Tatsache nach die Exklusivität nicht. Hinsichtlich der Halbbeduinen der Steppe ist es allerdings sehr wahrscheinlich, daß der große Kriegsgott des Bundes für sie von Anfang an der einzige in Betracht kommende Gott war. Diese Monolatrie erklärt sich sehr einfach daraus, daß bei ihnen differenzierte Kultur, welche Funktionsgötter er-

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zeugt, nicht bestand und daß die politische Gemeinschaft bei ihnen schlechterdings nichts als nur den kriegerischen Schutz der Weidereviere und der Eroberungen nach außen zu besorgen hatte. Vermutlich von Anfang an sind daher gerade diese halbnomadischen Stämme, vor allem die Südstämme, die Vertreter der „Einzigkeit“ Jahwes im Sinn der Monolatrie gewesen. Und von da aus ist diese Auffassung auf die berufsmäßigen Vertreter derjenigen Funktion übergegangen, welche Jahwe von Anfang an eigentümlich war: die Kriegspropheten. Das älteste Dokument, in welchem die Verehrung „neuer Götter“ durch Israeli tadelnd erwähnt wird, ist das Deboralied (Jud. 5, 8). Alle Kriege gegen die Patriziate der Städte, der kanaanäischen wie der philistäischen, sind in Jahwes Namen geführt worden, und bei solchen Gelegenheiten tauchte begreiflicherweise jedesmal die Auffassung auf: daß eine Bundespflicht der Israeliten die ausschließliche Verehrung des Gottes sei, der ihnen im Kriege zu helfen verheißen hatte. Alle nicht weltlichen, sondern prophetischen - männlichen oder weiblichen - Führer in den Befreiungskriegen waren Feinde aller anderen Götter oder wurden es im Kriege. Aber im übrigen ist für die seßhaften Israeliten nichts sicherer, als daß sie noch „andere Götter“ außer Jahwe hatten. Und zwar zunächst ganz legaler Weise. Der Besitz anderer Götter bedeutete ja lediglich den Bestand anderer, dem Jahwe nicht gewidmeter Kulte, und daß es solche, auch abgesehen von den importierten auswärtigen Numina, gab, hat auch die priesterliche Redaktion der heiligen Schriften nicht verwischen können1).

Zunächst berichtet die Tradition von Sippenkulten und Hausheiligtümern. David entschuldigt sich beim Opferfest des Saul mit einem Kultfest seiner Sippe, von welchem die Kultordnungen Jahwes nichts wissen. Nicht nur Laban ferner, sondern (nach den Bestimmungen des Bundesbuchs über die Erbversklavungszeremonie und nach der Erzählung über die Flucht Davids aus seinem Hause) jeder vollversippte Israelit hatte ursprünglich eine heilige Stätte im Haus und einen Hausgötzen. Was diese „Teraphim“ letztlich gewesen sind, ob sie vielleicht identisch waren mit Masken oder Puppen, welche das Sippen- oder Familien-

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haupt beim orgiastischen Mimus zu tragen hatte, ist nach Lage der Quellen vielleicht nicht sicher auszumachen und soll hier nicht erörtert werden. Wohl aber beweist die Art, wie sie aus den emendierten Redaktionen verschwinden, daß sie nichts mit einem (ganz unwahrscheinlichen) „häuslichen Jahwekult“ zu schaffen hatten, so wenig wie vermutlich jene Sippenfeste. Im einzelnen freilich bleibt alles unsicher.

Auf recht problematischem Boden befindet man sich ebenso auch bei der wichtigen Frage, ob und welche Art von Totenkult in Altisrael geherrscht hat und inwieweit dessen späteres vollkommenes Fehlen mit dem Zurücktreten der sozialen und kultischen Bedeutung der Sippen zusammenhängt.

Die geistvollen Konstruktionen eines ursprünglichen Ahnenkults in Israel von Stade und Schwally haben der eindringenden Kritik namentlich Grüneisens nicht standhalten können. Allerdings scheint die Totenseele in der altpalästinensischen Magie einmal eine sehr beachtete Potenz gewesen zu sein. Aber in der späteren Zeit ist gerade sie eine sehr problematische Figur. Daß die „Seele“ nichts notwendig Einheitliches ist, teilt die israelitische Auffassung mit sehr vielen anderen, auch mit jener ägyptischen Vorstellung, welche zum mindesten dem König eine Mehrheit von Seelen zuschreibt. Aber die schon in früher Zeit die ägyptische Spekulation beherrschende einheitliche Konzeption des „Kai“ ist in Israel nicht übernommen und scheint auch keinen Einfluß geübt zu haben. Die spätere, auf Verschmelzung verschiedenartiger älterer eigener und einiger vermutlich übernommener Vorstellungen zurückgehende Auffassung unterschied am Menschen dreierlei: 1. den Körper (basar), 2. die im Blut sitzende1) Seele (nefesch) als Trägerin der normalen Affekte, der „Individuation“ (wie wir sagen würden) und aller gewöhnlichen Lebenserscheinungen überhaupt und 3. den „Geist“, den „Lebensodem“ (ruach). Ruach ist dabei ein von Jahwe dem Menschen eingeblasener göttlicher Windhauch, durch dessen Vorhandensein aus dem ganz kraftlosen oder nur negetativ beseelten Körper erst ein lebendiger Mensch wird: „von den vier Winden her“ läßt Jahwe durch ein Zauberwort des Hesekiel in dessen Vision den Odem kommen, der die über Israels Boden verstreuten Totengebeine wiederbelebt. Außerdem und vor allem aber ist nun ruach jene besondere göttliche Kraft, welche, der

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mana“ und „orenda“ entsprechend, als Charisma überalltäglicher Leistung im Helden, Propheten, Künstler und umgekehrt als dämonische Besessenheit in schweren Affekten und außeralltäglichen Zuständlichkeiten sich äußert. Nefesch und ruach sind in den Quellen nicht immer scharf geschieden. Es scheint, daß der in der späten Redaktion der Schöpfungsgeschichten (Gen. 1) sich findende Dualismus von lebendigem Gottesodem (dem „Wehen“ der Gottheit) und totem Chaos von phönikischen Vorstellungen her durch Vermittlung der Intellektuellenspekulation rezipiert worden ist und die Konzeption eines Dualismus ruach - basar ermöglicht hat. Dieser kam den feindlichen Tendenzen der Priester gegenüber dem Totenkult entgegen. Nach der späteren Vorstellung kehrt nämlich die ruach, als substantiell den Winden gleich, mit dem letzten Atemzug zum Odem des Himmels zurück, geht mithin als Individualität unter und ein Totenreich der Individualseelen fällt damit ganz fort. Das entsprach dem alten Volksglauben keineswegs. Die ursprüngliche Vorstellung über das Schicksal der nefesch ist zwar nicht immer ganz klar, ging aber offenbar dahin, daß sie fortbestehe. Einmal, bei Jeremia, findet sich die auch in Altägypten ursprüngliche Annahme: daß die Seele im Grabe weile. Dabei handelt es sich aber um eine Heroine (Rahel) und der Grund jener Vorstellung war zweifellos, daß in diesem Fall ein alter Grabkult existierte. Dagegen ein „Ahnenhimmel“ der Sippengenossen scheint nicht nachweisbar. Sippengräber finden sich für einzelne vornehme Geschlechter noch in der Spätzeit z. B. für die Makkabäer und, nach der Tradition der Priester, für die Erzväter. Nur bei seßhaften Stämmen waren solche möglich. Der vermutlich alte Ausdruck: „zu seinen Vätern versammelt werden“ bedeutete jedenfalls eher: Versammlung zu den gemeinsam beerdigten Sippengenossen als: in einen besonderen Ahnenhimmel, zumal er mit dem anderen Ausdruck: „zu seinen Leuten (´am) versammelt werden“ abwechselt, der sowohl Sippengenossen wie Kriegskameraden bedeuten kann. Auch ein Kriegerhimmel ist geschichtlich nicht nachweisbar. Besonders von ihm begnadete religiöse Helden raffte Jahwe, nach der volkstümlichen Vorstellung, hinweg: sie existieren weiter unter seinen himmlischen Heerscharen, d. h. (wie in Aegypten nach einer Vorstellung) im leuchtenden Sternenheer oder vielleicht auch in seinem himmlischen Rat, während die korrekte Ansicht wohl die war:

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daß er sie in seinen Armen sanft verlöschen lasse, wie den Mose. Die nephesch aller anderen aber führt ein Schattendasein im Hades, der „Scheol“. Aus dieser ist nicht, wie in Aegypten, ein Ort seliger Existenz der Begnadeten ausgeschieden oder eine Chance der Wiedergeburt eröffnet. „Schlaff“ (rephaim), wie bei den Hellenen, sind vielmehr alle Totengespenster. Allerdings deshalb nicht ungefährlich. Die Steinigung eines von einem bösen oder einem mit dem cherem belegten Geist besessenen Menschen oder Tieres hatte zweifellos den Zweck, seiner unruhigen Totenseele den Weg so gründlich zu verschütten, daß sie nicht umgehen konnte. Während in Aegypten aus ähnlichen Anfängen die Lehre vom „Kai“ entwickelt wurde1), ist die israelitische Vorstellung von der „Seele“ durchaus widerspruchsvoll geblieben Das strenge rituelle Verbot des Blutgenusses wird von der späteren, deuteronomischen und priesterlichen, Auffassung gelegentlich damit begründet, daß man die Seele auch eines Tiers nicht essen dürfe: das gibt bösen Zauber und vielleicht Besessenheit. Aber eine Lehre von den Schicksalen der Tier- und Menschenseelen hat sich nicht entwickelt. Im Hades lebte die nephesch nur als schattenhaftes Abbild des Lebenden, weil sie weder Blut noch Odem hatte. Man erfährt dort nach der Vorstellung auch der Psalmisten nichts von Jahwes Taten und kann ihn nicht preisen: das Gedenken ist erloschen. Wie Achilleus wünscht man vor diesem Schicksal so lange als möglich bewahrt zu werden und empfindet diese Existenz nicht als ein „jenseitiges Fortleben“. Vollends weiß man nichts von „jenseitiger Vergeltung“, wie sie das aus den chthonischen Kulten entwickelte Totengericht in Aegypten, die Grundlage der dortigen priesterlichen Beeinflussung der Ethik, darstellte. Spärliche Anfänge einer Tartaroskonstruktion für Uebeltäter finden sich bei späteren Propheten zwar, sind aber ebensowenig weiter ausgebaut worden, wie bei den Hellenen und Babyloniern. Der verschwommene Charakter all dieser Vorstellungen erklärt sich am einfachsten daraus, daß Scheol sowohl wie nefesch alte Bestandteile des Heeres- und Volksglaubens waren und daß die Träger des Jahwismus beides gleichermaßen beiseite ließen, ihrerseits dagegen mit dem anfäng-

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lich wohl aus der animistischen Wiedergeburtsvorstellung der Kriegeraskese entnommenen, dann mit dem göttlichen Weltodem, dem Winde Jahwes, in Beziehung gesetzten Begriff der „ruach“ operierten1) und kein Fortleben einer „Seele“ in einem Jenseits kennen wollten2). Sondern was fortlebte und fortleben sollte, war bei ihnen etwas ganz anderes: der gute Name3) des Helden bestand unter den Kameraden und Nachfahren weiter. Die Hochschätzung des Namens ist eine typische Beduinenwertung, wie wir sahen. Aber sie herrschte auch in Aegypten. Wie dort, so bestand auch in Israel die Vorstellung: daß jeder Name etwas, wie dem Ding, so der Person Wesenhaftes, irgendwie Reales sei. Daß Jahwe den „Namen“ des Frevlers aus seinem „Buch“ austilgen werde, ist Ausdruck für die ihm angedrohte Vernichtung für immer (Ex. 32, 32. 33 f). Die Bedeutung des persönlichen Charisma und des Kriegsheldenruhms in Verbindung mit der herrschenden Sippengliederung und Benennung der vornehmen Sippen nach dem Ahnen als Eponymos wirkte wohl dahin, diese Vorstellung zu verstärken. Der Name eines Menschen, den der Gott im Leben sichtbar gesegnet hat, kann zu einem „Segenswort“ werden, welches noch späte Geschlechter als solches gebrauchen. Daß dies seinem Namen geschehen solle, ist die höchste Verheißung, welche Abraham von Jahwe erhält. Denn in der einzigen alten (jahwistischen) Redaktion des später (Gen. 18, 18; 22, 18; 26, 4; 28, 14) umgestalteten Wortes (Gen. 12, 2. 3) lautet dies dahin, daß Abrahams Name „ein Segenswort werden“ und daß künftig einmal „alle Geschlechter auf Erden sich mit seinem Namen segnen sollen“. Das bedeutete an sich nur: daß er selbst und die Seinen ein weltbekannt gesegnetes Leben führen werden. Irgendeine „messianische“ Deutung lag ganz fern. Um dieses Werts des Namens willen, damit der Name in Israel nicht ausgetilgt werde, ersehnte man große Nachkommenschaft (Deut. 25, 6. 7. 10; Ruth. 4, 3. 10; I. Sam. 14, 22; 2. Sam. 14, 7)1). Nicht aber, wie anderwärts,

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um der Totenopfer willen1). Zwar existierten solche. Aber daß die Opfer für das Geschick des Toten oder für das des Opfernden selbst besonders wichtig seien, ist wenigstens in den uns zugänglichen Quellen nirgends angedeutet2). Dies Schweigen hängt wenigstens ursprünglich nicht, wie man wohl glauben könnte, mit einem bewußten Kampf der Priester gegen eine bereits bestehende am Ahnenkult verankerte Macht der Sippen zusammen. Zwar für die spätere Zeit ist der Gegensatz der Wirkungsrichtung von Priesterreligion und Sippenmacht, wie sich mehrfach zeigen wird, unzweifelhaft. Aber er blieb auch dann wesentlich latent und ist jedenfalls nicht der Ausgangspunkt der vollkommen fremden Stellung des Jahwismus gegenüber allem Totenkult gewesen. Denn Sippenmacht und Totenkult gehen zwar oft, aber nicht notwendig und immer zusammen. In Aegypten hat der so intensiv wie nirgends sonst gepflegte Totenkult keineswegs zur Bildung von magisch oder kultisch

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gebundenen Sippenverbänden geführt1), die dort vielmehr so vollständig wie fast nirgends sonst fehlten, weil die Patrimonialbürokratie des Fronstaates die Bedeutung der Sippen bereits gebrochen hatte, ehe der Totenkult seine alles überragende letzte Ausgestaltung erhielt. Die stark entwickelte alte israelitische Sippengliederung andererseits hat doch keinen wirklichen Ahnenkult chinesischen oder indischen und auch keinen Totenkult ägyptischen Gepräges entstehen lassen. Gewiß hatte er sich aus der hauspriesterlichen Stellung des Familienhauptes und den Sippenkulten leicht entwickeln können, und wenn er entstanden wäre, so würde er die Macht und das rituelle Prestige der Sippen außerordentlich gesteigert und dadurch der Ausbreitung des reinen Jahweglaubens ernstliche Widerstände bereitet haben. Die Gastvölkerorganisation hätte dann vielleicht zur Kastenbildung führen können. Insofern war es allerdings von nicht geringer Bedeutung, daß der Jahweglauben offenbar von Anfang an der Entstehung eines Toten- oder Ahnenkults ablehnend gegenüberstand2). Denn die typischen Ansätze zur Entstehung solcher Kulte scheinen bestanden zu haben. Sicher feststellbar ist ein Kult von wirklichen oder angeblichen Stammesheroen zwar nicht, eher die Erwähnung von Gräbern einiger von ihnen macht Kulte wahrscheinlich, die dann von der späteren Priesterredaktion sehr geflissentlich umgedeutet wurden. Mehr als die hohe Wertung der Leichenpietät im (apokryphen) Tobit - Buch, die vielleicht persisch beeinflußt ist, zeigen die Erwähnung der Totenopfer und Trauerbräuche im Deuteronomium (26, 14) und die Reste der Totenorakel, daß der Weg zum Totenkult begangen war. Und noch weit mehr als all diese Spuren spricht dafür gerade die ganz offensichtlich bewußte schroffe Ablehnung aller dieser Ansätze durch die Jahwereligion, welche ihnen die Entwicklung abschnitt. Denn diese

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Gegnerschaft hat einen augenfällig tendenziösen Charakter. Nicht etwa die Unreinheit alles Toten und alles auch nur indirekt zum Grabe in Beziehung Stehenden, wie etwa des Trauerbrots, ist dafür entscheidend. Denn „unrein“, d. h. Quelle magischer Befleckung, war der Tote und was ihn anging, auch da, wo er Gegenstand eines Kults war, z. B. in Aegypten. Daß dem Jahwepriester jede Beteiligung an der Totentrauer außer für die aller, nächsten Angehörigen unbedingt untersagt war, geht aber immerhin über das hinaus, was dadurch bedingt wäre. Ebenso die absolute rituelle Unreinheit aller Vorräte, von denen auch nur Teile für Totenopfer verwendet oder bei Totenmahlen gegessen waren: es war geradezu Gegenstand des „negativen Sündenbekenntnisses“, welches der Einzelne, wenn er „vor Jahwe erschien“, abzulegen hatte, daß das zu Upfernde in dieser Hinsicht rituell rein sei (Deut. 26, 14). Nicht minder die Perhorreszierung der Totenorakel. Denn sie erfolgte nicht etwa, wie bei manchen anderen verbotenen Orakelpraktiken, weil sie trügerisch wären, sondern obwohl sie, wie ja das Beispiel der Beschwörung Samuels zeigt, wirksam waren und die Wahrheit enthüllten. Nein: sie waren eine Konkurrenz gegen die von den Jahwepriestern gehandhabten Orakelformen und entstammten Kulten, welche für diese offenbar eine gefährliche Rivalität bedeuteten. Neben einheimischen chthonischen Kulten war vor allen Dingen gerade der ägyptische Totenkult in der unmittelbaren Nachbarschaft offenbar ein Feind, gegen welchen die Verpönung alles Totendienstes sich richtete1). Die in Palästina zahlreich gefundenen Skarabäen dienten bekanntlich als magischer Schutz für den Toten vor dem Totenrichter und machen es sehr wahrscheinlich, daß die ägyptische Art des Totenkults nicht unbekannt war. Nichts beweist aber deutlicher das tiefe Unbehagen, mit welchem die Jahwereligion aus diesem überall spürbaren Gegensatz gegen die ägyptische Esoterik und chthonische Mysterien heraus allen Angelegenheiten des „Jenseits“ gegenüberstand, als das unvermittelte Abbrechen aller scheinbar unvermeidlich dorthin führenden Gedankengänge1) in der ganzen alttestament-

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lichen Literatur mit Einschluß sämtlicher Propheten, Psalmisten und Legendendichter. Den Propheten (Jes. 28, 15) bedeutet ein politisches Bündnis mit Aegypten den Bund mit Scheol, das heißt mit den Totengöttern: das erklärt mit ihre hartnäckige Feindschaft gerade gegen diese Anlehnung.

Bei all dem hat man nun aber doch den Eindruck, daß der in Babylon esoterisch bestehende, durch Astralmythen bedingte Auferstehungsglaube, der plötzlich im Danielbuch als fertige Vorstellung hervortritt und nach der Makkabäerzeit (pharisäischer) Volksglaube wird, auch in vorexilischer Zeit nicht etwa unbekannt war1). Die offizielle babylonische Religion weiß freilich von solchem Glauben ebensowenig etwas wie die israelitische. Der Tod ist ihr ein unvermeidbares Uebel alles Menschentums. Denn die Lebenspflanze ist unter der Obhut böser Dämonen tief verborgen in der Unterwelt, die auch dort ein reines Schattenreich ist. Und nur vereinzelte Sterbliche sind, wie in Israel, durch Göttergnade in ein seliges Dasein entrückt. Aber in Israel ist nicht nur ein Ignorieren, sondern Ablehnung zu spüren. Das ganze Gebiet des Totenreichs und des Schicksals der Seele blieb der offiziellen priesterlichen und prophetischen Religion unheimlich. Bis auf die Zeit der Pharisäer, welche darin Handel schufen, operieren ihre Repräsentanten, gerade die größten unter ihnen, niemals mit dem in der ägyptischen und der zarathustrischen Religion heimischen Gedanken einer jenseitigen Vergeltung. Die Pietät gegen die lebenden Eltern wird hoch gerühmt und ihr Bruch streng verpönt, aber von einem Jenseitsschicksal noch so glänzender Ahnen ist niemals die Rede, obwohl doch die Vergeltung und der gerechte Ausgleich das war, was die Jahwegläubigen von ihrem Gott erhofften und obwohl die Solidarität der Sippe mit ihrer Haftang der Nachfahren für die Sünden der Väter feststand. In späterer Zeit haben, wie wir sehen werden, die Verheißungen der Propheten durch ihre Eigenart diese Ablehnung aller individuellen Jenseitsvergeltung zugunsten der kollektiven diesseitigen Hoffnungen mit bedingt. In der Frühzeit aber ist diese für die Rechtssammlungen wie die Geschichtsschreiber gleichmäßig charakteristische Ablehnung jeder Jenseitsspekulation, zumal

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in der Nachbarschaft des sehr genau bekamten Aegypten, doch wohl kein Zufall. Freilich: der nächste und unmittelbarste Gegner waren vermutlich die orgiastischen Kulte der chthonischen kanaanäischen Numina. Die Aufzählung der verpönten Trauerbräuche (Einritzen von Wunden, Kahlscheren des Haupts und Aehnliches) bei den Propheten (Amos, Jesaja, Micha) und in der Thora (Lev. 19, 28; Deut. 14, 1) zeigt auch keine spezifisch ägyptischen, sondern allgemein chthonische Züge. Und motiviert ist das Verbot (Deut. 14, 2) durch die Beziehung zu Jahwe, also: kultisch. Jahwe hat eben, so viel bekannt, nie und nirgends Züge eines chthonischen Gottes an sich getragen. Immer residiert er auf den Bergen oder im Tempel, nie in der Erde. Niemals wird Scheol, der Hades, als von ihm geschaffen hingestellt: es ist die einzige unter allen Stätten des Weltalls, von der dies nicht behauptet wird. Niemals ist er der Gott der Toten oder eines Totenreichs. Die Kulte der chthonischen und der Totengötter haben eben überall sehr spezifische Eigentümlichkeiten, von denen sich keinerlei Spur im Jahwekult nachweisen läßt. Ebensowenig ist er jemals ein Vegetationsgott oder Gestirngott gewesen: - Gottheiten, deren Kulte die Auferstehungshoffnungen zu erzeugen pflegen. Dieser kultische Gegensatz war unzweifelhaft für die Stellungnahme der Jahwepriester und Thoralehrer der entscheidende. Aber mit Totenkulten verbundene Auferstehungsvorstellungen waren wohl auch in Palästina nicht unbekannt. Nur die Jahwepriesterschaft hatte mit ihnen nichts zu tun und wollte mit ihnen auch nichts zu tun haben, weil ihre eigenen rituellen Gepflogenheiten mit siderischen ebenso wie mit chthonischen Kulten unvereinbar waren. Und neben dem äußeren Gegensatz gegen Totenpriester und Totenorakeldeuter war wohl auch die Befürchtung, bei jeden Konzessionen an irgendwelchen Jenseitsspekulationen durch Kulte von der unermeßlichen Popularität des ägyptischon Osiriskults, sei es durch diesen selbst oder eine an ihn anknüpfende Esoterik von Auferstehungsmysterien, überrannt oder zurückgedrängt zu werden. für ihr Verhalten maßgebend. Zustatten kam ihnen bei der Ablehnung aller Toten- und Ahnenkulte wohl auch, daß die durch die Struktur der ägyptischen Sozialordnung gegebene Verklärung der buchmäßig fixierten Weisheit der Ahnen als solcher für das alte Israel nicht in Betracht kam. Ebenso: daß eine eigentliche Adelsentwicklung

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mit individueller Ahnenverehrung ausblieb. Denn so wenig ein schon entwickelter „Ahnenkult“ Anlaß der Feindschaft der Jahwepriester gegen die Trauerbräuche war, so zeigt doch die Zusammenstellung des Verbotes der Trauerkasteiung durch Körpereinschnitte mit der Tätowierung (Lev. 19, 28): zweifellos einer Tätowierung mit dem vom Stammesvater überkommenen Sippen- und Stammeszeichen, daß die Gegnerschaft im praktischen Effekt auch der kultischen Bedeutung der Sippen als solcher galt. Der Kampf der reinen jahwegläubigen gegen die Entstehung von Kultverbänden der Sippen hinderte seinerseits auch wieder die Entstehung eines Ahnenkults, für den Sippenverbände ja die Stätte abgegeben hätten. Die Sippenfeste sind denn auch später durchaus verschwunden.

Dagegen hatte sich der Jahwekult zunächst damit abzufinden gehabt, daß im Ackerbaugebiet Palästinas die üblichen Götter der Ackerbauer: siderische und typische Vegetationsgötterkulte, fortbestanden. Neben den schon vorhandenen oder importierten phönizischen Kulten (vor allem: Moloch und Astorte) und mesopotamischen Gottheiten (Tammuz, der Mondgott Sin), die niemals von den Jahwepriestern anerkannt wurden, scheint durch die Legende von Jephthas Tochter der Bestand von jährlichen Klageriten um den Tod einer alten weiblichen Vegetationsgottheit bezeugt zu sein. Diese fremden Götter haben aber auf die Gestaltung der Jahwereligion keine entscheidende Bedeutung gehabt und interessieren hier nicht. Denn ihr Einfluß wirkte zwar in massenhaften Einzelheiten, aber nicht in den für die grundlegenden Formen der Lebensführung entscheidenden Riten nach. Mit einer Ausnahme. Die überaus wichtige Institution des Sabbat1) hängt mit dem Schabattutage des auch in Babylon herrschenden Mondkults offensichtlich zusammen. Wie die Etymologie des hebräischen Worts für „schwören“: „sich besiebenen“ zeigt, ist die in Babylonien eingebürgerte Heiligkeit der Siebenzahl und wohl auch der „Siebengötterschaft“ auch in Palästina alt. Aber die beiderseitige Geltung des Sabbats beruht schwerlich auf eigentlicher Uebernahme, sondern wohl auf gemeinsamer Ueberlieferung. Schon bei den frühesten Erwäh-

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nungen des Sabbats treten die Unterschiede hervor. In Mesopotamien war der Schabattutag streng an den Mondumlauf: Neumond, Vollmond, später die durch 7 teilbaren Tage des Monats und den 7 x 7. Tag, gebunden. In Israel ging der jeweilig siebente Tag als Feiertag unbekümmert um die Mondphasen durchlaufend weiter, obwohl die Heiligkeit des Neumonds auch dort alt war1) und anscheinend auch für die einstige Heiligkeit des Vollmonds sich Spuren finden. Vielleicht hat der Name Sabbat ursprünglich Vollmondtag bedeutet, wie Beer annimmt und ist erst später auf den „siebenten Tag“ (Ex. 23, 12; 34, 21) übertragen worden. Gemeinsam war mit Babylonien nur die Verwendung der Siebenzahl, verschieden die Art, wie sie geschah. In Mesopotamien ferner war der Schabattu in historischer Zeit ein Bußtag. In Israel war der siebente Tag zunächst offenbar ganz und gar ein fröhlicher Tag der Arbeitsruhe, an welchem man andere Dinge als die übliche Berufsarbeit besorgte, namentlich auch die Gottesmänner aufsuchte (2. Kge. 4, 23). Wie vor allem noch die Nehemiachronik (13, 15) zeigt, war er aber auch der Tag für die Bauern, zur Stadt, zum Markt und zur Kirmeß zu fahren2), ebenso wie die römischen Nundinae und wie der eine Tag der, in manchen Gemüseländern herrschenden, kürzeren 5 Tage - Woche dort. Die Anklage des Propheten Amos (8, 1) gegen diejenigen Getreideverkäufer, denen der Sabbat, als Geschäftsstörung, zu lang ist, zeigt, daß schon damals die Arbeitsruhe wenigstens für die (wie der Zusammenhang ergibt: stadtsässigen, berufsmäßigen) Händler durchgeführt wurde. Schon die Rücksicht auf die sonst eintretende Begünstigung der Konkurrenz der Gerim hatte dies nötig gemacht (vgl. ganz analog: Neh. 13, 16 f.). Sklaven und Vieh scheinen nach der aus der Zeit der Jehu - Dynastie stammenden Prophetenlegende (I. Kön. 4, 22) damals noch nicht, sondern erst in der deuteronomischen Zeit einbegriffen worden zu sein. Wohl erst damals wurde der karitative Zweck in den Mittelpunkt gerückt. Seine letzte Stei-


M a x W e b e r, Religionssoziologie III.

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gerung zu sein, neben der Beschneidung, wichtigsten Merkmal Israels und einer absoluten und dabei rein rituellen Enthaltungspflicht von aller über das rituell vorgeschriebene Maß hinausgehenden Tätigkeit erhielt er erst in der Exilszeit durch das Streben der Priester nach absolut unübersteiglichen „konfessionellen“ Unterscheidungspflichten Israels. Er wurde nun - da die bloße Tatsache der Beschnittenheit ja keine Gewähr der wahrhaft gottgefälligen Lebensführung bot - zu einem der wiederholt und immer pathetischer eingeschärften rituellen Hauptgebote Israels und stand an Bedeutung neben dem Verbot des Mordes, der Idolatrie und des Blutgenusses. Nun erhielt er durch die Redaktion des Sechstagewerksmythos einen kosmischen Hintergrund. Der priesterlichen Auffassung dieser Zeit galt die Verletzung der Sabbatruhe als todeswürdiger Frevel (Ex. 31, 14 f.). Der Ursprung aber ist sicherlich nicht bei den Viehzüchtern der Wüste oder Steppe - wo er praktisch undurchführbar oder ohne Bedeutung ist und die Mondphasen wenig wichtig sind - sondern in einem Ackerbaugebiet zu suchen, wobei dann die Frage, ob es sich bei der Siebenzahl um Planetenrechnung oder Vierteilung des Mondumlaufs handelte, sicher mit Recht zunehmend zugunsten der letzteren Annahme beantwortet wird1). Daß aber der Feiertag in Israel im Gegensatz zu Babylonien durchlaufend wurde (oder: blieb), erklärt sich einfach aus dem stärkeren Vorwiegen der am lokalen Stadtmarkt orientierten bäuerlichen Wirtschaftsinteressen und Gepflogenheiten in Palästina, dagegen des vornehmen astronomischen Priesterwissens bei den Babyloniern. Hier war die astronomische Korrektheit rituell wesentlich, bei den Israeliten dagegen war in der Zeit der Fixierung der Sabbatgewohnheiten das Interesse der Bauern und Kleinstädter an regelmäßiger Wiederkehr des Markttages ausschlaggebend. Endgültig hat sich das Durchlaufen des Sabbats wohl mit der Erstarkung der Marktwirtschaft durchgesetzt: das spezifische Stadtstaatgesetz, das Deuteronomium, erwähnt die alten Mondfeste nicht mehr. Siderische Korrektheit vermochten die Israeliten aus eigener Kraft doch nicht zu erreichen: man muß sich erinnern, welche Pein eine

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korrekte Feststellung mancher an sich einfacher astronomischer Tatbestände noch dm Rabbinen der Spätzeit gemacht hat.

Ließ sich der Sabbatritus leicht aus dem Zusammenhang mit dem Mondkult lösen und der Jahwereligion einfügen, ja sogar zu einem ihrer rituellen Hauptgebote machen, so bereiteten auf die Dauer um so größere Schwierigkeiten andere Kulte der Ackerbauer, welche die Israeliten des Jahwebundes durch Beitritt ansässiger Stämme und eigenen Uebergang zur Seßhaftigkeit in ihrer Mitte teils vorfanden, teils übernahmen. Wie in den Amarnatafeln die Götter der Chabiru „ilani“ genannt werden, so heißen die Gottheiten der Kanaanäer und der nördlichen ansässigen Israeliten Elohim, ein Name, der hie und da vielleicht auch für israelitische Götter noch als Plural verstanden wurde - das Attribut wird öfters in den Plural gesetzt -, in der gegenwärtigen Redaktion aber, wenn von israelitischer Religion die Rede ist, durchweg als eine Einzahl gedacht ist. Davon scheint allerdings gerade eine Stelle im „Bundesbuch“ (Ex. 22, 8) eine Ausnahme zu machen und ebenso scheinen die grammatischen Verhältnisse bei den Anreden Abrahams an die göttliche Epiphanie der drei Männer es wahrscheinlich zu machen, daß die Einzahl der Anrede eine polytheistische Auffassung als Quelle nicht ausschloß. Der Plural als Bezeichnung eines präeminenten und zugleich abstrakten in der Ferne des Himmels thronenden höchsten Wesens war gerade im benachbarten Phönizien, aber anscheinend auch in Palästina verbreitet1) und im späteren Sprachgebrauche Babyloniens ist der Plural „ilani“ ebenso wie Elohim in Israel Bezeichnung der „Gottheit“. Trotzdem bleibt wahrscheinlich, daß eine Pantheonbildung irgendwelcher Art dem Ausdruck ursprünglich zugrundelag. Aber namentlich Hahn hat glaublich gemacht, daß schon die Einwanderung der Israeliten die Bezeichnung als Kollektivum für die „Gottheit“ oder den „höchsten Gott“ vorfand. Für die Jahweverehrer stand naturgemäß die Suprematie des Bundes-

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gottes Jahwe fest. Er war ihnen „Elohim“, weil er ihre „Gottheit“ schlechthin war1). Dies fand in der Stellung des höchsten Himmelsgottes in Babylonien und den von dort beeinflußten Gebieten eine Parallele, und der Brief des Kanaanäers Achijam bezeichnet (15. Jahrh.) den höchsten Gott als „Bel ilanu“, „Herr der Götter“. Mit solchen höchsten Himmelsgöttern wurde Jahwe naturgemäß besonders leicht verschmolzen. Er heißt noch in relativ späten Stellen ein „Gott der Götter“. Die Erinnerung daran, daß dies einst ihm gegenüber selbständige Götter waren, lebt außer in zornigen Bemerkungen des Jesaja gegen die Elim auch in den Namen einiger von ihnen und der offensichtlich nachträglichen Identifikation mit Jahwe fort. Den „höchsten Gott“, El eljon - nach andern Nachrichten wohl ein phönizischer Name für den Himmelsgott an der Spitze des Pantheon - läßt eine freilich in der jetzigen Redaktion späte Tradition zu Abrahams Zeit in Jerusalem (?) durch den Priesterkönig Malkisedek verehrt werden und den gleichen Ausdruck wendet Abraham dann für Jahwe an2). Die alte Bezeichnung El Schaddaj, nach Delitzsch mit Shadu: (babyl.) Berg, zusammenhängend, bezeichnet das gleiche3). Andere himmlische Wesen galten der späteren Auffassung als ihm untergeordnete Boten und Helfer. Aber ursprünglich waren sie sicherlich auch ihrerseits Götter, wie wiederum die überaus schwankende Behandlung der drei Gestalten der Epiphanie bei Abraham im Hain Mamre und ebenso die bei göttlichen Ratschlüssen in der Genesis sich öfter findende Selbstbezeichnung „wir“ zu zeigen scheint. „Die Kinder der Elohim“ finden in dem verstümmelten alten Titanenmythos (Gen. 6) Gefallen an den Töchtern der Menschen und zeugen mit ihnen die Nephilim (Num. 4, 13), die Giganten (der großen Sternbilder), von denen die Enaksöhne (Num. ebenda), und jene Ritter (gibborim) der verschollenen kanaanäischen Urzeit abstammten, gegen welche die Ahnen zu kämpfen hatten und welche nach dem ursprünglichen Zusammenhang der Himmelsgott in der

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Sintflut vernichtete. Das Sternenheer, sahen wir, war im Deboralied in Nordisrael der Kern jener himmlischen Gefolgschaft von der Jahwe auch später in den prophetischen Visionen umgeben ist. Numina, welche mit Jahwe nicht identisch scheinen, lauern den Helden auf und eine solche Gottheit wird von Jakob im Ringkampf bezwungen. Direkte Einwirkungen der Echnatonschen Sonnenreligion auf die Jahwereligion sind sehr unwahrscheinlich, schon weil die ohnehin unsichere Propaganda in Palästina1) sicher wenig intensiv war und weit zurücklag. Die nordisraelitische abstrakte Gottesbezeichnung „El“2) entspricht dagegen der babylonischen und die Verehrung des höchsten Gottes auf dem Garizim und anderen Bergeshöhen dem babylonischen Versuch, durch Verehrung auf riesigen Terrassentürmen dem Himmelsgott so nahe wie möglich zu sein.

Fast alle diese vorderasiatischen Götter hatten astralen und meist zugleich vegetativen Charakter und waren einander sehr ähnlich1). Wie überall war bei ihnen die Entwicklung zur Personalität erst allmählich eingetreten: ursprünglich war der Sternengeist von dem Stern selbst nicht zu trennen2) und erst Funktionsgötter der Kultur, wie z. B. der babylonische Schreibergott Nabu, waren von Anfang an ganz persönlich aufgefaßt. Aber eine gewisse Neigung zum Zurückgleiten ins

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Unpersönliche blieb an den meisten haften; gerade die höchsten Himmelsgötter (so Anu in Babel) waren überall abstrakt und dem Volkskult fremd. Ueberall bestand die Neigung zum Synkretismus und zur Erhebung des Sonnengottes zum höchsten, in den Augen der Intellektuellen im Grunde einzigen Gott. Davon finden sich aber in Palästina nur dürftige Spuren, wenn schon die Elohim -Abstraktion immerhin auf diesem Wege gelegen hatte.

Die wichtigste mit Jahwe wirklich konkurrierende Gotteskonzeption war vielmehr kanaanäischen, stark phönizisch beeinflußten Ursprungs und gehörte einem Typus an, welcher in der entwickelteren babylonischen Religion schon stark umgeformt war. Es ist der Baal - Typus. Der ursprüngliche oder richtiger: der zur Zeit der Okkupation herrschende Sachverhalt war der: daß ein besonderer Gott der „Herr“ über bestimmte Dinge oder Vorgänge der Natur oder des sozialen Lebens war, so wie sich das in primitiver Form über die ganze Erde verbreitet bei Naturvölkern findet und so wie etwa der indische „Gebetsherr“ oder die altchinesische Landesgottheit es auch war. Dinge oder Vorgänge „gehören“ dem betreffenden Baal so wie einem Menschen ein Stück Land oder Vieh oder ein von ihm monopolisierter „Beruf“ gehört. Daraus entstehen vor allem zwei Kategorien von Göttern. Einmal Funktionsgötter, wie vielleicht der „baal berith“ einer war, der „Bundesherr“, der für Bundesschlüsse „kompetent“ war, sie schützte und ihre Verletzung rächte. Oder der baal zebul von Ekron, der „Herr“ der Pest verbreitenden Fliegen. Oder der „Herr“ der Träume oder des Zorns usw. - Andererseits: Götter, denen der fruchttragende Boden, gehört: die „Lokalgötter“ in diesem spezifischen Sinn. Während der israelitische Bundesgott Jahwe ein Gott der personalen Volksgemeinschaft war, ähnlich dem Bel des assyrischen Kriegervolkes, aber noch mehr nach Art eines Heerkönigs geartet, war der palästinische Baal eines Orts der Herr des Landes und all seiner Erträgnisse nach Art eines patrimonialen Grundherrn, ähnlicher dem babylonischen Bel, dem Herrn der fruchtbaren Erde. Wir werden später die große rituelle Bedeutung dieses chthonischen Charakters wenn auch sicher nicht aller, so doch der praktisch wichtigsten Baal - Kulte kennen lernen. Dem Baal gebühren die Erstlinge aller Früchte vom Boden, Vieh, Menschen, die von diesem Lande leben: - was die Priester auf Jahwe über-

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tragen haben, dem das ursprünglich unbekannt war. Das religiöse Motiv der früher erwähnten Pflicht, das Land nicht ganz abzuernten (Lev. 19, 9 und 23, 22) ist die die Motivierung: „ich bin Jahwe euer Gott“ beweist, aus jenem Vorstellungskreis entnommen. Jene nicht unbedingt gegensätzliche, aber doch abweichend gerichtete Vorstellung: Gott der Personalgemeinde einerseits, des Ortsverbands andererseits, Himmelsgott dort, Erdgott hier, lag zwischen den Konzeptionen von Jahwe und Baal. Im kanaanäischen Lande ist die zweite, aus der Stadtsässigkeit und patrizischen Grundherrlichkeit unmittelbar folgende, Vorstellung sicher sehr alt. Jede Stadt hatte ihre eigenen Lokalgötter dieses Gepräges. In der Amarnazeit klagen die Statthalter dem König, daß die Stadtgottheiten, durch deren Huld der Pharao Herr der Stadt sei, die Stadt verlassen haben und deshalb diese den Feinden verfalle. Die Israeliten scheinen einer ganzen Anzahl von Göttern mit Sondernamen, so dem unter einem Stierbild verehrten Hadad, den Baal - Namen beigelegt zu haben, ebenso dem unter der Omriden - Dynastie importierten phönizischen Milk oder Melkart. Jedenfalls war die wichtigste mit Jahwe konkurrierende, weil funktionell sehr universelle Gestalt der Baal des Orts, der Eigentümer des „Landes“ in wirtschaftlichem und politischem Sinn. Bei friedlicher oder gewaltsamer Angliederung von Städten an Israel verblieben diese Baale natürlich im Besitze der Stadt und ihrer Heiligtümer. Nach der ursprünglichen Vorstellung tat das dem großen Bundeskriegsgott keinen Abbruch. Irgendwie freilich mußte seine Stellung zu ihnen mit seinem steigenden Prestige reguliert werden. Er konnte entweder als Himmelsgott an die Spitze eines Pantheon treten, und derartiges scheint in der Elohimbenennung nachzuklingen. Er geriet dann freilich in Gefahr, wie alle solche höchsten Himmelsgötter zu verblassen, wo immer er keine dauernde Kultstätte für Alltagsbedürfnisse hatte. Die Baale blieben dann Herren der lebendigen Kulte. Oder er wurde einfach mit den Baalen identifiziert oder in der Verehrung irgendwie mit ihnen verbunden. Bis in die Zeit nach dem Exil ist Jahwe sogar mit ganz fremden Göttern zusammen in einem und demselben Tempel von Juden mit der größten Unbefangenheit verehrt worden1),

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bei einer Kombination mit dem Lokalgott Baal mußte dann in Zeiten friedlichen Gedeihens naturgemäß mehr der Baal, in Zeiten großer Kriegsnot mehr der Jahwe in der Mischgottheit (oder in der kombinierten Verehrung) hervortreten1). Das ist tatsächlich geschehen und erklärt die Erscheinung, daß die später gegen Baal eifernden puritanischen Jahwepropheten gerade in Zeiten friedlichen Gedeihens den schwersten Stand hatten, daß dagegen jeder Nationalkrieg und jede fremde Bedrückung und Bedrohung sofort Jahwe, dem alten Gott der Schilfmeerkatastrophe, zugute kam. Für große Zeiträume darf aber ein friedliches Nebeneinander mit sehr starkem, aber nicht als Gegnerschaft gegen Jahwe aufgefaßtem Hervortreten der Baale angenommen werden. Auch bei gefeierten Helden Nordisraels finden sich Namen mit Baal: So namentlich Jerub - Baal, der dann als Kriegsheld Jahwes ganz charakteristischerweise einen netten Namen (Gideon) erhielt; ähnlich noch Söhne des gut jahwistischen Königs Saul, deren Namen die spätere Tradition charakteristisch verändert hat.

Infolge der häufigen Identifikation mit lokalen oder funktionellen Baalen nahm der Jahwekult auch deren kultische Attribute an. Vor allem: die Kultbilder. Der ursprüngliche israelitische Bundeskult ist nach Ausweis der Tradition und auch der Ausgrabungen mit höchster Wahrscheinlichkeit als bildlos anzusehen und war offenbar in dieser Form übernommen worden. Dies war freilich gewiß nicht das Produkt irgendeiner spekulativen „Höhe“ der alten Gottesvorstellung. Sondern gerade umgekehrt eine Folge primitiver Kultmittel, welche, bei der hohen Heiligkeit des alten Bundeskriegsrituals, besonders früh und definitiv stereotypiert wurden. Der Gott blieb einfach deshalb bildlos, weil er es in der Zeit seiner Rezeption infolge des materiellen Kulturstandes der Gegend, in welcher er rezipiert wurde, noch war. Aus dem gleichen Grund schreiben die ältesten Rechtsbücher einen einfachen Altar aus Erde und unbehauenen Steinen vor, wie er damals dort gebräuchlich war. Die Erhaltung dieser Bildlosigkeit auch in Zeiten entwickelter Kunstübung ist durchaus nichts dem Jahwekult Spezifisches. Sie ist vielfach,

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z. B. bei manchen frühhellenischen und altkretischen Kulten nachweisbar und findet sich auch bei den, ebenso wie Israel, von Babylon her beeinflußtn Iraniern. Entscheidend für ihre Erhaltung an einigen der wichtigsten Kultstätten waren zweifellos die dortigen althergebrachten und um dieses Alters willen besonders helig gehaletenen Kultformen, welche die Rezeption von Ikonen erschwerten: die Scheu vor bösem Zauber im Fall der Aenderung. Der israelitischen Entwicklung spezifisch oder wenigstens in annähernd ähnlicher Art nur noch der von ihr beeinflußten islamischen und teilweise der zarathustrischen ähnlich war nur die Penetranz der Wirkung. Anderwärts beschränkte sich die Verpönung der Bilder auf einige Kultorte oder auf die betreffenden Götter und ließ der Kunstübung im übrigen innerhalb wie außerhalb der religiösen Sphäre freien Raum. In Israel wurde Jahwe zum einzigen Gott und haben die Vertreter des bildlosen Kults nicht nur, gleichzeitig mit Steigerung dieser Ansprüche Jahwes auf Monolatrie, die Verpönung der Bilder Jahwes, sondern die Verwerfung aller bilderartigen Paramente vertreten und diesen Standpunkt schließlich bis zu einem Grade gesteigert, welcher aller Ausübung bildender Kunst sich nahezu prinzipiell feindselig gegenüberstellte, wie dies das zweite Gebot in seiner endgültigen Formulierung tat. Das ist für die Unterdrückung der Kunstübung und des Kunstsinns im späteren Judentum von größter Tragweite gewesen. Diese letzte ganz radikale theologische Konsequenzmacherei war indessen erst ein Produkt des priesterlichen Strebens nach absolut wirksamen rituellen „Unterscheidungsgeboten“. Sie findet sich in den älteren Quellen, wo ja sogar zweifelhaft ist, ob der jahwistische Puritanismus nur Gußbilder, die Produkte städtischer Kultur, oder auch (oder: gerade) Schnitzbilder oder alle Bilder verpöne - die drei „Dekaloge“ befinden sich da untereinander im Widerspruch - und wo die Kunstfertigkeit der Parämentenhandwerker als göttliches Charisma galt, noch in keiner Art. Sie wuchs erst im Verlauf des überaus heftigen Kampfs, den die Vertreter des alten bildlosen Kults gegen die auf dem Kulturboden Kanaans entstandenen Jahwebilder und anderen Kultparamente zu führen hatten, zu dieser Schärfe empor. Die Art dieser Paramente ist durch die spätere Tradition stark verwischt. Insbesondere nimmt das Ephod1) eine unbestimmte Stellung ein. Wie beiden

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Teraphim ist bei ihm nicht sicher auszumachen, was es ursprünglich war. Der gelegentlich behauptete phallische Charakter1) ist schwerlich erweislich. Manche Nachrichten könnten annehmen lassen: ein Bild, andere: ein Umhang mit Tasche für die Orakeltafeln, noch andere: ein Bekleidungsstück. Eine Aenderung des Sinnes unter dem Einfluß der späteren Auffassung des bildlosen Kults ist sehr möglich. War es anfänglich ein bildartiges Parament, so ist es dem ursprünglichen Kult Jahwes vermutlich fremd gewesen. Die Nachricht, welche am meisten diese Deutung nahelegt, ist nordisraelitisch. Ob das „Stiftszelt“ Jahwes mehr als eine spätere theoretische Konstruktion war, kann hier dahingestellt bleiben. Denn weit wichtiger und ein spezifisches Parament des bildlosen Jahwekultes war die tragbare „Lade Jahwes“.

Ob diese Lade, wie namentlich Ed. Meyer annahm, ursprünglich ein Fetischkasten und also ägyptischen Ursprungs oder ob sie, wie M. Dibelius2) wahrscheinlicher gemacht hat, ursprünglich ein kastenförmig aussehender Himmelthron und also vorisraelitisch - palästinischen Ursprungs war, ob sie, wenn dennoch ein Kasten, ursprünglich einen heiligen Stein, vielleicht mit Runen, enthielt oder - wie das Schwally nach Analogie eines islamischen Feldheiligtums (des Machmal) annimmt - von Anfang an ein leerer Kasten war, in welchen man den Gott gebannt hatte, wird wohl nie sicher auszumachen sein. Jedenfalls hat aber Dibelius es aus den ältesten Nachrichten (Num. 10, 35. 36 in Verbindung mit I. Sam. 1, 10 und 4, 4 und dem Bilde des Jeremia 3, 16) höchst wahrscheinlich gemacht, daß sie in der Zeit der Befreiungskriege gegen die Philister ein kerubengeschmückter Sitz sein sollte, auf welchem Jahwe unsichtbar thronte und den man in Kriegsnot auf einem Wagen in das Lager fuhr. Jahwe wurde dann vor der Schlacht durch eine rhythmische Anrufung aufgefordert, sich gegen die Feinde zu erheben, nach dem Siege ebenso, wieder Platz zu nehmen (Num. 10, 35. 36). In der (späten) Samuellegende erscheint Jahwe als in oder wohl auf der Lade im Heiligtum lokalisiert. Das ist vielleicht Produkt späterer Auffassung aus der Zeit der vollen Seßhaftigkeit, - obwohl das Nebeneinanderstehen logisch unvereinbarer Vorstellungen vom

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Gott an sich häufig ist. Der Glaube, daß Jahwe im Krieg auf der Lade unsichtbar throne, war mit der Ansicht, welche z. B. das Deboralied von seinem Herbeistürmen vom Sitz auf dem Waldgebirge Seir hatte, nicht gleichartig, aber vielleicht nicht absolut unvereinbar. Es ist jedenfalls wohl kein Zufall, daß die Perser, - wie die Israeliten ein bergsässiges Nachbarvolk wagenkämpfender Ebenenvölker - nach Herodot (7, 40) ebenfalls ihren unsichtbaren Gott Ahuramazda auf einem Wagen mit in den Krieg führten1). Man wollte ursprünglich wohl den wagenfahrenden Kriegskönigen und Idolen der Feinde den wagenfahrenden Himmelskönig entgegenstellen. Leere Götterthrone sind von Reichel mehrfach, auch im hellenischen Gebiet, nachgewiesen. Ein Gott, dessen von alters überkommener Kult bildlos war, mußte eben ein - normalerweise - unsichtbarer sein und eben aus dieser Unsichtbarkeit seine spezifische Dignität und Unheimlichkeit speisen. Auch hier war die rein historisch gegebene Form des Kults des Bundesgottes der Anlaß für jene Spiritualisierung des Gottes, die durch eben jene Oualitäten nicht nur ermöglicht, sondern sehr nahegelegt wurde. Die Lade ist in der Tradition an Silo und das alte elidische Priestergeschlecht dort gebunden, also nordisraelitisch. Ebenso ist sie sehr intim mit der Qualität Jahwes als Kriegsgottes und Herren der Heerscharen (Zebaoth) verknüpft. Indessen weiß das Deboralied und die Kriegsgeschichte vor der Philisterzeit nichts von ihr und auch damals ist ihr Auftreten ephemer, so daß Zeit, Anlaß und Umfang ihrer ursprünglichen Anerkennung als jahwistischen Kultparaments und Kriegswahrzeichen unsicher bleiben. Zur „Bundeslade“, also dem Behältnis der Gesetzestafeln, hat sie erst die deuteronomistische Theologie gemacht, welcher die an die Lade anknüpfende, den Gott in ihr oder auf ihr lokalisierende Gottesauffassung nicht mehr zusagte. Jedenfalls war die leere Lade und ihre Bedeutung ein Symptom und wohl auch ein Anlaß jener relativen Spiritualisierung dieser anthropomorphen Gottesvorstellung, wie sie durch die Tatsache der Bildlosigkeit des Kults unmittelbar bedingt wurde. Der Sitz des Bundesgottes auf dem Waldgebirge Seir war selbstverständlich ganz ohne Bilder und Tempel, von denen keine Spur bekannt ist. - Die Hiskia - Annalistik ergibt, daß ein Schlangenstab, die sogenannte eherne „Schlange“,

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zu den - im Gegensatz zu den salomonischen Prachtgeräten - auf Mose zurückgeführten und, weil unverstanden und ätiologisch legendär gedeutet, offenbar wirklich alten Paramenten des späteren jerusalemitischen Kults gehört hat. Mose wird in der Tradition auch als therapeutischer Wundertäter behandelt, insbesondere als Retter aus einer Pestnot. Das würde dazu gut stimmen, daß zu Jahwes spezifischen Kampfmitteln gegen seine Feinde auch die Seuchen gehörten. Nach einer angesichts der ätiologischen Sage naheliegenden. aber natürlich nicht erweislichen Annahme wäre der Schlangenstab1) ein Emblem solcher Jahwepriester gewesen, die Medizinmänner waren und später verschwunden sind. - Damit sind aber die eigentlich alten jahwistischen Paramente erschöpft.

Als nun mit der intimen Vermengung Jahwes und Baals der Bilderdienst des Kulturlandes in den nordisraelitischen Jahwekult eindrang, wurde Jahwe namentlich als Stier, also wohl als der Fruchtbarkeitsgott der Ackerbauer, dargestellt. König Jerobeam, der einen Jahwenamen trägt und einen Jahwepropheten auf seiner Seite hatte, wurde es zum Verdienst angerechnet2), daß er, zum Zweck der Emanzipation von Jerusalem, an einigen nordisraelitischen Kultorten Jahwes vergoldete Stierbilder aufrichtete, eines davon in Dan, einer als besonders korrekt geltenden, von einem angeblich von Mose abstammenden Priestergeschlecht geleiteten Kultstätte. Von den nordisraelitischen Propheten unter den Omriden, Elia und Elisa: rücksichtslosen Gegnern der unter phönizischem Einfluß sich stark entwickelnden Baalkulte, ist nicht die geringste Einwendung gegen den offenkundig bestehenden Gebrauch solcher Jahwebilder berichtet. Aber allerdings kann es kaum zweifelhaft sein, daß von dem damals eröffnetem Kampf gegen die durch auswärtige Prinzessinnen und Bündnisse importierten fremden Kulte, die sämtlich Idolkulte waren, der Kampf gegen die Idole als solche auch innerhalb des Jahwismus seinen Ausgang nahm. Er konnte anknüpfen an jene im Lande bestehenden Kultstätten, an welchen Jahwe ebenso wie zweifellos an den alten außerisraelitischen Kultorten der Wüste, bildlos verehrt wurde. Die Priester

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dieser Kultstätten mußten geneigt sein, allein diese Form als korrekt anzusehen und konnten die mit steigender äußerer Bedrängnis steigende Sorge um die Korrektheit des Jahwekultes in der Form, wie sie in der Zeit der alten Siege Israels gewesen war, für sich mobil machen. Wo die Lade Jahwes das allerheiligste Kultobjekt bildete, und das war bis auf David in Silo, kann von jeher nur bildloser Dienst bestanden haben. Daß in Jerusalem seit der Ueberführung der Lade dorthin der Dienst zunächst ganz bildlos war, ist ebenfalls kein Grund zu bezweifeln. Die Tradition läßt aber erkennen, daß die heilige Lade vor der Gründung des Kultstätte in Jerusalem durch David längere Zeit halb vergessen in einem Privathaus gestanden hatte, nachdem die Philister sie in der Schlacht genommen und vermutlich Silo zerstört hatten. Es hatte daher wahrscheinlich einen ersten entscheidenden Wendepunkt zugunsten der Machtstellung des bildlosen Jahwekults bedeutet, als David durch Ueberführung gerade dieses Wahrzeichens der bildlosen Verehrung des Bundeskriegsgotts diese zur Kultform der Königsresidenz machte. Ihm hatte vermutlich der Bund mit den elidischen, aus Silo vertriebenen, Priestern von Anfang an die Stütze gegen den zwar jahwistischen, aber nordisraelitisch, an der kombinierten Jahwe - Baal -Verehrung, orientierten Saul gegeben. Dafür richtete dieser unter jenen Priestern ein berüchtigtes Blutbad an, welches ihm die Tradition mit einem noch in der heute vorliegenden Fassung nachwirkenden Haß vergolten hat. Der Süden wurde nun das Zentrum des Glaubens an die alleinige Korrektheit der bildlosen Verehrung. Der salomonische Tempel bedeutete zwar schon an sich einen Rückschlag gegenüber diesem puritanischen Kult. Nicht nur trug er, wie es scheint, einen Weihespruch, der auf Sonnenverehrung, wie sie bei vielen Dynastien über die Erde hin als Königskult verbreitet war, schließen läßt: - später wird auch ein Sonnenwagen mit Rossen erwähnt -, sondern er verstieß auch offensichtlich gegen die alte Vorschrift, Jahwe auf einem einfachen Erdaltar ohne behauene Steine zu verehren. Der späteren Forderung absoluter Meidung ikonenartiger Paramente hat er zweifellos in vielen Einzelheiten nicht entsprochen. Der Sturz des Elidenpriesters Abjathar hängt wohl mit jenen Neuerungen des an Aegypten und Phönizien orientierten Fronkönigtums zusammen. Aber damals standen offenbar nicht sie im Mittelpunkt des Interesses. Der eigentliche Kampf dagegen begann

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erst weit später. Als längst die allerverschiedensten Paramente als Anklänge an auswärtige Kulte verdächtig geworden waren, ist doch eine prinzipielle Opposition gegen alle Bilder noch nicht bemerkbar. Sie begann in der Zeit des Hosea und erreichte ihren ersten Erfolg in der Zeit des Hiskia. Damals schon machte sie nicht einmal vor dem auf Mose zurückgeführten alten Parament des Schlangenstabes Halt, welches von diesem König zertrümmert wurde. Es wirkte die zunehmende politische Sorge um die Abwendung aller denkbaren Gründe des Zornes des alten einst bildlos verehrten Kriegsgottes der UeberIieferung zusammen mit dem inzwischen sublimierten Gottesbegriff der Intellektuellen Kreise, denen gerade die Unsichtbarkeit und Bildlosigkeit des Gottes für ihre Konzeptionen wertvoll war und die nun das Menschenwerk der Handwerker in den fremden Idolkulten mit seiner majestätischen Uebermenschlichkeit kontrastierten und verspotteten. Der Baalkult wurde nun als Quelle des Eindringens dieses Greuels in den Jahwekult verfolgt. Aber die zunehmende Schärfe dieses Kampfs gegen den Baalkult hing außerdem allerdings zusammen mit sehr tiefgehenden inneren Eigentümlichkeiten der Gottesverehrung, welche mit dem altkanaanäischen Baalkult untrennbar verknüpft, der genuinen jahwistischen Religiosität aber schlechthin gegensätzlich war. Wir müssen zum Verständnis dessen etwas weiter ausholen und uns zunächst mit den Trägern des Kultbetriebs: den Priestern, befassen.

Es ist mit hinlänglicher Sicherheit bezeugt, daß die israelitische Frühzeit keinen von Bundes wegen allgemein anerkannten Priesterstand1) hatte, vor allem keinen, der ein Monopol des Opfers im Namen des Bundes als solchen für den Bundesgott gehabt hätte. Der Beziehung des israelitischen Bundes zu Jahwe mußte ja die spätere Bedeutung des Opfers notwendig fehlen. Denn vor dem Königtum gab es wie schon gesagt gar keine Bundesinstanz, welche zur regelmäßigen Darbringung von Opfern in Friedenszeiten kompetent gewesen wäre. Nur im Kriege war eine Einheit des Bundes vorhanden. und dann war nach der Tradition die teilweise oder auch vollständige Tabulierung der Beute das spezifische rituelle Mittel, dem Gott

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das Seinige zu geben. Diese Maßregel interessierte den Gott ja auch weit stärker am Siege Israels als ein vorheriges Opfer. Natürlich wurden Jahwe wie allen Göttern wohl von jeher Opfergaben dargebracht, um sein Wohlwollen zu gewinnen. In Kriegszeiten auch von Bundes wegen, in Friedenszeiten aber von den einzelnen je nach Anlaß. Nach der Theorie der Tradition war jede Mahlzeit, jedenfalls jede Fleischmahlzeit, in dem allerdings sehr weiten Sinne ein „Opfermahl“, daß der Gott daran durch Spenden seinen Anteil zu erhalten hatte. Vor der Schlacht, und sonst nach Bedarf an den alten Kultstätten, opferten ihm die Fürsten und ebenso gegebenenfalls die Sippenhäupter. Nur die Blutbesprengung des Altars scheint eine zuverlässige Tradition dem Mose, also: Berufspriestern, vorzubehalten. Aber ob diese Kultform außerhalb Silos verbreitet und wie alt sie war, steht nicht fest. Die spätere priesterliche Theorie stellt freilich schon Sauls Opfer ohne Zuziehung Samuels (den sie dabei zum Priester stempelt) paradigmatisch als einen ihm zum Verderben gereichenden Eingriff in die Priesterbefugnisse hin. Dem geltenden Recht entsprach dies aber noch viel später keineswegs. David trägt im Samuelbuch Priestertracht und spricht den Segen. Unter König Ussia spielt sich in der priesterlich bearbeiteten Königstradition der gleiche Konflikt wie angeblich zwischen Saul und Samuel ab1). Als sicher ist freilich anzunehmen, daß Fürsten und große Grundherren sich rituell geschulte Priester hielten. Aber sie wählten diese ursprünglich gänzlich frei. In der älteren, später vom Chronisten ausgemerzten Tradition macht David zwei seiner Söhne zu Priestern1). Das Entsprechende tut im Richterbuch ein großer Grundbesitzer im Norden, Micha, nach einer Tradition, von der in anderem Zusammenhang bald zu reden sein wird. Die Heiligtümer, welche in dieser Art von Fürsten und Privaten ausgestattet waren, galten als ihr Privatbesitz. Sie hatten darin das Hausrecht: so die nordisraelitischen Könige in Jerobeams Stiftung in Bethel (Amos 7, 13); was sie befehlen, führt der von ihnen angestellte Priester, ihr Beamter, aus, und zwar nach der Tradition, z. B. in Jerusalem auch Altar bauten nach fremdem Muster (2. Kön. 16, 10). Eine Gesamt-

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organisation der Opferpriesterschaft fehlte schon infolge der Konkurrenz der Opferstätten, bei welcher im Nordreich begreiflicherweise die privaten „Eigenkirchen“ gegenüber den königlichen Stiftungen nicht in dem Maß im Nachteil waren wie in dem zentralisierten jüdischen Stadtstaat. Der Oberpriester führte den Namen: „der Priester“ (ha kohen); spät erst findet sich in Jerusalem (2. Kön. 25, 18) der Titel Hauptpriester (kohen ha rosch); das Vorkommen des nachexilischen Titels „Hoherpriester“ (kohen ha gedol) ist unsicher (2. Kön. 22, 4. 8 und 23, 4 ist als Glosse verdächtig, vgl. - 2. Kön. 11, 9 f., wo für den gleichen Oberpriestei Jojada1) der Titel ha kohen steht). In jedem Fall aber werden die Kultpriester der Königstempel als königliche Beamte aufgezählt (2. Sam. 8, 16 f., 20, 23 f.), begleiten den König ins Feld und haben mit der einen Ausnahme des Jojada unter Athalja in vordeuteronomischer Zeit keine irgendwie bemerkenswerte selbständige politische Rolle gespielt. Am allerwenigsten galten sie als Häupter einer religiösen „Gemeinde“. Eine solche gab es nicht. Der Heerbann war in alter Zeit die Gemeinde, auch in relegiösen Dingen, später die Landsgemeinde der Vollisraeliten. Das über Jeremia urteilende Gericht besteht aus den königlichen Sarim und den Sekenim, deren Rolle bei der Urteilsfällung fraglich bleibt. Die `am (Mannen) bilden den „Umstand“ dieser Gerichtsgemeinde (kahal), die Priester sind die Anklänger, sitzen aber nicht im Gericht. Der König (Josia), nicht der Oberpriester (Hilkia) beruft die Gemeinde zusammen, auch wo es sich um eine religiöse berith handelt. Wie es mit dem alten Priesterkönigtum in Jerusalem stand, von welchem die zweifelhafte Tradition Gen. 14 wissen will und in wessen Interesse diese Ueberlieferung repristiniert wurde, bleibe dahingestellt. Jedenfalls war der alten Tradition der Fürst auch zum Opfern für seinen Verband legitimiert und rituell qualifiziert. Ebenso sicher gab es nun aber von jeher alte von weither aufgesuchte Kultstätten, an welchen ganz ausschließlich die dortigen erbcharismatisch qualifizierten Priestergeschlechter nach alten Regeln sowohl für Fürsten wie für Private besonders feierliche Zeremonien leiteten. So vor allem das Geschlecht der Eliden an der den Propheten (Jeremia) als besonders alt und rein jahwistisch geltenden Kultstätte in Silo. Ueber die dortige sicherlich alte Opferpraxis scheint die

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Tradition zu ergeben: daß die Kunden im Zusammenhang mit individuellen Gebeten um Erfüllung bestimmter Wünsche Fleischopfer darbrachten, daß davon der Priester seinen Anteil nahm, daß aber außerdem auch Opfermahle mit Trunkenheit der Teilnehmer nichts Seltenes waren. Die Bedeutung der Opfermahle hat uns später zu beschäftigen und der sehr komplizierten Geschichte des altisraelitischen Opfers überhaupt soll nicht nachgegangem werden1). Hier halten wir uns zunächst an die Opfergaben und sehen, daß diese in Israel wie überall zunächst als geeignete Mittel galten, der bittenden Anrufung des Gottes Nachdruck zu verleihen. Die ältesten Kultordnungen, wie sie die kultischen Anhänge des Bundesbuchs erhalten haben, schrieben nur allgemein vor: daß der Israelit dreimal jährlich vor Jahwe erscheinen solle und zwar „nicht mit leeren Händen“. Andere sicher alte Bestimmungen gibt es nicht, und wie weit die praktische Bedeutung dieses Gebots reichte, ist nicht feststellbar.

Die Bedeutung des Gabe - Opfers verschob sich zunächst quantitativ mit zunehmendem Prestige des Bundes - Kriegsgotts, wie sie die Expansion mit sich brachte, und vor allem mit Errichtung des Königtums. Die Davididen und im Norden Jerobeam richteten königliche Kultstätten mit regelmäßigen Opfern ein.

Weit wichtiger aber wurde die Verschiebung des Sinnes des Gabe - Opfers, welche mit zunehmender Verdüsterung der politischen Lage des Landes im weiteren Verlauf der Königsherrschaft eintrat. Denn die Frage mußte nun entstehen: woher denn diese ungünstige Entwicklung der politischen und militärischen Lage Israels komme ? Die Antwort konnte nur lauten: der Zorn Gottes lastet auf dem Volke. Der israelitische „Sünde“ - begriff knüpft, wie die alten mesit von chatah „verfehlen“ abgeleiteten Worte zeigen, an rein objektive Tatbestände an. Ein Verstoß, offenbar zunächst und vor allem ein ritueller Verstoß, erregt den Zorn des Gottes. Furcht vor rituellen Fehlern und ihren Folgen war daher hier wie überall das älteste Motiv, Sühne zu suchen. Aber: Jahwe war auch Vertragspartner der berith mit Israel, und das alte auf Kameradschaftlichkeit und brüderlicher Nothilfe aufgebaute Sozialrecht galt daher als ihm gegenüber verpflichtend. Der Sündenbegriff mußte sich daher früh auch auf inhaltlich „ethische“, zunächst: die sozialethi-

M a x W e b e r, Religionssoziologie III.

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schen Gebote erstrecken. Vor allem die jahwistische Kritik an den durch die Stadtsässigkeit bedingten sozialen Verschiebungen und an der Haltung des Königtums hat den Begriff der „Sünde“ hier, wie unter ähnlichen Verhältnissen auch anderwärts, z. B. in der sumerischen Inschrift Urukaginas, über das rituelle Gebiet hinaus auf das sozialethische erweitert. Der gewaltige Kriegsgott knüpfte - das schien offenbar - seine Gnade an die Befolgung seiner durch berith feierlich angenommenen Gebote, neben den rituellen Vorschriften1) besonders an die Innehaltung des von ihm garantierten alten Bundesrechts. Bei Mißerfolgen und politischer Bedrängnis wurde naturgemäß die Feststellung: welcher sozial relevante Frevel wohl den Zorn des Gottes erregt haben und wie man ihn beschwichtigen könne eine immer allgemeiner erörterte Frage. Schwere Bedrängnis wurde aber seit dem 9. Jahrhundert die chronische Lage der beiden Königreiche. Mit alledem trat die Bedeutung des Opfers als eines Mittels, Schuld zu sühnen, wie die Quellen deutlich erkennen lassen, immer mehr in den Vordergrund bis zu schließlich überragender Wichtigkeit. Von den vermutlich sehr mannigfaltigen Arten der Sühnopfer der einzelnen Kultstätten sind zwei, chattat und ascham, wohl durch rein zufällige Umstände später allein kanonisch geworden2) . Damit aber steigerte sich die Notwendigkeit, ritual- und rechtskundige Jahwepriester zur Erforschung des Willens des Gottes und der zu sühnenden Verfehlungen angehen zu können. Die mit steigender Rationalisierung des Lebens überall, auch in Mesopotamien, sich steigernde Nachfrage nach Mitteln der Sündenfeststellung und Sündenabbüßung

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gewann unter dem Druck des politischen Schicksals Israels dort besondere Wucht. Mit der wachsenden Bedeutung des Sühnopfers und der Belehrung über Jahwes Willen wuchs also die Nachfrage nach Trägern des Wissens von Jahwe und seinen Geboten. Denn es war ja nicht in erster Linie die Darbringung des Opfers selbst, so wichtig dessen Korrektheit sein mochte, sondern vor allem die Erforschung des göttlichen Willens und der vorgekommenen Verstöße dagegen dasjenige, was man begehren mußte. Sowohl die politischen und lokalen Verbände wie die Einzelnen als solche kamen in diese Lage. Angelegenheiten des politischen Verbandes als solchen waren vor altern die Beeinflussung des Kriegsglücks und die Erzeugung von reichlichem Regen. Beides steht bei den Verheißungen Jahwes für Gehorsam und rechtes Verhalten nebeneinander. Dazu trat für den einzelnen die Nothilfe in persönlicher Bedrängnis aller Art. Mose ebenso wie noch Elia tun in der Tradition sowohl politische, vor allem Kriegs-, Regen- und Speisewunder, wie private Heilungswunder, erforschen den Willen Gottes und die Verstöße dagegen. Dies letztere war und wurde immer mehr die eigentliche Leistung der beruflichen Träger des Jahwismus.

Die Quellen zeigen nun, daß für die Erforschung des göttlichen Willens zunächst fast alle Arten von Mitteln, welche die Kulturwelt ringsum kannte, auch in Palästina vorkamen. Aber nicht alle galten der israelitischen Tradition als gleich legitim. Die vom Standpunkt der strengen Jahwereligion später (Num. 12. 6) als korrekt geltenden Formen waren nur drei: 1. Verkündigung durch Jahwe an einen in seiner Vollmacht redenden wahren Seher und Propheten: woran man einen „wahren“ vom „falschen“ Propheten unterschied, bleibt für später zu erörtern; 2. für gewisse Fälle: das Losorakel der berufsmäßigen Orakelpriester mit Hilfe der Orakeltafeln (urim und thummim) und vielleicht ursprünglich auch des Pfeilorakels; 3. endlich auch, aber mit zunehmenden Vorbehalten dagegen, die Traumvision. Alle anderen Formen von Erforschung sei es der Zukunft, sei es prozeßwichtiger oder sonst erheblicher Tatsachen oder endlich und namentlich der Willensmeinung des Gottes galten einer zunehmend siegreichen Anschauung als fluchenswerte, unter Umständen todeswürdige Magie oder einfach als Schwindel. Nur für einige wenige Fälle, insbesondere für Erprobung der ehelichen Treue einer Frau, hielt sich das Ordal bis in die deuteronomische Zeit.

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Das Losorakel, dessen alte Heiligkeit ganz ebenso wie Jahwes Bildlosigkeit durchaus auf seiner der Kulturlosigkeit der Steppe entsprechenden Einfachheit beruhte, hat bis in die späte vorexilische Zeit bestanden, aber gegenüber der Befragung von Sehern, Propheten und anderen Wissenden in abnehmender Bedeutung. Die Exilstradition läßt es durch den Verlust der Lostafeln untergegangen sein. Ebenso haben, trotz der Verpönung, die Totenorakel und alle andere Formen der Divination natürlich fortbestanden. Aber ganz ersichtlich mit abnehmender Bedeutung. An sich war ja die Zunahme der Befragung von Sehern, Propheten und Ritualkundigen auf Kosten sowohl der Losform wie anderer irrationaler Entscheidungsformen eine ganz naturgemäße Folge der zunehmenden Kompliziertheit der zu stellenden Fragen, welche immer weniger mit einem einfachen „Ja“ oder „Nein“ oder durch einfaches Los beantwortet werden konnten. Aber dazu trat für den genuinen Jahwismus der andre, in der Besonderheit der Beziehung zu Jahwe liegende Grund: wenn Jahwe zürnte und der Nation oder dem einzelnen nicht half, so mußte daran eine Verletzung der berith mit ihm die Schuld tragen. Hier mußte also die Fragestellung sowohl der amtlichen Instanzen wie der einzelnen einsetzen: welches seiner Gebote war übertreten worden ? Darauf konnten irrationale Divinationsmittel keine Antwort geben, sondern nur die Kenntnis der Gebote selbst und die Gewissenserforschung. So drängte der in den genuin jahwistischen Kreisen lebendige Gedanke der „berith“ alle Erforschung göttlichen Willens in die Bahn einer mindestens relativ rationalen Fragestellung und rationaler Mittel ihrer Beantwortung. Mit großer Schärfe wendete sich daher die unter dem Einfluß der Intellektuellenschichten stehende priesterliche Paränese gegen die Wahrsager, Vogelschauer, Tagewähler, Zeichendeuter, Totenbeschwörer als gegen charakteristische heidnische Arten der Gottesbefragung1). Die Schriftpropheten und die ihnen nahestehenden streng jahwistischen Kreise haben dann, wie wir sehen werden, auch die Verläßlichkeit der Traumwahrsagerei angegriffen, was teils mit der spezifischen Berufsqualifikation dieser Propheten, teils mit ihrer Auffassung von Jahwes Eigenart und Absichten zusammenhing. Der vor ihrer Zeit geführte Kampf gegen die

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irrationalen Formen der Divination und Magie hatte natürlich neben den angegebenen rationalen auch einfach zufällige historische Gründe in dem Ausgang des Konkurrenzkampfs der verschiedenen Priester- und Wahrsagerkategorien gegeneinander und in demjenigen technischen Zustand, in welchem sich die Orakelkunst bei den Trägern der siegreichen Form damals befand. Ueberall, in China, Indien und in den alten sumerischen Stadtstaaten, finden wir ja den „Zauberer“ als den verketzerten und illegitimen Konkurrenten der aus oft sehr zufälligen Konstellationen heraus rezipierten legitimen Priesterschaft und diese Verpönung betrifft dann auch seine Praktiken. Das Losorakel war an sich gewiß nicht rationaler als die babylonische Leberschau: nur freilich gab es keinen Anknüpfungspunkt für kosmische Spekulationen wie diese. Daß gerade die erwähnten Arten der Willenserforschung rezipiert wurden, war freilich auch insofern nicht nur zufällig, als sie bedingt war durch Ausscheidung aller mit chthonischen Kulten und der ihnen eigenen Art der Ekstatik zusammenhängenden Praktiken1). Wir werden diese Seite des Gegensatzes bald kennenlernen.

Wer war nun Träger der Befragung Jahwes ?

Von der etwas schwankenden Rolle der alten „Seher“ war bereits die Rede. Sie sind später ganz verschwunden. Aber da der alte Jahwismus des Kriegsbundes zwar die Kriegsekstatiker und emotionalen Kriegspropheten und ebenso die Befragung der apathisch - ekstatischen Seher gekannt hatte, nicht aber einen amtlichen Bundeskult, so ist es - und das war wichtig - den Priestern nicht möglich gewesen, nun den Anspruch darauf zu erheben, ihrerseits das Monopol der Orakelkunst in Händen zu haben. Sie haben von Anfang an, zweifellos ungern genug, zugestehen müssen, daß die Prophetengabe auch außerhalb ihres Kreises möglich und verbreitet sei. Die Spannung blieb trotzdem bestehen, zum mindesten für alle diejenigen Propheten, welche nicht, wie die Priester der großen Residenzen selbst, im Königsdienst standen. Daß der Kult königlicher Kult war, diskreditierte das „Opfer“ als solches in den Augen der zum Königtum skeptisch stehenden Kreise. Die Priester mußten sich damit begnügen, alle diejenigen Praktiken auszurotten, welche Gegen-

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stand eines eigentlich zunftmäßigen und kultartigen Betriebes waren und dadurch mit ihnen in unmittelbare Konkurrenz traten. Den regelmäßigen Betrieb des Jahwekults und aller mit ihm zusammenhängenden Praktiken suchten sie für sich zu monopolisieren. Wer aber waren sie selbst ?

Wie die Priester an den Kultstätten der alten Zeit eigentlich geartet waren, ist nicht sicher zu ermitteln. Das alte Priestergeschlecht der Eliden von Silo wurde durch David nach Jerusalem verpflanzt, durch Salomo degradiert. Ein Mann, den erst die spätere Tradition mit einem von ihrem Standpunkt aus korrekten Stammbaum versehen hat, der aber in der alten Ueberlieferung nicht einmal ein israelitisches Patronymikon trägt: Zadok, wurde leitender Priester in Jerusalem. Das Königtum schaltete sowohl über die Besetzung dieser Priesterstellen wie über die ökonomische Versorgung der Priester offenbar nach Ermessen, nahm auch zunächst noch das Recht eigenen Opferns in Anspruch. Noch unter Joas hat der König eine Neuordnung der Pfründenversorgung der Jerusalemiter Priester unter Staatskontrolle vorgenommen. Dies alles änderte sich formell erst mit der deuteronomischen Reform in den letzten Zeiten des Reiches Juda. Die Priesterschaft von Jerusalem fühlte sich damals stark genug, die Zehentrechte und sonstigen Abgabeansprüche des Gottes, welche das Vorrecht einiger Kultstätten, vielleicht - nach der Malkisedek - Tradition zu schließen - gerade Jerusalems, auf beschränktem Gebiet gewesen sein machten, als universell für den ganzen Umkreis Israels, damals also: des judäischen Reiches, gültig hinzustellen und, wie wir sehen werden, gleichzeitig eine ungeheure Steigerung ihres eigenen Kultmonopols in Anspruch zu nehmen. Eine gewaltige Zunahme des Prestiges der Priesterschaft mußte dem vorangegangen sein. Diejenige Jahwepriesterschaft nun, welche dem deuteronomischen Gesetzbuch als von jeher allein legitim gilt, wird in diesem Kompendium als die „levitischen Priester“ bezeichnet.

Der Name „Levi“ hat keine hebräische Etymologie1). Es ist möglich, daß Leviten auch außerhalb Israels im Dienste

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des minäischen Stammesgottes Wadd tätig waren1). Wie alt die Verbreitung dieser gelernten Priester eigentlich ist, steht nicht fest2). Sicher scheint nur, daß sie ursprünglich in Nordisrael wenig heimisch waren, sich dorthin durch Einzeleinwanderung verbreitet hatten und jedenfalls von Jerobeams Dynastie, vermutlich aber noch später, mindestens nicht als einzig legitime Jahwepriesterschaft anerkannt waren. Schlechthin alle Anzeichen weisen auf einen südlichen Ursprung, in der Steppe am Wüstenrand, in der Oase von Kades und in Seir. Einer ziemlich alten Tradition sind die Leviten zuerst die ganz persönliche Gefolgschaft des Mose3), die er gegen widerspenstige und ungehorsame Gegner aufruft und welche in einem Blutbad unter den eigenen Nächstversippten seine Autorität sichert. Diese Tradition, ebenso aber auch der Mosessegen ergeben nach Eduard Meyers einleuchtender Interpretation, daß jedenfalls dieser Zweig der Ueberlieferung sie nicht als Erbkaste kannte: im Gegenteil mußte man nach dem Mosessegen Vater und Bruder verleugnen, um Levit zu sein. Sie waren für diese Auffassung also ein gelernter Berufsstand. Daß sie später gentilizisch gegliedert und als erbcharismatisch qualifizierter Stamm auftreten, würde nichts dagegen beweisen: diese Entwicklung findet man außerhalb wie innerhalb Israels immer wieder. Indessen andere Teile der Tradition kennen einen nicht priesterlichen wehrhaften „Stamm Levi“1) als politischen Genossen der Stämme Israels, insbesondere der Stämme Simeon und Juda, und der Jakobsegen weiß nichts davon, daß gerade er ein Priesterstand sei oder daß es überhaupt levitische Priester gebe. Vielmehr erzählen die Quellen von seinen militärischen Gewalttaten gemeinsam mit Simeon, und der Jakobsegen weissagt Levi die Zerstreuung wegen eines Frevels: Männer haben sie getötet und „den Stier verstümmelt“. Sie sollen „in Jakob“ und „in Israel“ zerstreut werden, wie Simeon. Mose gehörte der späteren Priestertradition

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zum Stamme Levi als Mitglied. Vielleicht galt er der älteren, später tendenziös ausgemerzten, Tradition als Stammvater oder wenigstens als Archeget derjenigen Sippen des Stammes Levi, welche Leviten im rituellen Sinne waren oder wurden. Denn unbedingt muß es zur Zeit des Jakobsegen Glieder eines Stammes Levi gegeben haben, welche nicht „Leviten“ im späteren Sinne waren. Es steht nun zur Wahl, entweder anzunehmen: daß die Glieder eines durch politische Katastrophen oder ökonomische Wandlungen zerstreuten Stammes Levi sich ganz oder teilweise der Pflege des Jahweopfers und Jahweorakels zugewendet und Jahwepriester geworden seien1). Oder: daß umgekehrt einmal aus dem zuerst auf persönlicher Einschulung ruhenden, dann erbcharismatischen Berufsstand der im Süden, interethnisch, verbreiteten „Leviten“ Laiensippen, solche also, bei denen die rituelle Schulung und Tradition erloschen war, als ein „Stamm“ angesehen wurden oder wirklich als ein solcher sich konstituiert und mit Simeon verbunden haben, später aber ebenso wie dieser Stamm zerfallen seien. Bei den Brahmanen in Indien finden wir ja wie bei den Leviten den Kampf der personalcharismatischen und berufsständischen mit der erbcharismatischen und geburtsständischen Qualifikation. Auch bei ihnen war und ist bei weitem nicht jeder geburtsständische Brahmane rituell zu den Privilegien der Brahmanen: Opfer, Vedalehre, Pfründen, qualifiziert. Sondern nur der, welcher das rituell vorgeschriebene Leben geführt und nach richtiger Lehre die Weihe empfangen hat. Auch in Indien gibt es ganze Dörfer, die nur von damit belehnten Brahmanen, die zum Teil die Vedaschulung ganz oder fast ganz aufgegeben haben, bewohnt sind. Die Möglichkeit besteht also, daß es auch bei den Leviten ähnliches gegeben hat. Die Art, wie im Deuteronomium die Ausdrücke „Leviten“ und „Priester“ kombiniert werden, könnte den Gedanken nahelegen, daß es auch damals nicht geschulte und nicht rituell reine, also zum Praktizieren nicht qualifizierte Levitenabkömmlinge gegeben hat, die nicht „Priester“ waren (bzw. sein konnten). Es ist diese Annahme sogar praktisch fast nicht abzuweisen. Denkbar wäre dann, daß das Zerstreutleben dieser auch damals zu keinem von den anderen

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Stämmen zu zählenden „Laien - Leviten“ der Tradition den Anlaß dazu gab, sie mit Simeon gemeinsam in den Sichem - Frevel zu verstricken.

In deuteronomischer Zeit waren die levitischen Priester erbcharismatisch in Sippen gegliedert und ständisch abgesondert, beanspruchten das Monopol bestimmter Orakelformen, der Priesterlehre und der Priesterstellen. Dies mit Erfolg wenigstens im Süden. Im Norden findet sich die Erwähnung levitischer Priester nur zweimal im Richterbuch (Kap. 17 f. für Dan und Ephraim); zur Zeit der Redaktion dieser Partie unsicheren Alters scheinen die Leviten noch ein Berufsstand, kein Geburtstand gewesen zu sein. Als solcher erscheinen sie dagegen in den von der priesterlichen Tradition beeinflußten Darstellungen der Wüsten- und Eroberungsgeschichte und im Deuteronomium. Diese Tradition behandelt die Leviten schlechthin als die geschulten erblichen Jahwepriester. Dabei haben die einzelnen Leviten privaten Besitz, auch Haus- und Grundbesitz aller Art. Zugewiesen ist ihnen das Monopol der Vollziehung des Opfers, soweit ein Priester mitwirkt, ferner das ausschließliche Recht des Losorakels urd der Lehre und die für alles dieses zu leistenden Abgaben und Kasualien, in der Theorie der jetzigen Redaktion des Deuteronomiums ferner: das Zehntrecht von allem Ertrag des Bodens.

Der älteren Tradition sind die Leviten rechtlich gerim1). Ja sie sind geradezu der vollendetste Typus des „Gaststammes“ innerhalb der israelitischen Gemeinschaft. Sie haben diese Stellung in der jetzigen Redaktion am reinsten bewahrt. Wir finden in der Erzählung vom Frevel von Gibea einen Leviten als Metöken der Ephraimiten. Zweifellos lebte er von Kasualien. Die Leviten standen außerhalb des Verbandes der Kriegshufenbesitzer. Sie entbehrten der Wehrpflicht (Num. 1, 49; 2; 33) und ihr Dienst galt, wie die Bezeichnung: `ebed zeigt, als Metökenleiturgie gegenüber der politischen Gemeinde. Ihre Rechtsstellung wurde zunehmend fest geregelt und ihre innere Gliederung nach Vaterhäusern (Ex. 6, 25; Num. 3, 14 f.) entspricht sowohl der Art, wie ein indischer Gaststamm, wie derjenigen, wie die damaligen israelitischen Stämme gegliedert waren. Die Vorschrift eines Zweiges der Tradition (Num. 35, 2 f.) über die ihnen zuzuwei-senden

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Levitenstädte1) muß nicht notwendig fiktiv sein, sondern kann darauf beruhen, daß in manchen Städten ihr Unterhalt durch Zuweisung von Hausgrundstücken und Weideland neben Anteil an den Steuererträgen bestimmter Ortschaften gesichert war, wie sich ähnliches ja auch für Fürsten (Josua) findet und wie es auch manchen indischen Analogien entspricht. Nach einer anderen freilich noch fragwürdigeren Tradition (Lev. 25, 32 f.), welche von Feldgrundstücken der Leviten spricht, wären diese ganz unveräußerlich - wohl deshalb, weil leiturgisch belastet - und auch ihre Häuser nicht, wie bei andern Israeliten, frei für immer verkäuflich gewesen2). Man wird jedenfalls wohl örtlich recht verschiedene Arten ihrer Ausstattung annehmen dürfen3).

Die Analogie mit den Brahmanen geht in manchen Punkten noch weiter. Jene Lage der Leviten als Gaststamm mit festgeregelter Stellung war nicht die einzige und vermutlich nicht die ursprüngliche Form ihrer Beziehung zu Israel. Die Tradition berichtet, wie schon erwähnt, von Fürsten und Grundherren, daß sie entweder, wie dies bei Jerobeam mißbilligt wird (I. Kern. 12, 31), niedrig Geborene, teils aber ihre eigenen Söhne oder Verwandten als Priester an ihren Hauskapellen („Eigenkirchen“ im Stutzschen Sinn) anstellten. Das letztere erzählt eine alte danitische Tradition auch von dem Grundherren Micha in Nordisrael. Von diesem wird nun aber weiter berichtet, wie er sich später mit einem aus Juda zuziehenden Leviten in Beziehung setzt, diesen mit dem Dienst an seinem Heiligtum betraut und zu seinem „Vater“ (dem indischen Guru entsprechend) macht, schließlich aber: wie die auf der Wanderung nach Norden begriffenen Daniten das Bild aus dem Heiligtum und den Leviten mitnehmen und ihm die erbliche Priesterschaft am Tempel der neugegründeten Stadt im Sidoniergebiet übertragen „bis auf diesen Tag“. Dies entspricht genau der Art der Ausbreitung der Brahmanen in Indien. Ebenso sind die späteren levitischen Hofkaplane die Parallele des brahmanischen Purohita. Man sieht hier deutlich, welche Motive zur Ausbreitung der Leviten führten: offenbar



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ihre überlegene rituelle Schulung für den Opferdienst, vor allem aber für die „Seelsorge“, d. h. die Beratung über die Mittel, Jahwe günstig zu stimmen und seinen Zorn abzuwenden. Die Fürsten und Grundherren stellen sie an nicht nur um ihres persönlichen Bedarfs nach solcher Beratung willen, sondern zweifellos auch um ihres Prestiges als Herren der Kultstätten und um der Einkünfte willen, welche der Ruf eines von einem geschulten Priester versorgten Heiligtums seinem Besitzer abwarf: wir sahen ja, wie Gideon seinen Beuteanteil zur Errichtung einer Kapelle mit einem Bild verwendete. Daß Gemeinden als solche sie beriefen und ausstatteten, wird später - wie bei den Daniten - auch vorgekommen sein. Daneben stand ihre freie Erwerbstätigkeit. Auf diese Art hatten die Leviten im Wege allmählicher Ausbreitung ihr in deuteronomischer Zeit innerhalb des judäischen Gebietes im wesentlichen anerkanntes Monopol erlangt. Das Deuteronomium setzt voraus, daß in jedem Ort ein Levit sitzt und von den Opfern leben will. Ohne Widerstand ist diese Ausbreitung nicht erfolgt, wie der Fluch des Mosessegens gegen ihre „Hasser“ (Deut. 33, 11) zeigt. Es gab, wie in der Tradition die Revolte der später als degradierte Leviten erscheinenden Korachiten in Verbindung mit Abkömmlingen Rubens gegen die Vormacht der Priesterschaft in der priesterlichen Redaktion beweist, eine machtvolle Schicht innerhalb Israels, welche sich erinnerte, daß von einer solchen klerikalen Vormacht, insbesondere von einem Opfer- und Orakelmonopol einer erblichen Kaste, ursprünglich nichts bekannt gewesen war. Jahwe hatte durch Propheten und Seher seinen Willen offenbart. Es scheint, daß gerade der alte Hegemon des Bundes, der Steppenstamm Ruben, auf diesem Standpunkt gestanden hat. Seine Zerstreuung wäre dann vielleicht dem Fehlen einer fest organisierten Priesterschicht mit zuzuschreiben, deren Existenz Judas Stärke bedingte. Die Schulung der levitischen Orakelgeber und wohl vor allem die zunehmend hinter ihnen stehende Macht des Königtums haben diese Anfechtungen zum Schweigen gebracht. Für die Zeit vor dem Untergange Nordisraels bleibt es trotzdem durchaus problematisch, welches Maß von Machtstellung die Leviten und ihre Orakel dort im Konkurrenzkampf eingenommen haben.

Rituell scheinen sich die Leviten von Anfang an, wie die Brahmanen, durch Innehaltung bestimmter Reinheitsvorschriften

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von den „Laien“ geschieden zu haben. Hier interessiert davon lediglich die besonders strenge Meidung der Berührung mit Toten und allem, was mit Gräberkult zu tun hat: offenbar war diese Priesterschaft die Hauptträgerin des Gegensatzes gegen den benachbarten ägyptischen Totenkult. Ueber die spezifischen Leistungen der Leviten in der Zeit ihrer universellen Anerkennung gibt der Mosessegen (Deut. 33, 8 f.) eindeutig Auskunft. Gar nicht erwähnt ist darin eine therapeutische Funktion der Leviten, obwohl Mose selbst therapeutische Magie zugeschrieben wird, wie wir sahen, und der Schlangenstab vielleicht ein Rest einstiger magischer Therapeutik war. Noch später ist den Priestern die Feststellung des Aussatzes zugewiesen. Aber im übrigen hören wir von Therapie der Leviten gar nichts und der Aussätzige gehörte später vor ihr Forum wesentlich als rituell unrein. (Wie es mit der ärztlichen Kunst in Altisrael stand, ist völlig unbekannt. Die Empfehlung des Arztes und der Apotheke durch den Sirachiden spiegelt Verhältnisse der hellenistischen Zeit wider.) Es ist also anzunehmen, daß eine eigentliche magische Therapie in historischer Zeit nicht mehr in ihren Händen lag. Der Kranke gehörte nur in ihre „Seelsorge“, von der später zu reden ist. Irrationale therapeutische Mittel scheinen sie nicht angewendet zu haben. Vorangestellt ist im Mosessegen (V. 8) die Erinnerung an das Losorakel des „Haderwassers“ (der Prozeßorakelquelle) von Kadesch, dann kommt (V. 10) die Pflicht der Belehrung über mischpatim und thora, dann erst, zuletzt: Räucherwerk und Vollopfer. Mose hat (nach V. 8) dem Jahwe das Orakel im Ringen entwunden: gemeint ist dabei das Prozeßorakel. Das levitenfreundliche deuteronomische Gesetz ermahnt dazu, Prozeßsachen „vor Jahwe zu bringen“, und die Ueberlieferung läßt Mose, außer in besondern Fällen als Magier, den ganzen Tag durch Prozeßgeschäfte in Anspruch genommen sein, bis er sie auf Jethros Rat den Sarim der Königszeit überträgt, die als ihm untergeordnet vorgestellt werden. Aus Laien und Priestern gemischte Gerichte schlägt noch eine späte Tradition vor (Deut. 17, 8; 19, 17). Diese Angaben sind Spuren einer sich auch sonst findenden Spannung zwischen weltlicher und hierokratischer Rechtsfindung. In Babylon hatte die Generation vor Hammurapi die Priester zugunsten der Laien aus den Gerichten ausgeschaltet und auf die bloß technische Vollziehung von Orakeln in dem von Laienrichtern instruiertem Prozeß beschränkt. Der Kodex Hammurapi

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erwähnt das für den Verdacht der Zauberei und des Ehebruchs der Frau. In Israel ist das Orakel in den Rechtssprüchen auf den zweiten dieser Fälle beschränkt. Laienrichter: die Aeltesten oder die königlichen Beamten, entschieden wenigstens in Nordisrael allein die Prozesse. Im Süden muß, wie schon früher angedeutet, nach der Bedeutung von Kadesch und der Prozeßorakeltätigkeit im Mosessegen, die Stellung der Priester im Prozeß allem Anschein nach weit bedeutender gewesen sein. Daß die Priester dort, wie gelegentlich angenommen wird, jemals wirklich als ordentliche Richter fungiert haben, ist, wie gesagt, nicht erweislich. Wohl aber als Schiedsrichter und Orakelstätte, an die sich Parteien und Richter mit Rückfragen wenden. Ihre stärkere Position im Süden ist an sich leicht erklärlich. Wie die politischen Verbände der halbnomadischen Stämme nur als religiöse Bünde stabil zubleiben pflegten, so hatte bei ihnen auch - gegenüber der an persönliches Prestige gebundenen Macht des Schachs - nur das priesterliche Orakel eine wirklich überindividuell zwingende Gewalt. In den „mischpatim“ des aus Nordisrael stammenden Bundesbuches, kenntlich an der abstrakten hypothetischen Formulierung des Tatbestandes mit „wenn“ … , haben wir, wie früher erwähnt, den Niederschlag einer alten durch babylonische Vorbilder beeinflußten Laienjurisprudenz. Nur gelegentlich kleiden sich rein profane Gebote in die Form der „debarim“: „du sollst“ oder „du sollst nicht“. Nicht ausschließlich also, aber doch stark vorwiegend ist diese Form jedoch jenen Geboten und Verboten eigen, welche rituellen oder religiös - ethischen Charakters sind und zweifellos nicht auf profane Juristen, sondern entweder auf Orakel von Propheten oder auf priesterlich gelehrte Gebote zurückgehen. Wir werden über die Art der Entstehung dieser letzteren, also der nicht prophetischen, sondern priesterlichen Vorschriften, noch zu reden haben. Jedenfalls sind daran die Leviten, denen der Mosessegen die Pflicht des Unterrichts des Volkes sowohl in den Rechten (Mischpatim) als in den „Thoroth“ zuspricht, beteiligt. Die an sich profanen Mischpatim (von schafat: „richten“) waren vom jahwistischen Standpunkt aus religiös erheblich, weil und soweit sie als Teile der berith mit Jahwe galten. Die Chukim, die (rituellen) Traditionen zu lehren wird den Leviten (10, 11) aufgetragen.

Der levitische Lehrer hatte jedenfalls im Prinzip nur mit dem zu tun, was rituell für die Lebensführung geboten

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war. Aber die Scheidung von „jus“ und „fas“ ist hier noch weniger als bei anderen hierokratisch beeinflußten Sozialordnungen durchgeführt worden. In der praktischen Tätigkeit der Leviten hatte in der Zeit des Mosessegens das Losorakel gerade in Rechtsstreitigkeiten (wie der Name Meribath ergibt) in Tätigkeit zu treten. Und nachdem die Thora rationale religiöse Unterweisung geworden war, wurde der Unterschied erst recht flüssig. Denn darüber: was als Bestaadteil der von Jahwe garantierten alten Bundesordnungen anzusehen sei, entschieden ja die Leviten nach der Thora. Ursprünglich aber heißt „Thora“ nicht, wie gelegentlich noch immer übersetzt wird, „Gesetz“, sondern: „Lehre“. Freilich knüpft der Begriff ebenfalls an das alte Losorakel der Leviten an1). In den Quellen bezieht er sich jetzt in aller Regel auf die Gesamtheit der von Priestern zu lehrenden Bestimmungen. Im Mosessegen, wo Thora von Mischpat unterschieden ist, bedeutet sie aber offenbar speziell die rituellen und ethischen, vor allem aber auch: sozialethischen, jedenfalls: nicht die rechtlichen Gebote des Bundesgottes. Mag nun der im Mosessegen (erst hinter Vers 9 und getrennt von Vers 8) etwas nachklappende Vers (10) über die Thora nachträglich hineingekommen sein, so lehrt er doch (im Zusammenhalt mit Vers 8 und der sonstigen Tradition) deutlich, auf welchen Leistungen die Ausbreitung und Macht der Leviten beruhte: auf der Beantwortung nicht prozessualer Anfragen ihrer „Kundschaft“. Orakelgeben war zwar von Anfang an die spezifische Form ihrer Leistung auch hier. Aber für den Privatbedarf hätten das rein mechanische Loswerfen auch rituell Ungeschulte erlernen können, und wir sehen in der Tat aus den Gideon- und Jonathan - Geschichten, daß Omina und Pfeilorakel zur Ermittlung des Willens Jahwes sowohl wie zur Tatsachenfeststellung auch von Nichtleviten benutzt wurden. Die rituelle Korrektheit des Verfahrens bei der Befragung Jahwes war das Entscheidende. Auf diese rituelle Korrektheit mußten vor allem amtliche Instanzen, richterliche und politische, bei Anfragen unbedingtes Gewicht legen, und für sie blieb daher das levitische Losorakel dauernd wichtig. Was aber die Privatkundschaft anlangt, so konnte ihren Bedürfnissen diese primitive Form, bei

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aller offiziellen Anerkennung ihres Prestiges (noch in Esras Zeit, als sie längst nicht mehr bestand) unmöglich auf die Dauer genügen. Die sozialen Verhältnisse und dadurch die zu stellenden Fragen komplizierten sich. Wir sahen, wie in der aus der Zeit der Blüte der Kultstätte in Dan stammenden Tradition (Jud. 17) der Grundherr Micha den zuwandernden Leviten, angeblich einen Abkömmling des Moses, zu seinem „Vater“ macht, d. h. ihm neben dem Bildkult vor allem die Spendung von Belehrung über seine, des Stifters, Pflichten gegen Jahwe überträgt (wie in Indien dem brahmanischen Beichtvater). Ebenso war schon von der stets zunehmenden Bedeutung der Chattat- und Ascham - Opfer neben den alten Gabeopfern (Bittopfern) die Rede. Diese steigende Bedeutung des Bedürfnisses nach Sündensühne ging mit der zugunsten der rationalen Beantwortung gestellter Fragen abnehmenden Bedeutung der mechanischen Losorakel zusammen. Eben an das Orakelgeben für Private schloß sich naturgemäß diese zunehmend rationale Belehrung an. Flüssig war die Beziehung zur Prophetie und zum Kultpriestertum. Zwar scheidet Jeremia klar zwischen der Thora, die Sache der Priester, und dem dabar Gottes, welches Sache der Prophetie sei. Aber die Bedeutung von „Thora“ als „Orakel“ (und also insofern gleichbedeutend mit „debar Jahwe)“ findet sich bei Jesaja (1, 10 und 8, 16. 20), und einmal (8, 16) wird so eine den Jüngern versiegelt übergebene Orakelrolle des Propheten bezeichnet. „Thora - Lehrer“ (Thosfê hattora: Leute, die „mit der Thora umgehen“) nennt auch Jeremia (2, 8) neben den Priestern, den Kohanim: wohl den Kultpriestern des Jerusalemitertempels.

Jedenfalls aber gewannen die Leviten ihr Prestige nicht durch Schulung zum Opferkult für die Gemeinschaft, sondern durch die Schulung im rein rationalen Wissen von Jahwes Geboten, den rituellen Mitteln, Verstöße dagegen - durch chakat, ascham, Fasten oder andere Mittel - wieder gutzumachen und dadurch bevorstehendes Unheil abzuwehren, schon eingetretenes rückgängig zu machen. Das interessierte zwar König und Gemeinschaft auch. Aber vor allem doch die Privatkundschaft. Mit zunehmender politischer Bedrängnis Israels nahm grade dies Bedürfnis universell zu. Ihm durch Belehrung der Kundschaft abzuhelfen: das wurde nun ausschließlich der Sinn der levitischen „Thora“. Sie wird gegen Lohn gegeben (Micha 3, 11). Dem Le-

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viten wird die Sünde gebeichtet (Num. 5, 6) und er „versöhnt“ dann den Schuldigen mit Jahwe (Lev. 4, 20. 31; 5, 10; 6, 7): das ist seine für die Privatkundschaft wichtigste Leistung. Mit dem Zurücktreten der alten dem bäuerlichen Heerbann angehörigen ekstatisch - irrationalen Kriegspropheten und Nebijim parallel geht dieser Aufstieg der - mag man sich zunächst die Inhalte so primitiv vorstellen wie man will - doch jedenfalls relativ rationalen, weil lehrhaften Beeinflussung durch die Leviten.

In die Bahn rationaler Methodik wurde die levitische Thora auch durch die technische Eigenart ihres Orakelmittels gedrängt. Gegenüber der Eingeweide-schau, der Beobachtung des Vogelfluges oder anderer Verhaltungsweisen von Tieren, vollends aber gegenüber jeder Art von ekstatischer Mantik war schon das primitive Auslosen der Antwort auf konkrete Fragen mit „Ja“ oder „Nein“ mit dem absoluten Minimum von Esoterik, emotionaler oder mystischer Irrationalität belastet. Es gab keinen Anlaß zur Entstehung solcher Theoreme, wie sie uns die babylonische Omina - Literatur darbietet. Vielmehr erzwang es etwas ganz anderes: damit durch einfaches Losen der Tatbestand und der konkrete Wille des Gottes festgestellt werden könne, mußte die Frage richtig gestellt sein. Darauf also kam alles an und der Levit mußte sich mithin eine rationale Methodik aneignen, die Probleme, die dem Gott vorgelegt wurden, auf einen mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortbaren Ausdruck zu bringen. Zunehmend aber mußten auch Fragen auftauchen, die mit den Mitteln des Loses und mit „Ja“ oder „Nein“ überhaupt nicht direkt erledigt werden konnten. Ehe sie vor den Gott gebracht wurden, mußten komplizierte Vorfragen erledigt sein, und in sehr vielen Fällen war nach dieser Erledigung gar nichts mehr übrig, was der Ermittlung durch das Losorakel bedürftig gewesen wäre. War insbesondere durch Befragung festgestellt: um welche Sünde des Kunden es sich handelte, so stand die Art der Sühne traditionell fest. Nur wo die Person des Sünders fraglich war, mußte, wie die Achan - Erzählung paradigmatisch zeigt, das Losorakel helfen. Gerade für die privaten Bedürfnisse aber trat es an Bedeutung unvermeidlich immer mehr zurück zugunsten der rationalen Sünden - Kasuistik, bis der theologische Rationalismus des Deuteronomium (18, 9 - 15) das Losen der Sache nach überhaupt diskreditierte, es mindestens gar nicht erwähnte,

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und für die Fälle, in denen es bisher üblich und unvermeidlich gewesen war : - wo nämlich die Traditionen der Thoralehrer versagten -, die Befragung der Propheten als einziges Mittel übrig ließ.

Das Prestige der levitischen Thora hat Wandlungen durchgemacht. Beginnend, wenn den betreffenden Erinnerungen irgend zu trauen ist, schon in der Zeit des alten Bundes, steigerte es sich unvermeidlich mit dem Eintritt der judäischen Südstämme in den Verband, wurde dann vielleicht durch die Trennung der Reiche wieder geschwächt, stieg aber wieder mit sinkendem Prestige der nördlichen Könige und wurde im Südreich zunehmend alleinherrschend. In Aegypten war das Sühnopfer, wie es scheint, nicht bekannt. Magier standen hier an der Stelle, welche die Leviten in Israel einnahmen. Gelegenheit und Anlaß zu rationaler Belehrung über die ethischen Pflichten scheint, jedenfalls in späterer Zeit, wesentlich der Totenkult der Osirispriester, der volkstümlichste von allen, geboten zu haben. Dagegen findet sich die Sühne der Sünde durch Opfer in Mesopotamien, vor allem aus Anlaß von Krankheit, die als Folge göttlichen Zorns galt. Der Sünder hatte unter Leitung des Priesters die alten (zum Teil vorbabylonischen) Bußpsalmen zu rezitieren, um die rituelle Unreinheit (assyrisch: mamitu) von sich abzuwälzen. Aber der Charakter des Vorgangs war auch hier, wie in Aegypten, magisch, nicht ethisch - paränetisch. Und das für Babylonien zwar von Hesekiel (21, 26) erwähnte, aber aus der Priestertechnik, soviel bisher bekannt, längst verschwundene Losorakel war hier nicht durch rationale Thora, sondern durch Sammlung und Systematisierung der Omina und eine priesterliche Fachlehre ihrer Deutung ersetzt, welche uns in einer höchst monströsen Literatur erhalten ist1). Wir werden später erörtern, auf welchen Gründen dieser wichtige Unterschied der Entwicklung beruhte.

Die Leviten paßten sich bei ihrer Verbreitung den vorhandenen Zuständen an. Wie das Beispiel des Micha zeigt, hatten die älteren Leviten sich dem Idolkult des Nordreichs unbedenklich gefügt; vermutlich gehörten sie dort zu den Trägern der Vorstellung, daß die Idole eben Jahwe - Idole seien. Aber ihr nach

M a x W e b e r, Religionssoziologie III.

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der Tradition unzweifelhafter Ursprung aus dem Süden ließ, als der Bilderstreit begann, den Nachschub sicherlich mit steigendem Gewicht in die Wagschale der Bilderfeinde fallen. Sehr wahrscheinlich ist ein Teil der später, wie bald zu erörtern, zu priesteramtsunfähigen Leviten und Tempeldienern degradierten Leviten aus idolatrischen Levitengeschlechtern hervorgegangen, wofür die Entwicklung des Brahmanentums in Indien ja ebenfalls Analogie bieten würde.

Wie bei den Brahmanen, so lag bei den levitischen Priestern die eigentliche Quelle ihres Prestiges im „Wissen“ von den maßgeblichen Vorschriften Jahwes. Nur eben - bei der aus politischen Gründen weit geringeren Bedeutung und größeren Jugend des Kults und dem Fehlen eines heiligen Buches vom Charakter des Veda - im Wissen von positiven rituellen und ethischen Geboten und der Art, wie man durch deren Befolgung den Gott günstig stimmt oder seinen durch Verstöße dagegen erregten Zorn besänftigt. Es war so, als ob es in Indien nur grihyasutras und darmacastras und überhaupt an rituellen Geboten nur ganz wenige einfache Vorschriften gegeben hätte. Darin lag der überaus große Unterschied gegenüber den Brahmanen. Und dann: in dem Fehlen jeder Esoterik im indischen Sinn. Weder ein magisches oder ein Mystagogen - Wissen, noch ein Buchwissen, noch astrologisches, therapeutisches oder anderes Geheimwissen brachte diese von Süden her langsam das Land überflutende Welle. Mystagogie konnte sich nur auf dem Boden der Nabi - Ekstase entwickeln und hat sich auch daraus, wie wir aus den Elisa - Mirakeln sehen, entwickelt. Daß die „Gottesmänner“, Gegen-stände scheuer Furcht und gläubiger Verehrung, als magische Nothelfer nicht nur, sondern auch als Fürbitter bei Jahwe eintreten und Sündenvergebung erwirken, ist, von Gen. 20, 7 angefangen, massenhaft in der Tradition bezeugt. Aber es hat sich daraus nicht, wie in Indien, eine anthropolatrische Verehrung lebender Heilande entwickelt. Die levitische Thora hat das verhindert. Diese Männer des Südens und ihre rechabitischen und andern Verbündeten wußten nur: daß das alte gute Recht der Jahwe - Eidgenossenschaft durch berith Jahwes mit dem israelitischen Heerbann nach Verkündigung durch Mose dereinst festgestellt war und daß jede Verletzung dieser Satzungen Jahwes Zorn hervorrufen müsse. Neben dem, wie das

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Deuteronomium zeigt, schlichten Ernst ihrer Opferpraxis standen bei ihnen die damals noch einfachen Ritualgebote und die rationale Lehre der privaten und Sozialethik. -

Die Leviten werden sich, wie die Brahmanen, mancherlei alte örtliche Priesterschaften assimiliert haben. Andererseits kann es keinem Zweifel unterliegen, daß heftige Kämpfe der Priestergeschlechter der einzelnen Kultstätten stattgefunden haben. Priester, die sich an verworfenen Kulte beteiligten, wurden deklassiert1). Das ursprüngliche Verhältnis der von Süden zuwandernden Leviten zu den altansässigen Kultpriestergeschlechtern ist problematisch. Das alte Priestergeschlecht der Eliden in Silo, welches nach dem in ihm vorkommenden ägyptischen Namen (Pinchas) am wahrscheinlichsten auf Mose zurückgeht, wird zwar später als ein Levitengeschlecht behandelt. Ebenso das danitische Priestergeschlecht. Aber ursprünglich scheinen die Eliden nicht als Leviten zu gelten, und vollends undeutlich bleiben die ursprünglichen Verhältnisse zu den beiden großen Priestergeschlechtern, welche, das eine in der deuteronomischen und frühexilischen, das andere in der nachexilischen Zeit, die entscheidende Rolle spielen: den Zadokiden und den Aaroniden. Die späteren levitischen Stammbäume beider sind natürlich gefälscht. Die Zadokiden waren seit Salomo das führende jerusalemitische Königspriestergeschlecht. Dem Deuteronomium galten sie als levitisch; sie müssen also - ein Beweis für das damals schon als althistorisch feststehende Prestige der Leviten - bereits vorher mit diesen sich zu verschmelzen für klug gehalten haben. Am problematischsten bleibt dagegen die ursprüngliche Stellung der Aaroniden und der Figur Aarons selbst1). In den ältesten vordeuteronomischen Nachrichten (Ex. 24, 1. 9; 18, 12) scheint Aaron als der vornehmste der Aeltesten Israels zu gelten, also nicht als ein Priester. In den späteren, insbesondere den exilischen, Redaktionen ist er Priester und steigt fortwährend, zuerst zum Sprecher des Mose, der schwerer Zunge ist, dann zum Bruder der Prophetin Mirjam, dann zum Bruder, und zwar zum älteren Bruder, des Mose selbst. Und schließlich kommt es in der spätesten Redaktion vor, daß er auch allein und direkt Offen-

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barungen über seine und seines Geschlechts Rechte erhält (Lev. 10, 8; Num. 18, 1. 9. 20)1). Die Zadokiden wurden nun als ein Teil der Aaroniden behandelt. Dem Mose wird mit erstaunlicher Dreistigkeit seine in der alten Tradition vorkommende Nachkommenschaft, zu der sich außer dem Priestergeschlecht der Eliden vor allem das in Dan rechnete, fortkonfisziert und dem Aaron zugeschrieben. Da die jahwistische Renzension Aaron gar nicht gekannt zu haben scheint und er mit dem Stierdienst in Verbindung gebracht wird, so hat man auf nordisraelitischen Ursprung geschlossen. Da die aaronidische Rezension der Abrahamsage (Gen. 17) sich Gott dem Abraham als „El Schaddaj“ vorstellen läßt, so ist es möglich, daß die Aaroniden ein Altem El - Priestergeschlecht waren und deshalb auf diese Feststellung der Identität ihres Gottes mit dem im Exil zum einzigen Weltgott erhobenen Jahwe Gewicht legten. Die Notiz im letzten Verse des Josuabuchs könnte Beziehungen zu Benjamin vermuten lassen, dem in der späten Redaktion der Jakoblegende so stark bevorzugten Lieblingssohn. Indessen bleibt das alles unsicher.

Die heftigen Kämpfe unter den Priestergeschlechtern spiegelt die Tradition neben zahlreichen Retouchierungen der Fassung auch in den gegenseitigen Fluchsprüchen wider. Dem vermutlich alten überschwenglichen Segensspruch für Pinchas, den Ahn des elidischen Priestergeschlechts in Silo, steht nach dem Sturz der Eliden unter Salomo die im Samuelbuch verzeichnete Unheilsdrohung gegen dies Geschlecht gegenüber. Gegner der Priesterautorität, wie die Korachiten, werden von der Erde verschlungen: später sind sie degradierte Sängersippen. Auch der Widerstand nicht nur der puritanisch gesinnten jahwistischen Priesterschaft, sondern vor allem der Interessenten der alten Kultorte im Norden gegen den salomonischen Tempelbau und gegen das dadurch gegebene Uebergewicht dieser Kultstätte muß, wie die Spuren in der uniredigierten Tradition ergeben, sehr stark gewesen sein. Und sicherlich ist der Abfall des Nordreiches sehr wesentlich mitbedingt gewesen dnrch diese Gegensätze der Priesterschatten und ihrer Kultregeln, wie Jerobeam Maßregeln zugunsten von Dan und Bethel, vor allem aber deren Motivierung durch den König ergeben. Am deutlichsten zeigt sich aber die

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Schärfe der Gegensätze darin, daß in den gegenseitigen Tendenzlegenden auch die Stammväter des Jahwekults nicht geschont werden. Gegen Mose selbst schreibt die Legende der aaronidischen Priester dem Aaron und der Prophetin Mirjam schwere Vorwürfe zu, vor allem seine Mischehe. Die Tradition weiß, daß seine Nichtbeteiligung am Einmarsch in das gelobte Land Folge seiner Sünde war. Andererseits wird aber Mirjam dafür nach der mosaischen Legende vom Aussatz geschlagen. Ganz schwankend ist vor allem die Stellung Aarons selbst, dem neben sonstigen Irrungen vor allem die Beteiligung am Stierdienst - ein in der Zeit der Endredaktion dieser Tradition todeswürdiges Verbrechen - vorgeworfen wird, dem aber dennoch in der Tradition nichts Uebles dafür widerfährt.

Dieser Kampf der Priesterschaften untereinander mußte sich verstärken, als die Jerusalemiter Priesterschaft (damals: die Zadokiden) nach der politischen Vernichtung des Nordreiches die letzte Konsequenz zog und den, gegenüber der klaren alten Tradition ganz unerhörten, Anspruch aufstellte: daß fortan nur in Jerusalem ein Tempel und eine rituell vollwertige Opferstätte bestehen solle, die alte Verehrung Jahwes auf Höhen und unter Bäumen und an den alten ländlichen und provinzialen Kultstätten in Bethel, Dan, Sichem und an anderen Orten aufzuhören habe. Die Forderung war wohl nicht absolut neu, sondern entstand vermutlich gleich nach dem Untergang des Nordreichs. Denn es scheint, daß schon Hiskia in der schweren Kriegsnot gegen Sanherib einen Anlauf zu ihrer Verwirklichung genommen hatte. Aber der Widerstand der ideellen und materiellen Interessenten der ländlichen Kultstätten: der Bauern und Grundherren, war damals wohl zu stark. Unter Manasse, der seinerseits als assyrischer Vasall mesopotamischen Sterndienst in Jerusalem pflegte, war keine Rede mehr davon. Sein gleichgesinnter Nachfolger Amon wurde, vermutlich auf Anstiften der jahwistischen Partei, durch eine Militärrevolte, ähnlich wie seinerzeit die Omriden im Nordreich, beseitigt. Die Stärke der Widerstände gegen die Priesterforderung zeigte sich aber damals darin, daß die hier erstmalig unter dem später oft wiederkehrenden Parteinamen `amme ha arez, „Landleute“, auftretenden Interessenten der ländlichen Kultstätten die Revolution niederwarfen. Aber es gelang den mit vornehmen, den jahwistischen Parteien befreundeten Adelssippen verbündeten

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Priestern, auf den unmündigen Josia Einfluß zu gewinnen und als die große Koalition gegen das assyrische Reich, die ihm den Untergang brachte, sich vorbereitete, tauchte die Forderung erneut auf. Sie war die Kernforderung des deuteronomischen Gesetzbuchs, eines literarischen Produkts der um die Jerusalemiter Priesterschaft gruppierten Intellektuellenschicht. Man ließ es durch Angestellte des Tempels in diesem „auffinden“. Die utopische Hoffnung, durch Erfüllung der in diesem, angeblich den echten alten mosaischen sefer hattorah repräsentierenden Fund enthaltenen Gebote Jahwes Hilfe gegen den durch Palästina marschierenden Pharao Necho zu erlangen, war es offenbar, die König Josia veranlaßte, das Volk in feierlicher berith auf dies Gesetz zu verpflichten, die alten Kultstätten zu zerstören und durch Totengebeine rituell zu verunreinigen (621). Die Niederlage und der Tod des Königs in der Schlacht bei Meggiddo machten indessen allen diesen Hoffnungen ein Ende und war überhaupt ein furchtbarer Schlag für die levitische Jahwe - Partei. Der augenscheinliche Anspruch des Kompendiums, an die Stelle aller anderen Rechtssammlungen zu treten, war damit zunächst dahingefallen. Aber als ideale Forderung der damals allein fest organisierten Jerusalemiter Priesterschaft blieb er bestehen. In kluger Weise hatten seine Redaktoren mit jenem Monopolanspruch andere, ihrer eigenen Machtstellung zugute kommende, zugleich aber sehr populäre Forderungen verbunden. Zunächst den alten Protest gegen das salomonische Fronkönigtum. Nie war vergessen worden, daß auch die an Prestige höchststehende, davididische Dynastie durch berith der Aeltesten den Thron erlangt hatte und daß der alte israelitische Führer ein auf dem Esel reitender charismatischer Volksfürst ohne Kriegswagenpark, Hort, Harem, Fronden, Steuern und ohne weltpolitische Allüren gewesen war. Das sollte nun im Ernst wieder hergestellt werden. Die Entscheidung über die Würdigkeit der Könige sollte das alte Losorakel der Priester geben, der König an das deuteronomische mosaische Gesetz, das er täglich lesen sollte, gebunden sein. Entsprechende Berichte über die Art, wie Saul von Samuel zum König kreiert worden sei, wurden nun den alten Ueberlieferungen eingefügt, ebenso die Legende vom Sieg des Hirtenknaben David über Goliath an Stelle der echten Tradition. In der Umredaktion der Königstradition erhielt nun jeder König seine Zensur je nach seiner Stellung zum Idol- und Höhendienst.

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Aus ähnlichen Gründen war das alte Sozialrecht des Bundesbuchs entsprechend umgestaltet in das neue Kompendium aufgenommen worden. Da der babylonische Lehensherr des Zedekia ein Interesse an der Schwächung der Königsgewalt hatte, so ist durchaus glaubhaft, daß unter diesem Fürsten einige Zeit mit diesen Forderungen wirklich Ernst gemacht wurde.

Die Exilszeit überkam, neben den erst teilweise und unvollkommen vereinheitlichten anderen Sammlungen von Legenden und Traditionen, dies Kompendium als die einzige ganz in sich geschlossene Theologie. Die praktisch weittragendste Forderung des deuteronomischen Gesetzes war von Anfang an das Kultmonopol Jerusalems und seiner Priesterschaft. Zugleich freilich diejenige, welche die erheblichsten Schwierigkeiten schuf. Von dem Widerstand der nicht jerusalemitischen Laieninteressenten ganz abgesehen, - was sollte aus jenen Leviten und andern Priestern werden, die bisher an den andern Kultstätten amtiert hatten ? Das später sehr stark interpolierte deuteronomische Gesetz enthält darüber in der jetzigen Redaktion zwei widersprechende Bestimmungen. Einerseits die Mahnung an alle Israeliten, die „Leviten in ihren Toren“ nicht ohne Nahrung zu lassen: diese sollten also Rentner ohne Kultrecht werden und mit den Priestern nur das Recht der „Lehre“ des Gesetzes teilen. Andererseits die Bestimmung, daß diese Priester nach Jerusalem übersiedeln und am dortigen Kult teilnehmen könnten: - eine jedenfalls nicht von den Priestern selbst in das Gesetz gebrachte Bestimmung, deren Ausführung denn auch, als damit Ernst gemacht wurde, die Jerusalemiter Priesterschaft nicht zuließ. Darüber kam das Exil und das hieß: die Fortführung aller Priestergeschlechter. Im zwingenden Interesse der gesamten Priesterschaft lag es nun, sich zu vertragen. Noch Hesekiel hatte das Monopol der Jerasalemiter Zadokiden vertreten und von ihnen der deuteronomischen Theorie entsprechend die „Leviten“ als Priester zweiten Grades, ohne Opferrecht, geschieden. Aber das Monopol der Zadokiden war offenbar nicht durchzusetzen. Das schließliche Kompromiß in der Perserzeit, für dessen Inhalt wahrscheinlich auch das Maß des höfischen Einflusses der einzelnen Geschlechter maßgebend war, hat offenbar der schriftgelehrte Priester Esra gefunden, indem er die Zadokiden als Ainen Teil der Aaroniden behandelte und diesen allen die Qualifikation zum Opferdienst an der alleinigen Kultstätte Jerusalem gab, alle anderen als

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levitisch anerkannten Geschlechter zu ihnen unterstellter reihum dienenden Subalternbeamten des Kults degradierte, gewisse andere zu leiturgischen „Tempelsklaven“ (Nethinim) Sängern und Türhütern. Die Dreiteilung der Hierokratie: Priester, Leviten, Nethinim und, nachdem diese letzteren verschwunden waren: Priester und Leviten, die noch in den Evangelien besteht, entstammt dieser Regulierung. Das Mittel, sie annehmbar zu machen, war die Ordnung der materiellen Verhältnisse: die universelle Zehentpflicht des ganzen heiligen Bodens wurde durchgeführt und der Ertrag dieser und einiger hier nicht interessierender anderer Gefälle unter die beteiligten hierokratischen Interessenten verteilt. Die besonderen Verhältnisse einerseits der Exilsgemeinde, andererseits die später zu erwähnende Art der politischen Beziehungen zum Perserhof, welche für die Neuregelung maßgebend waren, bedingten diese Art der Erledigung der alten Kämpfe, welche durch massenhafte Interpolation der alten Satzungen und Traditionen und durch die Neukodifikation der Bestimmungen des von Esra durch feierliche Verpflichtung der synoikisierten Gemeinde auferlegten sogenannten „Priesterkodex“ legitimiert wurde. Uns sollen hier die Einzelheiten dieser äußeren Regulierung nicht näher angehen. Wir kehren vielmehr nochmals in die vorexilische Zeit zurück und betrachten die inneren Konsequenzen und die Triebkräfte der eigenartigen Entwicklung.

Die Kultmonopolisierung in Jerusalem hatte zunächst eine sehr wichtige Konsequenz: die Profanierung der bis dahin wenigstens theoretisch als „Opferung“ und „Opfermahl“ geltenden häuslichen Schlachtungen und Fleischmahlzeiten. Diesen Charakter verloren sie jetzt, wo nur in Jerusalem Opfer stattfinden konnten, vollständig. Und nur der Vorbehalt: daß wenigstens die nicht zu entfernt wohnenden Abgabepflichtigen ihre Opfergabe in der heiligen Stadt selbst als Opfermahl verzehren sollten den anderen wurde Umwechselung in Geld gestattet - blieb, in zunächst problematischer Bedeutung, bestehen. Jene Profanierung aller privaten Mahle war, nach der Ablehnung des Totenkults, der letzte Schlag, welchen der Jahwismus der Möglichkeit einer sakralen Bedeutung der Sippe versetzte: es konnte fortan keine vom Sippenhaupt geleiteten Kultmahle mehr geben. Denn das Passahmahl war längst kein Sippenmahl mehr, sondern ein häusliches Familienfest. Das schnelle Schwin-

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den der Bedeutung der Sippen in nachexilischer Zeit hängt wohl auch damit zusammen. Als eine absichtsvoll gegen die Sippen gerichtete Maßregel ist jene Bestimmung, welche diesen Erfolg haben mußte, freilich wohl kaum gedacht gewesen: sie war ein Nebenerfolg der Kultmonopolisierung, wie schon die Halbheit der für das Verzehren der Abgaben geschaffenen Bestimmungen zeigt. Die Bedeutung der Kultmahle als solche war vielmehr schon in vorexilischer Zeit langsam aber nachdrücklich ihres einstigen Sinns entkleidet worden. Ihrem einstigen Sinn und dem mit dem Vordringen der Leviten eng zusammen-hängenden Prozeß seiner Aenderung müssen wir uns jetzt zuwenden. Denn hier liegen sehr tiefgehende Eigentümlichkeiten der puritanischen Jahwereligion, welche die Stellungnahme ihrer Vertreter zu den andern Kulten erst verständlich machen.

Es ist Ed. Meyers Verdienst, auf einen charakteristischen Gegensatz des Ritus bei der israelitischen „berith“ aufmerksam gemacht zu haben, der zwischen der Hauptkultstätte Nordisraels, Sichem, einerseits und Jerusalem andererseits bestand. Der Bund in Sichem hatte nach dem Josuabuch den Charakter eines Kultmahls, also einer Speisegemeinschaft: einer „Koinonia“, mit dem Gott, so wie sie auch in einer alten nordisraelitischen Erzählung vom Sinaibunde berichtet wird, wo die siebzig Aeltesten ebenso an Jahwes Tafel Gäste sind, wie umgekehrt er zum Opfermahl der Kultgenossen zu Gaste kommt. Sehr anders ist der überlieferte Ritus in Juda, der besonders eingehend für die berith unter Zedekia berichtet und von der Legende auch für Gottes berith mit Abraham als geltend vorausgesetzt wird. Das Opfertier wird zerstückt und zwischen den Stücken gehen die sich verpflichtenden: König, Priester und, je nachdem, Sippenälteste oder Mannen (`am) sämtlich hindurch. In jener Legende tut dies Jahwe nächtlicherweile. Eine sakramentale Koinonia mit dem Gott fand hier also nicht statt. Die Zerstückelung eines Opfertiers findet sich nun in einer anderen Zeremonie wieder. Der Held oder Prophet, der Israel zum heiligen Kriege gegen Fremdvölker oder frevelnde Eidgenossen aufrufen will, zerstückt ein Tier und sendet die Stücke im Lande umher. Das gilt als Mahnung an die Pflicht, Jahwe Heerfolge zu leisten. Diese Form wird nur zweimal, aber gerade für Nordstämme: Ephraim und Benjamin, berichtet. Nimmt man irgend eine Beziehung zu der judäischen Form der berith an, was immerhin nahe liegt, so könnte



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also diese Form auch im Norden nicht unbekannt gewesen sein. Dann wäre wohl anzunehmen, daß die bei der festangesessenen Bevölkerung von Sichem übliche Koinonia die altkanaanäische Form der Herstellung einer Beziehung zum friedlichen Gott, dagegen bei den minder fest seßhaften Bauern und Hirten der Berge jene andere dem Bundeskriegsgott Jahwe eigene der Kriegsverbrüderung dienende Form ursprünglich heimisch gewesen sei. Dafür spricht eine erhebliche Wahrscheinlichkeit auch deshalb, weil diese Zerstückung des Opfertiers doch wohl als ein rituelles Rudiment der alten orgiastischen Zerreißung des Opfertiers - bei den afrikanischen Beduinen: eines Hammels - anzusprechen ist, wie sie sich namentlich bei Gebirgs- und Steppenvölkern findet, und wie sie bei den Iraniern erst durch Zarathustra, vielleicht unter dem Einfluß mesopotamischer Bildung, ausgerottet worden zu sein scheint. Man wird in der Annahme kaum fehl gehen, daß auch bei den judäischen Stämmen ein planvoller Kampf gegen die ursprüngliche, z. B. auch im Dyonysoskult sich findende, Fleischorgie diese beseitigt hat. Vielleicht bedeutet das spätere rituelle Verbot des Blutgenusses eine Etappe auf diesem Wege, und dann würde die an sich späte Motivierung: daß man „die Seele des Tiers nicht essen dürfe“, doch Spuren des einstigen animistischen Sinnes aufbewahren. Denn, wie wir gelegentlich sahen für das Heer im Kriege galt jenes Verbot anscheinend ursprünglich nicht. Es wäre die Entwicklung dann so zu denken; daß der Blutgenuß, der ursprünglich nur in normalen Zeiten, außerhalb der dem Kriegsgott vorbehaltenen Fleischorgie, untersagt war, später, unter dem Einfluß des uns bekannten Entmilitarisierungsprozesses und der Beseitigung der Orgien, als ein für allemal verboten gegolten hätte. Doch kann dies nur als unsichere Hypothese gelten. In der Ueberlieferung findet sich schließlich (Ex. 24, 6. 8) noch eine dritte Form der Eingebung einer berith: die Besprengung der Jahwegemeinde mit Opferblut, mit welchem zugleich auch der Altar besprengt wurde. Sie setzt Mitwirkung des Priesters voraus, denn nur er kann jenen Akt vornehmen. Da sie in die sehr alte Erzählung vom gemeinsamen Mah1 Jahwes mit den Aeltesten eingeflochten ist: - diese Tischgemeinschaft ist hier Folge der geschlossenen berith, nicht ihrerseits Stiftung der religiösen Koinonia -, so mag auch sie alt und in diesem Fall südlichen Ursprungs sein.

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Auch dies ist unsicher. Für uns ist lediglich wichtig: daß den Südstämmen eine Zeremonie, welche eine sakramentale Koinonia mit dem Gott herstellte, in historischer Zeit unbekannt war. Denn damit kommen wir zu einem wichtigen Punkt, der den entscheidenden Gegensatz des südlichen reinen Jahwismus gegen die nordisraelitische Verschmelzung mit Baal- und verwandten Ackerbaukulten bedingte und zu dessen äußeren Zeichen jener an sich mehr formale Gegensatz der berith gehört.

Die Baalkulte, wie die meisten alten Ackerbaukulte, waren und blieben bis zuletzt orgiastisch und zwar insbesondere alkohol- und sexualorgiastisch. Die rituelle Begattung auf dem Acker als homöopathischer Fruchtbarkeitszauber, die alkoholische und orchestische Orgie mit der unvermeidlich sich anschließenden Sexualpromiskuität, abgemildert später zu Opfermahl, Singtanz und Hierodulenprostitution, sind mit voller Sicherheit als ursprüngliche Bestandteile auch der israelitischen Ackerbaukulte nachzuweisen. Die Reste liegen zutage. Der „Tanz um das goldene Kalb“, gegen welchen nach der Tradition Mose, die „Hurerei“, gegen welche die Propheten eifern, die kultischen Reigen, von denen überall die Spuren vorhanden sind, die in den Rechtssammlungen, in den Legenden (Tamar) und bei den Propheten ausdrücklich bezeugte Existenz der Hierodulen (Kedeschen) ergeben den sexual-orgiastischen Charakter der alten fröhlichen Baalskulte. Dieser geht auch aus den ausdrücklichen Angaben der Quellen hervor. Die weibliche Gefährtin, die Baalat, fehlte den Baalen so wenig wie den indischen Fruchtbarkeitsgöttern. Sie war mit Astarte und diese mit der babylonischen Istar, der Gottheit der Sexualsphäre, identisch. Von den Baalkulten her drang bei der Vermischung mit Jahwe die Sexualorgiastik auch in die Jahwekulte ein. Die Existenz von Hierodulen auch am Tempel von Jerusalem ist bezeugt.

Gegen diesen orgiastischen, den alkohol- und insbesondere den sexualorgiastischen Charakter der Baalkulte und der durch sie beeinflußten Religiosität richtete sich nun der leidenschaftliche Kampf der Vertreter des reinen Jahwismus. Der Kampf der Rechabiten gegen den Wein war keine bloße Konservierung alter Steppengewohnheiten, sondern vor allem Kampf gegen die Alkoholorgiastik der seßhaften Bevölkerung. Vor allem aber die Stellungnahme des jahwistischen Rituals und der jahwistischen Ethik zum Sexualleben sind Zeugen dieses tief-

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gehenden Gegensatzes. Den Baalen dienen heißt ein für allemal ihnen „nachhuren“. Die ganze Reglementierung der Sexualsphäre hat von dem Kampf dagegen ihren im Judentum dauernd nachwirkenden Charakter erhalten. Die religiöse Verpönung der Verletzung einer fremden Ehe als todeswürdigen Frevels entspricht freilich lediglich dem, was in allen prophetisch und priesterlich reglementierten Religionen wiederkehrt und ist nur besonders streng in der Art der Strafe. Die Auffassung der Ehe als eines Mittels zur Erzeugung von Kindern und zur ökonomischen Sicherung ihrer Mutter enthält natürlich erst recht nichts spezifisch Israelitisches, sondern war universell verbreitet. Ebenso ist der ausgeprägte Naturalismus in der Art der Auffassung der Sexualvorgänge in keiner Art nur Israel eigentümlich. Die kultischen und kriegerasketischen Keuschheitsregeln, Tabuierungen und Unreinheitsvorschriften für Menstruierende usw. waren in freilich sehr verschiedener Art ebenfalls sehr weit verbreitet und lediglich Ausdruck der Betrachtung der Sexualsphäre als eines spezifisch dämonisch beherrschten Gebiets, wie sie überall gerade durch den Eindruck der Sexualorgiastik den Trägern rationaler Kulte und Religiositäten nahegelegt war. Aber der Grad und die Art, wie sich das israelitische Ritual und die israelitischen Legenden, gerade soweit sie spezifisch jahwistisch beeinflußt sind, mit dieser Sphäre befassen, zeigt allerdings einen sehr radikalen Grenzfall dieser Auffassung, der sich schlechterdings nur aus dem tendenziösen Gegensatz gegen die Baalorgiastik erklärt, ganz ähnlich wie wir die Ablehnung jeglicher Jenseitsspekulationen vermutungsweise auf eine Tendenz gegen den ägyptischen Totenkult zurückführen mußten. Auf dem Gebiet des Sexuellen tritt diese Tendenz gegen die orgiastische Schamlosigkeit, als deren Träger die Kanaanäer verachtet und verflucht werden, vor allem in der schroffen Perhorreszierung jeglicher physischen Entblößung hervor. Die bloße Tatsache einer solchen oder das bloße begehrliche Anblicken eines Verwandten wird (Lev. 20, 10) als Incest und todeswürdiges Verbrechen behandelt, und der Stammvater der Kanaanäer gilt der Genesis als der Urheber all jener Schamlosigkeit, welche die Verfluchung dieses Volks zu ewiger Knechtschaft verschuldet haben soll. Andererseits wird auch (Lev. Kap. 18) jeder Incest, jedes Anrühren des väterlichen Harems, aber auch jede andere unerlaubte Geschlechtsverbindung unter dem Bilde einer physi-

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schen Entblößung bezeichnet. Die Zulassung von Stufen am Altar war im alten Ritual ganz verboten (Ex. 20, 26), weil sonst eine Entblößung gegenüber jenen Stufen, die schon zum ideellen Sitz Jahwes gehörten, stattfinden konnte. Daß sie „nackt“ sind, ist bei den ersten Menschen das allererste, was ihr, nach dem Genuß vom Baum der Erkenntnis erwachtes, Unterscheidungsvermögen für das, was „gut“ und „böse“ ist, dokumentiert. Die gleiche Anschauung und Tendenz geht durch alle hierher gehörigen Bestimmungen und Kasuistiken hindurch. Die Sünde Onans ist perhorresziert. Nach der jetzigen Tradition allerdings als Verbrechen gegen die Pflicht, dem Bruder Nachkommenschaft zu erwecken. Ursprünglich aber war ihre ausdrückliche Verwerfung wohl bedingt durch die Gegnerschaft der Jahwisten gegen gewisse Molochorgien (Lev. 20, 2), bei denen männlicher Samen geopfert wurde. Alle Arten verpönten, weil orgiastischen oder incestuösen oder widernatürlichen Geschlechtsverkehrs fallen - zwar nicht allein sie, aber sie doch in allererster Linie - unter den spezifisch jahwistischen Begriff der „Narrheit“ (Gen. 34,7; Deut. 22, 21) und dies Wort bezeichnete in der Sprache noch der spätesten Tradition und selbst noch der Evangelien das äußerste, was gegen einen Israeliten gesagt werden konnte. Alle spezifisch israelitischen, hier nicht ins einzelne zu verfolgenden Reglementierungen der Sexualvorgänge haben daher nicht ethischen, sondern rituellen Charakter. Die materielle Sexualethik Altisraels war nicht strenger als andere priesterliche Reglementierungen. Der Ehebruch des Dekalogs war Verletzung der Ehe eines fremden Mannes, nicht Bruch der eigenen Ehe. Den Geschlechtsverkehr des Mannes außerhalb der Ehe zu verpönen hat erst die spätere nachexilische Zeit begonnen und zwar ganz ebenso wie die Konfuzianer und die ägyptische Spruchweisheit z. B. Ptahoteps - zuerst nur unter Gesichtspunkten der Lebensklugheit. Ein Ausdruck für „Keuschheit“ im ethischen Sinn des Worts fehlt der alten Sprache Israels. Erst unter persischem Einfluß, wie wir sehen werden, ging die Reglementierung weiter und auch zunächst nur in unkanonischen Schriften (Tobit). Nach altisraelitischer Auffassung dagegen konnte die Verführung eines Mädchens ohne vorherigen Kontrakt mit ihrer Sippe zwar deren Rache hervorrufen, wie der Fall der Dina zeigt; die Rechtssammlungen schreiben aber als Sühne nur die Heirat d. h. den Erwerb des Mädchens durch Zahlung des Kaufpreises vor, ähnlich

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wie die angelsächsischen Gesetze den Fall als eine Art von Sachbeschädigung behandeln. Die Antipathie gegen das, was als sexuell schamlos galt, hat auch nichts mit einer besondern „Reinheit der Sitten“ etwa der Beduinen zu schaffen. Gerade den Arabern der Wüste wirft Jeremia (3, 2) vor, daß sie „Hurerei an der Straße“ treiben, d. h. - wie das Verhalten der Tamar zeigt - an den Stellen, wo sich die käuflichen Dirnen aufzuhalten pflegten, darunter auch die Hierodulen der Tempel, welche die Propheten mit allen anderen Resten der Sexualorgiastik verwerfen. Nur die homöopathische sexuelle Orgie war den Beduinen im Gegensatz zu den Ackerbaukulten rituell fremd.

Der spezifisch rituelle, nicht primär ethische Charakter der ganzen Sexualkasuistik nun, der sich auch später immerhin weitgehend erhalten hat, gibt ihr, weil er zwar nicht der Art, aber dem Grade und der tendenziösen Penetranz nach sich nur hier findet, eine eigenartige Note. Die Verbindung der alten naturalistischen Unbefangenheit in der Behandlung und Erörterung der Sexualvorgänge an sich, verbunden mit dieser ganz und gar rituellen Angst vor der rein physischen Entblößung hat mit jener besonderen Art von Würdegefühl, welches sich mit unsren durch feudale oder bürgerliche Konvention hindurchgegangenen Schamgefühlsreaktionen zu verknüpfen pflegt, gar keine Beziehung. Sie erscheint der durch feudale, bürgerliche und christliche Vorstellungen beeinflußten modernen Schamempfindung leicht wie eine Karikatur eines echten Schamgefühls in dem uns geläufigen Sinn. Die Quelle jener Besonderheit liegt aber historisch ganz und gar in dem schroffen Gegensatz gegen die Orgiastik der nordisraelitischen Ackerbauer, wie sie die Priesterschaft pflegte. Der Islam kennt ja ähnliches und ist in allen Gebieten seiner Verbreitung wegen seiner Antipathie gegen die Nacktheit Träger der Entwicklung der Textilindustrie oder doch eines Marktes für sie geworden.

Diese Gegnerschaft gegen die Orgiastik und orgiastische Ekstatik bestimmte nun auch die Stellungnahme des Südens zu den aus beiden hervorgegangenen ekstatischen Virtuosen. Die alten massenekstatischen Nebijim waren unbestreitbar eine wesentlich nordisraelitische, teils aus phönizischen, teils aus kanaanäischen Baalskulten hervorgegangene Erscheinung. Noch Sacharja nimmt (13, 5) als selbstverständlich an, daß die falschen Propheten Ackerbauer seien und daß ihre angeblichen Selbstver-

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wundungen von den Nägeln von Dirnen herrührten. In aller Welt haben sich ja die dem orgiastischen Massenkult dienenden charismatischen Ekstatiker zu Zünften oder Schulen zusammengeschlossen: Die Nabischulen des Elisa und schon der früheren Zeiten entsprachen nur dieser allgemeinen Erscheinung. Die Orgiastik, aus welcher die Nabiekstatik stammte, war, sahen wir, vor allem homöopathische Fruchtbarkeitsorgiastik. Etwas Derartiges kannten die Nomaden und Halbnomaden nicht. Wenn sie wirklich einmal die Fleischorgie gekannt haben, dann als Bestandteil der Kriegerekstatik. Zwar das älteste Israel, gerade auch Nordisrael, kannte die nasiräische Kriegeraskese und die Kriegerekstase der Berserker. Ebenso waren die alten massenekstatischen Nebijim, wie wir sahen, wenigstens zum Teil auch Kriegspropheten. Aber dreierlei zeigt sich: einmal, daß für die nasiräischen Kriegsekstatiker im Gegensatz zur kultischen Orgiastik der Baale gerade die Alkoholabstinenz vorgeschrieben war. Dann, daß die klassische Kriegsprophetie der Zeit Debora's, im Gegensatz zu den Nebijim Einzelprophetie war. Endlich fällt auf, daß das Deboralied von „anderen Göttern“ spricht, denen sich Israel hingegeben habe. Es können damit schlechterdings nur die Landesgötter, also die Baale, gemeint sein. Jahrhunderte später sehen wir wiederum die Einzelprophetie des Elia im Kampf gegen die gleichartigen „anderen Götter“ und die orgiastische Massenekstatik. Der Prophet, den Jehu auf seinem Wagen mitfährt, ist ein Rechabit, also Gegner der Alkoholorgiastik. Immer wieder geht dieser Kampf vorwiegend von Männern aus, welche entweder dem Süden oder doch vorwiegend den Viehzüchterverbänden entstammen. Der typische Einzelprophet Elia, der Todfeind der Baalekstatik, stammt aus Gilead und ist ein typischer Wandernomade. Elisa, der Massenekstatiker, war nach der Tradition ein Bauer. Gleich der erste wiederum geraume Zeit später gegen die Kultpraxis des Nordens auftretende Prophet, Amos, ist ein Hirt aus Thekoa. Daraus folgt: aus dem Norden kamen unter dem Einfluß der kanaanäischen Orgiastik und Ekstatik die massenekstatischen Nebijim und die irrationalen und emotionalen Formen der Magie, aus dem Süden, welcher die Ackerbauorgiastik nicht kannte, die rationale levitische Thora und die rationale ethische Sendungsprophetie, die da weiß, daß diese Schamlosigkeiten Jahwe ein Greuel sind und daß Kult und Opfer überhaupt dem alten Bundes-

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gott gar nichts bedeuten gegenüber der Erfüllung seiner alten Gebote. Der Zwiespalt zog sich also offenbar latent durch die ganze israelitische Geschichte von der Einwanderung angefangen. Er nahm akute Formen an mit Zunahme des rationalen Charakters der Gedankenwelt jener beiden Mächte, welche der Orgie feindlich waren: der Leviten und der Unheilspropheten. Diese war wenigstens zu einem Teil Folge der Zunahme der literarischen Intellektuellen-kultur als solcher. Daher haben wir uns die Art klarzumachen, wie die miteinander teils latent, teils offen ringenden elementaren Grundlagen jener untereiander grundverschiedenen Religiositäten innerhalb der altisraelitischen Literaten sich auswirkten. -

Die literarische Produktion des vorexilischen Israel war offenbar so reichhaltig und vielgestaltig wie irgendeine Literatur der Welt. Neben den teils nach Kriegerart glühend sinnlichen, teils höfisch schwülen, teils ländlich anmutigen Minneliedern, die am fröhlichen Königshof von Thirza und wohl schon vorher vorgetragen, später bis in die Zeit persischen Einflusses hinein abgewandelt und als „Hohes Lied“ gesammelt wurden, und neben einigen überaus schwungvollen Königspreisliedern, welche die Psalmensammlung enthält, sind innerhalb und außerhalb dieser auch eine Anzahl religiöser Hymnen erhalten, welche das Walten des großen Himmelsgottes in der Natur nach babylonischer Art in nirgends überbotener Vollendung verherrlichen. Weltliche sowohl wie religiöse Barden müssen also, und zwar als eine Schicht oberhalb der Träger der rein volkstümlichen Dichtung, mindestens in der Königszeit existiert haben. Denn es handelt sich um ausgesprochene Kunstdichtung. Und das Deboralied, ein vorzüglich gelungenes Gelegenheitsgedicht, halb religiöses Siegeslied, halb politisches Spottgedicht gegen die alten Feinde in den Städten und gegen säumige Bundesgenossen, zeigt ein noch weit höheres Alter dieser Gattung. Die jedenfalls - nach dem in Wen Amons Reisebeschreibung bezeugten Papyrus - Import nach Byblos - in das Ende des zweiten Jahrtausends zurückgehende, wenn auch dokumentarisch erst durch den moabitischen Mesastein (9. Jahrhundert) belegte Buchstabenschrift war das bei weitem am leichtesten erlernbare von allen Verständigungsmitteln der ganzen damaligen Welt. Erfunden ist es wohl sicher im Dienste geschäftlicher Interessen der Kaufleute und also vermutlich in Phönizien. Diese Schrift erleichterte aber das Entstehen einer

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eigentlichen zum Lesen bestimmten Literatur in Israel und zugleich die Verbreitung der Schreib- und Lesekunst dort ganz außerordentlich. Zunächst freilich kam sie den Kanzleien der Könige zugute. Die Würde des Mazkir (meist als „Kanzler“ übersetzt, wohl zugleich Reichsannalist und „Erinnerer“ des Königs) und die Soferim am Hofe Davids und beider Königreiche zeigen, daß jedenfalls seit David, vielleicht, wie eine erhaltene Liste (I. Sam. 14, 49 f.) nahelegt, in den Anfängen schon seit Saul, die Schriftlichkeit der Verwaltung bestand. Für Salomos Fronstaat war ein Stand schriftkundiger, offenbar nicht selten aus den Priestern, aber auch aus gebildeten weltlichen Sippen rekrutierter, Beamter unentbehrlich. Auf offizielle Königsannalen wird in den späteren pragmatisch umredigierten Königsgeschichten immer wieder Bezug genommen und ebenso existierte wohl eine jerusalemitische Tempelannalistik. Es muß ferner, mit Kittel, angenommen werden, daß schon die ersten Redaktionen der Geschichten von Davids Königtum von einem zwar zu den königlichen Archiven zugelassenen, dabei aber doch unabhängig nach seiner eigenen Ansicht über die Dinge schreidenden Erzähler verfaßt sind.

Die große Freiheit der Ueberlieferung gegenüber dem doch immerhin zeitweise machtvollen Königstum überhaupt hängt zusammen einerseits mit der starken Stellung, welche, wie wir sahen, im Gegensatz zu den meisten anderen monarchischen Staatsbildungen des Orients, die wehrhaften großen Sippen in Israel sich bewahrt hatten. Andererseits mit der Bedeutung der dem Königtum innerlich unabhängig und sehr kritisch gegenüberstehenden, aber von ihm um des Prestiges des alten Bundeskriegsgottes willen nicht zu ignorierenden Gruppen der Träger seines „Geistes“: der Seher und der berufsmäßigen Jahwelehrer.

Aus den Kreisen der schulmäßig organisierten Nebijim des Nordens stammen die in das Königsbuch hineingenommenen Mirakelerzählungen. Aber ein Teil der Elia - Berichte und ebenso die doch wohl vordeuteronomische erste Redaktion der Erzählungen von den Sehern der Vorzeit, Samuel vor allem, zeigen, daß es Kreise gab, welche sich nicht nur dem höfischen, sondern ebenso dem schulmäßig organisierten prophetischen Einfluß völlig entzogen und daneben andere, die zwar Beziehungen zum Hof, aber auch zu dem gegenüber dem Königtum kritischen Jahwismus

M a x W e b e r, Religionssoziologie III.

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unterhielten und diesen systematisch unterstützten. Dies konnten nur begüterte und politisch einflußreiche fromme Laien sein. Wir finden denn auch in der Zeit des Jeremia vornehme Sippen, aus denen stets erneut Hofbeamte hervorgehen, die aber offenbar zugleich durch Generationen hindurch Protektoren der dem Hof und den Priestern gegenüber rücksichtslos kritischen großen Jahwepropheten waren. Derartiges mußte sich einstellen, sobald einmal das Prestige des Königtums durch äußere Mißerfolge ins Wanken geriet. Diese unabhängigen Laienkreise und die von ihnen geschützten reinen Jahweverehrer sind es nun offenbar gewesen, welche sich schon früh der Sammlung der noch vorhandenen alten Ueberlieferungen über die vorkönigliche Zeit angenommen haben. Die gelegentlich zitierten alten Liedersammlungen: das „Buch der Kriege Jahwes“ und das „Buch vom Braven“ lagen wohl schon seit der ersten Königszeit gesammelt vor. Vermutlich Laien haben sich der Sichtung der volkstümlichen, im Sinne des Jahwismus verwertbaren, nicht rein militaristischen Dichtungen zugewendet. Die alten Legenden, Märchen, Gleichnisse und Sprüche haben zweifellos zunächst in den Händen eines Standes volkstümlicher wandernder Sänger und Erzähler belegen, die auf der ganzen Erde bei bäuerlichen und halbnomadischen Bevölkerungen sich finden. Die alte Tradition weiß allerdings nur von einem Gastvolk der Musikanten, der Abkömmlinge Jubals. Aber die Erzähler haben nicht gefehlt: die älteren Erzväterlegenden machen unbedingt den Eindruck dieser Herkunft. Dagegen hat beispielsweise die umfangreiche Josephgeschichte in der jetzigen Form bereits den Charakter einer von einem gebildeten Dichter für jahwistische Gebildete kunstvoll geformten erbaulichen „Novelle“, ist also Kunstdichtung. Es bestanden also Zwischenglieder und vor allem wohl direkt Beziehungen zwischen literarisch gebildeten und dabei politisch und religionspolitisch interessierten unabhängigen Laienkreisen und den Trägern der volkstümlichen Spruch- und Legendendichtung. Diese ergeben sich auch aus dem Charakter einiger erhaltener Erzeugnisse der „Maschal“-(Gleichnis-) Gattung. An plastischer Phantasie steht ein Maschal wie das Dornbuschgleichnis der Abimelechgeschichte oder das dem Nathan in den Mund gelegte Gleichnis vom Schaf des Armen den am besten gelungenen Gleichnissen der Evangelien ebenbürtig zur Seite. Sie unterscheiden sich in dieser Hinsicht auf-

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fällig von dem typischen späteren rabbinischen Maschal1), der fast stets ein Erzeugnis des Buchdenkens ist, daher meist nur in der Groteske unmittelbar plastisch wirkt2). Der Unterschied ist etwa so, wie zwischen den Gleichnissen von Jesus und denen des Paulus, der sich bekanntlich gelegentlich, (wo er landwirtschaftliche Gleichnisse wagt) charakteristisch im Bilde vergreift3).

Zur Zeit des Jeremia finden sich zuerst (18, 18) Spuren jeder Art der Beratung in praktischen utilitarischen Alltagsproblemen durch Gebildete, wie sie die späteren Chokma- (Weisheits-) Lehrur und ihre Literaturprodukte bieten. Aber diese Art Beziehung des Literatentums zu plebejischen Interessen trat offenbar in vorexilischer Zeit noch weit zurück hinter dem damals alles beherrschenden politischen und damit untrennbar verknüpften religiösen und religiös unterbauten sozialpolitischen Interesse. Die beiden vorhin zitierten Gleichnisse sind dafür Beispiele. Sie sind ersichtlich weit davon entfernt, naive Produkte rein künstlerischer Art zu sein, sondern stehen im Dienst königsfeindlicher jahwistischer Tendenzen. Die ganze, nach den Zitaten und Resten zu schließen, überaus reiche und vielgestaltige vorexilische Volksdichtung und Literatur wurde so unter religionspolitischen Gesichtspunkten verarbeitet. Wenn aus ihr nur das und nur in der Form erhalten ist, was und wie es Aufnahme in den jetzigen Kanon fand, so ist dies das Resultat einer höchst penetranten geistigen Arbeit jahwistisch interessierter Intellektuellenschichten. Zum Teil vollzog sich diese erst in der exilischen, zu einem wesentlichen Teil aber bereits in der vorexilischen und zwar teilweise schon in einer noch vor dem Auftreten der Schriftpropheten liegenden Zeit. Die Leistung dieser Zusammenarbeitung, mag sie uns heute in vielen Punkten, auf die zum Teil schon Goethe hinwies, literarisch unbefriedigt lassen, war dennoch sehr bedeutend, wenn man ihre Schwierigkeiten bedenkt. Zwischen den literarischen Produkten der vorexilischen Zeit sowohl wie zwischen ihren Trägern bestanden nach Tendenz und Gesinnung scharfe Gegensätze. Zunächst standen



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in dieser Hinsicht die Erzeugnisse der königlichen Heilsprophetie, des nationalen Bardentums und der nationalen Geschichtserzählung mit den Zweigen der vom Königtum zurückgedrängten Schichten der Jahwegläubigen in unversöhntem Gegensatz. In den im „Hohenlied“ gesammelten Resten der alten erotischen Dichtung und ebenso in den nicht zahlreichen erhaltenen alten Königspsalmen weht eine völlig andere Luft als in den literarischen Produkten der jahwistischen Intellektuellen. Die Religiosität der Könige stand natürlich, wo sie sich ungeschminkt äußert, auch in allen Nachbargebieten mit der Volksfrömmigkeit in starkem Kontrast. Zu essen bis er satt ist, zu trinken bis er berauscht ist, Gesundheit, langes Leben, Herzens- und Sinnenfreude, den Nachkommen ewige Herrschaft, jeden Tag Freude und hohen Nilstand begehrt Ramses IV im Gebet von Osiris als Gegenleistung gegen das, was er ihm gegeben hat. Lebensgenuß und lange glückliche Regierung ist ganz ebenso auch das Gebet aller bbaylonischen Könige bis auf Nebukadnezar. Anders dürfte es auch in Israel nicht gewesen sein. Wenn die heutige Tradition dem Salomo das früher erwähnte fromme Gebet in den Mund legt, so entsprachen dem die ebenfalls oft sehr from- men Inschriften Nebukadnezars und anderer Großkönige: hier wie dort handelt es sich um Priesterprodukte. Die unglaubliche Prahlsucht der ägyptischen ebenso wie der mesopotamischen Großkönige wird sicher auch den Königen Israels in der Zeit ihrer Macht geeignet haben und stand hier wie dort in schroffstem Widerspruch mit dem Bedürfnis der Plebejer nach einem gnädigen Fürsprecher und Nothelfer und mit Jahwes von jeher besonders niemals ein Gott der Dynastie, wie Assur, Marduk oder Nebo, sondern von alters her ein Gott der israelitischen Eidgenossen. Aber immerhin hatten die Dynastien sich seinen Kult zu eigen gemacht und die Könige jahwistische Barden und Heilspropheten in ihrem Dienst. Und neben den Jahwetraditionen liefen die mannigfachsten ätiologischen Kultsagen einheimischer Götter und Heroen und zahlreiche entweder aus Aegypten und Mesopotamien, direkt oder über Phönizien, importierte oder mit diesen Gebieten seit alters gemeinsame Mythen und Vorstellungen um, an deren einfache Ausmerzung nicht zu denken war. Die Aufgabe der Zusammenarbeitung war schwer. Aber auch die Produkte der eigentlichen Intellektuellenkultur

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in Palästina müsset eine bedeutende Rolle gespielt haben. Es fragt sich, wie sie sich zu denen der benachbarten Kulturgebiete verhielten.

Die nominelle ägyptische Herrschaft bestand bis fast gegen Ende der Richterzeit. Allerdings haben nach den Amarnabriefen die Pharaonen die religiöse Eigenart des Landes nicht angetastet und eine effektive politische Macht nach Ramses II nur selten noch entfaltet. Aber die Möglichkeit geistigen Verkehrs bestand wie in alter Zeit. In der Zeit des Sesostris kannte man bei den halbbeduinischen Herren der Gebiete östlich von Byblos einen lebenden ägyptischen Weisen dem Renommee nach, oder der Erzähler der Sinuhe-geschichte durfte diese Möglichkeit wenigstens voraussetzen. In der Zeit völligen Verfalls der Ramessidenherrschaft (um 1100) weiß allerdings der Stadtkönig von Byblos nichts von dem ägyptischen Amon und seiner von dessen Abgesandten Wen Amon geschilderten Macht1). Wohl aber scheinen seine Hofpropheten etwas davon gewußt zu haben: daher erklärt sich vermutlich das Orakel eines von ihnen zugunsten jenes Boten. Jedenfalls aber war man, infolge des Karawanenverkehrs, in Südpalästina gut orientiert über Aegypten. Nicht nur übernahm Salomo die Kriegswagentechnik und offenbar teilweise auch die Art der Tempelanlage (das „Allerheiligste“)1) ägyptischen Mustern, sondern vor allem die Josephnovelle zeigt eine immerhin genaue Kenntnis ägyptischer Zustände und deutet überdies (einerlei ob mit Grund) Beziehungen zu der Tempelpriesterschaft von Heliopolis an, der Hauptstätte ägyptischer Weisheit. Daß alle Lehre und Kunst von Aegypten nach Phönizien gekommen sei, erkennt der König von Byblos dem Wen Amon gegenüber an2). Eine der Traditionen über Mose macht auch ihn zum Träger ägyptischer Weisheit. Die Beschneidung wäre nach der Josua - Tradition unmittelbar, nicht über Phönizien, von Aegypten her übernommen. In vielen Einzelheiten, die teils nicht interessieren, teils seinerzeit erwähnt wurden, finden sich weitere Spuren. König Merneptah erwähnt Kriege, die sein Heer in Palästina gegen Israel geführt habe. Daß

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aber die Beziehungen keineswegs immer unfreundliche waren, geht daraus hervor, daß neben den stammverwandten Edomitern später ausdrücklich die Aegypter als qualifiziert zur Aufnahme in die israelitische Gemeinde bezeichnet werden, obwohl die Tradition, nicht ganz korrekt, voraussetzt, daß die Erzväter in ihrer Eigenschaft als Viehzüchter in Aegypten als „unrein“ gegolten hätten1). Die palästinischen Ausgrabungen haben, wie schon erwähnt, massenhafte Skarabäen, die für Aegypten „ebenso charakteristisch sind wie das Kreuz für das Christentum“ (wie Erman sich ausdrückt) zutage gefördert. - Angesichts alles dessen ist es nun eine der auffälligsten Tatsachen: daß in der gesamten Tradition diese ägyptische Herrschaft absolut totgeschwiegen wird und daß spezifisch ägyptische Einschläge gerade in den älteren Grundlagen der israelitischen Religiosität so gut wie ganz fehlen, während später solche, wie wir sehen werden, vielleicht sich geltend machten. Jenes Schweigen hat Eduard Meyer nur mit der Jugend der israelitischen Tradition erklären zu können geglaubt. Allein diese bewahrt sonst gelegentlich Züge von hohem Alter auf, wie z. B. die verschollenen Beziehungen nach Mesopotamien hin. Das Schweigen über die politische Herrschaft ist wohl dadurch zu erklären, daß vom Standpunkt schon der Chabiru und der Sa Gaz in der Amarnazeit die Herrschaft des Pharao gar nicht praktisch in die Erscheinung trat, da sie ja lediglich mit seinen Vasallenfürsten zu tun hatten. Die wenigen Razzias abgerechnet, war dies später erst recht so. Die sonstige Fremdheit aber gegenüber der ägyptischen Kultur erklärt sich ausschließlich, aber auch ausreichend, aus ganz bewußter Ablehnung durch die Träger des Jahwismus. Abgelehnt wurde der ägyptische Fronstaat, dessen entscheidende Züge ja gerade das waren, dessen Uebernahme durch das einheimische Königtum den entmilitarisierten Schichten am tiefsten verhaßt war. Abgelehnt wurde ebenso der charakteristischste Teil der ägyptischen Frömmigkeit: der Totenkult. Neben der radikalen Diesseitigkeit des alten Bundeskriegsgotts mit seiner rein innerweltlichen Orientiertheit war dafür, wie wir sahen, der Umstand

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maßgebend, daß Jahwe zwar zu verschiedenen Zeiten verschiedenartige Züge vereinigte, aber jedenfalls niemals ein chthonischer Gott gewesen war, sondern zu diesen Gottheiten und der spezifischen Art ihrer Kulte stets im schärfsten Gegensatz stand. Dazu trat nun, daß das Verständnis der ägyptischen Sakralschrift und die ägyptische Priesterbildung überhaupt Fremden unzugänglich war. Die ägyptischen Weisheitslehrer (Ptahotep) empfehlen zwar, wie das Deuteronomium, den Volksunterricht, aber ausdrücklich mit Ausschluß der eigentlich priesterlichen Geheimlehre, von der die israelitischen Lehrer denn auch weder etwas wußten, noch vermutlich etwas hätten wissen wollen. Ebenso stand es auf ägyptischer Seite. Besiegte Feinde mußten, wie überall, den siegreichen Göttern Aegyptens Ehre erweisen. Aber dadurch wurden sie nicht Aegypter. Tempel ägyptischer Götter gab es nach den Inschriften in Syrien, und unter den Ramessiden auch solche syrischer Götter in Aegypten. Aber an dem grundlegenden, durch die soziale Eigenart der ägyptischen Schreiberkultur fest gegebenen Verhältnis änderte das nichts. Eine Eingliederung in die ägyptische Erziehung und Weisheit war nur für den Einzelnen als Einzelner möglich und bedeutete ein völliges Aufgeben der eigenen geistigen Selbständigkeit. Sie wäre für das Volksganze überdies von der Annahme der verhaßten Schreiber-bureaukratie untrennbar gewesen. Auch wurde der ägyptische Tierdienst, den die Priester in Aegypten erst ziemlich spät und im Interesse der hierokratischen Beherrschung der Massen systematisiert hatten, von der jahwistischen Religiosität, nach der nur einmaligen Erwähnung bei Hesekiel (8, 10) zu schließen, als ein besonders würdeloser Greuel verworfen. Er entsprach den Beziehungen freier Viehzüchter zu ihrem Vieh in keiner Art und war auch der überkommenen Eigenart Jahwes besonders fremd. Diese Ablehnung aller entscheidenden Züge der ägyptischen Kultur beweist uns nun immerhin das eine: daß wir das Vorhandensein selbständiger und bewußter geistiger Träger der Jahwereligion in Palästina und ebenso in den Oasen von Edom und Midian, wie sie die Tradition bezeugt, als eine historische Tatsache vorauszusetzen haben. Denn während sowohl lybische wie asiatische Beduinen gleichmäßig in fortwährendem Verkehr mit Aegypten standen. Palästina aber lange Zeit von Aegypten aus direkt

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beherrscht wurde, haben zwar die ersteren1), nicht aber die letzteren, jedenfalls nicht die Jahweverehrer unter ihnen, irgendwelche Züge der ägyptischen Religion übernommen. Die eigentliche Priesterlehre und vollends die schon im dritten Jahrtausend entwickelte spekulative Theologie der Aegypter - ursprünglich eine höchst naturalistische, später eine pantheistische Spekulation2) - blieben denn auch den levitischen Jahwisten gänzlich fremd. Dagegen in der volkstümlichen Frömmigkeit und religiösen Ethik werden wir weiterhin erhebliche Verwandtschafts puren finden.

Verwickelter ist die Beziehung zur mesopotamischen Geisteskultur. Einst, in der Amarnazeit, hatte die Keilschrift und die babylonische Diplomaten- und Handelssprache ganz Vorderasien beherrscht und wurde von gebildeten Aegyptern verstanden. Die Vorstellung von den Sternengeistern und ihrem Eingreifen in irdische Geschehnisse war, wie das Deboralied lehrt, auch in Israel heimisch. Und sogar der Schreibergott Nebo hatte anscheinend eine Kultstätte, und zahlreiche Einzelheiten aller Art sprechen von alten geistigen Gemeinsam-keiten und Rezeptionen. Vor allem waren Maß und Gewicht, auch Münzgewicht, ferner aber das Recht und wichtige Teile der kosmogonischen Mythen gemeinsam. Die Enge der Beziehung scheint sich freilich verschoben zu haben, als die in der homerischen Zeit bestehende Handelssuprematie der Phöniker aufkam. Die alten in den ägyptischen Inschriften auftauchenden Seehandels-, Seeräuber- und Reisläufervölker des Mittelmeers traten damals, wenigstens relativ, zugunsten der phönikischen Meerbeherrschung zurück: große Völker-wanderungen waren dabei mitbeteiligt. Die phönikische Buchstabenschrift verdrängte damals in Palästina die Keilschrift, und die Bedeutung der babylonischen Sprache nahm langsam zugunsten der aramäischen ab. Winckler stellt zwar fest daß noch im 9. und selbst bis in das 7. Jahrhundert die babylonische Sprache in Syrien gut gekannt worden ist. Ihre endgültige Bedeutung als universelle Diplomatensprache Vorderasiens hat die aramäische Sprache erst in der Perserzeit erlangt. Immerhin trat Babylon für längere Zeit in den Hintergrund. Phönikische Königshandwerker arbeiteten an Salomos

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Tempel. Phönikische Sklavenhändler begleiteten die israelitischen Heere zur Verwertung der Gefangenen. Die Kulte der phönikischen Baale, des Moloch und der Astarte wanderten ein. Die Kosmogonien, die in Palästina umliefen, trugen, nach Ansicht der Fachleute, wesentlich phönikisches Gepräge. Einzelne israeli-tische Stämme gerieten in phönikische Botmäßigkeit, andere schickten Arbeits-kräfte in phönikische Häfen. Königsnebijim phönikischer Art wurden in Nord-israel gehalten.

Die phönikischen Kulte hat erst Elia und die Revolution Jehus vernichtet. Die alten ekstatischen Nebijim wurden von den Puritanern verworfen. Die phönikischen Menschenopfer und die gnostisch raffinierten onanistischen Molochopfer verpönten die Verbote des Deuteronomium und des Heiligkeits-gesetzes.

Mit dem Neuaufstieg der mesopotamischen Großmächte steigerte sich deren Einfluß wieder. Zeitweise ist in Jerusalem von den tributär gewordenen Königen (namentlich Manasse) das babylonische Himmelsheer: die Gestirne also, angebetet worden. Mesopotamien galt in den umlaufenden Paradies- und Sintfluterzählungen seit alters und auch jetzt wieder als Mittelpunkt der Welt, die großen Terassentempel dort waren als Versuche, dem Himmelsgott nahezu-kommem, bekannt. Die Einzelheiten interessieren hier nicht. Denn die Hauptsache steht fest: eine Rezeption der Priesterweisheit fand nicht statt. Schon die babylonische (numerische) Sakralsprache vieler wichtiger Stücke schloß eine unmittelbare Uebernahme dieser durch die israelitischen Priester aus. Wir wissen aber überhaupt gar nichts davon, daß man in Palästina jemals Bestandteile der babylonischen heiligen Literatur zu Kultzwecken benutzt hätte. Erst viel später, in der Zeit der Abfassung der Psalmen, zeigen sich Anklänge an einzelne Hymnendichtungen Babyloniens. Vor allem: gerade die für die Gestaltung der Religion entscheidenden kultischen und theologischen Grundlagen der phönikischen sowohl wie der babylonischen Religion wurden von der jahwistischen Religiosität nicht nur nicht übernommen, sondern ganz bewußt abgelehnt. Insbesondere wurden der babylonische Gestirndienst und die Astrologie nicht rezipiert, also der Grundpfeiler dessen, was man neuerdings (A. Jeremias) als „babylonische Weltanschauung“ bezeichnet hat. Man kannte oder verstand die eigentliche Geheimlehre der babylonischen Priester vom Makrokosmos und Mikrokosmos in Palästina vermutlich ebensowenig wie die

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der ägyptischen, mögen auch Spekulationen und Manipulationen mit heiligen Zahlen und Weltperioden in noch so viel Einzelheiten eine Rolle in der jetzt vorliegenden Redaktion der Ueberlieferung spielen, übrigens vielleicht erst infolge exilischer und nachexilischer Ueberarbeitung.

Gerade eine Grundlehre: den astrologischen Determinismus, hat man aber ersichtlich recht gut verstanden und eben deshalb ganz bewußt abgelehnt. Denn was sollte die levitische Thora oder das Orakel der Propheten nutzen, wenn das Schicksal des Einzelnen in den Sternen geschrieben stand? Mit ihren seelsorgerischen und auch mit ihren Machtinteressen war dieser Determinismus, der nur für die Gnosis von Erlösungskonventikeln Raum ließ, ganz und gar unvereinbar. Man verwarf also diese Lehren, welche dem massiv politischen jahwistischen Gottesbegriff widerstrebten. Schon Jesaja (24., 23) und ebenso Jeremia (10, 2), von dem man eine besonders nahe Beziehung zur babylonischen Priesterschaft voraussetzen müßte, versichern Israel, daß vor Jahwes Macht die Gewalt der Sterne dahinschwinden werde. In der Exilszeit verhöhnt, in Babylon selbst, Deuterojesaja nicht nur die babylonischen Magier im allgemeinen, sondern vor allem auch (47, 13) ihre astronomische Wissenschaft und Astrologie. Auch in nachexilischer und rabbinischer Zeit bestand der Satz: In Israel gelten keine Planeten. Nicht, daß der Einfluß der Gestirne auf die Vorgänge der Erde bezweifelt worden wäre. Das tun auch die Propheten nicht. Ebensowenig wie die Priester die Realität der Totenorakel und also der damit verbundenen Jenseits-vorstellungen bezweifelten. Im Exil hat man offenbar gelegentlich babylonische Astrologen konsultiert, und noch ein Rabbine wird im Privatberuf als Astrologe bezeichnet. Der astrologische Glaube an sich bestand ja über die ganze Erde hin, von China bis Rom und in die occidentale Neuzeit. Man glaubte an die Sterne auch in Israel. Aber das Entscheidende war: Wie in China noch in den letzten Jahrzehnten eine Eingabe des Hanlinpräsidenten den regierenden Kaiserinnen vorhielt: nicht die Gestirnkonstellation, sondern die (konfuzianische) Tugend des Herrschers bestimme die Geschicke des Landes, und wie in Indien Karman das Schicksal einschließlich des Horoskops bestimmt, so sind auch in Israel nicht die Sternengeister die Herren der Menschenschicksale. In rabbinischer Zeit drückte sich das in dem charakteristischen Glauben aus,

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den der Talmud ausspricht: daß zwar alle anderen Völker der astrologischen Heimarmene verknechtet seien, Israel aber, kraft seiner Erwählung durch seinen Gott, nicht. In vorexilischer Zeit waren die Sternengeister die Zebah und wie alle Zebaoth Diener des Gottes Israels. E r allein war der Lenker aller Geschicke: darauf kam es an und das schloß gerade die entscheidenden Grundlagen der babylonischen Bildung von der Uebernahme aus. In der Exilszeit finden wir demgemäß in Babylon die Juden zwar in allen möglichen zum Teil sehr angesehenen Lebensstellungen, aber mit der charakteristischen Ausnahme des Schreiberberufs. Das konnte keinerlei sprachliche Gründe haben, denn die aramäische Volkssprache hatten die Israeliten gelernt, und die Aneignung der offiziellen babylonischen Sprache würde ihnen keine Schwierigkeiten gemacht haben. Wir finden ja auch in der späteren Tradition vorausgesetzt, daß Juden in allerhand Hofämtern und als Eunuchen der babylonischen Könige und ihrer Nachfahren, der Perserkönige, zu Einfluß gelangten. Der Ausschluß vom Schreiberberuf hatte also zweifellos andere und zwar vermutlich kultische Gründe: die Unmöglichkeit, diese durch Priester vermittelte Bildung sich ohne Verstoß gegen die Gebote der jahwistischen Religiosität anzueignen. Verwandt blieb die israelitische der babylonischen und ebenso der phönikischen offiziellen Religiosität im Gegensatz zur ägyptischen in einem wichtigen Punkt: der Ignorierung des Jenseits und der sich daran anknüpfenden Spekulationen. Aber die spezifisch babylonischen Gotteskonzeptionen: der Synkretismus, das Götter -Pantheon, die henotheistische Absorption von Göttergestalten durch die jeweils als Hauptgott angesehene Gestalt als deren „Erscheinungsformen“, die immer wieder überragende Stellung des Sonnengotts blieben der israelitischen Gotteskonzeption ebenso fremd wie die andersartigen, aber im Resultat vielfach ähnlichen ägyptischen Konzeptionen. Wo sich in Babylonien „monotheistische“ Tendenzen zeigen, sind sie wesentlich entweder solar oder politisch - dynastisch bedingt, meist aber beides, ähnlich wie es die Reform des Echnaton in Aegypten war. Jahwe aber war nun einmal weder ein Sonnengott noch ein Gott der Dynastie, sondern ein eidgenössischer Bundesgott. Die in Babylonien starke Tendenz ferner, von den chthonischen und Vegetationskulten aus die Götter des den Menschen, Tieren, Pflanzen gemeinsamen Lebens und der Fruchtbarkeit zu Not-

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helfergottheiten, insbesondere Istar zur barmherzigen Fürsprecherin zu machen, mußte dem Jahwismus fremd bleiben. Jahwe selbst und allein ist der Heiland. Nergal, der ähnlich wie ursprünglich Jahwe ein Gott gewisser furchtbarer Volksgeißeln, vor allem auch der Seuchen war, stand ihm als Gott des Totenreichs fremd gegenüber und die in theophoren Eigennamen auch in Kanaan hervortretende Verehrung Adads, der als Gott des Sturms und Kriegs mit Jahwe Verwandtschaft zeigte, hat auf dessen Konzeption keinen ersichtlichen Einfluß ausgeübt. Eine den babylonischen Priestern gleichartige Bildungsschicht gab es in Israel, eine den israelitischen Thoralehrern gleichartige Bildungsschicht gab es in Babylonien nicht. Die unter allen Umständen, bei noch so vielen Einzel-anklängen, feststehende Ablehnung gerade der imponierendsten Produkte der babylonischen Gestirnkunde zeigt wiederum deutlich die große Selbständigkeit der intellektuellen Kultur in Palästina gegenüber den Nachbarländern.

Wir haben uns also sehr zu hüten, uns Palästina als ein zu irgendeiner historischen Zeit von eigenen Bildungsschichten entblößtes Gebiet vorzustellen, in welchem nur barbarische Magie und ganz primitive religiöse Vorstellungen geherrscht hätten. In einem Briefe eines Kanaanäers aus etwa dem 15. Jahrhundert an einen Fürsten wird die Gnade des Herrn der Götter für diesen gewärtigt, denn er, der Fürst, sei ein „Bruder“, welcher „Liebe“ im Herzen trage, also doch wohl: ein Glaubensgenosse. Und der Absender fährt fast im Missionarstil fort, die Bedeutung der Gnade dessen, der „über seinem Haupt“ und auch „über den Städten“ sei, für den Erfolg des Königs zu betonen. Derartige Konzeptionen lagen den Hirten und Bauern des altisraelitischen Heerbanns gewiß fern. Aber für die bedeutenderen Städte sprechen alle Anzeichen gegen die Annahme ihres völligen Schwindens. Um so erfolgreich, wie es geschah, die religiösen Konzeptionen großer Kulturgebiete, deren Einfluß in allen anderen Sphären ganz offensichtlich ist, ablehnen und eigene, davon charakteristisch abweichende Konzeptionen schaffen zu können, mußte eine eigene Bildungsschicht vorhanden sein, welche die in der Umwelt vorhandenen alten Orakel und Verheißungen selbständig aufnahm und rational verarbeitete. Das konnten weder die ekstatischen Nebijim, deren Schulüberlieferung nur Mirakelerzählungen von der Art der Elisageschichten produzierte, noch die höfischen

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Kreise, welche jene verachteten, noch endlich die Hirten und Bauern und ihre Kriegspropheten sein. Zwar hat man keinen Grund, sich das israelitische Landvolk als besonders „stumpf” vorzustellen, wie gelegentlich1) geschieht. „Stumpf“ wird der Bauer überall erst, wo er in einen ihm fremdartig gegenüberstehenden bürokratischen oder leiturgischen Großstaatmechanismus eingespannt oder grundherrlicher Verknechtung preisgegeben ist, wie in Aegypten, Mesopotamien, den hellenistischen und dem spätrömischen Staatswesen. Im Gegensatz dazu war der vorexilische israelitische Plebejer zuerst wirklich, später seiner Erinnerung und seinem Anspruch nach, ein freier wehrhafter Eidgenosse, der die Ritterschaft der Kulturgebiete besiegt hatte. Aus sich selbst hätte er freilich die rationalen Konzeptionen der alttestamentlichen Schriften nie zu schaffen vermocht. Das mußten andere für ihn tun. Aber für die meisten von ihnen war er aufnahmefähig. Und gerade in dem Aufeinanderwirken einer begeisterten Intellektuellenschicht mit diesem Publikum von Schichten, welche durch die Entwicklung der Königszeit entmilitarisiert und sozial deklassiert waren, liegt eines der Geheimnisse der Entfaltung des Jahwismus. Kaum je sind ganz neue religiöse Konzeptionen in den jeweiligen Mittelpunkten rationaler Kulturen entstanden. Nicht in Babylon, Athen, Alexandria, Rom, Paris, London, Köln, Hamburg, Wien, sondern in dem Jerusalem der vorexilischen, dem Galiläa der spätjüdischen Zeit, in der spätrömischen Provinz Afrika, in Assisi, in Wittenberg, Zürich, Genf und in den Außengebieten der holländisch -niederdeutschen und englischen Kulturzonen, wie Friesland und Neu - England, sind rationale prophetische oder reformatorische Neubildungen zuerst konzipiert worden. Aber freilich nie ohne den Einfluß und Eindruck einer benachbarten rationalen Kultur. Der Grund ist überall ein und derselbe: um neue Konzeptionen religiöser Art zu ermöglichen, darf der Mensch noch nicht verlernt haben, mit eigenen Fragen den Geschehnissen der Welt gegenüberzutreten. Dazu hat gerade der abseits von den großen Kulturzentren lebende Mensch dann Anlaß, wenn der Einfluß jener ihn in seinen zentralen Interessen zu berühren oder zu bedrohen beginnt. Der einmal inmitten kulturgesättigter Gebiete lebende, in ihre Technik verflochtene Mensch stellt solche Fragen ebensowenig an die Umwelt, wie

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etwa das Kind, welches täglich auf der elektrischen Bahn zu fahren gewohnt ist, von selbst auf die Frage verfallen würde wie diese es eigentlich anfängt, in Bewegung gesetzt werden zu können. Die Fähigkeit des Erstaunens über den Gang der Welt ist Voraussetzung der Möglichkeit des Fragens nach ihrem Sinn. Jene Erlebnisse nun, welche die Israeliten vor dem Exil gemeinsam hatten und die ihnen Anlaß zu solchen Fragestellungen gaben, waren: die großen Befreiungskriege und die Entstehung des Königtums, die Entstehung des Fronstaats und der stadtsässigen Kultur, die Bedrohung durch die Großmächte, namentlich aber: der Zusammenbruch des Nordreichs und das jedermann sichtbar vor Augen stehende gleiche Schicksal des Südreichs als des letzten Restes unvergessener Herrlichkeit. Dann das Exil. Die Freiheitskriege schufen das Prestige Jahwes als Kriegsgott. Die soziale Deklassierung und Entmilitarisierung der Träger des alten Jahweheerbanns schufen die jahwistische Geschichtslegende. Die ganz großen Fragen der Theodizee aber warf erst der drohende Zusammenbruch des Reiches auf.

Der zweiten Epoche gehört nun offenbar im wesentlichen jene geistige Arbeit an, welche die beiden großen später zusammengearbeiteten Redaktionen des Hexateuch schuf, Erzeugnisse zweier religiöser Literatengruppen, die heute nach der Art des verwendeten Gottesnamens als „jahwistische“ und „elohistische“ unterschieden zu werden pflegen1). Diese Sammler und Schriftsteller standen augenscheinlich selbständig neben den ursprünglichen Bearbeitern der rein historischen Traditionen und Legenden in den Richter- und Königsbüchern. Denn alle Versuche, die Scheidung der beiden Schulen auch in diesen Schriftwerken durchzuführen, scheinen mißglückt zu sein. Der Bildungsgrad beider Sammler oder Sammlerschulen muß als erheblich gelten, weil sie zahlreiche Namenetymologien und ätiologische Erzählungen bringen, welche entschieden geistreich und meist keinesfalls volkstümlichen Ursprungs sind. Der letzten Epoche gehört die Jerusalemiter deuteronomische Schule an, der Exilszeit und

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teilweise der Zeit nachher die im engeren Sinn priesterliche Ergänzung und Ueberarbeitung der vorhergehenden Epochen, wenn auch deren Anfänge in die Zeit vor dem ExiI zurückreichen werden.

Die jahwistische und die elohistische1) Sammlung stehen noch nicht unter dem schweren Theodizeeproblem, welches durch den Niedergang der nationalen Staatswesen aufgeworfen werden mußte. Ihr Monotheismus ist „naiver“ Monotheismus. Ebenso fehlt ihnen noch die Kenntnis des Kampfs der aufsteigenden Priestergewalt mit der prophetischen, gegen den Opferdienst indifferenten Bewegung. Ebenso wissen sie noch nichts von dem späteren Abscheu gegen die alten ländlichen Kultstätten und gegen die Kultparamente und Bilder. Dagegen sind diese Sammlungen, von denen die eine bis in Salomos Zeit, die andere bis mindestens ins 8. Jahrhundert hinaufreichen, beeinflußt von der sozialen Problematik, welche das Königtum hervorgebracht hat. Daher bilden in beiden die Erzväterlegenden - mit denen der Elohist überhaupt erst beginnt - einen wichtigen Teil der Darstellung und beide befassen sich dann ausführlich mit dem Auszug aus Aegypten und der Eroberung Kanaans unter Mose und Josua, mit den kultischen, sittlichen und rechtlichen Geboten, welche Jahwe damals dem Volk auferlegt hat. An Alter des Materials dürfte, wie in den Segensammlungen, bald die eine bald die andere in frühere Zeiten hinaufreichen. Ob das Bundesbuch und der ethische Dekalog einen ursprünglichen Bestandteil der elohistischen Sammlung, der kultische Dekalog der jahwistischen Sammlung gebildet haben, ist in keiner Art sicher, auch für die Charakteristik sachlich nicht wichtig. Denn beide Sammler wirken durch die Art ihrer Erzählung an sich ethisch paradigmatisch und bezwecken dies auch, so wenig es ihnen gelungen ist, die oft recht unethischen Bestandteile der alten Sagen auszumerzen. Für die Zeit seit Abraham haben beide Sammlungen annähernd das gleiche Material verwendet. Einen eigentlichen Gegensatz der „Tendenz“ zwischen ihnen zu konstruieren wäre

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irreführend. Beide verklären, der Stimmung ihres Publikums entsprechend, die Zeit der Entstehung des Volks. Ebenso läßt sich eine größere „Volkstümlichkeit“ von keiner von beiden oder wenn man will bald von dieser bald von jener behaupten. Schwerlich absichtslos lassen sie beide die damals volkstümlichen Verheißungen: - Israel zum großen Volk zu machen, seine Freunde zu segnen, die Feinde zu verfluchen und einen Namen zu hinterlassen, mit dem sich noch in später Zeit alle anderen Geschlechter der Welt segnen werden, - nicht etwa einem König oder dessen Ahnen, sondern den alten legendären Stammvätern des Volks gegeben sein. Vielleicht ist diese Auffassung der alten Legendenhelden als Stammväter Gesamt - Israels eine der Leistungen dieser Schriftsteller. Die ihnen gegebenen Verheißungen aber sind bei ihnen noch unbedingte, an keine Leistung geknüpfte Zusagen der Freundschaft des Gottes für Israel durch Dick und Dünn, was der späteren prophetischen Anschauung ganz ebenso stracks zuwiderlief, wie dies die Heilsprophetien der Königsnebijim taten. Ferner spielt die Verklärung des Mose weder in der politischen noch in der hymnischen noch in der prophetischen Literatur, noch natürlich in der späteren priesterlichen Redaktion welche ihm nach Möglichkeit den Priester Aaron unterschob, eine solche Rolle wie bei ihnen. Und doch erweisen das Deboralied und die später in das Deuteronomium eingefügte Segensspruchsammlung sein volkstümliches Prestige als unbedingt und alt, nicht erst nachträglich konstruiert. Alte populäre, dem Königtum schwerlich bequeme, Traditionen setzten also diese Sammler fort. Und zwar jede von beiden Schulen in einer etwas abweichenden Art. Beiden sind die Erzväter friedliche Hirten. Aber die elohistische Sammlung betont stärker ihre Stellung als gerim der ansässigen mit ihnen durch berith verbrüderten Bevölkerung, während anderseits die offenbar stärker levitisch beeinflußte jahwistische Erzählung (in der Geschichte von Isaaks Brautwerbung) bereits die Abneigung gegen die Mischehen mit den Kanaanäern kennt. Daß die Ackerarbeit Folge eines göttlichen Fluchs sei, ist wesentlich die Ansicht des Jahwisten. Ihm ist das Paradies ein bewässerter und bepflanzter Fruchtgarten nach Art einer Steppenoase. Der Elohist, der den Mosessegen aufgenommen hat, scheint etwas von einem Anspruch des Stammes Joseph auf die Königswürde zu wissen, während beim Jahwisten im Jakobsegen Juda statt Ruben und Joseph

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Träger der Verheißung ist. Diese und ähnliche spezifische Züge machen die von namhaften Forschern vertretene Annahme wahrscheinlich, daß im ganzen die elohistische Redaktion mehr nördlich, die jahwistische mehr südlich beeinflußt ist, während dem Alter nach bald die eine bald die andere, im großen Durchschnitt wohl eher die jahwistische Sammlung als die etwas ältere gelten darf. Auch daß der Elohist den Abraham und überhaupt alle religiösen Heroen als Nebijim, die Helden aus Joseph als Nasiräer aufzufassen geneigt ist, zeugt für seine im ganzen nördliche Herkunft. Ebenso, daß in der elohistischen Redaktion die Einsetzung der Aeltesten in Israel ätiologisch begründet wird, während für die jahwistische Mose, also: die levitischen Priester, die Rechtsfinder sind, wie es im Süden vermutlich mindestens dem Anspruch nach weitgehend der Fall war. Puritanische Einflüsse sind beim Jahwisten leicht zu finden. Wenn in der jahwistischen Sündenfallerzählung die Schlange eine so hervorragende Rolle spielt, so dürfen wir uns erinnern, daß den ägyptischen Magiern in der Auszugserzählung ähnliche Stäbe zugeschrieben werden wie der mosaische Schlangenstab im Tempel von Jerusalem und daß dieser Schlangenstab des Mose von der elohistischen Redaktion der Wüstengeschichte mit magischer Therapie in Zusammenhang gebracht wird. Hat es also je, wie teilweise angenommen wird, einen Schlangenkult und levitische „Medizinmänner“ gegeben, so dürfte die schroffe Ablehnung durch die jahwistische puritanische Tradition, welche unter Hiskia zur Zertrümmerung des Idols führte, sich hier darin äußern, daß nun gerade die Schlange und ihre an sich unbezweifelte Weisheit als Quelle alles Bösen hingestellt wurde. Ob dabei, wie teilweise angenommen wird, auch die häufige Qualität der Schlange als Gottestier für das Totenreich mitspielte, scheint nicht sicher auszumachen.

Der Unterschied der Provenienz scheint sich auch in der Behandlung der Gotteskonzeption auszudrücken. Zwar für beide Sammlungen stand als Ausgangspunkt absolut fest die Qualität des Gottes als eines persönlichen die Geschicke der Menschen in der Welt durch sein Eingreifen bestimmenden, aber mit Israel seit Mose durch berith und Eidschwur verbundenen und dessen Satzungen garantierenden Herrn. Daran war nicht zu rütteln. Der Jahwe des Mose und der alten Kriegspropheten war eben niemals jener ganz primitive Unhold, zu dem man ihn

M a x W e b e r, Religionssoziologie III.

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im Interesse einer geradlinigen Entwicklung gelegentlich hat stempeln wollen. Andererseits konnte er nicht zu einer unpersönlichen Weltpotenz verflüchtigt werden wie in China und Indien. Gewisse universalistische Züge trägt er, aus den fruher erörterten Gründen, bei beiden Sammlern. Nur in verschiedener Art. Die jahwistische Auffassung stellt ihn, wie man oft bemerkt hat, in zuweilen sehr drastisch anthropomorpher Form dar. Von den grandiosen aber abstrakten Konstruktionen der Exilspriester, wonach Jahwes über dem Chaos brütender Geist durch ein Zauberwort das Licht aufblitzen läßt und dann weiter Tag für Tag durch sein bloßes Gebot eins nach dem andern aus dem Nichts entsteht (Gen. 1), ist keine Rede. Jahwe hat (Gen. 2) auf der bis dahin wüsten und dürren Erde zuerst Wasser quellen lassen, dann den Menschen aus Erde geformt, durch Einblasen seines Odems belebt und dann erst Pflanzen und Tiere entstehen lassen. Diese stellt er nun dem Menschen vor und überläßt ihm das nach Auffassung seiner Zeit und (ägyptischen) Umwelt höchst wichtige Geschäft: sie zu benennen. Es will ihm zuerst nicht gelingen, eine dem Menschen zusagende Gesellschaft für diesen zu bieten, bis er aus einer Rippe das Weib erschafft, welches der Mensch sofort als seines Wesens erkennt. In der Abendkühle spaziert dieser Gott in seinem Garten Eden, in den er auch den Menschen hineinsetzt, wie ein Schêch einer Oase. Er verhört ihn persönlich, als er verbotswidrig an seine Bäume gegangen ist und jagt ihn zur Strafe mit einem Fluch hinaus. Er muß aber dabei den Menschen, der sich versteckt hat, erst suchen und rufen. Ebenso muß er, um den Riesenbau in Babylon zu sehen, erst dorthin niederfahren. Hat er etwas zu befehlen oder zu verheißen, so erscheint er den Menschen persönlich. Noch den Mose hat er, im Widerspruch mit der späteren Tradition, sein Angesicht wirklich schauen lassen, auch mit den Aeltesten Israels zusammen auf dem Sinai getafelt. Es ist also ein Gott der leibhaftigen Epiphanien, ganz und gar nach menschlichen Motiven handelnd, aber doch ein Gott, der die ganze Erde gemacht hat und auch in Babylon, dem Mittelpunkt der Welt, seine Macht äußert.

Diese anthropomorphe Leibhaftigkeit nun war der elohistischen, bei aller Volkstümlichkeit darin doch weit mehr unter den alten im Norden stärker gebliebenen Kultureinflüssen stehenden Auffassung offenbar peinlich. Ihr ist der Gott Israels

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der höchste Himmelsgott, der nicht auf Erden unter den Menschen wandelt. Sie läßt in der jetzigen Redaktion diese Urgeschichte ganz beiseite und beginnt mit den Erzväterlegenden, wobei dahingestellt bleiben muß, ob dies ursprünglich so war oder ob vielleicht die spätere Zusammenarbeitung hier elohistische Auffassungen nicht übernehmen wollte, welche mit der Gottesvorstellung ihrer Zeit sich nicht mehr vertrugen. Jedenfalls läßt die elohistische Redaktion die göttlichen Befehle und Verheißungen mit Vorliebe entweder im Traum, oder durch einen Ruf vom Himmel oder endlich durch einen Boten (malak) oder Engel des Gottes erfolgen. Vereinzelt (Gen. 15, 6) kommt dies auch beim Jahwisten vor. Die Konzeption der Gottesboten ist alt. Das nordisraelitische Deboralied kennt ihn bei der Verfluchung von Meros. Der Elohist verwandelt aber alle überlieferten Theophanien in ein Auftreten solcher Mittelwesen. Das ist ein offenbares Theologumenon. Ihm traten in den späteren Redaktionen der Sammlungen andere, an sich vielleicht alten Vorstellungen entnommen, zur Seite. So die unpersönliche „Herrlichkeit“ (kabod) des Gottes: Sie wird namentlich dazu benutzt, die bei der seßhaften, namentlich der stadtsässigen, Bevölkerung übliche Vorstellung von der Lokalisierung des Gottes am Kultort, namentlich im Tempel, mit der Konzeption des fernen großen Himmelsgotts zu versöhnen. Nicht er selbst, sondern seine kabod, hat sich in Gestalt einer strahlenden Wolke an der Kultstätte niedergelassen (Ex. 40, 34 f.). Oder es stellt sich eine andere unpersönliche Macht, das „Antlitz“ (phanim), das „Wort“ (dabar), der „Geist“ (ruach), besonders oft aber nach ägyptischer Art der „Name“ (scham) Gottes als wirkend ein. Die schwerlich feststellbare Herkunft all dieser Theologumena soll uns hier nicht interessieren, nur von dem zuletzt genannten ist bald noch näher zu reden.

Solchen Spiritualisierungstendenzen kamen nun die alten Erzväterlegenden insofern entgegen, als in ihnen wie in allen solchen theologisch nicht verarbeiteten volkstümlichen Erzählungen vornehmlich die Menschen handelten, und nicht, wie in der jahwistischen Urgeschichte, der Gott. Zwar einige besonders alte, weil ursprünglich polytheistische, Epiphanien mußten beibehalten werden. Aber der Erzvätergott wurde im allgemeinen ein Gott mit geheimnis-vollen Zügen, den man nur indirekt, in allerhand Fügungen des Schicksals, erkennt. Ein erbaulicher,

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zuweilen rührsamer Zug, wie ihn namentlich die künstlerisch ausgeführte religiöse Novellistik zu erzeugen pflegt, tritt öfter, am deutlichsten in der Josephgeschichte und in der Erzählung von der Opferung Isaaks hervor. Diese Art der Pragmatik war Quelle desjenigen Rationalismus, der zum Vorsehungs-glauben führte. Andererseits zeigen jene Theologurnena doch auch eine gewisse Neigung zur Entwicklung unpersönlicher göttlicher Potenzen: Vorstellungen, welche gerade mit der orgiastisch - ekstatischen Eigenart der nordisraelitischen Gottbesessenheit ebenso wie überall sonst in innerer Verwandtschaft standen.

Aber eben diese theologische Tendenz wurde später offenbar bewußt wieder verlassen. Nur jenes der steigenden Majestät des Gottes dienliche und die allzugrob anthropomorphen Theophanien vermeidende, alte Theologumenon vom Gottesboten ist dauernd beibehalten, die andern vor dem Exil nur rudimentär entwickelt. Der Grund war offenbar rein praktisch. Die levitische Priesterthora: die Beratung der von Mißgeschick, also von Gottes Zorn, Verfolgten hatte an Bedeutung gewonnen und der Kampf der puritanischen Jahwisten des Südens gegen die orgiastische Gottesgemeinschaft und Gottbesessenheit des Nordens eingesetzt. Das Interesse an rationaler Belehrung über die Absichten und Befehle des Gottes, über kultische und ethische Sünden vor allem und die Abwehr von deren Folgen, hatte sich entwickelt und dies Theodizee - Bedürfnis mußte um so mehr an Bedeutung steigen, je bedenklicher sich die politische Lage des Volkes gestaltete. Diesem plebejischen Bedürfnisse aber kam der leibhaftige massive, dereinst mit den Menschen persönlich verhandelnde Gott der jahwistischen Redaktion weit besser entgegen als die sublimiertere Auffassung der elohistischen Schule. Man bedurfte der verständlichen Motivierung der göttlichen Ratschlüsse und dazu der Möglichkeit, sich auf persönliche leibhaftige Aeußerungen von ihm zu berufen. Die vorexilischen Propheten erhalten ihre Befehle und Orakel nicht durch Boten, sondern unmittelbar, obwohl sie im übrigen durch die elohistische Auffassung oft ganz offensichtlich besonders stark beeinflußt sind: - Folge des nordisraelitischen Schauplatzes des ersten, stark nachwirkenden, Auftretens der Prophetie. Bei der Zusammenarbeitung der alten Sammlungen durch die, nach Wellhausens Vorgang, heute meist als „jehovistisch“ bezeichnete Redaktion tritt deshalb der

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alte Gott der Väter und des Bundes wieder sehr oft persönlich auf. Und nunmehr, dem rationalen Bedürfnis der Intellektuellen entsprechend, vor allem: redend (Gen. 13, 14 f.) oder mit seinen Propheten argumentierend. Oder es werden geradezu seine internen Erwägungen wörtlich vorgeführt (Gen. 16, 17 f.). Dafür bot schon die ältere jahwistische Darstellung jener Ueberlegungen, welche Jahwe zur Bestrafung des Sündenfalls und zur Zerstörung des babylonischen Terrassenturms veranlaßt hatten, das Vorbild. Aber die Art der Motive ändert sich. In der primitiven Vorstellung, die noch bei dem Jahwisten nachwirkt, waren wie in allen alten Mythen egoistische Interessen, vor allem die Eifersucht des Gottes gegen die ihn bedrohende Hybris: die zunehmende Weisheit und Macht der Menschen, für seine Entschlüsse maßgebend. In den späteren Redaktionen dagegen ist wohlwollende Fürsorge für die Menschen das entscheidende Motiv. In der Schlußredaktion der Erzählung vom Wüstenzug erwägt z. B. der Gott die verschiedenen Möglichkeiten des Verhaltens der Israeliten, zu deren Standhaftigkeit er geringes Zutrauen hat, je nach dem Weg, den er sie führt, und entschließt sich danach lediglich in ihrem Interesse. Das Charakteristische bleibt: daß überall nach rein menschlich verständlichen Motiven des Gottes gefragt und darnach die Darstellung gestaltet wird. Deutlich ist auch sonst zu sehen, wie das intellektualistische Streben nach Sublimierung der Gotteskonzeption mit den Interessen der praktischen Seelsorge im Streit lag. Die alten Sagen ließen in unbefangener Weise Jahwe sich seine Entschlüsse und Handlungen „gereuen“. Schon ziemlich früh schien dem Rationalismus der Schriftsteller zweifelhaft, ob dies der Majestät eines großen Gottes angemessen sei. Bileam wird daher der Spruch in den Mund gelegt, daß Gott nicht „ein Mensch sei, den etwas gereuen könne“ und dies wurde dann öfter wiederholt (Num. 13, 19; I. Sam. 15, 29). Allein das praktische Bedürfnis der levitischen Paränese stand der Durchführung dieser Sublimierung im Wege. Wenn die einmal gefaßten Entschlüsse des Gottes endgültig feststanden, dann waren ja Gebet, Gewissenserforschung und Sühne nutzlos. Es war dann die gleiche fatalistische für die Seelsorgerinteressen der Thoralehrer verderbliche Konsequenz zu befürchten, die man an der astrologischen Determiniertheit der Schicksale scheute. Immer wieder läßt daher die spätere Redaktion der Mosegeschichten den Propheten den Zorn

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Jahwes durch seine Fürbitte besänftigen. Jahwe ändert seinen Entschluß, entweder auf Fürbitte oder auf Reue und Buße hin. Das gleiche läßt die Nathan -Tradition dem David und die Elia - Tradition dem Ahab widerfahren, als sie Buße tun. Dieser anthropomorphe und daher verständliche Gott kam eben damals geradeso wie heute den praktischen Notwendigkeiten der Massen - Seelsorge besser entgegen. Das deuteronomische Kompendium fand den Ausweg, daß Jahwe im voraus sein Verhalten von dem Handeln der Menschen abhängig macht: „Seht, ich lege euch heute Segen und Fluch vor“, - wählt.

Aehnlich und aus ähnlichen Gründen zwiespältig blieb die Stellungnahme in anderen Problemen, vor allem in der letzten Frage: der Theodizee. Die alte Grundlage der Beziehung Jahwes zu seinem Volk war die berith. Der Eidschwur Jahwes, mit diesem Volk als mit dem seinigen sein zu wollen, schien aber durch das stete Unheil, welches politisch teils drohte, teils hereinbrach, in Frage gestellt zu sein. Der Jahwist hilft sich gelegentlich, in der ziemlich spät übernommenen Sintflutsage, damit, daß ein für allemal alles Tun der Menschen „böse von Jugend auf“ sei. Darnach hatten die Menschen schlechthin alles Ueble verdient. Aber da Jahwe trotz allem nun einmal den lieblichen Geruch des Opfers nicht entbehren mag, beschließt er gerade um der Unvermeidlichkeit ihres üblen Tuns halber in Zukunft wenigstens nicht mehr in einer Sintflut die ganze Welt zu verderben (Gen. 8, 21): - übrigens ein Anklang an den Schluß der babylonischen Sintflutsage, wie noch zu erwähnen sein wird. Jene pessimistische Beurteilung der Menschen stammte wohl aus der Beichtpraxis der südlichen Thoralehrer. Sie war nicht die allgemein rezipierte, welche in Israel stets den Menschen als schwach, aber nicht als konstitutionell verderbt ansah. (Nur die Unheils - Prophetie der Endzeit Israels neigte wieder dazu.) Daß vor Jahwe niemand unschuldig sei, war eine weit adäquatere Formulierung (Ex. 34, 7) und dies Argument entsprach offensichtlich auch den praktischen Bedürfnissen der Seelsorge gegenüber schuldlos Leidenden. Indessen damit war das Problem des speziellen Unheils Israels, welches doch immerhin Jahwes Volk war, nicht gelöst. Das gegebene Mittel hierfür war natürlich der Hinweis darauf: Jahwe habe seine alten Verheißungen selbstverständlich an die Bedingung geknüpft, daß das Volk seinen rituellen und ethischen Verpflichtungen nachkomme, und das sei nicht geschehen. Tatsäch-

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lich wurden denn auch allmählich alle alten Verheißungen aus ursprünglich unbedingten Versprechungen Jahwes in bedingte Zusagen für den Fall des Wohlverhaltens umstilisiert. Auch das entstammte zweifellos den praktischen Bedürfnissen nach einer rationalen Theodizee und war vor allem, wie wir sehen werden, eine Grundthese der Prophetie. Indessen erhoben sich Schwierigkeiten: Die alte Vorstellung der Solidarhafturg der Gemeinschaft für das Tun aller Einzelnen und der Nachfahren für das der Vorväter, wie es dem Bluträcher und dem politischen Feind gegenüber bestand, war in einer freien Eidgenossenschaft ursprünglich eine Selbstverständlichkeit urd auch pragmatisch sehr brauchbar1). Dagegen war aber die Frage zu fürchten: was nutzte dem Einzelnen die Erfüllung der Gebote Jahwes, wenn das Tun anderer ihn dennoch schuldlos in Unheil verstrickte ? Für die Sünden der Mitlebenden gab es das Auskunftsmittel, die Sünder durch Cherem dem Gott zu weihen und zu steinigen. Das geschah denn auch ganz ebenso, wie man etwa einen alten Frevel gegen eine Metökengemeinde durch Auslieferung der Frevler oder ihrer Angehörigen von sich abwendete, was unter David mit der Familie Sauls an Gibeon geschehen sein soll. Die sichemitische Fluch- und Segenszeremonie hat wenigstens in späterer Zeit wohl ebenfalls dem Zweck gedient: die Haftung der Gemeinschaft durch Abladung des Fluchs auf die Person der Sünder von ihr abzuwälzen. Die Todesstrafe gegen den Mörder wurde ausdrücklich als Reinigung des Landes von der Solidarhaft für die Schuld gegen Jahwe aufgefaßt, für Fälle, wo der Mörder nicht auffindbar war, besondere Sühne - Zeremonien geschaffen. Indessen für die Sünden der Vorfah-ren gab es dies Mittel nicht. Hier galt das bittere, von Hesekiel zitierte Volkssprichwort „Die Väter haben Herlinge gegessen und den Söhnen sind davon die Zähne stumpf geworden.“ Auch da drohten also fatalistische, den Seelsorgeinteressen abträgliche Konsequenzen. Deshalb offenbar entschloß sich, wie früher erwähnt, die deuteronomische Schule unter dem Einfluß der levitischen Thoralehrer dazu, die Haftung der Nachfahren für die Väter überhaupt ganz abzulehnen, für die Rechtspraxis ebenso wie in der ethischen Verantwortlichkeit. Jedoch die Schwierigkeit war, daß man

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den Gedanken der Vergeltung für Sünden der Vorfahren schließlich doch zum Zweck der Theodizee nicht entbehren konnte, da es keine Jenseitsvergeltung gab und die Beobachtung immer wieder zu lehren schien, daß der Einzelne eben nicht nach Verhältnis seiner Sünden und Guttaten gestraft und belohnt wurde. Vor allem für die politische Theodizee war die Annahme unentbehrlich und wurde es wohl namentlich nach der bitteren Erfahrung der Schlacht von Megiddo. Die Propheten haben denn auch stets mit der Solidarhaftung der Gemeinschaft und der Nachfahren für die Väter gearbeitet. Der Solidarhaftsgedanke ist daher niemals wirklich definitiv aufgegeben worden. Unmittelbar nebeneinander stehen noch in der priesterlichen Redaktion (Num. 14, 18) die Versicherung von Gottes Gnade und Barmherzigkeit und von seiner Rache bis ins dritte und vierte Glied. Die Zwiespältigkeit entstammte dem Gegensatz der Bedürfnisse der pragmatischen politischen Prophetie gegen die Interessen der priesterlichen Seelsorge und den Rationalismus der Bildungsschicht. Gemeinsam aber war allen als Resultat: der Gott sollte ein Gott der gerechten Vergeltung sein und diese Qualität wurde namentlich von der deuteronomischen Schule auf das nachdrücklichste betont.

Die Gebote des Gottes selbst sowohl wie die Sühne für Verstöße wurden dabei zunehmend gesinnungsethisch sublimiert Der unbedingte Gehorsam als solcher und das unbedingte Vertrauen auf seine, wie es immer wieder scheinen konnte, problematischen Verheißungen, nicht aber die äußere Art des Tuns waren das, worauf es dem himmlischen Herrscher ankam. Der Gedanke selbst findet sich schon in der jahwistischen Erzählung von Abrahams Berufung zur Uebersiedelung nach Kanaan und der Verheißung eines Sohnes: blindlings folgt Abaham jener und daß er dieser blindlings glaubt, wird ihm von Gott „zur Gerechtigkeit gerechnet“ (Gen. 15, 6). Daß der Gedanke zuerst in einer Erzvätersage sich findet, ist nicht zufällig. Denn innerhalb der pazifistischen Halbnomaden fand sich zweifellos eine der Stützen jener Partei, welche dem durch die Könige und ihre Priester eingerichteten Opferkult die These entgegenstellte: daß der alte Bundesgott überhaupt nicht am Opfern, sondern allein am Gehorsam gegen seine Gebote Gefallen finde, vor allem aber daß die Gemeinde selbst heilig sei und also der Priester nicht bedürfe. Rückhalt fand dieser priesterfeind-

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liche Glaube natürlich in der alten Kriegeraskese und Kriegerekstase, überhaupt in den Zuständen der alten Zeit, welche ein beamtetes und vollends erbliches Bundespriestertum nicht gekannt hatte. Aber ohne Zweifel lag er auch den intellektuellen Schichten nahe. Und schließlich darf es als sehr wahrscheinlich gelten, daß der Orden der Rechabiten, an welchem der Gegner der Priester von Jerusalem, Jeremia, ein solches Gefallen fand, einer seiner Träger war. Auch alle diejenigen Leviten, welche nicht an Kultstätten angestellt waren, sondern lediglich durch Seelsorge und Thoralehre ihr Auskommen fanden, konnten sich ihn zu eigen machen. Ihm entsprach der andere Gedanke: daß nicht in den vom Sünder zur Sühne gebrachten Opfern und in ähnlichen Handlungen, sondern in der bußfertigen Gesinnung als solcher die für Jahwe entscheidende Genugtuung liege, welcher wohl in den gleichen Intellektuellenkreisen heimisch war und von den Redaktoren der Tradition den alten Sehern (zuerst dem Nathan) in den Mund gelegt wurde. Ein anderer Teil der Leviten freilich, namentlich die der deuteronomischen Schule zugehörigen, war mit den Interessen des Kults und Opfers zu eng verknüpft, um solche Konsequenzen ziehen zu können. Gerade die jahwistische, im ganzen mehr südliche und von Leviten beeinflußte Redaktion hat die rein kultischen Gebote (den sog. kultischen Dekalog) in sich aufgenommen. Aber jener Gedanke selbst blieb, vor allem in der Prophetie, lebendig, solange die Priester mit dem Königtum verbunden waren. Auch die spätere priesterliche Redaktion hat seine Spuren nicht ausmerzen können. Sie hat zwar in den Mosegeschichten das Strafgericht Jahwes über die korachitischen Leviten an eben jene ketzerische Behauptung von der Heiligkeit der Gemeinde und der Entbehrlichkeit der Priester geknüpft, aber sie hat nicht hindern können, daß sie in der Niederschrift der Orakel der mächtigsten Prophetengestalten in höchst wuchtiger Form fortlebte.

Eine spezifisch plebejische Wendung nahm diese Gesinnungsethik des gehorsamen Gottvertrauens nun durch die Ausgestaltung, welche der alten mythologischen Vorstellung vom Neid und Haß des Gottes gegen die Hybris der Menschen in der Paränese der Thoralehrer gegeben wurde. Wenn ägyptische Weise Gehorsam, Schweigen und Mangel an Selbstüberhebung als gottwohlgefällige Tugenden rühmen, so war die bürokratische Subordination die Quelle. In Israel war es der plebeji-

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sche Charakter der Kundschaft. Der Stolz und Hochmut, das Pochen auf die eigene Kraft, wie es die Könige und ihre Kriegshelden repräsentieren, war dem Gott jener Plebejer, mit deren Beratung und Seelsorge sich die Thoralehrer und die Kreise, aus welchen die Propheten hervorgingen, zu befassen hatten, verhaßt und der eigentliche Frevel. Mißfällig waren Jahwe die Erotik (nach Amos) und das fröhliche Zechen (nach Jesaja) der Gibborim. Dem Propheten Zephanja (3, 12) steht fest, daß nur das arme Volk das wirkliche, alles Gott anheimstellende Vertrauen zu ihm habe und deshalb seinerzeit allein von ihm mit dem Untergang verschont werde. Das Mißfallen Jahwes an den Großen schienen ja die Mißerfolge dieser hochmütigen Kaste gegen die auswärtigen Feinde, im Gegensatz gegen die Zeit des alten Bauernheers, zu beweisen. Das unbedingte demütige Vertrauen nur auf ihn allein konnte vielleicht den alten Bundesgott veranlassen, wieder wie dereinst unbedingt mit seinem Volke zu sein. Damit stehen wir wieder, wie schon wiederholt, vor einem Grundmotiv der utopischen politischen Ethik der Propheten und des darin von ihnen beeinflußten Deuteronomiums. Davon wird besonders zu reden sein. Hier machen wir uns nur noch einige der Umstände deutlich, auf welchen in Israel die formellen Eigentümlichkeiten der ganzen Beziehung der Menschen zum Gott beruhten, vor allem: der gewaltige Akzent dieser rationalen Gesinnungsethik.

Es war vor allem das Fehlen der sonst üblichen Machtstellung der Magie oder vielmehr - da die Magie in Israel so wenig wie irgendwo jemals aus der Praxis der Massen wirklich ganz verschwunden ist - ihre systematische Bekämpfung durch die Thoralehrer, welche für ihr Schicksal innerhalb der alttestamentlichen Frömmigkeit ausschlaggebend gewesen ist. In Israel gab es Magier aller Art. Aber die maßgebenden jahwistischen Kreise, vor allem die Leviten, waren keine Magier, sondern Träger von Wissen. Das waren nun, sahen wir, die Brahmanen auch. Aber das Wissen war in Israel ein von dem ihrigen grundverschiedenes. Als in der jahwistischen Paradieseserzählung die Schlange dem Weib anrät, vom Baum der Erkenntnis zu essen, stellt sie den Menschen in Aussicht, daß sich ihnen „die Augen auftun und sie sein werden wie Gott selbst ist“. Und sie hat nicht etwa die Unwahrheit gesagt. Denn nachdem Jahwe den Menschen und die Schlange verflucht hat, fügt er hinzu: „der Mensch ist geworden wie unsereiner“, also: wie ein Gott,

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- durch das Wissen, - und er jagt ihn aus dem Garten, „damit er nicht noch von dem Baum des Lebens nehme und esse und unsterblich werde“. Also der Besitz zweier Dinge: Unsterblichkeit und Wissen macht zum Gott. Welches Wissen aber ? An beiden erwähnten Stellen heißt es: die Erkenntnis davon, „was gut und böse ist“. Dies also ist das Wissen, welches nach der Vorstellung dieses vorprophetischen Schriftstellers Gott gleich macht. Freilich: daß es ein rational ethisches und nicht ein rein rituelles oder esoterisches Wissen war, verstand sich auch danach nicht von selbst. Auch in Aegypten wird der von der priesterlichen Schriftbildung entblößte Plebejer als ein Mann bezeichnet, der „nicht weiß was gut und böse ist“. Und in der Paradieserzählung ist die rein rituell bedingte Verpönung der Nacktheit, und nicht ein rational ethisches Wissen das, was der Mensch, soviel wir sehen, durch das Essen vom Baum der Erkenntnis erfährt. Aber schon Micha, zu Hiskias Zeit, betont (6, 8), daß dem Menschen, also: jedem Menschen, „gesagt sei, was gut ist: das Halten der göttlichen Gebote, Liebe zu üben, und vor Gott demütig zu sein“. Es handelt sich also nicht um esoterisches und auch nicht um bloß rituelles Wissen, sondern um durchaus exoterisch gelehrte Ethik und Karität. Die Pflege gerade dieser Art von Belehrung war das der levitischen Thora eigentümliche und wir sahen, daß die besondersartige Beziehung zu Jahwe als dem persönlichen Partner der berith mit der Eidgenossenschaft zuerst diesen starken Akzent auf das „Halten seiner Gebote“ gelegt hatte. Darin lag die Vorzugsrolle des Gehorsams und der Ethik gegenüber den bei der Struktur des Bundes notwendig so gut wie ganz fehlenden kultischen und den vermutlich in älterer Zeit nur in wenigen einfachen Regeln entwickelten rein rituellen Geboten. Bei der Solidarhaftung der Gemeinschaft Jahwe gegenüber für die Verfehlungen aller Einzelnen war diese ethische Problematik ein eminentes Interesse jedes einzelnen Volksgenossen1), vor allem aber: der an den Schicksalen des Landes interessierten Intellektuellen. Von da aus hat diese Vorstellung von dem Wesen des göttlichen Wissens die Kreise der zunehmend entmilitarisierten jahwistischen Plebejer und aller jener Intellektuellen, die am guten alten Recht hingen, zu be-

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herrschen begonnen. Seine Bedeutung nahm stetig zu. Das göttliche Charisma hatte die alte Zeit nur als Kriegsekstase und Kriegsprophetie gekannt. Beide waren verfallen. Die Tendenz, Mose zu einem Magier zu machen, dessen Zauber nach Art des indischen Hofbrahmanen den Sieg entschied, hat, wie die Ansätze in der Tradition zeigen, bestanden. Aber dergleichen gab es jetzt nicht mehr. Einen Propheten, dem Jahwe von Angesicht zu Angesicht erschienen wäre, hatte er seither nicht erweckt. Denn die Zeiten waren andere geworden. Die Kriegsorakel des Elisa sind der letzte in der Tradition zu findende Nachklang dieser Art von magischer politischer Prophetie. Die Leviten, die einzigen kontinuierlichen perennierenden Träger des Jahweglaubens, fühlten sich, kraft der Art ihrer sozial wichtigsten Funktionen, als Träger des Wissens davon, durch welche Sünden man sich Unheil zuziehe und wie man sie wieder gutmachen könne. Wenn wirklich der Name jide`oni, der (Lev. 20, 27; 2. Kge. 23, 24) die Orakelgeister bezeichnet, welche gewisse Magier bewohnen, soviel wie „kleines“ Wissen bedeuten sollte, so würde dies den spezifischen magiefeindlichen Wissensstolz der Vertreter des Jahwismus kennzeichnen. Die israelitischen Schriftpropheten haben allerdings gelegentlich auch Königen Rat erteilt, ebenso wie Hofpropheten und Magier. Aber stets im Sinn der levitischen Thora: Gehorsam gegen Jahwe und unbe-dingtes Vertrauen auf ihn. Keiner von ihnen hat dem Lande durch Zauber zu helfen gesucht.

Selbstverständlich gab es Anläufe zur Entwicklung magischen Gotteszwangs auch innerhalb der rein jahwistischen Kreise von jeher und vielleicht bis in ziemlich späte vorexilische Zeit. Neben anderen, mehr nebensächlichen Spuren ist namentlich die, sehr universell verbreitete, Zauberkraft des Gottesnamens, der Glaube also: daß der Gott, wenn man seinen Namen kenne und richtig anrufe, gehorchen werde, ganz offenbar in der Entwicklung begriffen gewesen. Nicht ohne Grund weicht Jahwe bei der Dornbuscherscheinung der Nennung seines Namens zunächst aus, und ebenso jenes Numen, mit dem Jakob ringt. Als später Mose als Gunst von Jahwe begehrt, ihn von Angesicht zu schauen, weist dieser ihn an, seinen Namen zu nennen. Dieser also zwang ihn. Die weitverbreitete Vorstellung war, wie wir schon sahen, namentlich in Aegypten heimisch. Der Name Jahwes ist auch ebenso das Symbol seiner Macht, wie der Name des

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Pharao für diesen. Wie der König in den Amarnabriefen „seinen Namen auf Jerusalem gelegt“ hat, so ist Jahwes Name über Israel (Deut. 28, 10; Jer. 14, 9) oder: über Jerusalem (Jer. 25, 29) oder: über einen Propheten (Jer. 15, 16) „ausgerufen“, „wohnt“ in Jerusalem, wo ihm „ein Haus gebaut ist“, „kommt von fern“ (Jes. 30, 27), „ist nahe“ (Psalm 75, 2) und Jahwe wirkt durch ihn (Psalm 30, 27) zugunsten aller, die „seinen Namen leben“ (Psalm 5, 12; 69, 37; 119, 32). Teilweise handelt es sich um das schon erwähnte Theologumenon, um Jahwes anthropomorphe persönliche Anwesenheit auszuschalten. Aber teilweise handelt es sich auch um jene gerade in Aegypten herrschende Vorstellung vom Wesen des Namens und es ist schwerlich Zufall, daß fast alle charakteristischen Stellen dieser Art deuteronomistisch sind, also der Zeit entstammen, welche überhaupt die größte Verwandtschaft mit ägyptischen Frömmigkeitsformen zeigt. Die spezifische Heiligkeit des Gottesnamens, wie sie auch in Aegypten galt, wo einerseits Isis dem Ra durch Kenntnis seines Geheimnamens seine Macht entreißt, andererseits Ptah den „Mißbrauch“ seines Namens rächt, stieg auch in Israel, wo das sonst vielfach verbreitete Tabu des Gottesnamens ursprünglich nicht galt. Der späteren Auffassung galt der Versuch, durch das Mittel der Namensnennung den majestätischen Gott zu zwingen, als schwerer Frevel, den er rächen werde. Die noch während der prophetischen Epoche herrschende Unbefangenheit im Gebrauch des Namens wich jener spezifischen Scheu, für welche Ansätze schon früh vorhanden gewesen sein müssen. Das in unbekannte Zeit zurückgehende dekalogische Verbot des Namensmißbrauchs meint zweifellos den Versuch, magischen Gotteszwang auszuüben. Die Ablehnung dürfte auch hier auf bewußten Gegensatz gegen Aegypten und vielleicht wiederum gerade gegen den Totenkult zurückgehen. Denn nirgends ist die Bedeutung der Gottesnamen in Aegypten so zentral wie im 125. Kapitel des Totenbuchs, wo ihr richtiger Gebrauch das Schicksal der Seele entscheidet. An jeder Pforte des Hades verlangt der betreffende Gott von dem Toten, daß er seinen Namen wisse, ehe er ihn passieren läßt. Schwerlich sind einerseits die Anklänge, andererseits die schroffe Ablehnung ganz zufällig.

Die Verwerfung der Magie bedeutete praktisch vor allem: daß sie nicht, wie anderwärts, von den Priestern zwecks Domestikation der Massen systematisiert wurde. In Baby-

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lonien vollzog sich ihre Systematisierung unter dem Druck des Theodizee - Bedürfnisses, war also rationalen Ursprungs. Die Erfahrung, daß auch der Schuldlose leidet, schien mit dem Vertrauen auf die Götter nur dann vereinbar, wenn nicht sie, sondern Dämonen und böse Geister die Urheber des Uebels waren: die Theodizee lenkte damit in die Bahn eines latenten und halben Dualismus ein1). Davon konnte in Israel keine Rede sein. Daß auch alles Uebel von Jahwe stamme, war eine der Grundthesen schon des ersten Propheten (Amos). Der Entwicklung der magischen Dämonenabwehr stand daher in Israel, wo alles Uebel Strafe oder Verfügung des mächtigen Gottes war, die Entwicklung der rein ethischen Priesterthora und Sündenbeichte als des eigentlichen Machtmittels der levitischen Priester gegenüber. Dies wirkte durch das ganze Gebiet der religiösen Entwicklung Israels hindurch. Zunächst: wo bei den asiatischen Religionen der „Zauber“ steht, da steht bei den Israeliten: das „Wunder“. Der Magier, der Heiland, der Gott Asiens „zaubert“, der Gott Israels dagegen tut auf Anrufung und Fürbitte „Wunder“. Ueber den tiefgehenden Gegensatz wurde schon früher gesprochen. Das Wunder ist, gegenüber dem Zauber, das rationalere Gebilde. Die Welt des Inders blieb ein irrationaler Zaubergarten. Ansätze einer gleichartigen Entwicklung sind in Israel in den Mirakeln der Elisageschichten zu finden, deren Irrationalität durchaus auf gleicher Stufe mit den asiatischen Zaubereien steht. Diese Vorstellungsart hätte sehr leicht die Oberhand gewinnen können. Es war offenbar immer wieder der Kampf gegen alle orgiastische Ekstatik, welche es bedingte, daß in den genuinen jahwistischen Legenden, etwa in den Erzvätergeschichten, aber auch der Mose- und Samueltradition, überhaupt in den alttestamentlichen Schriften so stark wie sonst in keinem heiligen Buch, nicht der Zauber, sondern das aus sinnvollen, verständlichen Absichten und Reaktionen des Gottes entspringende Wunder herrscht und daß selbst dieses gerade in vielen alten Partien, am meisten den Erzväterlegenden, relativ sparsam verwendet wird. Dies Fehlen des Zaubers vor allem drängte alle Fragen nach dem Grunde des Geschehens, der Schicksale und Fügungen, in die Bahnen des Vorsehungsglaubens: der Vorstellung also von einem geheimnisvoll und doch letztlich verständlich die

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Welt und insbesondere die Geschicke seines Volkes lenkenden Gottes: „ihr gedachtet es schlimm zu machen, aber Gott hat es gut gemacht“, wie die elohistische Kunstdichtung der Josephlegende es ihren Helden prägnant formulieren läßt. Gottes Wille behält hier ebenso das Feld gegenüber menschlichen Versuchen, ihm zu entrinnen, wie in indischen Erzählungen das „Schicksal“ über alle Kniffe, ihm ein Schnippchen zu schlagen, triumphiert. Aber: nicht Karman wie dort, sondern eine rationale Vorsehung des persönlichen Gottes bestimmt in Israel dieses Schicksal.

Diesem, bei aller Leidenschaftlichkeit seines Grimmes, dennoch im letzten Grunde rational und planmäßig handelnden Gott der Intellektuellen war nun zweierlei eigentümlich. Zunächst: er war, wie schon angedeutet, ein Gott von Plebejern. Das darf nicht mißverstanden werden. Jahwe in dieser Gestalt war nicht etwa der Gott der „Volksfrömmigkeit“ und kam vollends nicht den Bedürfnissen der „Massen“ entgegen. Vielmehr war er gerade in seiner schließlich siegreichen Konzeption stets ein Gott, den eine Schicht teils von Propheten (Kriegspropheten, später Thorapropheten) und Thoralehrern dem Volk zu oktroyieren suchte. Oft gegen Widerstand. Denn die genuinen Bedürfnisse der Massen gehen überall auf Nothilfe durch Magie oder Heilande und so war es auch in Israel. Und ebenso sind auch weder die Ideale noch die Idealisten der Jahwefrömmigkeit etwa dem Kreise der „armen Leute“ als solcher entnommen. Der ökonomisch gut situierte und dabei fromme Israelit ist vor dem Exil der Held nicht nur der gesamten echten Königstradition, sondern auch der alten Bruchstücke der Ueberlieferungen aus der Richterzeit. Und auch für die fromme Legende waren die Erzväter schwer reiche Leute. Reichtum sollte ja nach den alten Verheißungen hier wie überall der Lohn der Frömmigkeit sein. Die literarisch gebildeten Träger des Jahwewissens selbst waren aller Wahrschein-lichkeit nach zumeist Angehörige vornehmer Sippen. Aber: nicht nur zeigt gleich der Beginn der Prophetenzeit (Amos), daß dies bei weitem nicht immer der Fall war. Sondern vor allem: die Kreise, deren puritanisch echte, der Orgiastik, Idolatrie und Magie abholde Frömmigkeit die Literaten züchten zu können hofften und tatsächlich erfolgreich züchteten, waren in sehr starkem Maße Plebejerschichten mindestens in dem Sinn: daß sie nicht am Besitz der politischen Macht partizipierten und nicht Träger des

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Militär- und Fronstaats der Könige und der sozialen Machtstellung des Patriziats waren. Das äußert sich deutlich in der Redaktion der Tradition. Nirgends, außer in Resten in den Königsgeschichten, kommt adeliges Heldentum zu Worte. Sondern fast durchweg ist es der friedlich fromme Bauer oder Hirt, der verklärt wird und an dessen Anschauungskreis die Art der Darstellung und Darlegung angepaßt ist. Keine Rede freilich von demagogischem Buhlen um die Masse. Zugunsten des großen Haufens soll der Richter das Recht so wenig beugen wie zugunsten des Vornehmen, verlangte, wie in Aegypten, die levitische Paränese, und für Sauls Unstern wird u. a. auch verantwortlich gemacht, daß er sich dem törichten Volk gefügt habe. Vielmehr: das Wissen von Jahwes Geboten entscheidet über den Wert und die Autorität des Einzelnen. Aber das „nomadische Ideal“ nach Art der Rechabiten und die Erinnerung an den bäuerlichen Heerbann beherrschte die Ideale auch der Bildungsschicht. Daß nur die Erfüllung der Gebote des Himmels das Schicksal des Staates und Volkes gewährleiste, war zwar die Grundüberzeugung der Konfuzianer ganz ebenso wie der radikalen Jahwisten. Aber dort war es eine vornehme, ästhetisch kultivierte literarische Pfründnerschicht, deren Tugenden entschieden, hier aber galt die Verklärung zunehmend den Tugenden eines idealen israelitischen Plebejers in Land und Stadt. Zunehmend mit dem Vorstellungskreis dieser ihrer Kundenschicht rechnete die levitische Paränese. Das Besondersartige aber war dabei: daß hier und nur hier plebejische Schichten Träger einer rationalen religiösen Ethik wurden.

Das Zweite, ebenfalls höchst Wichtige aber war: Jahwe blieb ein Gott der Geschichte, und zwar insbesondere der politisch - militärischen Geschichte. Das unterscheidet ihn von allen asiatischen Göttern und hatte seinen Grund in dem Ursprung seiner Beziehungen zu Israel. Für seine getreuen Verehrer blieb er immer der eidgenössische Bundeskriegsgott. Mochte er außerdem der Regengott sein und mochte ihn die Spekulation Nordisraels zum Himmelskönig steigern, für die eigentlich jahwistische, namentlich auch die prophetische Frömmigkeit blieb er der Gott politischer Schicksale. Kein Gott also, mit dem man mystische Vereinigung durch Kontemplation suchen konnte, sondern ein übermenschlicher und doch verständlicher persönlicher Herr, dem man zu gehorchen hatte. Er hatte seine positiven Gebote gegeben, daran hatte man sich zu halten.

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Man konnte seine Heilsabsichten, die Gründe seines Zorns und die Bedingungen seiner Gnade erforschen, wie bei einem großen König. Aber darüber hinaus gab es: nichts. Die Entwicklung einer Spekulation über den „Sinn“ der Welt nach indischer Art war auf dem Boden dieser Voraussetzung vollständig ausgeschlossen. Aus untereinander verschiedenen Gründen ist sie auch bei den Aegyptern und Babyloniern nicht über gewisse sehr enge Grenzen hinausgegangen. Im alten Israel war für sie schlechthin kein Boden.

Wenn so nach der einen Richtung die Rationalisierung des Weltbildes in feste Schranken gebannt blieb und gerade dadurch durchführbar wurde, so setzte auf der anderen Seite die Eigenart Jahwes auch seiner Mythologisierung feste Grenzen. Jahwes Gestalt war wie die jedes Gottes mit Mythologemen behaftet. Die grandiosesten Bilder der Propheten und Psalmisten von der Art seines Handelns und seiner Epiphanien entstammen ganz zweifellos sehr altem und verbreitetem Mythenschatz. Die in Babylonien und zweifellos auch schon im vorisraelitischen Kanaan verbreiteten Vorstellungen vom Urdrachen, von den Ungeheuern und Giganten, mit welchem der die jetzige Welt hervorbringende Gott zu ringen hat, lebten außerhalb der priesterlich redigierten Kosmogonie in Gestalten wie Leviathan, Behemoth, Rahab fort, innerhalb ihrer aber in der Benennung des chaotischen Urgewässers mit dem gleichen Namen, den der babylonische Urdrache trägt (Tehom: Tiamat). Der bewässerte Gottesgarten Eden, die Behandlung des Urmenschen als Ackerbauer, die großen Weltflüsse, das armenische Gebirge in der jetzigen Redaktion der Urgeschichte zeigen, daß alle diese Mythen nicht ursprünglich in der Steppe oder im palästinischen Bergland zu Hause waren. Der patriarchale Pflanzer des Gottesgartens paßt mit dem Rudiment der Gigantomachie im 6. Kapitel der Genesis schlecht zusammen. Und die von der spätesten priesterlichen Redaktion rezipierte Vorstellung von dem über den Wassern brütenden Gotteshauch gehört wiederum einer andersgearteten Vorstellungsreihe an. Die ältere jahwistische Kosmogonie läßt Jahwe die Welt nicht „aus dem Nichts“ erschaffen. Aber immerhin: was auf der Erde entsteht, bringt er allein hervor. Diese von Peisker1) glücklich als „naiver Monotheis-

M a x W e b e r, Religionssoziologie III.

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mus“ bezeichnete Vorstellung hat mit Einzigkeit und Universalismus des Gottes nichts zu tun. Denn in fast allen Kosmogonien schafft ein Gott die Welt und an die anderen wird nicht gedacht. Charakteristisch aber ist, daß der in Versen gedichteten babylonischen Ursage hier ein schlichter Prosabericht gegenübersteht, ebenso wie die mythologischen Bilder der Propheten und erst recht der Priester im Laufe der Zeit zunehmend abstrakt und immer weniger plastisch sich gestalten: die typische Folge der Verarbeitung mythischer Vorstellungen durch theologischen Rationalismus. Das Endprodukt: der unerreicht majestätische, aber ganz unplastische Schöpfungsbericht im jetzigen ersten Kapitel der Genesis ist eine typische Priesterleistung, entstanden in der Exilszeit im bewußten Gegensatz gegen die babylonische Umwelt. Alle Phantasmen der babylonischen Ursage, die Spaltung des Drachens vor allem, sind fortgeläutert, dieser selbst in ein Urgewässer entpersönlicht. Und die Schöpfung erfolgt durch das bloße „Wort“ des Gottes, welches das Licht aufblitzen und die Gewässer sich teilen läßt, so wie ja sein Wort es ist, welches aus dem Munde der Lehrer an die Menschen ergeht. Erst damals vielleicht sind aus dem unvermittelt daneben bestehen gebliebenen älteren Berichte die theogonischen und gigantomachischen Reste fast ganz ausgemerzt worden. Denn hier war die entscheidende Grenze für die Mythenbildung des Jahwismus. Jahwe vertrug wohl einzelne Mythologeme, aber er vertrug gerade die eigentliche Krönung aller großen Mythensysteme die Theogonie, auf die Dauer nicht. Innerhalb Israels, welches ihn von außen rezipiert hatte, war der Boden für theogonische Jahwemythen schon deshalb nicht günstig, weil er ein unbeweibter, bildlos verehrter Gott blieb, für den ein die künstlerische oder dichterische Phantasie anregender, aus Orgiastik und mimischem Dämonenzauber geborner Kult - die normale Quelle aller Mythensysteme - nicht bestand, und der nüchterne Opferkult überhaupt nicht das für die Beziehung zum Gott Wichtigste war.

Denn neben jenen persönlichen Zügen brachte auch seine Stellung als Garant der sozialrechtlichen Ordnung ihn in Gegensatz zu den in Kanaan ebenso wie in ganz Vorderasien umlaufenden Göttermythologien. Er unterschied sich dadurch auch von den großen Universalgöttern der Religionen der Kulturgebiete. Das Wirkungsfeld dieser mit Einschluß des Echnaton'schen Sonnengottes war in erster Linie: die Natur. Die politi-

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schen Schicksale pflegte der Lokalgott der Residenz, die sozialen Ordnungen ein oder mehrere Funktionsgötter und erst sekundär der große Himmelsgott zu garantieren. Auch Jahwe war nun, und zwar zweifellos gerade ursprünglich, ein Naturgott. Aber ein Gott bestimmter Naturkatastrophen, welche der levitischen Paränese als Ausdruck seines Grimms gegen Ungehorsam galten. Diese Verknüpfung seines Verhaltens mit dem größeren oder geringeren Gehorsam der Einzelnen stand in Israel mit steigender Bedeutung der Thora immer fester. Damit aber waren alle Naturmythologeme einer nüchtern rationalen Orientierung des göttlichen Handelns untergeordnet. Die für die israelitische Bildungsschicht unvermeidliche Rezeption universalistischer kosmologischer Mythen in die Jahwevorstellung mußte infolgedessen für die Gestalt, welche diese Mythen dabei annahmen, weitgehende Folgen haben: sie wurden ethisch gewendet. Andererseits aber ist ein Einfluß der Mythenrezeption auf die Art der Gotteskonzeption und auf die Soteriologie nun in sehr geringem Grade zu finden, in geringerem jedenfalls, als man erwarten könnte.

Die durchaus sekundäre Bedeutung der kosmogonischen und anthropo-gonischen Mythen für die jahwistische Religiosität tritt wohl in nichts deutlicher hervor, als in dem Fehlen fast jeglicher Anspielung auf den für unsere heutige Vorstellung so grundlegenden Mythos vom „Sündenfall“ des ersten Menschen-paares. Ein soteriologisch irgendwie bedeutsames, für Jahwes Verhalten zu Israel oder zu den Menschen überhaupt entscheidendes Ereignis ist er in der ganzen alttestamentlichen Literatur nicht geworden. Es finden sich nur ganz vereinzelte und zwar nur paradigmatische. Anspielungen (Hosea 6, 7). Für die Heilslehre grundlegend wurde Adams Fall erst durch bestimmte Spekulationen des alten Christentums, und zwar auf Grund von Vorstellungen, welche ihre Herkunft aus der orientalischen Gnosis nicht verleugnen, aber der genuinen israelitischen Religiosität fernlagen. Adams und Evas Fall ist allerdings ätiologischer Mythos für den Tod, die Mühsal der Arbeit und des Gebärens und die Feindschaft mit der Schlange, - später: mit allen Tieren. Aber darin erschöpft sich seine Bedeutung. Wenn die Rabbinen später die Verehrung des goldenen Kalbes als ungleich schwereren Frevel ansehen als den Ungehorsam Adams: - weil dort eine berith gebrochen wurde, hier aber nicht -, so entspricht das

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durchaus der alten uns bekannten Grundlage der Stellung Jahwes zu Israel, welche der Mythos unerschüttert ließ. Zwar faßt schon Hosea (a. a. O.) auch Adams Frevel als Bruch einer „berith“ auf. Aber eine folgenreiche Konzeption wurde dies für die israelitische Religiosität nicht. Umgekehrt war dagegen die Beeinflussung des Mythos durch die Eigenart Jahwes grundstürzend. Wo der schon in den Amarnatafeln als Uebungsstück für Schreiber enthaltene babylonische Mythos vom Urmenschen Adapa diesen die Unsterblichkeit durch Befolgung eines falschen Ratschlags eines anderen Gottes verscherzen läßt und ihn übrigens als von vornherein „unrein“ und deshalb für Anus Himmel disqualifiziert behandelt, gestaltet die israelitische Konzeption daraus das höchst eindrucksvolle Paradigma von den Folgen des Ungehorsams.

Diese Wendung ist unzweifelhaft eine Leistung der levitischen Thora, die dann erst in der Schlußredaktion der Urgeschichte endgültig rezipiert ist. Denn bei Hesekiel (28, 13 ff.) und im Hiobbuch (15, 7) zeigt sich noch die Spur einer ganz anderen Auffassung, welche in dem Urmenschen eine Gestalt voll Weisheit und Schönheit sah, die in dem (nach babylonischer Art) edelsteingeschmückten Gottesgarten auf dem auch den Psalmen bekannten, der Berggottnatur Jahwes entsprechenden wunderbaren Gottesberg wie ein Cherub ohne Makel lebte, aber durch seine Hybris in Schuld verstrickt und von Jahwe herabgestürzt wurde. Hier war also der Urmensch keineswegs der „reine Tor“ des jahwistischen Paradiesesmythos. Da Hesekiel zweimal Noah, Hiob und Daniel (14, 14. 20) als drei weise und fromme Leute der alten Zeit, Daniel sogar (28, 3) als allwissend schildert, so war offenbar hier die aller Priestertradition naheliegende Verklärung der übermenschlichen Weisheit der Altvordern in der Entwicklung begriffen, welche dann später von den nachexilischen Chokmalehrern in ganz anderer Art wieder aufgenommen wurde. Den eigentlichen Thoralehrern blieb sie fremd. Bei der Sintflutsage, dem nach Annahme der Fachleute am spätesten rezipierten Mythos, kam das babylonische Vorbild dem ethischen Bedürfnis insofern entgegen, als ein auch in den Erzväterlegenden vorkommendes Motiv wenigstens gestreift war. Die Götter machen dem Enlil, der die Sintflut losgelassen hat, zum Vorwurf, daß er alle Menschen ohne Unterschied, ob sie gesündigt haben oder nicht, habe vertilgen wollen: nur Ea' s heimlicher Rat hatte dem

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babylonischen Gegenbild des Noah die Rettung ermöglicht. Bei der Rezeption der Sintflutsage war nun die charakteristische Aenderung die: daß Jahwe die Sintflut nicht wieder zu schicken beschließt, weil aller Menschen Trachten von Jugend auf verderbt ist; ihm liegt eben an dem Bestand und Schicksal der Menschen um deren selbst willen. Es ist wiederum nicht die Tatsache einer ungewöhnlich „erhabenen“ Sittlichkeit, die man den Israeliten zugeschrieben hat, welche die Erklärung dieser charakteristischen Aenderungen bedingte. Die alte israelitische Ethik war derb und schlicht. Es war der Umstand: daß hier die Seelsorge an den plebejischen Schichten infolge der historisch gegebenen Eigenart Jahwes und seiner Beziehung zu Israel ethischen und nicht magischen Charakter hatte, daß Mythen sie daher nur in paradigmatischer Funktion interessierten. Göttliche rational bedingte Wunder, Macht-, Straf- und Belohnungs - Erweise bedurfte sie für ihre Zwecke, nicht Zauber- und Heldengeschichten.

Eine für die spätere Entwicklung folgenreiche Konzeption, die in Verbindung mit den kosmogonischen Mythen aufgenommen wurde, war das durch ethische Schuld verscherzte Paradies und der in ihm herrschende Stand des Friedens und der Unschuld. Die äußerliche Form des Paradieses hat offenbar gewechselt. Die Konzeption des „Gottesberges“ im Exil (bei Hesekiel 28, 11 ff., 31, 8. 9. 16; 36, 35) hatte offenbar den Zweck, Jahwe von der Lokalisation in Jerusalem zu befreien und seine Stellung als Universalgott zu festigen. Von den Thoralehrern war die alte jahwistische Auffassung rezipiert. Ein eigentlicher Paradieses - Mythos ist bisher in Babylonien nicht nachgewiesen, obwohl ein göttlicher Zauberpark rnit Edelsteinbäumen und auch ein von Göttern gegrabener Kanal sich finden. Mythen von einem Urstand des Friedens mit den Tieren sind von Usener1) als ziemlich verbreitet nachgewiesen und existierten anscheinend auch in Babylonien (Gilgamesch - Epos), wo, wie es scheint, ebenso die in der Genesis das Weib die Schuld an dem Verlust trug. Der Mythos von einem durch Gott gepflanzten und bewässerten friedlichen Garten und dem aus ihm zur Mühsal des Bodenanbaus und Kampf mit Schlangen hinausgestoßenen Menschen ist auch an sich am wahrscheinlichsten in einem Lande wie Mesopotamien entstanden; wie alt er in Kanaan ist, läßt

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sich nicht sagen. Den Ursprung aus einem Gartenbauland legt auch die noch jetzt hindurchschimmernde Vorstellung nahe daß die Menschen ursprünglich, solange der Frieden mit den Tieren bestand, von vegetarischer Kost gelebt hätten: auch dafür finden sich im Gilgamesch - Epos gewisse Andeutungen. Einen Stand der unwissenden Unschuld scheint aber keine für die Uebertragung in Betracht kommende Religion zu kennen1) und vor allem in der besonderen Wendung der Unwissenheit als Unkenntnis von der Unzulässigkeit des „Nackten“ ist der Einschlag der rituellen Besonderheit des Jahwismus sofort ersichtlich. Die zentrale Bedeutung des berith - Gedankens legte die Israel eigentümliche Vorstellung nahe, daß die friedliche Beziehung der Urmenschen zu den Tieren auf einer berith Jahwes mit den Tieren beruht habe und daß Jahwe in Zukunft eine solche berith erneut machen könne und werde: ein Gedanke, der schon bei den ersten Propheten (Hosea 2, 18; Jesaja 11, 1) auftritt. Und hier lag eben das Wichtige der Vorstellung. Hatte man die selige friedliche Urzeit einmal verscherzt, so konnte sie vielleicht bei entsprechendem Verhalten künftig wiederkehren; und es scheint nicht zweifelhaft, daß diese eschatologische Vorstellung, mit der die Propheten arbeiten, bereits vor ihnen verbreitet war. Dieser Endzustand wird wie Eden sein (Jes. 51, 3), Frieden unter den Menschen wird herrschen, die Schwerter wird man in Pflugscharen umschmieden (Jes. 2, 4) und Bogen, Schwert und Krieg wird vom Lande fern bleiben (Hos. 2, 18), die Erde wird durch Himmelsgnade Korn, Most und Oel in Fülle hervorbringen (Hos. 2, 22). Das sind Heilshoffnungen spezifisch pazifistischer unmilitärischer Bauern.

Diese Friedenserwartungen waren nicht die einzige Form eschatologischer Hoffnungen, welche auf die vorprophetische Zeit zurückgehen, sondern neben ihnen standen, entsprechend der Verschiedenheit der sozial bedingten Interessenlage, andere. Die volkstümliche Zukunftshoffnung der Krieger sah anders aus. Schon bei den ersten Propheten (Amos) finden wir die Erwartung eines „Tages Jahwes“ (jom Jahwe), der nach der bis

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dahin gangbaren Vorstellung ein Tag großen Heils für Israel ist. Was war sein ursprünglicher Sinn ? Jahwe war ein Kriegsgott und folglich war es ein sieg-reicher Schlachttag, so wie einst der „jom Midian“ (Jes. 9, 3), der Tag des Sieges Gideons also, gewesen war. Die alten Losorakel gaben ja dem Kriegshelden, wie wir bei Gideon und öfter sehen, Tag und Stunde, zu welcher Jahwe die Feinde „in Israels Hände geben“ werde, genau an: daher wohl die Vorstellungsweise. Und die Mittel des alten Katastrophengottes waren bekannt: der „Gottesschreck“ durch Erdbeben oder Wetterkatastrophen. Der Tag Jahwes war also ein Tag des Schreckens (jom mehumah, Jes. 22, 5), aber in den Augen der Krieger natürlich: für die Feinde Israels, nicht für Israel (Amos 5, 18 - 20). Daneben scheint eine andere, pazifistischere, Vorstellung ihn als ein Tag fröhlichen Opfermahls angesehen zu haben (Zeph. 1, 7), zu dem Jahwe die Seinen zu Gaste lud.

Diese je nachdem mehr pazifistischen oder mehr kriegerischen Zukunftshoffnungen verbanden sich nun mit den Verheißungen der königlichen Heilsprophetie. Vor allem Greßmann1) hat darauf aufmerksam gemacht, daß an den benachbarten Großkönigshöfen ein ziemlich fester „Hofstil“ für solche bestand. Jeder König wird von den heilsprophetischen Barden als Bringer einer Segenszeit gepriesen: Kranke werden gesund, Hungernde satt, die Nackten gekleidet, die Gefangenen amnestiert (so für Assurbanipal), den Armen ihr Recht verschafft (so oft in babylonischen Königsinschriften, in Israel: Psalm 72). Der König selbst ist von dem Gott (in Babylon: Marduk) erwählt (so David von Jahwe 2. Sam. 6, 21), zu seinem Priester gemacht (so Psalm 110), oder er ist von ihm adoptiert (so der König Israels Psalm 2, 7) oder geradezu gezeugt (ebenda). Daß er dies ist, sein Charisma also, hat der König durch daß dem Volk widerfahrende Heil zu bewähren (wie in China und überall bei genuin charismatischer Auffassung). Um ihm seine göttliche Abstammung zu beglaubigen, wird schon in früher mesopotamischer Zeit, für den Sumerer Gudea, für Sargon, den Gründer der babylonischen Macht, dann in der Spätzeit Assyriens für Assurnasirpal, dem König nachgesagt: daß sein Vater oder daß auch seine Mutter unbekannt sei, daß er in der Verborgenheit oder auf

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den Bergen, also von einem Gott, gezeugt worden sei. Namentlich - aber nicht nur - Usurpatoren greifen zu diesem Mittel der Legitimierung. Auch diese Vorstellung scheint in Israel bekannt gewesen zu sein, denn Jesaja bedient sich ihrer, als er dem glaubenslosen König Ahas den bald erscheinenden, ja vielleicht schon jetzt geborenen Heilskönig, den Immanuel, entgegenhält, der ganz diese Züge trägt. Je nach der mehr militaristischen oder pazifistischen Schicht ist dann der Heilskönig ein Monarch, der auf Rossen und Wagen kommt (Jer. 17, 25; 22, 4) oder ein auf dem Esel reitender Fürst nach Art des altisraelitischen charismatischen Helden der Bundeszeit (Sach. 9, 9 f.) und ein Friedensfürst, wie der jesajanische Immanuel. Im Judäerreich wurde naturgemäß aus dem Davididenstamm, daher aus Bethlehem, dieser „Gesalbte“ (ha maschiah, das heißt einfach: der König) erwartet, der ein „Heiland“ (moschua`) sein wird, als welcher Jerobeam II. von seiner Zeit aufgefaßt wurde. Die Besonderheit dieser Hoffnungen in Israel ist politisch bedingt. Während die starke, unvordenklich alte Stellung des Königtums in den großen Kulturgebieten dort die soteriologischen Hoffnungen wesentlich an den lebenden König knüpfte1) und nur ganz ausnahmsweise - wie unter Bokchoris - eigentlich „messianische“ Heilserwar-tungen sich finden, lag dies in Israel anders. Zwar mit der erstarkenden Stellung des Priestertums war auch in Aegypten der König (so unter der 21. Dynastie) nur der von Ammon anerkannte und legitimierte Herr, nicht mehr, wie wenigstens nach der offiziellen Auffassung des Alten Reichs, selbst lebender Gott; und in Mesopotamien war es in historischer Zeit stets so. Aber in Israel trat, zumal im Nordreich mit seinen steten Militärrevolten und Usurpationen, das Königtum als Heilsbringer stark gegen andere Erwartungen zurück. Für Hosea gibt es einen legitimen König überhaupt nicht, - was der Zeitlage entsprach. Und auch sonst stand der offiziellen königlichen Heilsprophetie und Zukunftsweissagung die Hoffnung gegenüber: daß entweder Jahwe selbst dereinst das Regiment in die Hand nehmen, die fremden Götter vernichten (Jes. 10, 3. 4) und die Welt neu gestalten werde2) oder daß

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er einen übermenschlichen Wundertäter schicken werde, dies zu bewerkstelligen. Dieser wird dann alle fremden Bedränger, aber nicht nur sie, sondern auch die Uebeltäter im eigenen Lande vernichten: zu dieser spezifisch ethisch gewendeten Hoffnung verdichtete sich, unter dem Einfluß der besondersartigen Beziehung Jahwes zu seinem Volk kraft der berith, die Hoffnung in Israel und nur dort. Es finden sich von einer derartigen Wendung anderwärts keine Spuren und sie konnte auch, unter der Herrschaft der Magie als universellen Heilsmittels, sich anderwärts nicht entwickeln. Daraus folgte aber: daß das Kommen des Tages Jahwes Unheil auch über die Sünder im eigenen Volk bringen werde. Nur ein Rest1): schearith, wird vor Jahwes Zorn bestehen: mit diesem für alle Propheten grundlegend wichtigen „Rest“ - Gedanken arbeitet gleich der erste von ihnen, Amos, als mit einer festen Vorstellung, und Jesaja nannte einen seiner Söhne Schear jaschub („Rest bekehrt sich“). Natürlich: ein sittlich qualifizierter Rest, - so daß die eschatologischen Naturmythologien der Umwelt auch hier ethisch gewendet wurden. Von den beiden möglichen Vorstellungen über die Person des eschatologischen Helden war die im allgemeinen in den jahwistischen Kreisen herrschende offenbar: daß Jahwe selbst seine Sache gegen seine Feinde führen werde. Die andere: daß ein eschatologischer Held in seinem Auftrag handeln werde, führte entweder in die Bahnen der königlichen Heilsprophetie - wie meist in Jerusalem, wo die Davididen Träger dieser Hoffnung waren - oder sie führte zu esoterischen Mythologemen. Der Retter wurde dann eine überirdische Gestalt. Wie ein „Stern“ geht er auf im Bileamspruch (Num. 24, 17). Er ist ein „Vater für ewig“ (in der freilich zweifelhaften üblichen Lesart der Stelle Jes. 9, 5). Sein Ursprung ist in den unvordenklichen Tagen der Vorzeit (Mich. 5, 1). Diese dunkeln Andeutungen, die in dem „Gottesknecht“ des Deuterojesaja im Exil ihre Fortbildung erfuhren, sind nirgends näher ausgeführt. In den bisher aus der Umwelt Israels vorliegenden Doku-

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menten finden sich keine unmittelbaren Analogien; die Einwirkung iranischer Vorstellungen ist äußerst fraglich, und es handelt sich bei Yima und den anderen in Betracht kommenden Gestalten der älteren iranischen Religion auch nicht um eschatalogische Heilsbringer. Da die entscheidende Stelle (Micha a. a. O.) das Davididengeschlecht als Träger der Heilshoffnung hinstellt und die Vorstellung eines Fortraffens großer Gotteshelden in Jahwes Himmel in Israel nicht fehlte (Henoch, Elia), so ist dort wohl an die Wiederkehr Davids selbst gedacht. Das der israelitischen Erwartung Eigentümliche ist dabei die steigende Intensität, mit welcher, sei es das Paradies, sei es der Heilskönig, das erste aus der Vergangenheit, das zweite aus der Gegenwart, in die Zukunft projiziert wurden. Das geschah nicht nur in Israel. Aber mit derartiger und zwar offenbar stetig zunehmender Wucht ist diese Erwartung nirgends in den Mittelpunkt der Religiosität getreten. Die alte berith Jahwes mit Israel, seine Verheißung in Verbindung mit der Kritik der elenden Gegenwart ermöglichte das; aber nur die Wucht der Prophetie machte Israel in diesem einzigartigen Maße zu einem Volk der „Erwartung“ und des „Harrens“ (Gen. 49, 18).

Die Vorstellung endlich, daß die erwartete Zukunftskatastrophe Heil und Unheil und zwar zuerst Heil, dann Unheil, bringen werde, findet sich wenigstens in einigen Ansätzen im ägyptischen Glauben bezeugt. Man pflegt sie, ohne (bisher) genügenden Beweis1), als ein festes Schema der Zukunfts-

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erwartung anzusehen, dessen Uebernahme durch die Propheten den charakteristischen Zug ihrer Verkündigung konstituiert habe. Tatsächlich beherrscht das Schema wenigstens einen erheblichen Teil der vorexilischen Prophetie, ohne übrigens rein an sich deren spezifische Eigenart irgendwie erschöpfend zu charakterisieren. Die Herkunft aus kultischen Eigentümlichkeiten der chthonischen und gewisser siderischer Götter läge, wenn dies „Schema“ tatsächlich als solches existiert hätte, nahe: Nacht und Winter brechen erst vollends herein, ehe die Gottheiten der Sonne und der Vegetation ihre Kraft wieder entfalten können. Inwieweit dabei die weithin über die Welt und so auch in der Nachbarschaft verbreiteten Vorstellungen von dem Leiden eines Gottes oder Heros, ehe er zur Gewalt gelangt, herstammend aus den Kultmythen der siderischen und Vegetationsgötter, auch in die volkstümliche israelitische Vorstellung übergegangen waren, muß dahingestellt bleiben. Daß Israel namentlich jene Kindheitsmythen, wie sie sich daran anzuknüpfen pflegten, kannte, zeigt die Geschichte von der Jugend des Mose. Die vorexilische Prophetie hat mit diesen volkstümlichen Konzeptionen, sie in ihrer Art abwandelnd, gearbeitet. Die Priesterschaft und die theologischen Intellektuellen überhaupt haben, soviel ersichtlich, sie gemieden und statt dessen die nüchterneren Verheißungen materiellen Wohlstandes, starker und geehrter Nachkommenschaft und eines großen, als Segenswort gebrauchten Namens verwertet. Vermutlich mieden sie die volkstümliche Eschatologie wegen ihres Zusammenhangs mit fremden astralen, chthonischen oder Toten - Kulten. Wo eine Verheißung einer Zukunftspersönlichkeit auftritt, ist es bei ihr nicht ein König, sondern ein Prophet wie Mose (Deut. 18, 15. 19). Die Hoffnung, daß Jahwe selbst in der Zukunft die Herrschaft wieder in die Hand nehmen werde, wie er sie - nach der zuerst in der prophetischen Zeit auftauchenden Vorstellung der Samuel - Legende - einst vor der Errichtung des Königtums gehabt habe, gehört wohl im wesentlichen erst der Exilszeit an, wo (bei Deuterojesaja) der Heilands - Titel auf Jahwe angewendet wird.

Wir werden die Art, wie die Prophetie diese Zukunftserwartungen verwertet hat, gesondert zu besprechen haben. Vorher aber werden wir zweckmäßigerweise die Leistung ihrer Konkurrentin in der Prägung des Judentums erörtern: der vorexilischen Thoralehre. Denn nicht die Prophetie schuf

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den materiellen Inhalt der jüdischen Ethik, so wichtig ihre Konzeptionen für deren Geltung wurden. Sie setzte vielmehr gerade den Inhalt der Gebote als bekannt voraus und man würde aus den Propheten allein niemals auch nur annähernd vollständig die ethischen Anforderungen Jahwes an den Einzelnen entnehmen können. Diese Anforderungen waren eben von einer ganz anderen Seite her geprägt: durch die levitische Thora. Resultat ihrer Arbeit waren auch diejenigen Gebilde, welche wir heute als besonders bedeutsame Schöpfungen der israelitischen Ethik anzusehen pflegen: die „Dekaloge“ (eigentlich: der eine, „ethische“, Dekalog1) Ex. 20, 2 f .; Deut. 5, 6 f. und die beiden Dodekaloge Ex. 34, 14 f. und Deut. 27, 18 f.). Man hat immer wieder versucht, für diese Sammlungen ein besonders hohes Alter, womöglich mosaischen Ursprung, wahrscheinlich zu machen. Vor allem mit dem Argument: daß das „Einfache“ an der Spitze der „Entwicklung“ gestanden haben müsse. Das ist schon an sich auf diesem Gebiet nicht immer richtig. Unser „ethischer“ Dekalog insbesondere (Ex. 20, 2 - 17; Deut. 5, 6 - 18) erweist die (relative) Jugend seiner Geltung als gemeinverbindliche Norm schon durch das Schnitz-bilderverbot, welches dem gemeinisraelitischen Brauch der älteren Zeit nicht entspricht. Ferner auch dadurch, daß er vom „Haus“ des Nächsten und vom Gerichtszeugnis spricht, also feste Häuser und Prozeßverfahren mit Zeugenverhör voraussetzt. Weiter durch die sonst in vorexilischer Zeit nirgends so stark hervortretende Scheu vor dem Mißbrauch des Jahwenamens. Endlich durch die abstrakte Fassung des 10. Gebots: „laß dich nicht gelüsten“, selbst wenn der gesinnungsethische Sinn des Worts erst später an die Stelle des ursprünglichen massiveren („betrügerisch manipulieren“) getreten sein sollte. Nebenbei steht auch das allgemeine Verbot des „Tötens“ mit dem Blutracherecht in Widerspruch. Andererseits enthält der ethische Dekalog keineswegs alle gerade dem alten Israel fundamental charakteristischen Vorschriften: jede Erwähnung der Beschneidung fehlt und von den rituellen Speisegeboten ist keine Rede. Abgesehen von der starken Betonung des Sabbat könnte der ethische Dekalog daher geradezu den Eindruck einer von Intellektuellen geschaffenen Formel einer interkonfessionellen Ethik machen: und er hat ja auch dem Christentum stets erneut als ethisches Orientierungs-

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mittel gedient. Das ist weder bei den früher erwähnten Verfluchungsformeln der Sichemer Zeremonie (Deut. 27, 14 - 26), die man als „sexuellen Dekalog“ zu bezeichnen pflegt, noch bei denn einzigen in jahwistischer Fassung erhaltenen Gebotenverzeichnis, den im Text als „Wort des Bundes“ (debar ha berith) bezeichneten Vorschriften Ex. 34, 14 - 26 (dem sog. „kultischen Dekalog“) der Fall. In dem ersteren werden bei den sozialen Schutzvorschriften die für Israel charakteristschen gerim neben den Witwen und Waisen genannt. In dem letzteren aber wird neben der Vorschrift der Monolatrie (Verbot des Anbetens eines anderen „El“) und der Gußbilder das Verbot der Teilnahme an den kanaanäischen Opfern und jeder „berith“ mit Kanaanäern überhaupt sehr nachdrücklich eingeschärft, woran sich dann Vorschriften über die Sabbatruhe und die Feste, die jährlich dreimaligen Wallfahrten zur Kultstätte, die Erstlingsabgaben an Jahwe, - alle in ziemlich allgemeinen Ausdrücken gehalten, - und schließlich drei sehr spezialisierte und unzweifelhaft sehr alte rituelle Speisebestimmungen, darunter eine über das Passate, schließen. Da in diesem „kultischen“ Dekalog Ackerbaufeste und Passah beide vorkommen, Fälle von berith mit Kanaanäern mindesten bis Salomo existierten, andererseits das (übrigens in diesem Dekalog nicht unbedingt verbotene1) connubium mit ihnen, wie die Legende von der Brautwerbung für Isaak wahrscheinlich macht, bei den jahwistischen Viehzüchtern am frühesten Bedenken erregt hat, so kann diese Komposition in ihrer jetzigen Form nicht übermäßig alt sein. Für den sog. „sexuellen Dekalog“ gilt insofern das gleiche, als er voraussetzt, daß die Aufstellung von Schnitz- oder Gußbildern, die Jahwe ein Greuel sind, nur noch „insgeheim“ erfolge, - was bis in die späte Königszeit selbst in Juda nicht der Fall war. Die zweifellose (relative) Jugend des jetzigen Inhalts würde nun das Alter von dekalogartigen Gebotsammlungen in Israel nicht ausschließen. Aber schon die Unterschiede der jetzigen Dekaloge, denen allen gerade die zweifellos jüngsten Bestimmungen (Bildverbot) gemeinsam sind, machen die ursprüngliche Form problematisch und dazu tritt die Erwägung: daß jedenfalls solche Katechismus -

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artigen paränetischen Gebilde, wie der Dekalog Ex. 20 eines ist, nach den indischen Analogien zu schließen, nie am Anfang einer Entwicklung zu stehen pflegen, sondern relativ späte Produkte lehrhafter Absichten sind. Wir finden denn auch in der vorexilischen Literatur, vor allem der prophetischen, keine sichere Spur davon, daß den Dekalogen irgendwelche spezifische Würde und Bedeutung zugeschrieben wäre, ja daß sie überhaupt als allgemein bekannt vorausgesetzt1) worden wären. Möglich

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scheint, daß der „ethische“ Dekalog in der Zeit Hoseas in Nordisrael schon bekannt war. Sicher ist auch das in keiner Weise. Allein in jedem Fall ist die angebliche Sonderstellung der drei Dekaloge, von der alle jene Ansichten ausgehen, ganz unbegründet. Ganz offensichtlich gilt das für den „kultischen“ und den „sexuellen“ Dekalog. Die Zusammenstellung der Sexualgebote Lev. 18, die Sammlung kultischer, ethischer, ritueller und karitativer Satzungen Lev. 19: die umfassendste, auch die Gebote unseres „ethischen Dekalogs“ einschließende Sammlung von allen, endlich auch die Sammlung Lev. 20, rituelle und sexual-ethische Vorschriften enthaltend, sind, wie der Augenschein lehrt, schlechthin gleichartig mit dem „kultischen“ und „sexuellen“ Dekaloge, und mindestens Lev. 19 geht auf eine Sammlung zurück, die ihrem ursprünglichen, wenn auch überarbeiteten Bestand nach keineswegs jünger sein muß, als irgendeiner der Dekaloge. Die Frage des Alters hängt aber mit der anderen zusammen: wel-chen Ursprung denn diese Sammlungen vermutlich gehabt haben ?

Hervorragende Forscher haben geglaubt, sie als alte Bestandteile kultischer „Liturgien“ auffassen zu sollen. Die Analogien sprechen aber entschieden gegen diesen Ursprung. Uns sind aus Aegypten und Babylonien Sündenkataloge erhalten, welche schon öfter mit den israelitischen Sammlungen in Parallele gestellt worden sind. Woher stammen nun diese ? Nicht aus dem Kultus, sondern aus der „Seelsorge“ der Magier und


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Priester. Der von Krankheit oder Unglück Verfolgte, der beim Priester Rat sucht, wie er den Zorn des Gottes beschwichtigen solle, wird von diesem nach Sünden abgefragt, die er etwa begangen haben könnte. Dafür haben die Priester zweifellos früh feste Schemata entwickelt. Für Babylon ist ein erhaltener Sünden-katalog ganz unmittelbar ein solches Schema und das gleiche ist zweifellos der Ursprung des Sündenkatalogs des ägyptischen Totenbuchs, welcher die Sünden angibt, nach welchen die 42 Totenrichter im Hades den Toten befragen werden.

Wir sahen, daß die Thora der Leviten genau in dieser Richtung lag. Sündenbeichte und gegebenenfalls Erstattung unrechten Guts an den Geschädigten mit 20 % Zuschlag schreibt die Priestergesetzgebung ausdrücklich vor (Num. 12, 6), sicherlich auf Grund alten Brauchs. Die überlieferten Vorschriften über die levitischen Schuld- und Sühnopfer zeigen auch die Gelegenheit, bei welcher gerade diese „Beichte“ des Opfernden vorgenommen wurde: ein privates Opfer, nicht: ein Kultakt. Mit steigender Bedrängnis von außen und dadurch steigendem Druck des allgemeinen Sündengefühls steigerte sich die Bedeutung gerade dieser Tätigkeit der Leviten. Die Erklärung, welche nach dem Deuteronomium (26, 13 f.) in jedem dritten Jahre der Israelit bei Opferung des Zehnten an Leviten, gerim, Witwen und Waisen abzugeben hat: daß er diese Ablieferung richtig besorgt, keines der Gebote Jahwes übertreten und insbesondere nichts von dem Abgelieferten in Unreinheit oder Totentrauer gegessen oder einem Toten geopfert habe, hat genau die Form der ägyptischen Sündenreinheitserklärung. Man braucht aber einen zum Abfragen bestimmten Sündenkatalog nur in positive Vorschriften umzukehren und man hat eine Liste göttlicher Gebote, wie sie insbesondere auch die Dekaloge darstellen. Daher stammen sie und alle ähnlichen Sammlungen. Nicht aus dem gemeinsamen Kult, an dem ja die von Unglück Geschlagenen, als von Gottes Zorn verfolgt, gar nicht teilnehmen durften, sondern vielmehr aus der Beicht-praxis der Leviten gegenüber den „Mühseligen und Beladenen“. Mit ihnen als „Kunden“ hatte sich der Levit in der Praxis fortwährend zu befassen: daher die Vorliebe der Thora für diese gedrückten Schichten und der Zorn gegen die „Hochmütigen“, die sich nicht geneigt zeigen, sich vor Gott, d. h. vor dem Leviten, zu „demütigen“ (und: ihn für die Versöhnung mit Jahwe zu entgelten).


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Indirekt war freilich auch die Gemeinschaft an der Sündenbeichte interessiert. Deshalb: weil sie solidarisch haftete. Das „Erscheinen vor Jahwe“, welches der kultische Dekalog für alle Israeliten anordnet, hatte vielleicht den Zweck, eine präventive Abfragung der Erscheinenden nach Sünden zu ermöglichen, damit sie und die Gemeinschaft vor dem Zorn Jahwes bewahrt blieben. Jedenfalls aber sollte es die priesterliche Machtstellung sichern. Die sichemitische Zeremonie verfluchte namens der Gemeinschaft diejenigen, welche eine (durch den Leviten ungesühnte !) Sünde auf sich hatten, auf daß nicht die Gemeinschaft unter Jahwes Zorn leide: diesen Zweck und die Sündenverfluchung selbst haben vermutlich erst die levitischen Thoralehrer in den ursprünglich wohl für die einfache Dämonenverfluchung bestimmten Ritus nachträglich hineingebracht. Dem gleichen Zweck: Reinhaltung der Gemeinschaft von Sünden, um den Zorn des Gottes von ihr fernzuhalten, diente ja nach der Auffassung der levitischen Priester auch die von ihnen als Pflicht und Recht in Anspruch genommene Aufgabe der Belehrung des Volks über die Thora überhaupt. Die deuteronomische Vorschrift, die Thora alle sieben Jahre öffentlich verlesen zu lassen, ist ebenso jung wie die Konstruktion des „Erlaßjahrs“, mit dem sie (Deut. 31, 11. 12) verbunden ist; schon daß auch die gerim sie hören sollen, zeigt das. Das Interesse der Gemeinde an der Sündenbeichte und Sündenkatalogi-sierung stieg eben mit den steigenden Zeichen göttlichen Zorns.

Die Abweichungen der Sammlungen und auch das seltsame Nebeneinander-stehen der im Wesen dem gleichen Zweck dienenden „Schuldopfer“ und „Sühnopfer“ (Chattat und Ascham) in der jetzigen Redaktion erklären sich daraus, daß eben keine einheitliche Organisation, sondern zahlreiche bekannte Amtssitze von Leviten und bis zum Siege Jerusalems auch zahlreiche levitische Opferstätten nebeneinander standen. (Ein solcher alter Sitz levitischer Weisheit, an den man sich mit Fragen wandte, wird 2. Sam. 20, 28 erwähnt.)

Jedenfalls aber: Die drei sogenannten Dekaloge dürfen nicht anders angesehen werden als die andern ähnlichen Sammlungen. Daß man ihnen auch in der wissenschaftlichen Betrachtung bei uns jene Sonderstellung einräumte, hatte außer in der späten Legende von der „Bundeslade“ als dem Aufbewahrungsort von zwei die Gebote enthaltenden Steintafeln, offenbar auch in der

M a x W e b e r, Religionssoziologie III.

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Hoffnung seinen Grund: auf diese Art etwas greifen zu können, was an inhaltlichen Geboten auf Mose zurückgeführt werden könnte. Aber diese Hoffnung ist doch wohl ganz vergeblich. Die Rezeption Jahwes als Bundesgott und des levitischen Orakels sind die beiden Leistungen, welche mit gutem Grund auf Mose zurückgeführt werden dürfen. Das ist nicht wenig: aus der Eigenart des Bundesgotts und der Leviten folgte - unter Mitwirkung bestimmter historischer Verkettungen - später alles andere. Aber die durch jene Hoffnung bedingte Sonderstellung der Dekaloge ist aufzugeben. Wenn die mosaische berith über die aus der Rezeption ohne weiteres folgenden rein rituellen Verpflichtungen hinaus inhaltliche Gebote enthalten haben sollte, dann sicher nur solche, welche der Erhaltung des Friedens innerhalb des Heerbanns dienten, über die Rache vergossenen Blutes und vielleicht „sozialpolitische“ Schutzbestim-mungen für verarmende wehrhafte Sippen. Was aber die inhaltliche Ethik anlangt, so zeigen die Quellen, daß im alten Israel zunächst, wie überall, die Sitte der letzte Maßstab des „Sittlichen“ war. Nie findet eine Bezugnahme auf „Gebote“ statt. Nebalah, „Ruchlosigkeit“, war das, was in Israel „unerhört“ war. Erst die levitische Thora begann für die Zwecke der Sündenbeichte Einzelgebote zu formulieren und zu katalogisieren. Der „ethische“ Dekalog (Ex. 20) nimmt unter ihnen allerdings eine von andern ähnlichen Sammlungen kaum irgendwo erreichte Sonderstellung ein. Aber nicht weil er „mosaisch“ wäre. Das ist er am allerwenigsten. Sondern weil er wahrscheinlich den Versuch darstellt, eine summarische Jugendlehre für die Heranwachsenden - deren Unterricht über Gottes Willen ja (Ex. 13, 8. 14 und öfter) vorgeschrieben war - zu bieten, ebenso wie die indischen Dekaloge dem Laien- (und außerdem dem Novi- zen-) Unterricht dienten. Der Wucht, Plastik und Präzision seiner Formulierung, nicht der Sublimierung oder Höhe seiner ethischen Ansprüche (die tatsächlich recht bescheiden sind) verdankt er seine Stellung. Seine wichtigsten Eigenarten aber, vor allem seine Aussonderung aus der Verbindung mit rituellen Vorschriften einerseits, sozialpolitischen andererseits, verdankt er zweifellos der Adresse, an die er sich wendete: es sind weder die politischen Gewalten, noch sind es die Angehörigen einer Bildungsschicht, die er belehren will, sondern der Nachwuchs des breiten bürgerlichen und bäuerlichen Mittelstandes, des „Vol-

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kes“. Deshalb enthält er nur das, was alle Altersklassen im Alltagsleben beobachten sollen, nicht mehr. Die „zehn Gebote“ dienen ja auch bei uns wesentlich dem Zweck der elementaren Jugend- und vor allem: Volks - Belehrung. Weit entfernt also, daß der Gemeinschaftskult, womöglich der Tempelkult, die Quelle der zahlreichen „debarim“ und Thorasammlungen, darunter auch der Dekaloge, gewesen wäre, entsprangen sie der levitischen Seelsorge und dem Lehrbetrieb, für welchen wir alsbald im Exil in Babylon das „Lehrhaus“ antreffen, also: dem historischen Vorläufer der späteren Synagoge, der mit „Kult“ ursprünglich gar nichts zu schaffen hatte.

Wie die Brahmanen ursprünglich aus der rituellen und magischen Seelsorge für die einzelnen, so sind die levitischen Thoralehrer nicht aus Funktionen im Gemeinschaftskult, sondern gerade aus der rituellen und ethischen Seelsorge vor allem für die einzelnen (einschließlich des Fürsten) zu ihrer Machtstellung und kulturhistorischen Bedeutung aufgestiegen und ihre Beteiligung im Kult war vielleicht überhaupt erst sekundär, jedenfalls aber nicht die Hauptsache. Gerade das Fehlen einer Kult - Zentralisation und eines amtlichen Organs für einen Bundeskult im alten Jahwebunde gab sowohl den alten Propheten und Sehern, wie den Leviten ihr starkes Gewicht. Mit diesem Gewicht hatten die eigentlichen Kultpriester auch in der Königszeit schon deshalb zu rechnen, weil breite Kreise der im Besitz der Rechtsüberlieferung befindlichen Laien den Leviten starken Rückhalt gewährten. Und zwar sind es anscheinend gerade manche vornehmen Sippen gewesen, deren Angehörige im königlichen Dienst standen und dadurch im Gegensatz zu den Sippen der alten Sekenim zu einer rationalen Betrachtung des Rechts nach Art der levitischen Paränese neigten, die innere Opposition gegen die sultanistischen Anwandlungen der Könige aber mit den levistisch jahwistischen Kreisen einerseits, den Sekenim andererseit teilten. Die Prophetin Hulda war Frau eines solchen Beamten. Die gleiche Provenienz tritt in einer deuteronomischen Sammlung ziemlich deutlich hervor, für welche „Schofetim“, offenbar: Laienrichter anderer Art als die Sekenim, mit den Leviten gemeinsam Träger der Rechtsprechung sind, während die alte Tradition durchweg die Sekenim als die eigentlich legitimen Vertreter des Volkes behandelt.

Ursprünglich als Losorakelgeber, dann als Seelsorger und da-

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durch rationale Thoralehrer, hatten die Leviten ihre Machtstellung erlangt. Eine strenge Trennung von „jus“ und „fas“ war mit ihrer zunehmenden Bedeutung und der steigenden Berücksichtigung ihrer Anschauungen durch die jahwistisch interessierten Laien nicht aufrechtzuerhalten. Die alte nie vergessene Bedeutung der „debarim Jahwe“ für alle wichtigen Entschließungen kam ihrem Einfluß auch auf die Rechtsanschauungen zugute. Die Theologisierung des Rechts einerseits, die Rationalisierung der religiösen Ethik andererseits waren die Folge dieser Zusammenarbeit jahwistisch frommer Laien mit ethisch reflektierenden Priestern. Das wichtigste Produkt dieser Zusammenarbeit, entstanden unter dem beherrschenden Einfluß der Jerusalemiter Priesterschaft nach dem Zusammen-bruch des Nordreichs, war nun: das Deuteronomium. Es ist uns schon begegnet 1. als Redaktion der Mischpatim, 2. als Kompendium der jahwistischen gegen den salomonischen Fronstaat und die „Weltpolitik“ gerichteten Forderungen nach Beschränkung der Königsgewalt, 3. als Kompendium der kultischen Monopolansprüche der Priester von Jerusalem. Diesen kultischen Monopolansprüchen trat nun 4. der Monopolanspruch auf die Thora zur Seite. Der Israelit soll (Deut. 17, 10) nach dem handeln, was an der von Jahwe bestimmten Kultstätte in Jerusalem gelehrt wird. Kultpriester als solche pflegen im allgemeinen nicht Träger rational ethischer Lehre zu sein, sondern sind in aller Regel rein ritualistisch orientiert. So war es auch in der Zeit des zweiten Tempels. Damals war das große „Beth Din in der Quaderkammer“ des Tempels von Jerusalem - dessen Stellung und Bedeutung Büchler in glänzenden Untersuchun-gen aufgedeckt hat - die Zentralinstanz für die Entscheidung aller rituellen Fragen der Lebensführung und zugleich zur Abgabe von Gutachten über Fragen des „fas“ auf Anfrage der weltlichen Gerichte zuständig. Daß eine formal organisierte und anerkannte einheitliche Instanz dieser Art in vorexilischer Zeit in Jerusalem bestanden hätte, ist nicht überliefert. Aber die gebildetste Großstadt-Priesterschaft des Landes wahrte durch jene Bestimmung den Anspruch, maßgeblich den Willen Jahwes für die Gerichte, Thoralehrer und Privaten interpretieren zu können.

Das Deuteronomium wollte ein Kompendium der levitischen Lehre, das maßgebliche „Sefer hattorah“, sein. Später wird uns seine Beziehung zu der Verkündigung der Propheten zu beschäf-

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tigen haben. Hier geht uns jetzt sein Gehalt an levitischer Paränese und an theologischer Rationalisierung der Ethik an. Die nur von orientalistischen Fachmännern zu entscheidende Frage, ob etwa das unter Josia angenommene Kompendium, wie Puukko im Gegensatz zu Wellhausen glaubt, ursprünglich nur aus diesen paränetischen Teilen und den auf die Kult- (und wohl auch: Thora-) Konzentration und die damit zusammenhängenden Verhältnisse bezüglichen Bestimmungen bestand, die übrigen aber, also nicht nur die unmittelbar prophetischen, zum Teil sicher erst exilischen oder nachexilischen, sondern auch die Mischpatim und das Königsrecht erst später damit verschmolzen worden sind, kann hier dahin gestellt bleiben. Denn auf jeden Fall entstammten auch in diesem Fall sowohl das Königsrecht wie auch die Bearbeitung der Mischpatim dem gleichen oder einem nahe verwandten Theologenkreis und verfolgten die gleiche Tendenz. Die eigentlich paränetischen Partieen des Deuteronomium sind das Werk eines Einzelnen, offenbar eines Thoralehrers aus dem Kreise der Tempelpriesterschaft von Jerusalem. Aber die Art der „Auffindung“ und die dabei genannten Personen gestatten den Schluß: daß das Ganze ein gut vorbereiteter Akt einer bereits um eine entsprechende Anschauung gescharten Partei war.

Höre Israel, Jahwe ist unser Gott, Jahwe allein“, - der Anfangssatz des heutigen jüdischen Morgengebets, steht an der Spitze der Paränese. Er ist ein eifersüchtiger Gott (Deut. 6, 15), aber er ist treu (7, 9), er hat den Bund mit Israel, welches er erwählt hat (7, 6), beschworen (7, 12) und hält ihn durch tausend Geschlechter; er liebt sein Volk (7, 11) und wenn er es Mühsal und Not erdulden ließ, so hat er das getan, um die Echtheit seiner Gesinnung zu erproben (8, 2. 3). Denn er knüpft seine Liebe und Gnade daran, daß seine Gebote gehalten werden (7, 13); wenn nicht, so wird er den Sünder und zwar ihn selbst, ohne Aufschub (auf andere Generationen) strafen (7, 10). Vor allem aber haßt er den Hochmut und das Selbstvertrauen (8, 14), besonders das Vertrauen auf die eigene Stärke (8, 17), welches zumal dann leicht eintreten kann, wenn Israel reich geworden ist (8, 12. 13). Und ebenso die Selbstgerechtigkeit (9, 4); denn er hat Israel nicht erwählt und bevorzugt um seiner Tugenden willen. Diese hat es gar nicht, es ist das geringste der Völker (Deut. 7, 7. 8), - eine höchst nachdrückliche Ablehnung alles kriegerischen nationalen Heldenstolzes. Sondern er erwählte es wegen der Laster der

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anderen Völker (9, 5. 6), worunter zweifellos vor allem die Sexualorgiastik (23, 18) und andere „Landessitten“ Kanaans (12, 30) verstanden sind. Nach solchen Sitten des Landes soll man nicht, in der Meinung, dies den Göttern des Landes schuldig zu sein, leben, sondern nach Jahwes Geboten allein. Alle Magie und Zeichendeutung jeder Art (18, 10. 11), alle Menschenopfer (18, 10), aber auch alle Bundesschließungen (7, 2) und das connubium (7, 3) mit den Kanaanäern sind wegen der Gefahr des Abfalls streng verboten: alle Feinde sind ein für allemal dem Cherem verfallen. Jeden, der zum Abfall von Jahwe verleitet und sei es ein Prophet (13, 6) oder der eigene Bruder oder Sohn, muß man mit eigener Hand den Steinigungstod erleiden lassen (13, 7). Was die Beziehung des Frommen zu Jahwe anlangt, so soll man ihn fürchten, verehren, nur bei ihm schwören (6, 13), vor allem aber: ihn lieben (7, 9) und seinen Verheißungen unbedingt vertrauen: Jahwe hat die Macht, Israel seine Zusagen zu halten auch noch so viel stärkeren Völkern gegenüber (7, 17. 18) und das Wunder des Manna in der Wüste hat gezeigt, daß der Mensch nicht von Brot allein lebt, sondern von allem, was Jahwe geschaffen hat (8, 3). Die Macht des Gottes wird ins Riesenhafte, Monotheistische, gesteigert: er ist allein der Gott des Himmels und der Erde und kein anderer (4, 39); Himmel und Erde und alles gehört ihm (10, 14), er allein und kein anderer ist Gott (4, 35) heißt es in vielleicht erst im Exil entstandenen Zusätzen. Aber dieser Wundermacht wird er sich für Israel nur dann bedienen, wenn es ihm gehorcht und seine Gebote hält. Dann - diese Bestandteile der später im Exil stark erweiterten Verheißungen und Flüche (Kap. 28) werden als ursprünglich gelten dürfen - wird materielles Wohlergehen aller Art eintreten, die Feinde wird Jahwe, wenn sie kommen, niederstrecken, dem Lande Regen geben und Israel zum Gläubiger anderer Völker, zum Patriziat also, machen; entgegengesetztenfalls wird er in allem das gerade Umgekehrte tun.

Es ist viel und in meist steriler, weil konfessionell - apologetischer Art darüber gestritten worden, ob „Furcht“ das für Israel im Gegensatz zu andern Religionen maßgebende Motiv sittlichen Handelns gewesen sei1). Nun lehrt jede realistische Beobachtung, daß dieses Motiv für Massenreligionen - im Ge-

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gensatz zu Virtuosenreligionen - überall in der Welt (neben dem qualitativ ähnlichen Motiv der Hoffnung auf diesseitige oder jenseitige Belohnung) seine beherrschende Rolle gespielt hat. Wie die levitischen Thoralehrer durch das Sündensühneverfahren, so hat die abendländische Kirche durch die Bußordnungen und nicht durch die Predigt der Liebe die Domestikation der Massen in die Wege geleitet. Der Predigt der Gottes- und Nächstenliebe in der christlichen Kirche stehen genau gleichartige und genau gleich ernst gemeinte israelitische (vor allem: rabbinische) Lehren gegenüber. Zutreffend ist nur eins: der ritualistische Charakter einer Religiosität bedingt natürlich, je stärker er vorherrscht, desto mehr, daß die Besorgnis vor rein formalen, für die moderne Vorstellung gesinnungsethisch irrelevanten, Verstößen die religiöse Beziehung färbt. Und zutreffend ist ferner: daß die Entwicklung der vorexilischen Ethik sehr stark unter dem Druck der Angst, man ist fast versucht zu sagen: der „Kriegspsychose“, angesichts der furchtbaren Raubkriege der großen Eroberungsreiche sich vollzog1). Davon wird später zu reden sein. Die Ueberzeugung, daß nur ein Gotteswunder, nicht Menschenkraft, retten könne, war die Grundstimmung des deuteronomistischen Kreises.

Die utopistischen Kriegsregeln des Deuteronomium und sein Königsrecht stimmen zu diesen prinzipiellen Grundlagen auf das beste. Auch in Aegypten wird in dem Gedicht des Pentaur gesagt: daß Ammon allein den Sieg bewirke und nicht eine Million Soldaten. Aber gehandelt wurde darnach nicht. Auch die Priestermacht in Aegypten entspricht den Anforderungen der Priester von Jerusalem. Aber in Israel mußten diese Züge gang wesentlich penetranter wirken. Sie alle beruhten auf dem Prestige Jahwes, der allein, ohne Zutun Israels, alles zum besten lenken kann und lenkt, wenn man ihm nur vertraut. Dies an den Ammonglauben erinnernde, aber weit stärker durchgeführte Prestige Jahwes war in Jerusalem offenbar durch die, Jesajas Verheißung gemäß, unter Hiskia wider alle Wahrscheinlichkeit eingetretene Errettung aus der Belagerung durch Sanherib erzeugt. Die Heils- und Unheilsdrohungen entstammen zum Teil den von der Heils- und Unheilsprophetie geprägten Schemata.

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Aber nur zum Teil: die Verheißung über das Geldleihen ist spezifisch bürgerlich -jerusalemitisch. Die strenge Monolatrie war eine damals schon alte jahwistische Forderung und das nach Innen gewendete Korrelat des Monopols der jerusalemitischen Priester nach außen. Der dem Wesen nach schon streng konfessionelle Abschluß nach außen entsprach teils Priester - Interessen, teils der Frömmigkeit einer stadtbürgerlichen, aber hierokratisch von Thoralehrern geleiteten Intellektuellenschicht. Dem Abschluß gegen die „Fremden“ (nakhri) entsprach nach Innen die religiöse und sozialethische Gleichstellung der frommen und rituell korrekten gerim mit den Israeliten, das Produkt der Entmilitarisierung der Plebejer: Jeremia stellte ja zur gleichen Zeit die Rechabiten, also typische gerim, den Israeliten als Träger exemplarischer Gottwohlgefälligkeit hin. „Plebejisch“ ist nicht nur die völlige Fremdheit gegenüber allen realen politisch -militärischen Bedürfnissen und jeglicher Heldengesinnung, sondern die ganze Art der gesinnungsethischen Beziehung zum Gott Demut, Gehorsam, vertrauensvolle Hingabe - daher das Verbot, „Gott zu versuchen“, d. h. Wunder von ihm als Zeichen seiner Macht zu verlangen (Deut. 6, 16: es wird auf den Vorgang in Massa exemplifiziert, vgl. Ex. 17, 2. 7) - vor allem eine pietistisch anmutende „Liebe“ zu ihm, die vorher nur etwa bei Hosea (wenigstens nur bei ihm vorher sicher datierbar) als Grundstimmung bezeugt ist. Fromme Stimmung und eine gelegentlich in der Paränese pathetische, aber doch von aller radikalen und gottbesessenen Leidenschaft freie, gesinnungsethische Sublimierung der inneren Hingabe an den Gott kennzeichnen die Gesamthaltung. Durch die großen Propheten ist dieses Kompendium zwar, wie schon das hier Gesagte ergibt, in seinen grundlegenden utopistischen Voraussetzungen ganz entscheidend bedingt, aber es ist keinenfalls ihr Werk, wie wir später bei Betrachtung jener leicht sehen werden. Dagegen wird von den Fachleuten angenommen - was an sich wahrscheinlich ist -, daß der Redakteur des Deuteronomium die jahwistischen und elohistischen Sammlungen gekannt und namentlich die letzteren gelegentlich benutzt hat.

Der Abschluß der deuteronomischen Arbeit liegt wohl zeitlich nahe der (von Wellhausen sogenannten „jehowistischen“) Zusammenarbeitung der jahwisti-schen und elohistischen Redaktion der alten Erzväter - Legenden und levitischen Mose - Tradi-

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tionen. Es sind zahlreiche an die im Deuteronomium vertretene Religiosität unmittelbar erinnernde Einträge in diesen - später durch priesterliche Ergänzung, Interpolation und teilweise Ueberarbeitung veränderten - Redaktionen zu finden, und der „Jehovist“ hat vor allem die großen Verheißungen an die Vorväter teils neu eingefügt, teils ergänzt. Gemeinsam mit dem Deuteronomium ist ihm dabei das Abgehen vom Königtum: nicht dem Könige, sondern dem frommen Volk wird, in Anknüpfung an die alten, Bileam zugeschriebenen Segenssprüche aus der Zeit vor dem salomonischen Fronkönigtum, das Heil (an die Adresse seiner legendären Stammväter) verheißen. Theologisch interessierte fromme Laienkreise in Gemeinschaft mit Leviten dürften die Stätten sein, aus denen beide Arbeiten hervorgingen, nur daß beim Deuteronomium die unmittelbare Beteiligung der Priester weit stärker gewesen ist, weil es sich hier um ein durch priesterliche Interessen bestimmtes, allerdings aber auf der Thora der Leviten ruhendes, paränetisches Werk handelt.

In religiöser Hinsicht eignet der Paränese des Deuteronomium die starke Betonung des Vergeltungsgedankens und Vorsehungsglaubens, die erbauliche, weiche, karitative, oft miserabilistische Gestaltung der inneren Beziehung Gottes zu den Menschen und umgekehrt, und der durchweg plebejische Charakter der ganzen demütig ergebenen Frömmigkeit. Es sind das Züge, die in ausgeprägtem Maße auch der ägyptischen Volksfrömmigkeit des „Neuen Reichs“ eignen und schon im Alten Reich Anknüpfungsquellen finden. Schon dort liebt, nach Ptahoteps Weisheitslehren, Gott vor allem: den Gehorsam. Die Denksteine von Handwerkern aus der Zeit der Ramessiden fügen hinzu: daß er „unbestechlich“ ist, Kleinen wie Großen seine Macht zeigt, daß Ammon aber vor allem den Armen hört, wenn er zu ihm schreit, daß er auch von ferne - wie Jahwe - herbeikommt zu helfen, mit der „süßen Luft“ des Nordwinds, der dort ebenso ersehnt wurde, wie das „stille sanfte Sausen“ des West in Palästina, daß man auf ihn hoffen und ihn lieben solle, daß er seinen Zorn nicht den ganzen Tag über dauern lassen werde. Der Mensch ist, wie in der israelitischen Thora, nicht erbsündlich verderbt, aber töricht von Natur, er kennt „gut und böse“ nicht. Gebet und Gelübde - die gleichen Mittel wie in Israel - stimmen ihn gnädig, vor allem aber: recht tun. Denn der Vergeltungsgedanke hat in der Frömmigkeit des Neuen Reichs offenbar

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stark zugenommen und Krankheit ist natürlich auch hier die übliche Form göttlicher Strafe. Man sieht: diese ganz persönliche Frömmigkeit ist wesensgleich der überall in der Welt in plebejischen Klassen verbreiteten. Sie hat in Indien zur Heilands - Religiosität geführt. In Aegypten ist es der Pharao, durch dessen Fürsprache und Mittlerschaft man Heil erhofft, aber: wesentlich politisches Heil oder Regen, die Heilsgüter, für welche der politische Verband überall sorgt. Das private Ergehen des einzelnen galt zwar ebenfalls als vom Charisma des Pharao abhängig. Aber: die Bürokratie stand zwischen ihm und den Massen. Und die persönliche Religiosität der Pharaonen war die typische rein materielle do ut des -Moral: Das hatte mit jener plebejischen Frömmigkeit gar keine Beziehung. Und unvermittelt neben ihr stand die grobe Magie der Priester, an welche sich der Nothilfsbedürftige wendete. Eine ethische Belehrung der Massen lag eben nicht nur den auf ihre theologische Esoterik stolzen ägyptischen Priestern fern, sondern auch ihre materiellen Interessen verwiesen sie auf das viel einträglichere Geschäft des Verkaufs von Totenbuchrollen und Skarabäen. Es existierte also in Aegypten zwar eine plebejische Frömmigkeit ganz gleichartigen Gepräges wie im vorexilischen Israel und bei den fortwährenden direkten Beziehungen sind Einflüsse von dort nach hier keineswegs unwahrscheinlich, wennschon natürlich nicht strikt nachweisbar. Aber sie wurde niemals Gegenstand einer systematischen Rationalisierung sei es prophetischer sei es priesterlicher Art. Und ganz ähnlich stand es in Babylonien. Die alten Bußpsalmen der stadtbürgerlichen Zeit Mesopotamiens, aus der Bibliothek Assurbanipals und anderen Quellen bekannt, stehen an Stimmungsgehalt der israelitischen Psalmenfrömmigkeit überaus nahe, ja gelegentlich drängt sich der Gedanke einer Beeinflussung unmittelbar auf. Die Frömmigkeit des Nebukadnezar und der ersten Perserkönige stand ebenfalls der israelitischen nahe und dies war den Propheten ihrer Zeit auch bekannt, die nicht ohne Grund sie als „Knechte“ Gottes bezeichnen. Aber auch dort fehlt die systematische Rationalisierung zu einer Alltagsethik der Massen. Es fehlte außer der rationialen Thoralehre eben zwar nicht die Prophetie überhaupt, aber: die spezifisch israelitische Art der Prophetie. Daß sie fehlte und nur in Israel bestand, hatte (s. u.) in rein politischen Umständen seinen Grund.

Wenn so die Thoralehrer im Mittelpunkt der Entwicklung

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der religiösen Ethik standen, so erübrigt ein kurzer Blick auf deren materiale Anforderungen, um noch die Frage aufzuwerfen, ob sie etwa den Inhalt ihrer ethischen Lehren von anderswoher übernommen haben und wie er sich überhaupt zu der politischen Ethik anderer Kulturgebiete verhält.

Zur Würdigung der inhaltlichen Eigenart der altisraelitischen Ethik, wie sie in den Dekalogen, aber natürlich ganz ebenso und zum Teil noch deutlicher in den sonstigen ethischen Debarim sich äußert, interessiert im ganzen mehr als die vielfachen, aber im allgemeinen rein ethisch nicht sehr ertragreichen, jedenfalls darin kaum über das überall Selbstverständliche hinausgehenden Parallelen mit babylonischen Sündenregistern1) die Vergleichurg mit der ägyptischen Sündenliste des 125. Kapitels des Totenbuchs1). Sie lag schon vor der Entstehung des israelitischen Bundes fertig vor und gab zweifellos die Anforderungen der Priester so wieder, wie sie auch bei Gelegenheit der Sündenabfragung an die Kundschaft gestellt wurden. Der Unterschied gegenüber den Anforderungen des ethischen Dekalogs ist im einzelnen zuweilen erheblich; aber andererseits finden sich starke Anklänge. Dem dekalogischen Verbot des „Mißbrauchs“


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des göttlichen Namens entspricht dort die Versicherung, nie einen Gott „beschworen“, d. h. durch Magie gezwungen zu haben (B. 30). Gegenüber dem „keine anderen Götter haben“ (ursprünglich: „keinen anderen Göttern opfern“) ist die ägyptische Forderung: Gott nicht im Herzen zu verachten (B. 34) infolge der stärkeren pantheistischen Wendung der ägyptischen Frömmigkeit stärker ins Gesinnungsmäßige gewendet. Die deuteronomische Forderung: Gott zu lieben ist in den ägyptischen Katalogen in dieser allgemeinen Form nicht ausdrücklich vertreten. Daß dagegen Gott den Gehorsam liebt, weiß schon Ptahotep (Pap. Prisse). (Dieser Gehorsam und das „Schweigen“ sind dort stark politisch orientiert. Die ägyptische Forderung der Untertanenloyalität (B. 22, 27 und Kap. 17, 1. 3. 48, Kap. 140) fehlt im ethischen Dekalog ganz und ist auch außerhalb seiner auf das Gebot, „dem Fürsten des eigenen Volkes nicht zu fluchen“, reduziert (Ex. 22, 27, vgl. 2. Sam. 16, 9 und Jes. 8, 21)1). Die dekalogische Elternpietät und ebenso die vom Deuteronomium unter Androhung der Steinigung eingeschärfte Pflicht des Gehorsams gegen die Eltern (Deut. 22, 6. 7) bezieht sich wohl sicher ebenso wie die vielen Bestimmungen der babylonischen Rechtsliteratur gegen pietätlose Kinder auf Respekt gegen die alten, vor allem die im Altenteil sitzenden Eltern, mit denen sich noch der Sirachide befaßt. Diesem dekalogischen und deuteronomischen Pietätsgebot gegen die Eltern und den in Urkunden häufigen babylonischen schweren Strafdrohungen gegen den Sohn, der zu Vater oder Mutter sich unehrerbietig äußert, steht im Totenbuch nur (B. 27) die Erklärung gegenüber: gegen den Vater keine Uebeltat begangen zu haben. Im übrigen freilich schärfte die Priester- und Schreiberethik der Aegypter die Ehrung des Alters, der Lehren der Eltern und der Tradition unablässig ein, wie denn auch in Israel geboten wird: „vor einem grauen Haupt aufzustehen“ (Lev. 19, 32). Dem Verbot des Tötens im Dekalog entspricht im Totenbuch die Versicherung, nicht getötet und nicht zum Mord angestiftet zu haben (E 7 A 18). Dem

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Schinden“ der Armen und der gerim (Ex. 23, 9) steht im ägyptischen Katalog das Verbot jeder Gewalttat (A 14) und der Anstiftung von Schaden (A 20) gegenüber. Zahlreiche Grabinschriften ägyptischer Monarchen und Beamten rühmen, daß der Tote die Armen nicht bedrückt habe. Das dekalogische Verbot des Ehebruchs, die Verpönung des Incests auch in der Form bloßen begehrlichen Anblickens einer Verwandten und die Verbote der Onanie finden eine Analogie in dem Verbot aller Arten von Unzucht (Ehebruch, Hurerei, Onanie A 25. 26, B 15. 16). Das Verbot des Stehlens und das zehnte Gebot des ethischen Dekalogs ist im Totenbuch in dem Verbot des Stehlens (A 17) oder irgendeiner Aneignung von fremdem Gut (A 23) ausgedrückt. Das Verbot des falschen Zeugnisses wird durch das Verbot jeder Art von Lüge (E 7, A 22) und Illoyalität (A 30) überboten. Die Ablenkung eines Kanals (E 10) findet ihre Parallele in dem israelitischen Fluch gegen die Grenzverrückung, das Verbot falscher Wage (E 9) gehört auch der levitischen Paränese an. Das an der Spitze von allen anderen stehende ägyptische Bekenntnis: dem Nächsten nichts Böses getan (E 4) und die noch weiter gehende Versicherung: „niemanden Herzensqual verursacht“ (A 10) und „niemanden weinen gemacht“ (A 24), niemanden „erschreckt“ (B 18) zu haben, hat ihre Parallele in Israel in der mehr formalen allgemeinen Vorschrift, dem Nächsten nicht unrecht zu tun (Lev. 19, 13), die an karitativer Sublimierung hinter den ägyptischen Vorschriften zurückbleibt. Das allgemeine Gebot der „Nächstenliebe“ ist bekanntlich in Israel mit dem Verbot, Rache gegen den Volksgenossen nachzutragen, identisch, welches auch im Totenbuch (A 27) sich findet. Dagegen fehlen irn ägyptischen Katalog solche positiven Vorschriften, wie die Vorsorge für das verirrte Vieh des Nächsten (Deut. 22, 1 - 4) - es wird an einer Stelle nur Zurechtweisung des verirrten Menschen gelobt - und vollends fehlt das Gebot (Ex. 23, 4 - 5) der Zurückführung des verirrten Viehs des „Feindes“ dort ganz. In der bekannten ägyptischen „Unterhaltung der Katze mit dem Schakal“ wird vielmehr die Vergeltung von Bösem mit Gutem kritisiert. Gänzlich fehlen andererseits natürlich im Dekalog sowohl wie in der altisraelitischen Ethik überhaupt die aus den Schicklichkeitskonventionen der ägyptischen Schreiber entnommenenen Regeln, welche zum Teil in das Gebiet des guten Geschmacks, zum Teil aber auch in das einer sehr sublimierten Ethik fallen. Dahin gehören

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z. B. das Verbot der ägyptischen Schreiberethik (Ptahotep): den Gegner durch Ueberlegenheit im Disputieren zu beschämen und die auch im Totenbuch wiedergegebenen Verbote: sich überhaupt in Worten gehen zu lassen, zu übertreiben, in Erregung zu geraten und heftig zu werden, vorschnell zu urteilen, zu prahlen, gegen die Wahrheit taub zu bleiben (B 25. 29, A 34 - 33, B 18. 23 21. 19). Derartiges taucht erst im nachexilischen Judentum auf, als die Träger der jüdischen Lehre selbst „Soferim“ und weiterhin gelehrte Rabbinen geworden waren.

Auf dem Gebiet der eigentlichen Wirtschaftsethik war die ägyptische Moral ausgezeichnet durch eine sehr starke Bewertung der beruflichen Pflichttreue und Pünktlichkeit bei der Arbeit: die ganz natürliche Konsequenz der auf leiturgisch gegliederter und bürokratisch geleiteter Arbeit ruhenden halb staatssozialistischen Wirtschaft. Aehnliche Züge, wenn schon weit weniger deutlich, finden sich auch in Babylonien, wo es anscheinend zeitweise üblich war, die Prinzen praktisch die Bauarbeiten auch manuell lernen zu lassen. Darin spricht sich die zentrale Bedeutung der königlichen Bauten aus. In Aegypten tritt ein starker Berufsstolz von Kunsthandwerkern (namentlich Kunststeinmetzen) schon in der Zeit des alten Reichs hervor, so wie ja auch in Israel Jahwe die Kunsthandwerker der mosaischen Tempelparamente mit seinem Geist ausgerüstet hat. Die große Labilität des ägyptischen Reichtums, das (namentlich im Neuen Reich) sehr häufige Aufsteigen von Plebejern in der Bürokratie ließ hier schon früh die Vornehmheitsvorstellungen des grundherrlichen Amtsadels zurücktreten, und so wurde die wirtschaftliche Aktivität schon von Ptahotep als alleiniges Mittel, den Reichtum zu erhalten, gepriesen. Aber der bürokratische Charakter des politischen Verbandes und der strenge Traditionalismus der Religion setzten der Tragweite dieser Auffassung enge Grenzen. Das Standesgefühl der Schreiberklasse, wie es sich in der Ramessidenzeit in einer höhnischen Satire auf alle anderen Berufe, militärische wie wirtschaftliche, äußerte, verachtete alle illiterate Tätigkeit als elendes Banausentum. Während eine scharfe Scheidung persönlicher Freiheit und Unfreiheit fehlte, war die Schranke zwischen Literaten und Illiteraten sehr schroff. Wer Vornehmer (sar) war, darüber entschied die Erziehung allein. Und die absolute hierarchische Subordination der Bürokratie bestimmte das Lebensideal. „Ma“, die „Loyalität“, welche

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zugleich „Schicklichkeit“, „Rechtlichkeit“ und „Pflichttreue“ war, - ein etwas modifiziertes Gegenbild der chinesischen Bürokratentugend, des Li, - bildete den Inbegriff aller Vortrefflichkeit. Die Nachahmung des Vorgesetzten, die unbedingte Aneignung seiner Ansichten, die strenge Innehaltung der Rangordnung, auch in der Lage der Gräber in der Nekropole, waren Pflichten des loyalen Untertans. „Sein Leben lang sich zu bücken“ galt als des Menschen Schicksal. Die Berufskonzeption blieb demgemäß streng traditionalistisch. Den Arbeiter außerhalb seines gewohnten Berufs zu beschäftigen war verboten. Andererseits war der urkundlich bezeugte Streik der Arbeiter in der Nekropole von Theben nicht sozial bedingt, sondern erstrebte nur die Lieferung der gewohnten Gebührnisse, das „tägliche Brot“ im Sinn des christlichen Vater-unser.

In Israel findet sich in der Zeit vor dem Sirachiden eine so starke ethische Einschätzung der Arbeitstreue wie in Aegypten nicht. Die bürokratische Organisation fehlte eben und der Begriff der „ma“ hatte hier keine Stätte, am wenigsten in der religiösen Ethik, welche ja den bürokratischen Fronstaat als das „ägyptische Diensthaus“ verabscheute. Von der Schätzung ökonomischer Aktivität als einer Tugend spüren wir nichts. Geiz ist im Gegenteil das eigentlichste Laster. Darin zeigt sich: daß hier die Feinde des Frommen die städtischen Patrizier sind. Irgendwelche „innerweltliche Askese“ vollends fehlte dort wie hier. Wenn in Aegypten vor den Frauen gewarnt wird, weil ein kurzer Augenblick des Genusses durch schweres Unheil bezahlt werde, so ist das eine Regel der Lebensklugheit nach Art der konfuzianischen Ethik und findet in der nachexilischen Zeit Analogien in der jüdischen Literatur. Aber im übrigen blieb in Aegypten und Mesopotamien Lebensgenuß, temperiert durch Lebensklugheit, letztlich das Ziel alles Strebens. Davon unterschied sich die israelitische Gesinnung vor allem durch die mehr, als sich dies auch anderwärts, namentlich in Babylonien, beobachten läßt, zunehmende, stark durch die politischen Schicksale mitbedingte Sündenfurcht- und Bußstimmung. Der Grad der gesinnungsethischen Sublimierung war ähnlich der ägyptischen, und im ganzen, wenigstens in der Massenpraxis, wesentlich feiner ausgebildet als in der im praktischen Leben stets wieder magisch behandelten und dadurch gebrochenen babylonischen Sündenkonzeption1).

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In einer wichtigen Hinsicht stand die israelitische Ethik, bei allen Anklängen im einzelnen, im Gegensatz zur ägyptischen und ebenso zur mesopotamischen: in der relativ weitgehenden rationalen Systematisierung. Denn dafür allerdings kann schon die bloße Existenz des ethischen Dekalogs und anderer ähnlicher Gebilde im Gegensatz zu den ganz unsystematischen Sündenregistern in Aegypten und Babylon als ein Merkmal angesehen werden. Aus keinem dieser beiden Kulturgebiete ist ferner irgend etwas überliefert, was einer systematischen religiös - ethischen Paränese von der Art des Deuteronomium gleich käme oder auch nur ähnlich wäre. Soweit bekannt, gab es neben lehrhafter Lebensweisheit und dem esoterischen Totenbuch in Aegypten, und neben Sammlungen magisch wirksamer Hymnen und Formeln, welche auch ethische Bestandteile enthalten, in Babylonien keine einheitlich zusammengefaßte religiös fundamentierte Ethik, wie sie schon im vorexilischen Israel existierte. Dort war sie das Produkt der durch zahlreiche Generationen fortgesetzten ethischen Thora der Leviten und, wie noch auseinanderzusetzen, der Prophetie. Die Prophetie wirkte nicht sowohl auf den Inhalt - den sie vielmehr als gegeben hinnahm - als auf die Herstellung der systematischen Einheitlichkeit durch Beziehung des Gesamtlebens des Volks und aller einzelnen auf die Innehaltung von Jahwes positiven Geboten. Sie eliminierte ferner die Vorherrschaft des Rituellen zugunsten des Ethischen. Die levitische Thora ihrerseits prägte dabei den Inhalt der ethischen Gebote. Beide gemeinsam aber gaben der Ethik den zugleich plebejischen und rational systematischen Charakter.

Ein charakteristischer Bestandteil der altisraelitischen Ethik, der ihr mit andern gemeinsam ist, bedarf noch eines etwas näheren Eingehens. Die oben besprochenen ethischen Vorschriften zeigen zum Teil jenes sehr ausgeprägt karitative Gepräge, wie es der heute vorliegenden Redaktion der Thora überhaupt eignet. Dahin gehören vor allem die zahlreichen Bestimmungen zugunsten der Armen, Metöken, Witwen, Waisen, wie sie schon in den älteren Sammlungen, namentlich aber im Deuteronomium sich finden, dessen Gott ein unbestechlicher, die Person nicht

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ansehender Richter ist, welcher jenen Schwachen „ihr Recht schafft“ (Deut. 10, 16). Die Schuldknechtschaftsbestimmungen des formalen Rechts wurden, wie wir sahen, von der Paränese durch weitgehende Bestimmungen über Lohnzahlung, Schulderlaß, Pfändungsschranken und allgemeine Karitätsbestimmungen ergänzt. „Den Armen die Hand aufzutun“ (Deut. 15, 11), dem Elenden, Armen, Beraubten (Jerem. 22, 16), dem Unterdrückten (Jes. 1, 17) zu helfen, sind wohl die allgemeinsten Formulierungen dieser Pflichten, in deren Umkreis auch die früher besprochenen Nachlese- und Brachjahrsbestimmungen eingegliedert erscheinen. Die Quellen lassen die stetig zunehmende Bedeutung dieser Bestandteile der Paränese mit steigender hierokratischer Beeinflussung der ursprünglich keineswegs besonders sentimentalen israelitischen Ethik erkennen. Woher stammt dieser Zug ?

Die beiden klassischen Gebiete der Entwicklung der Karität waren: Indien einerseits, Aegypten andererseits. In Indien waren vor allem Jainismus und Buddhismus die Träger. Ganz allgemein aber das durch den Samsaraglauben wesentlich verstärkte Gefühl der Einheit alles Lebendigen. Wir sahen nun, daß die indische Karität, wie sie auch in den Dekalogen der Buddhisten Ausdruck fand, sehr bald ein formales und fast rein rituelles Wesen annahm. In Aegypten war die Karität sehr stark durch die bürokratische Struktur des Staates und der Wirtschaft mitbedingt. Die Könige des „Alten“ und „Neuen“ und die Feudal-fürsten des „Mittleren“ Reichs waren Fronherren und als solche interessiert an Schonung der Arbeitskraft von Mensch und Tier, die sie gegen die achtlose Roheit der Beamten zu schützen suchten. Deutlich tritt in den ägyptischen Quellen hervor, wie stark dies bei der Entwicklung des Armenschutzes mitsprach1). Die Beamten, welche dem König für den ökonomischen und populationistischen Zustand des Landes verantwortlich und außerdem der jederzeit und wie es scheint unmittelbar an den König zulässigen Beschwerde der Untertanen ausgesetzt waren, rühmen sich in den Inschriften schon des Alten Reichs: daß sie in Hungersnot geholfen, niemanden seine Felder fortgenommen, nicht die Untergebenen anderer Beamter mißbraucht, niemals einen Streit unredlich geschlichtet, niemandem seine Tochter fortgenommen oder vergewaltigt, kein Eigentum verletzt, die Witwen nicht bedrückt, oder: daß

M a x W e b e r, Religionssoziologie III.

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sie den Hungrigen gespeist, den Nackten gekleidet, Leute, die kein Boot hatten, über den Strom gesetzt, die Ställe ihrer Untergebenen mit Vieh gefüllt haben1). Ueberall sieht man, daß es sich dabei um die Bevölkerung des dem Beamten vom Pharao anvertrauten Verwaltungsbezirks handelt. Ganz allgemein drücken die Beamten sich auch so aus: daß sie „niemals jemanden etwas Böses zugefügt“, vielmehr getan hätten, „was allen gefiel“. Verdacht und Verpönung des Geschenknehmens der Richter ist bei den ägyptischen religiösen Dichtern und Moralisten fast so allgemein wie bei den israelitischen Propheten. Die Angst vor dem König, der ja schließlich - wie der Zar in Rußland - weit fort war, wurde dabei ergänzt durch die Angst vor Beschwerden bei einer anderen Instanz: den Göttern. Niemand, sagt ein Monarch aus der Zeit der fünften Dynastie, habe er geschädigt, so daß er sich „beim Stadtgott beklagt hätte“. Der Fluch des Armen wurde gefürchtet, unmittelbar wegen des möglichen Eingreifens des Gottes, mittelbar wegen der Gefährdung des für die ägyptische Vorstellung so überaus wichtigen guten Namens bei der Nachwelt. Der Glaube an die magische Wirksamkeit eines auf wirkliches Unrecht gegründeten Fluchs war in Vorderasien offenbar allgemein: dies „demokratische Machtmittel“ stand also auch dem Letzten und Aermsten zu Gebote. Die ägyptischen Beamten verfehlen daher nicht zu betonen, daß das Volk sie „liebte“, weil sie taten, was ihm gefiel. Zwar irgendeine Verantwortung der Großen gegenüber dem Volk ist der ägyptischen Vorstellung womöglich noch fremder, als der israelitischen. Aber ein Mann wird „wie Gott“ sein, wenn seine Arbeiter ihm Vertrauen schenken. Denjenigen dagegen, der „wie ein Krokodil“ gegen sie verfährt, trifft der Fluch. Die vornehme Schreiberethik des Ptahotep betont daher, daß die Uebung der Karität vergolten werde durch die Beständigkeit der eigenen Stellung (ursprünglich wohl: von Pharao, dann von Gott). Die Denksteine der kleinen Leute (Handwerker) des 13. und 12. Jahrhunderts selbst aber getrösten sich der Hoffnung, daß Ammon auf die Stimme des „betrübten Armen“ (im Gegensatz zum „frechen“ großen Mann, Krieger, Beamten)

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zu hören pflege. Denn Gott leitet und schützt alle seine Geschöpfe, auch Fische und Vögel1).

Ganz ebenso wie die Beamten verhalten sich die Könige. Nicht nur die ägyptischen, sondern ebenso alle dem vorderasiatischen Kulturkreis angehörigen. Und zwar schon seit der frühesten monumental zugänglichen Zeit. Neben allerhand Freveln gegen göttliches Eigentum und die Staatsordnung ist es die harte Bedrückung der ökonomisch Schwachen, welche nach Urukagina seinen Vorgängern Gottes Zorn zugezogen hat und seine eigene Usurpation legitimiert. In diesem Fall eines Stadtkönigtums waren es die Härten des Uebergangs zur Geldwirtschaft: Verschuldung und Versklavung, die, wie in Israel, gemeint sind. Die Usurpatoren regieren, wie wir bei Abimelech sahen, überall mit dem Demos gegen die großen Sippen. In Aegypten und den späteren mesopotamischen Großkönigtümern ist es die übliche patrimonial - bürokratische Wohlfahrts-staatslegende, welche den Charakter der formelhaft gewordenen Königskarität prägt. Ramses IV. rühmt sich, keine Waise und keinen Armen geschädigt und niemanden seinen Erbbesitz genommen zu haben. Nebukadnezar spricht sich ähnlich aus. Kyros vermutet, daß die übermäßige Belastung des babylonischen Volks durch Nabunahid Gottes Zorn über diesen König verursacht habe und Darius in der Behistun - Inschrift stellt sich ganz ebenso auf den Boden königlicher Wohlfahrts- und Schutzpolitik für die Schwachen. Diese war also Gemeingut aller orientalischen Patrimonialstaaten, wie der meisten derartigen Monarchien überhaupt. In unmittelbarer Nachbarschaft Israels und hier wohl unter ägyptischem Einfluß zeigt eine phönikische Königsinschrift (die älteste phönikische Inschrift, welche bisher existiert) ganz die gleichen Züge1). Von da werden den Schreibern der Könige Israels vermutlich diese schließlich wohl überall formelhaft erstarrten, aber deshalb doch nicht notwendig wirkungslosen Maximen zugetragen worden sein.

Diese aus der patrimonialen Wohlfahrtspolitik und ihrer

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Projektion in das himmlische Weltregiment erwachsene Karitätsethik wurde in Aegypten anscheinend zuerst von den kleinen Patrimonialfürsten und Feudalherren des Mittleren Reichs aus den von jeher vorhandenen Ansätzen heraus ganz bewußt entwickelt, und dann später von den Schreibern. Priestern und priesterlich beeinflußten Moralisten, dem allgemeinen Typus der hierokratischen Sozialpolitik entsprechend, systematisiert. An der Spitze aller näher spezialisierten Versicherungen, welche im 125. Kapitel des Totenbuchs der Tote im „Saal der Wahrheit“ abzugeben hat, steht die Erklärung: Niemand über sein festgesetztes Maß zur Arbeit genötigt zu haben (E 5). Die Herkunft aus der Fronstaatsverwaltung ist offenbar. Dann folgen die Versicherungen: niemand in Furcht, Armut, Leiden, Unglück, Hunger, Trauer gebracht, nicht die Mißhandlung eines Sklaven durch seinen Herrn verursacht (E 6), keinem Säugling die Milch verkürzt, das Vieh nicht mißhandelt (E 9) und keinem Kranken Böses getan zu haben (B 26). Am Schluß des ganzen Bekenntnisses aber (B 38) findet sich die Versicherung: Gott durch die eigene „Karität“ (mer) sich verbunden, „dem Hungrigen Brot, dem Durstigen Wasser, dem Nackten Kleider, dem, der des Kahns ermangelte, einen solchen gegeben zu haben“. In Verbindung mit dem schon erwähnten ethischen Verbot, einem anderen Schmerz zuzufügen, oder Angst einzujagen, dem Nächsten überhaupt Böses zu tun und mit der in der ägyptischen Ethik auftauchenden, aber allerdings bestrittenen, Vorschrift, auch dem Feinde Gutes zu erzeigen, bedeuten diese Gebote rein inhaltlich angesehen, eine weitgehende Vorwegnahme der Karität der christlichen Evangelien.

Die altisraelitische Karität ist in ihrer Entwicklung vermutlich, sei es direkt, sei es auf dem Wege über Phönizien, von Aegypten her beeinflußt worden. Am stärksten in deuteronomischer Zeit. Daß Jahwe den Schwachen als solchen (die Frau gegen den Mann, die Kebse gegen die Frau, den verstoßenen Sohn) schützt, ist allerdings eine Ueberzeugung schon der vordeuteronomischen Epoche (Gen. 16, 5. 7; 21, 14; I. Sam. 24, 13). Sie findet sich beim Jahwisten wie beim Elohisten und hatte religiös die gleiche Grundlage wie die ägyptische: der Arme und Bedrückte „schreit zu Jahwe“ (Deut. 24, 15) und dieser als der himmlische König kann dann Rache an dem Bedrücker nehmen. Die in der israelitischen Exilsethik herrschend gewordene Vorstellung:

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daß das Erdulden des Drucks das richtige, weil die Rache des Gottes am sichersten herbeiführende Verhalten sei, fand damals in der sozialen Ohnmacht der bedrückten Klassen ihren Grund, geht aber wohl auf die alte Bedeutung des bei den Nachfahren gesegneten Namens zurück. Denn es wird, entsprechend der Wirkung des Fluches, umgekehrt der Segen des Armen, gegen den man sich den Karitätsgeboten entsprechend verhält, von Jahwe „zur Gerechtigkeit gerechnet“ (Deut. 24, 13). Die Paränese der Leviten, die von ihnen beeinflußte Sichemitische Fluchformel und die dem Bundesbuch angehängten Debarim, dann das Deuteronomium und die Priestergesetzgebung entwickelten die Karität immer systematischer weiter. In den materiellen Anforderungen weicht die israelitische Karität, bei zahlreichen augenfälligen und schwerlich zufälligen Aehnlichkeiten, vor allem in der allgemeinen Temperierung ab. Nicht eine priesterlich beeinflußte Patrimonialbürokratie, sondern eine priesterlich beeinflußte Gemeinschaft freier Sippen von Bauern und Hirten war ihr Träger, mochte vielleicht auch die Wohlfahrtsstaats - Ethik frommer Könige nach ausländischem Beispiel sie zuerst im Munde geführt haben. Natürlich kommen auch in Israel Bedrückungen durch die königlichen Beamten nach ägyptischer Art vor. Und auch - was offiziell in Aegypten unmöglich ist - durch den König selbst. Dagegen lassen die Priester in ihrer paradigmatischen Redaktion Jahwe durch das von den Propheten verkündete Unheil reagieren. Aber in erster Linie war doch die Bedrückung nicht durch eine Bürokratie, sondern durch einen städtischen Patriziat das zu bekämpfende Uebel und die Verhältnisse waren weit einfacher. Die gesinnungsethische Sublimierung der Karität geht daher in der vorexilischen Ethik nur teilweise so weit wie in Aegypten, während andererseits die Einzelvorschriften mehr dem patriarchalen Hausgemeinschaft- und Nachbarschaftscharakter der Beziehungen entsprechen, als die Abstraktionen der ägyptischen Schreiber. Erst die pazifistisch und städtisch gewordene Epoche der Thora unmittelbar vor und im Exil brachte die Abstraktionen des Heiligkeitsgesetzes. So das Verbot: statt offener Aussprache Haß und Rachgier gegen den „Nächsten“, d. h. (Lev. 19, 18) gegen die Kinder des eigenen Volks (und, nach 19, 34, auch den ger) im Herzen zu tragen md in Verbindung damit den prinzipiellen Satz: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Lev. 19, 18). Diese Verpönung der

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Rachgier könnte als Rückschlag der levitischen Paränese gegen die den (politischen) Rachedurst stark fördernden Verheißungen mancher Propheten erscheinen. Die Vorschrift der Nächstenliebe gegen die Volksgenossen zeigt indessen schon durch den einschärfenden Zusatz: „Denn ich bin der Herr“, daß es sich auch hier um die häufig wiederholte Vorschrift handelte: die Rache Gott anheimzustellen, dessen Sache sie sei (Deut. 32, 35) und der sie, wie man hoffen durfte, dann um so gründlicher vollbringen werde. Dieses Gottanheimstellen der Rache, welches also keine eigentlich ethische Bedeutung hat, ist ganz aus dem Empfindungskreis plebejischer und zwar politisch ohnmächtiger Schichten geboren. Als Paradigma für die dadurch um so befriedigender gestaltete Rache wurde offenbar die Geschichte von David und Nabal (I. Sam. 25, 24. 29) komponiert. Für die Thoralehrer war der Vorbehalt der Rache für Gott die naturgemäße ethische Parallele der Beseitigung der Blutrache auf rechtlichem Gebiete und das positive Gebot der „Liebe“ des Nächsten eine Uebertragung der Grundsätze der alten Sippenbrüderlichkeit auf den Glaubensbruder. Erst die rabbinische Deutung hat aus ihr die positive Vorschrift gemacht: daß man den Nächsten auch rein innerlich nicht hassen und mit Rachewünschen verfolgen dürfe, ohne doch in der Praxis selbst des eignen Empfindens damit vollen Erfolg zu haben1).

Neben den Schutz der Armen tritt auch in der israelitischen - wie gelegentlich in der ägyptischen - Karität der Schutz der mit Krankheiten und vor allem der mit Gebrechen Behafteten. Man soll ihnen nicht fluchen und Blinden nichts in den Weg legen oder sie irreführen (Lev. 19, 14). Einem Verirrten den Weg zu weisen und Kranken nichts Böses zu tun schrieb auch die ägyptische Karität vor, die sich sonst mit jenen Bresthaften nicht näher befaßte. Die Abwehr von Gebrechen, Krankheit und ähnlichem Elend pflegte die Heilsprophetie der Großkönige dem regierenden Monarchen zuzurechnen. Darin bewährte er sein Charisma. Der eigentümliche Spruch für David (2. Sam. 5, 68) bei der Einnahme von Jerusalem hängt wohl mit der gleichen Vorstellung von dir Wundermacht des Regiments eines charis-

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matisch qualifizierten Herrschers zusammen. In der levitischen Thora ist der Grund des Bresthaftenschutzes aber darin zu finden, daß sie zu den vornehmlichsten Beichtkindern der Leviten gehörten und die Erfahrung von ihrer Frömmigkeit zu häufig war, um die alte magische Vorstellung: daß der Kranke persönlich ein wegen Frevel Gottverhaßter sei, unbedingt aufrechtzuerhalten. Er konnte für die Sünden seiner Vorfahren leiden müssen und bei Tauben und Blinden vermochte die Annahme, daß sie unter einem geheimnisvollen göttlichen Walten stehen, leicht die Vorstellung zu erzeugen: daß sie auch über Kräfte verfügen, die anderen abgehen, wie dies die weite Verbreitung der Schätzung der Blinden erkennen läßt. Ihre Verletzung schien jedenfalls geeignet, den Zorn des Gottes zu reizen.

Endlich finden sich im Deuteronomium eine Anzahl Tierschutzbestimmungen wie die zum Schutz der Vogelmutter (22, 6. 7) und das berühmte Verbot (25, 4), dem dreschenden Ochsen das Maul zu verbinden, - während auf den römischen Plantagen die Sklaven am Mühlstein einen Maulkorb trugen. Die Wertung des Sabbats als eines Ruhetags auch für das Vieh und des Sabbatjahrs als Gelegenheit für die Tiere, sich frei zu nähren, tritt hinzu. Inwieweit diese Theologumena wesentlich mit dem in ganz Vorderasien verbreiteten Glauben vom einstmaligen und für künftig wiedererhofften Paradiesesfrieden zwischen Mensch und Tier oder etwa auch mit irgendeinem vielleicht aus Ackerbaukulten örtlich erwachsenen alten rituellen Vegetarismus zusammenhängen oder einfach als Konsequenz des Liebesgebots entstanden sind, lassen die israelitischen Quellen unerkennbar. Bileams sprechender Esel ist einfach ein volkstümliches Fabeltier, wie es sich sonst auch findet (so in dem prophetischen Lamm unter Bokchoris in Aegypten). In Aegypten beruhte das Verbot der Mißhandlung des Viehs ursprünglich wohl auf dem Interesse des Königs an seiner Arbeitsfähigkeit. Bei Ramses II. findet sich das charakteristische Versprechen an die Pferde, welche ihn aus der Schlacht von Kadesch gerettet hatten, daß sie fortan im Palast in seiner Gegenwart gefüttert werden sollen, ganz ebenso wie er seinen Arbeitern die richtige Leistung ihrer Gebührnisse verspricht: ein Ausfluß der typischen Beziehung des Reiters oder Stallherren zu seinen Tieren. Der priesterlich systematisierte, volkstümliche Tierkult und die Fähigkeit der Totenseelen, in Tiergestalten einzugehen, war wohl nicht

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Quelle der tierfreundlichen Gesinnung, aber diese Konzeptionen beförderten naturgemäß die Tierkarität. In Israel ist die Sabbatruhe für das Vieh, wie für die Sklaven, wie ihr Fehlen in der Legende 2. Kön. 4, 23 ergibt, erst Produkt der spätköniglichen, vermutlich der deuteronomischen Zeit. Die Tierfreundlichkeit überhaupt war möglicherweise wenigstens in ihrer allgemeinen Richtung ägyptisch beeinflußt.

Alles in allem ist eine Beeinflussung der israelitischen Ethik und Karität in der späten vorexilischen Zeit durch das Beispiel der großen Kulturgebiete in vielen Einzelheiten nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern namentlich von Aegypten her, direkt und auf dem Wege über Phönizien, recht wahrscheinlich. Die entscheidenden Züge dieser Art von Karität haben sich freilich auch ohne Entlehnung überall da herausgebildet, wo eine hinlängliche Stärke der priester-lichen Interessen an ihren mit Gebrechen oder Unglück behafteten Kunden eine Rationalisierung der Fürsorge für die Schwachen als solche bedingte. Immerhin hat die israelitische Thora die Gebote auch da, wo die Annahme einer Beeinflussung naheliegt, selbständig abgewandelt.

Weit wichtiger als alle Einzelabweichungen ist aber der schon betonte prinzipielle Sachverhalt: die Abwesenheit magischer Surrogate für die Erfüllung der Gebote. Die ägyptische Priesterlehre beispielsweise mochte ethische oder karitative Gebote aufstellen, welches Inhalts immer, - was konnte sie ihnen für Nachdruck geben, wenn es ganz einfache magische Mittel gab, um den Toten zu befähigen, im entscheidenden Augenblick vor dem Totenrichter seine Sünden zu verhehlen ? Und das war der Fall. Der Bitte an das eigene Herz im Totenbuch (Kap. 30, L. 1), nicht gegen den Toten zu zeugen, wurde später durch Mitgabe eines geweihten Skarabäus Nachdruck gegeben, welcher das Herz befähigte, der Zaubergewalt der Totenrichter zu widerstehen und die Sünden zu verschweigen. Die Götter wurden also überlistet. Nicht ebenso kraß lag es in Babylon. Immerhin war auch dort in neubabylonischer Zeit Magie aller Art das spezifische und populäre Einwirkungsmittel auf die unsichtbaren Gewalten. Mit zunehmender Rationalisierung der Kultur hatte zwar die Sündenstimmung seinerzeit auch in Mesopotamien namentlich unter der pazifistischen bürgerlichen Bevölkerung zugenommen. Aber die stimmungsvollen sumerischen und altbabylonischen Bußpsalmen sind später als rein

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magische Formeln und oft ohne Rücksicht auf den Sinngehalt verwendet worden, nachdem an die Stelle der großen Götter im Volksglauben die bösen Geister als Urheber des Uebels getreten waren. Im alten Jahwismus dagegen fehlte diese Art von Magie und war schon deshalb die Bedeutung der einmal als verbindlich geltenden ethischen Gebote notwendig wesentlich realer. Dies hatte außer in der andersartigen Wendung des Theodizeeproblems wiederum in dem uns schon oft begegneten Umstand seinen Grund: daß in Isarael als in einem Verband freier Volksgenossen, welche aus der berith solidarisch für die Innehaltung der Gebote des Bundesgottes hafteten, alle Einzelnen die Rache zu fürchten hatten, wenn sie die Verletzungen seiner Gebote in ihrer Mitte duldeten. Ausstoßung des mit dem Gott unversöhnten Sünders, Bannung und Steinigung waren daher die Mittel, mit welchen hier gegen die Sünde reagiert wurde. Die Vollstreckung der Todesstrafe ohne Gnade war an gewissen schweren Sündern Pflicht, weil das einzige Mittel der Entsühnung der Gemeinschaft als solcher. Dies Motiv fiel in bürokratischen Monarchien und vollends bei Vorhandensein von Berufsmagiern gänzlich fort. Es findet seine Analogie an der Haftung der altchristlichen und der puritanischen Abendmahlsgemeinde für die Entfernung jedes offensichtlich Verworfenen vom Tisch des Herrn im Gegensatz zum Katholizismus, Anglikanismus und Luthertum. Die spezifisch ethische Wendung der Levitenthora mußte unter dem stetigen Druck dieses Interesses immer stärkeren Rückhalt gewinnen. Die Stellung der Leviten selbst aber entstammte ihrem Verhältnis zu ihrer Privatkundschaft. Zu alledem hatte die Stiftung der alten berith durch Mose und die Uebernahme der Orakelfunktion den ersten Anstoß gegeben. Insofern also gilt Mose tatsächlich mit Recht als Urheber dieser wichtigen ethischen Entwicklung. Andererseits aber wäre die Entfaltung der israelitischen Religiosität zu dem gegen alle Zersetzung von außen her widerstandsfähigen Gebilde, als welches sie durch die Geschichte gegangen ist, unmöglich gewesen ohne das Eingreifen jener schon mehrfach gestreiften eigenartigsten und folgenschwersten Erscheinung, die sie hervorgebracht hat: der Prophetie. Ihr müssen wir uns jetzt zuwenden.

II. Die Entstehung des jüdischen Pariavolkes. [281]



II.


II. Die Entstehung des jüdischen Pariavolkes. Die vorexilische Prophetie. Politische Orientierung der vorexilischen Prophetie. S. 282. - Psychologische und soziologische Eigenart der Schriftpropheten. S. 292. - Ethik und Theodizee der Propheten. S. 314. - Eschatologie und Propheten. S. 336. - Die Entwicklung der rituellen Absonderung und der Dualismus der Innen- und Außenmoral. S. 351. - Das Exil. Hesekiel und Deuterojesaja. S. 379. - Die Priester und die konfessionelle Restauration nach dem Exil. S. 397.



Nach jener Pause in der Eroberungspolitik der Großstaaten, welche das Entstehen des israelitischen Bundes ermöglichte, begannen seit dem 9. Jahrhundert die mesopotamischen Großkönige und später auch Aegypten ihre Expansionspolitik von neuem. Syrien wurde nun einer der Schauplätze bisher unerhörter kriegerischer Ereignisse. Eine so furchtbare Kriegsführung, wie namentlich die der Assyrerkönige, war in diesen Dimensionen noch nie erlebt worden. Die Keilinschriften dampfen von Blut. Der König berichtet im Ton trockener Protokolle von den Mauern eroberter Städte, die er mit abgezogenen Menschenhäuten überspannt habe. Die wahnsinnige Angst vor diesen erbarmungslosen Eroberern spricht aus der erhaltenen israelitischen Literatur der Zeit, vor allem auch aus den Orakeln der klassischen Prophetie, welche mit steigender Verdüsterung des politischen Horizonts ihren typischen Charakter annahm.

Die vorexilischen Propheten1) von Amos bis Jeremia und Hesekiel waren, mit den Augen der außenstehenden

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Zeitgenossen angesehen, vor allem: politische Demagogen und, gelegentlich, Pamphletisten1). Das kann zwar sehr mißverstanden werden. Richtig verstanden aber ist es eine unentbehrliche Erkenntnis. Es bedeutet zunächst: Sie sprachen. Schriftstellernde Propheten kennt erst das Exil. Und zwar sprachen sie öffentlich zum Publikum. Ferner heißt es: Sie hätten weder ohne die Weltpolitik der die Heimat bedrohenden Großmächte - von der die Mehrzahl ihrer eindrucksvollsten Orakel handeln -, noch auch andererseits auf dem eigenen Boden dieser Großmächte selbst entstehen können. Und dies hatte eben seinen Grund darin, daß auf deren Boden eine „Demagogie“ unmöglich war. Gewiß läßt auch der assyrische, babylonische, persische Großkönig, wie jeder antike und wie auch der israelitische Herr, sich durch Orakel in seinen politischen Entschlüssen bestimmen oder doch den Zeitpunkt und die Einzelheiten seiner Maßregeln dadurch festlegen. Der babylonische König z. B. fragt vor jeder Ernennung eines hohen Beamten bei den Orakelpriestern nach dessen Qualifikation. Indessen: das war eine höfische Angelegenheit. Nicht auf den Gassen und nicht zum Volk sprach dort der politische Prophet. Dafür waren weder die politischen Vorbedingungen gegeben noch wäre es gestattet worden. Es liegen Anzeichen vor und es entspricht den Verhältnissen der bürokratischen Staaten, daß die öffentliche Prophetie dort ausdrücklich verboten war. Insbesondere galt dies für die jüdische Exilzeit, wo scharfe Repressionen durch Andeutungen der Quellen wahrscheinlich gemacht werden. Eine im Sinn der klassischen Zeit politische Prophetie ist in Vorderasien und Aegypten wenigstens bisher ganz unbekannt. Anders in Israel und vor allem im Stadtstaat Jerusalem.

Die alte politische Prophetie der Bundeszeit hatte sich an die Gesamtheit der Eidgenossen gewendet. Sie war aber eine Gelegenheitserscheinung. Eine feste gemeinsame Orakelstätte wie Dodona oder Delphoi hatte die Eidgenossenschaft nicht gekannt. Das priesterliche Losorakel, die einzige als klassisch geltende Form der Befragung des Gottes, war technisch primitiv.

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Mit der Königsherrschaft fiel die freie Kriegsprophetie dahin, und schwand das Bundesorakel an Bedeutung gegenüber den Hofpropheten. Erst mit dem Steigen der äußeren Gefährdung des Landes und der Königsmacht entfaltete sich die freie Prophetie. Elia war dem König und seinen Propheten nach der Tradition öffentlich entgegengetreten; aber er hatte landflüchtig werden müssen. Ebenso noch Amos unter Jerobeam II. Unter starken oder durch Anlehnung an eine Großmacht gesicherten Regierungen, z. B. in Juda unter Manasse, schwieg noch nach Jesajas Auftreten die Prophetie oder vielmehr: wurde sie zum Schweigen gebracht. Mit sinkendem Prestige der Könige und steigender Bedrohung des Landes stieg ihre Bedeutung wieder. Zugleich rückte der Schauplatz ihres Wirkens immer mehr nach Jerusalem. Von den ersten Propheten trat Amos an der Kultstätte in Bethel auf, Hosea im Nordreich. Schon für Jesaja ist aber Weideland und Oede identisch (5, 17; 17, 2. 22 f.): er ist ganz und gar Jerusalemiter. Der Ort seines Auftretens scheint mit Vorliebe der öffentliche Tempelhof gewesen zu sein. Dem Jeremia endlich befiehlt Jahwe: „Gehe auf die Gassen von Jerusalem und rede öffentlich.“ In Zeiten der Not kommt es vor, daß ein König, wie Zedekia, heimlich um ein Gotteswort zum Propheten sendet. Aber in aller Regel tritt der Prophet auch dem König und seiner Familie öffentlich, persönlich auf der Straße oder durch öffentlich gesprochenes oder - ausnahmsweise - einem Jünger diktiertes1) und dann verbreitetes Wort gegenüber. Es kommt vor, daß einzelne oder auch Deputationen der Aeltesten vom Propheten Orakel erbitten und erhalten (auch von Jeremia: 21, 2 f.; 37, 3.; 38, 14; 42, 1 f .). Ersichtlich weit häufiger aber: daß er von sich aus, d. h. unter einer spontanen Eingebung, auf dem Markt zum Publikum spricht oder auch zu den Aeltesten am Tor. Denn der Prophet deutet zwar auch das Schicksal einzelner. Aber in aller Regel nur das von politisch wichtigen Personen. Und weit überwiegend befaßt er sich mit dem Schicksal des Staates und Volkes. Und zwar immer in der Form emotionaler Invektiven gegen die Machthaber. Der „Demagoge“ taucht hier zum erstenmal geschichtlich beglaubigt auf, etwa

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in der gleichen Zeit, wo die homerischen Gesänge die Figur des Thersites prägten. Aber in der frühhellenischen Polis verläuft die Versammlung der Notablen, bei der das Volk in aller Regel höchstens zuhört und durch Akklamation mitwirkt, wie dies in Ithaka geschildert wird, in geordneter Rede und Gegenrede und wird das Wort durch Ueberreichung des Stabes erteilt. Der Demagoge der perikleischen Zeit andererseits ist ein weltlicher, den Demos durch seinen persönlichen Einfluß leitender Politiker, welcher in der staatlich geordneten souveränen Eklesia spricht. Die homerische Zeit kennt die Befragung des Sehers inmitten der Versammlung der Ritterschaft. Später ist das verfallen. Gestalten wie Tyrtäos und die solonische dichterische Kriegsdemagogie zur Eroberung von Salamis erinnern wohl am ehesten an die alte freie politische Prophetie der israelitischen Eidgenossenschaft. Aber die Gestalt des Tyrtäos ist mit der Entwicklung des disziplinierten spartanischen Hoplitenheeres verwachsen, und Solon war bei aller Frömmigkeit ein rein weltlicher Politiker mit lichtem und klarem, das Wissen von der Unsicherheit des Menschenloses mit dem sicheren Glauben an den Wert des eigenen Volkes verbindenden, im Innersten „rationalistischen“ Geiste und dem Temperament des Predigers vornehmer und dabei frommer Sitte. Weit eher ist die orphische Religiosität und Prophetie der israelitischen verwandt. Mit diesen plebejischen Theologen suchte die plebejerfreundliche Tyrannis, vor allem die der Peisistratiden, Verbindung. Ebenso gelegentlich die Politik der Perser in der Zeit der Unterwerfungsversuche. „Chresmologen“, wandernde Orakelgeber, und weissagende Mystagogen aller Art, durchzogen im 6. und in der ersten Zeit des 5. Jahrhunderts Griechenland, von Privaten sowohl wie von Politikern, namentlich Exulanten, gegen Lohn konsultiert. Dagegen ist nichts davon bekannt, daß jemals eine religiöse Demagogie nach Art der israelitischen Propheten in die Politik der hellenischen Staaten eingegriffen hätte. Pythagoras und seine Sekte, deren politischer Einfluß sehr beträchtlich war, wirkten als Seelendirektoren des unteritalischen Stadtadels, nicht als Propheten der Gasse. Die vornehmen Weisheitslehrer von der Art des Thales verkündeten nicht nur Sonnenfinsternisse und spendeten Klugheitsregeln, sondern griffen sämtlich in die Politik ihrer Städte ein, teilweise in leitender Stellung. Aber ihnen fehlte die Ekstatikerqualität. Ebenso Platon und der Akademie

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deren - letztlich utopische - Staatsethik auf die Entwicklung des Schicksals (und Zerfalls) des syrakusanischen Reiches von großem Einfluß war. Die ekstatische politische Prophetie aber blieb hierokratisch organisiert in den offiziellen Orakelstätten, welche auf die offiziellen Fragen der Bürgerschaften in geschmeidigen Versen Antwort gaben. Die feste militärische Ordnung der Städte lehnte die freie emotionale Prophetie ab. - Dagegen führt in Jerusalem eine rein religiöse Demagogie das Wort, deren Orakel finstere Geschicke der Zukunft blitzartig aus düsterer Schwüle aufleuchten lassen, welche autoritär auftritt und jede geordnete Verhandlung meidet. Der Prophet war formell reiner Privatmann. Aber um deswillen war er natürlich keineswegs eine den offiziellen politischen Gewalten gleichgültige Figur.

Vornehme, im Königsdienst stehende Bürger sind es, die Jeremias gesammelte Orakel vor den Staatsrat und den König bringen; denn jedes solche Orakel war ein staatlich wichtiges Vorkommnis. Nicht etwa nur, weil es die Stimmung der Masse beeinflußte. Sondern auch, weil es ganz unmittelbar magisch, als Bannwort, böses oder gutes Omen den Gang der Ereignisse beeinflussen konnte. Angstvoll, zornig oder gleichgültig, je nach der Lage, stehen die Gewalthaber diesen mächtigen Demagogen gegenüber. Bald suchen sie, sie in ihren Dienst zu ziehen, bald handeln sie wie König Jojakim, der, in seinem Wintersöller sitzend, mit ostensibler Gelassenheit Blatt für Blatt jener gesammelten Unheilsorakel, welche die Hofbeamten ihm vorlesen, ins Herdfeuer wirft, bald schreiten sie gegen sie ein. Unter starken Regierungen war die Prophetie verboten, wie unter Jerobeam II. die Klage des Amos darüber zeigt. Wenn dieser Prophet Gottes Zorn über Israel verkündigt, weil man das Prophezeien zu unterdrücken versuche, so war das etwa das gleiche, wie wenn ein moderner Demagoge Preßfreiheit verlangt. Tatsächlich war auch das Prophetenwort nicht auf mündliche Mitteilung beschränkt. Bei Jeremia tritt es als offener Brief auf. Oder Freunde und Jünger des Propheten zeichnen das gesprochene Wort auf und es wird zur politischen Flugschrift. Später, oder gelegentlich (wie ebenfalls bei Jeremia) schon gleichzeitig, werden diese Blätter gesammelt und revidiert: die früheste unmittelbar aktuelle politische Pamphletliteratur, die wir kennen.

Diesem Charakter und der ganzen Situation entspricht nun auch die Form und Tonart der vorexilischen Propheten. Alles ist

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auf aktuelle demagogische Wirkung, in aller Regel von Mund zu Mund, berechnet. Die Gegner der Propheten werden bei Micha redend eingeführt. Sie werden ganz persönlich bekämpft und an den Pranger gestellt, und wir hören sehr oft von tätlichen Konflikten. Alle Maßlosigkeit und die rasendste Leidenschaft der Parteikämpfe etwa in Athen oder Florenz wird erreicht und zuweilen überboten durch das, was wir in den Zornreden und Orakelflugblättern besonders des Jeremia an Flüchen, Drohungen, persönlichen Invektiven, Verzweiflung, Zorn und Rachedurst finden. Unsauberer persönlicher Lebenswandel wird den Gegenpropheten in einem Brief Jeremias an die nach Babylon Fortgeführten nachgeredet (29, 23). Dem Gegenpropheten Chananja bringt Jeremias Fluchweissagung den Tod. Wenn Jahwe seine Drohworte gegen das eigene Volk, die doch er ihm in den Mund gelegt hatte, trotz allen Frevels unerfüllt läßt, so gerät er in Wut und verlangt angesichts des Spottes der Feinde, von seinem Gott, daß er den angekündigten Tag des Unheils nun auch kommen lasse (17, 18), daß er ihn räche an seinen Verfolgern (15, 15), daß er die Schuld der Gegner gegen ihn ohne Sühne bestehen lasse (18, 23), d. h.: künftig um so furchtbarer seiner-seits rächen möge. Er scheint oft förmlich zu schwelgen in der Vorstellung von der Entsetzlichkeit des von ihm angekündigten, sicher kommenden Unheils des eigenen Volks. Aber allerdings auf der andern Seite - und das ist ein Unterschied gegen die Parteidemagogen in Athen und Florenz -: nachdem das Unheil bei Megiddo und später, nachdem die jahrzehntelang angekündigte Katastrophe über Jerusalem hereingebrochen ist: keine Spur von Triumph darüber, daß die Vorhersage recht behalten habe. Und auch nicht wie vorher dumpfe Verzweiflung. Sondern neben schwerer Trauer die Eröffnung von Hoffnung auf Gottes Gnade und bessere Zeiten. Und bei allem wilden Zorn über die Verstocktheit der Hörer läßt er sich durch Jahwes Stimme mahnen: nicht durch unedle Worte das Recht zu verwirken, Jahwes Mund zu sein: er solle edle Worte reden, dann werde Jahwe die Herzen der Menschen ihm zuwenden (15, 19). Zwar ungebändigt durch priesterliche oder ständische Konventionen und gänzlich untemperiert durch irgendwelche, sei es asketische oder kontemplative, Selbstdisziplin entlädt sich die glühende Leidenschaft der Propheten und öffnen sich in ihnen alle Abgründe des Menschenherzens. Und dennoch, trotz aller dieser Menschlichkeiten,

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von denen diese Titanen des heiligen Fluchens wahrlich nicht frei waren, ist es dennoch nicht die eigene Person, sondern die Sache Jahwes, des leidenschaftlichen Gottes, die über all dem wilden Toben souverän gebietet. - Der Leidenschaft des Angriffs entsprach die Reaktion der Angegriffenen. Zahlreiche Verse, namentlich wieder des Jeremia, die gelegentlich wie Ausgeburten von Verfolgungswahn anmuten, schildern, wie die Feinde bald zischeln, bald lachen, bald drohen und höhnen. Und das entsprach den Tatsachen. Auf offener Straße treten die Gegner den Propheten entgegen, beschimpfen sie und schlagen sie ins Gesicht. König Jojakim läßt sich den Unheilspropheten Uria von Aegypten ausliefern und hinrichten, und wenn Jeremia, der wiederholt in Haft genommen und mit dem Tode bedroht wurde, dem entging, dann wesentlich aus Angst vor seiner Zaubermacht. Stets aber schwebt Leben und Ehre der Propheten in Gefahr und lauert die Gegenpartei darauf, sie durch Gewalt, List und Spott, Gegenzauber und Gegenprophetie zu vernichten. Vor allem auch durch Gegenprophetie. Nachdem Jeremia acht Tage lang mit einem Jochbalken auf den Schultern umhergegangen ist, um die Unabwendbarkeit der Unterwerfung unter Nebukad- nezar handgreiflich zu machen, tritt ihm Chananja entgegen, ergreift und zerbricht das Joch, um das böse Omen zu zerstören, vor allem Volk. Worauf Jeremia zunächst betroffen davongeht, dann aber mit einem eisernen Joch wieder erscheint, höhnisch fordernd, daß der Gegner auch an ihm seine, Kraft bewähre und ihm den baldigen Tod verkündend. Diese Propheten sind mitten hineingerissen in einen Strudel von Parteigegensätzen und Interessenkonflikten. Und zwar vor allem: in betreff der auswärtigen Politik. Das konnte nicht anders sein. Um Sein oder Nichtsein des nationalen Staatswesens gegenüber dem Gegensatz der assyrischen Weltmacht auf der einen, der ägyptischen auf der andern Seite handelt es sich. Partei mußte ergriffen werden und niemand, der öffentlich wirkte, kam um die Frage herum: für wen ? so wenig wie Jesus die Frage erspart blieb, ob es recht sei, den Römerzins zu zahlen ? Ob die Propheten wollten oder nicht, sie wirkten tatsächlich im Sinne jeweils einer der sich wütend bekämpfenden innerpolitischen Koterien, welche zugleich jede Träger einer bestimmten Außenpolitik waren, und galten daher als deren Parteigenossen. Nebukadnezar hat nach dem zweiten Fall Jerusalems in seinem Verhalten zu Jeremia

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dem Rechnung getragen, daß der Prophet im Sinn der Lehenstreue seines Königs gewirkt hatte. Wenn wir die Sippe Saphans durch mehrere Generationen die Propheten1) und die deuteronomische Bewegung stützen sehen, so mag dabei recht wohl auch außenpolitisches Parteiinteresse beteiligt gewesen sein. Zu glauben aber, daß politische Parteigängerschaft bei den Propheten selbst: etwa für Assyrien bei Jesaja oder für Babylon bei Jeremia bestimmend für den Inhalt der Orakel gewesen sei, durch welche sie von Bündnissen gegen jene Großmächte abrieten, wäre ein schwerer Irrtum. Unter Sanherib hat derselbe Jesaja2), der vorher in Assur das Werkzeug Jahwes sah, sich im Gegensatz zu der Verzagtheit des Königs und der Großen rücksichtslos gegen den Großkönig und gegen die Kapitulation gewendet. Wie er anfangs die Assyrer als Vollstrecker wohlverdienter Strafe beinahe begrüßte, so verflucht er später dies gottlose, übermütige, unmenschlich grausame, nur auf Macht und Vernichtung anderer ausgehende Königsgeschlecht und Volk und weissagt ihm den Untergang, den dann später, als er eintrat, die Propheten jubelnd begrüßten. Und Jeremia hat zwar unablässig die Unterwerfung unter die Macht Nebukadnezars gepredigt bis zu einem Verhalten, welches wir heute Landesverrat nennen würden: denn was ist es anders, wenn er (21, 9) beim Anmarsch des Feindes denen, die überlaufen und sich ergeben werden, Gnade und Leben in Aussicht stellt und den andern Verderben ? Aber derselbe Jeremia, welcher Nebukadnezar noch in seinem letzten Orakel (aus Aegypten) gelegentlich den „Knecht Gottes“ nennt (43, 10), den der Vertreter des Königs nach der Einnahme Jerusalems beschenkt und nach Babylon läd, hatte dem Reisemarschall des Königs Zedekia für die Fahrt nach Babylon ein Blatt mit einem prophetischen Fluch über diese Stadt mitgegeben, unter der Anweisung, es dort laut zu lesen und dann in den Euphrat zu werfen (Jer. 51, 59 ff.), um durch diesen Zauber die verhaßte Stadt dem Untergang zu weihen. Es zeigt sich in alledem, daß die Propheten zwar der Art ihres Wirkens nach objektiv politische, und zwar vor allem weltpolitische, Demagogen

M a x W e b e r, Religionssoziologie III.

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und Publizisten waren, aber subjektiv nicht politische Parteigänger. Sie waren überhaupt nicht primär an politischen Interessen orientiert. Niemals hat die Prophetie etwas über einen „besten Staat“ ausgesagt (von Hesekiels hierokratischer Konstruktion in der Exilszeit abgesehen), niemals vollends versucht, wie die philosophischen Aisymneten und vollends die Akademie, sozialethisch orientierte politische Ideale durch Beratung von Machthabern in die Realität umsetzen zu helfen. Der Staat und sein Treiben interessierten sie nicht um seiner selbst willen. Vollends war ihre Fragestellung nicht die der Hellenen: wie man ein guter Bürger werde ? Sondern sie war, wie wir sehen werden, ganz und gar religiös, an der Erfüllung von Jahwes Geboten, orientiert. Was gewiß nicht ausschließt, daß wenigstens Jeremia auch die realen Machtverhältnisse seiner Zeit vielleicht bewußt richtiger einschätzte als die Heilpropheten. Nur war nicht dies für seine Haltung entscheidend. Denn diese realen Machtverhältnisse waren eben nur durch Jahwes Willen so gestaltet. Er konnte sie ändern. Jesajas Mahnung zum Ausharren gegen die Angriffe Sanheribs schlug jeder realpolitischen Wahrscheinlichkeit ins Gesicht, und wenn man ernstlich behauptet hat, er habe - vor dem König selbst ! - Nachricht von den Umständen gehabt, die Sanherib zum Abzug veranlaßten, so ist dieser Rationalismus in der Tat jenen Versuchen gleichwertig, welche das Wunder bei der Hochzeit zu Kana aus der Verwendung von Likören erklärten, die Jesus heimlich mitgebracht habe.

Ganz unglaubhaft bleiben vollends die von manchen Panbabylonisten nicht ohne Geist aufgespürten Beziehungen der Jahwepropheten zu innerpolitischen Parteien - einer „Priester- und Bürger - Partei“ - der Weltreiche, vor allem der mesopotamischen. Natürlich ist kein Zweifel, daß die jeweiligen außenpoliti- schen Beziehungen, auch die Parteigängerschaften, fast stets religiöse Rückwirkungen im Innern hatten. Die Parteigänger Aegyptens pflegten ägyptische, die Assyriens Babylons und Phöniziens die dortigen Kulte und im Fall einer politischen Allianz war die Verehrung der betreffenden Götter eine fast unentbehrliche Bekräftigung, die ein Großkönig bei aller sonstigen Toleranz als Zeichen politischer Obödienz vermutlich geradezu forderte. Und ferner sprechen hinlängliche Angaben dafür, daß beispielsweise Nebukadnezar nicht abgeneigt war, sowohl nach der ersten wie nach der zweiten Einnahme Jeru-

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salems und der Wegführung der ägyptisch gesinnten Partei den Einfluß der Jahweverehter ähnlich als Stütze seiner Herrschaft zu benützen, wie später Kyros und Dareios es taten. Auch die Politik Nechos nach der Schlacht bei Megiddo scheint schon ähnliche Wege haben gehen zu wollen1), ohne dadurch die Propheten für Aegypten zu gewinnen. Als erster Ansatz zu dieser von der altassyrischen abweichenden wichtigen Maxime: mit Hilfe der einheimischen Priester zu herrschen, darf wohl das überlieferte Entgegenkommen der Assyrer gegenüber den religiösen Bedürfnisgen von Samaria nach der Zerstörung (2. Kön. 17, 27 f.) gelten. Mit dieser Wendung der Religionspolitik der Großstaaten verlor die Fremdherrschaft für die Propheten viel von ihren religiösen Schrecken und es liegt nahe, daß dies die Stellungnahme vor allem des Jeremia mit beeinflußt hat. Aber die ursächliche Bedeutung solcher Momente ist bei ihnen allen ganz offenbar nicht zu vergleichen mit der Tragweite, welche solche „kirchenpolitischen“ Erwägungen vermutlich bei dem Verhalten der hellenischen Orakel, vor allem: des delphischen Apollon, den Persern gegenüber gehabt haben. Auch hier war die Ueberzeugung, daß das Verhängnis mit den Persern sei, seit dem wundergleichen Aufstieg des Kyros und Dareios die Grundvoraussetzung der Haltung, der Orakel. Aber die schmeichelhafte Devotion des Königs und des Mardonios und die ausgiebigen Geschenke, die sie darbrachten, in Verbindung mit der berechtigten Erwartung, daß im Falle des Sieges die Perser auch hier mit Hilfe der Priester die Domestikation der entwaffneten Bürgerschaften bewerk-stelligen würden, waren doch höchst substanzielle Stützen dieser Stellungnahme. Diese materiellen Erwägungen fielen bei den Propheten völlig fort. Jeremia entzog sich der Einladung nach Babylon, und von seiner zutreffenden Einschätzung der Machtlage bis zum Bestehen einer internationalen Parteigängerschaft der Priester und Bürger einerseits, des Militäradels andererseits, an welche manche Panbabylonisten glauben, ist denn doch ein sehr weiter Weg. Derartiges ist völlig unglaubhaft, und wir werden sehen, daß die Stellungnahme zu den auswärtigen Bündnissen überhaupt und insbesondere die sehr beständige Abneigung

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der Propheten gegen das ägyptische Bündnis durch rein religiöse Motive gegeben war.

Ebensowenig wie in der auswärtigen war die Stellungnahme der Propheten in der inneren Politik, so prononciert sie hervortraten, primär politisch oder sozialpolitisch motiviert. Die Propheten sind ihrer ständischen Herkunft nach uneinheitlich. Es ist gar keine Rede davon, daß sie vorwiegend proletarischen oder auch nur negativ privilegierten1) oder bildungslosen Schichten entstammten. Erst recht nicht wurde ihre sozialethische Stellungnahme durch ihre persönliche Abstammung bestimmt. Denn sie war durchaus einheitlich trotz sehr verschiedener sozialer Herkunft. Durchweg vertraten sie leidenschaftlich die sozialethischen Karitätsgebote der levitischen Paränese zugunsten der kleinen Leute und schleuderten ihre zornigen Flüche mit Vorliebe gegen die Großen und Reichen. Aber Jesaja, der dies unter den älteren Propheten mit am heftigsten tat, war ein Abkömmling aus vornehmer Sippe, vornehmen Priestern eng befreundet, verkehrte mit dem König als Berater und Arzt und war ohne Zweifel in seiner Zeit eine der angesehensten Persönlichkeiten der Stadt. Zephanja war ein Davidide und Urenkel des Hiskia, Hesekiel ein vornehmer Jerusalemiter Priester. Diese Propheten waren also begüterte Jerusalemiten. Micha und Jeremia stammten der eine aus einer Kleinstadt, der andere aus einem Dorfe, Jeremia aus einer landpriesterlichen Sippe, die mit Grundbesitz angesessen war, vielleicht dem alten Elidenhause1). Er kaufte verarmten Verwandten Land ab. Nur Amos war ein kleiner Viehzüchter: er nennt sich einen Hirten, der von Sykomorenfrüchten (der Nahrung der Armen) gelebt habe, und stammte aus einer Kleinstadt Judas, war dabei aber ersichtlich sorgfältig gebildet: gerade er kennt z. B. den babylonischen Tiamat - Mythos. Aber wie Jesaja, bei allen schweren Fluchworten gegen die Großen, doch die Herrschaft des ungebildeten zuchtlosen Demos als den ärgsten aller Flüche verkündet, so ist auch Jeremia trotz seiner immerhin demokratischeren Herkunft und bei einer

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noch schärferen Tonart gegen die Frevel des Hofs und der Großen ganz ebenso scharf gegen die plebejischen Minister Zedekias. Auch er hält es für selbstverständlich, daß kleine Leute nichts von religiösen Pflichten verstehen. Von den Großen dagegen könnte man das verlangen und eben deshalb waren sie des Fluches wert. Ein persönliches Moment könnte bei diesem Propheten vielleicht bei der besonders scharfen Gegnerschaft gegen die Jerusalemiter Priester dann mitspielen, wenn er wirklich von dem einst zugunsten des Zadok von Salomo nach Anathot verbannten Priester Abjathar abstammen würde. Aber auch das spielt gegenüber den sachlichen Gründen höchstens eine verschärfende Rolle. Jedenfalls aber war kein Prophet Träger „demokratischer“ Ideale. Das Volk bedarf in ihren Augen der Leitung und auf die Qualitäten der Leitenden kommt daher alles an (Jes. 1, 26; Jer. 5, 5). Kein Prophet verkündet vollends irgend ein religiöses „Naturrecht“ und noch weniger gar ein Revolutions- oder Selbsthilferecht der von den Großen gequälten Massen. In etwas derartigem würden sie zweifellos den Gipfel der Gottlosigkeit erblickt haben. Sie desavouieren ihre gewaltsameren Vorläufer: Jehus Revolution, ein Werk der Elisaschule und der Rechabiren, verwarf Hosea mit den schärfsten Flüchen und kündete Jahwes Rache dafür an. Kein Prophet war mit der charakteristischen Ausnahme der theologischen Idealkonstruktion eines Zukunftsstaats bei Hesekiel in der Exilszeit - Verkünder sozialpolitischer Programme. Sondern: was sie an positiven sozialethischen Forderungen mehr voraussetzen als ihrerseits aufstellen, entspricht der levitischen Paränese, deren Existenz und Kenntnis bei allen als selbstverständlich behandelt ist. Die Propheten sind also nicht ihrerseits Träger demokratischer sozialer Ideale, sondern die politische Situation: die Existenz einer starken politisch - sozialen Opposition gegen das Fronkönigtum und die gibborim, gab ihrer primär religiös bedingten Verkündigung den Resonanzboden und wirkte auch auf den Inhalt ihrer Vorstellungswelt ein. Dies aber geschah durch Vermittlung derjenigen Intellektuellenschichten, welche die Erinnerung an die alten Traditionen der vorsalomonischen Zeit pflegten und ihnen sozial nahestanden.

Ständisch einte die Propheten ein wichtiges Prinzip: die Unentgeltlichkeit ihrer Orakel. Sie schied sie von den Königspropheten, die von ihnen als Landverderber verflucht

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werden und von allem Erwerbsbetrieb nach Art der alten Seher oder Traumdeuter, die sie verachten und verwerfen. Die vollkommene innere Unabhängigkeit der Propheten war dabei nicht so sehr die Folge, als vielmehr eine der wichtigsten Ursachen jener Praxis. Sie kündeten vorwiegend Unheil und niemand konnte wissen, ob er bei einer Anfrage nicht wie König Zedekia eine Unheilsweissagung empfing, und damit ein böses Omen. Ein solches bezahlt man nicht und einem solchen setzt man sich auch nicht aus. Vornehmlich ungebeten und von sich aus getrieben, selten auf Anfrage, schleudern daher die Propheten ihre oft furchtbaren Orakel der Hörerschaft entgegen. Aber als ständisches Prinzip entspricht jene Praxis der Unentgeltlichkeit der gleichartigen Praxis gerade vornehmer Intellektuellenschichten; religionssoziologisch wichtige Ausnahmen davon waren die spätere Uebernahme dieses Prinzips durch die plebejischen Intellektuellenschichten der Rabbinen, und von da: der christlichen Apostel. - Auch ihre „Gemeinde“, soweit man den Ausdruck gebrauchen kann (worüber später), fanden die Propheten keineswegs nur oder vorwiegend im Demos. Im Gegenteil: wenn sie überhaupt einen persönlichen Anhalt hatten, so waren einzelne vornehme fromme Häuser in Jerusalem die Patrone, zuweilen durch mehrere Generationen. Bei Jeremia die gleiche Sippe, welche auch bei der „Auffindung“ des Deuteronomium beteiligt war. Unter den Sekenim, als den Hütern der frommen Traditionen und vor allem: des überlieferten Respekts vor der Prophetie, fanden sie am ehesten Rückhalt. So Jeremia bei seinem Kapitalprozeß, ebenso Hesekiel, den die Aeltesten im Exil konsultieren. Niemals bei den Bauern. Zwar alle Propheten eifern gegen die Schuldversklavung, die Pfändung der Kleidung, überhaupt die Verletzung der Karitätsgebote, welche den kleinen Leuten zugute kamen. ln Jeremias letzter Zukunftshoffnung sind Bauern und Hirten die Träger der Frömmigkeit. Aber in dieser Art ist das auch nur bei ihm der Fall. Und auch zu seiner Anhängerschaft gehörten die Bauern so wenig wie die ländliche Squirearchie, im Gegenteil war der am haarez je länger je mehr Gegner der Propheten, speziell auch des von seiner eigenen Sippe bekämpften Jeremia, weil sie als strenge Jahwisten gegen die ländliche Orgiastik der Ackerbaukulte und die damit am stärksten befleckten, also die ländlichen, vor allem: die Baalkultstätten, eiferten, an denen die Landbevölkerung aus ökonomischen sowohl

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wie aus idealen Gründen hing. - Nie fanden sie Rückhalt beim König. Denn sie waren Träger der jahwistischen, gegen das mit realpolitisch notwendigen Konzessionen an fremde Kulte mit Trunk und Völlerei, mit den salomonischen fronstaatlichen Feuerungen belastete Königtum sich wendenden, Tradition. Bei keinem Propheten spielt Salomo die geringste Rolle. Stets ist, wenn überhaupt ein König erwähnt wird, David der fromme Herrscher. Die Könige des Nordreichs gelten dem Hosea als illegitime, weil ohne Jahwes Willen zum Thron gelangte Usurpatoren. Amos nennt die Nasiräer und Nebijim unter den Institutionen Jahwes, aber nicht: den König. Zwar die Legitimität der Davididen hat kein Prophet angefochten. Aber der Respekt auch vor dieser Dynastie, so wie sie war, war nur ein bedingter. Jesajas Immanuel - Prophetie war doch wohl die Verkündigung eines gottgesendeten Ursurpators. Und doch war bei ihm am meisten Davids Zeitalter der Höhepunkt der nationalen Geschichte. Vollends die Rücksichtslosigkeit der Angriffe gegen das Verhalten der einzelnen zeitgenössischen Könige stieg. Solche rasenden Ausbrüche des Zorns und der Verachtung wie bei Jeremia gegen Jojakim, der wie ein Esel verscharrt (22, 19), und gegen die offenbar am Astartekult beteiligte Königin - Mutter, der die Röcke über den Kopf gezogen werden sollen, daß jeder ihre Schande sehen möge (13, 18 ff.) finden sich nicht oft. Aber schon Jesaja ruft sein Wehe über das Land, dessen König „ein Kind ist und von Weibern geleitet wird“ und dem Herangewachsenen trat er persönlich schroff entgegen. Von Elia hat die prophetische Tradition absichtlich gerade seine Konflikte mit Ahab aufbewahrt. Die Könige vergalten diese Abneigung. Nur in unsicheren Zeiten lassen sie sie gewähren, fühlen sie sich aber sicher, so greifen sie, wie Manasse zu blutiger Verfolgung. Den Zorn der Propheten gegen die Könige erregte, neben der politisch bedingten Pflege fremder oder unkorrekter Kulte, vor allem die in ihren Mitteln und Voraussetzungen unheilige Weltpolitik als solche. Insbesondere: das Bündnis mit Aegypten. Obwohl flüchtige Jahwehropheten, wie Uria, in Aegypten Zuflucht fanden, obwohl ferner die ägyptische Herrschaft sicherlich die weit sanftere und religiös ganz unpropagandistische war, warfen sich die Propheten gerade gegen dieses Bündnis am stärksten in Harnisch. Der Grund tritt bei Jesaja (28, 18) hervor: Es ist der „Bund mit Scheol“, d. h.: mit den chthonischen Göttern des Totenreichs, den sie verab-

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scheuen1). Man sieht: sie stehen darin vollkommen auf dem Boden der priesterlichen Tradition, und ihre politische Haltung ist auch in solchen Einzelzügen durchaus religiös und nicht realpolitisch bedingt. Wie gegen den König, so eifern die Propheten auch gegen die Großen: vor allem die Sarim und Gibborim. Sie verfluchen neben der Ungerechtigkeit ihres Gerichts vor allem ihre unfromme Lebensweise und Völlerei. Aber es ist deutlich zu erkennen, daß der Gegensatz von solchen Einzellastern unabhängig war. Der König und die politisch - militärischen Kreise konnten mit den rein utopisch orientierten Mahnungen und Ratschlägen der Propheten schlechterdings nichts anfangen. Wenn schon die hellenischen Staaten des 6. und 5. Jahrhunderts zwar die Orakel regelmäßig konsultierten, aber - obwohl diese dort durchweg politisch orientiert waren - gerade in den Zeiten großer Entscheidungen, wie z. B. über den Perserkrieg, schließlich nicht befolgten, so war dies den Königen von Juda überhaupt in aller Regel politisch unmöglich. Und das Würdegefühl der dem prophetischen Glauben hier wie überall gleich fernstehenden Ritterschaft zumal mußte die Würdelosigkeit der Ratschläge Jeremias gegenüber Babylon ohne weiteres ablehnen. Ihr waren diese auf der Gasse schreienden Ekstatiker an sich verächtlich. Offensichtlich ist andererseits, daß die von den Intelligenzschichten genährte populäre Opposition gegen die vornehme Kriegerschaft und den Patriziat der Königszeit als solche bei der Haltung der Propheten mitspielte. Der Geiz ist das vornehmste aller Laster, d. h.: die Bewucherung der Armen. Und für die königliche Armee interessieren sich diese Propheten nicht. Ihr Zukunftsreich ist ein Friedensreich. Dabei waren sie keineswegs an sich so etwas wie „kleinjüdische“ Pazifisten. Die Herrschaft über Edom und über jene Völker, „über welche Jahwes Name genannt ist“, wurde Juda von Amos (9, 12) verheißen. Und die alten populären Weltherrschaftshoffnungen brachen immer wieder durch. Aber zunehmend geht die Ansicht dahin: ausschließlich durch ein Gotteswunder, wie einst am Schilfmeer, nicht aber durch eigene Militärmacht werden die politischen Ansprüche Israels verwirklicht werden. Am allerwenigsten aber durch politische Bündnisse. Gegen diese richtet

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sich der Zorn der Propheten immer aufs neue. Der Grund der Gegnerschaft ist wiederum ein religiöser. Es ist keineswegs nur die Gefahr fremder Kulte. Sondern daß Israel in der berith mit Jahwe steht, dem niemand Konkurrenz machen darf, keinenfalls das Vertrauen auf menschliche Hilfe: das ist gottloser Unglaube, der Jahwe erzürnt. Wenn Jahwe das Volk, wie Jeremia sah, zur Unterwerfung unter Nebukadnezar bestimmt hatte, so hatte man sich dem zu fügen. Bündnisse zum Schutz gegen die Großkönige waren Frevel, solange sie Vollstrecker seines Willens waren. Waren sie es nicht und wollte er also Israel helfen, so half er allein, lehrte Jesaja, der aus diesem Grund wohl als erster unermüdlich gegen ausnahmslos jedes im Werk befindliche Bündnis eiferte. Man sieht: alles, sowohl in der außenpolitischen wie in der innenpolitischen Haltung, war rein religiös motiviert, nichts realpolitisch. Religiös bedingt war schließlich auch die Beziehung zu den Priestern.

Kein Prophet vor Hesekiel nennt die Priester mit positiver Bewertung. Amos kennt, wie schon gesagt, nur Nasiräer und Nebijim als Jahwes Werkzeuge, nennt aber die Priester nicht. Und schon die bloße Existenz dieser Art von freier Prophetie ist für die Zeit ihres Emporkommens ein klares Symptom von Schwäche der Priestergewalt. Wäre die Stellung der Priester schon die gleiche gewesen wie in Aegypten oder auch nur wie in Babylon oder wie in Jerusalem nach dem Exil, so wäre die freie Prophetie zweifellos, als gefährlichste Konkurrentin, von ihnen erstickt worden. Aber das war infolge des ursprünglichen Fehlens einer zentralen Kultstätte und eines offiziellen Opfers in der Bundeszeit und bei dem feststehenden Prestige der alten Königspropheten und Seher und dann des Elia und der Elisaschule nicht möglich. Mächtige Sippen frommer Laien standen hinter den Propheten und die Priester mußten sie daher gewähren lassen, so schroff die Gegensätze oft aufeinanderstießen. Keineswegs durchgängig war dies freilich der Fall. Jesaja stand mit Priestern von Jerusalem in enger Verbindung, Hesekiel war durchaus priesterlich orientiert. Andererseits finden wir aber die denkbar schärfsten persönlichen Konflikte mit den Kultpriestern gleich zuerst bei Amos in Bethel und noch zuletzt bei Jeremia in Jerusalem. Der Prozeß des letzteren (Jer. 26) mutet fast wie ein Vorspiel zu dem an, was 600 Jahre später am gleichen Ort geschah, und die Ueberlieferung der Vorgänge hat vielleicht

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in der Tat irgendwie darauf nachgewirkt. Jeremia wurde auf den Tod angeklagt, weil er dem Tempel das Schicksal des von den Philistern dereinst zerstörten Heiligtums in Silo geweissagt hatte. Er wurde vor das Gericht der Beamten und Aeltesten geschleppt, und die Priester und Heilspropheten fungierten als seine Ankläger. Aber der Unterschied der Zeiten zeigte sich im Resultate: Jeremia wurde auf Veranlassung der Aeltesten trotz der Anklage der Priester frei- gesprochen mit der Begründung, daß der Präzedenzfall des Micha vorliege, der unter Hiskia ähnliches geweissagt habe1). Der Vorgang ergibt immerhin, daß Weissagungen gegen den Tempel selbst selten waren. Und vor allem enthielten auch derartige Orakel ja letztlich keine Anzweiflung seiner Legitimität. Zwar tröstete Jeremia sich und andere später über den Verlust der heiligen Lade unter Nebukadnezar leicht. Aber immerhin behandelt jene Weissagung den Tempelsturz doch als an sich ein Unheil, welches nur bedingt als Sündenstrafe für den Fall fehlender Bekehrung, in Aussicht gestellt wurde (26, 13). In der Tat hat kein Prophet den Tempel geradezu bekämpft. Amos, der das Opfer in Bethel und Gilgal geradezu ein „Freveln“ nennt (4, 4; 5, 5), meint damit vermutlich zunächst nur die bei allen Vertretern der Hirtenfrömmigkeit tief verhaßten Kultformen der Ackerbauer. Das Volk soll da nicht hingehen, sondern „Jahwe suchen“ (das.), und als Sitz Jahwes kennt Amos den Zion, wie Hosea Juda als einzig unbefleckte Stätte Jahwes. Jesajas Zuversicht auf die Uneinnehmbarkeit Jerusalems in seinen Spätorakeln war zweifellos auf den Tempel gegründet. In einer Tempelvision hatte er ja in seiner Jugend den himmlischen Hofstaat gesehen. Für Micha blieb trotz seines Unheilsorakels der Zion in Zukunft die Stätte der reinen Thora und Prophetie Jahwes. Nur gegen die Unreinheit auch des dortigen Kults: vor allem die Befleckung durch Hierodulen, eiferten die Propheten. Noch bei Hosea erschöpft sich fast die ganze Kraft des Propheten im Kampf gegen die Baalkulte, der dann die vorexilische Prophetie durchzieht. Aber allerdings eifern sie nirgends für den korrekten Priesterkult. Jeremia hat das Deuteronomium, also die Zentralisierung des Kults im Tempel von Jerusalem, offenbar anfänglich begrüßt (11, 3), um freilich später (8, 8) es als Produkt des „Lügengriffels


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der Schreiber“ zu bezeichnen, weil seine Urheber an dem falschen Gottesdienst festhalten (8, 5) und das Prophetenwort verwerfen (8, 9). Was damit gemeint ist, ergibt eine andere Stelle (7, 4. 11 ff.) klar: der Tempel an sich ist nutzlos und wird das Schicksal Silos erleiden, wenn nicht das Entscheidende: die Wandlung in der Lebensführung, erfolgt. Neben einzelnem sozialethischem Unrecht wird hier vor allem das Vertrauen auf „unnötige Lügenworte“ (der Zionspriester) hervorgehoben (7, 8) Dies letzte war eben das allein Entscheidende: der Ungehorsam gerade der Priester gegen jene göttlichen Gebote, welche der Prophet als unmittelbar von Jahwe eingegeben verkündet. Und außerdem. ihre persönliche Sündhaftigkeit. In typischer Art erkennt so der persönliche Charismatiker das Amts - Charisma nicht als Qualifikation zum Lehren an, wenn der lehrende Priester persönlich unwürdig ist. Für die, am Kult nicht beteiligten, Propheten war naturgemäß die Lehre des göttlichen Wortes (dabar), wie sie es vernahmen, das religiös allein Wichtige und also auch an der Tätigkeit der Priester die Lehre (thora), nicht der Kult (Jer. 8, 6; 18, 18), auch in Jerusalem (Micha 4, 2). Ebenso war ihnen naturgemäß beim Volk nur der Gehorsam gegen die debarim und die thora wichtig und nicht das Opfer. Und ebenso nicht jene rituellen Gebote, welche später im Exil zu so ausschlaggebender Bedeutung gelangten: Sabbat und Beschneidung. Der Sabbat des ungehorsamen Volks ist Jahwe schon bei Amos - einem Hirten ! - satt1), und der äußeren Beschneidung setzt Jeremia (9. 24 f.) die „Beschneidung der Vorhaut des Herzens“ als allein wesentlich entgegen. Nicht eine Ablehnung, wohl aber eine starke Entwertung aller Riten ist daraus herauszuhören. Die Propheten haben auch hier die aus der Thora erwachsenen Konzeptionen der Intellektuellen akzeptiert: Jahwe war, wenigstens dem Postulat nach, ein Gott gerechter ethischer Vergeltung und das (diesseitige) Glück des Einzelnen - von dem Jesaja 3, 10 die Rede ist - galt ihnen ebenso als unmittelbare „Frucht der Werke“, wie das des Volks: diese massive ethische Werkgerechtigkeit stand, bei den älteren Propheten wenigstens, dem ebenso massiven Ritualismus der Priester gegenüber. Der Gegensatz gegen die priesterliche Bewertung des

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Opfers insbesondere steigerte sich, namentlich bei Amos und Jeremia, bis zu völliger Entwertung. Opfern ist von Jahwe nicht befohlen und daher nutzlos (Jer. 6. 20; 7, 21). In der Wüste habe man nicht geopfert, argumentiert schon Amos (5, 5). Wenn das Volk ungehorsam ist, seine Hände voll Blut sind, dann sind Jahwe alle seine Opfer und Fassen ein Greuel, lehrte auch Jesaja (1, 11 f.). Daß in solchen Worten keine bedingungslose Verwerfung von Kult und Opfer liege, ist bei Jesajas Beziehung zur Priesterschaft und seiner Schätzung der Tempelburg als sicher anzunehmen und gilt daher wohl auch für die anderen Propheten. Immerhin ist die Haltung zum Opfer in den Orakeln kalt bis zur Feindseligkeit. Es klingt eben in alledem in der Prophetie das „nomadische Ideal“, infolge der Verklärung dieser königlosen Vergangenheit durch die Literatentradition, stark an. Zwar ist selbst der Hirte Amos, da er Juda Weinreichtum verheißt (9, 13), ebensowenig ein Rechabit gewesen wie Jeremia, der einzige Prophet, der mit dem Orden in persönliche Beziehung trat und dessen Frömmigkeit Israel als exemplarisch vorhielt, selbst aber noch im Alter einen Acker kaufte. Aber verglichen mit der üppigen und deshalb hochmütigen und Jahwe ungehorsamen Gegenwart blieb doch die Wüstenzeit auch den Propheten die eigentlich fromme Epoche. Zur Steppe wird Israel in der Endzeit, durch die Verwüstung, wieder werden, und der Heilskönig sowohl wie die Uebriggebliebenen essen die Steppennahrung: Honig und Rahm.

Man hat die Haltung der Propheten, alles in allem, oft als „Kulturfeindschaft“ bezeichnet. Das darf nicht als persönliche „Kulturlosigkeit“ verstanden werden. Sie sind vielmehr nur auf dem großen Resonanzboden der weltpolitischen Bühne ihrer Zeit und ebenso nur im Zusammenhang mit einem weitverbreiteten Kulturraffinement und einer starken Bildungsschicht denkbar, wenn auch andererseits, aus den erörterten politischen Gründen, nur im Rahmen eines Kleinstaates, ähnlich wie etwa Zwingli nur in einem Kanton. Sie alle waren schriftkundig und offenbar im ganzen zutreffend orientiert über die Eigenart der ägyptischen und mesopotamischen Kultur, insbesondere auch die Gestirnkunde, wie denn die Art des Gebrauches der heiligen Zahlen, z. B. der 70 bei Jeremia, auf eine mehr als nur ungefähre Bekanntschaft wohl schließen läßt. Jedenfalls aber ist kein Zug überliefert, der auf irgendwelche Ansätze von Weltflucht oder

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Kulturablehnung im indischen Sinne schließen ließe. Die Propheten kennen außer der Thora auch die chokma oder `ezah (Jer. 18, 18) der Lebensklugheitslehrer (chakamim). Aber freilich dürfte andererseits ihre Bildungsstufe mehr den Orphikern und Volkspropheten in Hellas als den vornehmen Weisen von der Art des Thales entsprochen haben. Nicht nur allen ästhetischen und allen Werten vornehmer Lebensführung überhaupt, sondern auch aller weltlichen Weisheit stehen sie mit ganz fremden Augen gegenüber. Auch diese Haltung wurde zwar gestützt durch die traditionelle antichrematistische, dem Hof, den Beamten, den gibborim und den Priestern abgeneigte Haltung der puritanisch Frommen ihrer Umwelt. Innerlich bedingt aber war sie rein religiös durch die Art, wie sie ihre Erlebnisse verarbeiteten. Diesen müssen wir uns jetzt zuwenden.

Psychologisch angesehen waren von den Propheten der vorexilischen Zeit die große Mehrzahl - nach den Selbstzeugnissen jedenfalls: Hosea, Jesaja, Jeremia, Hesekiel - zweifellos, und man kann ohne allzugroße Unvorsichtigkeit sagen: nach sicherer Vermutung alle, wenn auch in sehr verschiedenem Grade und Sinn, Ekstatiker. Schon ihre persönliche Lebensführung, soweit wir davon etwas hören, war die von Sonderlingen. Jeremia bleibt auf Jahwes Befehl, weil das Unheil bevorsteht, ledig. Hosea scheint auf Jahwes Befehl tatsächlich, vielleicht wiederholt, eine Dirne geheiratet zu haben. Jesaja verkehrt auf Jahwes Befehl (8, 3) mit einer Prophetin, deren Kind er dann den vorher ihm vorgeschriebenen Namen gibt. Seltsame symbolische Namen der Prophetenkinder spielen überhaupt eine große Rolle. Pathologische Zuständlichkeiten und pathologische Handlungen verschiedenster Art begleiten ihre Ekstase oder gehen ihr voran. Es ist nicht zweifelhaft, daß gerade diese Zuständlichkeiten ursprünglich als wichtigste Beglaubigung des prophetischen Charisma galten und daß sie sich also auch, wenn schon in milderer Form, dann fanden, wenn uns von solchen nichts überliefert ist. Indessen berichtet ein Teil der Propheten ausdrücklich von ihnen. Jahwes Hand „lastet schwer“ auf ihnen. Der Geist „packt“ sie. Hesekiel (6, 11; 21, 19) klatscht in die Hände, schlägt sich die Seiten und stampft den Boden. Jeremia (23, 9) wird wie ein Trunkener und schlottert an allen Gliedern. Das Gesicht der Propheten verzerrt sich, wenn der Geist über sie kommt, der Atem versagt, sie stürzen zuweilen betäubt, zeit-

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weilig des Sehens und der Sprache beraubt, zu Boden, winden sich in Krämpfen (Jes. 21). Sieben Tage lang dauerte bei Hesekiel (3, 15) eine Lähmung nach einem seiner Gesichte. Die Propheten vollziehen seltsame, als ominös bedeutsam gedachte, Handlungen. Hesekiel baut sich wie ein Kind aus Ziegelsteinen und einer eisernen Pfanne ein Belagerungsspiel. Jeremia zerschmettert öffentlich einen Krug, vergräbt einen Gürtel und gräbt ihn verfault wieder aus, läuft mit einem Joch auf dem Nacken umher, andere Propheten mit eisernen Hörnern oder, wie Jesaja während längerer Zeit, nackt. Wieder andere, so noch Sacharja, bringen sich Wunden bei, noch anderen wird eingegeben, ekelhafte Nahrung zu sich zu nehmen, wie dem Hesekiel. Ihre Verkündigungen schreien sie (karah) bald laut in die Welt: teils in unverständlichen Worten, teils in Verwünschungen, Drohungen, Segnungen: manchem läuft dabei der Geifer aus dem Munde (hittif, „geifern“ = prophezeien), bald murmeln sie oder stammeln. Visuelle und auditive Halluzinationen, aber auch abnorme Geschmacks- und Gemeingefühlsensationen verschiedenster Art berichten sie von sich (Hes. 3, 2). Sie fühlen sich schwebend (Hes. 8, 3 und öfter) und durch die Luft getragen, haben Hellgesichte von örtlich fernen Ereignissen, wie an eblich Hesekiel in Babylon zur Stunde des Sturzes Jerusalems, oder von zeitlich entfernten kommenden Dingen, wie Jeremia (38, 22) von Zedekias Schicksal. Sie schmecken fremdartige Speisen. Vor allem sie hören Töne (Hes. 3, 12 f.; Jes. 4, 19), Stimmen (Jes. 40, 3 f.) um sich, einzelne sowohl wie Dialoge, besonders oft aber: an sie selbst gerichtete Worte und Befehle. Sie sehen halluzinatorisch blendenden Lichtglanz und in ihm Gestalten übermenschlicher Art: die Herrlichkeit des Himmels (so Jes. 6, auch Amos 9, 1). Oder sie sehen real beliebige gleichgültige Gegenstände: einen Fruchtkorb, ein Bleilot, und plötzlich wird ihnen, meist durch eine Stimme, deutlich, daß diese gewaltige Schicksalsschlüsse Jahwes bedeuten (so namentlich Amos). Oder sie machen, wie namentlich Hesekiel, authypnotische Zustände durch. Zwangs-handlungen und vor allem Zwangsreden treten auf. Jeremia fühlt sich gespalten in ein doppeltes Ich. Er fleht seinen Gott an, ihm zu erlassen, daß er spreche. Er will nicht, er muß reden, was er als ihm eingegeben und nicht aus sich selbst kommend fühlt, ja was er reden zu müssen als furchtbares Geschick empfindet (Jer. 17, 16). Spricht er nicht, so erleidet er furchtbare

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Qualen, Gluthitze erfaßt ihn, und er kann den schweren Druck nicht ohne Entlastung ertragen. Wer diesen Zustand nicht kennt und nicht aus solchem Zwang, sondern „aus eigenem Herzen“ redet, der ist ihm überhaupt kein Prophet. Eine solche ekstatische Orakelprophetie ist für Aegypten und Mesopotamien und auch für das vorislamische Arabien bisher nicht nachweisbar, sondern in der Nachbarschaft Israels nur (als Königsprophetie wie in Israel) in Phönizien und, unter strenger priesterlicher Kontrolle und Deutung, an den Orakelstätten der Hellenen. Nirgends aber ist eine freie Demagogie von weissagenden Ekstatikern von der Art der israelitischen Propheten überliefert. Zweifellos nicht deshalb, weil die betreffenden Zuständlichkeiten nicht existiert hätten. Sondern deshalb nicht, weil in den bürokratischen Königreichen wie bei den Römern die Religionspolizei eingegriffen hätte, bei den Hellenen aber diese Zuständlichkeiten in historischer Zeit nicht mehr als heilig, sondern als Krankheiten und würdelos galten und nur die traditionellen priesterlich reglementierten Orakel allgemein anerkannt waren. In Aegypten taucht die ekstatische Prophetie erst in der Ptolemäerzeit, in Arabien in Muhammeds Zeit auf.

Die untereinander teilweise charakteristisch verschiedenen Zuständlichkeiten der Propheten physiologisch, psychologisch md eventuell pathologisch zu klassi- fizieren und zu deuten, soweit dies möglich sein sollte - die bisherigen, namentlich an Hesekiel gemachten, Versuche überzeugen nicht -, wäre hier nicht der Ort. Es böte auch, wenigstens für uns, kein entscheidendes Interesse. Wie in der ganzen Antike, so galten auch in Israel psychopathische Zustände als heilig. Berührung mit Irrsinnigen wirkte noch in rabbinischer Zeit Tabu. Der königliche Aufseher über die Propheten wird (Jer. 29, 24 f.) Aufseher über Wahnsinnige und Propheten“ genannt, und ebenso läßt die Tradition schon den Offizier Jehus beim Anblick des Prophetenschülers, der diesem die Königssalbung anbieten sollte, fragen: was dieser Irrsinnige wolle ? Indessen nicht dies geht uns hier an, sondern etwas ganz anderes. Zunächst der emotionale Charakter der prophe-tischen Ekstase als solcher, der sie von allen indischen Formen der apathischen Ekstase scheidet. Wir sahen schon früher (Abschnitt I), daß der vorwiegend auditive Charakter der klassischen Prophetie, im Gegensatz zu der wesentlich visuellen apathischen Ekstase der alten „Seher“, zunächst rein historisch


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bedingt war in dem Gegensatz der südlichen, jahwistischen Vorstellung von der Art, wie Jahwe sich offenbart, gegenüber dem Norden. Die 1eibhaftige „Stimme“ des Gottes trat an die Stelle der alten leibhaftigen Epiphanie, welche der Norden mit seinem andersartigen Gottesvorstellung theoretisch verwarf und welche der psychischen Qualität der nordischen, aus der Orgiastik zur apathischen Ekstase sublimierten Frömmigkeit nicht entsprach. Jene zunehmend ausschließliche Anerkennung des auditiven Charakters der Eingebung als des allein die Echtheit gewährleistenden Merkmals hing mit der Zunahme der aktuellen politischen Erregtheit der Hörer zusammen, welcher der emotionale Charakter der Prophetie entsprach. Eine fernere wichtige Eigentümlichkeit liegt in der Tatsache: daß die Propheten selbst diese ihre außeralltäglichen Zuständlichkeiten, Gesichte, Zwangsreden und Zwangshandlungen sinnhaft deuten. Und zwar trotz ihrer offenbar großen psychologischen Verschiedenheit immer in einer und derselben Richtung. Schon das Deuten an sich ist, so nahe es uns heute zu liegen scheint, ganz und gar nicht selbstverständlich, denn es setzt zunächst voraus, daß die ekstatische Zuständlichkeit nicht schon an sich als persönlicher Heilsbesitz und nur als solcher gewertet wird, sondern daß ihr ein ganz anderer Sinn zugeschrieben wird: der Sinn einer „Sendung“. Und dies manifestiert sich noch stärker in der Einheit der Deutung. Machen wir uns das etwas näher im einzelnen klar.

Nur zum Teil sprechen die Propheten unmittelbar i n der Ekstase (Jes. 21, 17; Jer. 4, 19 f.). Meist aber über ihre Erlebnisse in der Ekstase: „Jahwe sprach zu mir“ ist der übliche Orakelanfang. Da gibt es mancherlei Abstufungen: Einerseits Hesekiel, der, obwohl ein echter und zwar anscheinend ein schwer pathologischer Ekstatiker, aus manchen seiner Visionen ganze Abhandlungen herauspreßt. Andererseits zahlreiche kurze Verse der vorexilischen Propheten, die unmittelbar im höchsten Affekt und anscheinend in der Ekstase selbst den Adressaten ins Gesicht geschleudert werden. Die höchste ekstatische Aktualität erreichen im allgemeinen solche Ausrufe, zu welchen der Prophet ungefragt1), rein unter dem Druck der Eingebung Jahwes, in

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besonders gefahrvoller Lage des Landes oder unter einem besonders erschütternden Eindruck von Sünde hingerissen wird Ihnen stehen als Gegensatz jene bei den klassischen Propheten verhältnismäßig seltenen Fälle gegenüber, in welchen er vorher gefragt worden ist. Nur selten scheint er dann die Antwort alsbald gegeben zu haben. Sondern wie Muhammed grübelte er über den Fall im Gebet, Jeremia einmal zehn Tage, bis der ekstatische Anfall eintrat (Jer. 42). Aber auch dann wird das Gesehene oder Gehörte offenbar in der Regel nicht alsbald hinausgeschleudert unter die harrenden Hörer. Denn es ist oft dunkel und vieldeutig. Der Prophet grübelt dann im Gebet über den Sinn. Erst wenn er die Deutung hat, dann spricht er. Er redet teils in der Form der Gottesrede: Jahwe spricht unmittelbar in der ersten Person, teils in der Form eines Berichtes über seine Worte. Die Menschenrede überwiegt bei Jesaja und Micha, die Gottesrede bei Amos, Hosea, Jeremia, Hesekiel. Endlich das Deuten von Begebenheiten, auch des eigenen Alltagslebens, als bedeutsamer Zeichen Jahwes liegt allen Propheten überhaupt nahe (vgl. besonders Jer. Kap. 32). - Wenn nun aber irgend etwas, dann sehen wir dies den typischen Aussprüchen der vorexilischen Propheten ganz allgemein an: daß sie in ungeheurer Emotion gesprochen oder, wie es einmal von Jesaja (5, 1) heißt, gesungen worden sind. Gewiß finden sich einzelne Verse, die vielleicht geflissentlich undeutlich gehalten sind, wie das bekannte Kroisosorakel des delphischen Apollon, und ebenso einzelne verstandesmäßige Ausarbeitungen, wie bei Hesekiel. Aber die Regel ist das nicht. Man glaubt ferner wohl mit Recht die bewußte Innehaltung bestimmter Stilregeln der prophetischen Dichtung zu erkennen. (Von den in Betracht kommenden sei etwa erwähnt: das regelmäßige Nichtnennen des Namens des Gemeinten, außer wo ihm geflucht werden soll.) Indessen ändert das an dem aktuell - emotionalen Charakter der Prophetie nichts. Allerdings setzte die Gotteskonzeption dem Inhalt des Erlebens Schranken. Die Leibhaftigkeit der Stimme Jahwes bei den Propheten ist der Ausdruck davon, daß einerseits der Prophet sich unbedingt „des Gottes voll“ fühlte, andererseits die Art der traditionellen Majestät Jahwes ein wirkliches „Eingehen“ des Gottes in die Kreatur ausschloß und daß daher der damit nächstverwandte Ausdruck gewählt wurde1). Jedenfalls aber reichen

M a x W e b e r, Religionssoziologie III.

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alle uns bekannten hellenischen Orakelsprüche, die stets auf Bestellung geliefert wurden, in ihrer temperierten Formvollendung nicht von fern an die Macht der Emotion in den spontanen prophetischen Versen des Amos, Nahum, Jesaja, Zephanja, Jeremia heran. Selbst in der teilweise verstümmelten Ueberlieferung wird die an sich große Macht der Rhythmik noch überboten durch die Glut der geschauten Bilder, die immer konkret, anschaulich, gedrungen, schlagend, erschöpfend, oft von ganz unerhörter Herrlichkeit und Furchtbarkeit, zu dem Grandiosesten gehören, was in dieser Hinsicht die Weltdichtung hervorgebracht hat und nur da unplastisch werden, wo die persönlichen Großtaten des unsicht-baren Gottes für Israel in phantastischen aber unbestimmten Zukunftsbildern aus der vagen Vision herausgestaltet werden mußten. Woher stammt nun diese Emotion, wenn doch in mindestens vielen Fällen die eigentlich ekstatische pathologische Erregung schon zurücklag und abgeklungen war ? Nun, sie stammt eben nicht aus dem Pathos dieser psychopathischen Zuständlichkeiten als solcher, sondern aus der stürmischen Gewißheit der gelungenen Erfassung des Sinnes dessen, was der Prophet erlebt hatte: daher, deutlicher ausgedrückt, daß der Prophet eben nicht wie ein gewöhnlicher pathologischer Ekstatiker, ein Gesicht gehabt, Träume geträumt oder rätselhafte Stimmen gehört hatte, sondern, daß er darüber klar geworden war, ja es durch leibliche göttliche Stimme gehört zu haben versichert war: was Jahwe mit diesem Wachträumen oder Gesicht oder dieser ekstatischen Erregung gemeint und ihm in verständlichen Worten zu sagen befohlen hatte. Das ungeheure Pathos, in dem er spricht, ist in manchen Fällen eine sozusagen postekstatische Erregung von wiederum halbekstatischem Charakter, hervorgerufen durch die Gewißheit, wirklich selbst - wie die Propheten es ausdrücken - „in Jahwes Ratsversammlung gestanden“ zu haben, sein Mundstück zu sein, zu sprechen, was er zu ihnen gesprochen hatte oder was er sozusagen durch sie hindurchsprach. Der typische Prophet befindet sich anscheinend in einem steten Zustand der Spannung und des dumpfen Brütens, in welchem ihm selbst die unscheinbarsten Dinge des Alltags zu beängstigen-

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den Rätseln zu werden vermochten, weil sie irgend etwas bedeuten konnten. Eine ekstatische Vision war gar nicht nötig, ihn in diese Spannung zu versetzen. Wenn sie sich löste - und sie löste sich durch das Aufblitzen der Deutung, die sich als ein Hören der göttlichen Stimme einstellte -, dann brach das Propheten-wort hervor. Pythia und deutender priesterlicher Dichter waren hier nicht ge-trennt: der israelitische Prophet war beides in einer Person, das erklärt den ungeheuren Schwung. Dazu treten nun noch zwei weitere wichtige Umstände.

Einmal: daß diese Zuständlichkeiten der Propheten weder - wie z. B. auch die Ekstase der Pythia - an die Anwendung der überlieferten Rauschmittel der Nebijim, noch überhaupt an irgend eine äußere Masseneinwirkung, eine ekstatische Gemeinschaft also, geknüpft waren. Nichts von alledem findet sich bei den klassischen Propheten unserer Schriftensammlung. Sie suchten die Ekstase nicht. Sie kam ihnen. Von keinem von ihnen hören wir ferner, daß er durch Handauflegung oder irgendwelche Zeremonien in eine Prophetengilde aufgenommen worden sei oder überhaupt einer Gemeinschaft, gleichviel welcher Art, angehört habe. Stets geht vielmehr die Berufung direkt von Jahwe an ihn, und die Klassiker unter ihnen erzählen uns ihre Berufungsvision oder -audition. Keiner von ihnen benutzt irgendwelche Rauschmittel, die sie vielmehr bei jeder Gelegenheit als Götzendienst verfluchen. Auch vom Fasten - welches die Tradition einmal von Mose berichtet (Ex. 34, 28) - hören wir bei vorexilischen Propheten als von einem Mittel zur Ekstase nichts. Die emotionelle Ekstase tritt daher - und das vor allem sei hier festgestellt - bei ihnen auch nicht so auf, wie später innerhalb der altchristlichen Gemeinde (und deren möglichen Vorgängern). Im apostolischen Zeitalter kam der Geist nicht oder doch in aller Regel und in den von der Gemeinde als typisch bewerteten Formen nicht über den einsamen Einzelnen, sondern über die gläubige Versammlung oder in ihr auf einen oder einige ihrer Teilnehmer. Auf die „Gemeinde“ wird „der Geist ausgegossen“, wenn das Evangelium verkündet wird. In ihrer Mitte, nicht in einsamer Kammer, entwickelt sich das Zungenreden und die anderen „Gaben des Geistes“, auch die damalige Prophetie. Sie alle waren, in aller Regel wenigstens, offenbar Folgen der Massenwirkung oder richtiger des Massenzusammenseins, zeigten sich an dies Zusammensein als, mindestens normale,

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Vorbedingung gebunden1). Die ganze kulturhistorisch so unendlich wichtige religiöse Schätzung der Gemeinde als solcher, als der Trägerin des Geistes, im Urchristentum hatte ja diesen Grund: daß eben sie, das Zusammensein der Brüder, vorzugsweise diese heiligen Zuständlichkeiten produzierte. Gänzlich anders die alten Propheten. Gerade in der Einsamkeit kommt der prophetische Geist über sie. Und nicht selten treibt er sie zunächst in die Einsamkeit, auf das Feld oder in die Wüste, wie das noch Johannes und Jesus geschah. Wenn aber die Sendung den Propheten auf die Gasse, unter die Menge jagt, dann ist dies wie- derum erst Folge der Deutung, die er seinem Erlebnis gibt. Nicht aber, wohl gemerkt, ist dies Auftreten in der Oeffentlichkeit dadurch motiviert, daß der Prophet nur oder doch gerade dort, unter der Einwirkung der Massensuggestion, des heiligen Erlebnisses fähig wäre. Die Propheten wissen sich nicht, wie die alten Christen, als Glieder einer pneumatischen Gemeinschaft, die sie trägt. Im Gegenteil. Unverstanden und gehaßt von der Masse der Hörer wissen sie sich, niemals von ihnen getragen und gehegt als von gleichgestimmten Genossen, wie die Apostel in der alten christlichen Gemeinde. Nicht ein einziges Mal sprechen daher die Propheten von ihren Hörern oder Adressaten als von ihren „Brüdern“, was die christlichen Apostel immer tun. Sondern das ganze Pathos innerer Einsamkeit liegt über ihrer gerade in der vorexilischen Prophetie überwiegend harten und bitteren - oder wenn, wie bei Hosea, weichen, dann wehmütigen - Stimmung. Nicht Schwärme von Ekstatikern, sondern ein oder einige (Jes. 8, 16) treue Schüler teilen ihren einsamen Rausch und ihre ebenso einsame Qual. Regelmäßig sind sie es offenbar gewesen, die ihre Gesichte aufzeichneten, oder sie ließen sich vom Propheten deren Deutung in die Feder diktieren, wie Baruch, der Sohn des Neria, für Jeremia es tat. Gegebenenfalls sammeln sie sie zum Zweck der Ueberreichung an die, welche sie angehen. Wenn aber der vorexilische Prophet unter die Menge tritt und zu reden anhebt, so hat er in aller Regel das Gefühl, vor Menschen zu stehen, welche von Dämonen zum Bösen: zur Baalorgiastik oder zur Idolatrie oder

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zur sozialen oder ethischen Sünde oder zur schlimmsten politischen Torheit: zum Widerstande gegen Jahwes Ratschlüsse, verlockt sind, jedenfalls aber: vor Todfeinden oder vor solchen, denen sein Gott furchtbares Unheil zugedacht hat. Die eigene Sippe haßt ihn (Jer. 11, 19. 21; 12, 6) und gegen sein Heimatdorf schleudert Jeremia den Fluch (11, 22. 23). Aus einsamem Ringen mit seinen Gesichten kommt der Unheilsprophet, und in die Einsamkeit seines Hauses kehrt er, mit Grausen und Furcht betrachtet, immer ungeliebt, oft verhöhnt, verspottet, bedroht, bespien, ins Gesicht geschlagen, wieder zurück. Die heiligen Zuständlichkeiten dieser Propheten sind, in diesem Sinn, durchaus endogen1) und wurden auch so, und nicht als Produkte einer emotionalen aktuellen Massenwirkung, von ihnen und den Hörern empfunden: nicht irgendeine Wirkung von außen her, sondern die eigene gottgesendete Zuständlichkeit versetzt die Propheten in den ekstatischen Habitus. Und die überkommene hohe Schätzung der Ekstase als an sich heilig tritt gerade im prophetischen Zeitalter sichtbar immer weiter zurück. Prophetie und Gegenprophetie standen ja gegeneinander auf der Gasse, beide durch Ekstase in gleicher Art legitimiert, einander gegenseitig verfluchend. Wo war da, mußte jedermann fragen, Jahwes Wahrheit ? Das Ergebnis war: die Echtheit der Propheten erkennt man nicht an der Ekstase als solcher. Diese sank damit, der Sache nach, wenigstens in der Verkündigung, an Bedeutung. Es ist nur ausnahmsweise und nur als Mittel zum Zweck davon die Rede: was der Prophet in ihr an eigenen Gefühlslagen erlebt. Denn darauf kam - im Gegensatz zu Indien - gar nichts an. Es verbürgt die Echtheit nicht. Nur das Hören der leibhaftigen Stimme Jahwes, des unsichtbaren Gottes, gab dem Propheten selbst die Gewähr, daß er sein Werkzeug sei. Deshalb wird darauf der ungeheure Nachdruck gelegt. Darauf, nicht auf die Art seiner heiligen Zuständlichkeiten, beruft er sich. Die Propheten scharten daher keine Gemeinde um sich, innerhalb deren Massen - Ekstasen oder massenbedingte Ekstasen oder überhaupt ekstatische Erweckungen als Heilsweg gepflegt worden wären. Davon ist für die klassische

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Jahweprophetie nicht das geringste bekannt. Die Art ihrer Verkündigung widerspricht dem. An keiner Stelle wird der Erwerb oder Besitz eines ekstatischen Zustandes oder der Fähigkeit, Jahwes Stimme zu vernehmen, wie der Prophet selbst sie hatte, auch für die Adressaten seiner Verkündigung als Bedingung hingestellt, wie in den altchristlichen Quellen der Besitz des Pneuma. Das prophetische Charisma ist vielmehr das schwere, oft als qualvoll empfundene Amt des Propheten und niemands sonst. Niemals ist es ihr Ziel, wie das der frühchristlichen Prophetie, den Geist über die Hörer kommen zu lassen. Im Gegenteil: das prophetische Charisma ist ihr Privileg. Und zwar ist es ein freies göttliches Gnadengeschenk ohne alle persönliche Qualifikation. In den Berichten über die Art ihrer Berufungsekstase wird diese erste Ekstase, die den Propheten zum Propheten macht, niemals als Frucht von Askese oder Kontemplation oder etwa von sittlichen Leistungen, Bußübungen oder anderen Verdiensten hingestellt. Ausnahmslos ist sie, dem endogenen Charakter des Zustandes entsprechend, gerade umgekehrt ein plötzliches unmotiviertes Geschehen. Jahwe ruft den Amos von der Herde fort. Oder ein Engel Jahwes berührt mit glühender Kohle oder Jahwe selbst mit dem Finger den Mund des Jesaja und Jeremia und weiht sie dadurch. Teils sträuben sie sich, wie Jeremia, angstvoll gegen die mit diesem Charisma auf sie gelegte Pflicht, teils bieten sie sich, wie Jesaja, freudig dem Gott, der nach einem Propheten sucht, an. Und im Gegensatz zu indischen, ebenso zu den hellenischen Propheten von der Art des Pythagoras und der Orphiker, aber auch noch den rechabitischen Puritanern, denkt auch kein israelitischer Prophet daran, einen die Alltagssittlichkeit rituell oder asketisch überbietenden Heilsweg zu ergreifen. Nichts von alledem. Hier zeigte sich die ungeheure Tragweite einmal der berith - Konzeption, durch welche eindeutig feststand, was Jahwe von seinem Volke verlangte, in Verbindung mit der levitischen Thora, welche diese seine Forderungen allgemeingültig festgestellt hatte. Der Umstand, daß die Thora nicht aus dem persönlichen Heilsstreben einer vornehmen literarischen Schicht von Denkern, sondern aus der Sündenbeicht- und Sühne - Praxis praktischer Seelsorger hervorgegangen war, trug hier seine Früchte: ohne Berücksichtigung dieses Umstandes bleibt die ganze Entwicklung völlig unverständlich. Auch in der Qualifikation der Pro-

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phetie selbst äußerte sich das. Die Ekstase als solche legitimierte nicht mehr, wie wir sahen. Sondern allein das Hören der Stimme Jahwes. Aber was gewährleistete den Hörern, daß der Prophet wirklich, wie er behauptete, Jahwes Stimme vernommen hatte ? Darauf gab es teils zeitgeschichtlich, teils religiös und ethisch bedingte Antworten. Zeitgeschichtlich und durch Jahwes Unheilsnatur bedingt war es, daß Jeremia (23, 29) den überkommenen Gegensatz gegen die königliche Heilsprophetie als Merkmal hinstellte. Das erklärt sich aus dem sozialen Kampf gegen das Fronkönigtum und die gibborim. Der echte Prophet kündet diesen verworfenen Großen kein Heil. Ethisch bedingt aber war die Bindung an die Gebote Jahwes, wie sie jedermann bekannt waren (23, 22): Nur der Prophet, der das Volk zur Sittlichkeit anhält und die Sünden (durch Unheildrohung) straft, ist kein Lügenprophet. Allgemein bekannt aber waren die Gebote Jahwes wiederum: durch die Thora. Diese ist so immer wieder die freilich selten ausdrücklich bezeichnete, weil ganz selbstverständliche, Voraussetzung der gesamten Prophetie. Auch die hellenischen Weisheitslehrer des 6. Jahr-hunderts verkünden die unbedingte Verbindlichkeit des Sittengesetzes, und zwar in der Sache selbst eines sehr ähnlichen wie das der Propheten war, - wie die Sozialethik der hellenischen Aisymneten - Gesetzgebungen derjenigen des Bundesbuchs innerlich, wie wir sahen, verwandt ist. Aber der Unterschied war, daß in Hellas, wie in Indien, die eigentlich religiösen Heilskünder und Propheten das Heil an spezielle Voraussetzungen rituellen oder asketischen Charak-ters knüpften, überhaupt: Bringer von „Heil“, vor allem: von jenseitigem Heil, waren. Im geraden Gegensatz dazu kündeten die israelitischen Propheten Unheil, und zwar diesseitiges Unheil und zwar wegen Sünden gegen das allgemein, für jeden Israeliten, gültige Gesetz ihres Gottes. Indem die Innehaltung dieser Alltagssittlichkeit als Spezialpflicht Israels kraft der beschworenen berith galt, wirkte das ganze gewaltige Pathos eschatologischer Drohungen und Verheißungen auf die Innehaltung dieser schlichten Gebote, die jedermann zu halten imstande war und die nach der Ansicht der Propheten auch die Nichtisraeliten in der Endzeit halten würden. Die große historische Paradoxie war also daß so die spätere offizielle Alltagsethik des christlichen Abendlandes, deren Inhalt sich von der in althellenischer sowohl wie in

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hellenistischer Zeit geltenden Lehre und Lebenspraxis des Alltags nur im Sexuellen unterschied, hier zum Gegenstand der ethischen Sonderpflicht eines von seinem Gott, dem mächtigsten von allen, erwählten Volkes gemacht und mit utopischen Prämien und Strafen eingeschärft wurde. Auf das sittlich richtige Handeln, und zwar das Handeln gemäß der Alltags-sittlichkeit, kam für das besondere, Israel in Aussicht gestellte Heil alles an. So trivial und selbstverständlich das scheinen könnte - nur hier ist es zur Grundlage religiöser Verkündigung gemacht worden und sehr besondere Bedingungen führten dazu. -

Kraft ihrer Berufung nehmen die Propheten spezifische Qualitäten in Anspruch. Verhältnismäßig selten und nur bei einem dieser vorexilischen Propheten (Hosea 9, 10; Jesaja 30, 1; Micha 3, 8) wird der Ausdruck „Geist“ (ruach) Jahwes auf ihren spezifischen inneren Besitz angewendet, obwohl gelegentlich (Hos. 9, 7) der Ausdruck „Geistmensch“ (isch haruach) von einem Schriftpropheten vorkommt. Erst bei Hesekiel, dann bei Deuterojesaja und den nachexilischen Propheten tritt der Ausdruck häufig auf. Es scheint, daß der Gegensatz gegen die berufsmäßigen Nebijim die älteren Propheten veranlaßte, ihn nicht oder selten zu brauchen. Außerdem der Umstand, daß eben die „ruach“ im Sprachgebrauch wesentlich die irrationalen und aktuell ekstatischen Zustände bezeichnete, die Propheten aber ihre spezifische Würde gerade in dem habituellen Besitz des bewußten klaren und kommunikablen Verständnisses von Jahwes Absichten fanden. Erst bei Hesekiel ist die ruach wieder eine geheimnisvolle göttliche Kraft, die zu mißachten ebenso frevelhaft ist, wie in den Evangelien, und erst im Exil (Deuterojes. 40, 13; 42, 1; 48, 16) wird der „Geist“ eine transzendente und schließlich (Gen. 1, 2) eine kosmische Größe, für welche Tritojesaja zuerst den Ausdruck „heiliger Geist“ (59, 21 63, 14) braucht. Aber wenn das prophetische Charisma vor allem die Fähigkeit rationalen Verstehens Jahwes bedeutet, so enthält es doch auch ganz andere, irrationale Qualitäten. Zunächst: magische Kräfte. Jesaja, der allein von allen Schriftpro-pheten auch als ärztlicher Ratgeber bei einer Krankheit des Königs Hiskia erwähnt wird, fordert in einer politisch schwierigen Lage den König Ahas auf, von ihm die Beglaubigung für sein politisches Orakel durch ein Wunder zu verlangen, und

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als der König ausweicht und er daraufhin die berühmten Worte von dem „jungen Weibe“ spricht, das schon jetzt schwanger sei mit dem Heilsfürsten Immanuel, da ist dies, wie die Situation ergibt, nicht nur eine Weissagung, sondern eine das verheißene Heil bewirkende Verkündigung eines Entschlusses Jahwes, welcher Folge des Unglaubens des Königs ist. Die Propheten haben die Macht, durch ihr Wort zu töten (Hos. 6, 5; Jer. 28, 16). Jeremia gibt einem Boten eine Fluchformel über Babel mit, deren Verlesung und Versenkung im Euphrat das geweissagte Unheil bewirken soll. Stets aber ist es nicht irgendeine sympathetische oder andere zauberische Manipulation, sondern das einfache (gesprochene oder geschriebene) Wort, welches das Wunder bewirkt. Und vor allem tritt diese magische Gewalt, die im Selbstbewußtsein von Jesus so wichtig war, in den Selbstzeugnissen der Propheten völlig zurück. Sie erwähnen sie nie als Beweis ihrer göttlichen Legitimation und nehmen sie überhaupt nicht eigentlich für sich persönlich in Anspruch. Gewiß Jeremia weiß sich (1, 10) von Jahwe über alle Völker gesetzt, um sie zu verderben oder ihnen den „Taumelbecher“ zu reichen (25, 15 f.). Aber immer wieder lenkt dies Selbstgefühl in das Bewußtsein um, nichts als Werkzeug zu sein. Nicht ihr eigener Wille, sondern der ihnen durch leibhaftige Stimme mitgeteilte Entschluß Jahwes, sein „Wort“, ist es (Jer. 23, 29), welches das Geweissagte bewirken wird. Die Kenntnis dieser Entschlüsse und der Wundermacht Jahwes und ihres Wirkens ist es allein, die sie für sich in Anspruch nehmen. „Nichts tut Jahwe“, versichert Amos, „ohne es seinen Propheten zuvor zu offenbaren“: das ist die Quelle ihres Selbstbewußtseins. In gewissem Umfange nehmen die Propheten allerdings auch in Anspruch, Jahwes Entschlüsse beeinflussen zu können. Gleich bei Amos kommt es vor, daß der Prophet als Fürbitter auftritt, so wie die Tradition dies dem Mose und auch dem Abraham zuschreibt. Aber nicht immer ist Jahwe zu erbitten. Es kommt vor, daß er erklärt, „selbst wenn Mose oder Samuel vor ihn treten“, seinen Entschluß nicht ändern zu wollen. Und niemals rechnete der Prophet auch nur mit der Möglichkeit, seinerseits Jahwe durch Zauber bezwingen zu können. Das wäre im Gegenteil diesem furchtbaren Gott gegenüber ein tödlicher Frevel. Ebensowenig wird der Prophet jemals auch nur seinem eigenen Ausspruch nach zum Heiland oder auch nur zum exemplarischen religiösen Virtuosen.

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Niemals nimmt er hagiolatrische Verehrung für sich in Anspruch. Niemals Sündlosigkeit. Die ethischen Ansprüche, die er an sich stellte, waren nicht verschieden von denen, welche an alle gestellt. wurden. Freilich erscheint als sicheres Merkmal der Lügenpropheten, neben dem Fehlen sittlicher Ermahnung des Volkes und der Unheildrohungen, auch ihre eigene Unbekehrtheit und ihr Ungehorsam gegen die göttlichen Gebote: ein dauernd sehr wichtiges und für den Charakter der Religiosität folgenreiches Qualifikationsmerkmal. Aber daß er selbst sittlich nie fehle, behauptet z. B. Jeremia keineswegs. Daß er auf Veranlassung Zedekias den Parteigängern Aegyptens die Unwahrheit sagt (38, 28), um den König nicht bloßzustellen, entspricht der Erzväterethik - und übrigens dem Umstand, daß Jahwe selbst den „Lügengeist“ in seine Dienste nimmt -: die Wahrheitspflicht der altisraelitischen (auch der dekalogischen) sowohl wie der homerischen Ethik ist nicht so unbedingt wie die der indischen und steht auch hinter den Anforderungen z. B. des Siraciden zurück. Aber es zeigt jedenfalls, daß der Prophet, der als solcher auf unbedingten Glauben Anspruch macht, sein Amt und sein persönliches Verhalten scheidet. Die für manche Propheten typischen furchtbaren Maßlosigkeiten von Haß und Zorn gegen die Gegner würde die Thora schwerlich gebilligt haben. Zwar die Wirkung seiner Worte auf die Herzen des Volkes scheint Jahwe gelegentlich an die Bedingung zu knüpfen, daß der Prophet Gott wohlgefällige „edle Worte rede“. Aber im übrigen weiß Jeremia sich „unrein“ und schwach. Kein Prophet hat nach seiner Selbstbeurteilung etwas Eigenes an Heilsbesitz, er ist stets nur Mittel der Verkündung göttlicher Gebete. Immer bleibt er nur Werkzeug und Knecht seines jeweiligen Auftrags. Nie sonst ist der Typus der „Sendungsprophetie“ so rein ausgeprägt gewesen. Auch nicht in der altchristlichen Gemeinde. Keiner der Propheten gehörte einem esoterischen „Verein“ an, wie später die Apokalyptiker. Und keiner der Propheten hat daran gedacht, eine „Gemeinde“ zu stiften. Daß dafür jede Voraussetzung, insbesondere die Schaffungeiner neuen kultischen Gemeinschaft, wie sie der Kult des Kyrios Christos bot, fehlte und bei dem Vorstellungskreis der Propheten fehlen mußte, ist ein soziologisch entscheidender Unterschied gegen die altchristliche Prophetie. Die Propheten stehen inmitten einer politischen Volksgemeinschaft, deren Schicksale sie interessieren.

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Und sie sind rein ethisch, nicht kultisch interessiert, im Gegensatz zu den christlichen Missionaren, welche vor allem das Abendmahl als Vermittlung der Gnade brachten. An diesem Punkte zeigt sich in der Tat ein den spätantiken Mysteriengemeinschaften entstammender Einschlag des alten Christentums, der den Propheten völlig fremd war. Dies alles hängt nun wieder mit der Eigenart der israelitischen Beziehungen zu dem Gott zusammen, in dessen Namen die Propheten reden, und mit dem Sinn ihrer Verkündigung. Beide aber lieferte ihnen eben jene religiöse Vorstellungswelt, welche durch die israelitischen Intellektuellen, vor allem durch die levitische Thora, vorbereitet war. Sie haben, soviel erkennbar, weder eine neue Gotteskonzeption noch neue Heilsmittel noch auch nur neue Gebote verkündet, zum mindesten keine verkünden wollen. Sowohl ihr Gott wird als jedermann bekannt vorausgesetzt wie ebenso daß „dem Menschen gesagt ist, was ihm frommt“ (Micha 9). Nämlich: jene Gebote Gottes zu halten, die er aus der Thora kennt. „Thora Gottes“ nennt Jesaja auch seine eigene Verkündigung (30, 9). Auf die Uebertretung dieser schon bekannten Gebote nehmen die Propheten durchweg Bezug.

Ebenso aber lieferte ihnen die Umwelt die im Mittelpunkt ihrer Verkündigung stehenden Probleme. Die Kriegsangst des Volkes brandete mit der Frage nach den Gründen des göttlichen Zornes, nach den Mitteln ihn gnädig zu stimmen, nach den nationalen Zukunftshoffnungen überhaupt, an sie heran. Panik, Wut und Rachedurst gegen die Feinde, Angst vor Tod, Verstümmelung, Verwüstung, Exil (schon bei Amos), Versklavung., und die Frage: ob Widerstand oder Unterwerfung oder Bündnis mit Aegypten oder Assur oder Babel das Richtige sei, bewegten die Bevölkerung, wirkten auf die Prophetie zurück. Bis ins Innerste ihrer Vorstellungswelt wirkte diese allgemeine Erregung auch dann, wenn sie aus eigenem Antrieb an die Oeffentlichkeit traten.

Auf die Frage nach dem Warum des Unheils war die Antwort von Anfang an: es war Jahwes, des eigenen Gottes Wille so. So einfach das scheint, war es doch alles andere als selbstverständlich. Denn so viel Einzelzüge von Universalismus die Konzeption dieses Gottes auch, wenigstens in der Vorstellung der Intellektuellen, schon in sich aufgenommen hatte, so hätte der volkstümlichen Ansicht doch die Annahme eher entsprochen:

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entweder, daß die fremden Götter zurzeit aus irgendwelchen Gründen die stärkeren seien, oder: daß Jahwe seinem Volk nicht helfen wolle. Aber über dies letzte ging die prophetische Verkündung hinaus und behauptete: daß er selbst, absichtlich, das Unheil über sein Volk bringe. „Geschieht der Stadt ein Unglück und Jahwe täte es nicht“ fragt Amos (3, 6). Darüber, ob solche göttlichen Entschlüsse aktuell bedingt seien, wie die meisten Orakel voraussetzen, oder ob „von den Tagen der Vorzeit her“ das Verhängnis von Jahwe bereitet sei, wie Jesaja (37, 26) behauptete, wurde je nach den Umständen, vor allem: je nachdem mehr der erzürnte Bundesgott oder mehr der erhabene Weltmonarch im Vordergrund der Vorstellungswelt lebte, verschieden geurteilt. Aber in beiden Fällen war jene für die volkstümliche Ansicht furchtbare Behauptung des Amos aus den besonderen geschichtlichen Grundlagen des Jahwismus erwachsen. Das Entscheidende war dabei: Jahwe war von jeher, woran Amos (6, 6 f.) sehr ausführlich erinnert, vor allem ein Gott der Naturkatastrophen, welcher Pest und furchtbares Unheil aller Art über die, welchen er zürnte, senden konnte und oft gesendet hatte. Vor allem kriegerisches Unheil hatte er wieder und wieder über die Feinde gesandt und Israel daraus errettet, oft aber erst, nachdem er es lange Zeit solches Unheil hatte erdulden lassen. Deshalb, und nur deshalb, wurden die Propheten Politiker: das politische Unheil, und nur dies, stand jetzt drohend vor der Tür, eben das, was in Jesajas eigentliche Wirkungssphäre fiel. Seine Bedeutung, die anfänglich noch hinter den erwarteten kosmischen Naturkatastrophen zarücktrat, nahm in der Unheilweissagung stetig zu. Jahwe und keinem anderen Gott mußte es zugeschrieben werden. Er war aber andererseits der Gott, welcher Israel allein aus allen Geschlechtern der Erde erwählt hatte. „Eben darum“, läßt Amos (3, 2) ihn mit gewollter Parodoxie sagen, „suche ich an euch heim alle eure Schuld.“ Israel allein stand eben in der berith zu ihm, deren Bruch Hosea, der vielleicht zuerst den Gegensatz des Gottesvolkes gegen die unreinen „Völker“ festgelegt hat (9, 1 f.), dem Ehebruch verglich. Seinen Vorvätern hatte er bestimmte Verheißungen gemacht und einen Schwur geleistet. Diese Verheißungen hatte er gehalten und in Krieg und Frieden unermeßlichen Segen über das Volk gebracht. Er wird von den Propheten gemahnt, seinen Bund nicht zu brechen und er seinerseits fragt (Jer. 2, 5): welches

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Unrecht - gemeint ist: welches bundeswidrige Verhalten denn die Vorväter Israels an ihm, Jahwe, gefunden hätten ? Aber die Erfüllung der Verheißungen war an die Bedingung geknüpft, nicht nur daß sie ihm allein als ihrem einzigen Gott die Vertragstreue hielten und nicht anderen Kulten sich zuwendeten, sondern auch und zwar bei den meisten Propheten (Amos, Micha, Jeremia, aber auch Jesaja) vor allem: an die Innehaltung jener Gebote, die er ihnen auferlegt hatte. Und zwar hauptsächlich der nur ihnen auferlegten. Es gibt nämlich schon nach Amos Unrecht, welches Jahwe als Weltmonarch auch an anderen, namentlich den Israel benachbarten, Völkern ahndet. Dazu gehört (Amos 1, 3 ff.) die Verletzung einer Art von religiösen Völkerrechts, dessen Geltung unter den palästinischen Völkern vorausgesetzt wird. Natürlich vor allem Verletzungen gegenüber Israel: die barbarische Verwüstung Gileads durch die Damaskener, der Raub und Verkauf von Gefangenen an die Edomiter durch Gaza und Tyros, die Mitleidlosigkeit der Edomiter im Kriege, Aufschlitzen schwangerer Frauen durch die Ammoniter. Darin liegt nichts Besonderes. Aber Jahwe ahndet auch Unrecht dritter Völker gegenüber Dritten: so die Verbrennung einer edomitischen Königsleiche durch Moabiter. Darin äußert sich wohl die als Stamm-verwandtschaft gedeutete Kulturgemeinschaft der palästinischen Völker. Vielleicht auch völkerrechtliche Verbindungen. Den Edomitern wird ihr Unrecht als Verletzung der „Bruder“ - Beziehung zu Israel, Tyros geradezu als Mißach-tung eines „Bruderbundes“, vermutlich also einer beschworenen kriegsvölker-rechtlichen Abmachung über die Gefangenenbehandlung vorgehalten; es scheint möglich, daß auch mit anderen Nachbarvölkern ähnliche Abkommen bestanden, welche die Rache Jahwes motivierten. Die rein ethische Wendung vollzog sich mit der universalistischen Steigerung der Gotteskonzeption. Gegenüber den mesopotamischen Großkönigen gilt bei Jesaja deren maßlos grausame Kriegführung an sich als Grund für Jahwes Zorn. Dann aber die Hybris dieser Weltmonarchen, die Jahwes Eifersucht erregen mußte.

Im Gegensatz dazu wird nun nach Amos Israel selbst wegen aller Schuld gestraft. Es zieht sich seinen Grimm zu vor allem durch Verletzung der „Gerechtigkeit“, das hieß aber: der ihm eigentümlichen sozialen Institutionen. Bei den meisten Propheten gelten dafür jene Brüderlichkeitsgebote, welche die

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levitische Paränese im Anschluß an die alten Rechtssammlungen entwickelt hat. Bei Amos stehen (2, 6 f.) charakteristisch nebeneinander zunächst: die Verleitung der Nasiräer zum Bruch ihrer rituellen Pflichten und die Unterdrückung der Nebijim einerseits und andererseits der Bruch der Gebote des Bundesbuchs über die Behandlung israelitischer Schuldgefangener und über die Pfändung der Kleidung: Bestandteile der alten Kriegs- und Sozialverfassung also, deren Garant in den Zeiten der Eidgenossenschaft Jahwe war. Die besondere Stellung Jahwes zu Israel als Vertragspartner der Eidgenossenschaft tritt darin besonders klar hervor. In den Orakeln anderer Propheten wird neben den groben (im wesentlichen den dekalogischen) Privatsünden vor allem die Unbrüderlichkeit in allen ihren Formen, besonders aber, wie in der gesamten vorderasiatisch -ägyptischen Karitätsethik, als Unterdrückung der Armen im Gericht und durch Bewucherung herangezogen. In allen diesen Motivierungen von Jahwes Zorn aber, schon in den gewollten Paradoxien bei Amos, zeigt sich die Wirkung intensiver Intellektuellenkultur. Sozialethische Motivierungen göttlicher Strafen finden sich auch anderwärts. Die Patrimonialbürokratie der Großkönigreiche hatte überall in der Nachbarschaft das patriarchale und karitative „Wohlfahrtsstaatsideal“ entstehen lassen und überall war dort der Glaube verbreitet: daß gerade der Fluch des Armen gegen den Bedrücker besonders unheilbringend sei, die, offenbar durch phönizische Vermittlung, auch in Israel sich fand: Könige des Zweistromlandes werfen besiegten Gegnern inschriftlich vor, daß sie soziales Unrecht an den Untertanen verübt haben (so schon Urukagina und noch Kyros). Und vollends in den chinesischen Quellen findet sich beim Dynastiewechsel oder bei Eroberungen eines Teilstaates durch einen anderen Herrscher sehr häufig der Hinweis auf vorschriftswidrige Behandlung der Untertanen und unklassischen Lebenswandel. In allen solchen Fällen ist diese Motivierung Produkt priesterlicher oder ritualistischer Intellektuellenschichten in bürokratisierten Staaten. Das Besondere bei Israel war zunächst nur: daß eben diese karitativen Ansprüche an die herrschenden Schichten, vor allem die königlichen Beamten, übernommen wurden, welche überall sonst der Entwicklung eines nationalen bürokratischen Apparates und einer entsprechenden Bildungsschicht zu folgen pflegen1), während

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eben diese, patrimonialkönigliche, Entwicklung als solche zugunsten des alten Gaufürstenideals von den Frommen israelitischen Intellektuellen abgelehnt wurde. Und ferner: daß die Motivierung in den Unheildrohungen von Propheten sich findet und daß sie nicht nur den Herrscher persönlich, sondern das aus der berith solidarisch für die Sünden der Könige und Großen haftende Volk als solches mit Strafe bedroht. Dies hing eben mit der Besonderheit der politischen und religiösen Konstitution Israels zusammen.

Auch im übrigen finden wir bei den Propheten die Geistesarbeit der israelitischen Rechtsprechung und Weisheitslehre. Die Propheten nennen nebeneinander: „chuk“ die (wie wir sahen) durch Rechtsorakel der Chokekim festgestellte alte Gewohnheit, und „thora“, die rationale levitische Lehre (Amos 2, 4; Jes. 24, 5), endlich „mischpat“, das in Urteilssprüchen (Jes. 16, 5) und Satzungen der sarim und sekenim ausgesprochene Recht als die, neben ihren eigenen Orakeln: den „debarim Jahwe“, maßgeblichen Quellen der Sittlichkeit. Bei allem gelegentlich scharfen Gegensatz gegen die Richter, vor allem die sarim, die chokekim und auch die Thoralehrer, die das Wort nutzlos nur im Munde führen, wird die Verbindlichkeit dieser Normen nicht angefochten und auch die chokma, die Lebensklugheit der Weisheitslehrer, nicht prinzipiell verworfen. Allerdings ist die Stellung verschieden. Kein Prophet erhebt zwar, sahen wir, den Anspruch, neue Gebote zu verkünden, wie Jesus es gelegentlich mit Nachdruck tat: „es steht geschrieben, ich aber sage euch“. Sondern die Verfälschung des längst offenbaren wahren Willens Jahwes durch den „Lügengriffel der Schreiber“ und die „Trugsprüche“, welche die Chokekim zum Nachteil der Armen geben (Jes. 10, 1 f.), sind das Sündhafte, ebenso wie die immer wieder gebrandmarkten ungerechten Urteile der bestochenen Richter. Gelegentlich freilich findet sich aus der Souveränität des von Jahwe in seinen Rat gezogenen Propheten völlige Ablehnung des Werts der Chokma sowohl wie der Gebote (Mizwat), welche die Lehrer „nur im Munde führen“ (Jes. 29, 13. 14). Indessen diese bei Jeremia noch gesteigerte Skepsis gegen die Lehrer

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persönlich änderte nichts daran, daß eben doch die positiven Gebote der levitischen Thora und die der Propheten in der Sache identisch waren.

Die Bedeutung der Thora für die Prophetie geht aber über die Darbietung des materiellen Inhalts der Gebote hinaus. Die prophetische Grundvorstellung: daß Jahwe um sittlicher, insbesondere sozialethischer Verfehlungen willen furchtbare Uebel verhänge, hatte ja in der Beicht- und Sühnepraxis der Leviten und deren Entwicklung durch ihre sittlich - rationale Paränese ihre ursprüngliche Stätte. Auch die Uebertragung des Gedankens von der Rache des Gottes gegen Sünden und Verfehlungen einzelner auf solche des Volkes als einer Einheit ist, gleichviel wie alt das in der jetzigen Redaktion niedergelegte priesterliche Sühneritual für ganze Gemeinden sein mag, doch unbedingt vorprophetisch. Denn diese wichtige Vorstellung folgte aus dem niemals vergessenen Charakter Israels als eines aus der berith solidarisch haftenden Verbandes freier Volksgenossen. Die Orakel des Amos setzen diese Unheilstheodizee voraus. Aber wie jede Theodizee ist auch diese wohl zunächst geistiger Besitz nur von Intellektuellenschichten gewesen. Daß sie von einem Visionär wie Amos der Oeffentlichkeit in dieser ungeheuren Wucht aktuell, als Grund jetzt bevorstehenden Unheils, verkündet wurde, war vermutlich das noch nicht Dagewesene, was den gewaltigen Eindruck erklärt, der in der Aufbewahrung der Orakel dieses Propheten als des ersten von allen sich ausspricht. Außerdem natürlich das Eintreffen des Unheils, welches ja in einer Zeit politischer und wirtschaftlicher Blüte unter der Herrschaft Jerobeams II. geweissagt war. Denn wenn oben betont wurde, daß die Stellung der klassischen Prophetie bedingt war durch die sinkende Macht und steigende Bedrohung der beiden Königreiche, so darf das nicht mißverstanden werden. Nicht etwa das Auftreten von Unheilspropheten als solches war dadurch hervorgerufen. Als ein Unheilsprophet gegen den König trat schon Elia auf, und auch Unheilsprophetien gegen das Volk hat es vielleicht schon vor Amos gegeben. Die Unheilsvisionen der Propheten, waren an sich „endogen“ bedingt. Jeder Blick in ihre Schriften lehrt ja: daß wir es mit Persönlichkeiten zu tun haben, deren harte, bittere und leidenschaftlich düstere Temperierung in den meisten von ihnen selber, ohne Rücksicht auf die Augenblickslage, vorgebildet war. Sie sehen die Welt voll Unheil gerade im

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vollen Sonnenglanz scheinbaren Glücks. Assur wird bei Amos nicht mit Namen genannt: „der Feind“ heißt es, und „jenseits von Damaskus“ soll das geweissagte Exil liegen. Das war deutlich genug. Als Grund aber, das Unheil gerade von daher kommen zu sehen, führt der Prophet die Verehrung mesopotamischer Gottheiten an (5, 27). Nicht die Weltlage, sondern die Verderbnis rund um sie her begründet ihre düsteren Ahnungen, die auch bei Jesaja gerade in der Zeit nach Sanheribs Abzug sich, im Gegensatz zu seiner Siegeszuversicht vorher, wieder einstellten (22, 14). Das wirklich hereinbrechende Unglück scheint die Propheten eher innerlich zu entlasten: die Verderbnis, die sie um sich herum erblickten, schien eben dann endlich ihre Sühne zu finden und damit getilgt zu werden. Es bleibt freilich mehr als fraglich, wieweit man deshalb von einem spezifischen „Persönlichkeitstypus“ der Propheten im Sinne einer eindeutigen Prädisposition zu jener Gefühlslage sprechen darf. Denn selbst die verstümmelten Reste ihrer Orakel lassen uns die Grundverschiedenheit ihrer Temperierung erkennen: die stürmische, heiße, ungebrochene Leidenschaft des Amos, die Weichheit und Wärme der werbenden Liebe des Hosea, den stählern vornehmen und selbstsicheren Schwung und die starke und tiefe Begeisterung des Jesaja, die weiche, schwer unter depressiven Gefühlslagen und Zwangsvorstellungen leidende, aber durch den Zwang der Berufung zu verzweifeltem Heroismus zusammengeraffte Seele Jeremias, den ekstatisch aufgeregten, aber innerlich kalten Intellektualismus Hesekiels - alle diese Gegensätze lassen sich greifen und ändern doch an dem Charakter ihrer Unheilsprophetie nichts. Vor allem beweisend ist ein Umstand: mit dem endgültigen Tempelsturz ist die Unheilsprophetie alsbald zu Ende und die Tröstung und Heilsweissagung beginnt. Die Unheilsweissagung war also Produkt tiefen Abscheus vor dem Greuel des Abfalls von Jahwe und seinen Geboten und furchtbarer Angst vor den Folgen, des felsenfesten Glaubens an Jahwes Verheißungen und der verzweifelten Ueberzeugung: daß das Volk sie verscherzt habe oder zu verscherzen im Begriff stehe. Mit welchem Grade von Wahrscheinlichkeit aber das furchtbare Unheil bevorstehe, darüber hat die Ansicht auch ein und desselben Unheilspropheten offenbar gewechselt. Bald, namentlich bei Amos und Jeremia, gelegentlich auch beim jugendlichen Jesaja, schien jede Hoffnung eitel. Bald gab es Möglichkeiten, Wahr-

M a x W e b e r, Religionssoziologie III.

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scheinlichkeiten, ja Sicherheiten der Rettung oder doch - und das ist die Regel - der Wiederkehr besserer Zeiten nach dem Unheil. Kein Prophet hat diese Hoffnung dauernd absolut bestritten. Und er hätte es ja, wollte er sich irgend eine Wirkung auf seine Hörer versprechen, auch nicht bestreiten können. Diese Wirkung aber war den Propheten trotz des endogenen Charakters ihrer Ekstase nicht einfach gleichgültig. Sie fühlten sich als „Wächter“ und „Prüfer“ von Jahwe bestellt. Nur der galt Jeremia als echter Prophet, welcher die Sünden des Volks geißelt und - im Zusammenhang damit - Unheil kündet. Dann aber durfte das Unheil nicht absolut und endgültig sein, sondern bedingt durch die Sünde. Die Propheten, schon Jesaja, noch mehr aber Jeremia, schwanken in ihrer Haltung. Wo sie pädagogisch wirken wollen, ist Jahwe ein Gott, der sich seine Entschlüsse reuen läßt. Wo sie unter dem unmittelbaren Eindruck der Verderbnis reden, erscheint alles umsonst und hoffnungslos. Wie schwer die praktischen seelsorgerisch - pädagogischen Bedenken vor allem der Thoralehrer wogen, zeigt gegenüber der bei Jesaja anklingenden Vorstellung einer Prädestination der Unheilsschicksale die offenbar den Intellektuellenkreisen entstammende paradigmalische Erzählung von Jona, deren eigentliches Thema ja ist: die Un- wandelbarkeit der prophetischen Unheilsverkündung auszuschließen und vielmehr die Wandelbarkeit der Entschlüsse Jahwes zu rechtfertigen. Solche Erwägungen, welche für die in der Seelsorge bestehenden Thoralehrer und noch mehr für die priesterlichen Redaktoren maßgebend sein konnten, haben die ihren Gesichten hingegebenen Ekstatiker selbst freilich nicht ausdrücklich angestellt. Unbegründet scheint es andererseits, aus diesem Grunde anzunehmen, die Heilsverheißungen seien den Propheten überhaupt erst von der priesterlichen Redaktion in den Mund gelegt worden. Denn man erkennt deutlich die bei Amos nur einmal (5, 15), bei Hosea mehrere Male, und noch weit häufiger bei Jesaja und, trotz seines Pessimismus, am stärksten und ganz prinzipiell bei Jeremia (7, 23) sich einstellende pädagogische Absicht. Gegen jene Annahme der Interpolation spricht überdies das Vorhandensein ganz bestimmter Heilskategorien, wie des sich rechtzeitig bekehrenden „Rests“ schon bei den ersten Propheten (Amos). Vielmehr die traditionelle Hoffnung der Paränese und der eigene immer wieder auftauchende Gedanke: daß das Unheil unmöglich das Ende von Jahwes

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Plänen mit Israel sein könne, ließ das Heil, sei es auch in unbestimmter Art und nur für jenen „Rest, der sich bekehrt“ immer neu erstehen, und die pädagogische Absicht half dabei zunehmend, mochte auch im Einzelfall die Beklemmung nichts als düsteres Schicksal geschaut haben. Eine eindeutige psychische Determiniertheit zur „politischen Hypochondrie“ als Quelle ihrer Stellungnahme ist jedenfalls schwerlich anzunehmen.

Wenn die Unheilsprophetie in starkem Maße aus der eigenen durch Veranlagung und aktuelle Eindrücke bedingten psychischen Disposition der Propheten abzuleiten ist, so steht doch nicht weniger fest, daß es ganz und gar die geschichtlichen Schicksale Israels waren, welche dieser Verkündigung ihre Stellung in der Religionsentwicklung verschafften. Nicht nur in dem Sinne, daß uns die Tradition naturgemäß gerade Orakel solches Propheten aufbewahrt hat, welche eingetroffen waren oder eingetroffen zu sein schienen oder deren Eintreffen noch erwartet werden konnte. Sondern das zunehmend unerschütterliche Prestige der Prophetie überhaupt beruhte auf jenen wenigen, aber für die Zeitgenossen ungeheuer eindrucksvollen Fällen, in denen sie durch den Erfolg unerwartet Recht behielten. Dahin gehörten zunächst die Unheilsorakel des Amos über das damals mächtige Nordreich. Dann die Unheilsorakel des Hosea über die Jehudynastie und über Samaria. Dann die Heilsorakel des Jesaja für Jerusalem bei der Belagerung durch Sanherib. Aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz mahnte er mit nachtwandlerischer Sicherheit zum Ausharren. Und wenn schließlich der Enderfolg wohl eine verhüllte Unterwerfung des Königs war: - daß die Belagerung Jerusalems nicht zu einer Kapitulation führte, scheint sicher, da Sanherib in seinem Bericht darüber dies selber nicht behauptet. Dann und vor allem die Bestätigung der furchtbaren Unheilsorakel des jungen Jesaja, des Micha, vor allem aber des Jeremia und Hesekiel durch die Einnahme und Zerstörung Jerusalems. Endlich die vorhergesagte Heimkehr aus dem Exil. Seitdem war die Autorität der Prophetie, welche nach der schweren Enttäuschung der Schlacht von Megiddo augenscheinlich gelitten hatte, unerschütterlich. Daß die überwiegende Mehrzahl sogar der in die uns erhaltene Sammlung aufgenommenen Orakel nicht eingetroffen war, wurde völlig ver-gessen. Denn demgegenüber war es für die Prophetie von Nutzen: daß die Wandelbarkeit der Entschlüsse Jahwes von Anfang an, schon

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bei Amos, sehr nachdrücklich festgehalten war und die Anhänger der Prophetie sich hinter sie zurückziehen konnten, wie ja die Bußpraxis der Leviten diese Wandelbarkeit gleichfalls voraussetzte, indem die Sündenvergebung die Abwehr des drohenden Unheils verbürgte. Auch bei den Propheten wurde deshalb Jahwe - so sehr und in so gesteigertem Maße er bei ihnen ein Gott des Zornes und der Rache blieb und so schroff er im Einzelfall an seinem Zorne festhielt - doch immer wieder ein Gott der Gnade und Vergebung. Daß er dies war, unterschied ihn nach der prophetischen Ansicht von allen anderen Göttern. Ein weicher Zug geht durch derartige Gnadenprophetien, die sich namentlich bei Hosea und Jeremia, aber auch in manchen Orakeln des Jesaja finden. Jahwe wirbt um die Treue Israels wie ein Liebender um die der Geliebten.

Aber im ganzen mußten Jahwes Züge, auch da, wo diese gnädige Seite betont wurde, sich bei den Propheten doch ungleich majestätischer gestalten als in den literarischen Produkten aus den Kreisen der Thoralehrer, wie sie etwa das Deuteronomium repräsentierte. Ein Gott, der die großen Weltkönige als Mittel zur Bestrafung israelitischer Sünden zur Verfügung hatte und mit ihnen nach Belieben schaltete, mußte an Universalismus und Erhabenheit zu einer ganz anderen Höhe emporsteigen als der alte Bundesgott Israels und der bürgerliche Gnadenspender der Leviten. Die Propheten bevorzugen sämtlich in zweifellos beabsichtigter Anknüpfung an das alte heroische Zeitalter den Namen „Jahwe Zebaoth“, also die Bezeichnung des Bundeskriegsgottes. Aber mit ihm verschmolzen jetzt die Züge eines ganz großen Himmels- und Weltgottes. Der Hofhalt der Großkönige, die ja für Israel eine ähnliche Rolle spielten wie der persische Basileus, obwohl auch er der Landesfeind war, für die Hellenen etwa in Xenophons Kyrupädie, gab das Bild des himmlischen Hofstaates, in dem nicht mehr der alte Kriegsfürst seine Gefolgsleute, die „Göttersöhne“, um sich hatte, sondern eine Schar dienstbarer Himmelsgeister, welche sogar in der Tracht babylonischen und ägyptischen Mustern entnommen waren. Sieben Geister, den sieben Planeten entsprechend, umstanden seinen Thron, darunter einer mit der Schreibfeder und in Linnen gekleidet, dem Schreibergott entsprechend. Seine Späher reiten auf Rossen in den Farben der vier babylonischen Windgötter, durchstreifen die Welt und erstatten Bericht. Auf

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einem Wagen mit Keruben, offenbar babylonischen hieratischen Figuren gleichend, fährt der Himmelskönig in überirdischem Glanz daher. Gewiß kommt es trotzdem noch vor, daß er die Naturgeister zu Zeugen anruft gegen das vertragsbrüchige Israel, wie in einem Prozeß. Aber in der Regel ist er der souveräne Herr über die ganze Welt der Kreaturen. Die milde Gnadenfülle, die ihm gelegentlich zur Verfügung steht, hindert nicht, daß er auch wieder, wie die weltlichen Könige, gänzlich amoralische Züge an sich trägt. Wie die indischen Patrimonialkönige ihre agents provocateurs, so sendet er seinen „Lügengeist“, um seine Feinde zu verblenden. Die eigenen Propheten graut es gelegentlich vor ihm. Jesaja nennt seinen Ratschluß gegen Assur, daß er doch selbst als Werkzeug berufen, „barbarisch“. Hesekiel (20, 25), welcher an gleichartigen Vernichtungs-plänen Jahwe gegen die von ihm selbst herbeigerufenen Feinde Israels gar keinen Anstoß nimmt, glaubte doch auch, daß er dereinst Gesetze zum Verderben des eigenen Volkes gegeben habe. Daß er ungehorsamen israelitischen Königen absichtlich falsche Ratschläge sendet, war der Tradition selbstverständlich. Nur Hosea (11, 9) hat an solchen Zügen Anstoß genommen und, wenn die freilich zwischen Wellhausen und andern bestrittene Lesart richtig ist, Jahwe sagen lassen: er handle nicht „nach Leidenschaft“, weil er „heilig sei und kein Verderber“. Aber auch den Jesaja brachte die Erfahrung, daß das klare Prophetenwort von Israel dennoch verworfen und unbeachtet bleibe, zu der Ueberzeugung, daß Jahwe selbst es nicht anders wolle, daß er das Volk geradezu verstocke, um es zu verderben. Diese auch in der neutestamentlichen Verkündigung und später im Calvinismus wichtig gewordene Vorstellung nahm hier ihren Anfang. Von dem hellenischen Weltgott, etwa des Xenophanes, blieb Jahwe durch solche aktuell - leidenschaftliche Züge weit geschieden. Er blieb also, alles in allem, ein furchtbarer Gott. Oft scheint letzter Zweck seines Tuns lediglich die Verherrlichung der eigenen Majestät über alle Kreaturen. Das teilte er eben mit den irdischen Weltmonarchen. Daher bleibt sein Gesamtbild schwankend. Ein und derselbe Prophet sah ihn bald in übermenschlicher heiliger Reinheit und dann wieder als den alten Kriegsgott mit dem wandelbaren Herren. Wenn er dadurch hochgradig anthropomorphe Züge behielt, so wagen doch gerade die am stärksten erlebenden Propheten nicht mehr, wie die alten jahwistischen

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Erzähler, ihren Visionen der himmlischen Herrlichkeit allzu konkrete Züge zu verleihen, wenigstens soweit der von alters her unsichtbare Gott persönlich in Betracht kommt. Was sie sehen, ist „wie ein Thron“, aber doch kein wirklicher Thron: auch Jesaja erblickt nur den herabwallenden Königsmantel, nicht den Gott selbst.

Der Aufenthalt Jahwes blieb ebenso mehrdeutig wie sein Wesen. Daß er Himmel und Erde geschaffen und den Sternbildern ihre Stätte gewiesen hatte, wie schon Amos sagt, hinderte nicht, daß er, nach demselben Propheten, „vom Zion her brüllte“. Jesaja hatte seine Vision der göttlichen Herrlichkeit als Tempelvision. Diese Lokalisierung hätte das Prestige Jahwes beim Untergang des Tempels gefährden müssen. Ungezählte Heiligtümer sah man von den Eroberern verwüstet und ihre Idole forfgeschleppt, ohne daß deren Götter sich zu wehren vermochten. Sollte das Jahwe auch widerfahren ? Die Propheten schwankten. Jesaja war in manchen späten Orakeln, nach dem Abzug Sanheribs, im Gegensatz zu seinen früheren Drehungen felsenfest überzeugt, daß Jerusalem als Sitz Jahwes niemals fallen könne. Aber nachdem Amos und Hosea den Untergang des Nordreichs als von Jahwe selbst beabsichtigt vorhergesagt hatten, wurde, wie schon in Jesajas Frühorakeln, seit Micha und endgültig seit Jeremia auch der Untergang Jerusalems selbst ein im Rat Jahwes beschlossenes Schicksal, dessen schließlicher Eintritt also an dem Prestige des Gottes nun nichts änderte, es vielmehr steigerte. Die eigenen Götter der siegreichen Großkönige konnten nicht die Urheber dieser Katastrophe sein. Sie waren besudelt mit den Greueln des Hierodulenwesens und Idoldienstes oder gar mit dem verächtlichen Tierdienst der Aegypter. Alle solche Götter anderer Völker konnten daher höchstens Dämonen sein und wurden Jahwe gegenüber zu „Nichtsen“. Seit Hosea setzte die Verwerfung und Verspottung des Idolkultes ein und wurde in zunehmender Konsequenz von den Intellektuellen auf die Ueberlegung gestützt: daß das Idol Menschenwerk und deshalb ohne religiöse Bedeutung, am allerwenigsten aber der Sitz eines Gottes sei. Daß die anderen Götter überhaupt nicht existierten, ist indessen nicht einmal in der Exilszeit von Deuterojesaja behauptet worden. Immerhin stieß Jahwe der Sache nach durch die Unheilstheodizee der Propheten zum Range des einzigen für den Weltlauf entscheidenden Gottes

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empor. Besonders wichtig war nun dabei: Einmal, daß er die alten Züge des furchtbaren Katastrophengottes behielt. Dann die Anlehnung der Unheiltheodizee an die Sündenbeicht - Praxis der levitischen Thora. Und schließlich: die mit beidem zusammenhängende Wendung des Berithgedankens bei Amos, welche ihn selbst zum Urheber alles Unheils machte. Denn die Folge von alledem war eben: daß in der prophetischen Auffassung nie irgendwelche neben Jahwe existierende und ihm gegenüber irgendwie selbständige oder ihm feindliche Dämonen die Uebel über den Einzelnen und über Israel sendeten, sondern er allein alle Einzelheiten des Weltlaufs bestimmte: wie wir sahen, war dieser Monismus die wichtigste Voraussetzung der ganzen Prophetie. Der überall in der Welt volkstümliche Dämonenglaube drang wenigstens in die Intellektuellen-religiosität erst des späten nachexilischen Judentums ein, in vollem Umfang erst unter persischen dualistischen Einflüssen. Den Propheten war der babylonische Dämonenglaube sicher nicht unbekannt. Aber er blieb für ihre Konzeptionen ebenso unbedeutsam wie die astrologischen, mythologischen und esoterischen Lehren ihrer Umwelt. Daß Jahwe der Gott eines politischen Verbandes: der alten Eidgenossenschaft, gewesen und für die puritanische Auffassung geblieben war, erhielt ihm andererseits jenen durch allen kosmischen und historischen Universalismis, den er annahm, unvertilgbaren Zug: ein Gott des Handelns, nicht: der ewigen Ordnung, zu sein. Aus dieser Qualität folgte der entscheidende Charakter der religiösen Beziehung.

Schon die unmittelbaren Erlebnisse der Propheten selbst werden durch die für sie feststehenden Qualitäten des Gottes geformt. Immer kreist ihre Phantasie um das Bild eines himmlischen Königs von furchtbarer Majestät. Dies betrifft zunächst ihre visuellen Erlebnisse. Die Rolle des Visionären war, sehen wir, bei den einzelnen Propheten verschieden. Am größten bei dem ältesten Propheten, Amos, der daher auch „Seher“ (choseh) genannt wird. Aber auch bei den anderen Propheten, vor allem Jesaja und Hesekiel, fehlt sie nicht. Und die Propheten sehen auch anderes als nur die himmlische Herrlichkeit. Sie erblicken hellseherisch in der Ferne ein anrückendes Heer auf einer Paßhöhe oder von Babylonien aus den Tod eines mit Namen genannten Mannes im Tempel von Jerusalem. Oder der Prophet wird von einem aus Feuerglanz bestehenden Wesen an den

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Haaren von dort nach hier entrückt. Immer aber handelt es sich dabei um ein unmittelbares Eingreifen jenes göttlichen königlichen Machthabers, dessen er inne wird. Oder wenn der Prophet einen Mandelzweig oder einen Korb mit Obst sieht, so hat das etwas zu bedeuten und ist als Symbol von Gott geformt. Bald sind es Träume, besonders oft aber ist es ein Wachträumen, in welchem diese Visionen den Propheten bedrängen. Aber solche visuellen Erlebnisse werden, wie in anderem Zusammenhang schon erörtert, bei dem Propheten bei weitem und in höchst charakteristischer Art an Bedeutung überragt von den Gehörserlebnissen. Der Prophet hört entweder eine Stimme, die zu ihm spricht, ihm Befehle und Aufträge gibt, etwas zu sagen, unter Umständen auch: etwas zu tun oder, wie wir bei Jeremia sahen, eine Stimme spricht aus ihm, er mag wollen oder nicht. Das Ueberragen dieser Gehörserlebnisse über die Visionen war, wie schon einmal betont, kein Zufall. Es hing zunächst mit der überlieferten Unsichtbarkeit des Gottes zusammen, die es ausschloß, daß über ihn selbst und seine Erscheinung etwas ausgesagt werden konnte. Aber es war auch Folge der für die Propheten allein möglichen Art, einer Beziehung zu diesem Gott inne zu werden. An keiner Stelle findet sich bei den Propheten jene mystische Entleerung von allem Sinnlichen und Geformten, welche die apathische Ekstase Indiens einleitet, nirgends auch jene stille beseligende Euphorie des Gottbesitzes, selten der Ausdruck gottinniger Andacht und niemals des für den Mystiker typischen erbarmend - mitleidvollen Brüderlichkeitsgefühls mit allem Kreatürlichen. In einer erbarmungslosen Welt des Krieges lebt, herrscht, redet, handelt ihr Gott und tief unselig ist das Zeitalter, in welches sich die Propheten hineingestellt wissen. Vor allem aber: unselig im tiefsten Innern sind gerade manche der Propheten selbst. Nicht alle und nicht immer, aber oft gerade in den Augenblicken größter Gottesnähe. Von den vorexilischen Propheten hat Hosea den Zustand der Ergriffenheit vom Geiste Jahwes als beglückenden Besitz, Amos das Bewußtsein, in alle seine Pläne eingeweiht zu werden, als Stütze stolzer Selbstgewißheit empfunden. Jesaja drängt sich zu der Ehre der Prophetie. Aber schon er empfindet sie angesichts mancher furchtbaren Verkündungen des Gottes und der Härte seiner Entschlüsse gelegentlich als ein schweres Amt. Jeremia vollends bedeutet sein Prophetenamt eine unerträgliche Last. Nie

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jedenfalls ist die Nähe Jahwes ein seliges Innewohnen des Göttlichen, vielmehr immer Pflicht und Gebot, meist jagende stürmische Forderung. Wie ein Mädchen vom Mann oder wie der unterlegene Ringer fühlt sich Jeremia von Jahwe vergewaltigt Auch dieser religionsgeschichtlich wichtige Tatbestand, grundverschieden von aller indischen und chinesischen Prophetie, ergab sich nur zum Teil aus psychischen Vorbedingungen, zum andern aber aus der Deutung, welche der jüdische Prophetismus seinen Erlebnissen zu geben gezwungen war. Gezwungen durch die Art des Glaubens, in den er hineingebannt war und der, als unerschütterliches Apriori vor allen ihren Erlebnissen stehend, die Auslese derjenigen Zuständlichkeiten bestimmte, welche als echt prophetische gelten durften. Die beispiellose Wucht sowohl wie die feste innere Schranke dieser Prophetie fanden darin ihre Begründung. Die Propheten konnten infolge jenes Apriori nicht „Mystiker“ sein. Ihr Gott war - bis auf Deuterojesaja - durchaus menschlich verständlich und mußte es sein. Denn: er war ein Herrscher, von dem man zu wissen begehrte, wie seine Gnade zu erlangen sei.

Nirgends und niemals wird von den Propheten oder (soviel wir wissen) ihrem Publikum die Frage nach einem „Sinn“ der Welt und insbesondere des Lebens, nach einem rechtfertigenden Grunde seiner brüchigen, leid- und schuldbehafteten Vergänglichkeit und seiner Widersprüche auch nur aufgeworfen, wie sie in Indien aller heiligen Erkenntnis den entscheidenden Antrieb gab. Und was damit zusammenhängt: nie und nirgends ist es das Bedürfnis nach Rettung, Erlösung, Vollendung der eigenen Seele aus und gegenüber dieser unvollkommenen Welt, was den Propheten oder sein Publikum zum Gott treibt. Niemals vollends fühlt sich der Prophet durch sein Erlebnis vergottet, mit dem Göttlichen vereinigt, entrückt der Qual und Sinnlosigkeit des Daseins, wie dies dem indischen Erlösten widerfährt und für ihn den eigentlichen Sinn religiösen Erlebens darstellt. Niemals weiß er sich dem Leiden oder auch nur der Knechtschaft unter der Sünde entronnen. Nirgends ist Raum für eine unio mystica oder gar für die innere seelische Meeresstille des buddhistischen Arhat. All dergleichen gab es nicht und vollends eine metaphysische Gnosis und Weltdeutung kam gar nicht in Betracht. Denn das Wesen Jahwes enthielt nichts Uebersinnliches in der Bedeutung von etwas jenseits von Verstehen und Begreifen

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Liegendem. Seine Motive waren menschlichem Verständnis nicht entrückt. Im Gegenteil war gerade das Verstehen der Entschlüsse Jahwes aus berechtigten Motiven die Aufgabe des Propheten ebenso wie die des Thoralehrers. Jahwe war ja sogar bereit, vor dem Gericht der Welt das Recht seiner Sache zu vertreten. Höchst einfach und offenbar erschöpfend wird bei Jesaja (28, 23 - 29) die Art seines Weltregimentes in einem der bäuerlichen Wirtschaft entnommenen Gleichnis dargestellt; das genügte als Theodizee ebenso vollständig wie in den ganz ähnlichen Gleichnissen von Jesus, die in dieser Hinsicht von durchaus ähnlichen Voraussetzungen ausgehen. Eben diesen rationalen Charakter sowohl des Weltgeschehens selbst, welches weder durch blinden Zufall noch durch magische Zauberkräfte bestimmt ist, sondern verständliche Gründe hat, wie auch der Prophetie selbst: daß ihre Orakel im Gegensatz zur gnostischen Esoterik verständlich waren für jedermann, empfanden die Juden auch später als das ihren Propheten Spezifische. Von prinzipieller „Unerforschlichkeit“ konnte keine Rede sein, so gewiß Jahwes Horizont unvergleichlich war mit demjenigen der Kreatur. Diese prinzipielle Verständlichkeit der göttlichen Ratschlüsse war es, welche jede Frage nach einem Sinn der Welt, der noch hinter ihm gelegen hätte, ebenso ausschloß wie seine majestätische Herrscherpersönlichkeit jeden Gedanken an mystische Gottesgemeinschaft als Qualität der religiösen Beziehung zu ihm. Etwas derartiges oder vollends die Selbstvergottung konnte kein echter Jahweprophet und keine Kreatur überhaupt in Anspruch zu nehmen wagen. Der Prophet konnte nie zum dauernden inneren Frieden mit Gott kommen: das schloß dessen Natur aus. Er konnte nur seinen inneren Druck entladen. Die positive, euphorische Wendung seiner Gefühlslage aber mußte er in die Zukunft projizieren: als Verheißung. Das bestimmte die Auslese der prophetischen Temperamente. Es besteht gar kein Grund zu der Annahme, daß auf palästinischem Boden apathisch - mystische Zuständlichkeiten indischen Gepräges etwa nicht auch gefühlt worden seien. Es läßt sich nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, ob nicht Propheten wie Hosea und vielleicht auch noch andere ihrerseits derartigen Zuständlichkeiten zugänglich gewesen wären. Aber ebenso wie emotionale Ekstasen des israelitischen Typus in Indien sich vermutlich entweder einer leidenschaftlichen Kasteiungsaskese zugewendet hätten oder ihre Träger, wenn sie als

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Demagogen aufgetreten wären, nicht als Heilige, sondern als Barbaren gegolten und keine Wirkung geübt hätten, - so mußte es umgekehrt den apathisch - ekstatischen Zuständlichkeiten in Israel gehen. Sie wurden von der Jahwereligion nicht als religiöser Heilsbesitz gedeutet und wurden daher nicht, wie in Indien, Gegenstand schulmäßiger Züchtung. Vollends anomistische Konsequenzen des ekstatischen Gottbesitzes wurden scharf abgelehnt. Ein Lügenprophet ist nach Jeremia jeder, der das Gesetz Jahwes mißachtet und das Volk nicht zu ihm hinzuführen trachtet.

Wenn so das mystische Haben eines außerweltlichen Göttlichen abgelehnt wurde zugunsten des aktiven Handelns im Dienst des überweltlichen, aber prinzipiell verständlichen Gottes, so ebenfalls die Spekulation über den Seinsgrund der Welt zugunsten der schlichten Hingabe an die positiven göttlichen Gebote. Irgend eine philosophische Theodizee wurde gar nicht zum Bedürfnis, und wo sich dies Problem, an welchem in Indien immer erneut gearbeitet wurde, doch meldete, wurde es mit den denkbar einfachsten Mitteln erledigt. Ueber den Auszug aus Aegypten zurück reicht das Denken der vorexilischen Propheten bis auf Hesekiel nicht. Nicht nur die Erzväter spielen - im Gegensatz zum Deuteronomium - eine sehr bescheidene Gelegenheitsrolle, sondern noch der „Urmensch“ des Hesekiel (28, 17) weist auf eine ganz andere Abwandlung des Adam - Mythos als die später rezipierte ist. Die Legende vom goldenen Kalb ist Hosea offenbar nicht bekannt: bei ihm spielt der Frevel mit dem Baal - Peor die entsprechende Rolle. Immer nur auf das Motiv des Bundesschlusses Jahwes mit Israel als mit einem Verband, dessen Glieder solidarisch füreinander und auch für die Taten der Ahnen haften, nicht aber auf erbsündliche Qualitäten der Menschen, auch nicht etwa auf Adams Sündenfall, wird Jahwes Zorn zurückgeführt. Der Mensch erscheint als durchaus zulänglich, Jahwes Gebote zu erfüllen, wenn er es auch leider selten wirklich dauernd tut und deshalb des Erbarmens Jahwes immer erneut bedarf. Auch handelt es sich den Propheten überhaupt nicht in erster Linie um die Frage der sittlichen Qualifikation der Einzelnen, sondern um die Folgen, welche das gottwidrige Tun der berufenen Vertreter des Volks, der Fürsten, Priester, Propheten, Aeltesten, Patrizier und erst in zweiter Linie auch das aller anderen Volksgenossen

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über die Gesamtheit bringen konnte und mußte. Zuerst bei Hesekiel (Kap. 14 u. 18) wird das Problem ausdrücklich aufgeworfen: warum eigentlich die Gerechten mit den Ungerechten leiden müßten und wo dafür ein Ausgleich sei. Bei Jeremia (31, 29) wird nur für das Zukunftsreich in Aussicht gestellt, daß ein jeder nur für seine Missetat zu büßen haben werde und man nicht mehr sagen werde: „Die Väter haben Herlinge gegessen und den Kindern sind davon die Zähne stumpf geworden.“ Das Deuteronomium hatte, wie wir sahen, mit dem Grundsatz der Solidarhaft gebrochen. Es ist charakteristisch für die Eigenart der gänzlich an den Schicksalen der Volksgesamtheit, nicht des Einzelnen, orientierten Prophetie, daß sie gerade in diesem Punkt konservativer blieb. Allerdings: für das Endheil wird von Anfang an, schon bei Amos, erwartet, daß der fromme „Rest“ vom Unheil verschont und am Heil beteiligt werde. Und auch jene Frage der Theodizee wird bei Hesekiel dahin beantwortet oder eigentlich nicht beantwortet: daß Jahwe die Gerechten am Tage des Unheils verschone, diejenigen, welche nicht gewuchert, welche Pfandgut wiedererstattet, Wohltätigkeit geübt haben, belohnen werde, und daß alle die, welche sich rechtzeitig bekehren werden, nicht sterben sollen. Aber das sündige Volk soll um einiger noch so frommer Menschen willen nicht errettet werden (14, 18). Die Hoffnung war lediglich: dem „Rest von Jakobs“, der ihm treu bleiben würde, würde Gott, wenn die Zeit der Rache vergangen wäre, eine bessere Zeit kommen lassen. Aber inzwischen galt für die Prophetie in der Beziehung zu Jahwe wie bei Blutrache, Fehde und Krieg: daß der Einzelne für das einzustehen hatte, was seine Stammes- und Sippengenossen taten oder die Vorfahren getan und ungesühnt gelassen hatten. Verfehlungen gegen die Bundespflicht waren wieder und wieder geschehen und auch in der Gegenwart leicht nachzuweisen. Folglich war der Gott schlechthin immer im Recht und irgendwelche Probleme einer Theodizee gab es nicht. Am allerwenigsten schließlich führten sie zu Jenseitserwartungen. Der Vorstellung, daß das eschatologische Ereignis ein „Gericht“ sei, klingt an, ist aber nirgends ausgeführt1): es genügt der „Zorn“ des Gottes, um alles zu motivieren. Das Schattenreich des Hades galt allen vorexilischen Propheten ganz ebenso wie

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den Babyloniern als unvermeidlicher Aufenthalt aller Toten, die Jahwe nicht, wie einige große Helden, zu sich genommen hatte. Das Sterben als solches galt als Uebel, das vorzeitige, gewaltsame unerwartete Sterben als Zeichen göttlichen Zornes. Scheol sperrt den Rachen auf bei Jesaja (5, 14) und die Rettung vor Scheol, von der Hosea (13, 14) spricht, ist nicht etwa Rettung vor einer „Hölle“, sondern einfach vor dem physischen Tode. Der prophetische Horizont blieb darin wie der offizielle babylonische völlig diesseitig, sehr im Gegensatz zu den hellenischen Mysterien und der orphischen Religion, welche durchweg mit Jenseitsverheißungen arbeiteten. Sie kümmerte eben das individuelle Heil, die israelitische Prophetie dagegen, obwohl sie an die Seelsorge der Leviten anknüpfte, nur das Schicksal des Volkes als eines Ganzen: immer erneut zeigt sich darin ihre politische Orientierung. Auch die babylonischen und sonstigen Hadesfahrtmythen ließ die Prophetie ganz beiseite. Sie hatten ja mit dem Zukunftsschicksal der frommen Gemeinde nichts zu schaffen und paßten nicht in den Jahwe - Glauben hinein. Erst in einem fälschlich dem Jesaja zugeschriebenen Gedicht der Exilszeit finden sich Spuren von Unterscheidungen im Schicksal der Toten im Hades, zweifellos unter dem Einfluß spätbabylonischer Vorstellungen. Und auch da noch behält der Hades ganz den homerischen Charakter: Alle, auch die großen Könige, sind kraftlose Schatten, nur werden bestimmten großen Verbrechern besondere Strafen zuteil (Jes. 14, 9 f., 19 f.). Ganz konkret und positiv, rein diesseitig, waren Jahwes Gebote, ebenso konkret und ebenso rein diesseitig seine alten Verheißungen. Nur aktuelle Probleme konkreten innerweltlichen Handelns konnten auftauchen und Antwort fordern. Alle andere Problematik blieb ausgeschaltet. Man muß sich die dadurch bedingte ungeheure seelische Kräfteökonomie ganz klarmachen, um die Tragweite dieses Sachverhaltes zu ermessen. Wie etwa für Bismarck die Ausscheidung alles metaphysischen Grübelns und statt dessen der Psalter auf seinem Nachttisch eine der Vorbedingungen seines durch Philosopheme ungebrochenen Handelns war, so wirkte für die Juden und die von ihnen beeinflußten religiösen Gemeinschaften diese niemals wieder ganz niedergebrochene Barrikade gegen das Grübeln über den Sinn des Kosmos. Handeln nach Gottes Gebot, nicht Erkenntnis des Sinns der Welt frommte dem Menschen.

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Ihre spezifische Eigenart empfängt eine Ethik nun nicht durch die Besonderheit ihrer Gebote - die israelitische Alltagsethik war derjenigen anderer Völker nicht unähnlich -, sondern durch die zentrale religiöse Gesinnung, welche hinter ihr steht. Auf deren Prägung war die israelitische Prophetie von sehr starkem Einfluß.

Die entscheidende religiöse Forderung der Propheten war nicht die Innehaltung einzelner Vorschriften, so wichtig diese an sich war und so sehr sich der echte Prophet als Sittenwächter fühlte und noch bei Jesaja (3, 10) gelegentlich die massivste Werkgerechtigkeit das Wort führt. Sondern: der Glaube. Nicht in irgendwie gleichem Maß: die Liebe. Diese war allerdings bei dem nordisraelitisch orientierten Hosea (3, 1) das religiöse Grundverhältnis zwischen dem Gott und seinem Volk und auch bei anderen Propheten, vor allem bei Jeremia (2, 1 f.) ist in stimmungsvoller Lyrik die in der Vorzeit bestehende bräutliche Liebesbeziehung Jahwes zu Israel geschildert. Aber das ist nicht das Vorwaltende und vor allem ist niemals eine Liebesgemeinschaft mit Gott die spezifische heilige Zuständlichkeit. Den Grund kennen wir schon.

Die Forderung des Glaubens nun ist innerhalb Israels vermutlich von den Propheten, und zwar von Jesaja (7, 9), zuerst mit diesem ungeheuren Nachdruck erhoben worden. Das stimmt zu der Art der prophetischen Eingebung und zu deren Deutung. Die göttliche Stimme ist es, die sie hören, und diese verlangt zunächst schlechthin nichts anderes von ihnen selbst und durch sie vom Volk, als: Glauben. Der Prophet mußte ja Glauben für sich selbst fordern und dieser hatte den ihm aufgetragenen Verkündigungen seines Gottes zu gelten. Der Glaube, den die jüdischen Propheten verlangten, war daher nicht jenes innere Verhalten, welches Luther und die Reformatoren darunter verstanden. Er bedeutete wirklich nur das bedingungslose Vertrauen darauf, daß Jahwe schlechthin alles vermöge, daß seine Worte ernst gemeint seien und aller äußeren Unwahrscheinlichkeit zum Trotz in Erfüllung gehen werden. Diese Ueberzeugung ist gerade von den größten Propheten, vor allem Jesaja und Hesekiel, zur Grundtatsache ihrer Stellungnahme gemacht worden. Gehorsam und vor allem Demut sind die daraus folgenden Tugenden und auf beide, namentlich aber auf die Demut: die strenge Meidung nicht nur der Hybris im hellenischen Sinn,

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sondern letztlich jedes Vertrauens auf die eigene Leistung und allen Selbstruhms legte Jahwe ganz besonders Gewicht: eine für die spätere Entwicklung der jüdischen Frömmigkeit folgenreiche Vorstellung. Die alte, die Lebensklugheit der homerischen und noch der solonischen und herodotischen Zeit durchziehende Furcht vor dem Neid der Götter durch allzugroßes Glück und ihrer Rache gegen stolzes Selbstvertrauen blieb dort in der Wirkung in den Schranken einer klugen und herben Ansicht vom Menschenlos. Die Zumutung einer „Demut“ im Sinn der Propheten wäre der Heldenwürde anstößig gewesen und ein eigentlicher Vorsehungsglauben mit seiner Forderung, Gott allein die Ehre zu geben und dem unterwürfigen Sichfügen in seine Ratschlüsse konnte nur in der Nachbarschaft von Weltmonarchien, nicht in Freistaaten die Herrschaft gewinnen. Bei den Propheten aber ist diese Note absolut herrschend geworden. Die Großkönige scheitern und ihre Reiche gehen zugrunde, weil sie sich selbst, nicht Jahwe, die Ehre ihrer Siege geben. Und die Großen im eigenen Lande treiben es zu ihrem Verderben nicht anders. Wer dagegen in Demut und völligem Gehorsam vor Jahwe wandelt, mit dem ist er, und der hat schlechthin nichts zu fürchten. Das war nun auch die Grundlage der prophetischen Politik. Die Propheten waren Demagogen, aber alles andere als Realpolitiker oder politische Parteimänner überhaupt. Damit kommen wir auf das zurück, was eingangs gesagt war.

Die politische Stellungnahme der Propheten war rein religiös, durch die Beziehung Jahwes zu Israel motiviert, politisch angesehen aber durchaus utopischen Charakters. Jahwe allein wird alles nach seinen Absichten lenken. Und diese Absichten sind angesichts des Verhaltens seines Volkes für die nächste Zukunft drohend und furchtbar. Die Großkönige und ihre Heere sind, wie wir sahen, sein Werkzeug. Insofern ist ihr Tun gottgewollt und Jesaja findet den Willen Jahwes, sie, die er doch selbst gerufen, zu vernichten, „barbarisch“. Für Jeremia ist Nebukadnezar „Gottes Knecht“ und im spätnachexlischen Danielbuch wird er infolge dieser Bezeichnung zu einem zu Jahwe Bekehrten.

In der Art dieser Konzeptionen und vor allem: in ihrer Rezeption durch die israelitische Frömmigkeit tritt wieder die Sonderstellung Israels hervor. Unheilsorakel hat dem eigenen Volk in einer ganz ähnlichen Lage: beim Bevorstehen des Perser-

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angriffen, auch der delphische Apollon gegeben: den Rat, zu fliehen bis an die Enden der Erde. Aber das war verhängtes Schicksal, nicht Folge von religiöser Schuld. Indessen auch die Vorstellung, daß ein erzürnter Gott, auch der eigene Verbandsgott, Unglück, insbesondere auch kriegerisches Unglück, über das eigene Volk kommen läßt, ist in der ganzen Antike weit verbreitet und findet sich namentlich auch in der frühhellenischen Poesie. Und auch die weit spezifischere Vorstellung: daß ein universeller Gott zur Strafe für Schuld des Volkes die Feinde gegen die Stadt heranfährt und diese dadurch entweder dem Untergang nahe bringt oder wirklich untergehen läßt, ist nicht der israelitischen Prophetie eigentümlich. Sie findet sich bei Platon, im Kritiasfragment und im Timaios, - Schriften, die wohl unter dem furchtbaren Eindruck des Sturzes der Macht Athens nach Aigospotamoi standen. Und auch hier gelten ähnliche Untugenden wie dort: Chrematismus und Hybris, als Gründe des göttlichen Einschreitens. Aber diese theologischen Konstruktionen eines philosophischen Schulhaupts blieben ohne alle religionsgeschichtliche Wirkung. Die Gassen von Jerusalem und der Hain des Akademos waren sehr verschiedene Verkündigungsstätten, dem vornehmen Denker und politischen Pädagogen der gebildeten Jugend Athens und - gelegentlich - syrakusischer Tyrannen oder Reformatoren lag die wilde Demagogie der Propheten ganz fern, und die geordnete athenische Ekklesia mit ihrer rational geordneten Beratung wäre bei aller Deisidaimonie und emotionalen Erregbarkeit doch keine Stätte ekstatischer Orakel gewesen. Vor allem aber fehlte durchaus die spezifisch - israelitische Konzeption sowohl der Katastrophen - Natur Jahwes wie der speziellen berith des Volkes mit dem Gott, welche erst der ganzen Vorstellung die pathetische Resonanz einer Bestrafung des Bruchs eines Vertrags mit diesem furchtbaren Gott selbst gab. Eine so beträchtliche Rolle daher Orakel ebenso wie Omina in der hellenischen Antike bei einzelnen politischen Entschlüssen gespielt haben, so hat sich doch eine solche prophetische Theodizee daraus nicht entwickelt, wie sie die Schriftpropheten von Anfang an der Deutung ihrer Unheilsgeschichte zugrunde legten. Zwar ist das Sehen des Unheils nicht die Folge dieser Art der Deutung. Wie Jeremia sich von Jahwe bezeugen läßt: daß er den Tag des Unheils für Juda nicht gerufen, sondern verkündet habe, was ihm, zu seiner Qual, befohlen war,

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so sträubt sich, sahen wir, Jesaja innerlich gegen gewisse Unheilsdrohungen gegen Assur. Aber die Deutung des einmal geschehenen Unheils für Israel verläuft dann in den Bahnen, welche die Konzeptionen der israelitischen Intellektuellen und vor allem der Thoralehrer auf Grund der alten berith -Vorstel-lung gewiesen hatten.

Für Israel galten die Gebote der Paränese. Gegen andere Völker schreitet Jahwe dann ein, wenn seine Majestät frech angetastet wird. Die bekannten Fluchsprüche Jesajas gegen Assyrien sind nach ihrer Begründung ausschließlich dadurch motiviert, daß der nähere Eindruck von dem Verhalten dieser Könige es dem Propheten unmöglich erscheinen ließ, daß Jahwe dies dauernd gewähren lasse. Irgendwelche realpolitischen Erwägungen waren also bei dem scheinbaren Wechsel der Stellung des Propheten zu Assur nicht im Spiel. Und was Jerusalem anlangt, so wechselte seine Stellung gleichfalls aus rein religiösen Gründen. Die verderbte Stadt schien anfangs dem Untergang geweiht. Die Jahwefrömmigkeit Hiskias brachte ihn zu der Ansicht: daß Jerusalem niemals fallen werde. Trotz der Bestärkung dieser Ansicht durch den Abzug Sanheribs führte ihn dann der Eindruck der unverändert fortbestehenden Frevel zuletzt wieder zum Pessimis-mus: Das werde nun niemals verziehen werden. Ebenso ist bei den anderen Propheten stets das jeweilige religiöse Verhalten der maßgebenden Schichten das für sie Entscheidende. Zuweilen scheint es fast bei jedem von ihnen, daß sie an allem Heil verzweifelten. Bei Amos, Jesaja und Jeremia muß dies zeitweilig auch so gewesen sein. Aber endgültig hat das bei keinem vorgehalten. - Utopisch aber, wie ihre Politik, war auch ihre Zukunftserwartung, die erst als alles beherrschender Hintergrund die ganze Gedankenwelt der Propheten innerlich zusammenhält.

Die Phantasie der Propheten ist gesättigt mit kommenden kriegerischen und teilweise kosmischen Schrecknissen. Dennoch aber, vielmehr: eben deshalb, träumen sie alle von einem kommenden Friedensreich. Schon bei Hosea, dann ebenso bei Jesaja und Zephanja nimmt dies Zukunftsreich die üblichen babylonisch - vorderasiatischen paradiesischen Züge an. Daß freilich die astronomische babylonische Lehre von der durch die Präzession der Nachtgleichen bedingten periodischen Weltumwälzung sich

M a x W e b e r, Religionssoziologie III.

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bei den Propheten finde, ist mit Unrecht behauptet worden1). Die damit keineswegs notwendig zusammenhängenden, irgendwie fast in der ganzen Welt verbreiteten, in der Antike noch in Vergil's vierter Ecloge in der typischen Form des nach der eisernen Zeit wiederkehrenden goldenen Zeitalters verbreiteten Urstandsvorstellungen und Zukunftshoffnungen sind es, die hier den besonderen Voraussetzungen der Beziehung Israels zu Jahwe angepaßt werden. Eine neue berith mit Israel, aber auch mit dessen Feinden und sogar mit den wilden Tieren wird Jahwe aufrichten. Die pazifistische Hoffnung kehrt seitdem, abwechselnd mit Erwartungen der Rache an den Feinden, immer wieder. Der wunderbare eschatologische Königsknabe Immanuel, der Honig und Rahm ißt, ist bei Jesaja ein Friedensfürst, der bis an die Enden der Erde waltet. Daß der Tod wieder verschwinden wird, hat kein Prophet zu versprechen gewagt. Aber (Tritojesaja 65, 20) ein jeder soll „seine Jahre erfüllen“. Indes neben solchen Konzeptionen, welche offenbar durch Uebertragung volkstümlicher Urstandsmythen in die Intellektuellen - Spekulationen vorbereitet waren, stehen die massiven Zukunftserwartungen der Bürger und Bauern. Vor allem: äußeres Wohlergehen aller Art. Daneben aber: Rache an den Feinden. Wenn diese vollstreckt ist, dann werden Rosse und Wagen und aller Apparat des Königtums, sein Prunk und die Paläste seiner Beamten dahinsinken und verschwinden und ein Heilsfürst nach der Art der alten Gaufürsten auf einem Esel reitend in Jerusalem einziehen. Dann wird der Militärapparat überflüssig und aus den Schwertern werden Pflüge geschmiedet.

Wie verhält sich nun diese bald mehr bürgerlich, bald paradiesisch vorgestellte Heilszeit zu der von allen vorexilischen Propheten verkündeten Unheilsdrohung ? Man hat vielfach geglaubt, ein einheitliches „Schema“: erst furchtbares Unheil, dann überschwengliches Heil, als durchgehenden Typus der Weissagung feststellen zu können und angenommen, daß dieser Typus aus Aeygpten übernommen worden sei. Die Existenz eines solchen einheitlichen Schemas für Aegypten scheint durch die bisher dafür beigebrachten Beispiele - im Grunde: nur zwei - nicht

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hinlänglich gesichert. Auch würde die Einwirkung der zweifellos auch in Palästina verbreiteten Vegetations- und Astralkulte mit ihren in Peripetien verlaufenden Mythologemen wohl ebenso naheliegen (so besonders Jes. 21, 4 f.) Denn bei ihnen galt allgemein: daß es erst völlig Nacht oder völlig Winter geworden sein muß, ehe die Sonne oder der Frühling wiederkehrt. Daß dies die Phantasie über den eigentlichen Kultkreis hinaus beeinflussen konnte, ist zweifellos, wenn es auch nicht sicher ist, ob eine Einwirkung auf die Propheten von da aus stattgefunden hat. Denn zunächst läßt sich das angebliche Schema nicht allgemein in der Prophetie nachweisen. Gerade bei den älteren Propheten sind die Orakel, welche ihm entsprechen, keineswegs die Regel. Bei Amos findet sich von einer Peripetie nur ein Beispiel (9, 14). Sonst nur die Hoffnung, daß vielleicht, aber nicht sicher, der Rest, der sich bekehrt, durch Jahwes Gnade erhalten bleiben werde und nur die Sünder sterben (6, 15; 9, 8. 10), während die meisten seiner Orakel nur Unheilsdrohungen enthalten. Bei Hosea scheint das Schicksal des Nordreichs und dasjenige Judas verschieden. Bei Jesaja finden sich Unheilsorakel ohne Heilsweissagung und steht die Heilsweissagung vom Immanuelknaben außer Zusammenhang mit einem Unheilsorakel. Eine eigentliche Peripetie vom Unheil zum Heil findet sich bei ihm vor allem in einem Orakel (21, 4 f.), wo Jerusalem im Hades versinkt, dann aber gerettet wird. Und dies erinnert allerdings an kultische Mythologeme. Ebenso findet sich aber bei fast allen Propheten der von jenem Schema ganz abweichende deuteronomische Typus der Alternative: entweder Heil oder Unheil, je nach dem Verhalten des Volkes, ziemlich oft (Amos 5, 4 - 6; Jes. 1, 19. 20: vordeuteronomisch, Jer. Kap. 7 und 18, Hes. Kap. 18: nachdeuteronomisch). Allgemein richtig ist nur, daß kein Prophet ausschließlich Unheilsorakel verkündet hat. Weiter: daß in einigen Fällen die Heilsweissagung mit der Unheilsdrohung als Peripetie nach der Befriedigung von Jahwes Zorn und als Lohn für den frommen „Rest“ verknüpft ist, daß ferner das Unheil in vielen Orakeln als ganz unabwendbar und unter allen Umständen hereinbrechend erscheint, wie ein längst verhängtes Schicksal, und daß endlich, wenn man die Gesamtheit der Orakel eines Propheten überblickt, allerdings der Eindruck entstehen muß: daß beides, Unheil wie Heil, und natürlich zuerst das erstere, unweigerlich kommen werde. Die Unabwendbarkeit des

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Unheils erscheint als Folge der Sünden schon der Vorväter, die grundlos den Bund brachen (Jer. 2, 5). Aber diese fatalistische Vorstellung ist bei der Mehrzahl der Propheten ebensowenig festgehalten wie bei den Thoralehrern. Der Weg der Umkehr und Abwendung des Unheils steht offen, wenn schon ihn nur ein „Rest“ beschreiten wird. Eine Einheitlichkeit im Sinne eines Schemas besteht, wenn man die einzelnen Orakel vergleicht, nicht einmal bei einem und demselben Propheten. Sondern je nach dem Sündenstand und der Weltlage wechselt das, was geweissagt wird. Die Prophetie kennt die hellenische Moira und die hellenistische Heimarmene nicht, sondern Jahwe, dessen Entschlüsse wechseln je nach dem Verhalten der Menschen. Im wesentlichen Gemeingut waren nur die beiden Vorstellungen einmal, daß „jener Tag“, der „Tag Jahwes“, den sich die volkstümliche Hoffnung als einen Tag des Schreckens und Unheils, vor allem kriegerischen Unheils, für die Feinde, für Israel aber als einen Tag des Lichts vorstellte, auch ein Tag des Unheils für das eigene Volk, jedenfalls für die Sünder in ihm, sein werde. Nach der Art, wie Amos dies verkündet, scheint es, daß diese wichtige Konzeption tatsächlich sein geistiges Eigentum war. Zwar blieb die Deutung als eines Tages des Heils für Israel weiter bestehen. Aber die Annahme, daß zugleich oder vorher ein schweres Unheil als Sündenstrafe kommen werde, blieb Gemeingut der Prophetie. Ebenso die Konzeption des „Restes“, dem das Heil gespendet werde, wie er schon bei Amos sich findet, bei Jesaja aber, der seinen Sohn danach benannte, klar entwickelt ist. Da nun diese beiden Vorstellungen zusammen das Schema: Unheil für das Volk (oder für die Sünder), Heil für den Rest, ergeben, so stellt eine Peripetie vom Unheil zum Heil oder eine Kombination beider in der Tat den Typus dar, zu welchem die prophetische Verheißung immer wieder gravitiert. Dies lag indessen schwerlich in einem übernommenen Schema, sondern einfach in der Natur der Sache selbst, sobald einmal der Charakter des „Tages Jahwes“ als (wenigstens: auch) eines Unglückstages angenommen wurde. Denn da eine schlechthin hoffnungslose Unheilsdrohung keinen pädagogischen Sinn zugelassen hätte, mußte sich dann der Typus der Peripetie zum mindesten bei der Auslese durch die Sammler durchsetzen. Für die Propheten selbst ist freilich von der Annahme primär päda-gogischer Zwecke bei den Unheilsdrohungen im allgemeinen

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abzusehen. Sie kündeten, was sie schauten und hörten. Eigentliche „Bußprediger“ in jenem Sinne des Wortes, wie sie in der Zeit der Evangelien und im Mittelalter auftraten, waren sie nicht. Der Ruf nach Buße und Einkehr fehlte bei ihnen natürlich nicht. Im Gegenteil gehörte die Sündenanklage ja nach Jeremia geradezu zu den Merkmalen des echten Propheten: dieser wichtige Grundsatz scheidet sie von allen Mystagogen. Am leidenschaftlichsten erhob ihn gleich anfangs Hosea und ebenso findet er sich bei Jeremia (Kap. 7). Aber als unmittelbarer Inhalt der großen Visionen und Auditionen wird allerdings in aller Regel einfach wiedergegeben: was Jahwe an Unheil und Heil bereits beschlossen hat und eventuell: warum, und dem Volke hart und klar, ohne alle Vermahnung, zugemutet: sich dem zu fügen, was es oder die Vorfahren verschuldet haben1). Die eigentlichen paränetischen Schelt- und Bußreden und Mahnungen der Propheten selbst werden dagegen in der Regel nicht als debarim Jahwes, sondern als eigene Reden der Propheten, die in seinem Auftrag erfolgen, eingeführt. Jedenfalls war das Schema: Unheil, dann Heil, durch die Natur der Sache gegeben und ist auch ohne Annahme einer Uebernahme verständlich.

Die ungeheure Leidenschaft der prophetischen Anklage, Drohung und der meist in ganz allgemeinen Wendungen sich bewegenden Mahnung im Unterschied zu der im Deuteronomium mehr erbaulichen, in der älteren Paränese wuchtigen, aber sachlichen und die Anforderungen spezialisiert aufzählenden Thora ist nicht nur bedingt durch Temperamentsunterschiede. Sondern vor allem ist umgekehrt die Temperierung ihrerseits bedingt durch die Aktualität der Zukunftserwartungen der Propheten. Nur selten erscheint das erwartete Unheil oder Heil in eine weitere Zukunft gerückt. Meist kann es jederzeit hereinbrechen. In aller Regel aber steht es mit Wahrscheinlichkeit oder Sicherheit ganz unmittelbar vor der Tür. Schon sieht Jesaja das junge Weib schwanger, das den eschatologischen Königsknaben gebiert. Jeder einzelne Heereszug der mesopotamischen Herrscher, namentlich aber Ereignisse wie der Skytheneinbruch, konnten das Heranziehen jenes „Feindes vom Norden“ - vermutlich

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einer Gestalt der populär - mythologischen Erwartung - bedeuten oder einleiten, den namentlich Jeremia als Bringer des Endes kommen sah, und die furchtbaren Schicksalsperipetien der im Kampf begriffenen Staaten erhielten diese Erwartung lebendig. Gerade dieser aktuelle Charakter der Endhoffnung war aber das für die praktisch - ethische Bedeutung der Prophetie absolut Entscheidende. Eschatolo-gische Erwartungen und Hoffnungen waren volkstümlich offenbar überall rund umher verbreitet. Aber ihre vage Unbestimmtheit ließ, wie stets in ähnlichen Fällen, das praktische Verhalten so gut wie vollkommen unberührt. Die Märchenerzähler oder der Mummenschanz bei Kultspielen, allenfalls der intellektuelle Gnostiker in seinem esoterischen Konventikel, wußte damit zeitlich oder personal eng begrenzte Wirkungen zu erzielen. Nirgends waren oder wirkten diese Erwartungen als etwas unmittelbar Aktuelles, bei der ganzen Lebensführung in Rechnung zu Stellendes. Aktuelle Erwartungen erregte die Prophetie der königlichen Heilspropheten oder auch der, wie bei den Hellenen, wandernden Chresmologen. Aber es waren im ersten Fall enge höfische Kreise, im anderen die einzelnen Privaten, welche sie, mehr oder minder, in Rechnung stellten. Hier aber, infolge der politischen Struktur und Lage Israels, wußte - wie Jeremias Kapitalprozeß zeigt, - zum mindesten in den Kreisen der Aeltesten jedermann noch nach 100 Jahren von einem Unheilsorakel, wie dem des Micha, und die ganze Bevölkerung geriet in Bewegung, wenn ein Prophet mit auffallenden Drohungen auftrat. Denn das geweissagte Unheil war ganz aktuell, griff jedermann an die Existenz und nötigte jedermann zu fragen: was zu seiner Abwendung geschehen könne. Und dann: eine durch die auffallendste Bestätigung einiger unvergessener Unheilsorakel legitimierte Prophetie stand dahinter, ihrerseits gestützt durch die starke alte Opposition gegen das Königtum. Nirgends sonst war eine derart aktuelle Erwartung durch eine rücksichtslose öffentliche Demagogie vertreten und zugleich in Verbindung gebracht mit der altüberlieferten Vorstellung von der berith Jahwes mit Israel.

Für die wahrhaft Jahwe - gläubigen Kreise mußte naturgemäß gerade diese Aktualität der Enderwartung entscheidend sein. Wir kennen aus dem Mittelalter und der Reformationszeit, ebenso aus der alten Christengemeinde, die gewaltige Wirkung

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solcher Erwartungen. Auch in Israel sind sie für die Lebensführung jener Kreise offenbar völlig ausschlaggebend gewesen. Aus ihnen allein erklärt sich letztlich die utopistische Weltindifferenz der Propheten. Wenn sie von allen Bündnissen abmahnen, wenn sie sich immer wieder gegen das eitle, hoffärtige Treiben dieser Welt wenden, wenn Jeremia 1edig bleibt, so hat das bei ihnen denselben Grund wie die Mahnung bei Jesus Gebet dem Kaiser was des Kaisers ist, oder wie die Mahnungen des Paulus, daß ein jeder in seinem Beruf bleibe und daß man 1edig oder verheiratet bleiben möge, wie man sei, und die Weiber habe als hätte man sie nicht. All diese Dinge der Gegenwart sind ja vollkommen gleichgültig, denn das Ende steht unmittelbar bevor. Wie in der frühchristlichen Gemeinde, so prägte auch bei den Propheten und ihrem Anhang diese Aktualität der Enderwartung die ganze innere Haltung und war das, was ihrer Verkündigung die Macht über die Hörer gab. Und trotz des Zögerns des Heilstages fand jeder neue Prophet den gleichen leidenschaftlichen - wenn auch vor dem Exil auf engere Kreise beschränkten - Glauben wieder, ein volles Jahrtausend lang bis zum Untergang Bar Kochbas. Es waren auch hier gerade die Unwirklichkeiten, welche wirkten, deren Spuren sich am tiefsten in die Religion eingruben und welche ihre Macht über das Leben begründeten. Sie allein gaben dem Leben, was es erträglich machte: Hoffnung. Vor allem der völlige Verzicht auf alle Jenseitshoffnungen und auf jede Art von wirklicher Theodizee - trotz des steten Fragens nach den Gründen des Unheils und des Postulats eines gerechten Ausgleichs - konnte am leichtesten in einer Zeit ertragen werden, wo jeder Lebende erwarten mußte, das eschatologische Ereignis noch selbst zu erleben. In einer Stimmung steten Harrens lebten diese leidenschaftlichsten Menschen, welche Israel hervorgebracht hat. Unmittelbar nach dem Hereinbruch des Unheils erwartete man ja das Heil. Nichts zeigt dies deutlicher als Jeremias Verhalten beim bevorstehenden Sturz der Stadt: der Ankauf eines Ackers, weil doch bald die erhofften neuen Zeiten kommen werden, und die Mahnung an die Exilierten, sich auf dem Weg Zeichen zu machen, um den Rückweg zu finden.

Das erwartete Heil selbst wurde allmählich sublimiert. Die nebeneinander-stehenden Endhoffnungen: teils chiliastische Erwartungen eines im kosmischen Sinn paradiesischen End-

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zustandes bei Hosea und Jesaja, teils die ganz massive bürgerlich materielle deuteronomische Hoffnung: Israel werde das Jerusalemiter Patriziervolk sein, die anderen Völker die schuldverknechteten und zinsenden Bauern, traten beide zunehmend zurück, um erst in nachexilischer Zeit wieder aufzutreten, die erste bei Joël, die zweite bei Tritojesaja (61, 5. 6). Neben der politischen Erwartung eines militärischen Siegs und einer äußeren Herrschaft Israels über die Völker, wie sie namentlich bei Micha (4, 13) sich findet, und neben den alten bäuerlichen Verheißungen reicher Ernten und äußeren Wohlstands (bei Amos) standen bei den Propheten die weit idealeren pazifistischen Zukunftshoffnungen: ein Friedensreich mit der Tempelburg als Mittelpunkt (Jesaja), als einziger Sitz der Thora, der Weisheit und Lehre für alle Völker (Micha). Die schon bei Hosea (2, 21) sich findende Hoffnung, daß Jahwe dereinst in einer neuen berith mit Israel ihm „Gnade, Erbarmen und Erkenntnis“ verbürgen werde, vertiefte sich bei Jeremia (31, 33. 34) und Hesekiel (Kap. 36) gesinnungsethisch: Jahwe wird eine gnädigere berith, als es der alte harte Bund mit seinen schweren Gesetzen war, mit seinem Volk schließen. Das steinerne Herz wird er ihnen nehmen und ihnen ein Herz von Fleisch und Blut geben, einen neuen Geist in sie legen und bewirken, daß sie von sich aus Gutes tun. „Ich lege mein Gesetz in sie hinein, in ihr Herz schreibe ich es.“ Dann „brauchen sie nicht mehr einander zu lehren“, denn sie kennen Jahwe. Und solange die kosmischen Ordnungen bestehen, werden sie dann nicht aufhören, sein Volk zu sein. Daß die Tatsache der Sünde an sich ein Problem der Theodizee sein kann, klingt hier wenigstens von fern an. Das Ganze aber ist eine hochgradige ethische Sublimierung der einst, in einem dem Amos (freilich mit fraglichem Recht) zugeschriebenen Gedicht, entwickelten Hoffnungen (9, 11). Die Idee dieses auf reiner Gesinnung ruhenden „neuen Bundes“ ist noch für die Entwicklung des Christentums von Bedeutung gewesen. Die Sünde selbst, deren Fortnahme durch Jahwe erhofft wird, ist auch ihrerseits sehr verinnerlicht, als eine einheitliche, gottfeindliche Gesinnung aufgefaßt, die Beschneidung der „Vorhaut des Herzens“ ist bei Jeremia das Entscheidende, nicht irgendwelche Aeußerlichkeiten. Auch das ist bekannten evangelischen Aussprüchen sehr ähnlich. Nicht mehr nur eine soziale, sondern eine rein religiöse Utopie ist hier geschaut. Bei Jeremia gestalteten sich gleichen

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Schrittes mit dieser Verinnerlichung und Sublimierung der Zukunftserwartungen die äußerlichen Hoffnungen ungemein bescheiden. Während das Deuteronomium den Stadtstaat und die patrizische Stellung der Frommen voraussetzte und die Prophetie im übrigen, wo sie auf diese Hoffnungen zu sprechen kommt, die Juden wenigstens als das geistige Herrenvolk der Erde, als deren Lehrer und Führer sieht, ist bei Jeremia auch das verschwunden. Der Zion wird bei ihm nur einmal (31, 6) als Sitz der Jahweverehrung erwähnt. Zwar kennt auch er das Herrenvolksideal in seiner sublimierten Form. Aber er wird mit dem Alter genügsamer. Fromme Hirten und Bauern sind es (31, 24), welche Jahwe künftig segnen wird, und daß man überhaupt künftig einmal wieder im Lande säen und ernten werde, damit bescheidet er sich. Eine Art von „Glück im Winkel“ drohte die großen eschatalogischen Weltherrschafts - Erwartungen zu verdrängen: wir befinden uns im vollen Elend der hereingebrochenen Verwüstung und die Prophetie Jeremias endet am Schluß seines Lebens im Verzicht. Fügung in dies von Jahwe verhängte Schicksal, Verbleiben im Lande, Gehorsam gegen den babylonischen König und dann gegen dessen Statthalter empfiehlt er und warnt vor der Flucht nach Aegypten. Und während er zuerst die baldige Wiederkehr der Exilierten erwartet hatte, riet er ihnen späterhin, sich in den neuen Wohnsitzen häuslich einzurichten. Dach der Ermordung Gedaljas und seiner eigenen Verschleppung nach Aegypten stand er offenbar am Ende seiner Hoffnungen, wie das erschütternde, tiefresignierte Testament an seinen getreuen Jünger Baruch bezeugt: „Siehe ich bringe Unheil über alles Fleisch, raunt Jahwe, dir gebe ich dein Leben zur Beute allerorten, wohin du gehst.“ Nach spätjüdischer Tradition sei er in Aegypten gesteinigt worden. - Diese völlig pessimistische und nichts als fügsame Haltung hätte nun freilich unmöglich die Unterlage für eine Aufrechterhaltung der Gemeinschaft unter den Exilsverhältnissen bieten können. Schon wegen jenes Rates an die Exilierten, sich in Babel einzurichten, geriet er sofort in heftigen Konflikt mit dem Gegenpropheten Semaja, wie die gereizte Korrespondenz nach Babylon zeigt. Vor allem die Aktualität der Rückkehrhoffnung wurde in schroffem Gegensatz zu ihm von Hesekiel, dem hervorragendsten mit in das Exil verschleppten Propheten, aufrechterhalten, - In der Tat war sie unumgänglich nötig, um die Gemeinde überhaupt zu-

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sammenzuhalten. Die für die mächtige Wirkung der Propheten ausschlag-gebenden Endhoffnungen waren selbstverständlich nicht die sublimierten, sondern die neben ihnen bei allen Propheten fortbestehenden massiven Formen. Eschatologische Vorstellungen, die nicht aktuell den Anbruch des jüngsten Tages und der Auferstehung in Aussicht stellen, haben nach aller Erfahrung ebenso selten starkeWirkungen erzielt wie irgendwelche weit in die Zukunft hinausgeschobenen rein irdische Heilshoffnungen. Gerade daß hier der „Tag Jahwes“ als ein Ereignis verkündet wurde, das jeder noch jetzt zu erleben hoffen oder befürchten durfte und daß höchst massive diesseitige Umwälzungen in Aussicht standen, war das Entscheidende.

Der verschiedenen Gestaltung der Endhoffnungen entsprach auch die verschiedene Formung der Vorstellung von der heilbringenden Persönlichkeit. Bei Amos fehlt eine solche überhaupt, der ganze Nachdruck lag auf dem zu rettenden „Rest“ des Volks. Aber bei den anderen Propheten sättigten sich die Heilserwartungen mit Bildern eines Retters, wie sie die Tradition in den alten Bundeshelden, den Schofetim, den „Heilanden“, gekannt hatte, und verband damit die eschatologischen Vorstellungen, welche die Umwelt darbot. Freilich boten diese letztlich das nicht, was man hätte brauchen können. Denn von den Möglichkeiten der Gestalt dieses rettenden Heilandes schieden für die prophetische Vorstellung sowohl die Inkarnation wie die physische göttliche Zeugung und die eigentliche Apotheose aus, da sie alle mit Jahwes überlieferter Eigenart nicht vereinbar waren. Daß einem fremden König (Kyros) die Heilandsrolle zufallen werde, ist erst eine Vorstellung der Exilszeit (Deuterojesaja). Die Rettergestalt mußte in Israel mit dem „Tage Jahwes“ in Beziehung gesetzt werden, also mit einem ganz konkreten eschatologischen Ereignis, dessen Natur, sahen wir, aus der überlieferten Eigenart des Katastrophengottes folgte. Eine in diesem besonderen Sinn „eschatalogische“ Retterkönigsgestalt aber kannten die Kulturreligionen und Kulte der Umwelt (und übrigens auch die iranische Religion) nicht. Ihnen konnten wohl am ehesten Spekulationen von einem präexistenten Heiland, astralen (im Bileamspruch Num. 24, 17) oder urmenschlichen Charakters (am deutlichsten wohl Hiob 15, 7 f., Anklänge vielleicht Jes. 9, 5, Micha 5, 1, Hes. 28, 17) entnommen werden. Aber wenn auch solche Kultlegenden oder auch Intellektuellen-

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Spekulationen in geheimnisvollen Andeutungen der Propheten gelegentlich anklingen, so hat doch keiner von ihnen den Entschluß gefunden, sich auf den Boden derartiger, notwendig zur Mysterien - Esoterik führenden Vorstellungen zu stellen, schon aus Sorge, daß dadurch Jahwes alleiniger Majestät Abbruch geschehe. Die Gestalt mußte kreatürlichen Charakter bewahren. So blieb entweder die in der Umwelt, soviel bekannt nicht verbreitete, aber aus der Heilskönigprophetie sehr leicht ableitbare Barbarossahoffnung, in Israel also: die Wiederkehr Davids. Oder das Erscheinen eines neuen israelitischen Retterkönigs, entweder als Sproß aus dem Davididenstamm oder als ein Wunderkind mit den, namentlich in Mesopotamien und zwar bei lebenden Königen (namentlich: bei Ursurpatoren) sich findenden Zügen einer irgendwie übernatürlichen, also vor allem: vaterlosen, Zeugung. Alle diese Möglichkeiten finden sich, die erste bei fast allen Propheten, die letzte namentlich bei Jesaja in der Weissagung des Irnmanuelkindes, des Sohnes des „jungen Weibes“. Die Legitimität der Davididen hat kein Prophet, auch nicht die im Nordreich auftretenden: Amos und Hosea, angezeiweifelt. Der Zion ist für Amos Jahwes Sitz, für Hosea ist Juda von den Sünden Israels unbefleckt, vor allem auch von der Schande der Ursurpatoren. Er scheint an einen Untergang Judas überhaupt nicht geglaubt zu haben. Auch bei Jesaja scheint der „Rest“ ursprünglich Juda gewesen zu sein. Für Micha kommt der Heilskönig aus dem Heimatsitz der Davididensippe, Bethel Ephrat. Bei Jesaja ist es allerdings wahrscheinlich, daß die Figur des Heilsknaben Immanuel eine Absage an die ungläubige Königsfamilie bedeutete1) und bei Jeremia und Hesekiel treten die Hoffnungen auf die alte Königsdynastie stark zurück. Neben Davididen findet sich bei Hesekiel (21, 32) auch die Hoffnung auf jemand, „der das Recht hat, das ich (Jahwe) ihm gebe“. Königsfeindlich aber sind die Verheißungen der Propheten nur im Sinn der volkstümlichen, von den Intellek-


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tuellen gestützten, Opposition: der Heilsfürst ist nicht ausdrücklich ein Kriegskönig, der seinerseits Israels Rache an den Feinden vollzieht, obwohl natürlich auch diese Vorstellung gelegentlich existiert. Die Regel ist aber, daß Jahwe selbst die Strafe vollstreckt. Daß die Gestalt des Retters die Züge eines Propheten und Lehrers annahm, war zwar schon in der vorexilischen Zeit vorbereitet durch die starke Betonung der Thora als dessen, was in der Endzeit Zion der Welt zu bieten habe und durch die deuteronomische Weissagung: daß Jahwe Israel „einen Propheten von der Art das Mose“ erwecken werde. Die Prophetie hat seit Hosea (12, 11) den Mose, neben ihm seit Jeremia (15, 1) und dem Deuteronomium den Samuel zu Archegeten des eigenen Berufs gestempelt. Der wesentlich rein religiöse Charakter, der diesen Gestalten, im Gegensatz zu den Herrschern und Heerführern gewahrt werden konnte: - sie sind Berater und Mahner, nicht Volksführer - ließ beide dazu geeignet erscheinen. Ihnen gesellte sich ganz naturgemäß die sagenumsponnene Gestalt des Elia bei, von dem als Erstem bekannt war, daß er als Unheilsprophet im späteren Sinn dem König entgegengetreten war. Aber die traditionelle Vorstellung vom „Tage Jahwes“ als einer politischen und Naturkatastrophe erschwerte es, an die Stelle des volkstümlichen Retterkönigs eine rein geistliche Figur zu schieben. Die eigentlich eschatologische Konzeption eines rettenden Lehrers gehört daher erst der Exilszeit an, und erst in der Spätzeit hat die Hoffnung auf die Wiederkehr des Elia, des königsfeindlichen Magiers, jene Popularität gewonnen, welche aus dem Neuen Testament bekannt ist. Bei den Propheten spielt die Spekulation über die Art dieser eschatologischen Gestalt ersichtlich eine ganz geringe Rolle. Die Hauptsache ist bei ihnen: die durch ein ungeheures Tun Jahwes selbst herbeigeführte baldige gewaltige Umwälzung: dadurch unterscheiden sie sich vom Deuteronomium, welches allerhand Segens- und Unsegens - Weissa-gungen nach Sittenprediger - Art paränetisch aneinanderreiht. Das menschliche Tun bei jener Umwälzung ist ihnen letzlich uninteressant; die Vorstellungen darüber wechseln. Das absolute Wunder ist der Angelpunkt aller prophetischen Erwartung, ohne welchen sie ihre spezifische Pathetik verlieren würde. Wirklich ganz klar oder auch nur beständig wurde deshalb das Bild der Messiasgestalt meist nicht einmal bei einem und demselben vorexilischen

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Propheten. Auch die Rolle, welche solche Weissagungen bei den einzelnen spielten, blieb verschieden und sank auf einen Tiefpunkt bei Jeremia, bei welchem wieder, wie bei Amos, der ganze Nachdruck auf dem bekehrten Rest des Volkes als solchem liegt und sich nur eine eigentlich „messianische“ Weissagung findet. Aehnlich steht es bei seinem Zeitgenossen Hesekiel. Das Prestige der Davididendynastie war tief in den Schatten getreten. Wir befinden uns eben schon auf dem Wege jener tiefgreifenden Umgestaltung, welche aus dem „Volk Israel“ die Gemeinschaft der „Juden“ machte. Juda tritt als Träger der Verheißungen schon seit dem Verfall des Nordreichs, bei Hosea, dann aber bei den späteren Propheten zunehmend hervor, wennschon die Hoffnung auf die Wiedervereinigung des ganzen Volkes in der Endzeit nicht aufgegeben mude.

Ehe wir dieser Entwicklung zum Judentum nachgehen, ist nur noch kurz die Frage zu berühren: welchen Einfluß die vorexilischen Propheten im Verhältnis zu den anderen treibenden Kräften in der Entwicklung der Ethik gehabt haben. Alle inhaltlichen Gebote übernahmen sie ja, wie wir sahen, aus der Thora der Leviten. Die Vorstellung von Jahwes berith mit Israel und die wesentlichen Züge der ihnen spezifischen Gotteskonzeption fanden sie ebenfalls vor. Soziale Schichten, welche dem Königtum und der materiellen und ästhetischen Kultur der Vornehmen ähnlich gegenüberstanden wie sie, hat es schon vorher gegeben. Und auch außerhalb der rechabitischen Kreise ist die skeptische Stellung zum Opfer höchst wahrscheinlich immer vorhanden gewesen. Die Frage ist: ob das als Stütze der Ethik dienende mächtige Pragma des göttlichen Unheil- und Heilsplanes einerseits, die weitgehende gesinnungsethische Sublimierung der Sünde und des gottwohlgefälligen Sichverhaltens andererseits den Propheten allein zuzuschreiben sind oder als Erzeugnisse vorprophetischer Intellektuellenkultur anzusprechen sind. Da spricht nun alle innere Wahrscheinlichkeit dafür, daß die Entwicklung dieser Konzeptionen aus einer Zusammenarbeit der Propheten mit der allmählichen Rationalisierung der levitischen Thora und dem Denken frommer gebildeter Laienkreise erwachsen ist. Schon die zunehmende Koinzidenz der prophetischen Sündenregister mit den dekalogischen Geboten spricht dafür. Die Propheten selbst waren, am Maßstab ihrer Zeit gemessen, gebildete Männer und standen im freundlichen

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Verkehr, wennschon gelegentlich in Spannung, zu jenen Kreisen, welche in die deuteronomische Schule ausmündeten. Die systematische ethische Kasuistik wird bei den Thoralehrern, die Führung und Paroleausgabe bei der gesinnungs-ethischen Sublimierung und Zusammenraffung aber bei den prophetischen Eingebungen gelegen haben. Man braucht nur die erbauliche und bürgerliche Vorstellungs- und Darstellungsweise des Deuteronomisten mit Jesajas Orakeln zu vergleichen, um die Vorstellung abzuweisen (die ernsthaft aufgetaucht ist), daß er dies paränetische Werk selbst verfaßt und „eingesiegelt“ seinen Jüngern über-geben habe. Das ist einfach undenkbar und die Alternative: „Segen oder Fluch je nach Verhalten“, entsprach der Volkspädagogik der Thoralehre ebenso, wie sie den Visionen kommenden Unheils gerade bei diesem und den späteren Propheten fremd ist. Entscheidend für den Gegensatz war hier die ungeheure Aktualität der furchtbaren Erwartungen der durch und durch an den politischen Katastrophen orientierten Propheten, im Gegensatz zu der einerseits die individuelle Vergeltung der Sünden und der Frömmigkeit ihrer Kundschaft: der Einzelnen, andererseits in der Zukunft liegende und dabei ziemlich hausbackene Hoffnungen und Befürchtungen für das Bürgertum im vermahnenden Ton ausmalender Sittenpredigt des Deuteronomium. Dennoch ist das Deuteronomium natürlich nicht ohne die Prophetie denkbar. Denn auf den Propheten der Zukunft hofft ja gerade dies Werk. Und die naiven Kriegsregeln des Deuteronomium sind ganz in prophetischer Art rein utopistisch und nur aus der Uebernahme der bei den Propheten unmittelbar erlebnismäßigen Glaubenskonzeption zu erklären. Nur ist alles ins Alltägliche und Stimmungshafte transponiert. Ebenso ist - was hier nicht verfolgt werden kann - die gesamte jetzige Redaktion der Tradition und Thora, soweit sie als vorexilisch angesehen werden darf, prophetisch, wenn auch in sehr verschiedener Intensität, beeinflußt, wennschon zweifellos von ihrerseits nicht prophetischen Redaktoren ausgestaltet. Vor allem aber: ohne das gewaltige Prestige dieser in allem Volk bekannten und gefürchteten Demagogen wäre die Autorität der, von jeder rein volkstümlichen ebenso wie von einer rein kultpriesterlichen Auffassung der Beziehung Israels zu seinem Gott gleich fernen, Konzeption Jahwes als des Jerusalem zerstörenden und wieder aufbauenden Weltgottes schwerlich jemals

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durchgedrungen. Es ist völlig undenkbar, daß ohne die erschlitternden Erfahrungen einer Bestätigung der in aller Oeffentlichkeit gesprochenen, noch nach hundert Jahren im Gedächtnis haftenden (Jer. 26, 18) prophetischen Unheilsworte der Glaube des Volkes durch die furchtbaren politischen Schicksale nicht nur nicht zerbrochen, sondern in einer einzigartigen und ganz unerhörten historischen Paradoxie gerade erst definitiv gefestigt worden wäre. Der ganze innere Aufbau des „Alten Testaments“ ist ohne die Orientierung an den Orakeln der Propheten undenkbar, und indem dieses heilige Buch der Juden auch ein solches der Christen wurde und die ganze Deutung der Sendung des Nazareners vor allem durch die alten Verheißungen an Israel bestimmt wurde, reicht der Schatten dieser Riesengestalten durch die Jahrtausende bis in die Gegenwart hinein. Ohne die großartigen Deutungen von Jahwes Absichten und die felsenfeste Zuversicht auf seine Verheißungen trotz alledem, ja gerade wegen alles dessen, was er, der unheimlichen Vorhersage gemäß, über sein Volk verhängte, wäre andererseits auch niemals jene innerisraelitische Entwicklung denkbar gewesen, welche allein einen Fortbestand der Jahwegemeinschaft nach der Zerstörung Jerusalems ermöglichte: vom politischen zum konfessionellen Verband. Vor allem wieder die gewaltige emotionale Aktualität der eschatologischen Erwartung entschied hier alles. Gerade ihrer bedurfte man im Exil am unbedingtesten. Mit der bloßen Thora und deren erbaulichen Ermahnungen und Vertröstungen der deuteroitomischen Intellektuellen wäre nichts getan gewesen. Rachedurst und Hoffnung waren die naturgemäßen Triebfedern alles Handelns der Gläubigen und nur die Prophetie, die jedem die Hoffnung gab, die Befriedigung dieser leidenschaftlichen Erwartungen noch selbst zu erleben, konnte hier den religiösen Zusammenhalt der politisch zertrümmerten Gemeinschaft geben. Und gerade daß die Propheten keinerlei Handhabe für die Bildung einer neuen religiösen Gemeinschaft geboten hatten, daß lediglich die ethische und zwar: gesinnungsethische, Sublimierung der überlieferten Religion den unmittelbar praktischethischen Inhalt ihrer eschatolo- gischen Verkündigung bildete, machte es möglich, daß der neue konfessionelle Verband, indem er sich rituell einkapselte, sich als unmittelbare Fortsetzung der alten rituellen Volksgemeinschaft fühlte: was dem Christentum nicht dauernd möglich war. -

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Die Leistung der Prophetie wirkte zusammen mit den überkommenen rituellen Gewohnheiten Israels, um das hervorzubringen, was dem Judentum seine Pariastellung in der Welt eintrug. Die israelitische Ethik insbesondere erhielt ihr dafür entscheidendes Gepräge durch den exklusiven Charakter, welchen ihr die Entwicklung der Priesterthora gab. Auch die ägyptische Ethik war exklusiv insofern, als sie, wie alle antiken Ethiken, den Nichtlandsmann selbstverständlich ignorierte. Ein Ausschluß des Konnubium mit Fremden scheint bei den Aegyptern allerdings nicht bestanden zu haben, auch keine allgemeine rituelle Unreinheit dieser. Dagegen scheinen die Aegypter, im Gegensatz zu Israel, die Berührung des Mundes und Geschirrs solcher Völker, welche Kuhfleisch aßen, ähnlich den Indern gemieden zu haben. In Israel fehlte ursprünglich jede rituelle Absonderung von Fremden und gewann die im wesentlichen dem allgemeinen Typus entsprechende Exklusivität ihre besondere Note erst durch ihre Verbindung mit der Entwicklung zum konfessionellen Verband. Diese Umgestaltung der israelitischen Gemeinschaft begann allerdings unter dem Einfluß der Thora und der Prophetie schon vor dem Exil. Sie äußerte sich zunächst in der zunehmenden Einbeziehung der Metöken (gerim) in ihre rituelle Ordnung. Ursprünglich hatte der ger, wie wir sahen, damit nichts zu tun. Die Beschneidung war eine nicht nur israelitische Institution, innerhalb Israels aber obligatorisch nur für die Wehrmacht, der Sabbat ein vermutlich über den Kreis der Vollisraeliten und vielleicht über den Kreis der Jahweverehrer hinaus verbreiteter Ruhetag, der allmählich zum Rang eines paränetischen Grundgebots aufgestiegen war. Daß der ger sich beschneiden lassen und dann am Passahmahl teilnehmen durfte (Ex. 12, 48), war zweifellos bereits eine durch die pazifistische Umformung der jahwistisch frommen Kreise bedingte Neuerung. Daraus wurde nun (Num. 9, 14) eine Pflicht des ger. Wohl schon vorher war auch den gerim der Blutgenuß (Lev. 17, 10) und das Molochopfer (Lev. 20, 2) bei Todesstrafe verboten und vor allem die Sabbatruhe auferlegt worden. Die deuteronomische und endgültig die exilische Priesterlehre (Num. 9, 14; 15, 15. 16) machte dann allen rituellen Unterschieden zwischen Vollisraeliten und gerim ein Ende: „ein Recht“ sollte für sie und die Israeliten gelten für ewige Zeiten. (Danach der offensichtlich nachträgliche Zusatz Ex. 12, 49) Nach Deut. 29, 11 gehören die gerim mit

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zum Bunde mit Jahwe und dies wird im Josuabuch (8, 33) sogar in die sichemitische Fluch- und Segenszeremonie eingefügt (die späte Vorschrift Deut. 31, 12 bestimmt daher ausdrücklich: daß die Thora auch für sie öffentlich vorgelesen werden soll). das Interesse der Priester an der Kundschaft der gerim, unter denen sich so exemplarische Fromme wie die jahwistischen Viehzüchter befanden, - während die „Vornehmen“ in der Erzählung von dem Aufruhr der Korachiten mit diesen zusammen als Priestergegner figurieren -, in Verbindung mit der Entmilitarisierung der israelitischen Bauern und Ackerbürger waren die treibenden Kräfte dabei. Die politisch rechtlosen oder minderberechtigten Schichten waren hier, wie auch sonst oft, ein zunehmend wichtiges Arbeitsfeld der Leviten, und im Exil: der Priester. Wohl erst aus der Exilszeit stammen die in die jetzige Redaktion des Deuteronomium (23, 8) aufgenommenen Vorschriften über die Aufnahme ganz Fremder, zunächst der Aegypter und Edomiter, in die volle rituelle Gemeinschaft. An Stelle des alten Verbandes der ansässigen Krieger mit den durch berith angegliederten Gaststämmen der gerim trat nun zunehmend ein rein ritualistischer Verband, und zwar ein - wenigstens ideeller - Gebiets-verband mit Jerusalem als postulierter Hauptstadt.

In der Frage der Zukunftsgestaltung der Jahwegemeinde war anfänglich die Stellungnahme keine einheitliche. Bald nach der ersten Fortführung empfahl Jeremia den Exulanten, sich in Babylon heimisch zu machen. Nach der Zerstörung Jerusalems trat er andererseits dafür ein, daß die im Lande Gelassenen dort bleiben sollten. Es wäre dann ein ländliches Gemeinwesen mit Mizpah als Mittelpunkt unter babylonischer Hoheit entstanden. Mit der größten Schärfe wendete sich aber hiergegen Hesekiel (nach der vermutlich richtigen Deutung von 33, 25). Jerusalem war ihm, dem Priester, die einzig legale Kultstätte, und ohne das Festhalten an den Verheißungen für den Zion gab es keine Zukunftshoffnung. Praktisch hatte er damit unzweifelhaft recht. Das Gebot der rituellen Einheitlich-keit des Volkes einschließlich der gerim wurde nun in Verbindung gebracht mit der schon in der Zeit des Amos behaupteten spezifischen rituellen Reinheit des Landes, welches Jahwe Israel gegeben habe, im Gegensatz zu andern Ländern. Der zunehmende konfessionelle Eifer der Exilspriester verlangte daher theoretisch: daß darin rituell Unreine als dauernd Ansässige nicht geduldet werden sollten. Fast in

M a x W e b e r, Religionssoziologie III.

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dem Augenblick also, wo Israel seine reale Gebietsgrundlage verlor, wurde so für das sich nunmehr entwickelnde international ansässige Gastvolk der ideale Wert der politischen Gebietsgrundlage endgültig rituell festgelegt: nur in Jerusalem durfte geopfert werden und im Gebiet Israels sollten nur rituell Reine dauernd ansässig sein. Alle rituell reinen Verehrer Jahwes aber, gleichviel ob Israeliten oder gerim oder Neukonvertiten, waren nun konfessionell gleichwertig.

Die rein religiöse, auf den prophetischen Verheißungen ruhende Natur der Gemeinschaft bedingte nun, daß diese konfessionelle Absonderung nach außen an Stelle der politischen trat und sich wesentlich verschärfte. Wir verfolgen dies zunächst an der Entwicklung der materialen Ethik. Die Pflichten des Israeliten waren selbstverständlich von Anfang an, wie ursprünglich bei allen Völkern der Erde, verschieden, je nachdem es sich um einen Stammesbruder oder einen Stammfremden handelte. Die Erzväterethik behandelte Ueberlistung und Täuschung auch der ethnisch nächststehenden Stammfremden, wie der Edomiter (Esau) oder der Nomaden des Ostens (Laban) als unanstößig. Jahwe befiehlt Mose, den Pharao zu belügen (Ex. 3, 18; 4, 23; 5, 1) und hilft den Israeliten, sich durch Unterschlagung beim Auszug in den Besitz ägyptischen Guts zu setzen. Auch innerhalb Israels selbst bestand, wie wir sahen, die Stammesscheidung mit ähnlichen Konsequenzen: Der ger war rechtlich im Rahmen der mit seiner Gemeinschaft bestehenden berith, ethisch nur durch die levitische Paränese geschützt. Aber irgend welche „Fremdenfeindschaft“ fehlte der älteren Zeit. Unter den gerim befanden sich, wie die Tradition weiß, auch kanaanäische Gemeinden (Paradigma: Gibeon). Erst der gegen die kanaanäische Sexualorgiastik gerichtete jahwistische Puritanismus einerseits, Salomos nationales Königreich andererseits verschärften zunächst den Gegensatz gegen die Kanaanäer einschließlich der kanaanäischen gerim. Alle Kanaanäer galten der exilischen Anschauung als Feinde und von Jahwe wegen sexueller Schamlosigkeit zur Knechtschaft, späterhin, wegen der Heiligkeit des Landes und damit sie Israel nicht zum Abfall verführen (Ex. 23, 23 f.; 34, 15), zur Ausrottung bestimmt. Eine berith mit ihnen war nach dieser Auffassung unzulässig, es sei denn, wie die Sichem - Tradition vorbehält, daß sie durch Beschneidung in die rituelle Gemeinschaft eintreten: angesichts der wohl zweifel-

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losen Herrschaft der Beschneidung unter den Kanaanäern, wie schon bemerkt, eine späte Eintragung. Denn die Beziehung Israels zu den Nichtisraeliten war in der älteren Zeit umgekehrt durchaus politisch bedingt gewesen, auch in kultischer und ritueller Hinsicht. Weder bestand ursprünglich Ausschluß der Kommensalität, noch - was damit zusammenhing - Inkompatibilität fremder Opfer. Die Speisegemeinschaft mit den Gibeoniten war freilich, wie der Wortlaut der Stelle ergibt, kein „Opfermahl“, sondern einfache Kommensalität als Folge der berith. Aber immerhin: die Israeliten nahmen bei einer rituellen Gelegenheit fremde Speise. Die Erzählung von der Mahlzeit Josephs und seiner Brüder und der Aegypter (Gen. 34, 32) zeigt, daß die Ablehnung der Kommensalität mit Fremden durch die Aegypter zur Zeit der Entstehung dieser Tradition als deren Besonderheit im Gegensatz zu Israel galt. Die unter dem Einfluß des jahwistischen Puritanismus zunehmend sich verschärfenden Verbote der gemeinsamen Opfermahlzeit mit Fremden (Ex. 34, 16; Num. 25, 1 f.) wären schwerlich nötig gewesen, wenn nicht auch solche ursprünglich wie in aller Welt, so auch bei den Israeliten vorgekommen wären. Fraglich mag bleiben, ob der mit Opfern verbundene Vertrag von Jakob und Laban (Gen. 31, 53 f.) dem Elohisten (der den Laban als Diener anderer Götter behandelt) als eine solche gegolten hatte. Aber noch in den Elisageschichten findet sich bezeugt, daß ein Jahweverehrer, der in fremden Diensten steht, wie Naeman, nach damaliger Anschauung am Kult des Gottes seines Königs teilnehmen durfte, zweifellos weil dies ein politischer Akt war: eine Ansicht, welche der späteren konfessionellen jüdischen Auffassung, die gegenüber der Zumutung des Königs- und Kaiserkults das Martyrium wählte, ein Greuel gewesen wäre. Die volle Konsequenz aus der strengen Monolatrie, wie sie durch die berith bedingt war, ist eben erst in der Zeit der Konfessionalisierung gezogen worden.

Auch Konnubium findet sich unbedenklich erwähnt. Eine Gefangene, und zwar dem Zusammenhang nach eine gefangene Kanaanäerin, darf man zum Weibe nehmen. Daß sie als Konkubine galt und daß der Grundsatz aufgestellt wurde: der Sohn der Magd soll in Israel nicht erben, war hier wie überall erst Entwicklungsprodukt einer Epoche, in welcher die begüterten Sippen ihre Töchter bei der Heirat mit einer Ausstattung versahen und daher, für deren Kinder das Monopol der Legitimität

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beanspruchten. Vielleicht von hier aus begannen zuerst die Bedenken gegen das Konnubium mit Ungenossen, die dann in der Zeit dei Prinzessinnen - Heiraten bei den Frommen sich aus konfessionellen Gründen schnell steigerten. Erst die Exilszeit aber schritt zu wirklichen Mischeheverboten. Noch der Stammbaum Davids weist ja nach der Ruth - Erzählung eine Fremde auf .

Die innerliche Beziehung zu den Nichtisraeliten spiegelt sich am deutlichsten in der Entwicklung der Stellung Jahwes zu ihnen1). Für diese aber waren zunächst rein politische Motive maßgebend. Sie sind ihm an sich gleichgültig. Wenn Krieg mit ihnen ausbricht, steht er natürlich auf Israels Seite. Aber die Fremden sind ihm, auch wenn sie andere Götter verehren, nicht als solche verhaßt. Wenn sie im Krieg Israel Hilfe leihen oder ihm sonst nützen (Hobab als Führer durch die Wüste Num. 10), vollends wenn sie ihr Volk an Israel verraten (Rahab und der Spion in Lu. 5, Jos. 2, Jer. 1), so erhalten sie das Privileg, als gerim in Israel zu wohnen. Daß fremde Völker um ihrer selbst willen bekämpft werden müßten, davon ist keine Rede. Im Gegenteil: Jahwe mißbilligt ganz offensichtlich ihre politisch unkluge und vor allem: verräterische Schädigung (wie bei Sichem) und der pazifistische Erzvätergott hat offensichtlich Freude an Abrahams Güte gegen Lot bei der friedlichen Landesteilung (Gen. 13) und erhört Abrahams Fürbitte für Abimelech. Die Güte Fremder gegen Israel mit Bösem zu vergelten erscheint gelegentlich als Jahwe nicht wohlgefällig. Nie wird im Namen Jahwes in der alten Ueberlieferung anderen Völkern ihre Verehrung ihrer eigenen Götter vorgeworfen; die Legitimität der andern Götter für sie wird andererseits nur ausnahmsweise (in der Jephtha - Erzählung und in der ursprünglichen Fassung der Erzählung vom Sohnesopfer des Königs von Moab) anerkannt. Das alles sind allgemein übliche Stellungnahmen, leicht modifiziert nur durch das besondere berith - Verhältnis Jahwes zu Israel. Aber Jahwe hat nach der Erzväterlegende (Gen. 27, 40) auch Edom, einem alten Sitz seiner Verehrung, eine Verheißung, wenn auch eine bescheidenere, gegeben, ebenso dem offenbar gleichfalls als der Jahweverehrung zuneigend angesehenen Ismael.

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Eine universalistische Rationalisierung dieser Vorstellungen begann mit dem theologischen Theodizee - Bedürfnis, welches aus der berith mit Jahwe dessen Recht, Israel im Falle des Ungehorsams zu züchtigen, ableitete, um die politische Bedrohung und die Niederlagen zu erklären. Jahwe bleibt nach wie vor indifferent gegen die anderen Völker. Aber er benutzt sie als „Gottesgeißel“ (Peisker) gegen das ungehorsame Israel, um, sobald sein Volk sich wieder gebessert hat, sie wieder durch lsrael niederschlagen zu lassen. So in typischer Art in der Pragmatik des jetzigen Richterbuches. Auf Israel, und nur auf Israel, kommt es Jahwe an, die andern sind nur Mittel zum Zweck. - Allein, damit sie das sein konnten, mußte Jahwe die Macht haben, sie zu seinen Zwecken nach Belieben zu gebrauchen. Er mußte also mindestens teilweise auch ihr Geschick bestimmen. Er tat das durchaus nicht nur zu ihrem Nachteil. Die Begrenzung der Wohnsitze Israels, die sein Werk ist, geschah zwar nicht im Interesse der andern Volker, aber sie kam doch ihnen zugute. Offenbar der Ausdruck des damals gerade bestehenden friedlichen Zustandes mit Moab und Edom sind die deuteronomischen Erklärungen daß er, Jahwe, den Kindern Esaus Seir und den Kindern Lots Moab zu bewohnen gegeben habe (Deut. 2, 4. 9) und das darauf begründete Verbot, sie mit Krieg zu überziehen. Seine Verfügungen über die Fremden wurden denen über Israel in vieler Hinsichft immer ähnlicher. In der priesterlichen Redaktion der Auszugslegende ist es Jahwe, der Pharaos Herz verstockt (Ex, 7, 2) - was dem deuteronomischen Vorstellungskreis entspricht -, um seine Macht umsomehr verherrlichen zu können. Subjektiv zwar kennen die Fremden - so der Pharao - Jahwe nicht (Deut. 5, 2, elohistisch), aber der Glaube, daß Jahwe es sei, welcher die Philister und Aramäer aus der Ferne herbeigeführt habe, muß doch schon über die ersten Propheten zurückgehen, da diese ihn voraussetzen. Erst mit dem zunehmenden Universalismus der Gotteskonzeption wurde die Sonderstellung Israels durch Jahwe jene Paradoxie, die nun zu motivieren versucht wurde durch erneute Betonung der alten berith - Konzeption (jetzt in der Form einer einseitigen, durch Gehorsam bedingten göttlichen Zusage aus grundloser Liebe oder wegen des ihm wohlgefälligen unbedingten Vertrauens der Vorfahren oder wegen der - kultischen - Greuel der anderen Völker). Aus einer historisch bedingten sozialen Form des politischen

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Verbandes wurde die berith also nun ein theologisches Konstruktionsmittel. Jetzt erst, wo Jahwe immer mehr der göttliche Souverän des Himmels und der Erde und aller Völker geworden war, wurde Israel das von ihm „auserwählte“ Volk. Auf diese Auserwähltheit wurden nun die besonderen rituellen und ethischen Pflichten und Rechte der Israeliten, wie wir bei Amos sehen, begründet. Der an sich überall urwüchsige Dualismus der Binnen- und Außen - Moral erhielt jetzt für die Jahwegemeinde diesen pathetischen Unterbau.

Auf ökonomischem Gebiet war er am augenfälligsten und ausdrücklichsten im Wucherverbot, demnächst in den sozialen Schutz- und Brüderlichkeits - Bestim-mungen der karitativen Paränese heimisch. Denn es verwarf ursprünglich nur (Ev. 22, 25) die Ausbeutung des armen - zweifellos (cf. Jer. 25, 36) des verarmten Bruders und bezog sich nur auf die Vollisraeliten (`am). Ausdrücklich gestattete das Deuteronomium den Wucher am Konfessions - Fremden (nakhri). Ursprünglich war es, wie die hierher gehörigen deuteronomischen Verheißungen und die parallelgehenden Unheilsdrohungen (von denen letztere statt des nakhri noch den ger nennen) zeigen, der Wucher am ger. Wucher bleibt zwar Wucher. Aber, so ist Deut. 23, 20 zu verstehen, auch diesen Wucher wird Jahwe, wie alle anderen Unternehmungen des Israeliten, durch Erfolg segnen, wenn er nur an seinem Bruder nicht wuchert. Ebenso sind alle ander en sozialethischen Bestimmungen: Sabbatjahr, Armenecke, Nachlese, auf die gerim und die ebjonim des eigenen Volkes beschränkt. Der „Nächste“ ist immer der Volks- oder jetzt der Konfessionsgenosse. Nicht minder gilt dies für die gesinnungsethische Paränese: gegen den Angehörigen des eigenen Volkes soll man keinen Haß im Herzen tragen, sondern ihn „lieben wie sich selbst“, der „Feind“, dessen Vieh man nicht irregehen lassen soll (Ex. 23, 4), ist nicht ein Landfremder im politischen Sinn, sondern, wie Deut. 22, 1 zeigt, der Volksgenosse, mit dem man verfeindet ist. Wohlwollendes und rechtlicher Verhalten eines Israeliten gegen einen Fremden kann zwar den guten Ruf Israels vermehren und daher Jahwe wohlgefällig sein. Aber die sittlichen Gebote der Paränese sind nur auf die „Brüder“ beschränkt. Das Gastrecht blieb wie vor alters heilig. Aber sonst wurden nur schwere Greuel gegen Fremde, die Israels guten Ruf gefährden, auch von Jahwe mißbilligt.

Die Scheidung von ökonomischer Binnen- und Außen-

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ethik ist für die religiöse Wertung der Wirtschaftsgebarung dauernd bedeutsam geblieben. Niemals konnte, in dem Sinne, wie im Puritanismus, die auf dem Boden der formalen Legalität stehende rationale Erwerbswirtschaft religiös positiv bewertet werden, und das ist auch tatsächlich nicht geschehen. Das hinderte der Dualismus der Wirtschaftsethik, welcher bestimmte, dem Glaubensbruder gegenüber streng verpönte Arten des Verhaltens dem Nicht-bruder gegenüber zu Adiaphora stempelte. Dies war das Entscheidende. Es hat den jüdischen Theoretikern der Ethik Schwierigkeiten bereitet: wenn Maimonides der Ansicht zuneigte, daß das Zinsennehmen vom Fremden geradezu religiös geboten sei, so ist das - neben der zeitgeschichtlichen Lage der Juden - zweifellos durch die Abneigung gegen die für jede formalistische Ethik gefährliche Zulassung von solchen Adiaphora mitbedingt. Die spätjüdische Ethik hat den Wucher im Sinn einer rücksichtslosen Ausbeutung auch gegenüber Nichtjuden mißbilligt. Aber gegenüber den massiven Worten der Thora und der inzwischen eingetretenen sozialen Lage mußte der Erfolg prekär sein, und jedenfalls blieb der Dualismus in der Zinsfrage bestehen. Theoretische Schwierigkeiten ethischer Denker sind natürlich Nebensache. Praktisch aber bedeutete dieser die ganze Ethik durchziehende Dualismus: daß jener spezifische Gedanke der religiösen „Bewährung“ durch rationale „innerweltliche Askese“ fortfiel, der dem Puritanismus eignet. Denn dieser konnte nicht auf etwas an sich Verwerflichem, nur gewissen Kategorien von Personen gegenüber „Erlaubtem“, fußen. Die ganze religiöse „Berufs“ - Konzeption des asketischen Protestan-tismus fiel damit von vornherein fort, und daran konnte die überaus hohe (aber: traditionalistische) Schätzung der treuen Arbeit im Beruf, die wir (bei Jesus Sirach) finden werden, nichts ändern. Der Unterschied liegt deutlich zutage. Die Rabbinen haben zwar, zumal in der Zeit der Proselyten - Propaganda, höchst nachdrücklich ein rechtliches und ehrbares Verhalten der Juden gegenüber den Wirtsvölkern eingeschärft, wie wir sehen werden. In diesem Punkt unterscheidet sich die talmudische Lehre in nichts von den ethischen Prinzipien anderer Glaubensgemeinschaften. Insbesondere hat das antike Christentum (Clemens von Alexandrien) bezüglich der Wirtschaftsethik dem gleichen Dualismus zugeneigt, den das alttestamentliche Wucherrecht bannte. Der puritanische Glaubens-kämpfer stand dem Glau-

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bensfremden mit dem gleichen - teilweise durch die alttestamentliche Stimmung gespeisten - Abscheu gegenüber wie die Priestergesetzgebung Israels dem Kanaanäer, und daß vollends ein nicht glaubensverwandter König ein „Knecht Gottes“ sein könne, wie dies die israelitische Prophetie z. B. von Nebukadnezar und Kyros ausdrücklich sagt, wäre keinem Puritaner je in den Mund gekommen. Aber auf dem Gebiet der Wirtschaftsethik tritt in den Kundgebungen der christlichen Sektierer etwa des 17. und 18. Jahrhunderts (vor allem der Baptisten und Quäker) der Stolz insbesondere darauf zutage, daß sie gerade im wirtschaftlichen Verkehr mit den Gottlosen Legalität, Ehrlichkeit, Billigkeit an die Stelle von Fälschen, Uebervorteilung, Unverläßlichkeit gesetzt haben, daß sie das System der festen Preise durchgeführt haben, daß ihre Kunden, selbst wenn sie nur ihre Kinder schicken, doch stets reelle Ware gegen reellen Preis erhalten, daß die Depots und Kredite bei ihnen sicher stehen, daß eben deshalb sie, ihre Handelsläden, ihre Banken, ihre Gewerbetreibenden von den Gottlosen als Kunden vor allen Andren bevorzugt werden, kurz: daß ihr überlegenes, religiös bedingtes Wirtschaftsethos ihnen die Ueberlegenheit über die Konkurrenz der Gottlosen nach dem Prinzip verschaffe: „honesty is the best policy.“ Ganz wie man es in den Vereinigten Staaten noch bis in die letzten Jahrzehnte im Mittelstand als Realität erleben konnte. Und ähnlich wie es für die Jaina und Parsen in Indien zutraf: - nur daß hier die rituelle Gebundenheit den Konsequenzen für die Rationalisierung des Wirtschaftsbetriebs feste Schranken setzte. So wenig wie ein korrekter Jaina oder ein Parse würde ein frommer Puritaner jemals sich in den Dienst des kolonialen Kapitalismus, des Staatslieferanten-, Steuer- und Zollpächter- oder Staatsmonopol - Kapitalismus gestellt haben. Diese spezifischen Formen des antiken, des außereuropäischen und des vor der modernen bürgerlichen Entwicklung liegenden Kapitalismus waren ihm ethisch verwerfliche und Gott mißfällige Arten roher Geldakkumulation. - Ganz anders die jüdische Wirtschaftsethik. Zunächst konnte es unmöglich ohne Wirkung bleiben, daß die Ethik gerade der Erzväter gegenüber den „Ungenossen“ doch einen sehr penetranten Einschlag der Maxime „Qui trompe - t - on ?“ enthielt. Jedenfalls fehlte jedes soteriologische Motiv zur ethischen Rationalisierung der ökonomischen Außenbeziehungen: jede religiöse Prämie darauf. Das

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hatte für die Art der ökonomischen Betätigung der Juden weitreichende Folgen. Gerade in den vom Puritanismus perhorreszierten Formen des Staats- und Raub -Kapitalismus war - neben reinem Geldwucher und Handel - der jüdische Paria -Kapitalismus seit der Antike ebenso zu Hause wie etwa derjenige der hinduistischen Händlerkaten. Das galt in beiden Fällen als ethisch prinzipiell unbedenklich. Zwar wer als Zollpächter gottloser eigener Fürsten oder gar fremder Mächte das eigene Volk auswucherte, war tief verworfen und galt den Rabbinen als unrein. Aber dem fremden Volk gegenüber war - von seiten der Moralisten natürlich mit dem Vorbehalt, daß eigentlicher Betrug überall verwerflich sei - diese Art des Vermögenserwerbs ein ethisches Adiaphoron. Niemals aber konnte deshalb ökonomischer Erwerb, eine Stätte religiöser „Bewährung“ werden. Wenn Gott die Seinen durch ökonomischen Erfolg „segnete“, so nicht um ihrer ökonomischen „Bewährung“ willen, sondern weil der fromme Jude außerhalb dieser Erwerbstätigkeit gottgefällig gelebt hat (so schon in der deuteronomischen Wucherlehre). Denn - wie wir später sehen werden - das Gebiet der Bewährung der Frömmigkeit in der Lebensführung liegt beim Juden auf einem durchaus anderen Gebiet als dem einer rationalen Bewältigung der „Welt“, insbesondere der Wirtschaft. Welche Bestandteile der religiös bedingten Lebensführung die Juden befähigten, eine Rolle in der Entwicklung, unsrer Wirtschaft zu spielen, wird später erörtert werden. Jedenfalls haben jene orientalischen, südeuropäischen und osteuropäischen Gebiete, in denen sie am längsten und meisten heimisch waren, weder in der Antike noch im Mittelalter noch in der Neuzeit die dem modernen Kapitalismus spezifischen Züge entwickelt. - Ihr wirklicher Anteil an der Entwicklung des Okzidents beruhte höchst wesentlich auf dem Gastvolk-charakter, den die selbstgewollte Absonderung ihnen aufprägte.

Diese Gastvolksstellung nun wurde durch die rituelle Abschließung begründet, welche, in der deuteronomischen Zeit, wie wir sahen, verbreitet, in der Exilszeit und durch die Gesetzgebung des Esra und Nehemia durchgeführt wurde.

Der Untergang des nationalen Staatswesens und das Exil bedeutete für Nordisrael und für Juda verschiedenerlei. In Samaria hatten die Assyrerkönige im Austausch für die fortgeführten Krieger mesopotamische Kolonisten angesiedelt, die,

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wie die Ueberlieferung erkennen läßt, sehr schnell „den Göttern des Landes“, also den Formen des dortigen Jahwedienstes, sich anbequemten, angeblich durch schreckhafte Mirakel Jahwes dazu veranlaßt. Jerusalem hatte Nebukadnezar offenbar - da er es gern als Stützpunkt gegen Aegypten benützt hätte - sehr widerwillig nach längerer Ueberlegung, dann aber gründlich, zerstört und in wiederholter Deportation die stadtsässigen Patrizier- und Beamtenfamilien, also den Hofadel, die geschulten Krieger und Königshandwerker, die Hierarchie und wohl auch landsässige Honoratioren fortgeführt. Es blieben wesentlich Kleinbauern im Lande und es fand - da Babylonien längst nicht mehr über eine starke Bauernbevölkerung verfügte - keine Besiedelung mit mesopotamischen oder anderen Kolonisten statt1). Das Schicksal der Exilierten in Babylonien scheint gewechselt zu haben. Sicher ist, daß große Teile von ihnen - wenn auch schwerlich alle - zwar in der Nähe der Hauptstadt, aber ländlich angesiedelt wurden und zwar zweifellos so, daß sie, wie wir dies von jeher in den Inschriften der mesopotamischen Großkönige finden, einen Kanal zu graben (oder wieder herzurichten) hatten, also in eignen Orten zusammenwohnten und dem König von dem so gewonnenen Land Steuern, nach Bedarf aber auch Fronden leisteten. Die Fronden werden von den Propheten (Jes. 47, 6; Jer. 5, 19; 28, 14; Klagel. 1, 1; 5, 5) erwähnt. Ueber Mangel, in einem Fall geradezu über Hunger, wird geklagt (Jes. 51, 14). Eine Zunahme des Drucks unter König Nabunahi im Gegensatz zu der Behandlung unter Evil - Merodach, wie sie Klamroth als wahrscheinlich ansieht, wäre nicht erstaunlich, da aus den Inschriften des Kyros hervorgeht, daß jener König die Fronlasten auch für das eigene Volk gesteigert hat. Einzelne Einkerkerungen, die nach prophetischen Stellen wahrscheinlich sind, haben wohl in Renitenz und diese in der Wirksamkeit von Heilspropheten (Jer. 29, 21) ihren Grund, wie sie wenigstens bis zum Sturz Jerusalems unter Zedekia vorgekommen sind. Immerhin kann der Druck in der Regel rein objektiv nicht schwer gewesen sein, da schon Jeremias

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Brief an die Häupter der Exilsgemeinde voraussetzt, daß die Exulanten Erwerbsfreiheit besaßen und in der Lage waren, sich in Babylonien im wesentlichen nach Belieben einzurichten. In zunehmendem Maße finden wir denn auch die Exilierten in der Hauptstadt selbst und zwar in den von der pennsylvanischen Expedition gefundenen und herausgegebenen Muraschu - Dokumenten in den verschiedensten Berufsstellungen, mit einziger Ausnahme der durch Teilnahme an der babylonischen Schreiber - Erziehung (welche offenbar den Juden ebenso wie andern Nichtbabyloniern verschlossen blieb) bedingten rein politischen Amtsstellungen1). Die Zahl der jüdischen Namen in Babylon nimmt, besonders seit der Perserzeit, zu und man findet nun Juden als Landbesitzer, Rentenkollektoren, Angestellte babylonischer und persischer Notablen. Endlich und zweifellos zunehmend im Handel und insbesondere im Geldverkehr, der ja in Babylonien zuerst, schon in Hammurapis Zeit, den Typus des „Geldmannes“ hatte entstehen lassen. Die geringe ethnische und, nach der Annahme des aramäischen Volksidioms durch die Exulanten, sprachliche Unterschiedenheit haben von Anfang an gehindert, daß wie in Aegypten Verfolgungen oder eine Ghetto - artige Existenz, wie sie die gleichzeitigen Assuan Papyri zeigen, sich entwickelten. Die Gemeinde blühte zunehmend. Nächst den Persern scheint sie von allen Fremdvölkern die erheblichste Rolle zu spielen. Die Vermögensverhältnisse eines erheblichen Teiles der Exulanten haben sich, wie die bedeutenden Tempelbauspenden bei der Rückkehr beweisen, sehr günstig entwickelt und die Zahl gerade der Reichen, welche es vorzogen, in Babylon zurückzubleiben, um ihren Besitz nicht zu verlieren, war nicht gering. Das war freilich unter der Perserherrschaft, welche ausgesprochen judenfreundlich war und jüdische Eunuchen, wie Nehemia, als persönliche Vertrauensleute des Königs sah. Aber eine systematische Bedrückung gerade der Exilierten durch die babylonische Regierung ist durchaus unwahrscheinlich. Von religiöser Intoleranz ist nichts zu ermitteln, und so sehr gegebenenfalls die Großkönige darauf hielten, daß ihren Göttern von den Besiegten Ehrfurcht erzeigt wurde, so schritten sie, wie alle antiken Machthaber, doch nur ein, wo die Staatsräson es verlangte.

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Dabei fehlte nun allen diesen orientalischen Monarchien ein eigentlicher Herrscherkult von der Art des späteren römischen Kaiserkults, denn der Herrscher verlangte zwar die Proskynese und unbedingte Obödienz, stand aber doch unter den Göttern. Dieser Umstand erleichterte die Toleranz. Dennoch war der Haß gegen Babel sehr stark wie die jubelnden Unheilsprophetien Deutero-jesajas beim Herannahen des Perserkrieges zeigen. Es zeigt sich: daß die Exilsgemeinde im Lauf des Exils fest zusammenwuchs. Dies aber war die Leistung vor allem der Priester, deren Masse erst mit der letzten Deportation bei der Zerstörung Jerusalems fortgeführt wurde: vorher hatte Nebukadnezar offenbar gehofft, an ihnen eine Stütze zu haben.

Autorität hatten unter den Exilierten zunächst die „Aeltesten“, welche in Jeremias Brief (Jer. 29, 1) an der Spitze und vor den „Priestern und Propheten“ genannt werden. Offiziell blieben sie vielleicht dauernd die der babylonischen Regierung gegenüber verantwortlichen Vertreter. Zwar hatte König Evil Merodach den vorletzten judäischen König Jojachin nach langer Gefangenschaft begnadigt und an seine Hoftafel gezogen. Die Davididen als die Königssippe werden damit in der Exulantengemeinde einen Ehrenvorrang gewonnen haben. Aber zunächst schwerlich mehr. Tatsächlich traten vielmehr - neben einigen Propheten, von denen später die Rede sein wird - zunehmend die Priester in den Vordergrund. Aus ähnlichen Gründen, wie in der Völkerwanderungszeit die Macht der Bischöfe stieg. Man erkennt ihre starke Bedeutung schon in der ersten Zeit im Hesekiel - Buche. Hesekiel war priesterlicher Abkunft. Sein Plan eines israelitischen Zukunftsstaates zeigt die Diskreditierung der Königsmacht. Der Fürst (Nasi) ist im Grunde nur ein Kirchenpatron für die theokratisch gebildete Gemeinde. Der „Hohepriester“ des Tempels von Jerusalem tritt bei ihm zuerst als zentrale Gestalt der künftigen hierokratischen Ordnung hervor. Die utopischen und zugleich schematischen Einzelvorschläge seines Projektes interessieren uns hier nicht. Praktisch bedeutsam wurde davon neben der Figur des Hohepriesters vor allem die hier zuerst durchgeführte ständische Scheidung der Kultpriester, der Kohanim, von den übrigen, nicht zum Opferkult qualifizierten „Leviten“. Aber eben da lagen naturgemäß die Schwierigkeiten: bei Hesekiel spielen noch die Jerusalemer Zadokiden als die alleinigen Kohanim die ausschlaggebende Rolle.

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Auf dieser Grundlage war eine Einigung der verschiedenen Priestergeschlechter nicht möglich. Erst der weitere Verlauf der Entwicklung muß den Ausgleich mit den nicht zadokidischen Priestern, den Aaroniden, gebracht haben. Mit Beginn der Perserherrschaft gewannen die Priester die unbedingte Führung. Dies hing mit der ganz konsequent befolgten Politik der Perserkönige zusammen, welche überall die Hierokratie in den Sattel setzten, um sie als Domestikationsmittel der abhängigen Völker zu benutzen. Schon Kyros bezeugte zwar einerseits den babylonischen Göttern seine Ehrfurcht, rühmt sich aber andererseits, alle jene Götter, welche die Babylonier depossediert und deren Bilder und Schätze sie nach Babel zusammengeschleppt hatten, wieder an ihrer alten Wohnstätte installiert zu haben. Demgemäß gestattete er auch den Israeliten die Heimkehr. Immerhin war er in seiner Benutzung der Priester noch nicht so konsequent wie Darius. Die persische Politik hatte sich zunächst auf die legitime Davididendynastie zu stützen gesucht. Nacheinander finden sich zwei Davididen, Scheschbazar und Serubbabel, als Nasi der Zurückgekehrten. Aber vermutlich weil die Stellung der Davididensippe sich in den Wirren des falschen Smerdes als politisch bedenklich erwiesen hatte, mußte davon abgegangen werden. Dem Serubbabel war damals von dem Propheten Haggai die alsbaldige Herstellung der Krone Davids geweissagt worden. Ob Serubbabel einen entsprechenden Versuch gemacht hat, ist ungewiß. Er ist aber seitdem verschwunden und seine Sippe kam für die Perser nicht mehr in Frage. Ganz allgemein und prinzipiell ging die Politik des Darius von dem Bündnis mit den nationalen Priesterschaften aus. Für Aegypten ist dokumentarisch die Herstellung der alten Priesterschulen durch ihn bezeugt. Die kirchenartige Organisation der ägyptischen Religion mit ihren Synoden und ihrer nationalen Machtstellung datiert erst von daher. Für kleinasiatische Apollonkulte findet sich Aehnliches. Für Alt - Hellas steht fest, daß die Perser sowohl das delphische Orakel wie allerhand plebejische Propheten auf ihrer Seite hatten, und daß der Ausfall der Schlachten von Marathon, Salamis und Platäa es war, der die priesterfreie hellenische Kultur davor bewahrte, der orphischen Seelenwanderungslehre oder anderen Mystagogien und der Beherrschung durch eine Hierokratie unter persischer Protektion ausgeliefert zu werden. Ganz entsprechend

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und mit durchschlagendem Erfolg orientierte sich seit ihm, und noch konsequenter seit Artaxerxes, die persische Politik gegenüber den israelitischen Priestern. Die Priester hatten kein Interesse an einer Herstellung der Königsmacht der Davididen, sondern zogen es vor, nötigenfalls unter fremdstämmigen und deshalb der Gemeinde fernstehenden Statthaltern selbst die für alle sozialen und innerpolitischen Verhältnisse ausschlaggebende Macht zu sein. Dem Interesse der persischen Politik kam dies entgegen. Die Schaffung der vor dem Exil völlig unbekannten Figur des „Hohenpriesters“ als eines, durch gesteigerte Reinheitsanforderungen, Privileg des Betretens des Allerheiligsten im Tempel und ausschließliche Qualifikation zum Vollzug bestimmter Riten ausgezeichneten, Repräsentanten der Hierokratie war das Produkt der gemeinsamen Arbeit der priesterlich beeinflußten Exilsprophetie und der priesterlichen Redaktion und Interpolation der Ritualgebote. Die priesterliche Redaktion der Mischpatim und der Thora erwähnt den „Fürsten“ (Nasi) nur im Verbot, ihm zu fluchen und sieht im übrigen von ihm vollständig ab. Dies alles entsprach durchaus den Anforderungen der persischen Politik. Die Priester hatten aber auch im übrigen der Verständigung mit dem persischen Königtum, wie sie unter Artaxerxes stattfand, sehr konsequent vorgearbeitet. Zunächst durch eine eifrige Registrierung der als vollwertig anzuerkennenden Sippen der Priester und der nunmehr von ihnen geschiedenen nicht priesteramtsfähigen Leviten und Kultdiener und ebenso der Gemeindegenossen. Damals sind jene umfassenden, zum Teil der älteren Tradition offenkundig widersprechenden Geschlechtsregister fabriziert worden, welche einen so bedeutenden Bruchteil der jetzigen priesterlichen Redaktion der Tradition ausmachen und für die Zukunft als einzige Beglaubigung der rituellen Qualifikation gelten sollten. Die weitere Arbeit bestand in der Festlegung und schriftlichen Fixierung sowohl der Kultordnung wie der rituellen Gebote für die Lebensführung und in einer entsprechenden Ueberarbeitung der gesamten bis dahin schriftlich vorliegenden geschichtlichen Ueberlieferung und levitischen Thora. Sie erhielt damals, im 5. Jahrhundert, in der Hauptsache ihre jetzige Gestalt. Nachdem diese Vorarbeiten geleistet waren, gelang es den Priestern durch ihre höfischen Beziehungen unter Artaxerxes, durchzusetzen, 1. daß ein jüdischer Eunuche und Günstling des Königs, Nehemia,

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mit der Vollmacht eines Statthalters das Gemeinwesen in Jerusalem neu organisierte und durch Ummauerung der Stadt und Synoikismos seinen Bestand sicherte -, 2. daß ein Priester, Esra, das von den Priestern der Exilsgemeinde in Babylon ausgearbeitete „Gesetz“ kraft königlicher Autorität als für dies Gemeinwesen verbindlich verkündete und die Vertreter der Gemeinde durch feierliche Urkunde darauf verpflichtete. Uns interessiert hier an diesen Vorgängen zunächst vornehmlich die Durchführung der rituellen Absonderung der Gemeinde. Sie wurde im Exil vollzogen, nachdem das annähernd vollständige Aufgehen der von Assyrien deportierten Nordisraeliten in der aufnahmebereiten Umwelt die Priester und Thoralehrer darüber belehrt hatte, welche entscheidende Bedeutung für ihre eigenen Interessen die Errichtung solcher rituellen Schutzwälle haben mußte.

Das absolute Verbot der Mischehen war der praktisch wichtigste Punkt. Endgültig wurde es von Esra unter Zuhilfenahme sehr theatralischer Mittel durchgesetzt und sofort mit voller Rücksichtslosigkeit auch die Lösung der bestehenden Mischehen erzwungen. Wie wenig es bis dahin bestand, zeigt sich außer bei den älteren Quellen (Gen. 34, 38; Jud. 3, ; Deut. 21, 10) und in dem Mischblut der Davididen (Ruth !) darin, daß von den in Israel Ansässigen neben angesehenen Geschlechtern und nicht wenigen Priestern und Leviten die hohepriesterliche Familie an dem Frevel beteiligt war (Esra 10, 18 f.). In der priesterlichen Redaktion hat dieser Kampf gegen das Konnubium sich in einer ganzen Reihe von Theologumena niedergeschlagen. So in der Verpönung der Vermischung von verschiedenerlei Samen auf dem Acker, von verschiedenerlei Gespinnst beim Weben und von Bastardtieren. Daß diese Verbote wenigstens teilweise an alte Superstitionen unbekannter Herkunft anknüpften, ist nicht unmöglich. Im allgemeinen aber ist weit wahrscheinlicher, daß sie allesamt späte Theologumena formalistischer Priester aus Anlaß der Perhorreszierung der „Vermischung“ mit Nichtjuden sind. Denn z. B. die anstandslose Benützung des Maulesels steht für die vorexilische Zeit fest. Nächst dem Konnubium kommt für den kastenartigen Abschluß nach außen die Kommensalität in Betracht. Wir sahen, daß sie auch mit rituell Fremden anstandslos geübt wurde, natürlich aber, wie überall, nur innerhalb des Kreises der entweder durch berith

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dauernd Verbundenen oder durch Gastrecht zeitweilig Verbündeten. Bei der gesonderten Mahlzeit der Aegypter und der Hebräer in der Joseph - Geschichte wird die Ablehnung der Kommensalität den Anschauungen der Aegypter im Gegensatz zu den Israeliten zugeschoben. Erst der außerordentliche Nachdruck, den die Priestergesetzgebung auf die Speisegesetze legte, schuf praktisch fühlbare Schwierigkeiten.

Weder im „kultischen Dekalog“ - der doch eine höchst spezialisierte, später folgenreich erweiterte Speisevorschrift (das Böckchen nicht in der Milch der Mutter zu kochen) enthält -, noch in anderen sicher vorexilischen Satzungen sind die später hauptsächlich charakteristischen sonstigen israelitischen Speiseverbote enthalten oder erwähnt, nämlich außer dem Verbot zahlreicher, zum Teil sehr wichtiger Tiere (Lev. 11), 1. das Verbot des Hüftnervs, welches in seiner späteren Spezialisierung fast jeden Genuß von Fleisch der Hinterviertel ausschloß; 2. das Verbot des Fettes (Lev. 3, 17; 7, 23. 25), welches später, interpretierend auf Vierfüßler beschränkt, die Israeliten zum Gänsefettverbrauch zwang; 3. das Blutverbot, welches zum Aussalzen und Auswässern des Fleisches nötigte; 4. das Verbot des Gefallenen und Zerissenen, welches (in Gemeinschaft mit Nr. 3) die rituelle Regulierung des Schlachtens bedingte. Einige von ihnen (z. B. Lev. 3, 17) charakterisieren sich schon durch die Form als Novellen der Priestergesetzgebung. Der Genuß von Eselfleisch wird 2. Kön. 6, 25 vorausgesetzt. Das Verbot des Gefallenen und Zerrissenen wird bei Hesekiel (4, 14 vgl. mit 44, 31) nur für die Priester als geltend vorausgesetzt und bei Tritojesaja (66, 3) nur das Opfern von Saublut als Greuel angeführt. Teils als allgemeine Tabuierungen, teils als Opfertabuierungen zugunsten des Gottes1), teils als priesterliche Reinheitstabuierungen müssen einige ihrer Bestandteile, vermutlich das Bedenken gegen Schweine- und Hasenfleisch und das in der Samueltradition (I. Sam. 14, 33 f.) erwähnte Verbot des Blutgenusses, in alte Zeit zurückreichen. Die ätiologische Sage, ein im allgemeinen sicheres Kennzeichen hohen Alters, findet sich nur für die Gepflogenheit, den Hüftnerv nicht zu essen, eine metaphysische, also relativ späte, Deutung (aus dem Seelenglauben) für das Blutverbot; das in der Spätzeit

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des Judentums auf jede Art von gemeinsamem Kochen von Fleisch und Milch erstreckte Verbot des Kochens junger Böcke in der Muttermilch im sog. kultischen Dekalog scheint einem örtlichen Tabu des Sichemitischen Kultes zu entstammen und steht ohne Motivierung als positive Satzung da. Die Untersagung des Genusses gefallenen oder zerrissenen Viehs kann mit Opfervorschriften zusammenhängen. Für die Verbote bestimmter Arten von Tieren findet sich nirgends eine ätiologische Legende. An ihrer Stelle steht vielmehr eine Art von naturwissenschaftlicher Distinktion, die sicher nicht alt, sondern Produkt priesterlicher Schematisierung ist, sich in sehr ähnlicher, teilweise gleicher Art bei Manu (V, § 11 ff.) findet und vermutlich den Kreis der verpönten Fleischarten stark erweitert hat. Den einzelnen Verboten in ihren Entstehungsgründen nachgehen zu wollen, bleibt vermutlich ganz vergebliche Mühe. Daß das Schwein in Palästina, auch herdenweise, gehalten wurde, steht noch für die Zeit der Evangelien fest. Die Borsten galten auch später nicht als unrein, sondern nur der Genuß des Fleisches. Erst die talmodische Zeit sah den Kleinviehzüchter, aber jeden, auch den Ziegenzüchter: einst den Träger des frommen Jahwismus, als unrein an, aber nicht wegen des Schweinefleischgenusses, sondern wegen seiner levitisch unreinen Lebensführung. Das wahrscheinlichste wäre an sich, daß ebenso wie bei dem kirchlichen Verbot des Pferdefleisches in Germanien auch hier Verpönung der Opfermahlzeiten fremder Kulte zugrunde lag. Das ziemlich weit - auch in Indien und Aegypten verbreitete - Verbot kann aber auch von auswärts übernommen sein.

Einschneidender als diese Ablehnung einer Reihe von immerhin sonst recht stark beliebten Fleischgerichten mußten das Verbot des Blutgenusses und die zunehmende Aengstlichkeit der Meidung allen nicht wirklich durch Schlachtung ums Leben gekommenen Viehs auf die Möglichkeit der Kommensabilität wirken, sobald daraus die Notwendigkeit einer rituell kontrollierten und geregelten besonderen Methode des Schlachtens (schachat) aller Tiere abgeleitet wurde, wie es in der nachexilischen Zeit geschah. Alles nicht korrekt geschlachtete Vieh galt nun als „Aas“ (nebelah), auch dann, wenn die Inkorrektheit etwa auf einer Scharte im Messer (weil dann „gerissen“ worden war) oder auf anderen Versehen des Schächters beruhte, dessen Kunst erst in langer Uebung zu lernen war. In der Notwendigkeit, einen rituell

M a x W e b e r, Religionssoziologie III.

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korrekten „Schächter“ in der Nähe zu haben, beruhte die Schwierigkeit für korrekte Juden, isoliert oder in kleinen Gemeinden zu wohnen, welche in den Vereinigten Staaten noch bis in die Gegenwart die Zusammendrängung der rituell orthodoxen Juden in den großen Städten beförderte (während die Reformjuden in der Lage waren, dem sehr einträglichen Geschäft der isolierten Bewucherung der Neger auf dem Lande nachzugehen). Die kasuistische Ausgestaltung dieses Speise- und Schlachtungsrituals gehört erst der antiken Spätzeit an, geht aber allerdings in allen Grundlagen auf die exilische Priesterlehre zurück. - Die Kommensalität wurde durch diese Ritualisierung der Speisegewohnheiten sehr erschwert. Ein wirkliches Kommensalitätsverbot hat das offizielle Judentum niemals gekannt. Die Mahnung des (apokryphen) Jubiläenbuches (22, 16), sich von den Heiden zu trennen und nicht mit ihnen zu essen, ist ebensowenig rezipiert worden wie jemals eine allgemeine Unreinheit der Häuser der Heiden oder ihrer persönlichen Berührung statuiert worden ist. Nur für den Juden, der eine Kulthandlung vornehmen wollte, galt in späterer Zeit das Gebot strengster Absonderung von allem Heidnischen (Joh. 18, 28). Immerhin bestätigen die Berichte der hellenischen und römischen Schriftsteller, daß korrekte Juden gegen jede Kommensalität mit Nichtjuden naturgemäß erhebliche Bedenken trugen; der Vorwurf des „odium generis humani“ geht zweifellos in erster Linie darauf zurück1) .

Als eines der wichtigsten rituellen „Unterscheidungsgebote“ trat in der Exilszeit die strikte Sabbatheiligung in den Vordergrund, einmal weil sie, im Gegensatz zur bloßen Tatsache des Beschnittenseins, ein sicheres und jedermann sichtbares Merkmal dafür abgab, daß der Betreffende tatsächlich seine Zugehörigkeit zur Gemeinde ernst nehme, dann weil die kultischen Feste an die Kultstätte Jerusalem gebunden waren und der Sabbat die einzige von allem kultischen Apparat unabhängige Feier darstellte. Die Sabbatruhe erschwerte die Zusammenarbeit in der Werkstatt mit Ungenossen natürlich sehr erheblich

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und trug dadurch und durch seine große Auffälligkeit tatsächlich in sehr starkem Maße zur Absonderung bei. In Gestalt des majestätischen Schöpfungsberichts der priesterlichen Redaktion erhielt der Sabbat vermöge des göttlichen Sechstagewerke nun auch seinen höchst eindrucksvollen ätiologischen Mythos. Die Ritualisierung des Sabbats äußerte sich in umfassenden Einschüben in den Text des Dekalogs. Das aus dem Jahwisten stammende Gebot der Unterbrechung der Feldarbeit (Ex. 34. 21) und die elohistische allgemeine Vorschrift der Arbeitsruhe (Ex. 23, 12) wurde nun erst zur Untersagung jeglicher Beschäftigung, zum Verbot des Verlassens der Wohnung (Ex. 16, 29). - später durch die Begrenzung des „Sabbatwegs“ mit mancherlei Möglichkeiten der Umgehung gemildert -, des Feueranzündens (Ex. 35, 3), so daß schon am Freitag gekocht werden mußte - für die Lampe durch Umgehungsmöglichkeiten gemildert -, des Lastentragens und Begrabens von Lasttieren, des Gehens zu Markt, des Abschlusses irgendwelcher Geschäfte, des Kämpfens und der lauten Rede (Jer. 17, 19; Tritojes. 58, 13; Neh. 10. 32; 13, 15 ff.). Die Ableistung von Kriegsdienst wurde in seleukidischer Zeit wesentlich wegen des Sabbats und der Speiseverbote für unmöglich erklärt: die endgültige Entmilitarisierung der frommen Juden, außer für Fälle des Glaubenskriegs, wo nach makkabäischer Ansicht der Zweck die Mittel heiligte, war dadurch besiegelt.

Ansätze zur Schaffung einer besonderen Tracht, wie sie in ähnlicher Art später die „tefillin“ für die exemplarisch Frommen darstellten, finden sich, sind aber, wenigstens zunächst, offenbar nicht weiter entwickelt worden.

Die im Spätjudentum ebenso wie im frühen Christentum praktisch wichtigen Bedenken gegen jede Beteiligung an Arbeiten, welche auch nur indirekt heidnischem Opferkult zugute kamen, und gegen jeden sozialen Verkehr, welcher die Gefahr einer indirekten Beteiligung an solchen Kulthandlungen bedeuten konnte, sind erst von den Rabbinen entwickelt worden. Aber die Grundlagen lieferten Prophetie und Thora. Und hier, in der Ablehnung der Gemeinschaft bei irgend einem Opfermahl, lag das für die politische Parialage der Juden Entscheidende, in der Antike Einzigartige. An diesen Absonderungstendenzen ist das Charakteristische, daß ihr Träger die babylonische Exilsgemeinde und die von ihr aus maßgebend beeinflußten

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Organisatoren der Gemeinschaft der Zurückgekehrten in Palästina war. Im Gegensatz zu der - nach den vorwiegenden Namen zu schließen - offenbar stark nordisraelitischen, daher die nordisraelitische synkretistische Tradition fortsetzenden ägyptischen Exulantengemeinde war die babylonische Gemeinde judäischen und - wie auch die zahlreichen Namensneuschöpfungen der Exilszeit in Babylon zeigen, die alle auf „jah“, nicht auf „el“, gebildet sind - streng jahwistischen Ursprungs. Vor allem aber hatte sie die Kontinuität der prophetischen Traditiom in ihrer Mitte, im Gegensatz zu Aegypten, wohin die jüdischen Gegner der Prophetie sich gewendet und Jeremia gewaltsam verschleppt hatten, und dessen politisches Bündnis von der Prophetie stets besonders scharf abgelehnt worden war. Wenn man die im ganzen meist viel günstigere Lage der babylonischen gegenüber den ägyptischen Exulanten, vor allem die weit geringere Ablehnung durch die Umgebung, erwägt und demgegenüber die Tatsache, daß dennoch die babylonischen und nicht die ägyptischen Juden die Führung bei der Schaffung der entscheidenden rituellen Schranken nach außen und der Gemeindeorganisation nach innen hatten, ebenso wie sie später die Träger der Talmudbüdung waren, so kann man daran die ganz überragende Bedeutung der Prophetie und der von ihr getragenen Hoffnungen für die Bildung und Erhaltung des Judentums ermessen. Priester gab es natürlich auch in den ägyptischen Gemeinden. Aber die prophetisch beeinflußte Priesterschaft in Babylon, welche die deuteronomische Tradition lebendig in ihrer Mitte pflegte, war allein der Kern der Fortbildung. In Palästina stützte die bürgerliche Bevölkerung im Gegensatz sowohl zu den reichen landsässigen Sippen wie zu den reichen Priestern die puritanische Tradition. Die folgenreichen sozialen Gegensätze der nachexilischen Zeit zeigten sich gleich im Anfang. Gegner der Zurückgekehrten waren von Anfang an die Samaritaner. Die nach der Tradition (2. Kön. 17, 24) aus mesopotamischen und aramäischen Städten eingesiedelte, mit den einheimischen Israeliten verschmolzene Bevölkerung verehrte unter Leitung nordisraelitischer Priester Jahwe, aber vielfach in Gemeinschaft mit anderen Gottheiten. Ihre einflußreichsten Schichten waren einerseits die an den Hofhalt des Statthalters, der stets in Samaria geblieben ist, sich anschließenden Beamten und anderen Interessenten. andererseits die reichen Sippen des platten Landes

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und der Landstädte, welche an den Landkulten interessiert waren. Als, wie es scheint erst unter Darius, der Tempelbau in Jerusalem begann, erboten sie sich zur Mitarbeit, wurden aber von Serubbabel, wie Rothstein1) wahrscheinlich gemacht hat, infolge eines Orakels des Haggai (2, 10 f.) abgewiesen (Esra 4, 31 und setzten daraufhin die Sistierung des Tempelbaus durch. Ihre Feindseligkeit gegen die Jerusalemiten bestand weiter und insbesondere hinderten sie jeden Versuch, die Stadt zu befestigen. Die Widersacher, vor welchen die Jerusalemiten beständig in Angst lebten (Esra 3, 3), wurden „ammê haarezoth“ genannt. Die Verhältnisse unter Nehemia zeigen aber, daß von den besitzenden Schichten der Stadt Jerusalem und des umliegenden Landgebietes selbst, sowohl Laien wie Priestern und Beamten, ein erheblicher Teil, vor allem die hohepriesterliche Familie selbst, mit den Gegnern des babylonischen Puritanismus verschwägert und teils im Einverständnis teils in ihrer Stellung schwankend war (Neh. 5, 1; 6, 17 f.). So ist es auch geblieben. Noch in hellenistischer Zeit (wie es nach Josephus scheint) ist ein Bruder des Hohenpriesters mit einem Samaritaner Statthalter verschwägert und dorthin übersiedelt1). Nur die königlichen Vollmachten, welche Esra und Nehemia besaßen, veranlaßten offenbar die Vornehmen, sich überhaupt zu fügen. Am Bau der Mauer beteiligen sich zwar die plebejischen Thekoiten, aber die Großen (adirim) der Stadt Thekoa nicht (Neh. 3, 5). Auch die besitzenden Schichten der Jerusalemiten wuchern den Kleinbesitz genau so aus wie vor dem Exil, so daß ein scharfer Konflikt entsteht (Neh. 5, 7). Nehemia seinerseits stützt sich neben einer Eskorte auf seine offenbar sehr großen persönlichen Geldmittel und wohl auch diejenigen der babylonischen Exulanten, im übrigen aber auf die Massen. Um die Wohlhabenden Jerusalems zum Schulderlaß zu zwingen, beruft er (Neh. 5, 7) eine „große Gemeinde“ (kahal hagedolah). Ebenso beruft Esra (10, 8) zur Erzwingung der Lösung der Mischehen die „Exulantengemeinde“ (kahal hagolah) und zwar unter Androhung geistlicher Strafen: der Ausstoßung aus der Gemeinde der golah und des cherem

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gegen den Besitz des Nichterscheinenden. Ob der cherem in diesem Fall nur Tabuierung, also Boykott, oder effektive Zerstörung bedeutete, muß dahingestellt bleiben: die Fehde blühte im Lande, wie die Darstellung Nehemias zeigt. In den Esra - Annalen (6, 21) findet sich die Bezeichnung „Nibdalim“ („die sich Absondernden“) für die Gemeinde der rituell korrekten Exulanten und derjenigen, die sich ihnen anschlossen. Diese Gemeindebildung selbst aber war zweifellos erst das Werk des Nehemia.

Formell lief die Leistung des Nehemia hinaus auf zweierlei: 1. Synoikismos der Geschlechter und eines ausgelosten Teiles des Landvolkes in der nun befestigten Stadt Jerusalem. Ferner 2. Bildung einer Gemeinde, welche bestimmte Minimalverpflichtungen durch eine von Nehemia, den Vertretern der Priester, Leviten und den „Häuptern“ (raschim) des Volks (ha `am) unterschriebene und untersiegelte Schwurverbrüderung auf sich nahm. Nämlich (Neh. 10): 1. Aufhebung des Konnubium mit den amme haarezoth, 2. Boykott allen Marktverkehrs am Sabbath, 3. Erlaß jedes siebenten Jahreseinkommens und aller Schuldforderungen in dem betreffenden Jahr, 4. Kopfsteuer von 1/3 Schekel jährlich für Tempelbedarf, 5. Holzlieferungen für den Tempelbedarf, 6. Erstlinge bzw. Erstlings - Ablösung gemäß dem Priestergesetz, 7. Naturalienlieferungen an die Tempelpriester und Levitenzehnt, 8. Unterhaltung des Tempels selbst. Der Bericht des Chronisten läßt diese Verbrüderung an die Oktroyierung des mosaischen Gesetzes, d. h. der exilspriesterlichen Redaktion der Kult- und Ritualvorschriften sich anschließen. Aber trotz der gerade in diesem Gesetz vorgesehenen bedeutenden kultischen Stellung des Hohenpriesters ist dieser auch an diesem Akt gänzlich unbeteiligt, wie seine Unterschrift auch nicht unter den Garanten der Gemeindebildung des Nehemia erscheint. Die eigentümliche Zwitterstellung der Neugründung tritt in alledem zutage und bestand fast im ganzen Verlauf der weiteren jüdischen Geschichte fort. Einerseits handelte es sich um eine formal freiwillige religiöse Gemeindebildung. Andererseits beanspruchte diese Gemeinschaft der exemplarisch Korrekten letztlich allein die Erbin der sakralen und deshalb auch der politischen Stellung Israels zu sein. Indes die wirklichen politischen Vollmachten ruhten stets in den Händen entweder des persischen Satrapen und später des hellenistischen Statthalters und ihrer Beamten, oder eines Spezialbevollmächtigten des Königs, wie Nehemia es der

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Sache nach war. Ebenso beruhte auch die Stellung des Esra formell allein auf der vom persischen König ihm verliehenen Autorität. Ob der vom Chronisten wiedergegebene schriftliche Auftrag des Königs, das Gesetz des „Gottes des Himmels“ durchzuführen (Esra 7, 23) und dazu nötigenfalls Gewalt anzuwenden (das. 26), wirklich authentisch ist, mag dahingestellt bleiben; aber seine Stellung gegenüber dem Hohepriester ist ohne eine weitgehende königliche Vollmacht nicht denkbar. Irgendwelche weltliche Gewalt, insbesondere Gerichtsgewalt, ist den Funktionären der neuen Gemeinde vom König offenbar nicht verliehen wurden. Der in Samaria residierende Statthalter scheint die Gerichtsbarkeit, jüdische lokale Bezirksbeamte die örtliche Verwaltung gehabt zu haben, als Nehemia in Jerusalem eintraf. Darin und in den Abgabepflichten an den König ist offenbar keine dauernde Aenderung eingetreten. Nur die Priester, Leviten und Tempeldiener befreit der (angebliche) Brief des Königs von der Besteuerung. Aber von einem eigenen Regierungsrecht der Gemeinde hören wir nichts. Ebenso sind die Priester- und Levitenzehnten wirklich zwangsweise wohl nur in jenen Zwischenepochen erhoben worden, in welchen ein rituell korrekter jüdischer Fürst regierte und soweit seine Macht reichte. Religiöse Zwangsmittel: der Bann im Nehemiabund, später die rituelle Deklassierung der nicht Verzehntenden als `Am haaren mußten den Eingang garantieren. Die Unklarheit dieser Lage, die Quelle stets neuer Konflikte, spricht sich in den Dokumenten deutlich aus. Die Judenschaft war ein rein religiöser Gemeindeverband auch die Abgaben, die sie sich auferlegte, scheinen formell freiwillig übernommen zu sein. Der Brief der oberägyptischen Juden aus dem Jahre 408 /7 mit der Bitte um Verwendung für den Wiederaufbau ihres Jahwetempels ist sowohl an den Statthalter in Samarien wie an den Statthalter in Jerusalem gerichtet, nachdem sie vorher dieserhalb bereits - ohne Antwort zu erhalten - „an den Hohenpriester und die Priester in Jerusalem, seine Kollegen“ geschrieben hatten. Offenbar war ihnen nicht ganz klar, wer eigentlich die zuständige Instanz sei. Daß sie von den Jerusalemiter Priestern keine Antwort erhielten, ist übrigens nicht erstaunlich.

Denn die jüdische Gemeindebildung bedeutete die rituelle Trennung von den Samaritanern und allen nicht forme1l in die Gemeinde aufgenommenen israelitischen oder halbisraelitischen

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Landesbewohnern. Vor allem von den Samaritanern, obwohl diese die gesamte Thora in der Redaktion der Exilspriester annahmen und aaronidische Priester hatten. Das Kultmonopol Jerusalems war hier der entscheidende Differenzpunkt. Auf dieses Kultmonopol hin hatten die babylonischen Exulanten charakteristischerweise entscheidendes Gewicht gelegt. Nur von ihrer Seite geschah dies. Die ägyptische Exulantengemeinde hat, wie die Urkunden aus Elephantine zeigen, sich einen eigenen Tempel geschaffen und noch der in den Wirren der makkabäischen Parteikämpfe nach Aegypten entwichene Hohepriester Onias hat keine Bedenken getragen, dort einen Tempel zu bauen. Der ein ganzes Jahrtausend währende überragende Einfluß der babylonischen Exulanten tritt in nichts deutlicher hervor, als darin, daß schließlich doch sie ihr von Anfang an festgehaltenes Prinzip durchsetzten. Daß die leitenden Priestergeschlechter und die vornehmen prophetisch beeinflußten Kreise, welche das Deuteronomium geschaffen hatten, dorthin exportiert waren und die Kontinuität der Tradition verbürgten, war dafür wichtiger als die überragende ökonomische Stellung der babylonischen Exulanten, welcher diejenige der alexandrinischen Gemeinde später mindestens ebenbürtig war Dazu aber traten die ethnischen, insbesondere die sprachlichen Verhältnisse: die babylonischen Juden blieben auf dem Boden der aramäischen Umgangssprache in voller Gemeinschaft mit dem Mutterlande, die Juden in den hellenistischen Gebieten nicht - was noch in dem Schicksal der christlichen Mission bei den beiderseitigen Proselyten charakteristisch nachwirkte. Soteriologisch wurde die Etablierung des Opfermonopols Jerusalems in Verbindung mit der Diasporaexistenz der Juden insofern eminent wichtig, als jetzt das Opfer erstmalig exklusiv den Charakter des Gemeindeopfers annahm. Dem täglichen Opferdienst in Jerusalem stand gegenüber: daß der Einzelne nunmehr überhaupt aufhörte zu opfern, chakat und ascham mindestens für den Diasporajuden nur in der Theorie fortbestanden: der Einzelne zahlte eine feste Abgabe nach Jerusalem, statt selbst zu opfern. Praktisch aber bot der Sieg dieser babylonischen Auffassung für die internationale Verbreitung des Judentums die größten Vorteile. Daß der Kult in Jerusalem ordnungsmäßig stattfand, war, als von Jahwe geboten, für die Diasporajuden wesentlich. Aber als Gastvolk in fremdem Lande gewannen sie natürlich ungemein

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an Bewegungsfreiheit, wenn sie nicht mit der Pflicht eigener Tempelbauten im fremden Land belastet waren.

Dem Prinzip gemäß lehnte die Gola jeden andern Tempel als illegal ab. Fortan verschärfte sich der Gegensatz gegen die Samaritaner immer weiter. Wir finden schon in der Zeit der Ptolemäer Juden und Samaritaner in Aegypten in bitterer Konkurrenz miteinander. Das Schicksal der Samaritaner soll uns hier weiter nicht bekümmern. Sie haben religionsgeschichtlich das immerhin wichtige negative Interesse: daß man an ihrem Schicksal im Vergleich zu dem der Juden studieren kann: was der nur an der Thora orientierten Religion der israelitischen Priester fehlte, um „Weltreligion“ zu werden. Die bne Jisrael, wie sie sich nannten, blieben rein ritualistisch. Es fehlte ihnen 1. die Anknüpfung an daß judäische Prophetentum, welches sie ablehnten: ihre Messiashoffnung blieb daher eine Hoffnung auf einen innerweltlichen Fürsten, den ta`eb („Wiederkehrenden“), ohne das ungeheure Pathos der prophetischen Theodizee und sozialrevolutionären Zukunftshoffnung. Es fehlte ihnen 2. trotz der Existenz von Synagogen die Fortbildung des Gesetzes durch jene plebejische Schicht volkstümlicher Autoritäten, welche die Rabbinen repräsentierten und ihr Produkt: die Mischna. Deren Bedeutung werden wir später kennen lernen. Das Pharisäertum, aus dessen Geist der Talmud geboren ist, haben sie nicht entwickelt, die Auferstehungshoffnung lehnten sie ab, auch darin der sadduzäischen Partei in Jerusalem verwandt, mit der sie auch die freundlichere Beziehung zum Hellenismus teilten. Es fehlte also, kann man sagen, die konfessionelle Entwicklung, die an dem Inhalt der prophetischen und rabbinischen Soteriologie und an dem eigentümlichen pharisäischen Rationalismus verankert war. Sie haben noch im Mittelalter revivals erlebt (14. Jahrhundert) und noch im 17. Jahrhundert im Orient verbreitete Kolonien (bis nach Indien) gehabt, aber eine nationale religiöse Ethik, die den Okzident hätte gewinnen können. nicht entwickelt. Nur als jetzt sehr kleine Sekte (und notorisch als die ärgsten Gauner des Orients, deren Fälschungen auch ernste Gelehrte zum Opfer gefallen sind), existieren sie bis heute.

Als Resultat der Entwicklung ist festzustellen: daß die „Juden“, wie die Gemeinschaft von nun an auch offiziell heißt, eine rituell abgesonderte konfessionelle Gemeinde geworden waren, die sich durch Geburt und durch Aufnahme von Proselyten

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rekrutierte. Denn parallel der rituellen Absonderung geht die Begünstigung des Eintritts von Proselyten. Der eigentliche Prophet des Proselytismus ist Tritojesaja (Jes. 56, 3. 6). Während der Priesterkodex nur von der Gleichstellung des „ger“ mit den altbärtigen Israeliten spricht, den „Fremden“ (nechar) aber ausdrücklich vom Passah ausschließt (Ex. 12, 43), ruft Tritojesaja den Fremden (nechar), der, vor allen Dingen, den Sabbat und überdies die anderen Gebote Jahwes hält, zur Teilnahme am „Bunde“ und damit am Heil Israels. Proselyten sind anscheinend schon in der ersten Exilszeit gemacht worden. Das mußte sich in der Perserzeit, als die Juden zu Hofämtern aufstiegen, noch steigern. Die Geschichte von Elisa und Naeman scheint als Paradigma für eine vermutlich damals zugelassene (später als Rückschlag gegen den römischen und hellenistischen Herrscherkult streng verpönte) sehr laxe Praxis in bezug auf die Haltung gegenüber den fremden Reichsgöttern seitens der jüdischen Höflinge in die Redaktion der Königsgeschichten aufgenommen zu sein. Vielleicht gerade auf Nehemia persönlich ist die Zulassung der früher ausgeschlossenen Eunuchen bei Tritojesaja zugeschnitten. Die nachexilische Zeit hat dann den allgemeinen Grundsatz in die Thora gebracht, daß Fremdsippen durch Uebernahme der Pflichten des Gesetzes nach drei Generationen den Altjuden völlig gleichgestellt sind und nur das Konnubium mit Priestern nicht haben. Man wendete, wie später zu erörtern sein wird, die alten Grundsätze von der Behandlung der gerim auf diejenigen Fremden an, die ohne Uebernahme der vollen Gesetzespflichten sich als Freunde zur Gemeinde hielten. Innerhalb der Juden selbst kennt der Chronist nur die Stände der Kohanim (Priester), das heißt: der Aaroniden - Abkömmlinge, der Leviten und der später verschwundenen, kastenartig deklassierten, Nethinim (Tempeldiener nebst den sonstigen Kategorien des niederen Tempeldiensts). Die bevorrechtigten Stände standen aber mit allen andern Altjuden in vollem Konnubium und voller Kommensalität; sie waren ursprünglich nur durch verhältnismäßig einfache spezifische Reinheitspflichten belastet, die beim Hohenpriester noch weiter gesteigert waren. Wie sich nun einerseits sozial die vornehmen Priestergeschlechter von den gewöhnlichen Aaroniden differenzierten und wie andererseits rituell der Begriff des `Am haarez, nach dem Exil zunächst identisch mit der außerhalb des kahal hagolah, der durch Verpflich-

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tung auf das Ritual gebildeten Gemeinde, stehenden Landesbewohner, vor allem den Samaritanern, sich weiterhin wandelte, ist später zu besprechen. Jedenfalls waren die Juden durch die von der babylonischen Exulantengemeinde herbeigeführte Oktroyierung des Ritualgesetzes und die Bildung der Golah - Gemeinde ein Pariavolk mit einem Kultmittelpunkt und einer Zentralgemeinde in Jerusalem und mit internationalen Filialgemeinden geworden.

Ihre folgenreichste soziale Besonderheit bestand von Anfang an darin: daß eine wirklich ganz korrekte Innehaltung des Rituals für die Bauern ganz außerordentlich erschwert war. Nicht nur weil der Sabbat, das Sabbatjahr, die Speisevorschriften an sich für ländliche Verhältnisse schwer einzuhalten waren. Sondern vor allem: weil mit zunehmender kasuistischer Entwicklung der für das Verhalten maßgeblichen Gebote eben die Lehre im Ritual zum Erfordernis korrekten Lebens werden mußte. Die Priesterthora aber reichte naturgemäß in die Landorte nur wenig hinein. Die Innehaltung der später, wie wir sehen werden, von den exemplarisch Frommen immer weiter propagierten eigentlichen levitischen Reinheitsgebote vollends war für die Bauern, im Gegensatz zur Stadtbevölkerung, überhaupt so gut wie ausgeschlossen. Dieser Erschwerung stand für die Bauern kein Gewinn an Anziehungskraft gegenüber. Der Festkalender der Exilspriester, den Esra oktroyierte, hatte alle alten Feste ihrer früheren Beziehung zu dem Ablauf der ländlichen Arbeit und Ernte beraubt. Vollends die unter Fremdvölkern lebenden Juden konnten nicht leicht in ländlichen Orten ein rituell irgendwie korrektes Dasein führen. Der Schwerpunkt des Judentums mußte sich zunehmend in der Richtung verschieben, daß sie ein stadtsässiges Pariavolk wurden - wie es ja auch geschehen ist.

Niemals aber würde sich eine zunehmend „bürgerliche“ Glaubensgemeinschaft in diese Parialage freiwillig begeben und für die Teilnahme an ihr mit weltumspannendem Erfolg Proselyten gewonnen haben ohne die Verheißungen der Prophetie. Die unerhörte Paradoxie, daß einem Gott, der sein erwähltes Volk nicht nur nicht gegen die Feinde schützt, sondern in Schmach und Verknechtung stürzen läßt und selbst stürzt, nur um so inbrünstiger angehangen wurde, findet in der Geschichte sonst kein Beispiel und ist nur aus dem gewaltigen Prestige

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der prophetischen Verkündigung erklärlich. Dies Prestige beruhte, wie wir sahen, rein äußerlich auf dem Eintreffen bestimmter Weissagungen der Propheten, oder richtiger darauf: daß bestimmte Ereignisse als deren Erfüllung gedeutet wurden. Man kann die Festigung dieses Prestiges gerade inmitten der Exilsgemeinde in Babylon deutlich erkennen. Während die ägyptische Partei den Jeremia gewaltsam mitschleppt und trotz der furchtbaren Erfüllung seiner Orakel, vielleicht eben dieserhalb, haßt - angeblich hat sie ihn gesteinigt -, schlägt in Babylon Hesekiel gegenüber, den man anfänglich als Narren verspottet hatte, mit der niederschmetternden Nachricht vom Fall Jerusalems die Stimmung völlig um. Wer nicht endgültig verzweifelte, hielt sich hinfort an ihn als Berater und Tröster und suchte seinen Rat. Und während die Samaritaner begreiflicherweise eine Prophetie, welche dem alten Reich von Samaria dauernd nur Unheil verkündet und sich weiterhin nur für Jerusalem interessiert hatte, ablehnten, gewann die Prophetie innerhalb der Exilsgemeinde ihre endgültige Stellung durch die Erfüllung jener Heilsweissagungen, welche die Heimkehr aus dem Exil verkündeten, an welche man sich während der Exilszeit in Babylon klammerte und als deren Erfüllung man die Errichtung der Gola - Gemeinde in Jerusalem ansah. Diese Gemeinde erschien als jener „Rest“, dessen Errettung seit Amos und vor allem seit Jesaja verheißen war und dessen Zukunft im Exil den Gegenstand der nunmehr zur Heilsweissagung umschlagenden Prophetie gebildet hatte. Unmittelbar nach dem Sturz Jerusalems, der vollen Erfüllung der furchtbaren Drohungen Jahwes, vollzog sich dieser Umschlag zur Heilsprophetie bei Jeremia und vor allem bei Hesekiel. Und wenn bei dem weichen Melancholiker Jeremia warmherzige Tröstung und eine sich selbst bescheidende Hoffnung darauf, daß noch einmal friedlicher Ackerbau im Heimatlande möglich sein werde, im Grunde den ganzen Inhalt der Zukunftserwartung ausmachte, so schwelgte der Ekstatiker Hesekiel in Träumen von einer furchtbaren Endkatas- trophe der Feinde, unerhörten Wundern und einer glorreichen Zukunft. Unmittelbare Drohungen gegen Babel, wie sie bis zum Sturz Jerusalems von ekstatischen Heilspropheten noch verkündet worden waren und das scharfe Einschreiten der Regierung und die Mahnungen Jeremias zur Geduld und Fügsamkeit hervorgerufen hatten,

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konnte er1) nicht wagen. Die Perser waren noch nicht aufgetaucht. Er bewegte sich daher in dunklen Andeutungen seiner Hoffnungen. Unheilsorakel gegen die schadenfrohen Nachbarn: Tyros, Sidon, Ammon, Moab, Edom, die Philisterstädte und gegen das als unverläßlicher Bundesgenosse erprobte Aegypten schaffen Raum für die Hoffnung auf Herstellung Israels durch die Macht Jahwes allein. Die Drohungen gegen Aegypten verwenden mythische Motive einer Weltkatastrophe. Gog, wie es scheint, ein, an die Person eines innerkleinasiatischen Fürsten (von Tubal und Mesech: 38, 2) anknüpfend, phantastisch zu einem Gebieter des Nordlandes, der alten Quelle aller Völkerwanderungen, gesteigerter Barbarenkönig, führt dereinst alle wilden Völker gegen das hergestellte heilige Volk Jahwes und in einem fürchterlichen Gemetzel, bei dem den Israeliten fast nur die Aufgabe der Aufräumung des zu einem einzigen Leichenfelde verunreinigten heiligen Landes verbleibt, bereitet Jahwe ihm und damit allen Feinden Israels, die er selbst herbeigerufen hat, den Untergang (Kap. 38 und 39). Und was dann ? Ursprünglich hatte Hesekiel an die Wiederkunft Davids oder eines Davididen gedacht (34, 23). Aber das unbelehrbare Verhalten des Königsgeschlechtes und die Erkenntnis, daß nur die Priestergewalt die Gemeinde zusammenhalten könne, wandelte seine Ideale. Er selbst zwar Zadokide und so formte sich seine endgültige Hoffnung, nach fünfundzwanzigjähriger Gefangenschaft, zu jener rational geordneten Theokratie, von der oben gesprochen wurde. Die Königshoffnung ist begraben. Aber reiche innerweltliche Wohlfahrt und - wie schon bei Jeremia - ein neuer ewiger Bund mit dem Volk, dem Jahwe ein neues lebendiges Herz geben wird von Fleisch und Blut statt des steinernen Herzens, das sie ins Verderben führte (36, 26. 27), ein hoher Ehrenplatz vor allen Völkern zur Ehre von Jahwes Namen sind den treu Gebliebenen sicher. Die wilden ekstatischen Visionen und Auditionen seiner Frühzeit sind abgeklungen, in breit ausgesponnenem Bilde malt Hesekiel die Zukunftsverfassung und münzt seine Gesichte kunstvoll und pedantisch zu einer intellektuell ausgedachten Utopie um (Kap. 40 ff.): er ist der erste im eigentümlichen Sinn schriftstellernde Prophet1).

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Aber Hesekiel war, wie schon erwähnt, nicht nur Schriftsteller, sondern als Priester auch seelsorgerlicher und - sozusagen - „religionspolitischer“ Berater sowohl der einzelnen Exulanten wie der im Exil maßgebenden Vertreter der Gläubigen der Aeltesten. Als ein „Wächter“ des Volkes erscheint er sich selbst. Und in den Erfahrungen dieser Seelsorge mußte auch ihm das Problem der „Schuld“ an dem über Israel verhängten Unheil, vor allem der Kollektivschuld und Solidarhaftung, welches die Thoralehre beschäftigt hatte, besonders nahe treten. Man bemerkt deutlich, wie er dazu Stellung sucht. In der Qual seiner pathologischen Lähmungen fühlt er sich (4, 5) gelegentlich als bestimmt, die alte Kollektivschuld des Volkes abzubüßen. Im wilden Zorn seiner Unheilsorakel andererseits beschuldigt er wie seine Vorgänger oft die Gesamtheit des Volkes der hoffnungslosen Verworfenheit und kündet scheinbar den allgemeinen end- gültigen Untergang an. Aber das war ihm selbst unerträglich und angesichts des mindestens zum Teil unverschuldeten Leidens der Exulanten im Gegensatz zu der politischen Unbelehrbarkeit und dem ökonomischen Eigennutz der in Jerusalem Gebliebenen ist ihm im Gegensatz zu diesen allein die Gola Träger aller Hoffnung und künftigen Heiles (11, 16), während die Daheimgebliebenen alles Unheil verschuldet haben. Aber nach dem Sturz Jerusalems fiel auch das für die Bedürfnisse der Theodizee fort, so sehr diese Ueberzeugung seither das religiöse Selbstbewußtsein der Exilsgemeinde als solcher gestützt und bestimmt hat. Innerhalb der Exilierten bestand und verschärfte sich die ökonomische Differenzierung und wuchs auf der einen Seite die Neigung der Gutsituierten zu Indifferenz und Anpassung, auf der andern Seite das Ressentiment der frommen Armen empor. Unerträglich und nicht aufrecht zu erhalten war der Gedanke, auch jetzt noch kollektiv für Sünden der Väter in abgelebten Zeiten büßen zu sollen. Das Bedürfnis nach einer Prämie für die Treue gegen Jahwe wurde gebieterisch, und entschlossen brach nun auch Hesekiel, wie vorher schon die Deuteronomistenschule, mit dem alten Solidarhaftsgedanken (Kap. 18 und 33)

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und zugleich mit der, vermutlich durch die Eindrücke des babylonischen Sternenglaubens nahegelegten Vorstellung, daß Jahwe unerbittlich vergelte, daß „unsere Sünden auf uns“ seien wie ein Schicksal, eine Ansicht, die für die Seelsorge nachteilige fatalistische oder zur Magie oder Mystagogie führende Konsequenzen haben mußte. Es gibt überhaupt keine unentrinnbare Schuldbelastung des Einzelnen, sei es durch eigene Sünden oder durch die Erbschuld der Väter. Jahwe vergibt dem Einzelnen nach seinem Wandel: wer gerecht ist, die Mischpatim und Karitätsgebote Jahwes und sein chukkot hält, der wird leben; die aufrichtige Bekehrung löscht auch schwere Schuld aus. Die seitdem herrschende Bußestimmeng der Gola wurde dadurch religiös unterbaut und zugleich jener Unterschied der allein zum Heil berufenen demütigen „Frommen“ im Gegensatz zu der Frivolität der Reichen und Mächtigen vorbereitet, welcher später, vor allem in den Psalmen, die jüdische Religiosität stempelte. Aber das Bedürfnis, die Gemeinde durch Unterscheidungszeichen fest in der Hand der Priester zu halten, zu denen Hesekiel selbst gehärte, wendete bei ihm die positiven Anforderungen an das Verhalten durchaus nach der keltischen und ritualistischen Seite, wie früher ausgeführt wurde. So stehen Gesinnungsethik - das schöne Bild von der Umwandlung des steinernen Herzens in ein Herz von Fleisch und Blut - und priesterlicher Formalismus scheinbar unvermittelt nebeneinander: erstere ein Vermächtnis der alten, insbesondere der jeremianischen Prophetie und auch Erzeugnis des eigenen religiösen Erlebens, letzterer der Niederschlag der praktischen Interessen des Priesters.

Bei den Propheten der ersten nachexilischen Zeit steht es ähnlich. Haggai und Sacharja, die Heilspropheten der kurzen Periode der Hoffnung unter Serubbabel, sind noch einmal rein national, am Königtum und Tempel, orientiert. Die Nachtgesichte Sacharjas, eines gebildeten Priesters, sind eine Kunstkomposition: die Planetengeister in den 7 Augen (3, 9), der „Ankläger“ und die Engel im Himmel zeigen babylonische Einflüsse, das Zitieren der alten Propheten (1, 6) als Autoritäten und der Engel Jahwes als Träger der göttlichen Befehle, statt der unmittelbaren Eingebung, den schriftstellerisch abgeleiteten Charakter und die Scheu vor der alten naturalistischen Leibhaftigkeit, in der Sache selbst dreht sich alles um den Tempelbau, nach dessen Vollendung das Heil eintreten wird. Umgekehrt findet

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sich auffallenderweise in den Orakeln Tritojesajas (66, 1 f.) eine Ablehnung des Tempels, da der Himmel selbst Jahwes Tempel sei, eine modifizierte Erinnerung an die relative Indifferenz gegen den Kult bei der alten Prophetie, und ebenso die alte starke Betonung der sozialen und humanitären Pflichten (58, 1 f.) als wichtiger als alles Fasten. Die Abgötterei und die fremden Kulte sind wie vor dem Exil die entscheidenden Frevel. Andererseits liegt gerade bei diesem Propheten starker Nachdruck auf der Erfüllung der äußeren rituellen Lebensordnungen, welche jetzt das einzige Zeichen der Zugehörigkeit zur Gemeinde waren. Noch einmal entlud sich bei ihm die Hoffnung auf den Tag Jahwes (66, 12 f.) als den Tag der Tröstung für Israel, des Unheils für die Feinde, und furchtbarer Rachedurst gegen die Feinde lebt in dem großartigen Bilde des wie ein Winzer vom Blut der Edomiter geröteten, über die Berge daherschreitenden Gottes (63, 1 f.). Ebenso findet sich bei Joel (2, 20) der jetzt schon schematisch auftretende „Feind von Norden“ und ein phantastisch ausgemaltes Völkergericht (4, 1 f.). Aber im ganzen hat sich die Verschiebung vollzogen, welche durch die Lage der kleinbürgerlichen Gemeinde gegenüber dem feindlichen oder indifferenten Patriziat bedingt war: die Frommen im Gegensatz zu den Gottlosen sind bei Tritojesaja ebenso wie bei den andern Propheten der Zeit, so Maleachi (3, 18), die Träger der Heilserwartungen und Gott ist ein Gott der Demütigen (Tritojes. 57. 15). Der Zukunftskönig reitet bei Deuterosacharja (9, 9 f.) auf einem Esel, weil er ein Fürst der Demütigen und Armen ist. Die Gerechtigkeit durch den Glauben bei Habakuk (2, 4) entspricht den jesajanischen Konzeptionen, ohne dessen aktuelle utopistische Großartigkeit zu erreichen. Denn alles ist ins Kleinbürgerliche transponiert. Eine schwere Heuschreckenplage gibt Joel (2, 12) Anlaß zu einer eigenartig konzipierten Bußpredigt, die aber doch lediglich auf Fasten, Opfer, einen Buß- und Bettag hinausläuft, während Maleachi die Mischehen für den Zorn Jahwes verantwortlich macht. Zwar liebt Jahwe sein Volk ( Mal. 1, 1), aber der Fromme erwartet Lohn (Tritojes. 58, 6. 9) und bei Maleachi (1, 1 f.) ist der persische Gedanke einer Buchführung des Gottes über die Taten der Menschen übernommen. Andererseits findet sich bei Deuterosacharja (11, 4 f.) scheinbar eine Uebernahme der Theorie von den vier Weltreichen. Bei Joel dagegen die alte schon vorprophetische utopische Hoffnung

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auf einen paradiesischen Endzustand sehr realistisch in einem Gemälde üppigen Wohlstandes nach Art der alten volkstümlichen Erwartungen. Eine eigentümliche Mischung von Literatenbildung mit zuweilen eindrucksvoller religiöser Wärme, andererseits aber: Anpassung an die hausbackenen Sitten und Bedürfnisse der bürgerlichen Angehörigen einer im ganzen in friedlichen und behaglichen, freilich kleinen Verhältnissen lebenden Gemeinde beherrscht große Teile dieser Spätlingsprophetie. Ausdrücklich bezeugt ist öffentliches politisches Auftreten von Propheten für die Zeit Nehemias, der mit den Heilspropheten seiner Zeit harte Kämpfe hatte. Aber viele Orakel und prophetische Lieder dieser Epoche tragen reinliterarischen Charakter wie schon in der Exils - Zeit seit der späteren Periode Hesekiels und wie zahlreiche Psalmen, von denen es oft rein zufällig ist, daß sie nicht zu den Prophetenliedern gezählt werden (und umgekehrt). Damit ist nicht etwa gesagt, daß sie ohne Bedeutung für die religiöse Entwicklung gewesen wären, wennschon nicht immer für die ihrer eigenen Zeit.

Die literarische Exilsprophetie hatte vor allem die radikalste und man kann sagen: die einzig wirklich ernsthafte Theodizee geschaffen, welche das antike Judentum überhaupt hervorgebracht hat. Sie ist zugleich eine Apotheose des Leidens, des Elends, der Armut, der Erniedrigung und Häßlichkeit, wie sie in dieser Konsequenz nicht einmal in der neutestamentlichen Verkündigung wieder erreicht worden ist. Der heute als „Deuterojesaja“ bezeichnete Schriftsteller (Jesaja 40 - 551), welcher

M a x W e b e r, Religionssoziologie III.

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diese Konzeption schuf, schrieb anonym offenbar mit Rücksicht auf die babylonische Zensur1), welche er wegen seiner überaus leidenschaftlichen Hoffnungen auf die von ihm (zu Unrecht) erwartete Zerstörung Babels durch Kyros allerdings zu fürchten hatte.

Die Stellung zur Armut und zum Leiden überhaupt hat in der israelitischen Religiosität verschiedene Stadien durchlaufen und zwar nicht derart, daß das ältere durch das jüngere je voll verdrängt worden wäre. Die ursprüngliche Annahme war hier wie überall: daß der vermögende, gesunde, angesehene Mann in des Gottes voller Gnade steht. Die Erzväter sowohl wie Boas, Hiob und andere Frommen sind reiche Leute. Vermögensverfall, Krankheit, Elend galten als Zeichen göttlichen Zornes. Hiobs

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Freunden ist das selbstverständlich, und auch die Propheten drohen dieses Schicksal als Strafgericht an. Wir sahen aber, wie sich die Stellung zu den sozialen Schichten mit dem Uebergang zur stadtsässigen Kultur verschob, als der wehrhafte israelitische Bauer und Hirt ein zunehmend pazifistischer Periöke und von Schuldknechtschaft bedrohter Armer (ebjon) geworden war, an Stelle der Kriegspropheten fromme Seher, an Stelle der patriarchalen ländlichen Fürsten dagegen der König, die Fronherrschaft, die Ritter und patrizischen Gläubiger und Grundrentner getreten waren und als ferner die Karitätsethik der benachbarten Königtümer die Paränese der Thoralehrer beeinflußt hatte. Die Lebensführung der Reichen und Vornehmen war ersichtlich weder kultisch noch ethisch einwandfrei. Ihr Prestige sank überdies durch Abnahme der Machtstellung des Staates. Schon bei Zephanja findet sich die Armut des beim Strafgericht übrigbleibenden Volks mit seiner Frömmigkeit in Beziehung gebracht. Aber der Standpunkt der vorexilischen Ethik war sonst eine solche positive Schätzung der Armen als der Frommen nicht. Der Arme, Kranke, Brestrafte, die Waisen, Witwen, Metöken, Lohnarbeiter waren Objekte der pflichtmäßigen Karität, nicht aber selbst Träger höherer Sittlichkeit oder einer spezifischen religiösen Würde. Die Herrschaft der Plebejer galt als Strafgericht. Immerhin wurde unter dem Einfluß der levitischen Paränese Jahwe zunehmend als ein Gott angesehen, der den Elenden und Bedrückten zu ihrem Recht verhilft, ohne daß natürlich dabei irgend etwas wie ein naturrechtlicher Gleichheitsanspruch anklänge. Aber allerdings wurde bei der prophetischen und deuteronomischen Konzeption Jahwes als eines Gottes, der vor allem die Hoffart haßt, die spezifisch plebejische Tugend der Demut zunehmend ausschließlich geschätzt. Von diesen Vorstellungen aus und auf Grund der von ihm konsequent zu Ende geführten universalistischen Gotteskonzeption zog nun im Elend des Exils Deuterojesaja die Linien zu Ende. Bei ihm ist der Reiche als solcher an einer Stelle (53, 9, freilich unsicherer Lesart) derart mit dem Gottlosen identifiziert, daß von dem Gottesknecht einfach gesagt wird, er sei (trotz seiner Gerechtigkeit) „wie ein Reicher“ gestorben. Gerade die Frommen des Exils sind oft von den Feinden bedrängte und mißhandelte Leute. Dafür schuf Deuterojesaja, da die Begründung durch die Taten der Vorfahren nicht mehr akzeptiert wurde, eine neue Theodizee. Jahwe ist ihm

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Weltgott. Die Existenz der anderen Götter wird nicht unbedingt geleugnet, aber Jahwe wird sie vor seinen Stuhl fordern und ihre angemaßte Würde zunichte machen. Jahwe allein ist der Weltschöpfer und Lenker der Universalgeschichte, deren Gang sich nach seinen verborgenen Absichten vollzieht. Das schmähliche Schicksal Israels aber ist eines und zwar das wichtigste der Mittel zur Verwirklichung weltweiser Heilspläne. Zunächst für Israel selbst ist es Läuterungsmittel (Jes. 48, 10). Nicht „wie man Silber abscheidet“, läutert Jahwe seine Getreuen, sondern „im Ofen des Elends“ macht er es zu seinem auserwählten Volk“. Aber: nicht nur um Israels selbst willen, wie in der gesamten sonstigen Prophetie, sondern auch um der anderen Völker willen. Dies Thema ist ausgeführt in den viel erörterten Liedern vom „Gottesknecht“ (`ebed Jahwe). Die eigentümliche Konzeption dieser Figur schwankt wenigstens in der Fassung, welche der Text endgültig erhielt, offensichtlich zwischen einer Einzelgestalt und einer Personifikation des Volkes Israel oder vielmehr: seines frömmsten Kerns. Man hat für jene Einzelfigur neben mancherlei unannehmbaren Persönlichkeiten an den in jugendlichem Alter nach Babel geführten und nach langjähriger Kerkerhaft begnadigten und an die königliche Tafel gezogenen König Jojachin gedacht, mit dessen Befreiung aus der Gefangenschaft das Königbuch abschließt. Indessen, wenn man nicht die einzelnen Lieder auf ganz verschiedene Träger der Gottesknechtsqualität beziehen will, so ist weder diese, noch irgendeine andere Annahme wirklich zwingend und kann auch die Frage: ob Einzelperson oder Kollektivpersonifikation, nicht einheitlich beantwortet werden. Schicksale und Leiden, die seinem Publikum allbekannt und alltäglich waren, vor allem die „durchbohrten“ Knöchel der Gefangenen, scheint der Verfasser mit Zügen einer eschatologischen Gestalt ungewisser Herkunft verknüpft zu haben und es ist offenbar absichtsvolle Kunstform, wenn er zwischen jenem persönlichen Träger des Leidensschicksals und dem leidenden Kollektivum derart hin- und hergleitet, daß selbst im Einzelfall zuweilen schwer zu sagen ist, welche Deutungsmöglichkeit vorschwebte. Israel ist der Knecht Jahwes, heißt es (49, 3) und schon vorher (48, 20) wird gesagt, daß Jahwe seinen Knecht Jakob erlöst habe. Aber unmittelbar nach der ersten Stelle ist (49, 5. 6) der Knecht Jahwes dazu berufen, Jakob zu bekehren und die Stämme Israels wieder aufzurichten. Denn Jahwe hat

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ihm die Zunge eines Jüngers gegeben, um zu den Ermüdeten zur rechten Zeit zu reden (50, 4): und auch weiterhin wird (53, 11, in freilich unsicherer Lesung) seine Erkenntnis als Quelle des Heils hinbestellt. So pflegte von Propheten oder Thoralehrern gesprochen zu werden, und man wird daher in dem Gottesknecht eine Personifikation der Prophetie zu finden geneigt sein. Dies um so mehr, als die Weissagung des Schriftstellers, der die Magie und Astronomie der babylonischen Weisen kennt und ablehnt, weiter dahin geht: daß der Gottesknecht zum „Licht für die Heiden“ bestimmt sei und zum „Heil bis an das Ende der Welt.“ (49, 6.) Daß es das gewaltige Selbstgefühl der Prophetie ist, welche sich angesichts der bevorstehenden Erfüllung der alten Verheißungen durch Kyros hier als übernationale Universalnacht fühlt, dafür sprechen auch andere Stellen und die Natur der Sache selbst. Unleugbar klingen andererseits manche Stellen so, als handle es sich um einen Herrscher, nicht einen Propheten. Aber ein Hierokrat und Volksführer war der Archetypos der Prophetie, Mose, auch gewesen, und gerade die Exilszeit hatte die Figur des weisen Priesterfürsten Melchisedek wieder hervorgesucht. Dem Gottesuniversalismus entsprach die Weltmission. Wenn auch Deuterojesaja selbst sich mit ihr nicht im einzelnen befaßt, so ist es doch nicht zufällig, daß der spätere Zusammensteller des jetzigen Jesajabuchs unmittelbar an seine Schrift die jenes nachexilischen anonymen Schriftstellers (Tritojesaja) angeschlossen hat, des energischsten Vertreters der religiösen Weltpropaganda und der religiösen Gleichwertigkeit aller Proselyten, wenn sie sich Jahwes Ordnungen fügen. (Jes. 56, 6. 7.) Aufgabe und Ehre der Weltmission ist in der Tat schon bei Deuterojesaja ideell begründet und er ist zugleich unter den Heilspropheten derjenige, welcher verhältnismäßig am wenigsten von einer sozialen Ueberordnung der Juden über die anderen Völker als Heilsziel redet oder Rache an den Feinden verheißt, wie fast alle anderen es tun: auch Tritojesaja wieder (60, 10. 14. 15), der die Untertänigkeit der Heiden als Ausgleich für die lange Schande Israels in Aussicht stellt. Auch Deuterojesaja verkündet zwar ausführlich das Strafgericht über Babel (Kap. 47), Erniedrigung und Vergeltung gegen die Feinde Israels (49, 23. 26 und sonst). Aber dies ist nicht der Kern seiner Heilsweissagung. Auch bei ihm hat Gott sein Angesicht vor Israel verborgen wegen der Gottlosigkeit der Väter und er ermahnt, den Herrn zu suchen,

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sich zu bekehren und gottlose Wege und Gedanken zu meiden (55, 6. 7). Aber diese Wertung des Elends als Strafe für Sünden, wie ebenso jene bei diesem Propheten nur gelegentlich angedeuteten Mahnungen zur Buße treten weit zurück hinter einer ganz anderen und positiven soteriologischen Bedeutung des Leidens als solchen. Und zwar gerade, im schärfsten Gegensatz zur vorexilischen Prophetie: des unschuldigen Leidens. Auch da wieder schwankt die Ausdrucksweise so, daß bald Israel oder die Prophetie als Träger dieses heilsbedeutsamen Leidens gedacht erscheint, bald eine eschatologische Einzelgestalt. Die Leute, welche Gerechtigkeit und Lehre (Thora) kennen, werden ermahnt, die Schmähungen und Drohungen der Welt nicht zu fürchten (51, 7), und in der ersten Person rühmt der Prophet: daß er, dem der Herr die Gabe der Lehre gegeben hat (50, 4), seinen Rücken den Schlagenden und sein Gesicht den Raufern geboten und sein Antlitz „nicht vor Schmach und Speichel verborgen“, sondern „zum Kieselstein gemacht“ habe (50, 6. 7), da er ja wußte, daß der Herr mit ihm sei und ihn nicht zuschanden werden lasse. Hier scheint also unter dem Gottesknecht offenbar die Prophetie als solche verstanden zu sein. Aber in den weiteren Liedern wird die Gestalt wieder ausgesprochen persönlich und soteriologisch gewendet. Viele entsetzen sich über den Knecht Jahwes, weil er häßlicher ist als andere (52, 14, von manchen Gelehrten als Glosse angesehen) Er ist der allerverachtetste, von allen Menschen verlassenste, voll Schmerzen und Leiden, einer, vor dem man sein Antlitz verbirgt, weil man ihn für nichts rechnet (53, 3. 4) und weil man ihn für einen von Gott zur Strafe Gezeichneten und Geschlagenen hält. „Wir hielten ihn dafür“, heißt es, so daß hier, je nachdem, das verachtete Israel oder dessen vom eigenen Volk verschmähte Propheten personifiziert sein könnte. Daß der Gottesknecht (53, 13) für die Uebeltäter bittet, ist kein für die Stellung der Prophetie neuer Gedanke. (Jer. 15, 1; Hes. 14, 14.) Daß er sein Leben hingibt, um „der Vielen Sünden zu tragen“, könnte allenfalls, wenn auch mit großen Schwierigkeiten, noch an der Grenze dessen stehen, was auch von altisraelitischen Gottesmännern, wie Mose, geglaubt wurde, der sein eigenes Leben darbietet, wenn seinem Volke nicht vergeben werden sollte (Ex. 32, 32). Stellvertretendes Sühnopfer war an sich ein auch in Altisrael heimischer Gedanke. Schon für Hesekiels ekstatische Krampfzustände findet sich einmal (4, 5) die Vorstel-

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lang, daß der Prophet die vielen Jahre von Schandtaten Israels durch ebensoviele Tage der Lähmung abbüßen müsse für sein Volk, welches den Heiden zum Spott dahingegeben sei (5, 15) . Bei Deuterojesaja wird aber der volle Nachdruck darauf gelegt (53. 12): daß der Gottesknecht um seines Leidens willen zu den Sündern gezählt und bei den Gottlosen verscharrt wurde, obwohl er nicht zu ihnen gehörte. Dadurch eben trug er die Sünde vieler, daß er „um unserer Sünden willen durchbohrt und geplagt“ war, daß Jahwe „die Strafe auf ihn legte“ (53, 5. 6) und seine heilbringende Leistung wird darin gefunden, daß er bei den Martern „seinen Mund nicht auftat, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird“ und seine Seele d. h. sein Leben zum Schuldopfer hingab (53, 7. 10). Nicht daß er geopfert wurde oder sich opferte, sondern daß er seinerseits noch dazu als Sünder und unter Gottes Zorn stehend galt, ist dabei, wie später bei Hiob, das Höchstmaß des Leidens. Von den einmal durch Deuterojesaja aufgenommenen Gedankenzusammenhängen aus sind diese Konzeptionen nichts derart Heterogenes, daß die Annahme von Vorstellungen fremder Provenienz irgendwie zwingend wäre. Sie erscheinen an sich nur als konsequente Zusammenfassung und rationale Umdeutung schon vorhandener Ansätze. Die rein äußerlichen Schilderungen, namentlich die „Durchbohrung“, legen an sich nur nahe, an einen jüdischen Märtyrertypus zu denken. Aber gewiß kann es nicht als unmöglich gelten, daß eine eschatologische Gestalt einer Volksmythologie mit vorgeschwebt hat, welche, wenn es sich so verhielte, ihrerseits einem der verbreiteten Kulte, sei es des Tammuz (wie vielfach angenommen wird), sei es eines anderen sterbenden Gottes, etwa des im Zusammenhang mit dem gleichen Bilde vom „Durchstochenen“ bei Deuterosacharja (12, 10) erwähnten Hadad Rimon von Megiddo entstammen würde. Aber wenn wirklich eine solche Uebernahme oder Beeinflussung vorliegen sollte, was durchaus zweifelhaft bleibt, so wäre die grundstürzende Umprägung des Sinnes nur um so eindrucksvoller. Jede Beziehung zu Sünden einer Gemeinschaft und zu dem soteriologischen Zweck, sie zu sühnen, fehlte ja diesem sterbenden Göttern. Ganz anders hier. Der aus mythologisch konstruierten kosmischen oder theogonischen Gründen sterbende Gott oder Gottessohn ist, dem Wesen des Jahwisrnus entsprechend, ein als Schuldopfer sich selbst darbringender

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Gottesknecht geworden. Der Erlöser ist nicht der sterbende Gottesknecht, sondern Jahwe selbst (54, 8), der nun, den Verheißungen anderer Propheten entsprechend, mit seinem Volk einen Friedensbund schließt ewiger als die Berge (54, 10), die Gnade Davids erneuernd (55, 3). Das schuldlose Martyrium des Gottesknechts ist für Jahwe das Mittel, dies tun zu können. Darin liegt das für die überlieferten Vorstellungen in der Tat Fremdartige. Warum bedarf es dieses Mittels ? „Nicht sind meine Gedanken euere Gedanken, noch meine Wege euere Wege“ (55, 8). Also wohl: ein nur dem Kreise der Eingeweihten verständliches Mysterium, was wiederum für die Beeinflussung der Phantasie des Propheten durch irgendeinen eschatologischen Mythos spricht1). Allein, wie man oft hervorgehoben hat: die ethische Wendung dieser Soteriologie fehlte allen bisher bekannten Mythologemen von sterbenden oder auferstehenden Vegetations- oder anderen Göttern und Helden. Sie alle pflegten vollkommen unethisch zu sein. Diese Wendung war also, soviel ersichtlich, geistiges Eigentum des Propheten. Ihre Art und Weise will aber richtig gesehen werden. Sie liegt nicht oder doch nur ganz nebenher in der, gemäß prophetischer Tradition, auch von Deuterojesaja erwähnten Funktion des Leidens als Strafe früherer Sünden. Vielmehr wird, je mehr die Gottesknechtsgestalt in den Vordergrund tritt, desto nachdrücklicher betont, daß sein Leiden unverdient war. In der Tat waren ja doch die anderen Völker und die Gottlosen gewiß nicht besser als das leidende auserwählte Volk Jahwes. Auch auf den Bruch der alten berith legt gerade dieser Prophet weniger Gewicht als andere. Er knüpft dagegen, was bei den früheren Propheten seltener geschah, an die Verheißungen für Abraham (51, 2) und Jakob an. Aber auch das ist peripherisch. Nicht die Verheißungen und nicht die berith, sondern die Frage der Theodizee des Leidens Israels unter ganz universellen Gesichtspunkten eines weisen göttlichen Weltregiments ist ihm Problem. Was ist unter solchen Fragestellungen nun für ihn der Sinn seiner Verklärung des Leidens, der Häß-

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lichkeit und des Mißachtetseins ? Es ist selbstverständlich nicht Zufall, sondern Absicht, daß der Prophet die eschatologische Person immer wieder in eine Personifikation Israels oder der Prophetie hinübergleiten läßt und umgekehrt, und daß infolge dessen Israel bald als Träger, bald als Objekt der Erlösung erscheint. Der Sinn des Ganzen ist eben: die Verklärung der Pariavolkslage und des geduldigen Ausharrens in ihr. Dadurch wird der Gottesknecht und das Volk, dessen Archetypos er ist, zum Heilbringer der Welt. Mochte jener also als persönlicher Heiland gedacht sein, so war er es eben doch nur dadurch: daß er die Parialage des Exilsvolks freiwillig auf sich nahm und das Elend, die Häßlichkeit, das Martyrium klaglos und widerstandslos duldete. Alle Elemente der utopischen evangelischen Predigt: „widersteht nicht dem Uebel mit Gewalt“, sind hier vorhanden. Die Pariavolkslage als solche und ihr gehorsames Erdulden wird dadurch zur höchsten Staffel der religiösen Würde und Ehre vor Gott erhoben, daß sie den Sinn einer welthistorischen Mission empfängt. Diese enthusiastische Verklärung des Leidens, als des Mittels, der Welt zum Heil zu dienen, ist dem Propheten offenbar die letzte und in ihrer Art höchste Steigerung der Verheißung an Abraham, daß sein Name dereinst ein „Segenswort für alle Völker“ werden soll.

Die spezifisch miserabilistische Ethik des Nichtwiderstandes lebte in der Bergpredigt wieder auf, und die Konzeption vom Opfertod des schuldlos gemarterten Gottesknechts half die Christologie entbinden1). Freilich nicht diese Konzeption allein, sondern

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in Verbindung mit der späteren Apokalyptik: der Menschensohnlehre1) des Danielbuchs und anderen Mythologemen. Aber immerhin: das Kreuzeswort: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“, bildet den Anfang des 22. Psalms, der von Anfang bis zu Ende Deuterojesajas Miserabilismus und Gottesknechtsprophezeiung verarbeitet2). Wenn tatsächlich nicht erst der christliche Gemeindeglaube, sondern Jesus selbst diesen Vers auf sich angewendet haben sollte, dann würde dies nicht etwa, wie jenes Kreuzeswort merkwürdigerweise oft gedeutet worden ist, auf einen Tiefstand der Verzweiflung und Enttäuschung, sondern gerade umgekehrt mit Sicherheit auf ein im Sinn Deuterojesajas messianisches Selbstgefühl und die am Schluß des Psalms ausgedrückten Hoffnungen bei ihm schließen lassen.

Dagegen innerhalb der jüdischen kanonischen Literatur ist dieser Psalm das einzige vollinhaltlich an Deuterojesajas Soteriologie orientierte Erzeugnis, während allerdings einzelne Zitate und Anklänge an ihn in den Psalmen sich mehrfach finden. Zwar die deuterojesajanische Stimmung, das „Wurmgefühl“ (41, 14) und die positive Wertung der Selbsterniedrigung und Häßlichkeit hat weithin im Judentum nachgewirkt, wie sie später im Christentum bis in den Pietismus hinein ihre Folgen gehabt hat. Dagegen ist die Konzeption des leidenden und für die Sünden anderer als schuldloses Opfer freiwillig sterbenden Gottesknechts im Judentum zunächst gänzlich verschollen,

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und zwar offenbar sofort. Das erklärt sich aus den Ereignissen. Nach Deuterojesajas Meinung sollte die Erlösung und also der Lohn des leidenden Gehorsams unmittelbar bevorstehen. Er sah (45, 1) den Gesalbten des Weltgottes, Kyros, vor den Toren Babels, das er vernichten werde. Aber Babel blieb stehen und Kyros verhielt sich wie sein legitimer König. Freilich: die Rückkehr aus dem Exil fand statt. Aber die Verhältnisse gestalteten sich nicht so, daß man sie als Zustand der Erlösung empfunden hätte. Und es war ja auch an sich unmöglich, daß diese Theodizee eines theologischen Denkers Gemeingut eines Gemeindeglaubens wurde, so wenig wie dies den Erlösungskonzeptionen indischer Intellektueller widerfuhr. Zwar der zu Unrecht durchstochene und am Ende der Tage belohnte Gerechte als Bild für Israel findet sich bei Deuterosacharja und in den Psalmen. Im Danielbuch (11, 33 und 12, 3) und vor allem in dem apokryphen Weisheitsbuch ist Deuterojesaja ausgiebig benutzt. Dem Stande der Verfasser entsprechend sind dort die Weissagungen vom Leiden und der dann wieder eintretenden Erhöhung des Gottesknechts auf die Thoralehrer oder das gerechte Volk Israel bezogen worden. Aber die Benutzung ist ganz unvollständig und vor allem findet sich für die Annahme eines durch sein freiwilliges und klagloses Leiden die Sünden des Volkes Israel oder gar der ganzen Welt sühnenden Dulders kein Anhalt. Hiob weiß von der deuterojesajanischen Art von Theodizee des Leidens und von dessen Gottwohlgefälligkeit nicht das mindeste und vollends die naive Messiashoffnung des Volksglaubens hat niemals daran angeknüpft. Das gleiche gilt von der frührabbinischen Literatur. Sie kannte wohl einen im Krieg fallenden, aber nicht einen als Heiland leidenden Messias. Erst im Talmud (b. Sanh. 98 b) findet sich eine solche Gestalt und erst seit etwa dem 3. Jahrhundert n. Chr. scheint die Lehre vom leidenden Messias und von der Verdienstlichkeit des Leidens rein als solchen unter schwerem Druck wieder in den Vordergrund zu treten1). Bis dahin blieb nur der namentlich durch einige Psalmen vermittelte und verstärkte Stimmungsgehalt jener, wie sich aus den wiederholten Zitaten ergibt, wohlbekannten deuterojesajanischen Stellungnahme zum klag-

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losen Leiden das, was nachhaltig wirkte. Das duldende und harrende Pathos der Parialage und die fremden Augen, mit denen die Juden durch die Welt gingen, hatten an diesem außerordentlichen Buch ihre stärkste innerliche Stütze, bis dies Produkt der Exilszeit in dem werdenden Christusglauben als stärkstes Ferment wirkte.

Daß die Propheten der Exilszeit und ebenso ein beträchtlicher Teil der nachexilischen, religiöse Schriftsteller und nicht mehr aktuelle religionspolitische Demagogen waren und nach den Zeitbedingungen sein konnten, hat auf die Stilform nicht nur, sondern auch auf die Auffassung vom prophetischen Charisma seine Konsequenzen gehabt. Die ältere Prophetie spricht im allgemeinen1) nicht, wie die Terminologie der alten nordisraelitischen Ekstatiker, von einer Innewohnung des „Geistes“ (ruach) Jahwes im Propheten. Wir sahen, daß ihr diese Vorstellung fernlag. Leibhaftig redet des Gottes Stimme zu ihnen, oder aus ihnen, gewissermaßen durch sie als Instrumente hindurch, die sich seinen Reden nicht widersetzen können, und wo der Gott selbst ein „Geist“ genannt wird, geschieht dies, um seine weite Distanz vom Menschen zu kennzeichnen. Die „Hand“ Jahwes packt den Propheten unmittelbar, er redet, wie Jesaja, die „Thora Gottes“. Das zwar nicht allein Vorherrschende, aber doch Charakteristische bei ihnen allen ist also ein freilich durch bestimmte Vorstellungen von den Beziehungen zwischen Gott und Menschen in seiner Ausdeutung bestimmter und in seinen Aeußerungen gebändigter aktuell und sehr emotional ekstatischer Habitus. Darin trat mit dem Wegfall der politischen Aktualität Wandel ein. Schon in den Spätorakeln Hesekiels ist alle ursprüngliche Wildheit von ihm abgefallen. Bei Deuterojesaja ist von emotionaler Ekstase nichts zu spüren. Bei Tritojesaja (61, 1) ist der prophetische „Geist des Herrn Jahwe“ (ruach adonai Jahwe) als ein dauernder Habitus „über“ dem Propheten und treibt ihn, zu lehren. Aktuelle emotionelle Zustände finden sich immer wieder dann, wenn politische Entschließungen der unmittelbaren Gegenwart zu beeinflussen waren oder der Rachedurst gegen die politischen Feinde sich entlud, wie bei der Winzervision Tritojesajas. Aber selbst die aktuelle Heilsprophetie der Serubbabelzeit unterscheidet sich im prophetischen Habitus

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von der vorexilischen Prophetie. Nachtgesichte, d. h. Traumvisionen, welche diese abgelehnt oder doch als minderwertig angesehen hatte, treten wieder in den Vordergrund wie bei den alten „Sehern“: Sacharja war eben ein Priester und kein Demagoge. Und der „Geist“, der bei Haggai, dann bei Joel und Deuterojesaja wieder eine Rolle spielt, ist teils ein Theologumenon zur Vermeidung der alten, jetzt peinlich empfundenen Leibhaftigkeitsvorstellungen, teils aber eine prophetische Zukunftshoffnung geworden. Vor allem: Träger dieses „Geistes“ ist die Gemeinde. Die (vielleicht aus Ueberarbeitung stammende) Erklärung Jahwes bei Hesekiel (39, 29), daß er auf das Haus Israel seinen Geist ergossen habe und deshalb in Zukunft nach dem Kommen des Heils nicht mehr von ihm abwenden werde, ist bei Deuterojesaja (44, 3) in eine Zukunftsverheißung: seinen Geist, das heißt (wie 42, 1 angibt): den Geist der Prophetie, auf den Samen Israels ergießen zu wollen, verwandelt. Das gesamte „Volk im Lande“ ist Träger des Geistes. Wenn Tritojesaja (63, 10. 11) von der Verletzung des in der mosaischen Zeit von Jahwe unter das Volk gegebenen „heiligen Geistes“ durch dessen Missetaten spricht und schon bei Haggai (2, 6) die Wiederkehr des Geistes Jahwes, unter Bezugnahme auf Jahwes Versprechen beim Auszug verheißen wird, so ist nach dem Wortlaut wohl nicht an das Ergriffenwerden der 70 Aeltesten vom ekstatischen Prophetengeist (Num. 11 25) gedacht, sondern an die spezifische Heiligkeit des bundestreuen Volks (Ex. 19, 5) als Dauerhabitus. Aber allerdings hatte die priesterfeindliche (korachitische) Theorie der vorexilischen Zeit die gleichmäßige Heiligkeit und charismatische Qualifikation aller Gemeindeglieder, nicht nur der Priester, daraus abgeleitet.

Bei den Propheten der nachexilischen Spätzeit, Joel (3, 1) und Deuterosacharja (12, 10) nimmt dann auch die Geisteskonzeption wieder wesentlich andere Formen an. Deuterosacharja zwar stellt der Gemeinde, den „Bürgern (joscheb) von Jerusalem“ und den Davididen an ihrer Spitze, nur den Geist des Gebets für den Tag Jahwes in Aussicht. Aber dieser soll sich manifestieren in der leidenschaftlichen, nach Art der Vegetationskulte gearteten Klage urn den „Durchbohrten“, offenbar wieder jene deuterojesajanische eschatologische Gestalt des frommen Gottesknechts und Märtyrers, also: in ekstatischen Bußeausbrüchen. Bei Joel aber ist es der alte ekstatische emotionale Propheten-

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geist, der vor Beginn jenes „Tages Jahwes“, an dem nur die, welche Jahwes Namen anrufen, gerettet werden, über alle Gemeindeglieder, ihre Söhne, Töchter, Knechte und Mägde ergossen werden, Träume bei den Aeltesten, Visionen bei der Jungmannschaft hervorrufen und die Kinder weissagen lassen soll. Hier ist zweifellos auf die alten Traditionen über die Laienekstase zurückgegriffen und die Endhoffnung also an die Wiederkehr des Universalismus der Prophetengabe geknüpft. Die Konzeption ist für die Entwicklung des Christentums wichtig geworden. Unter Berufung auf diese ausführlich zitierte Stelle wird (Art. 2, 16 ff.) über das Pfingstwunder berichtet. Auf dies Wunder legte offenbar nur um ihretwillen: weil darnach das Bevorstehen des (christlich verstandenen) Tages „des Herren“, wie Joel es angekündigt hatte, sicher schien, die christliche Mission so großes Gewicht. Für die urchristliche Frömmigkeit war durch diese und nur diese Stelle in der jüdischen prophetischen Literatur der „Geist“ als eine ekstatische Massenerscheinung, wie sie für die christliche Gemeinde, im stärksten Gegensatz zur vorexilischen Prophetie, charakteristisch zwar, legitimiert.

Innerhalb der jüdischen Entwicklung zeigen solche Stellen nur, daß der genuine „Geist“ der alten Prophetie im Schwinden war. Er schwand nicht etwa kraft einer „immanenten“ psychischen Gesetzlichkeit geheimnisvoller Art. Sondern er schwand, weil die Polizei der Priestermacht innerhalb der jüdischen Gemeinde der ekstatischen Prophetie ganz ebenso Herr wurde wie das bischöfliche und Presbyter - Amt der pneumatischen Prophetie in der altchristlichen Gemeinde. Das ekstatische prophetische Charisma hat auch weiterhin im Judentum existiert. Die Visionen, welche Daniel und Henoch zugeschrieben werden, sind ekstatischen Charakters und ebenso zahlreiche Erlebnisse anderer Apokalyptiker, wenn auch der psychische Tatbestand sowohl, wie die Sinndeutung, gegenüber der alten Prophetie stark verschoben sind und vor allem die schriftstellerische Kunstform stark über das aktuelle emotionale Erleben die Oberhand gewinnt. Aber von all diesen späteren Schriften hat nur das Danielbuch sich offizielle Anerkennung und später Aufnahme in den Kanon zu erzwingen gewußt. Alle anderen wurden toleriert, galten aber als unklassische Privatarbeiten oder geradezu als heterodox. Der Betrieb dieses Sehertums wurde damit Angelegenheit von Sekten und Mysteriengemeinschaften. Ebenso

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gab es aktuelle religionspolitische Prophetie bis in die Endzeit des zweiten Tempels. Der populären Meinung stand die Göttlichkeit der Prophetengabe fest und alle Propheten hatten Zulauf. Aber die Priester standen zu ihnen stets im Gegensatz. Der priesterlichen Reform Esras und Nehemias standen die Vertreter der politischen Prophetie feindlich gegenüber. Von den Orakeln solcher Propheten ist nichts erhalten: die Priester rezipierten nur, was sich der priesterlichen Gemeindeordnung einfügte. Eine gewisse Diskreditierung des prophetischen Charisma war dadurch erleichtert, daß die Orakel einander wider- sprachen. Schon der Gegensatz der Orakel des Jesaja und Micha, Jesaja und Jeremia, Jeremia und Hesekiel hatte den Glauben erschüttern müssen: daß jede prophetische Ekstase als solche die Gewähr in sich trage, Trägerin göttlicher Verkündigung zu sein. Woran sollte man nun die Echtheit der Prophetie erken-nen ? Die Wundermacht hatten erfahrungsgemäß auch falsche Propheten beses-sen (Deut. 13, 3). Seit dem Deuteronomisten (18, 22) antwortete man auf jene Frage: am Eintreffen der Weissagung. Indessen das war für die Zeit bis dies sich entschied, also gerade für die Zeit auf die es ankam, kein Kriterium. Daher hatte Jeremia (23, 22) als zweites Merkmal angegeben: daß der Prophet nur dann echt sei, wenn er die Sünder korrigiere, also die Gemeinde an Jahwe und sein Gesetz binde, sonst sei er ein Lügenprophet - was wiederum in der zunehmenden Rolle des ethischen Kriteriums in der altchristlichen Gemeinde seine Parallele findet. Der festgefügte Respekt vor der Arbeitsleistung der levitischen Thora trug hier seine Früchte in der jüdischen wie später die Rezeption des „Alten Testaments“ in der christlichen Gemeinde. Innerhalb der nachexilischen Gemeinde gelang es den Priestern, das Prestige der alten Nabi -Ekstase völlig zu brechen. Das Resultat liegt vor in Deuterosacharjas Verhöhnung der Propheten als der Träger des Geistes „der Unreinheit“ (13, 1 ff.). Mit den Götzen werden am Tage Jahwes auch die Propheten aus dem Lande getrieben. Wer sich als solcher gebärdet, den werden seine Eltern als Betrüger entlarven und erstechen, er wird sich seiner Traumgesichte schämen, kein Haarkleid (Prophetenmantel) mehr anziehen, zugestehen, daß er ein Bauer ist und daß seine angeblichen Stigmata von den Nägeln von Huren herrühren. In der Form dieser schnöden Selbstverspottung der Prophetie zwang die priesterliche

II. Die Entstehung des jüdischen Pariavolkes. [399]


Redaktion diese gefährliche Konkurrentin, sich selbst das Leben zu nehmen. Wie in der christlichen Amtskirche, so galt fortan auch im offiziellen Judentum das prophetische Zeitalter als geschlossen, der prophetische Geist als erloschen: die überall bei voller Entfaltung der priesterlichen Hierokratie zu deren Sicherung gegen religiöse Neuerer eintretende Entwicklung. Der zuerst bei Tritojesaja in einer der nachdrücklichsten prophetischen Bußpredigten (63, 10. 11) auftretende Ausdruck „ruach ha kodesch“ (in der LXX „  , „heiliger Geist“) wird in einem tief pessimistischen Bußpsalm (51, 13) wieder wie dort als ein Habitus des in Jahwes Gnade Stehenden aufgefaßt. Die Taube, das Symbol des verfolgten Israel (Psalm 74, 19), wird von den Rabbinen zugleich als Trägerin dieses Habitus gebraucht, der von dem christlichen emotionalen Pneuma innerlich ebenso tief verschieden ist, wie von dem alten Prophetengeist, den nach der späteren Lehre seit Maleachi niemand mehr erlangt hat. Auch jetzt noch kann zwar, wenn Gott es will, eine geheimnisvolle himmlische Stimme (bath kol) als lauter Ruf oder leises Flüstern gehört werden. Aber sie zu hören ist keine Prophetengabe. Denn sie ertönt Sündern je nach den Umständen ebenso wie Gerechten und Lehrern, in der Art wie auch im Neuen Testament, Unheil oder Glück und Größe kündend oder zur Bekehrung rufend. Sie zu hören ist kein Vorzugsbesitz Einzelner; man kann sie gar nicht „besitzen“ oder von ihr besessen werden, wie einst die Propheten von Jahwes Geist. Sie zu vernehmen ist (Yoma 9 b) zwar eine Gnadengabe für Israel, aber eine mindere als der alte Propheten-geist.

Der zunehmende bürgerliche Rationalismus des in die (relativ) befriedete Welt zuerst des Perserreichs, dann des Hellenismus eingebetteten Volks hatte den Priestern diese Erstickung der Prophetie ermöglicht. Daneben die schriftliche Fixierung der maßgebenden Tradition und die dadurch bedingte Aenderung der Lehre und Sittendisziplin. Als die politischen Ereignisse der Makkabäerzeit wieder das Auftreten von Leitern des Demos gegen die vornehme Priesterschaft und die hellenistische Indifferenz der Reichen und Gebildeten herbeiführte, hatten diese Demagogen daher ein gänzlich anderes Gepräge als die Propheten der Vergangenheit.

Die Gestaltung der Frömmigkeit in der nunmehr vom prophetischen Charisma entblößten jüdischen Gemeinschaft wurde

Das antike Judentum. [400]


abermals sehr wesentlich mitbestimmt durch jene soziale Gliederung, welche die Nehemia - Berichte erkennen lassen. Die „Frommen“, die chasidim, wie sie namentlich in der frühmakkabäischen Zeit, die `anawim, wie sie daneben in den Psalmen genannt wurden, die Hauptträger der nun beginnenden Entwicklung der jüdischen Religiosität, sind vornehmlich (wenn auch gewiß nicht ausschließlich) ein städtischer Demos von Ackerbürgern, Handwerkern, Händlern und stehen in der typisch antiken Art in oft äußerst schroffem Gegensatz zu den begüterten stadt- und landsässigen Geschlechtern, weltlichen sowohl wie priesterlichen. Das war an sich nichts Neues. Neu war nur der Grad und die Art, in welcher dieser Kampf sich jetzt äußerte. Schuld daran trug der wesentlich städtische Charakter des Demos. In der vorexilischen Prophetie noch lediglich Objekt der von den prophetischen und levitischen, insbesondere deuteronomistischen Kreisen gepredigten Karität, beginnen die Frommen jetzt ihrerseits sich auszusprechen und als Jahwes erwähltes Volk im Gegensatz zu ihren Gegnern zu fühlen. Die Stätte, an welcher in unseren Quellen ihre religiöse Stimmung am deutlichsten zum Ausdruck kommt, ist: der Psalter.

M a x W e b e r, Religionssoziologie III.

[401]









Nachtrag.


Die Pharisäer.


Der Pharisäismus als Sektenreligiosität S. 401. - Die Rabbinen S. 408. Lehre und Ethik des pharisäischen Judentums S. 417. - Der Essenismus, sein Verhältnis zur Lehre Jesu S. 423. - Zunehmende rituelle Absonderung der Juden S. 434. - Proselytismus in der Diaspora S. 436. - Propaganda der christlichen Apostel S. 439.



Seit der Makkabäerzeit vollzog sich jene überaus wichtige Umwandlung im Judentum, welche ihm schließlich den endgültigen Charakter aufprägte: die Entwicklung des Pharisäismus. Ihre Vorläufer reichen in die nationale Erhebung der Makkabäerzeit selbst zurück. Das zunächst im Mittelpunkt Stehende war die Reaktion gegen den Hellenismus1), dem die oberen Schichten verfielen. Die Psalmen erwähnen die „Chasidim“ als die „Frommen“, als diejenigen, heißt das, welche am Brauch der Väter festhielten. Sie waren die Anhänger des Judas Makkabäus, die einerseits - entgegen der ganz strengen Auslegung des Gesetzes - auch am Sabbat fochten, andrerseits besonders nachdrücklich die alte Gesetzestreue betonten. Es scheint irrig, in ihnen, den „Heiligen der alten Zeit“ (Chasidim - ha - Rischonim), wie sie der Talmud nennt, eine besonders organisierte Sekte zu vermuten, obwohl einige Stellen2) dies nahelegten; sondern die  'A der Makkabäerbücher ist wohl einfach der kahal chasidim der Psalmen, die Versammlung des frommen, antihellenistisch gesinnten Volks, welches die Bewegung stützte3). Neben den „Zad 'kim“ gedenken noch die 18 Segenssprüche der „Chasidim“, was allein schon gegen ihren Sektencharakter spricht.

Nachtrag. [402]


Gewisse Eigentümlichkeiten: so die Gepflogenheit, vor dem rituellen Gebet sich eine Stunde meditierend zu sammeln, werden ihnen immerhin zugeschrieben. Die Bewegung starb ab1) Als sich die Makkabäerherrschaft, notgedrungen, den Bedürfnissen eines weltlichen Kleinstaats akkommodierte und ausgeprägte Züge eines hellenistischen Kleinkönigtums annahm. Die Erkenntnis, daß dies politisch unvermeidlich sei, hat bei den Frommen damals geradezu die Ueberzeugung entstehen lassen, daß die Fremdherrschaft einem angeblich jüdischen, daher das nationale Prestige genießenden, aber unvermeidlich dem strengen Gesetz untreuen Judenkönig vorzuziehen sei, wie sie noch in der von den Frommen an Augustus nach Herodes Tode gerichteten Bitte, nicht den Archelaos zum Herrscher zu machen, zum Ausdruck kam. An Stelle der chassidischen trat seit jener Zeit die „pharisäische“ Bewegung2).

Peruscha (Plural peruschim, aramäisch perixhaya, darnach das hellenische ) heißt jemand, der sich „fernhält“ - von unreinen Personen und Sachen natürlich. Dies war der Sinn auch der alten Chasidim - Bewegung. Aber die Pharisäer geben der Bewegung die Form eines Ordens, einer „Bruderschaft“, chaburah, in den nur aufgenommen wurde, wer sich vor drei Mitgliedern förmlich zur strengsten levitischen Reinheit verpflichtete. Nicht jeder freilich, der als „Pharisäer“ tatsächlich lebte, trat auch, als chaber, in den Orden. Aber der Orden bildete den Kern der Bewegung. In allen Städten, wo Juden lebten, hatte er seine Verzweigungen. Seine Mitglieder beanspruchten, weil sie in der gleichen Reinheit lebten, die gleiche persönliche Heiligkeit für sich wie die korrekt lebenden und eine höhere als die unkorrekt lebenden Priester. Das Charisma des Priesters als solchen wurde entwertet zugunsten der persönlichen durch den Lebenswandel bewährten religiösen Qualifikation. Diese Wandlung ist naturgemäß erst allmählich eingetreten. Noch im 2. Jahrhundert, zur Zeit der Abfassung des Buchs der Jubiläen, waren die Gelehrten und Lehrer die religiösen Führer des Bürgertums, zum mindesten in aller Regel noch Angehörige priesterlicher und levitischer Geschlechter. Die gegenüber den nationalen und religiösen Erwerbungen der Frommen schwankende und oft

Die Pharisäer. [403]


anstößige, weil unvermeidlich zu politischen Kompromissen genötigte und geneigte Haltung der Aristokratie änderte diese Lage allmählich gründlich.

Das für das Judentum Entscheidende an der Bruderschaftsbewegung war: nicht nur von den Hellenen, sondern auch und gerade von den nicht heilig lebenden Juden sonderten sie sich ab. Es entstand der Gegensatz der pharisäischen „Heiligen“ gegenüber den 'am ha - arez1), den „Landleuten“, den „Unwissenden“, die das Gesetz nicht kennen und nicht halten. Der Gegensatz wurde auf das äußerste gesteigert, bis an die Grenze der rituellen Kastenabsonderung. Der chaber muß sich verpflichten, einen Priester oder Leviten, der kein rituell rein lebender Jude, also ein 'am ha - arez ist, nicht in Anspruch zu nehmen, keine Tischgemeinschaft mit Heiden oder mit 'am haarez zu halten, Connubium und Assoziation mit ihnen zu meiden und überhaupt den Verkehr mit ihnen aufs äußerste einzuschränken. In dieser Schärfe war das eine Neuerung. Wohl nicht überall, aber selbstverständlich sehr oft war die Entstehung furchtbaren Hasses zwischen den Chaberim und dem am ha - arez die Folge: die zornsprühenden Reden von Jesus von Nazareth gegen die Pharisäer geben davon Zeugnis genug. Hier also haben wir: die Sekte. Und zwar die interlokale Sekte, die Sekte, welche dem chaber, der in einen fremden Ort kam, mit Empfehlungsbriefen seiner Bruderschaft versehen, sofort Heimatsrecht in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter verschaffte, die deshalb zu seinen Gunsten sozial (und, ungewollt, aber tatsächlich: auch ökonomisch) genau so wirkte, wie Sekten überall (am stärksten in den Gebieten der puritanischen und täuferischen Sekten der Neuzeit) gewirkt haben. Von den Pharisäern hat Paulus die Technik der Propaganda und der Schöpfung einer unzerstörbaren Gemeinschaft gelernt. Der gewaltige Aufschwung der jüdischen Diaspora seit der Makkabäerzeit und die völlige Unerschütterlichkeit ihres Bestandes durch die fremde Umwelt, von der sie sich absonderten, war zu einem sehr wesentlichen Teile das Erzeugnis ihrer Bruderschaftsbewegung. Ihre historische Bedeutung gerade für die Diaspora und

Nachtrag. [404]


für die Prägung der jüdischen Eigenart wird noch klarer, wenn wir die praktischen Leistungen der Pharisäer betrachten.

Der Gegner der Pharisäer war die jüdische Bluts - Aristokratie der großen patrizischen Geschlechter und vor allem: der Priesteradel der Zadokiden („Sadduzäer“) und alles, was mittelbar an ihm hing. Gewiß nicht der Form und äußeren Haltung nach: auf das strengste hält gerade der fromme Pharisäer darauf, daß alles dem Priestergesetz entsprechend richtig verzehntet wurde. Aber der Sache nach. Schon durch die Forderung: daß der Priester im pharisäischen Sinn korrekt lebe, um Verwendung zu finden. Dazu traten nun die von den Pharisäern teils als Bruderschaft offiziell, teils unter dem Druck ihres Einflusses geschaffenen Gemeindeinstitutionen. Denn die „Gemeinde“ wird jetzt Träger der Religion, nicht mehr das Erbcharisma der Priester und Leviten. Abgesehen von einer Reihe kleiner ritueller Differenzen trat dies in folgenden Neubildungen am deutlichsten hervor.

Die Bruderschaften hielten ihre Eucharistien („Liebesmahl“), ganz ähnlichen Charakters und sicherlich vorbildlich für die spätern christlichen Institutionen gleicher Art. Auch die Segnungen der Mahlzeit bestanden schon ganz ähnlich. Die Pharisäer schufen ferner die sehr populäre Wasser - Prozession - ähnlich wie die Prozession der charitonitischen Gurus in Indien. Sie schufen vor allem: die Synagoge, die bald zu besprechende zentrale Institution des Spätjudentums, welche dem Diaspora - Juden den priesterlichen Kult ersetzte, und den höheren und niederen Unterricht im Gesetz, der für die Prägung des Judentums grundlegend wurde. Langsam aber tiefgreifend änderten sie ferner den Sinn des Sabbat und der Feste. An Stelle des priesterlichen Tempelfests trat - ganz wie wir dies auch als Symptom der Emanzipation von den Brahmanen in Indien bemerkten - das häusliche oder synagogale Fest und damit eine unvermeidliche Entwertung des Opfers und des Priestertums, schon ehe der zweite Tempel fiel. Vor allem: man geht jetzt zum gesetzeskundigen Lehrer, nicht mehr zum Priester, wenn man in äußerer oder innerer Not oder im Zweifel über rituelle Pflichten ist. Die Entscheidungen der im pharisäischen Sinn gebildeten Soferim galten dem Juden als Gesetz, - Tod als Folge ihrer Uebertretung. Aber dafür nimmt der Sofer auch das Recht in Anspruch, von Gesetz und Gelübden gegebenenfalls dispensieren zu können, eine begreiflicherweise höchst populäre Funktion. Und die Art, wie gerade der pharisäisch

Die Pharisäer. [405]


geschulte Sofer seine Entscheidungen gab, akkommodierte sich - bei aller Strenge der rituellen Reinheitsforderung - ganz wesentlich dem Interesse der bürgerlichen Schichten. Insbesondre der Kleinbürger, in denen die Bruderschaften hier wie stets vornehmlich wurzelten. Die philosophische Spekulation wurde naturgemäß als gefährlich und vor allem als hellenistisch, abgelehnt. Man soll nicht über die Gründe der Ritualvorschriften grübeln, sondern sie einfach erfüllen: „die Furcht vor der Sünde geht über die Weisheit.“ Aber dieser Verwerfung des philosophischen Rationalismus ging ein praktisch - ethischer Rationalismus von jenem Typus zur Seite, wie ihn Kleinbürgerschichten zu entwickeln pflegen. Praktische Alltagsbedürfnisse und der „gesunde Menschenverstand“ beherrschen die Art der Erörterung und Austragung von Kontroversen. Und diese waren gerade in der für die Prägung des Judentums entscheidenden Zeit: in den je zwei Jahrhunderten vor und nach Beginn unserer Zeitrechnung in überaus geringem Umfang „dogmatischen“ Charakters (so daß die Existenz und selbst die Möglichkeit und religiöse Zulässigkeit einer jüdischen Dogmatik bisher prinzipiell strittig blieb), vielmehr durch und durch auf die Fragen des Alltags ausgerichtet. Wie die Propheten im Talmud wegen ihrer „Verständlichkeit“ für jedermann hoch gewertet werden, so ist auch alle Talmud - Lehre unmittelbar verständlich, dem bürgerlichen Durchschnittsdenken angepaßt und in diesem Sinn „rational“. Ueberall haftete die sadduzäische Praxis am Buchstaben: z. B. an der wörtlichen Erfüllung des Talion: „Auge für Auge“; die pharisäische Praxis, wie sie etwa R. Simon ben Jochai repräsentierte, ging dagegen auf die „ratio“ der Vorschriften ein und schaltete sinnwidrige Vorschriften aus oder deutete sie um (es wurde z. B. statt der Talion Buße nach Einigung zugelassen). Die pharisäische Praxis kam den ökonomischen Interessen der Frommen - die an ihnen als den Vertretern verinnerlichter Frömmigkeit hingen - entgegen: namentlich die Uebernahme der Ketubah - Verschreibung und anderer ehegüterrechtlicher Schutzmaßregeln scheint ihr Werk gewesen zu sein. Der ethische Rationalismus zeigt sich in der Behandlung der Tradition. Das „Buch der Jubiläen“, eine spezifisch pharisäische Leistung1), retouchierte die gesamte Schöpfungs- und Erzväter - Geschichte im Sinn der Ausmerzung

Nachtrag. [406]


des Anstößigen. Auf der andern Seite aber paßte man sich dem überall in der Welt urwüchsigen Geisterglauben an. Die durch persische Einflüsse mitbestimmte gemeinorientalische Angelo- und Dämonologie, wie sie auch das antike Spätjudentum kennt, wurde ganz wesentlich unter pharisäischem Einfluß und durchaus entgegen den vornehmen Bildungsschichten akzeptiert. Neben der Akkommodation an gegebenen Massenglauben auch aus „rationalen“ Gründen: der höchste Gott wurde dadurch von der Verantwortung für die Brüchigkeit und Unvollkommenheit der Welt wenigstens teilweise entlastet. Die Steigerung des Vorsehungsglaubens1) und die starke Betonung der „Gnade“ Gottes entstammt ähnlichen Motiven in andrer Wendung und entspricht den überall verbreiteten religiösen Tendenzen plebejischer Schichten. Der bürgerliche Charakter der die Religiosität vornehmlich tragenden Schichten erklärt auch die bedeutende Verstärkung, welche die Heilands- und Jenseitserwartungen unter dem Einfluß der Pharisäer erfuhren: die messianische Hoffnung und der Glaube an Auferstehung der Toten zu einem bessern Leben wurden durchaus von Pharisäern getragen, und mindestens der letztere wurde von den vornehmen Sadduzäern unbedingt und entschieden abgelehnt.

Auf der andern Seite waren freilich die pharisäischen Ansprüche an den frommen Juden sehr bedeutende. Das „himmlische Königreich“ sollte verbreitet werden, das „Joch“1) dieses Königreichs (ol malkas schamajim) oder das „Joch der Gebote“ (ol hamizwoth) mußte auf sich nehmen, wer daran teilhaben wollte. Das ist nur durch ein strenges Training möglich, wie es die pharisäischen Rabbinen in den Lehrinstitutionen des Spätjudentums anstrebten. „Heiligkeit“ des Lebens wird verlangt. Rein um Gottes willen, nicht um Lohn und Vorteil, sollen seine Gebote gehalten werden. Vor allem aber: jene Gesetze, welche der strengen Scheidung der Frommen von den Heiden und „Auch - Juden“ dienten. Beschnei-dung und Sabbatruhe galten nun um dieses ihres Sondercharakters willen, zur Unterscheidung von den andren als absolut zentrale Gebote und der Sabbat

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wurde, was die Schwere der Beurteilung seiner Verletzung anlangt, offenbar ganz wesentlich verschärft.

Und es ist auch klar und für unsere Zusammenhänge wichtig in welcher Richtung. Das Pharisäertum war seinem Schwerpunkt nach bürgerlich - städtischen Charakters. Keine Rede davon, daß dies in persönlicher Hinsicht exklusiv der Fall gewesen wäre. Im Gegenteil: eine ganz erhebliche Anzahl der bedeutendsten talmudischen Rabbinen waren Grundbesitzer. Aber die Art der Heiligkeit, welche sie pflegten, und das Gewicht, welches auf die (hebräische, also: zunehmend fremdsprachliche) Bildung gelegt wurde, - wie wir noch sehen werden - und zwar nicht nur bei den Autoritäten, sondern bei jedermann, schloß es zunehmend aus, daß der Schwerpunkt ihrer Anhänger unter den Bauern gefunden werden konnte. Es ist kein Zufall, daß 'am ha - arez, der Nicht -Pharisäer, eben ursprünglich der „Landmann“ ist, daß auch die jüdischen Kleinstädte mindestens nicht führend sein konnten: „was kann von Nazareth Gutes kommen“ ? Die chabarah, der pharisäische Orden, war ja ein Ersatz des bäuerlichen Nachbarverbands für nicht mehr bodenständige Stadtinsassen und als solcher deren äußeren und inneren Interessen adäquat. Die Umgestaltung des Judentums zu einem interlokalen wesentlich stadtsässigen, jedenfalls dem Schwerpunkt nach nicht bodensässigen Gastvolk ist ganz wesentlich unter pharisäischer Führung erfolgt.

Die im ganzen, doch sehr starke Verschiebung der jüdischen Religiosität haben die Pharisäer nur zum Teil kraft der Beherrschung der traditionellen Gewalten vollzogen. Unter Johannes Hyrkanus waren sie eine mächtige Partei, Salome Alexandra (78 - 69) lieferte ihnen den Sanhedrin aus, Aristobulos stieß sie wieder hinaus, während Herodes sich gut mit ihnen zu stellen suchte. Ihre endgültige Herrschaft begann mit dem Sturz des Tempels: nunmehr wurde alles Judentum pharisäisch, die Sadduzäer eine heterodoxe Sekte. Aber schon vorher hatte Umgestaltung der religiösen Autorität begonnen, welche für ihre Herrschaft entscheidend war. Die Geburtsaristokratie hatte der „Bildungs“ - Aristokratie zu weichen: Nachkommen von Proselyten sind oft die allerbesten Köpfe der Pharisäer gewesen. Vor allem aber ist der Machtaufstieg der Rabbinen ein Produkt der pharisäisch - bürgerlichen Entwicklung des Judentums. Die Rabbinen waren in den entscheidenden Zeiten der Entwicklung

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des Judentums, eine Schicht, wie sie nur im Christentum der ersten Zeit und in den christlichen Sekten sich - immerhin nur sehr entfernt ähnlich - wiederfinden.

Die Rabbinen sind nicht etwa eine „pharisäische Institution“: sie haben mit der Bruderschaft formell nicht das mindeste zu tun. Aber sie hängen im Anfangsstadium ihrer Entwicklung auf das Engste mit jener Bewegung zusammen; die hervorragenden Lehrer der Epoche, in welcher die Mischnah entstand, waren, wenn nicht der Form, doch ihren Ansichten nach Pharisäer und der „Geist“ des Pharisäismus bestimmte ihre Lehre. Vorweg zu bemerken ist, daß der Name „Rabbi“ (von Rab, groß, also Rabbi = „Mein Meister“), soweit jüdische Quellen reichen, erst nach dem Tempelsturz1) zum festen Titel wur- de2). Vorher war „Sofer“, Schriftkundiger, eine Bezeichnung mit festem, sachlichem Inhalt, der „Lehrer“ aber die Respektsperson. Es wird gleichwohl unbedenklich sein, den Ausdruck schon für die Zeit vor dem Untergang Jerusalems für die schriftgelehrten Autoritäten der Gemeinde zu brauchen, da die Anrede höchst wahrscheinlich war nicht nur, aber sicher auch und vor allem ihnen schon damals gegeben wurde. Was sind nun die „Rabbinen“ in diesem Sinn ?

Eine formelle Legitimation als „Rabbi“ gab es erst seit der Entstehung des Patriarchats, d. h. also nach dem Tempelsturz: die Rabbinen bedurften damals der förmlichen Ordination, und die Entstehung der mesopotamischen und palästinensischen Akademien schuf einen festen Bildungsgang. Von alledem war vorher keine Rede. Eine offizielle Legitimation der „Rabbinen“ als solcher fehlte, soviel bekannt, durchaus. Die Tradition der durch Schriftkunde und rezipierte Schriftauslegung ausgezeichneten und anerkannten Soferim war das einzige Merkmal: ihre persönlichen Schüler und wiederum deren Schüler galten als in erster Reihe qualifiziert. Die Persönlichkeiten, deren Aussprüche der Talmud zitiert, sind durchaus nicht nur Soferim oder geschulte Rabbinen: im Gegenteil, mit einer gewissen Absichtlichkeit legt die Ueberlieferung gelegentlich gerade besonders feine Interpretationen der Thora und der Pflichtenlehre etwa dem Eseltreiber eines Rabbinen (Jonatham) in den Mund und läßt geschulte Rabbinen bei einem als fromm und daher weise

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bekannten Feldarbeiter (wie Abba Chilkijat) sich Rats erholen. Immerhin aber wird dies doch als etwas besondres angesehen. Es beweist, daß die Scheidung keine scharfe war, aber jener Eseltreiber wird doch ausdrücklich als ein „Unwissender“ von dem Rabbinen unterschieden. Er ist kein Rabbi. Die Verhältnisse welche die Evangelien voraussetzen, zeigen ebenfalls, daß damals wenigstens eine nach außen fest geschlossene Organisation nicht bestand, sondern konsultiert wurde, wer sich tatsächlich durch das Charisma der Gesetzeskenntnis und Auslegungskunst legitimierte. Es wurde offenbar nur negativ, durch Repression, eingeschritten - sei es von den Priestern, sei es durch Selbsthilfe (Lynchjustiz) der Massen unter Führung von einzelnen oder (und wohl meist) der Pharisäergemeinde - wenn die Art der Auslegung anstößig war und eine hinlänglich starke Gegnerschaft fand: die evangelischen Erzählungen zeigen: wie stark die Rücksicht auf die Popularität eines Lehrers war. Die offiziellen Instanzen scheuen vor dem Einschreiten selbst gegen offenkundige Irrlehre zurück, wenn „das Volk“ an der Person des Lehrers hängt1). Die rein durch Schulung und daneben Schule gestützte, formell charismatische Autorität der rabbinischen Lehrer findet ihre Analogien in zahlreichen ähnlichen Erscheinungen, von den römischen respondierenden Juristen (vor der Zeit der Konzessionspflichtigkeit) bis zu den indischen Gurus. Indessen bestehen wichtige Unterschiede und diesen, also den besonderen Eigentümlichkeiten der Rabbinen, haben wir uns nun zuzuwenden.

Sie waren zunächst eine, dem Schwerpunkt nach, plebejische Intellektuellenschicht. Nicht, daß unter ihnen vornehme und wohlhabende Männer überhaupt gefehlt hätten. Allein jeder Blick in die Personalien der im Talmud als Autoritäten oder als exemplarisch angeführten Rabbinen (und andern Gewährsmänner) zeigt: daß in weitestem Umfang der Plebejer, bis zum Tagelöhner auf dem Felde herunter, das Wort führt und daß unter den Rabbinen selbst die Besitzenden und Vornehmen sich in geringer Minderheit befinden. Daran besteht für die Zeit der Komposition des Talmud und vorher keinerlei Zweifel. „Plebejer“ waren nun zahlreiche Mystagogen und Sektenleiter anderer Religionen auch, wie wir sahen. Aber von ihnen unterschieden sich die (alten) Rabbinen vor allem dadurch, daß sie ihre Funktion

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als Berater und rituelle Rechtsfinder nebenamtlich, neben ihrem weltlichen Beruf, versahen. Das war kein Zufall, sondern Folge des strengen Verbots, das Gesetz gegen Entgelt zu lehren (und auszulegen)1). Dies Verbot - welches wiederum in dem paulinischen: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, nur seine Fortsetzung fand, schloß erstens ihre Entwicklung zu Mystagogen indischen Gepräges völlig aus und gibt zweitens auch in immerhin wichtigen Punkten die Erklärung für manche Eigenart ihrer Lehre. Man hat die Berufsstellungen führender Rabbinen oft zusammengestellt. Wie begreiflich, finden sich zahlreiche Landbesitzer darunter. Sicherlich meist Landrentner, denn diese hatten die Muße, sich ganz den Studium hinzugeben. Es fällt aber auf, daß gerade unter den bedeutendsten älteren Autoritäten des Talmud - also in der Zeit vor dem Tempelsturz - sich neben einigen - nicht sehr vielen - Kaufleuten vor allem gerade Handwerker: Schmiede, Sandalenmacher, Zimmerleute, Schuhmacher, Gerber, Baumeister, Wasserfahrer, Weinprober, Holzschläger finden und daß u. a. gerade die beiden ersten berühmten Schulstifter und scharfen Kontroversisten, Hillel d. Ae. und Shammai, Handwerker waren. Das sind also Leute genau derselben sozialen Schicht, der Paulus und die in seinen Briefen erwähnten Persönlichkeiten angehörten. Richtig ist, daß das jüdische Gemeinderecht der Talmudzeit den Rabbinen1) Erleichterungen ge-währt: Freiheit von Steuern und von den meisten (nicht allen) Fronden und das Recht des Vorverkaufs seiner Produkte auf dem Markt vor andern2). Indessen ganz abgesehen von der Frage, ob diese Privilegien schon in der Zeit des zweiten Tempels bestanden, so galt es auch später für durchaus in der Ordnung, daß der Rabbi seinen Unterhalt durch Arbeit verdiene. Ein Drittel des Tags soll er arbeiten, den Rest studieren, oder er arbeitet im Sommer und studiert im Winter. Auch gab es später mancherlei Arten der Umgehung:

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es wurde gestattet sich, wenigstens bei richterlicher Tätigkeit, „Zeitversäumnis“ (Lucrum cessans) ersetzen zu lassen und Geschenke werden naturgemäß immer vorgekommen sein. Immerhin leisteten bis zum 14. Jahrhundert etwa die jüdischen Rabbinen alle ihnen obliegenden Arbeiten im Prinzip ohne Entgelt, ursprünglich aber im „Nebenberuf“. „Besser ist Geldverdienst durch eigner Hände Arbeit, als der Reichtum des Rash galut“ - des Kirchenhaupts ! - „der von anderer Geld lebt“, galt für die alten Rabbinen als Maxime. Erwerbstätige und zwar zum immerhin erheblichen Teil dem Handwerk angehörige Leute also sind es, welche wir hier als geistige Träger einer Religiosität finden. Wir stoßen - von den wenigen Ansätzen im mittelalterlichen Indien abgesehen - hier zum erstenmal auf dies Phänomen. Orientieren wir uns über seine Tragweite durch einen Vergleich mit anderen Schichten.

Die Rabbinen1) waren zunächst und vor allem: keine Magier oder Mysta-gogen. Dadurch unterschieden sie sich grundsätzlich von der großen Masse der indischen und ostasiatischen plebejischen Seelenhirten aller Art. Sie wirkten durch Belehrung in Wort und Schrift, diese durch Zauber, und ihre Autorität ruhte auf Kenntnis und intellektueller Schulung, nicht auf magischem Charisma. Dies war zunächst Folge der Stellung, welche die Magie überhaupt im nachprophetischen Judentum einnahm. In ihm ist die Vorstellung: daß man durch Zauber die Gottheit zwingen könne, radikal ausgerottet. Die prophetische Gotteskonzeption schloß diese Vorstellung ein für allemal aus. Die Magie in diesem ursprünglichen Sinn gilt dem Talmud daher als unbedingt verwerflich und gotteslästerlich. Als bedenklich oder verdächtig galt letztlich jede Form des Zaubers überhaupt. Freilich mit starken Einschränkungen. In den beiden Formen des Exorzismus und der Krankenheilung durch Wortzauber bestand die Magie weiter und wurde teils faktisch geduldet, teils geradezu als legitim angesehen: hier handelte es sich nicht um Zwang gegen Gott, sondern gegen die Dämonen, und diese spielten gerade im Pharisäismus eine anerkannte Rolle, wie wir sahen. Allein ihr Betrieb gehörte nicht zu den irgendwie normalen Geschäften der Rabbinen. Das Charisma des Wunders

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im übrigen aber leugnete das Judentum, auch das pharisäische Judentum, zwar keineswegs. Die Evangelien lassen wiederholt die Juden, und ausdrücklich auch die Schriftgelehrten und Pharisäer, ein „Zeichen“ von Jesus verlangen. Aber die Wundermacht haftet an dem Propheten, der sich dadurch als von Gott gesendet legitimiert, wenn er nämlich diese Gabe wirklich von Gott hat, und nicht von den Dämonen. Mit dem Prophetismus aber lebt das schriftgelehrte Rabbinentum in sehr naturgemäßem Spannungsverhältnis, welches jeder ritualistisch an einem Gesetzbuch orientierten Schicht von Wissenden gegenüber dem prophetischen Charisma eignet. Zwar wurde die Möglichkeit des Aufstehens von Propheten nicht geleugnet, - wenigstens ursprünglich nicht. Umso dringender wird vor falschen Propheten gewarnt. Entscheidend dafür war: daß die jüdische Prophetie ein für allemal daran gebunden war: Sendungsprophetie zu sein, im Auftrag des überweltlichen Gottes, nicht aber kraft eigner Göttlichkeit oder Gottbesessenheit zu verkünden. Ein solcher Prophet ist der, der „ohne Auftrag“ redet und lehrt. Woran aber erkennt man das ? Welches ist das Merkmal für Falschheit oder Wahrheit eines Propheten ? Dafür war vor allem Jeremias (23, 9 ff.) in der rabbinischen Deutung maßgebend. Nicht nur ist der Prophet selbstverständlich unwahr, der falsche Götter lehrt oder dessen Prophezeiungen nicht eintreffen1). Sondern jeder Prophet ist an das Gesetz und Gottes Gebote gebunden und wer davon abtrünnig zu machen sucht, ist ein falscher Prophet. Vor allem also: nur wer das Volk von seinen Sünden bekehrt, kann wirklich von Gott gesendet sein. Denn nicht Visionen und Träume, sondern die Hingabe an die klar im Gesetz niedergelegten Befehle Gottes gibt den Beweis für die Wahrheit des Propheten: dafür, daß er kein „Träumer“ ist. Die Visionen und Träume hatte schon die alte priesterliche Tradition diskreditiert, weil sich zeigte, daß es auch (und gerade) Visionen gegeben hatte, die das Volk zum orgiastischen Baalsdienst bekehrt hatten. Ebenso aber konnten Wunder im Namen von Dämonen getan werden. Und deshalb ist die bloße Wundermacht keine Bewährung des echten prophetischen Charisma. Und selbst wenn der Prophet in seiner Lehre die Zeichen der göttlichen Sendung an sich zu tragen schien, gab das Charisma der Wundermacht rein als solches noch keine endgültige Gewähr dafür, daß dem wirk-

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lich so sei: auf Grund der bloßen Wundermacht kann auch den korrekt lehrenden Propheten nur allenfalls die Macht des Dispenses vom Gesetz im Einzelfall zugestanden werden - wie sie auch die Rabbinen in Anspruch nahmen - nicht mehr. - Für uns interessiert hier wesentlich: daß die Festhaltung der korrekten gesetzlichen Ethik und der Kampf gegen die Sünde die letzten unbedingten Maßstäbe waren, an denen die Echtheit einer Prophetie gemessen wurde.

Die Rabbinen leiteten ihre Autorität auch nicht aus in ihren Kreisen gepflegten Geheimnissen ab. Wenn eine ganze Reihe kosmologischer, mythischer, magischer Anschauungen und Praktiken der babylonischen, vielleicht auch hie und da der ägyptischen Priester, mehr oder weniger umgebildet oder nicht, übernommen wurden - namentlich für rituelle Kalenderzwecke -, so doch gerade der entscheidende höchste und esoterische Gehalt der babylonischen Priesterweisheit nicht: weder die Sternenkunde, Astronomie und Astrologie, noch die Divination (Leber- oder Vogelschau). Die letztere war ausdrücklich verboten1), obschon sie gewiß in der Bevölkerung dennoch vorkam. Auch findet sich einmal als talmudischer Beruf ein Astrologe, und das Horoskop wird gelegentlich hier wie in aller Welt gestellt worden sein. Aber die Rabbinenlehre verbot ausdrücklich die Befragung der Chaldäer: „für Israel gibt es keine Propheten“. Die jüdische Priesterschaft hatte auch diese Konkurrenten mit Erfolg eliminiert und die alte rabbinische Anschauung lehnte diese heidnische Wissenschaft und vor allem den astrologischen Determinismus wenigstens in der alttalmudischen Zeit als Verletzung der Majestät und Entschlußfreiheit Gottes entschieden ab, verfügte auch, bei der sozialen Lage der Rabbinen, gar nicht über die wissenschaftlichen Traditionen und Hilfsmittel, sie zu pflegen.

Wenn die Rabbinen keine Magier, Propheten, esoterische Philosophen, Astrologen oder Auguren waren, so auch nicht Träger einer esoterischen Heilslehre, einer Gnosis. Nicht nur die besondere Form der vorderasiatischen Gnosis mit ihrem Demiurgen und ihrem Anomismus war geradezu verboten und verworfen, sondern wenigstens in der klassisch - talmudischen Zeit alle Gnosis überhaupt. Wiederum war es die Entwertung des Gesetzes und des ethisch korrekten Handelns durch die gnostisch -

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mystische Heilssuche, was dafür entscheidend war. Nicht nur die in vornehmen Intellektuellenschichten typischen Formen der Mystik, sondern jede rein mystische Heilssuche galt als bedenklich, als ein „Träumen“, das die Gefahr der dämonischen Irreleitung in sich trägt. Vollends galt dies für die ekstatische Gottbesessenheit, dem alten Kampf der Propheten gegen die Orgiastik entsprechend. Wie die „Verständlichkeit“ der Propheten dem Talmud zu den Merkmalen ihrer Bewertung gehört, so lehnt die rabbinische Auslegung stillschweigend aber ganz konsequent alle irrationalen und enthusiastischen Mittel, zu Gott zu gelangen, ab. Dies ist nicht etwa als eine Folge der „Klassenlage“ zu erklären: denn massenhafte Mystagogen im Orient und Okzident haben ihr Publikum gerade im Kleinbürgertum gehabt, dessen Prädisposition für die Stellungnahme zur mystisch - ekstatischen Religiosität überall durchaus vieldeutig gewesen ist. Sondern es war Folge des historisch gegebenen Charakters der jüdischen Tradition, wie er durch Priestergesetz einerseits, durch die Prophetie andererseits fixiert worden war. Für denjenigen Juden jedenfalls, der den Zusammenhang mit dem Gesetz nicht aufgeben wollte, also für den Pharisäer. Nicht nur führte das pflichtmäßige anhaltende Studium des Gesetzes rein an sich ihn, negativ, kraft des ethisch rationalen Gehalts der Thora und Propheten, von den irrationalen Formen der Heilssuche ab. Sondern die heiligen Schriften gaben ihm auch einen Ersatz für das Fehlende, wenn er es als solches empfand. Die gewaltige Pathetik der großen Propheten, die begeisternde Gewalt und der Enthusiasmus der nationalen Geschichtsschreibung, der schlichte aber leidenschaftliche Ernst der Schöpfungs- und Menschheits - Mythen, der starke Stimmungsgehalt der Psalmen, der Hiob- und andren Legenden und der Spruchweisheit bildete einen Rahmen für religiöses Innenleben fast aller erdenklichen Gefühlslaien, wie er in dieser Art nicht zum zweiten Male gefunden werden konnte Das Einzigartige bestand dabei weniger in dem materiellen „Erlebnis“ - Gehalt rein an sich, für dessen Einzelbestandteile sich zweifellos in den verschiedensten heiligen Schriften über die ganze Erde hin irgendwelche Probleme finden lassen. Sondern einmal in der Zusammendrängung dieses Gehaltes auf einen derart knappen Raum, dann aber und namentlich in dem volkstümlichen Charakter und der absoluten Verständlichkeit der heiligen Texte für jedermann. Nicht daß babylonische, mythische und kos-

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mologische Motive in die biblischen Erzählungen übernommen sind, ist das Wichtige. Sondern: daß sie dabei aus dem Priesterlichen in das Volkstümliche zurücktransponiert worden waren. Es war die unmittelbar verständliche und zugleich hochpathetische prophetische Gotteskonzeption, welche auch dieses Moment die „spezifische Verständlichkeit“ der erzählten Hergänge nicht nur, sondern vor allem: der „Moral“, die aus den Geschichten folgte, für jedermann, auch für jedes Kind, bedingten1). Verständlich waren dem hellenischen Kinde (und sind es jedem Kinde) die homerischen Helden, dem indischen Kinde die erzählenden Teile des Mahabharata. Aber der ethische Gehalt des Bhagavagita wird keinem, auch keinem indischen Kinde verständlich sein und die echte Erlösungslehre des Buddha auch nicht. Auch nicht deren Kosmologie und Anthropologie, die Produkte intensiven Denkens sind. Hingegen ist der „Rationalismus“, vor allem der moralistische, aber auch der pragmatisch-kosmologische, der aus den jüdischen heiligen Schriften spricht, so unmittelbar populär und gerade in den entscheidenden Teilen auf kindliches Verständnis zugeschnitten, wie kein andres heiliges Buch auf der Welt, vielleicht die Geschichten von Jesus von Nazareth ausgenommen1). Von allen kosmogonischen und anthropologischen Mythologemen ist eben das Pragma des überweltlichen, teils wie ein Vater, teils wie ein bald gnädiger, bald ungnädiger König die Geschicke der Welt leitenden, sein Volk zwar liebenden aber doch, wenn es ungehorsam ist hart strafenden, aber durch Gebet, Demut und sittliches Wohlverhalten wieder zu gewinnenden Einheitsgottes diejenige Konstruktion, welche alle Geschehnisse der Welt und des Lebens in einer Art rational verständlich macht, wie sie der unbefangenen, nicht durch philosophische Spekulation sublimierten Auffassung der Massen und der Kinder entspricht. Diese rationale Verständlichkeit aber, welche die in der Gemeinde durch Lehre, Predigt, Lektüre allgemein bekannte religiöse Heilspragmatik der Mythen, Hymnen und Propheten auszeichnete, zwang auch das rabbinische Denken in ihre Bahnen. Ein esoterischer gnostischer Heilsaristokratismus konnte wenigstens primär auf diesem Boden nicht leicht wachsen, oder wenn er

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danach entstand, nicht leicht um sich greifen. Entstehen aber konnte eine Esoterik am ehesten im Anschluß an jene teils an sich dunkeln, teils in ihrem ursprünglichen Sinnzusammenhang vergessenen Visionen der Propheten, welche dem von Gott aus der Gnade gestoßenen Volk eine bessere Zukunft verhießen. Tatsächlich haben denn auch hier die Spekulationen religionsphilosophischer Art angeknüpft. Von ihnen wird später die Rede sein. Zweierlei aber gehört schon in unsern Zusammenhang. Zunächst: die eigentlich spekulativen Eschatologien, wie sie in Anknüpfung an die Daniel- und Henoch - Literatur und durch Uebernahme von Heilands - Spekulationen persischen und babylonischen Ursprungs entstanden, die Lehren vom „Menschensohn“, vom Matathron und ähnliche, blieben dem Kreise der eigentlich pharisäischen Rabbinen im allgemeinen zwar bekannt, doch aber in ihm fremd. Sie sind - gewiß nicht nur, aber offenbar in besonders starkem Maße - gerade in Konventikeln der 'Am ha - arez gepflegt worden, und auch Jesus oder die Seinen entnahmen ihre Menschensohn -Vorstellungen zweifellos dorther und nicht aus der pharisäischen und rabbinischen Lehre. Für diese blieb der Messias ein für die Zukunft verheißener irdischer König der Juden, der sein Volk mit Hilfe des wiederversöhnten Gottes zur alten Herrlichkeit erhöhen und seine Feinde ihm entweder vernichten oder - wie in den Psalmen - ihm als Knechte unterwerfen oder endlich zum Glauben Israels bekehren werde. Oder in Verbindung mit der Auferstehung: der König, in dessen Reich die auferstandenen Frommen ein neues und reines Leben führen werden. Ferner aber: alle diese zum Gegenstand metaphysischer und also leicht zur Esoterik leitender Spekulationen geeigneten Hoffnungen waren eben: Hoffnungen, Erwartungen für die Zukunft. Klar ist, daß diese Erwartungen eine gewaltige Pathetik in die Frömmigkeit des Juden tragen konnten und mußten, so oft sich die Gedanken auf sie richteten: in der Existenz solcher „End“ Erwartungen überhaupt liegt einer der Grundunterschiede gegenüber aller indischen Heilandsreligiosität. Schien vollends, angesichts ungewöhnlicher Zeichen und Umwälzungen oder unter der Einwirkung eschatalogischer Propheten ihre Erfüllung nahe, so konnten sie Quellen des mächtigsten, unter Umständen wildesten Enthusiasmus werden und sind es gewesen. Aber im Alltagsdasein oder wenn durch die Umstände der Blick von ihnen fortgelenkt war, reduzierte sich ihre Wirkung unvermeidlich auf

M a x W e b e r, Religionssoziologie III.

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eine stimmungshafte, die Ordnung der Welt, das eigne Volk und den Frommen selbst zugleich als unzulänglich anklagende und auch wieder mit sich und dem Geschick versöhnende, Sehnsucht nach einer Erlösung von Leid und Not, welche dem „glaubensreligiösen“ Charakter der jüdischen Religiosität zugute kam. So war es namentlich in der talmudischen Zeit nach dem Tempelsturz unter Hadrian, als die messianischen Hoffnungen in weite Ferne rückten. Auf das praktische Handeln konnte nur die Frage Einfluß üben: welches Verhalten der Menschen denn die Anwartschaft auf ein baldiges Kommen des Erlösers und auf die eigne Teilnahme am Reich der Auferstandenen gewähren oder steigern könne. Darauf aber antwortete die rabbinische Lehre in Anlehnung an die priesterliche Paradigmatik der heiligen Geschichten und an die Propheten naturgemäß wiederum mit dem Hinweis auf das Gesetz, dessen Bedeutsamkeit dadurch pathetisch gesteigert wurde. Die Sünde der Gemeinde, ihrer amtlichen Autoritäten als solcher (der Abfall von Gott vor Allem) war in den Augen der Rabbinen zweifellos auch deshalb die schwerste aller Sünden, weil sie das Kommen des Messias für weitere Zeiten verscherzte und also alle Frommen mit um ihre Hoffnung betrog. Andererseits waren die universalistischen Verheißungen der Thora und der Propheten, wonach alle Völker zu Gott und Israel gebracht werden sollen, sicherlich einer der entscheidenden Antriebe für den Proselytismus, wie noch zu erwähnen sein wird. Aber für den einzelnen kam nur das Gesetz und seine Erfüllung in Betracht. Einen andern Heilsweg gab es überhaupt nicht. Der vorgezeichnete Weg aber war jedem zugäng-lich. Denn Arie dem intellektualistisch - mystischen Heilsaristokratismus, so standen die Rabbinen auch der Askese im letzten Grunde ablehnend gegenüber.

Gänzlich fern lag dem ältern ebenso wie dem pharisäischen Judentum der ethische Dualismus von „Geist“ und „Materie“ oder von „Geist“ und „Leib“ oder von „Geist“ und „Fleisch“ oder von göttlicher Reinheit und Verderbtheit der „Welt“, wie ihn der hellenistische Intellektualismus herausgearbeitet, der Neuplatonismus bis zu dem Gedanken gesteigert hatte: - daß der Leib „Kerker“ der Seele, ein Pudendum, sei, und wie einzelne Kreise hellenistisch - jüdischer Intellektueller (Philo) ihn von da übernommen hatten und dann das Christentum des Paulus zur Grundkonzeption seines ethischen Weltbildes machte. Nichts

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von alledem ist dem pharisäisch - talmodischen Judentum bekannt. Gewiß: Gott ist Schöpfer und Herr der Welt und der Menschen, die Menschen sind seine Geschöpfe, nicht seine Sprößlinge oder Emanationen. Er hat sie, auch das auserwählte Volk, geschaffen, nicht gezeugt. Das folgt für das prophetische Judentum aus, dem Universalismus und den gewaltigen Machtattributen, die ihm im Zusammenhang damit zugeschrieben werden, um seine absolute Souveränität auch gegenüber dem eigenen Volke betonen zu können: er ist der Gott der Welt-geschichte. Aber auf diesem „Dualismus“, den man als charakteristisch jüdisch oder jeweils „semitisch“ im Gegensatz zu jenen andern Konzeptionen hat hinstellen wollen, ruht für die praktische Ethik ein entscheidender Akzent nur insofern, als jede Theodizee dadurch entbehrlich gemacht, die absolute Ohnmacht des Menschen gegen Gott, vor allem im Sinn des absoluten Ausschlusses magischen Gotteszwangs, festgestellt und der religiöse „Glaube“ die spezifische Färbung des kindlichen „Gehorsams“ gegen den Weltmonarchen annehmen mußte. Das war gewiß wichtig genug. Aber „Weltablehnung“ oder „Weltentwertung“ folgte daraus in gar keiner Weise.

Der jüdische Gott ist ein patriarchaler Monarch als gnädiger „Vater“ seiner Kinder erweist er sich, die ja nach seinem Ebenbild geschaffen sind. Die Welt ist nicht schlecht, sondern gut, wie die Schöpfungsgeschichte zeigt. Der Mensch ist schwach, wie ein Kind, und daher wankelmütig in seinem Willen und der Sünde, das heißt: dem Ungehorsam gegen den väterlichen Schöpfer, zugänglich. Nicht nur der einzelne ist es, sondern - worauf das Gewicht liegt - gerade auch die Gesamtheit, das Volk. Und dadurch verscherzt sowohl der einzelne, wie auch das Volk als Ganzes sich dann seine Liebe und Gnade, für sich und die Nachfahren, oft für lange Zeit und in manchen Hinsichten dauernd. So haben Adam und Eva durch Ungehorsam für alle ihre Nachfahren den Tod, die Schmerzen der Geburt, die Unterwerfung der Frau unter den Mann und die Notwendigkeit und Mühsal der Arbeit verschuldet. Aber gerade die rabbinische Anschauung war geneigt, den Abfall des Volks, die Verehrung des goldenen Kalbes und der Baalim, welche den Sturz des jüdischen Volks verschuldet hatten, weit schwerer zu beurteilen als Adams Fall. Es fehlt, so hart das ungehorsame Volk gescholten wird, durchaus der Gedanke der „Erbsünde“ oder der kreatür-

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lichen Verderbtheit oder der Verworfenheit des Sinnlichen. Und vollends ganz fern liegt der Gedanke, daß die Abkehr von der Welt Voraussetzung des religiösen Heils sei. Das Verbot der „Bildnisse und Gleichnisse“ war gewiß eine höchst wichtige Quelle der negativen Beziehung des Judentums zur künstlerischen Sinnenkultur. Aber es war ebenso wie die Scheu vor dem Aussprechen des Namens Jehovas magischen und idolfeindlichen Ursprungs und dann in den Zusammenhang der Vorstellungen von Gottes Majestät und Allgegenwart in seiner Schöpfung hineingestellt und wurde vom Pharisäismus vor allem auch als Unterscheidungsmerkmal gegenüber den idolatrischen Fremdvölkern als bedeutsam empfunden. Nicht aber war es seinerseits Ausfluß von „Sinnenfeindschaft“ oder Weltabkehr.

Fern liegt auch dem pharisäischen Judentum die Verwerfung des Reichtums oder der Gedanke, daß er gefährlich und sein unbefangener Genuß heilsgefährlich sei. Für gewisse priesterliche Funktionen galt Reichtum geradezu als Vorbedingung. Im übrigen hatten die Propheten und Psalmen die unbrüderliche Ausnutzung der ökonomischen Macht als Sprengung der alten, durch Jahwes Gebote geheiligten Nachbarschaftsethik und Brüderlichkeit der Volksgenossen schwer gegeißelt. Darin folgte ihnen die pharisäische Kleinbürgerethik selbstverständlich nach. Die alten Bestimmungen gegen den Wucher und zugunsten der Schuldner und Sklaven und die priesterlichen Konstruktionen der Sabbatjahrswoche und des Schulderlasses im Jubeljahr wurden nun kasuistisch ausgestaltet, wie wir noch sehen werden. Aber es fehlt gerade jeder Ansatz zu einer ökonomisch geordneten Methodik innenweltlicher Askese. Ebenso aber zu einer Sexualaskese. Es wird zwar gelegentlich für den Rabbi die Frage erörtert, ob er nicht besser unverehelicht bleibe, um sich ganz ungestört dem Studium widmen zu können. Aber das hat mit „Askese“ nichts zu schaffen, so bemerkenswert es ist, daß die für das Heil der Gemeindegenossen wichtige Arbeitspflicht hier das alte Gebot der Erzeugung von Nachkommen zu erschüttern die Kraft hatte. Aber sonst ist, von den innerhalb wie außerhalb des Judentums bekannten kultischen und magischen Reinheitspflichten nichts von Bedenken gegen den Sexualverkehr und gegen die Freude vom Genuß der Weiber zu bemerken. Die unbefangene Weltoffenheit: daß dem altisraelitischen Krieger Zeit gelassen werden soll, „sich seines Weibes zu erfreuen“, würde auch für den talmudischen


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Juden gelten. Der rücksichtslose Kampf gegen die „Hurerei“: - daß neben Mord und Idolatrie dies als die dritte größte Sünde gilt - stammt aus dem alten priesterlichen Kampf gegen die Baal - Orgiastik, und die strenge Einschränkung des Geschlechtsverkehrs auf die legitime Ehe entspricht durchaus den indischen (und sonstigen) Geboten gleicher Art, der scharfe Kampf gegen jede Form von Onanie (einschließlich des onanismus matrimonialis) dem biblischen Fluch dagegen, der durch den scharfen Kampf gegen die onanistische Moloch -Orgiastik1) bedingt war. Die außerordentlich nachdrückliche Anempfehlung früher Ehe - es galt jeder als Sünder, der sie über ein bestimmtes Alter verschob - entspringt (wie bei Luther) der Ueberzeugung, des ungebrochen sinnlichen Volks, daß sonst Sünde unvermeidlich sei. Die Sexualvorgänge verharren in unbefangener Naturalistik. Die alte Perhorreszierung der Entblößung und aller Nacktheit - erwachsen wohl aus dem Kampf gegen die Orgiastik und vielleicht verschärft durch den Gegensatz gegen das hellenische Gymnasion - geht mit höchst unverhülltem Sprechen und (später) Reglementieren über das Sexualverhalten im Interesse teils der levitischen Reinheit, teils der Hygiene Hand in Hand; beide Erscheinungen kennt bekanntlich auch der Islam und andre auf „Reinheit“ abgestellte ritualistische Religionen. Es geht teilweise weiter als katholische Beichtspiegel und Beichtstuhlpraxis und wirkt peinlich und oft widerlich für unser modernes erotisches Empfinden und ein feudal oder vornehm bildungsständisches Würdegefühl, wie es dem Judentum ebenso wie der katholischen Kaplanokratie freilich fremd war. Alkohol- und Fleischabstinenz, wie sie für den korrekten Hindu galt und gerade von den vornehmen Schichten praktiziert wurde, ist für den Rabbinen und frommen Laien im Judentum unbekannt: die alte von den Priestern und Propheten bekämpfte Baal - Orgiastik war eben offenbar dem Schwerpunkt nach sexuelle, also Fruchtbarkeits- und nicht alkoholische Rausch - Orgiastik.

Wie das Weib und der Wein des Menschen Herz erfreut, so der Reichtum und alle rituell erlaubten Genüsse dieser Welt, und die Grundstimmung der altrabbinischen Haltung zur Welt drückt im ganzen wohl das talmudische Wort aus, daß das Paradies dem gehört, „der seinen Gefährten lachen macht“. Eine prinzipiell asketisch bedingte Lebensmethodik aber dürfen

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wir jedenfalls unter keinen Umständen auf dem Boden des pharisäischen Judentums suchen. Es verlangte strengen Ritualismus, wie die indische offizielle Religiosität und war im übrigen eine im Vertrauen auf Gott und seine Verheißungen und in der Furcht vor der Sünde als Ungehorsam gegen ihn und vor dessen Folgen lebende Glaubensreligiosität, aber es bedeutete sicherlich nicht eine asketische Lebensführung. In einem Punkt freilich ähnelt es in der Art seiner Lebensführung den rationalen asketischen Prinzipien: in dem Gebot wacher Selbstkontrolle und unbedingter Selbstbeherrschung. Die Notwendigkeit der ersteren war die unvermeidliche Folge der fortwährenden. Messung der Korrektheit der eigenen Lebensführung am Gesetz mit seiner außerordentlichen Vielzahl der rituellen Gebote und, namentlich, Verbote, auf die zu achten war: 613 Vorschriften zählte man als von Moses gegeben und die rabbinische Kasuistik vervielfältigte sie noch. Das Zweite hing zum Teil damit, zum Teil mit dem alten Gegensatz gegen die Orgiastik zusammen. Während der altisraelitische Jehovah ein Gott leidenschaftlichen Zornes war, mehr als irgendein anderer, galt den Rabbinen, wie in China, jede Erregung als dämonischen Ursprungs und heilsgefährlich, also als Sünde. Sehr im Gegensatz gegen die vielfach, wie wir sahen, vom leidenschaftlichen Zorn und Haß oder von scharfem Ressentiment gegen die Gottlosen, denen es gut geht, getränkte Psalmenreligiosität oder das Racheschwelgen der Phantasie irn Buch Esther und auch gegen den ebionitischen Reichtumshaß des Lukas - Evangeliums, wie er sich etwa im Gebet der Maria ausspricht, waltet eine, zum mindesten äußerlich, sehr andere Haltung im Talmud vor. Jene religiöse Rationalisierung des Rachebedürfnisses an den Feinden oder Glücklichen, welche die eigene Rache gegen das Unrecht zurückstellt, weil Gott sie dann um so gründlicher, es sei hier oder im Jenseits, vollstrecken wird oder jene noch weitere Sublimierung, die dem Feinde schrankenlos verzeiht, um ihn vor andern oder und vor allem vor sich selbst beschämen und verachten zu können, ist im Talmud nicht nur bekannt, sondern wurde von den Rabbinen scharf in ihrem Wesen erkannt und abgelehnt. Denn nichts ist so eindrucksvoll betont, als das Gebot: Andere nicht „beschämen“ zu wollen.

Zunächst innerhalb der Pietätsbeziehungen der Familie: die Beschämung der Eltern, die sich dem Kinde gegenüber ins Unrecht setzen, vermieden zu haben wird als schönste Pietätsleistung

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gepriesen. Aber das gleiche gilt auch gegenüber dem, der Unrecht zufügt, vor allem im Verlauf von Streit und Diskussion. Die hoffnungslose Niederwerfung des Judentums durch den Tempelsturz gab offenbar der rabbinischen Ethik Anlaß, sich mit diesen Problemen des Ressentiments verdrängter und sublimierter Rache gesinnungsethisch zu befassen. Das durch Reflexion ungebrochenere alte Christentum hat die Tatbestände weit weniger durchreflektiert und zeigt daher bekanntlich manche Proben ziemlich unverhüllter Ressentimentsethik, die im talmodischen Judentum bekämpft wurde.

Aber allerdings beweist der Kampf der Rabbinen gegen die religiöse Verinnerlichung der Rache, ethisch eindrucksvoll und ein Beweis sehr starker Sublimierung des ethischen Fühlens wie er ist, wohl wesentlich: daß eben auch ihnen nicht verborgen blieb, einen wie starken Faktor das zur Ohnmacht verurteilte Rachebedürfnis im antiken Spätjudentum tatsächlich bedeutete. - Die wache Selbstkontrolle des Juden, war wie dies Beispiel zeigt, schon im Altertum überaus stark entwickelt. Aber jedenfalls nicht auf der Basis einer asketischen Lebensmethodik.

Gewiß finden sich innerhalb des Judentums asketische Institutionen. Von den keltischen Abstinenz- und Reinheits - Vorschriftemfür die Priester abgesehen, vor allem das vorgeschriebene rituelle Fasten zu bestimmten Zeiten. Aber dies ist durchaus keltisch, vor allem als Mittel der Versöhnung von Gottes Zorn motiviert. Ganz ebenso das Fasten des einzelnen. So sehr war dieser Zweck die Regel, daß jeder der fastete, ohne weiteres als Sünder galt. Hier hätte unzweifelhaft eine asketische Lebensführung Anknüpfungspunkte gefunden: der Gedanke und die Predigt von der Notwendigkeit der Buße ist ja dem antiken Judentum spezifisch und ein sehr wichtiger Ausfluß seiner Gotteskonzeption. Ein Büßerleben zu führen war gerade mit zunehmender Entwertung des Priesteropfers ein dem einzelnen naheliegendes Heilsmittel. Als solche großen Büßer sind denn zweifellos auch jene wenigen großen Faster anzusehen, welche die jüdische Religionsgeschichte aufweist (eigentlich beglaubigt nur: R. Zaina). Gelübde wie das alte Nasiräat bestanden als Mittel, Gottes Wohlgefallen zu erregen oder seinen Zorn abzuwenden, auch in der Praxis weiter: auch Paulus hat - vermutlich als Mittel gegen seine epileptischen Anfechtungen - bekanntlich ein Gelübde (auf Zeit) abgelebt und abgeleistet, als er schon Christ war. Zu

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einer asketischen Sektenbildung aber kam es erst auf ähnlicher Grundlage weit später, bei den „Trauernden um Zion“, den Koräern, die uns hier nicht näher interessieren. Was dagegen auf dem Boden des pharisäischen Judentums wie „Askese“ aussieht, entstammt in Wahrheit lediglich dem für den Pharisäismus entscheidenden Streben nach levitischer Reinheit. Dies Streben konnte verschieden radikal gepflegt werden. Innerhalb des normalen Pharisäismus führte es zu jener Steigerung der Exklusivität nach außen und der systematischen Pflege ritueller Korrektheit, welche wir besprochen haben, und welche ein Ausscheiden aus der Welt des ökonomischen und sozialen Alltags nicht erforderten. Aber das Prinzip konnte natürlich auch bis zu einer grundsätzlichen Ueberbietung der innerweltlichen Sittlichkeit getrieben werden. Auf dieser Grundlage beruht die charakteristischste Erscheinung des Essenismus, welcher in diesem Sinn lediglich eine radikale Pharisäersekte darstellt. Ihr jedenfalls ins 2. vorchristliche Jahrhundert zurückreichendes Alter und ihr möglicher Zusammenhang mit den Rechabiten ist zweifelhaft, und ebenso sind manche wichtige Fragen ihrer Lehre nur ganz hypothetisch lösbar. Immerhin läßt sich das Streben nach absoluter levitischer Reinheit, äußerlich und gesinnungsmäßig, deutlich als ein Grundelement erkennen. Auch die Essener waren, wie die weitere pharisäische Bruderschaft es war, ein Orden. Aber mit weit strengem Eintrittsbedingungen, vor allem: feierlichem Gelübde, Noviziat und mehrjähriger Probezeit. Auch die Organisation des Ordens war weit straffer und mönchsartig: der Vorsteher (Mishmer) der Einzelgemeinde am Ort ist unbedingte Autorität, die Exkommunikation liegt in den Händen eines Rats von 100 Vollmitgliedern. Das Apostolat diente bei den Essenern wie bei der offiziellen jüdischen Gemeinschaft vermutlich vorwiegend den Kollekten für die Ordenskasse. Daß die Apostel stets zu zweit - wie die altchristlichen - wanderten, hatte wohl den Zweck gegenseitiger Kontrolle der rituellen Korrektheit.

Die Essener schlossen sich gegen die minder Reinen durch Ausschluß, nicht nur des connubium und der Kommensalität, sondern jeder Berührung überhaupt, ab. Auch sie lehnten nicht korrekt lebende Priester ab und bei ihnen scheint daraus nicht nur eine Entwertung, sondern ein stark wirkendes Mißtrauen gegen die Priester überhaupt hervorgegangen zu sein, was sicher

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lich durch die bald zu erwähnende Sonderstellung gegenüber dem Opfer mitbedingt war. Rituell drückt sich das radikale Reinheitsstreben neben dem starken Akzent, der auf der Novizentaufe und auf den fortwährend, bei allen denkbaren Gelegenheiten, wiederholten Reinheitsbädern lag, zunächst in größerer Striktheit der spezifisch pharisäischen Gebote aus. Die Angst vor ritueller Befleckung und alle Reinheitsvorschriften waren ins Extreme gesteigert. Alles Studium außer im Gesetz und über die biblische Kosmologie, galt als gefährlich, weil heidnisch, alles rein weltliche Vergnügen als verwerflich und zu meiden. Der Sabbat war bei den Essenern nicht ein Tag der Freude, wie bei den normalen Pharisäern, sondern absoluter Ruhetag: die Begattung beschränkte der Essener auf den Mittwoch, angeblich, damit das Kind nicht am Sabbat zur Welt komme. Die Trachtvorschriften (zizit) galten unbedingt. Dem Gebet am Morgen ging eine vorgeschriebene Zeit der Kontemplation voraus. Nicht nur Tötung, sondern jede Verletzung des Nächsten, auch aus Achtlosigkeit, galt als schwere Selbstbefleckung. Das Gebot, nicht zu stehlen, wurde dahin gesteigert: auch nicht durch irgendwelchen Gewinn - dessen Rechtmäßigkeit stets problematisch schien - sein Gewissen zu belasten. Die Essener mieden daher den Handel ebenso wie den Krieg, verwarfen den Geld- und Sklavenbesitz und schränkten den zulässigen Besitz überhaupt auf das für den Eigenbedarf Unentbehrliche und durch Bodenbau und eigene gewerbliche Handarbeit zu gewinnende ein. Sie steigerten dementsprechend die alten sozialen Brüderlichkeitsgebote konsequent bis zum vollen ökonomischen Liebesakosmismus. Nicht nur die agape, das Liebesmahl, zu welchem die Besitzenden die Mittel lieferten, wird erwähnt, sondern auch von gemeinsamen Häusern und Magazinen und einem gemeinsamen „Schatz“ berichtet Philo: vermutlich wurden die Ueberschüsse über den Eigenbedarf dort niedergelegt, um der sehr hoch ausgebildeten Armenunterstützung zu dienen. Ob dagegen wirklich voller Kommunismus bestand und ob auch nur jene Einrichtungen bei ihnen überall in voller Ausbildung bestanden haben, ist wohl unsicher. Denn die Essener lebten zwar vorwiegend in Palästina, aber offenbar keineswegs immer cönobitisch seßhaft. Im Gegenteil war neben der Armenunterstützung auch die Aufnahme- und Unterstützungspflicht für zureisende Brüder (also doch wohl: Handwerksburschen) eine ihrer Grundinstitu-

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tionen und vornehmlich diesen Zwecken diente wohl die gemeinsame Kasse.

Zorn und alle Leidenschaften galten, als dämonisch infizierte Zuständlichkeiten, bei den Essenern für noch gefährlicher, als bei den normalen Pharisäern, und im Zusammenhang damit vermutlich wurde als radikales Gegenmittel ausdrücklich dem Frommen das Gebet für diejenigen, welche ihm Unrecht getan haben: die „Feindesliebe“, eingeschärft. Die Heiligung des göttlichen Namens führte bei ihnen nicht nur zur Verwerfung des Eides, sondern es schloß sich daran die Entwicklung einer wirklichen Geheimlehre und Arkandisziplin an. Diese erforderte rituelle Keuschheit für denjenigen, welcher der in Aussicht gestellten Charismen teilhaftig werden wollte. Daher die strenge sexuelle Kontinenz und eine starke, übrigens, soweit sie bis zur gänzlichen Verwerfung sich steigerte, in ihren eigenen Kreisen nicht unbestrittene Abneigung gegen die Ehe, - die ja, wie wir sahen, auch für den pharisäischen Rabbi nach manchen Auffassungen für unerwünscht galt. In jenen Gnadengaben der Geheimlehre nun und dem Streben nach ihnen scheint das eigentliche Motiv der besonderen essenischen Lebensführung gefunden werden zu müssen. Denn an diesem Punkte liegt ein gegenüber dem Pharisäismus und dem Judentum überhaupt deutlich als Fremdkörper erkennbares Element. Die Geheimlehre war, nach Josephus, in besondern, sorgfältig geheim gehaltenen heiligen Schriften aufgezeichnet und bei der Aufnahme als Vollmitglied hatte der einzelne sich eidlich zu verpflichten, Dritten gegenüber zu schweigen, den Ordensbrüdern gegenüber aber offen zu sein. Der Inhalt der Geheimlehre scheint in allegorischer Umdeutung der heiligen Erzählungen, in einem sehr ausgeprägten Vorsehungsglauben, in einer noch mehr als sonst ausgeprägten Angelologie, in einzelnen Sonnenkultakten - dem auffallendsten Fremdbestandteil - und in der an Stelle des pharisäischen Auferstehungsglaubens gesetzten Unsterblichkeits-verheißung mit Himmel und Hölle bestanden zu haben. Rituell ist die Ablehnung der Tieropfer ihnen eigentümlich: sie schlossen sich damit vom Tempelkult aus, hielten aber die Beziehung zum Tempel durch Geschenksendungen aufrecht. Das Charisma aber, welches die Arkandisziplin gewähren sollte, war allem Anschein nach die Gabe der Prophezeiung, die Josephus ihnen zuschreibt und die wohl mit ihrem Vorsehungsglauben im Zusammenhang steht. Daneben

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wird ihre Therapeutik, namentlich ihre Kenntnis der Kräfte von Mineralien und Wurzeln gerühmt. Ihre Religiosität war sehr wesentlich Gebetsreligiosität mit offenbar sehr intensiver Devotionsandacht.

Es leuchtet sofort ein, daß diese Bestandteile der essenischen Lehre und Praxis, welche nicht mehr eine Steigerung und Ueberbietung des pharisäischen Reinheits - Ritualismus waren, auch nicht dem Judentum entstammten. Die Angelologie, auch die pharisäische, war ja persischen Ursprungs. Ebendahin weist wohl der ziemlich schroffe Dualismus in der Lehre von Leib und Seele, - obwohl hier auch hellenistische Einflüsse denkbar sind. Ganz dem persischen (oder persisch - babylonischen) Einfluß gehört die Sonnenverehrung an, welche - im Gegensatz zu jener - geradezu unjüdisch anmutet und deren Duldung durch das korrekte Judentum zunächst befremdlich erscheint. Die Neigung zur Ehelosigkeit, die Ordensgrade und die Ablehnung des Tieropfers könnte indischen Einflüssen - durch irgendwelche Vermittlung - entstammen, aber auch, wie die Waschungen und Sakramente, dem hellenistisch - orientalischen Mysterienwesen, wie ja die Schaffung der Geheimlehre als solche eben daher stammen dürfte. In der Tat: der essenische Orden bedeutet eine Vermählung von sakramenteller Mysterienreligiosität mit dem levitischen Reinheitsritualismus. Von den üblichen vorderasiatischen Heilandsmysterien unterschied ihn das Fehlen eines persönlichen Heilandes als Kultgegenstand: die stark gepflegte messianische Hoffnung war auch bei den Essenern durchaus Zukunftshoffnung, wie im pharisäischen Judentum. Danach hätte die Sekte bei konsequenter Beurteilung als heterodox angesehen werden müssen. Indessen darum kam das Judentum infolge seines ritualistischen Charakters herum, ähnlich wie in solchen Fällen der Hinduismus. Weil die Gemeinschaft mit dem Tempel aufrechterhalten wurde und weil die vom Pharisäismus über alles geschätzte mosaische Gesetzestreue gewahrt, ja besonders und im pharrisäischen Sinn peinlich gewahrt blieb, sah die jüdische Gemeinde über die offenkundig heterodoxen Einschläge hinweg und duldete die Sekte wie eine durch indifferente Sondergelübde und Sonderlehre spezialisierte jüdische Genossenschaft, in der Art, wie sie es infolge ähnlicher Voraussetzungen der jerusalemitisclen Tempel- und Gesetzes - treuen judenchrist-

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lichen Nazaräer - Gemeinde gegenüber so lange hielt, als dies möglich war.

Die Grenze zwischen dem Pharisäismus und den Essenern war aber allerdings auch in bezug wenigstens auf die Lebensführung fließend. Zwar eine geschlossene genossenschaftliche Organisation dieser Art mit Verpönung des Erwerbs ist auf dem Boden des normalen Pharisäismus sonst in jener Zeit nicht bekannt - im Gegenteil galten den Evangelien die Pharisäer als Vertreter des „Geizes“. Aber zahlreiche Einzelerscheinungen, die in der Richtung der gleichen Gesinnung lagen, fanden sich. Zunächst: der Liebesakosmismus. Als „Hascheina“ (die „Geheimen“) bezeichnete man wohlhabende Leute, welche grundsätzlich und in großem Maßstabe im geheimen Gaben für Arme hergeben, die diese ebenso im geheimen und ohne daß ihre Person bekannt wurde, in Empfang nehmen; und zwar nicht nur gelegentlich und unorganisiert, sondern aus einer dafür geschaffenen gemeinsamen Kasse. Es scheint nach dem Talmud, daß solche in fast allen Städten bestanden: das rabbinische Gebot, „Niemanden“ zu beschämen und der später von Jesus eingeschärfte Grundsatz: „daß die linke Hand nicht wissen solle, was die rechte tue“, weil nur dann die Gabe himmlischen Lohn verdiene, der sonst vorweggenommen werde, - dieser auch für moderne gemeinjüdische Wohltätigkeit, im Gegensatz z. B. zur puritanischen, aber auch zur normal christlichen, charakteristische Zug der talmudischen Caritas spricht sich darin aus.

Dem Streben nach absoluter Reinheit entsprang die Fernhaltung von allem und jedem weltlichen „Vergnügen“, wie sie der „Kadash“ („Heilige“) nach Art der Essener übte und auch Eremiten „barnaim“ („Bauer“, von Eremitagen nämlich) finden sich vereinzelt. Diese Erscheinungen von wirklicher Weltablehnung stehen indessen dem normalen Pharisäismus ebenso fremd gegenüber wie die entsprechenden essenischen Regeln und sind wohl auch ihrerseits durch unjüdische Einflüsse zu erklären. Rituell finden sich gewisse Anklänge an die altchassidische und die essenische Praxis bei den „Watikim“, welche das Morgengebet formell streng und zwar so regelten, daß sein Ende mit dem Sonnenaufgang zusammenfiel - und was dergleichen Einzelerscheinungen mehr sind. Das pharisäische Judentum war eben trotz aller rituellen Korrektheit und strengen Absonderung von den Heiden den verschiedensten Invasionen heterogener Ritualistik

Nachtrag. [428]


(zum Beispiel: Sonnenkult - Ritualistik) ausgesetzt. Und wenn auch die Entwicklung einer eigentlichen Geheimlehre gerade dem Pharisäismus durchaus fremd war, so konnte er doch die Verbreitung apokalyptischer eschatologischer Messias - Erwartungen und Prophezeiungen unmöglich hindern, welche der Sache nach ähnlich wirkten und von dem die Luft voll war, wie am deutlichsten die Umwelt zeigt, in welcher sich die evangelischen Geschichten und Mythen abspielen.

Die Organisation, religiöse Lebensführung und Ethik der Essener sind oft, und namentlich von jüdischer Seite, mit der urchristlichen Praxis in Beziehung gesetzt worden. Die Essener kennen wie die Christen die Taufe, das Liebesmahl (Agape), den akosmistischen Liebeskommunismus, die Armenunterstützung, das Apostolat (jedoch im jüdischen Sinn des Begriffs) die Aversion gegen die Ehe (für die Vollkommenen), die Charismen, vor allem die Prophetie, als erstrebte Heilszuständlichkeit1). Ihre Ethik war, wie die altchristliche, streng pazifistisch, empfiehlt die Feindesliebe, schätzt die Heilshoffungen der Armen hoch, der Reichen ungünstig ein, ebenso wie die ebionitischen Bestandteile der Evangelien es tun. Dazu traten die der urchristlichen verwandten Bestandteile der gemeinpharisäischen Ethik, denen gegenüber sie ebenso wie die urchristliche in vielen Punkten eine Steigerung bedeutet. Allein der Charakter dieser Steigerung ist hier und dort sehr verschieden. Denn gerade in bezug auf rituelle (levitische) Reinheit lenkt schon Jesus selbst in seiner Verkündigung in ganz andere Bahnen. Das monumental wirkende Herrenwort: daß nicht das, was in den Mund geht, unrein macht, sondern das, was aus dem Munde geht und aus einem unreinen Herzen kommt, bedeutete, daß die gesinnungsethische Sublimierung, nicht die ritualistische Ueberbietung der jüdischen Reinheitsgesetze das für ihn Entscheidende war, und der angstvollen Abschließung der Essener gegen die rituell Unreinen steht seine sicher bezeugte Unbesorgtheit vor dem Verkehr und der Tischgemeinschaft mit ihnen gegenüber. - Die auf beiden Seiten zu findenden ethischen Konzeptionen waren aber in den mannigfachsten Formen im Entstehungsgebiet beider Gemeinschaften verbreitet und die gleichartigen Institutionen teils schon dem pharisäischen chabarah, teils, wie anzunehmen ist, mannigfachen

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Kultgemeinschaften gemeinsam. Vor allem: sowohl die Epiphanie eines gegenwärtigen persönlichen Heilandes und sein Kult, wie die gewaltige dem Urchristentum.spezifische Bedeutung des „Geistes“ () blieb den Essenern, soviel bekannt, fremd.

Das Pneuma, als Charisma und Merkmal der Bewährung eines exemplarischen Gnadenstandes, war zwar dem Judentum und auch der Lehre des Pharisäismus, kein fremder Begriff. Der „Geist Jahwes“, der als Berserker - Charisma über den Helden (Simson) und König, als wilder Zorn über Saul, vor allem aber als Charisma der Vision und prophetischen Verkündigung, eventuell: des Wunders, über den Seher, Propheten, Wundertäter kommt, dessen der Hohepriester bedarf, um das Volk gültig entsühnen zu können, der von ihm weicht (Pinehas) und den König oder Helden verläßt, wenn er sündigt, ist auch in jedem Lehrer mächtig wie der Prophet durch den Geist sieht und hört, so lehrt auch der Lehrer durch ihn. Im Talmud heißt er Ruach - ha - kodesch, in der Septuaginta - Uebersetzung von Psalm 51, 11 und Jesaja 63, 10. 11   , sein dämonischer Widerpart ist die Lehre des „unreinen Geistes“, in den Evangelien von den Schriftgelehrten der Geist des Beelzebub, des „Obersten der Teufel“ genannt. Die Rabbinen brauchen, aus Scheu vor dem Gottesnamen, statt des Namens „heiliger Geist“ oft den Namen „shekina“. Es entstand die Doktrin, daß der „göttliche Geist“, der am Beginn der Schöpfung auf den „Wassern“ schwebte, vom Schöpfer am ersten Tage geschaffen worden sei. Die Taube, das Symbol des verfolgten Israel, wird auch im Talmud gelegentlich als seine Ueberbringerin behandelt.

Auch in der talmudischen Literatur begegnet die Verstellung, daß der heilige Geist für die Menschen als „Synegor“, d. h. als „Paraklet“1): Fürsprecher, Helfer für die Menschen bei Gott eintrete. Aber die Lehre von der Geschlossenheit des prophetischen Zeitalters ließ die Annahme entstehen, daß der heilige Geist seit Maleachi aus der Welt verschwunden sei. Man kann ihn nicht mehr erlangen, sondern nur den „bat kol“, den Geist, den der Rabbine zum richtigen Auslegen des göttlichen Gesetzes bedarf. Andererseits hatte Joel2) die Reinheit und Heiligkeit der Erwählten nach dem Kommen des Messias so gefaßt: daß dann

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der Heilige Geist allen mitgeteilt werde, die Söhne und Töchter weissagen, die Aeltesten Träume und die Jünglinge Visionen haben und auch über Knechte und Mägde der Geist ausgegossen werden solle. Das Wiedererwachen des Heiligen Geistes in allen Menschen galt darnach als Zeichen dafür, daß der Messias gekommen sei und das Anbrechen des Gottesreichs bevorstehe. Diese Vorstellung ist für die altchristliche Konzeption des Pfingstwunders maßgebend gewesen. Den „Geist“ in diesem spezifischen Sinn einer irrationalen göttlichen Prophetengabe konnten die Rabbinen weder für sich beanspruchen noch vollends als Merkmal des Gnadenstandes der Gemeindeglieder ansprechen.

So hoch daher die Autorität des rabbinischen Lehrers stand - niemals konnte er daran denken, die Stellung eines pneumatischen „Uebermenschen“ in Anspruch zu nehmen. Stets stützte sich seine Autorität auf das in der Thora und den Propheten schriftlich fixierte Wort. Jede Entwicklung in der Richtung der Anbetung des Seelenhirten, nach Art der Guru - Anbetung in Indien, in Asien und im Christentum schied völlig aus. Auch sie war durch die jüdische Gotteskonzeption ausgeschlossen, welche jede Kreaturvergötterung als heidnischen Greuel zu verwerfen zwang. Aber auch als Gegenstand einer Heiligen- oder Mystagogen - Verehrung nach Art der christlichen oder asiatischen Erscheinungen dieser Art kam der Rabbi nicht in Betracht. Er versieht einen religiösen Beruf, nicht aber spendet er Gnade: dies zu tun war ursprünglich, in begrenztem Umfang, das Charisma des Priesters und blieb den durch keramitische Abstammung qualifizierten Kohanin insofern - allerdings wesentlich formelhaft - erhalten, als nur sie die Qualifikation hatten den „Priestersegen“ zu sprechen. Erst die chassidische Bewegung in Osteuropa, schuf in dem zakken, dem Virtuosen der chassidischen Mystik, eine Gestalt, die dem asiatischen Nothelfer- und Mystagogen - Typus entsprach, dessen Ansprüche eben deshalb aber auch im schärfsten Gegensatz gegen die Autorität des Rabbinen standen und von diesem als Ketzerei verworfen wurden. Der jüdische Rabbi spendete weder Sakramentsheil, noch war er ein charismatischer Nothelfer. Sein religiöser Sonderbesitz war das „Wissen“. Dies allerdings war ungemein hoch gewertet: an Ehre geht er der Bejahrteren und selbst den Eltern vor: „Wissen geht über alles“. Seine Bedeutung als persönliche Autorität lag vor allem im Beispiel, das er gab: in seiner exemplarischen

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Lebensführung. Deren Merkmal aber war lediglich die strenge Orientierung am göttlichen Wort.

Auch in seiner pflichtmäßigen Arbeitssphäre war er ein Diener des „Worts“. Aber kein „Prediger“, sondern ein „Lehrer“. Er lehrte im geschlossenen Schülerkreise das Gesetz, nicht aber bearbeitete er öffentlich durch Predigt die Gemeinde. Zwar lehrt er auch in der Synagoge. Aber im antiken Judentum, soviel bekannt, öffentlich nur an Sabbaten unmittelbar vor den großen Festen und an den Kallaben - Tagen. Zweck war auch dann: Belehrung der frommen Gemeinde über die Ritualpflichten in jenen Zeiten ebenso wie er im übrigen dem einzelnen in Zweifelsfällen als Berater über seine Ritualpflichten zur Seite stand. Denn dies: die Responsentätigkeit nach Art der römischen Juristen, daneben schiedsrichterliche und, für die dazu in den „Bel Din“ berufenen Rabbinen, auch eigentlich richterliche Tätigkeit, bildete - neben der systematischen Bildung der Schüler im Gesetz - den Schwerpunkt seiner Berufsarbeit. Die öffentliche religiös - ethische Predigt an den Sabbatnachmittagen war dagegen in der Antike des Judentums ganz unorganisiert. Soweit sie aber stattfand - und das dürfte in erheblichem Maß der Fall gewesen sein - lag sie damals ebenso wie später in den Händen ganz anderer Persönlichkeiten, als der eigentlichen ortsansäßigen Rabbinen: der „Magyr“, der rabbinisch geschulte Wanderlehrer der späteren Zeit ist sicher eine sehr alte Erscheinung. Als wandernder Sophist, Gast der bemittelten Gemeindeglieder bereist er die Gemeinden, sicher genau so wie Paulus, der durchweg in den Synagogen predigte, es tat. Gewiß, nicht nur wandernde Redner traten auf. Sondern die sehr weitgehende Lehr- und Predigtfreiheit gestattete jedem, der sich für qualifiziert hielt und der Gemeinde dafür galt, zu predigen. Auch die „Schriftgelehrten“ taten es, die das Evangelium eigentlich rituell voraussetzen. Aber offenbar nicht als normale Berufspflicht. Aufgaben lagen andrerseits dem Rabbi nur ob, soweit sie nicht priesterlicher Art, sondern eben rein technisch - rituell zu ordnende Angelegenheiten waren: im antiken Judentum vor allem die Ausrichtung des rituellen Bades (mikweh) und shehitah, das rituelle Schlachten („Schächten“), welches er zu beaufsichtigen, unter Umständen selbst zu vollziehen hatte. Allein die autoritative Interpretation des Gesetzes war und blieb in allem die Hauptsache.

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Die technische Eigenart dieser Gesetzesinterpretation nun entsprach der sozial bedingten Eigenart der Schicht, welche ihr wichtigster Träger war: des Kleinbürgertums, dem die Rabbinen der alten Zeit selbst zum sehr großen Teil angehörten. Es wurde schon hervorgehoben, daß der „gesunde Menschenverstand“ und jener praktisch - ethische Rationalismus, welcher bürgerlichen Schichten als innere Haltung überall naheliegt, von starkem Einfluß auf die Art der rabbinischen Behandlung des Gesetzes war die „ratio“ der Bestimmungen statt ihres Buchstabens einerseits, die zwingenden Bedürfnisse des Alltagslebens, vor allem der Wirtschaft, andererseits kamen so zur Geltung. Dagegen fehlte völlig die Möglichkeit eigentlich „konstruktiven“ rationalen Denkens: - des eigentlich „juristischen“ Denkens also, wie es die römischen respondierenden Juristen und nur sie betätigt haben, - was praktisch bedeutet: die Fähigkeit zur rationalen Begriffsbildung. Die Rabbinen waren kein rein weltlicher und vor allem kein vornehmer Juristenstand wie die römischen Respondenten, sondern plebejische religiöse Rituallehrer. Die innerliche Bindung an das positive göttliche Gebot war nicht nur an sich strenger als es die Bindung des Juristen an das positive Recht je sein kann, sondern die typischen Formen und Schranken jedes kleinbürgerlichen Rationalismus traten hinzu. Wortdeutung und anschauliche Analogie an Stelle von begrifflicher Analyse, konkrete Kasuistik statt Abstraktion und Synthese. Die immerhin weitgehend an praktisch rationalen Bedürfnissen aber durchaus am konkreten Einzelfall orientierte Spruchpraxis der älteren Rabbinen erfuhr zwar eine Art von „theoretischer“ Ausweitung, als nach dem Tempelsturz die großen Rabbinenschulen in Mesopotamien und Palästina zu organisierten Mittelpunkten der Spruchpraxis wurden und dies bis nach der Karolingerzeit für die ganze Kulturwelt blieben. Zugleich wurde die Rabbinenwürde an die Ordination (Handauflegung) durch den Patriarchen oder seine legitimierten Vertreter gebunden und ein regulärer akademischer Studiengang mit Kolleghörern, Fragen und Diskussionen an den und mit dem Lehrer, Studienpfründen und Internat vorgeschrieben. Die Sonderorganisation der pharisäischen Bruderschaft war offenbar verschwunden: „chaber“ heißt später ein Mann, der besonders eifrig im Gesetz studiert: der typisch spätjüdische Honoratiore, und „perushim“ findet sich als Bezeichnung für Studenten. Der „Geist“ des Pharisäismus

M a x W e b e r, Religionssoziologie III.

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war alleinherrschend im Judentum. Aber nicht mehr als Geist einer aktiven Bruderschaft, sondern als Geist des Schriftstudiums schlechthin: selbst Gott „studiert“ nach gelegentlich auftauchender Vorstellungen das zeitlos geltende Gesetz, um sich darnach zu richten, etwa so wie der indische Weltschöpfer Askese übt, um die Welt schaffen zu können. Nunmehr konnte ein vom konkreten Einzelfall losgelöstes systematisches Denken sich entwickeln Allein für dessen Besonderheit war teils die Gebundenheit an die Tradition der alten Rabbiners; teils aber die eigne soziologische Struktur maßgebend.

Der pharisäische Reinheits - Ritualismus führte zunächst zu einer Steigerung der rituellen Schranken, sowohl nach Außen wie nach Innen. Auch und grade nach Innen: Die essenische Gemeinschaft schloß sich aus Furcht vor Befleckung von Connubium, Kommensalität und jeglicher nahen Berührung mit dem Rest der Juden ab, und es ist fraglich, ob sie das einzige Konventikel dieser Art war. Die pharisäische Bruderschaft schloß sich ganz ebenso gegenüber den 'am ha - arez ab1), das jerusalemitische und von Jerusalem priesterlich beeinflußte Judentum gegenüber dem samaritanischen und allen andern Resten der alten lokalkultischen nicht prophetisch und nicht von jerusalemitischer Priesterschaft beeinflußten Jahweglaubens, nachdem die Samaritaner vom Opfer in Jerusalem, welches sie zu pflegen nicht abgeneigt waren, förmlich ausgeschlossen worden waren. So entstand eine feste und, weil rituell bedingt, eine kastenmäßige Gliederung der alten Jahwegläubigen. Daneben bestanden im Innern die erblichen Privilegien der Priester- und Levitengeschlechter fort, und sie waren zwar nicht dem völligen Ausschluß des Connubium mit andren jüdischen Sippen, wohl aber dem Gebot der Hypergamie unterworfen. Dazu trat nun die rituelle Ablehnung, teils Perhorreszierung, teils Mißbilligung bestimmter Gewerbe als religiös ständebildendes Element. Als verachtet und verachtens-

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wert gelten neben Esels- und Kameltreibern und Töpferwarenhändlern auch Frachtführer zu Lande und zur See und Lagerhaushalter, sie alle zweifellos deshalb, weil ein rituell reines Leben für sie unmöglich schien, die erstgenannten Kategorien natürlich auch, weil sie ursprünglich fremdstämmige Gastarbeiter waren. Dazu traten die mit dem deuteronomischen Fluch belegten Berufe der Zauberer und Wahrsager aller Art. Aber als mißbilligenswert für den rituell Reinen galten auch Gewerbe wie Hausierer, Barbiere, Bader, Tierärzte, gewisse Steinarbeiter, ferner Gerber, Melker, Wollkämmer, Weber und Goldschmiede. Als Grund wird für manche dieser Gewerbe angeführt, daß sie den Ausübenden in eine stets verdächtige Berührung mit Weibern bringe, im übrigen aber war offenbar neben traditionellen sozialen Wertungen auch hier das allgemeine Mißtrauen in die Möglichkeit, den Beruf mit ritueller Korrektheit zu vereinigen, maßgebend, daneben wohl die Abkunft mancher von ihnen von Eingewanderten (so wohl der Goldschmiede). Ein Hoherpriester darf nicht aus einer Familie genommen werden, welche sich ihnen ergeben hat. Aber außerhalb des pharisäischen Ordens scheinen sie jedenfalls nicht alle oder nicht während der ganzen talmudischen Zeit gestanden zu haben: zum mindesten ein Gerber findet sich unter den bekannteren Rabbinen (R. Jose) und, wie schon früher bemerkt sogar ein Astrolog. Besondere Synagogen für einige der alten Königshandwerke: Kupferschmiede und Kassierer, finden sich in der talmudischen Literatur er- wähnt: getrenntes Sitzen nach Gewerben in der gemeinsamen Synagoge war häufig. Die Berufe gerade der Königshandwerker (daneben auch anderer) waren faktisch weitgehend erbliche Sippenberufe und die Handwerker selbst vom König importierte Fremdstämmige, was ihre Sonderstellung wohl erklärt. Unter den mißbilligten Gewerben finden sich solche, welche später, im Mittelalter, in starkem Maß von Juden betrieben wurden, und eine wirklich kastenmäßige Absonderung zeigt die Ablehnung jener Berufe auch im antiken Judentum nicht. Immerhin zeigt die innere Struktur des spätantiken Judentums wichtige Züge einer solchen.

Vor allem aber nach Außen nahm das Judentum zunehmend den Typus zunächst des rituell abgesonderten Gastvolks (Pariavolkes) an. Und zwar freiwillig von sich aus, nicht etwa unter dem Zwang äußerer Ablehnung. Die allgemeine Verbreitung des „Antisemitismus“ in der Antike ist eine Tatsache. Ebenso aber

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auch: daß diese erst allmählich wachsende Ablehnung der Juden genau gleichen Schritt hielt mit der zunehmend strengen Ablehnung der Gemeinschaft mit Nichtjuden durch die Juden selbst. Die antike Ablehnung gegen die Juden war weit davon entfernt, „rassenmäßige“ Antipathie zu sein: der gewaltige Umfang des Proselytismus, von dem bald die Rede sein wird, ist hinlänglicher Beweis dagegen. Vielmehr war das ablehnende Verhalten der Juden selbst das schlechthin Entscheidende für die beiderseitigen Beziehungen. Abweichende und absurd scheinende Riten kannte die Antike in reichstem Maße: dort lag der Grund gewiß nicht. Die prononcierte Asebie gegen die Götter der Polis, deren Gastrecht sie genossen, mußte freilich als gottlos und beleidigend empfunden werden. Aber auch das entschied nicht. Der „Menschenhaß“ der Juden war, wenn man auf den Kern sieht, der immer wieder letzte und entscheidende Vorwurf: die prinzipielle Ablehnung von Connubium, Kommensalität und jeder Art von Verbrüderung oder näherer Gemeinschaft irgendwelcher Art, selbst auf geschäftlichem Gebiet verbunden - was auch nicht zu unterschätzen ist - mit dem durch die Chabarah dargebotenen überaus starken Rückhalt jedes pharisäischen Juden an der Bruderschaft - einem Moment, dessen ökonomische Wirkung der Aufmerksamkeit der heidnischen Konkurrenz nicht entgangen sein kann. Die soziale Isolierung der Juden, dieses „Ghetto“ im innerlichsten Sinn des Worts, war primär durchaus selbstgewählt und selbstgewollt und zwar in stetig steigendem Maße. Zunächst unter dem Einfluß der Soferim. Dann unter demjenigen der Pharisäer. Die ersteren bemühten sich - prinzipiell - um Erhaltung der Glaubensreinheit der Juden, wie wir sahen. Ganz anders: die Pharisäer. Sie vertraten zunächst und vor allem eine (ritualistische) Lehre: eine Konfession, nicht - wenigstens nicht in erster Linie - eine Nationalität. Und mit der rücksichtslosen Absonderung gegen die rituell Unreinen ging bei ihnen Hand in Hand die leidenschaftlichste Arbeit an der Propaganda der eigenen Gemeinschaft nach außen: die Proselytenmacherei: „ihr Heuchler, die ihr über Land und Meer fahret, um einen Proselyten zu machen !“ ruft Jesus ihnen zu (Math. 23, 15). In der Tat galt es gerade den eifrigsten Pharisäern als Gott wohlgefällig, womöglich jedes Jahr einen Proselyten zu machen: die jüdische Propaganda ging dem Schwerpunkt nach, ebenso wie die altchristliche der nachapostolischen Zeit, durch freiwillige Privat-


Nachtrag. [436]


tätigkeit vor sich, nicht durch die amtlichen Autoritäten. Die Stellung dieser letzteren und auch die Stellung der offiziellen Literatur war wechselnd. Die alte Tradition des Gesetzes (Exodus XII, 48) trug noch die Spuren der Zeit, wo die Jahwe - Religion der Eidgenossenschaft durch den Eintritt von Nachbarstämmen und von Sippen der „Ger“, der inmitten Israels wohnenden Schutzverwandten: Metöken und Klienten in den Vollbürgerverband, sich ausbreitete. Es war die Rechtsstellung der Metöken geregelt und (a. a. O.) auch festgestellt, welche rituellen Befugnisse sie nur durch Beschneidung erwerben konnten. Die Prophetie (Jesaja XIV, 1) weissagte von den Fremdlingen, die zu dem in seinem Landbesitz restituierten Israel kamen und dem „Hause Jakobs anhängen“ würden. Diese Stelle, in Verbindung mit der Verheißung an Abraham und den zahlreichen Hinweisen, welche das Kommen aller Völker der Erde zu Israel und zur Verehrung seines Gottes in Aussicht stellten, schienen die Propaganda als gottwohlgefällig zu erweisen, ja vielleicht gerade als ein Mittel, die Zeit für das Kommen des Messias vorzubereiten. Immerhin waren aber die Ansichten auch in der heiligen Literätur geteilt. Die Ruth- und Jonaslegenden waren dem Proselytismus entschieden günstig, eine so gewichtige Autorität wie Esra aber abgeneigt: die von ihm vorgenommene gentilizische Gliederung sowohl der Priesterschaft wie der neukonstituierten Polis Jerusalem standen zum mindesten dem Eintritt Einzelner in den Verband im Wege, und Esra legte für die erstrebte Absonderung des heiligen Volkes auf die Blutsreinheit als solche entscheidendes Gewicht. Das alles lag für das pharisäische Kleinbürgertum durchaus anders und senkte bei seinen Repräsentanten, zumal draußen in der Diaspora, die Wagschale wieder zugunsten der Propaganda. Einen Heiden unter die „shekinah“ (das „Haus Gottes“) zu bringen, galt der Mehrzahl der Lehrer als unbedingt verdienstlich. Bald so sehr, daß unter Benutzung des alten Metökenbegriffs auch eine solche Propaganda als wertvoll galt, welche von der Zumutung der alsbaldigen vollen Uebernahme aller Ritualpflichten, vor allem der Beschneidung, durch die Proselyten gegebenenfalls Abstand nahm und die vorläufige Angliederung als bloße „Freunde“, Halbjuden betrieb. Denn die Zumutung der Beschneidung war für die Propaganda unter erwachsenen Männern begreiflicherweise ein sehr ernstes Hindernis die Zahl der Frauen war auch deshalb unter den Voll - Proselyten

Die Pharisäer. [437]


weit größer als die der Männer. Drei1) Stufen der Angliederung wurden unterschieden: 1. der „Ger - ha - toshab“, der „Freund“, der Halb - Konvertit, der den monotheistischen Gottesglauben und die jüdische Ethik (des Dekalogs) annahm, das jüdische Ritual aber nicht: sein rituelles Verhalten blieb ganz unkontrolliert und er hatte formelle Beziehungen zur Gemeinde nicht; - 2. der „ger - ha - sha`ar“ („Proselyt des Thors“), der Theorie nach der alte Metöke unter jüdischer Gerichtsbarkeit: er legte vor drei Mitgliedern der Bruderschaft das Gelübde ab, keine Idole zu verehren, die 7 noachischen Gebote, der Sabbat, das Schweine - Tabu und das rituelle Fasten sind für ihn verbindlich, nicht aber die Beschneidung, sie sind Passivglieder der Gemeinde mit begrenzten Rechten der Teilnahme an Festen und an den Feiern in der Synagoge; - endlich 3. der ger - ha - zadek oder ger - ha - berit („Proselyt der Gerechtigkeit“), der nach Beschnei-dung und Uebernahme der Ritualpflichten in die volle Gemeinschaft aufgenommen ist: seine Nachkommen werden danach erst in der dritten Generation vollberechtigte Juden.

Die Erwartung bei dieser Praxis ging dahin, daß der ger - ha - toshab und erst recht der ger - ha - sha`ar, mochte er selbst die Beschneidung scheuen, doch sich entschließen werde, seine Kinder beschneiden und also zu Voll - Juden werden zu lassen, und sie trog gewiß in sehr vielen Fällen nicht. Denn jene Praxis kam den Interessen der Umwelt, vor allem der Hellenen, sehr entgegen. Was diese am Judentum anzog, war selbstverständlich nicht sein Ritual: dies hätte, dem ganzen Charakter der hellenistischen Religiosität entsprechend, nur dann der Fall sein können, wenn es sakramentale oder magische Erlösungsmittel und Verheißungen nach Art der Mysterien: irrationale Heilswege und Heilszuständlichkeiten also dargeboten hätte, und gerade dies war beim Judentum nicht der Fall. Sondern die Anziehungskraft ging von der überaus groß und majestätisch wirkenden Gotteskonzeption, der radikalen Beseitigung der als unwahrhaftig empfundenen Götter- und Idol - Kulte, und vor allem von der als rein und kraftvoll wirkenden jüdischen Ethik, daneben auch von den schlichten und klaren Zukunftsverheißungen aus: von rationalen Bestandteilen also. Elemente, welche daran: an der Reinheit der Ethik und der Macht des Gottesbegriffs ihr religiöses Genüge fanden, zog das Judentum an sich. Die feste

Nachtrag. [438]


Ordnung des Lebens rein als solche, wie sie das Ritual darbot, war eine mächtige Anziehungskraft und mußte besonders stark in Zeiten wirken, welche nach dem Zusammenbruch der national hellenischen Staaten die überkommene feste militärische Ordnung des Lebens des Bürgers in der Polis und durch diese verfallen sah. Das Zeitalter des intellektuellen Rationalismus, mit seiner zunehmenden „bürgerlichen“ Rationalisierung der hellenischen Religiosität, in den letzten Jahrhunderten der römischen Republik vor allem, war auch die große Epoche des jüdischen Proselytismus. Wer nach Eigenart oder Schicksal zu irrationaler, mystischer Heilssuche disponiert war, wird ihm fern geblieben sein, und das Zeitalter zunehmenden Suchens nach irrationalen Heilszuständlichkeiten kam nicht ihm, sondern den Mysterienreligionen und dem Christentum zugute. Das jüdische Vollritual wird vermutlich für sich oder für seine Kinder am häufigsten von Personen in den Schichten angenommen worden sein, welche am Anschluß an die pharisäische Bruderschaftsorganisation ein Interesse hatten: unter den Kleinbürgern, namentlich den Handwerkern und Kleinhändlern; soviel sich erkennen läßt, war dies in der Tat so. Obwohl der jüdische Glaube „religio licita“ war, ging der Voll - Konvertit doch nach römischem Amtsrechte des „jus bonorum“ verlustig und das jüdische Gesetz machte ihn amtsunfähig, weil er nach ihm am Staatskult nicht teilnehmen durfte. Die jüdische Diaspora ihrerseits aber hatte ein starkes Interesse nicht nur än der Vermehrung ihrer Mitglieder, sondern auch an der Gewinnung von „Freunden“ außerhalb ihrer selbst zumal in einflußreichen und amtsfähigen Kreisen; die Art der Lösung des Problems war deshalb auch, von ihr aus gesehen, durchaus zweckmäßig. Praktisch bedeutete sie ein Kompromiß zwischen Konfessionalität und Gentilizität. Der Geborene und seit drei Generationen korrekte Jude war in der Gemeinschaft ständisch bevorrechtigt vor den Konvertiten und ihren Kindern und Enkeln. Außerhalb der Gemeinschaft standen, etwa so wie die „Laien“ gegenüber den bhikkshu's in Indien, die nicht beschnittenen aber durch Gelübde verpflichteten Proselyten und die bloßen „Freunde“. Bedingungslos verbindlich war das Ritual für die geborenen Juden und die beschnittenen Konvertiten, teilweise für die durch Gelübde verpflichteten Proselyten, gar nicht für die „Freunde“. Aber gelegentlich finden sich noch wesentlich liberalere Ansichten. Es wurde geradezu bezweifelt, ob die für

Die Pharisäer. [439]


das jüdische Volk angeordnete Beschneidung wirklich auch für Nicht -Geburtsjuden unumgänglich zur Konversion sei und nicht ein rituelles Reinigungsbad (also: Taufe) genüge. Mischehen mit (unbeschnittenen) Proselyten scheinen durch rabbinische Responsen gelegentlich legitimiert worden zu sein. Diese Ansichten standen allerdings isoliert. Der praktisch herrschende Zustand spricht sich deutlich in den Kämpfen aus, welche die paulinische Mission in der alten Christengemeinde sowohl wie im Judentum entfesselte. Die neutestamentlichen Erzählungen, welche darin den Stempel voller Glaub-würdigkeit in den entscheidenden Punkten tragen, zeigen, daß nicht etwa - wie noch immer vielfach geglaubt wird - der Beginn der Mission unter Heiden (und unbeschnittenen Proselyten) es war, was Konflikt und Sturm hervorrief. Die Leiter der jerusalemitischen, streng auf dem Boden des Rituals und des Tempelkults stehenden Gemeinden hatten sich hier durchaus auf den Boden der Tatsachen einerseits und der traditionellen Behandlung unbeschnittener Proselyten andrerseits gestellt. Sie hatten eine Minimalethik für diese aufgestellt und durch zwei Sendboten nach Antiochia an die Missionsgemeinde geschickt1): sie sollen sich von Idolatrie, Blut, Ersticktem und Hurerei fernhalten, dagegen sonst an das Ritual nicht gebunden sein. Tun sie das, so sind sie, wie das genannte Schriftstück sie nennt : „Brüder aus den Heiden“. Das war auch vom pharisäischen Standpunkt aus durchaus unanstößig. Nun aber gelangte die Nachricht nach Jerusalem, daß Paulus auch unter Volljuden missioniere und auch diese zum Abfall von der Innehaltung des Rituals verleite. Darüber stellen ihn, unter Bezugnahme auf jenen Brief, Jakobus und die Aeltesten namens der Gemeinde in Jerusalem zur Rede2) und verlangen, daß er gegenüber diesem Verdacht die übliche Reinigungsprobe im Tempel unter Zuziehung von 4 kraft Gelübdes Bußpflichtigen vollziehe, der er sich auch fügt. Die zahlreich aus der Diaspora anwesenden Juden aber, welche seiner im Tempel ansichtig werden, suchen ihn zu lynchen, weil er 1. gegen das Gesetz und den Tempelkult agitiere, also Apostasie vom Gesetz (unter Juden !) predige, und weil er 2. einen Unbeschnittenen (Trophimus) in den Tempel gebracht habe (was Lukas bestreitet)3); der darüber ent-

Nachtrag. [440]


standene Aufruhr gibt Anlaß zu seiner Verhaftung. Die Mission unter Heiden oder unbeschnittenen Proselyten wird ihm nicht vorgeworfen, von Jakobus und den Aeltesten vielmehr ausdrücklich belobt1). Fast ausnahmslos predigt Paulus in den Synagogen, und es ist klar und oft hervorgehoben: daß die Masse der unbeschnittenen Proselyten es war, welche die Kerntruppen seiner Missions-gemeinden bildeten. Das Judentum hat in ihnen der christlichen Mission die Stätte bereitet. Für die christliche Mission waren freilich mit dem Proselyten -Kompromiß der Jerusalemiter die Schwierigkeiten auch rein äußerlich nicht erschöpft. Beide Teile, die Jerusalemiter Aeltesten sowohl wie Paulus, lavierten und taten unsichere Schritte. Die Frage der Kommensalität mit unbeschnittenen Proselyten war zwischen .Petrus und Paulus in Antiochia scheinbar im Sinn der Bejahung erledigt, dann aber, unter dem Einfluß des Jakobus war Petrus wieder zurückgewichen1). Paulus seinerseits aber beschnitt, im Gegensatz zu seinem Verhalten im Fall des Titus2), den Timotheus3), um ihm die Kommensalität kleinasiatischer Juden zu verschaffen. Die Jerusalemiten sind erst Schritt für Schritt und nur teilweise, Petrus offenbar nach dem Tode des Jakobus, auf den Standpunkt des Paulos übergetreten. Die gesetzestreu gebliebene alte ebionitische Gemeinde Palästinas dagegen behandelte Paulos als Apostaten. Der entscheidende Grund, welcher das Entgegenkommen der Führer der Jerusalemiten erzwang, war, wie die Quellen ergaben4), die Erfahrung: daß die Konvertiten aus dem Heidentum vom Geist ebenso und mit den gleichen Erscheinungen befallen wurden, wie die jüdischen Christen. Deshalb konnte ihnen, nach Ansicht des Petrus, bei dessen Predigt in Cäsarea sich dies ereignete, die Taufe und Gleichstellung nicht

M a x W e b e r, Religionssoziologie III.

Die Pharisäer. [441]


verweigert werden. Unabhängig vom historischen Wert der Einzelheiten ist die Grundtatsache sicher richtig und beleuchtet scharf die große Wandlung: im Judentum würde der prophetische Geist durch Messung seiner Verkündigung am Gesetz kontrolliert und darnach abgelehnt oder angenommen worden sein. Für das alte Christentum waren der Geist und seine Zeichen und Gaben ihrerseits Maßstäbe für den erforderlichen Umfang der Bindung an das jüdische Ritual. Zugleich aber ist wohl klar: daß dieser „Geist“, das Pneuma von wesentlich anderer Dynamik war als der ruach - ha - kodesch des korrekten Judentums.

Die Konkurrenz des Judentums und Christentums um die Proselytenmission erhielt ihren Abschluß seit deln ersten und endgültig dem zweiten Tempelsturz unter Hadrian, nachdem besonders in dem letzten Kriege zahlreiche Proselyten an den Juden Verrat geübt hatten. Niemals waren innerhalb der jüdischen Gemeinden Bedenken gegen das Proselytenmachen ganz verstummt. Jetzt gewannen sie zunehmend die Oberhand.

Die Aufnahmebedingungen für Proselyten wurden geregelt und die Annahme an die Zustimmung eines vollbesetzten Rabbinenhofs gebunden. Die Ansicht tauchte auf, daß die Proselyten „für Israel so lästig wie der Aussatz“ seien. Die Zahl der Konversionen nahm unter dem Druck der judenfeindlichen Stimmung ab. Die Kaiser schritten ein: da die Konversion amtsunfähig machte, konnte sie nicht geduldet werden. Dio Cassius berichtet von scharfen Gesetzen schon unter Domitian. Die Beschneidung von Nichtjuden wurde verboten und der Kastration gleichgestellt. Nicht nur die Vollkonversion, sondern ebenso und vielleicht noch mehr die Halbkonversion nahm schnell ab: schon im 3. Jahrhundert scheinen die ger - toshab selten gewesen zu sein und später galt die Annahme: ihre Existenz sei nur schriftgemäß gewesen, so lange Israel als Staat bestanden habe. Unter den christlichen Kaisern wurde selbstverständlich die Propaganda (398 n. Chr.) ebenso wie das Halten christlicher Sklaven, welches diese der Versuchung, Proselyten zu machen, aussetzte, unbedingt untersagt. Die Verbotsgesetze Domitians dürften sicherlich der christlichen Propaganda zugute gekommen sein, die überall das Erbe des Judentums antrat. Die sehr starke Verschärfung der Beziehungen zwischen Judentum und Christentum, wie sie schon die, je nach dem Alter, verschiedene Stellungnahme der

Nachtrag. Die Pharisäer. [442]


Evangelien1), vollends aber die spätere Literatur zeigt, ist zuerst wesentlich von jüdischer Seite herbeigeführt worden. Die Juden, als religio licita, benutzten die prekäre Lage der nicht durch die ihnen gegebenen Privilegien gegen die Kaiserkultpflicht gedeckten Christen, um durch Denunziationen die Staatsgewalt gegen sie in Bewegung zu setzen. Sie galten daher den Christen als die Urheber der Verfolgung. Die von beiden Seiten aufgerichtete Schranke wurde nun unübersteiglich: die Zahl der jüdischen Konvertiten zum Christentum ist sehr schnell gesunken und war praktisch etwa seit dem 4. Jahrhundert gleich Null, vor allem innerhalb der breiten Schichten des Kleinbürgertums, schon ehe die Finanzinteressen der Fürsten im Mittelalter diesen die Konservierung der Juden wünschenswert erscheinen ließ. Das Ziel der Judenbekehrung ist vom Christentum sehr oft, in aller Regel aber nur mit dem Munde verkündet worden, und jedenfalls blieben die Versuche der Mission ebenso wie die Zwangsbekehrungen zu allen Zeiten und überall gleich erfolglos. Die Verheißungen der Propheten, Abscheu und Verachtung gegen die christliche Vielgötterei, vor allem aber die, durch eine beispiellos intensive Erziehung der Jugend in einer rituell ganz fest geordneten Lebensführung geschaffene, überaus feste, Tradition und die Macht der fest geordneten sozialen Gemeinschaften, der Familie und der Gemeinde, die der Apostat verlor, ohne gleichwertigen und sicheren Anschluß an die Christengemeinden in Aussicht zu haben, dies alles ließ und läßt die jüdische Gemeinschaft in ihrer selbstgewählten Lage als Pariavolk verharren, solange und soweit der Geist des jüdischen Gesetzes, und das heißt: der Geist der Pharisäer und spätantiken Rabbinen ungebrochen weiterbestand und weiterbesteht.

[VII] [443]






Inhaltsübersicht.


Seite

Vorwort zum dritten Band . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V

Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen.

Das antike Judentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1 - 400

I. Die israelitische Eidgenossenschaft und Jahwe. 1 - 280

Vorbemerkung: das soziologische Problem der jüdischen Religionsgeschichte 1. - Allgemeinge-

schichtliche und klimatische Bedingungen 8. - Die Beduinen 13. - Die Städte und die gibbo-

rim 16. - Die israelitischen Bauern 27. - Die gerim und die Erzväterethik 34. - Das Sozial-

recht der israelitischen Rechtssammlungen 76. - Die Berith 81. - Der Jahwebund und seine

Organe 86. - Heiliger Krieg, Beschneidung, Nasiräer und Nebijim 99. - Rezeption und Charak-

ter des Bundeskriegsgottes 126. - Die nicht jahwistischen Kulte 149. - Der Sabbat 159. - Baal

und Jahwe. Die Idole und die Lade 165. - Opfer und Sühne 173. - Die Leviten und die Thora 181.

- Die Entfaltung des Priestertums und das Kultmonopol von Jerusalem 186. - Der Kampf des

Jahwismus gegen die Orgiastik 200. - Die israelitischen Intellektuellen und die Nachbarkul-

turen 207. - Magie und Ethik 233. - Mythologema und Eschatologien 240. - Die vorexilische

Ethik in ihren Beziehungen zu der Ethik der Nachbarkulturen 250.

II. Die Entstehung des jüdischen Pariavolkes . . . . . . . . .281 - 400

Die vorexilische Prophetie. Politische Orientierung der vorexilischen Prophetie 282. - Psycho-

logische und soziologische Eigenart der Schriftpropheten 292. - Ethik und Theodizee der

Propheten 314. - Eschatologie und Propheten 336. - Die Entwicklung der rituellen Abson-

derung und der Dualismus der Innen- und Außenmoral 351. - Das Exil. Hesekiel und

Deuterojesaja 370. - Die Priester und die konfessionelle Restauration nach dem Exil


Nachtrag.

Die Pharisäer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .401 - 442

Der Pharisäismus als Sektenreligiosität 401. - Die Rabbinen 408. - Lehre und Ethik des

pharisäischen Judentums 417. - Der Essenismus, sein Verhältnis zur Lehre Jesu 423. -

Zunehmende rituelle Absonderung der Juden 434. - Proselytismus in der Diaspora 436. -

Propaganda der christlichen Apostel 439.



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[V] [444]


Vorwort zum dritten Band.


Der Verfasser hat die im ersten Band dieser Schriften zusammengefaßten Aufsätze noch überarbeitet und namentlich die Abhandlung über die chinesischen Religionsformen erheblich ergänzen können. Die im zweiten und dritten Band enthaltenen Schriften sind dagegen fast unverändert wie in der ersten Fassung geblieben. Die Vollendung dieses Werkes war dem Verfasser nicht vergönnt. Er wollte das antike Judentum noch durch die Analyse der Psalmen und des Buches Hiob ergänzen und dann das talmudische Judentum darstellen. Ein fertiger Abschnitt über das Pharisäertum, der dazu überleitet, fand sich im Nachlaß und ist diesem Bande als Nachtrag beigefügt. Dann sollten Abhandlungen über das Frühchristentum und den Islam den Kreis schließen. Die Vorarbeiten dafür waren längst gemacht.

Max Weber, zu dessen Wesen die souveräne und entsagungsvolle Gelassenheit gegenüber dem eignen persönlichen Schicksal gehörte, würde vielleicht auch jetzt, wie häufig früher, sagen:


»Was ich nicht mache, machen andere.«



München, Oktober 1920.

Marianne Weber.

















* ) Die Religion Israels und des Judentums ist Gegenstand einer Literatur, deren wirkliche Beherrschung mehr als die Arbeit eines Menschenlebens erfordert. Vor allem auch, weil sie qualitativ überaus hoch steht. Für die altisraelitische Religion ist dabei die moderne protestantische Forschung, insbesondere die deutsche, anerkanntermaßen führend gewesen und bis heute geblieben. Für das talmodische Judentum ist die bedeutende Ueberlegenheit der jüdischen Forschung im ganzen nicht zweifelhaft. Wenn hier eine Darstellung der für unsere Problemstellung wichtigen Seiten der Entwicklung versucht wird, so müssen die Hoffnungen, dabei selbst irgend etwas Wesentliches zur Förderung der Erörterung beitragen zu können, von vornherein auf ein äußerst bescheidenes Maß herabgestimmt werden. Allein abgesehen davon, daß sich an der Hand des Quellenmaterials hie und da auch jetzt vielleicht noch manche Tatsachen in der Art der Betonung anders einordnen lassen, als es zu geschehen pflegt, ist naturgemäß auch die Fragestellung in einigen Punkten eine etwas andere als,


. berechtigterweise, bei den alttestamentliehen Forschern. Eine wirkliche Schädigung hat bisher die rein historische Betrachtung hier, wie aberall, wo das gleiche der Fall ist, nur durch das Hineintragen von Werturteilen in die rein objektive Analyse erlitten. Fragen wie die: ob die mosaische Gotteskonzeption oder die mosaische Ethik (gesetzt, wir könnten ihre Inhalte eindeutig feststellen) „höher“ stehen als die der Umwelt, kann jedenfalls eine rein empirische, historische oder soziologische, Disziplin nicht beantworten. Sie sind nur von qegebenen religiösen Prämissen aus überhaupt aufzuwerfen. Ein nicht ganz unerheblicher Teil auch der rein empirischen Arbeit an den Problemen der israelitischen Religionsgeschichte aber ist in der Methode der Behandlung dadurch stark beeinflutit. Die Frage kann natürlich so gestellt wer-den: ob bestimmte israelitische Konzeptionen 1. gemessen an den sonst in der Entwicklung der Religionen zu findenden Stufenfolgen mehr oder weniger altertümlich („primitiv“), oder 2. mehr oder weniger intellektualisiert und (im Sinn des Abstreifens magischer Vorstellungen) rationalisiert, oder 3. mehr oder weniger einheitlich systematisiert, oder 4. mehr oder weniger gesinnungsethisch gewendet (sublimiert) erscheinen als die entsprechenden Konzeptionen der Umwelt. Es können die Anforderungen, welche z. B. die dekalogische Ethik stellt, mit denen andrer entsprechender Gebilde verglichen und, soweit beide im einzelnen unmittelbar parallel laufen, festgestellt werden, welche Anforderungen dort fehlen, die anderwärts gestellt sind und umgekehrt. Ebenso kann die Gotteskonzeption und die Art der religiösen Beziehung zum Gott auf den Grad des Universalismus, der Abstreifung anthropomorpher Züge usw. bei der ersteren, der Vereinheitlichung und gesinnungsmäßigen Wendung bei der letzteren geprüft werden. Dabei ergibt sich z. B. leicht, daß die israelitische Gotteskonzeption weniger universalistisch und anthropomorpher ist als die ältere indische und daß die dekalogische Ethik in wichtigen Anforderungen nicht nur gegenüber der indischen (vor altem der jainistischen) und zarathustrischen, sondern auch gegenüber der ägyptischen, bescheidener ist, daß ferner gewisse zentrale Probleme (z. B. die der Theodizee) in der israelitischen, gerade der prophetischen, Religiosität nur in einer relativ höchst „primitiven“ Form auftreten. Aber mit schlechthin unbestrittenem Recht würde sich ein gläubiger Jude (oder Christ) dagegen entschieden verwahren: daß damit auch nur das allergeringste über den religiösen „Werte“ jener Konzep- tionen ausgemacht sei. Jede rein empirische Arbeit behandelt selbstverständlich die Tatsachen nnd Urkunden der israelitisch - jüdisch - christlichen Religionsentwicklung ganz genau so wie die irgendeiner anderen, sucht die Urkunden zu interpretieren und die Tatsachen zu erklären nach schlechthin den gleichen Grundsätzen wie jene andern, weiß daher von „Wundern“ und „Offenbarungen“ hier so wenig etwas wie dort. Aber im einen wie im anderen Fall ist es gleich ausgeschlossen, daß sie irgend jemandem verwehren wollte oder auch nur könnte, die Tatsachen, welche sie empirisch, so weit dies nach Lage der Quellen möglich ist, zu erklären sucht, als „Offenbarungeng“ zu bewerten.

Alle alttestamentliche Arbeit fußt heute, auch wo sie noch so weit von ihm abweicht, auf den großartigen Arbeiten J. Wellhausens (den „Prolegomena zur Geschichte Israels“, der „Israelitischen und jüdischen Geschichte“ und von den andern Arbeiten vor allem der „Komposition des Hexateuch“), der seinerseits die seit de Wette, Vatke, Graf nie wieder verlassenen, von Dillmann, Reuß u. a. fortgeführten Methoden zu höchster systematischer Vollendung brachte und virtuos handhabte. Seine zentrale Vorstellung von der Art der Entwicklung der jüdischen Religion dürfte wohl mit dem Ausdruck „immanent


. evolutionistisch“ am ehesten zu kennzeichnen sein. Die eigenen, inneren Entwicklungstendenzen der Jahwereligion bestimmen, wenn auch natürlich unter dem Einfluß der allgemeinen Schicksale des Volks, den Gang der Entwicklung. Die auffallende Leidenschaftlichkeit, mit welcher er sich gegen die glänzende Arbeit Ed. Meyers (Die Entstehung des Judentums, Halle 1806) wehrte, obwohl dieser Schriftsteller ihm in hohem Maße gerecht geworden ist, erklärt sich aus dieser letztlich doch wohl religiös bedingten Prämisse. Denn die Arbeit Ed. Meyers stellt wie bei einem Universalhistoriker der Antike zu erwarten das konkrete historische Schicksal und Ereignis (in diesem Fall: eine bestimmte politische Maßregel der persischen Politik) in den Vordergrund der kausalen Zurechnung und bevorzugt also eine, in diesem Sinn, „epigenetische“ Erklärung. Für die zwischen beiden erörterte Frage dürfte heute Ed. Meyer nach der so gut wie allseitigen Meinung im Recht geblieben sein. Eine „evolutionistische“ Behandlung der israelitischen Religionsgeschichte kann namentlich dann leicht auf den Boden von Voraussetzungen treten, welche die unbefangene Erkenntnis trüben, wenn sie - was übrigens gerade bei Wellhausen nicht zutraf - die Ergebnisse der modernen Ethnographie und vergleichenden Religionswissenschaft für die konkrete Religionsentwicklung Israels dogmatisiert also annimmt: jene magischen und „animistischen“ Vorstellungen welche fast über die ganze Welt hin bei „primitiven“ Völkern beobachtet werden, müßten auch in der Religionsentwicklung Israels am Anfang stehen und erst in deren weiterem Verlaufe den „höheren“ religiösen Konzeptionen Platz gemacht haben. Die Schriften von Robertson Smith (deutsch: „Die Religion der Semiten“) und die zum Teil glänzenden Arbeiten sowohl alttestamentlicher wie anderer Gelehrter haben zwar zweifellos, wie übrigens zu erwarten, namentlich innerhalb der rituellen Gebote und der Mythen und Legenden Israels auf Schritt und Tritt die Analogien mit zahlreichen sonst beobachteten magischen und animistischen Vorstellungen dargetan. (Daß man freilich auch Beweise für „Totemismus“ in Israel hat finden wollen, darüber hat sich Ed. Meyer mit Recht lustig gemacht.) Allein darüber wurde zuweilen vergessen, daß Israel zwar als eine bäuerliche Eidgenossenschaft sein geschichtliches Dasein begann, aber (ähnlich etwa der Schweiz) inmitten einer Umwelt mit längst entwickelter Schriftkultur, Städteorganisation, See- und Karawanenhandel, Beamtenstaaten, Priesterwissen, astronomischen Beobachtungen und kosmologischen Spekulationen. Dem ethnographischen Evolutionismus trat daher der kulturgeschichtliche Universalismus vor allem der assyriologischen Gelehrten in radikalster Form der sog. „Panbabylonisten“, entgegen. Die Vertreter dieser Geschichtsauffassung, Gelehrte vom Range Schraders (vor allem: Die Keilinschriften und das Alte Testament, neue Auflagen von H. Winckler) und H. Wincklers (vor allem: Geschichte Israels in Einzeldarstellungen, 2 Bde.) und der noch radikalere Jensen, in vorsichtigerer Art gelegentlich auch der weit maßvollere aber immerhin das „Prinzip“ dieser Betrachtung wahrende A. Jeremias (außer dem „Handbuch der altoriental. Geisteskultur“, 1913 vor allem: „Das Alte Testament im Lichte des alten Orients“ 2. A. 1916) gingen hier sehr weit. Es hat an Versuchen nicht gefehlt, die Mehrzahl z. B. a11er Pentateuch - Erzählungen als astraltheologischen Ursprungs nachzuweisen oder etwa die Propheten zu Parteigängern einer internationalen vorderasiatischen Priesterpartei zu stempeln. Die Vorträge und Aufsätze von Fr. Delitsch trugen dann den sog. „Babel - Bibel - Streit“ in breite Kreise. Von ernsthaften Forschern dürfte nun heute wohl kaum noch, wie es zeitweise geschah, versucht werden, die israelitische Re-



. ligion aus babylonischen Astralkulten und babylonischem priesterlichem Geheimwissen abzuleiten. (Von ägyptologischer Seite wäre als eine extreme Parallele solcher Exzesse etwa die, wie mir scheint, gründlich verfehlte Schrift von D. Völter, Aegypten und die Bibel Leiden 1903, zu nennen, mit welcher die sehr vorsichtigen Arteiten W. Max Müllers, vor allem „Asien und Europa“ und die später teilweise zu zitierende Spezialliteratur zu vergleichen sind.) Wenn in der nachfolgenden Darstellung auch von den als unbezweifelbar anzuerkennenden Ergebnissen der „panbabylonistischen“ Arbeiten wenig die Rede ist, so keineswegs aus Geringachtung, sondern lediglich deshalb, weil für uns die praktische Ethik Israels im Vordergrunde steht und für das Verständnis dieser jene kulturhistorisch wichtigen Beziehungen, welche die Panbabylonisten interessieren, wie sich zeigen wird, nicht die ausschlaggebenden sind. Die Wirkung ihrer Thesen auf die Forschung war aber eine sehr bedeutende. Durch sie wurde die israelitische Religion zu einer Abwandlung der benachbarten Kulturreligionen gestempelt. Das mußte auf die Fragestellungen der Alttestamentler zurückwirken. Da sich starke Einwirkungen vor allem babylonischer, aber auch ägyptischer Kultur auf Palästina unmöglich in Abrede stellen lassen, hatte die alttestamentliche Forschung, unter der Führung namentlich Gunkels, inzwischen schon ihrerseits an dem Entwicklungsschema Wellhausens erhebliche Korrekturen vorgenommen. Die Tatsachen der Durchsetzung der israelitischen Religiosität mit magischem und animistischem Vorstellungsmaterial einerseits, die Zusammenhänge mit den benachbarten großen Kulturkreisen andererseits traten nun deutlicher hervor und die Arbeit konzentrierte sich auf die in Wahrheit entscheidende Frage: worin denn nun die schließlich doch unbezweifelbare Eigenart der israelitischen Religionsentwicklung gegenüber jenen teils allgemein verbreiteten, teils durch konkrete Kulturzusammenhänge bedingten Gemeinsamkeiten beruhe und weiter: wodurch diese historische Eigenart bedingt sei. Aber alsbald begann wieder die Verflechtung mit den durch eigne religiöse Stellungnahme bedingten Wertungen. Die „Einzigkeit“ wurde bei einem Teil der Forscher alsbald wieder zum einzigartigen Wert, und der Nachweis galt z. B. etwa einer These wie der: daß schon die Leistung des Mose eine an religiösem und sittlichem Wertgehalt alle Gebilde der Umwelt „überragende“ Schöpfung gewesen sei (Beispiele dieses Typus dürften am besten manche Arbeiten des übrigens sehr verdienten Baentsch darbieten, denen namentlich Budde entgegengetreten ist). Wenn so die Forschung im einzelnen gelegentlich durch Wertungen von der rein historisch - empirischen Feststellung des Tatbestandes abgelenkt wurde, so sind die Ergebnisse der glänzenden Arbeit der Alttestamentler für die Kritik der Ueberlieferung doch derart gewesen, daß auch die konservativsten Gelehrten sich ihnen nicht mehr haben entziehen können. Die Schwierigkeit einwandfreier positiver Feststellungen liegt namentlich in den für einen Nichtphilologen in aller Regel nicht nachprüfbaren Kontroversen über den oft gerade in den wichtigsten Partien verderbten oder in unbekannten Zeiten interpolierten und emendierten Text der Quellen. Oft hängt die Entscheidung auch an dem größeren oder geringeren Radikalismus des Zweifels an der Authentizität jener Nachrichten, an deren Verfälschung irgendein Interesse der priesterlichen Redaktoren sich knüpfen konnte. Der Nichtfachmann wird im ganzen gut tun, alle jene Nachrichten, für die nicht entweder nach der übereinstimmenden Ansicht der maßgebenden philologischen Fachleute aus sprachlichen oder aber nach ihrem eigenen Inhalt aus zwingenden sachlichen Gründen eine Verfälschung anzunehmen ist, zunächst einmal hypothetisch daraufhin anzusehen: ob sie nicht trotz allem


. als Mittel historischen Verständnisses brauchbar sind. Das Maß von in diesem Sinn „konservativer“ Behandlung der Quellen ist bei den einzelnen alttestamentlichen Forschern ein sehr verschiedenes, neuerdings aber in Reaktion gegen extreme Skepsis in einem vielfach wohl schon etwas zu weitgehenden Steigen begriffen. Auf einem ganz extrem konservativen Standpunkt steht z. B. das übrigens ganz ausgezeichnete ausführlichste Werk von Kittel, Geschichte des Volkes Israels (2 Bde. in 2. Auflage 1909 bzw. 1912). Von anderen modernen Darstellungen sei zur Einführung etwa die kurzgefaßte „Geschichte des Volkes Israel“ von H. Guthe (2. Aufl. 1904), der gute Abriß von Valeton in Chantepie de 1a Saussaye's Lehrbuch der vergl. Rel. Gesch. (1897) und das die außenpolitische Entwicklung sehr übersichtlich gliedernde Werk von C. F. Lehmann - Haupt: „lsrael. Seine Entwicklung im Rahmen der Weltgeschichte“ (Tübingen 1911) genannt. Neben dem Werk von Kayser -Marti wird man die Religionsgeschichte von Smend dankbar benützen. Für die wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiet der ältern israelitischen Geschichte besonders unentbehrlich ist aber bei aller Kritik Ed. Meyers Schrift (mit Einlagen von L u t h e r): Die Israeliten nnd ihre Nachbarstämme (Halle 1906). Für die inneren und Kulturverhältuisse ist neben den Kompendien der hebräischen Archäologie von B e nz i n g e r (1893) und Nowack (1894) auch die Schrift von Frants Buhl (Die sozialen Verhältnisse der Israeliten) brauchbar. Zur Religionsgeschichte ist neben B. Stades im einzelnen oft anfechtbarer, aber überaus gehaltvoller und gedrängter „Biblischer Theologie des A. Test.“ (I, 1905, II, von Bertholet, 1911) beachtenswert, weil ebenfalls sehr präzis formuliert, das posthume Werk von E. Kautzsch (Die bibl. Theologie des A. T. 1911). Zur Religionsvergleichung die von Greßmann in Verbindung mit Ungnad und Ranke herausgegebene Sammlung: Altorientalische Texte und Bilder zum Alten Testament 1909 (war mir während der Durchsicht des Mannskripts leider nicht zugänglich). Von den zahlreichen Kommentaren zum A. T. ist für den Nichtfachmann der von K. Marti in Verbindung mit Benzinger, Bertholet, Budde, Duhm, Holzinger, Wildeboer herausgegebene besonders angenehm zu benutzen. Sehr verdienstlich und zum Teil ganz ausgezeichnet ist die auch auf weitere Kreise berechnete, (daher teilweise etwas zu freie, vor allem auch nicht vollständige, nach Quellenschriften, Gegenständen und chronologisch gegliederte) moderne kommentierte Uebersetznng der „Schriften des A. T.“ von Greßmann, Gunhel, Haller, H. Schmidt, Stärk, Volt (1911 - 14, noch in Fortsetzung begriffen). - Einzelzitate anderer Arbeiten nachstehend an den betreffenden Stellen. Die Literatur und


. zwar auch die qualitativ erstklassige Literatur ist derart umfangreich, daß im allgemeinen nur da zitiert ist, wo ein besonderer sachlicher Grund dazu vorlag. Es schien mir in diesem Fall die Gefahr nicht groß, daß durch eine Unterlassung der Anschein erweckt würde, als beanspruchte ich, hier „neue“ Tatsachen und Auffassungen vorzutragen. Davon ist keine Rede. In gewissem Umfang neu sind einige der soziologischen Fragestellungen, unter denen die Dinge behandelt werden.


1) Ueber die Naturbedingungen Palästinas sind neben den allgemeinen Werken über Palästinakunde die zahlreichen Aufsätze in der „Zeitschrift“ und den „Mitteilungen und Nachrichten des Deutschen Palästinavereins“ zu vergleichen. Ueber das antike Klima (Talmudzeit) H. Klein Z. D. P.V. 37 (1914) 127. ff.


1) lm Josua - Buch (15, 19) gibt Kaleb, der Hebron zugeteilt erhalten hat, seiner Tochter als Mitgift „Mittagsland“ (erez ha negeb) und fügt auf ihre Bitte „Quellen oben und unten“ hinzu. - Das anbaufähige Land im Gegensatz zur Steppe heißt „sadeh“.


2) S. dazu namentlich die Beobachtungen Schumachers in seinem Reisebericht aus dem Ostjordanland, abgedr. in den Mitt. u. N. d. D.P. V 1904 ff.


1) Darüber jetzt die vortreffliche Arbeit von R. Leonhard: die Transhumanz im Mittelmeergebiet (in d. Festschr. für L. Brentano, München 1916)


1) Beste meteorologische Beobachtungen jetzt von F. Exner Z. D. P. V. 33 (1910) S. 107 ff.


2) Fellachensprichwörter und Gebete, gesammelt von Dr. Cana'an, Z. D. P. V. 36 (1913) S. 285, 291.


1) Ueber die Frage, ob das Land Kanaan diese Bezeichnung verdient haben kann und was sie bedeutet, herrscht Streit. S. darüber aus der letzten Zeit z. B. Kraus Z. D. P.V. 32, S. 151, der das „Fließen“ nach seiner Interpretation talmodischer Quellen buchstäblich, als Zusammenlaufenlassen von Ziegenmilch mit Fruchthonig aus Datteln, Feigen, Trauben verstehen wollte. Dagegen Simonson ebenda 33, S. 44, der mit Recht es als bildlich gemeint ansieht. Ebenso Dalman M. u. N. D. P. V. 1905 S. 27: „Kuchen so süß wie Honig“, im Anschluß an die heutige Interpretation der palästinischen Juden. Dalman hält Palästina für von jeher vieharm. Hiergegen (die m. W. beste Abhandlung) L. Bauer (ebenda S. 65), der auf den Milchreichtum noch in der Gegrwvart hinweist (Butter und Milch die wichtigsten Nahrungsmittel) und den Honig auf Traubenhonig deutet, welch letztere Annahme aber D a 1 m a n (ebenda 1906 S. 81) als für das Altertum irrig nachweist: damals sei Dattelhonig die wichtigste Honigart gewesen. Häusler (Z. D. P.V. 35, 1912 S. 186) zweifelt, ob der Reichtum an Honig immer bestanden habe. Allem auch in den Amarnabriefen (Nr. 55 von Knudtzons Ausgabe) findet sich Honig als Deputat einer ägyptischen Garnison. Der Honig, welchen der flüchtige Aegypter Sinuhe in der Zeit Sesostris I. neben Feigen-, 0e1- und Weinanbau als im Retenuland reichlich vorhanden erwähnt, war vielleicht ebenfalls Dattelhonig. Das Manne schmeckt (Ex 3, 13) wie Brot mit Honig. Wenn Palästina nach der Verwüstung durch die Assyrer wieder wie die Steppe sein wird, wo statt der Weinstöcke Dornen und Hecken stehen, dann werden die übrig gebliebenen Frommen Rahm und Honig essen, wie einstmals, verkündet Jesaja (7, 22. 23). Deshalb wird auch das Heilandskind Immanuel Rahm und Honig essen (7, 15). Das erinnert an die Nahrung des Zeusknaben auf Kreta: Rahm und Honig. Deshalb wird die rein eschatologische Deutung des Ausdrucks als Götterspeise von Greßmann (Die israelit. Eschatologie S. 207 f., s. auch die das. unten angeführte Literatur) bevorzugt. Immerhin ist die Götterspeise eben doch wohl die ideale Menschenspeise der Reichen in einem Steppengebiet.


1) „Ein Gemeinwesen ohne Obrigkeit“, Göttinger Kaiser - Geburtstagsrede 1900.


1) So macht ein Retenenuschech im Lande östlich von Byblos (dort scheint nach den neueren Annahmen der Schauplatz zu suchen zu sein), der Gebiete mit Wein-, 0e1- und Feigenanbau beherrscht, den flüchtigen Aegypter Sinube zu seinem Beamten und belehnt ihn mit Land.


1) J. Hell, Beiträge zur Kunde des Orients V. S. 161 ff. (auch zum Vorhergehenden).


1) „Ismaelitische“, also: beduinische. Händler kaufen den Joseph seinen Brüddern ab. Gen. 37, 25.


1) Von zahlreichen Burgen des Königs Hiskia, die er gebrochen habe, berichtet in seinen Inschriften Sanherib. Von Burgen Hiskias erzählt auch die Chronistik, ebenso von zahlreichen Grenzburgen Rehabeams. Die Garnisonen werden Burglehen gehabt haben. Von den Städten der Amarnabriefe waren ein Teil offensichtlich nur derartige Burgen. Burgen besaßen auch die charismatischen Häuptlinge, so David und in der Frühzeit Abimelech.


1) Vgl. W. Max Müller Jew. Quart. R. N. S. 4 (1913 /4) S. 65.


2) Das bitu von Tyrus wird (Knudtzon Nr. 89) von dem bitu des vom Pharao eingesetzten Regenten unterschieden. Der Pharao wird vom Briefschreiber darauf aufmerksam gemacht, daß nicht der Regent, an den er sich immer wende, sondern jene Kreise, die das Stadthaus beherrschen, für die Politik von Tyros maßgebend seien. Der Regent wird später erschlagen.


1) Wenn (Knudtzon Nr. 129) „Große“ einer Stadt erwähnt werden, so bleibt es fraglich, ob Beamte oder patrizische Sippenälteste gemeint sind, aber jedenfalls beeinflußt die stadtsässige Bevölkerung die Politik. Die Leute von Dunip erbitten (Nr. 50) vom König einen bestimmten Mann als Statthalter. Ihrem Statthalter, einem Kanaanäer, sperrt, in Gemeinschaft mit dessen abtrünnigem Bruder, die stadtsässige Bevölkerung von Byblos die Tore. Anderwärts macht sie gemeinsame Sache mit den im Lande vordringenden Feinden: den Regenten droht der Tod. Die Stadt geht verloren, wenn die ägyptische Garnison infolge Ausbleibens der Lebensmitteldeputate oder Verweigerung der Fron auf den Dienstleben der Statthalter und Soldaten abzieht oder etwa ihrerseits revoltiert. So glaube ich die Nr. 177, 37, Nr. 138, Nr. 77, 36, Nr. 81, 33, Nr. 74, Nr.


1125 und öfter berührten Verhältnisse verstehen zu müssen, in teilweiser Abweichung von O. Webers vortrefflicher Interpretation in Bd. II der von Knudtzon besorgten Ausgabe. Daß es sich bei den wegen Lebensmittelmangel abziehenden Leuten um „Bauern“ handle, scheint mir ganz unwahrscheinlich. Zwar ist der gebrauchte Außdruck der gleiche, der in Mesopotamien den „Colonen“ (im Gegensatz zum vollfreien Patrizier) bezeichnet. Aber die  des Pharao waren eben der Masse nach mit sehr kleinen Leben („Infanteristenlehen“) beliehene Leute und die „huubschtschi“ der Urkunden sind doch wohl damit leiturgisch bewidmete Militärpfründner, wie sie sich in Vorderasien und Aegypten typisch finden. Das Feld, d. h. das Lehen, des Statthalters ist in Nr. 74 infolge von Verweigerung der Fronden unbestellt geblieben und deshalb leidet er Not. Ebenso geht es der Garnison und deshalb fällt sie ab. Die Garnisonen sind an Zahl offenbar sehr klein: 50 und weniger Mann Besatzung fordern die Statthalter gelegentlich neu an. Klein sind die Verhältnisse überhaupt: ein Rindertribut des Fürsten von Megiddo beträgt 30 Stück. Unwahrscheinlich ist es, daß unter den Leuten, welche (Nr. 118, 36) die Stadt den Feinden ausliefern, die Bauern zu verstehen seien: wie sollten gerade sie das machen ? stadtsässige Leute sind es, die in Byblos und sonst den Abfall bewerkstelligen. Ich kann auch darin O. Weber (a. a. O. S. 1178) nicht beitreten: daß in Tyros und anderen Städten die Aristokratie ägyptisch, der Demos aber der ägyptischen Herrschaft feindlich gewesen sei. Ein machtvoller Demos hat damals selbst in den größeren Städten schwerlich bestanden. Es waren doch wohl die Patrizier, d. h. stadtsässige am Handel beteiligte reiche Sippen, welchen die Leitorgien und Steuern der ägyptischen Herrschaft lästig waren. Erhebliclhe Geldzahlungen kommen in den Urkunden vor.


) Knudtzon Nr. 290: eine Landstadt im Gebiet von Jerusalem ist abgefallen. Nr. 288 wird erwähnt, daß der Vizekönig von Jerusalem früher Schiffe auf dem Meer gehalten habe. Auf welchem ? Meines Erachtens auf dem Schilfmeer im Süden. (Der Abfall von Seir in Edom wird erwähnt.) Die Karawanenstraßen nach dem Schilfmeer haben die Jerusalem beherrschenden Fürsten stets in die Hand zu bekommen versucht. Die Herrschaft der Stadt erstreckte sich also weit in die Wüste.


1) Außer Jos. 15, 45 - 47 werden nur Dörfer (zerim), nicht außerdem noch Städte, als Dependenzen von Städten aufgeführt. Indessen wo von „Töchtern“ die Rede ist, ist sicher eine Dependenzstadt gemeint, nicht ein Dorf. Vgl. über den ganzen Sachverhalt Sulzberger, Polity of the ancient Hebrews, Jewish Quarterly Review N. Sec. (1912/ 13) p. 17, Für die viehzüchtenden Ostjordanstämme

1(Ruben) ist charakteristisch, daß stets von „Geschlechtern, Städten und Töchtern“ geredet wird. Hier war zur Zeit der Redaktion diese Organisation noch nicht voll durchgeführt.


) Es scheint mir die einzige Lücke in Eduard Meyers (sowohl in: „Die Israeliten und ihre Nachbarstämme“ wie in „Entstehung des Judentums“) vorzüglichen Ausführungen, daß diese durch die ganze Frühantike bis zur „Demokratie“ sich hinziehende Scheidung nicht betont ist. Nicht alle freien Grundbesitzer waren in den antiken Staaten, zumal den Stadtstaaten, Aktivbürger oder gar politisch gleichberechtigt, sondern nur die ökonomisch voll wehrfähigen; das waren in Israel die gibbore chail. Es gab in den vollentwickelten israelitischen Stadtstaaten sicherlich auch freie israelitische Grundbesitzer, die zu diesen nicht gehörten und daher wie die hellenischen Periöken und die römische Plebs außerhalb des Vollbürgerschaft standen.


1) „` Am“ und „gibborim“ nebeneinander finden sich in der ziemlich verderbten Stelle des Deboraliedes (Jud. S. 13). Wenn man Kittel's Lesart annimmt und am Schluß kaggibborim liest, wie Greßmann vorschlägt, ergibt sich ein klarer Sinn, der aber voraussetzt, daß `am und gibborim zweierlei sind, letztere „Ritter“, erstere die israelitischen Bauern (cf. dafür Vers 11 und 14), die „wie Ritter“ gekämpft haben, aber es eben nicht sind. Dagegen scheint die Stadt Meros (nach Vers 23) die Verpflichtung gehabt zu haben, dem Bunde mit Rittern (gibborim) zu Hilfe zu kommen und es ist charakteristisch, daß das Siegeslied zwar diese Stadt, aber nicht die doch ebenso wie sie bundesbrüchigen bäuerlichen Stämme verflucht und also des Banns und der Vernichtung im heiligen Krieg für wert hält. Ganz regelmäßig ist gibbor, wie in Gen. 6 oder in den Listen der Paladine Davids, der ritterliche Recke. Farblos ist der namentlich im Josuabuch, aber auch in den Königsbüchern heimische Ausdruck 'am hamilchamah, „Kriegsvolk“. Jos. 10, 7 wird es neben „gibbore chail“ gebraucht. Als zweierlei dürften gibbor und `am hamilchamah wohl Jos. 3, 3 nebeneinander auftreten. Als die ansche chail erscheinen aber die gibborim Jos. 6. 22, und daß keineswegs alle Kriegsleute schon als solche gibborim sind, zeigt Jer. 5, 16, wo von dem zur Strafe Judas herbeikommenden fremden kriegerischen Volk gesagt ist, sie seien alle „gibborim“, d. h. in diesem Fall: trainierte Krieger. - Wie überaus kostspielig die Rüstung eines gibbor in der Zeit der Entstehung des Samuelbuchs war, zeigt die Goliath - Erzählung. Er bedarf eines Schildträgers, wie er auch für Saul erwähnt wird.


1) Daß die „40 000“ in Israel (Jud. 5, 8) als gibbore chail gegolten hätten, wie Ed. Meyer annimmt, erscheint ausgeschlossen. Im Deboralied werden gibborim gerade dort nicht, sondern bei der Stadt Meros erwähnt.


1) Der Gegensatz ist nicht absolut. Im babylonischen Sintflutmythos werden Volk und „Aelteste“ einer Stadt vorausgesetzt (Uebersetzung bei Gunkel, Schöpfung und Chaos S. 424 Zeile 33) und andererseits heißt Chamor der „Vater“ Sichems, freilich wohl nur als Geschlechtseponymos. Ein einzelner Aeltester schon in den alten Texten aus Ur: N. d. Genouillac, Textes jurid. d. 1'ep. d'Ur. Rev. d'Assyr. 8 (1911) p. 2.


1) Hierüber und über die Aeltesten überhaupt die gute Leipziger Dissertation von Seesemann. Die Aeltesten im A. T. (1891). Auf den Gegensatz innerhalb des Deuteronomium hat zuerst Puukko in der später zu zitierenden Schrift über dies Rechtsbuch S. 237 hingewiesen.


1) „Fünfzigern“ gleich „Mustern“ Exod. 13, 18; Jud. 7, 11; Jos. 1, 14; 4, 12 (vgl. Ed. Meyer a a. O.)


2) Tausendschaften Orten gleichgesetzt: Jud. 6 (für Ophra).


3) Ueber schebatim, mischpachoth und alaphim s. Sulzberger, The polity of the ancient Hebrews, Jewish Q. R. N. S. 3 (1912/ 3) p. 1 f. mit manchen anfechtbaren Aufstellungen.


1) Die „Tausendschaften“ scheinen auch bei den Edomitern und im Ostjordanland heimisch zu sein. Gideon spricht von seiner „Tausendschaft“, dagegen Abimelech und Saul von ihrer Mischpaeha (Ed. Meyer). Allein die Gideon - Tradition ist notorisch stark überarbeitet und die Militärverfassung des charismatischen Königreichs der Edomiter würde nichts Sicheres für die ursprünglich charakteristische Organisation der Nomaden und Halbnomaden beweisen. Ed. Meyer selbst bringt ja die Tausendschaft mit dem Kleros (chelek) in Verbindung, welcher der Stadtsässigkeit eigen ist.


1) So für die ostjordanischen damals längst verschwundenen Stämme I. Chron. 6, 18.


2) So für Benjamin I. Chron. 9, 40


1) David ist des Panzers ungewohnt, dagegen Goliath ein gepanzerter Ritter.


2) Im Gegensatz zu Klamroth's (Die jüdischen Exulanten in Babylonien, Beitr. z. W. v. A. T. 10, 1912, Exkurs S. 99 f.) Annahme kann ich nicht glauben, daß `am haarez ursprünglich nur entweder den „Ortsangesessenen“ oder den „Untertanen“, und zwar teils „in verächtlichem Sinn“, teils jedenfalls im Gegensatz gegen König, Hierarchie und Aristokratie bezeichnet habe, also: den „Pöbel“. Richtig ist, daß außer den Priestern der König (und die Fürsten) und die Beamten und Offiziere von ihnen unterschieden werden. Sie sind die „Mannen“, und zwar die landgesessenen, ursprünglich wehrhaften Mannen. Aber zu ihnen werden offenbar vor allem zuch die landsässigen Vollsippen gezählt, der „Landadel“ also, wenn man den Ausdruck verwenden will. Denn das - und nicht beliebige führerlose „Bauern“ - sind die Leute, die (Esra 4, 4) den Bau in Jerusalem hindern und die Esra 3, 3 als `ammê haarezoth, als Mannen der verschiedenen Landgebiete, erwähnt werden. Die vorexilische und exilische Bedeutung ist allerdings bei der ungenauen Ausdrucksweise der Quellen nicht leicht sicher festzustellen. Im Munde des Pharao in dem vermutlich spätem Zusatz zur jahwistischen Darstellung des Aufzugs aus Aegypten (Ex. 5, 5) heißt der Aus-


. druck einfach: „das Volk“ (Israel). Sonst ist in der älteren Literatur der Sitz des Ausdruckes teils das 2. Königsbuchs, teils Jeremia und Hesekiel. Bei diesen beiden Propheten ist die Stellung zum `am haarez ausgeprägt unfreundlich. Eine eherne Mauer soll Jeremia (1, 18) gegen König, Beamte, Priester und `am haarez sein wenn sie gegen ihn sich wenden sollten, lautet die Zusage Jahwes bei seiner Berufung. Bei Hesekiel (22, 29) schindet der `am haarez den „Armen“ (ebjon) und den ger; er wird also als ein Mann von sozialer Macht vorgestellt. 2. Kön. 25, 19 wird ein Offizier Zedekias erwähnt, der `am haarez zu drillen, hat und 60 von diesen finden die Babylonier in der Stadt und führen sie mit nach Babylon ab. Unmittelbar vorher, bei der Belagerung Jerusalems, heißt es (2. Kön. 25, 3), daß der `am haarez nichts mehr zu essen gehabt habe - wie von der Garnison der Amarnabriefe - und anschließend daran (25, 20), daß die `am hamilchamah, die Kriegsleute, aus der Stadt geflohen seien. Man fühlt sich versucht, in den `am haarez die vom Lande her ausgehobene und ausgebildete freie Kriegsmannschaft gegenüber den in königlicher Menage befindlichen Kriegsleuten (Söldnern vor allem) zu finden. Dies bleibt freilich unsicher. Aber an der berith unter Zedekia wegen Freilassung der Schuldsklaven war nach dem Bericht Jer. 34 19 nahen Fürsten, Beamten, Priestern auch „der ganze `am haarez“ beteiligt, es scheint also doch unter ihnen Schuldsklavenhalter gegeben zu haben, wie die Hesekiel - Stelle nahelegt. „der ganze 'am haarez“ jubelt dem König Joas zu (2. Kön. 11, 14), bricht die Baal - Altäre ab, der `am haarez erschlägt Amons Mörder (des. 21, 24) und setzt nach Josias Tod den Joahas zum König ein (23, 30). Die Sühnopferordnung ordnet nacheinander das Sühnopfer für die ganze Gemeinde, einen Fürsten, endlich einen `am haarez (Lev. 4, 27). Mithin ist der Sprachgebrauch zweifellos sehr unpräzis. Oft wird es in der Tat nur „Volk“ heißen sollen. Aber keinesfalls ist `am haarez ursprünglich der „Untertan“ oder der Pöbel im Gegensatz zum Vornehmen oder gar der „törichte Bauer“. Die unwissenden Bauern heißen bei Jeremia (5, 4) dallim und bei Jesaja (2, 9) heißt der


1Bauer „adam“ im Gegensatz zum „isch“ dem „Mann“ im Sinn von isch hamil chamah dem Kriegsmann“. Sondern es sind Voll - Israeliten, offenbar die wesentlich landsässigen alten Heerbannpflichtigen (von denen die Grundbesitzer der Städte nicht geschieden werden). Der Theorie galten sie nach wie vor als die Träger der Wehrmacht und daher der politischen Rechte. In dem Rückschlag gegen die vermutlich jahwistische Revolte gegen Amon sind sie offenbar Interessenten der ländlichen Kultstätten.


) So pflegen die Ausdrücke übersetzt zu werden: E. Meyer hat für toschab die Uebersetzung „Klient“ vorgeschlagen. Aber Klient setzt ein Verhältnis zu einem einzelnen Herrn voraus und das ist in den Quellen für toschab nicht sicher nachweisbar. In den Rechtsbüchern heißt, scheint es, gerade der Klient des einzelnen Hauses „ger“ (Ex. 23, 12). Abraham wird mehrfach ger we toschab


. genannt, ohne als Klient eines Einzelnen gedacht zu sein. Der toschab eines Priesters soll ebensowenig wie sein Arbeiter Heiliges essen (Lev. 22, 10): in dieser Ritualbestimmung läge an sich eine Deutung auf einen Klienten nahe. Allein es scheint sich gerade um einen nicht Haushörigen zu handeln wie es der „sakhir“, ein freier Tagelöhner im Gegensatz zum `ebed, dem Knecht, auch ist, der mit dem toschab, hier wohl: dem Inquilin, zusammen genannt wird. Lev. 25, 47 ist toschab, hier mit dem gar zusammen genannt, der reichgewordene freie Metöke. Was der ursprüngliche rechtliche Sinn jedes der beiden in den Quellen oft kumulativ gebrauchten Ausdrücke war, scheint nicht mehr feststellbar.


1) Man hat freilich geglaubt, in den jüdischen 'am haarez eine Art von althebräischem Parlament sehen zu können. Dafür wird (von Sulzberger und besonders von Sloush, „Representative government among the Hebrews and


1Pheniciens“ Jew. Quart. R. N. S. 4 (1913) p. 302 ff.) die Analogie der `am Zor, 'am Zidon und 'am Karthachdeschoth auf lyrischen, sidonischen und karthagischen Münzen angeführt und die nach dem Beginn der Herrschaft der `am rechnenden Aeren. Die am sind in diesen Fällen Familienhäupter, wohl zweifellos aber Vertreter nur der stadtsässigen patrizischen Sippen. Wie in Jerusalem nach Nehem. 10 die Unterzeichner des religiösen Bundes, bildeten sie anscheinend eine geschlossene Zahl, was dafür spricht, daß es sich um einen oligarchischen Wehrverband handelt, wie er in hellenischen Städten vor der Zeit der Demokratie ebenfalls vorkommt.


) Rituell betrachtet verhalten sich freilich die hasmonäischen Heroen von Anfang an ziemlich inkorrekt. Im Gegensatz zu dem frommen Volk, welches (I. Makk. 2, 29) in die Wüste flieht und sich am Sabbat abschlachten läßt (Vers 38), beschließt Matthatias mit seiner Gefolgschaft, auch am Sabbat zu kämpfen (Vers 41), Sehr schnell nach der Befreiung galten die Hasmonäer den eigentlich Frommen als verwerfliche Hellenisten.


1) Es könnte dies, soweit Bauernland und nicht die, vielleicht bestehenden, Kriegerlose in Betracht kamen, recht gut als eine interne Angelegenheit des einzelnen Dorfs gegolten haben. Man erinnere sich, daß auch Hesiods Familie stammfremd nach Böotien kam, dennoch aber der Dichter dort Grundbesitzer - technisch: ein „Periöke“ - wurde.


1) Die Stellung des hier noch nicht mit in die Erörterung einbezogenen Priesterstamms Levi in den „Levitenstädten“ der Tradition zeigt am besten, wie sich die Tradition die normale Lage eines Metöken vorstellte.


1) Nach der Art der Begründung des Sabbatgebots in Nehemias Zeit, bei welcher die Unterbindung des Wochenmarktverkehrs die Hauptsache ist, war die Bestimmung damals zweifellos im Interesse der Israeliten (gegen unlautere Konkurrenz der Nichtjuden) und nicht der Fremden selbst erlassen. Aehnlich schon Amos und Jeremia. In älterer Zeit, wo die Ruhe der Ackerarbeit der allein entscheidende Sinn war, konnte dies freilich anders sein.


1) I. Chron. 4, 21: „Haus der Byssosarbeit“. Sie sind in Sippen gegliedert und gelten, neben anderen, als Nachfahren eines Sohnes Judas, charakteristischerweise aber ohne eigenen Eponymos. Die Abstammung von Juda dürfte also nachexilische Fiktion sein.


2) I. Chron. 4, 22. 23: Joas und Saraph, die in Moab Familienhäupter (baalim) waren und „nach alten Berichten Lachern bewohnten. Sie waren Töpfer und wohnten in umzäunten Gärten beim König für dessen Arbeit“. Sie hatten also Dienstleben.


3) Joab, Serujas Sohn, heißt I. Chron. 4, 14 „Vater des Tals der Zimmer


1leute“, eines Stadtteils von Jerusalem. Die Zirnmerleute scheinen also als Kolonen auf seinem Grundbesitze zu sitzen. Oder aber (und wahrscheinlicher) er gilt als ihr Patron und hat diese Patronage als königliche Pfründe. Bei ihnen fehlt die Angabe über gentilizische Gliederung.


) Die Tradition ist höchst fragwürdig. Die Notiz in Vers 22, daß er im Gegensatz zu den Kanaanäern alle Israeliten nur als Kriegsleute (ansche hamilchamah) und Offiziere oder Beamte verwendet habe, ist tendenziös im Interesse der israelitischen Plebejer. Die Fronpflicht auch der gemeinfreien Untertanen ergibt sich klar aus I. Kön. 5, 12, wo die Israeliten 30 000 Arbeiter zu stellen haben. Jene Notiz zeigt aber allerdings, daß damals der nichtwehrfähige u n d nicht am freien Grundbesitz beteiligte Mann ein für allemal kein Israelit, sondern ein ger war.


1) Nach I Chron. 23, 1 hätte David aus sämtlichen gerim des Landes Steinmetzen für den Tempel-bau ausgehoben. Wahrscheinlich waren umgekehrt die Steinmetzen Königshandwerker und eben deshalb gerim.


1) Knudtzon Nr. 196.


1) Knudtzon Nr. 185.


2) Knudtzon Nr. 74.


3) Die Zugehörigkeit der Chabiru zu den Sa Gaz ist nach dem Bhogaz köi- Fund nicht mehr fraglich.


4) Ueber die Bedeutung der „Schafnomaden“ für den Jahwekult s. jetzt Luther bei Ed. Meyer (Die Israeliten u. ihre Nachbarst.) S. 120 f.


1) Sie ist neuestens von R. Leonhard (die Transhumanz im Mittelmeergebiet, in der Festschrift für Brentano) in verdienstvoller Art erstmalig zusammenfassend behandelt worden.


1) Auch Jer. 6, 3 werden die Feinde, deren Kommen prophezeit wird, mit Hirten verglichen, die ihre Zelte rundum aufschlagen und sich Weideplätze aussuchen.


1) Der ostjordanische Held Jerubbaal - Gideon drischt Weizen: Jud. 6, 11.


1) Für diese zu Unrecht gelegentlich bestrittene Identität: Num. 24, 21. 22.


1) Jud. 4, 17. Der zweite Halbvers kann freilich, wie mehrfach angenommen wird, Einschiebung sein, beweist dann aber eben für die Zustände zur Zeit seiner Entstehung.


1) Den hatte nach der Tradition (Jud. 18, 1) lange Zeit keinen festen Wohnsitz im Lande. Im Deboralied verdingen sich die Laniten den Phönikern als Ruderknechte. Die Tradition nennt diesen Stamm mehrfach nur „Sippe“. Dem Jakobsegen ist er ein Räuberstamm, der „wie eine Schlange auf den Karawanenstraßen liegt und das Pferd in die Ferse beißt“, dem Mosessegen ein „aufspringender Löwe in Basen“, also im Hauran. Wahrscheinlich zur Zeit des ersten Vordringens der Philister, wohl schon vor der Deboraschlacht, haben die Daniten ihre damaligen Zeltstätten, das „Lager Dans“ im Gebirge Jude, mit ihren militärischen Kräften (nach der Tradition 600 Mann) nicht behaupten können - vermutlich waren die Philister, gegen welche der danitische Held Simson focht, die Gegner, doch sind die betreffenden Oertlich-keiten später in judäischem Besitz -; sie wanderten daher nach Norden und ließen sich nach Einnahme und Ausmordung der sidonischen Bergstadt Lajis in dieser nieder. Auf diese nach ihm benannte Stadtgemeinde ist Dan später beschränkt und als Stamm nur noch fiktiv. Daß die Stadt Dan als religiös besonders korrekt galt, macht es wahrscheinlich, daß die Tradition über das Wanderleben die Wahrheit berichtet. Denn religiöse Korrektheit setzt sie für alle alten Hirtenstämme voraus. Aus einem zweiten Spruch im Jakobsegen hat man wohl mit Recht geschlossen, daß Dan zeitweilig seiner politischen Selbständigkeit beraubt gewesen sei. Ausdrücklich berichtet das gleiche der Jakobsegen von dem im Mosessegen als ein in Zelten wohnender Stamm nur kurz erwähnten Issachar als Folge des Uebergangs zur Seßhaftigkeit: „Als er sah, wie schön die Ruhe und wie lieblich das Land sei, beugte er seinen Rücken zum Tragen und wurde ein Fronknecht“, also zweifellos: ein seßhafter Bauer: Issachar saß wenigstens teilweise in der fruchtbaren Ebene Jesreel. Der Stamm Naphthali heißt im Jakobssegen „eine flüchtige Hindin“, war also wohl ein Halbbeduinenstamm (wenn nicht ein bloßes Wortspiel mit dem Namen getrieben sein sollte). Nach dem Deboralied hat er seine Sitze auf den Bergen, während der Mosessegen ihn als von Jahwe gesegnet am Meeresstrande seßhaft und im Besitz einer Stadt (Merom) erwähnt. Der gleichfalls an der Meeresküste sitzende Stamm Asset, dessen durch Oelbau gewonnener Reichtum sprichwörtlich war, scheint im Jakobsegen einem phönikischen Stadtkönig für den Tafelbedarf zinsbar zu sein. Im Mosessegen werden dagegen seine Festungen (Riegel von Erz und Eisen) und sein starkes Heer gerühmt. Der Stamm Sebulon muß in der Zeit zwischen der Entstehung des betreffenden Spruchs im Jakobsegen und des Deboraliedes seinen Wohnsitz gewechselt haben (im Mosessegen Vers 18 scheint die Lesung verfälscht). Im Jakobsegen sitzt er am Meer und „lehnt sich an Sidon“ d. h. doch wohl: ist von den Sidoniern abhängig, während er im Deboralied ein kriegerischer Bergstamm ist. Der Stamm Benjamin ist im Jakobsegen ein Räuberstamm: „ein reißender Wolf, der morgens Raub frißt und abends Raub austeilt“. Im Mosessegen ist er zu Ruhe und Frieden gelangt. Der Stamm Gad scheint später (zu Mesas und Ahabs Zeit) ein moabitischer Stamm gewesen zu sein. Sein Name war wohl der eines alten Glücksgottes.


1) In der heutigen Lesung teilweise verkehrt.


1) Vgl. zur Frage jetzt: v. Gall Die Entstehung der humanitären Forderungen des Gesetzes, Zt. Altt. Wiss. 30 (1910) S. 91 f., der den (an sich unzweifelhaften) superstitiösen Ursprung auschließlich betont. Die Frage ist aber: warum blieb die sonst in Kulturländern verschwundene Bestimmung hier erhalten ?


1) Die Rabbinen von Jerusalem hatten sich für die Geltung des Gebots ausgesprochen. Das gleiche hatten, wenn ich mich recht erinnere, deutsche Instanzen getan. Dagegen sollen die ostjüdischen Rabbinen die Besiedelung des Landes für so gottwohlgefällig erklärt haben, daß von der alten Vorschrift dispensiert werden könne.


1) Ueber die Erzväterlegenden jetzt (zum Teil gegen Ed. Meyer) Greßmann, Sage und Geschichte in den Patriarchensagen G. f. Altt. Wiss. 30 (1910) S. 9I f., der die meisten unter die Kategorie „Märchen“ rückt, was angesichts der alten Kultorte, mit denen sie verbunden und an denen sie lokalisiert sind, wohl zu weit geht. Aber mit Recht tritt er der Meinung entgegen, daß die Namen notwendig entweder Heroen- oder Stammesnamen sein müßten.


2) Dreimal: Gen. 12, 13; 20, 2; 26, 7.


1) Denn so ist doch wohl „isch sadeh“ („Mann des Ackerfeldes“ Gen. 25, 27) zu übersetzen und nicht, wie heut mehrfach: „der Mann, der sich auf der Steppe (was sadeh nicht bedeutet) herumtreibt“.


2) Wie Abel dem Bauern Kain so wird der sanfte Jakob dem rauhen


1Bauern Esau gegenübergestellt als „frommer Hirt, der in den Zelten blieb“. Und wie Kain andererseits zum Beduinen wird, so ist Esau andererseits ein gieriger Jäger.

) Man mißverstehe das Folgende nicht. Die Entstehung der einzelnen heutigen Erzvätererzählungen selbst wird wohl mit Recht in ein hohes Alter hinaufgerückt. Manches spricht dafür, daß sie teils unter der Herrschaft der Cheta in den Steppen zwischen Syrien und Mesopotamien, teils unter ägyptischer Herrschaft in den. südjudäischen Steppen entstanden. Zu jeder Zeit gab es natürlich Viehzüchter in der spezifisch ohnmächtigen und pazifistischen Lage, welche sie voraussetzen. Aber das Entscheidende: ihre Beziehung auf die Stammväter des Jahwebundes Israels ist unbedingt spät, weil ganz und gar unvereinbar mit den - gerade wenn man an die „Eroberung“ Kanaans durch Israel glaubt - althistorisch vorauszusetzenden Vorgängen. Manche Erzväter - Erzählungen


. machen unhistorische Voraussetzungen, so die Kamelschenkung des Pharao an Abraham, da das Kamel damals in Aegypten noch nicht bekannt war. Stammväter des gesamten Israel konnten die Erzväter erst nach der Einigung des Reichs, also nach David, werden. Vor allem scheint der ursprünglich lokale Charakter der Vätersagen durch ihre Verknüpfung mit je einer bestimmten Kultstätte gesichert.


1) Die spätjüdische Tradition freilich glaubt in einem Dorf bei Samaria mit dem „Jakobsbrunnen“ das Gen. 48, 22 gemeinte Grundstück zu erkennen (Ev. Joh. 4, 5), Die jetzige Redaktion der Ueberlieferung weiß jedenfalls von Landeroberungen Jakobs überhaupt nichts zu berichten. Dieser Zug wurde also getilgt.


2) Das in seiner heutigen Fassung sehr späte Kapitel trägt alte Reminiszenzen zu einer historischen Fabel zusammen. Daß es aber geradezu ein in Babylon zu hochpolitisch - legitimistischen Zwecken fabrizierter Staatsroman sei (so Asmussen Z. f. A. W. 34, 1914) erscheint mir allzu unwahrscheinlich. Archivstudien zur Eruierung der Namensform elamitischer Könige konnten die Israeliten der Exilszeit nicht wohl machen. Und die Namensform Kudur (Kedor) Laomer ist echt.


3) Ueber die Erzväter und die Einwanderungsfrage jetzt auch: Weinheimer in der Z. D. M. G. 1912 (nicht alle Aufstellungen scheinen annehmbar beachtenswert aber, was über die Stufenfolge der drei Erzväter vom „Nomaden“ Abraham bis zum „Bauer“ Jakob gesagt ist).


1) Luther (bei Ed. Meyer, Die Israeliten und ihre Nachbarstämme) nimmt an, daß erst der Jahwist die ursprünglich als ansässige Ackerbauern geschilderten Erzväter absichtlich zu Halbnomaden gemacht habe, dem von Budde sog.


.„nomadischen Ideal“ der Prophetenzeit zuliebe. Ausgeschlossen ist auch eine solche Wandlung an sich gewiß nicht. Unwahrscheinlich ist sie aber deshalb, weil doch viele charakteristische Züge der Erzählungen, namentlich ihre Ethik, offensichtlich inmitten von noch sehr unbefangenen Hirten entstanden sind. Der Ackerbau Isaaks in Gerar ist als „nomadisierender“ Anbau geschildert. Das vielbesprochene Vorkommen der Namen der Erzväter Abraham und Joseph in ägyptischen Inschriften scheint ziemlich zweifelhafte: W. M. Müller, M. D. V. A. G. 1907, I, S. 11 u. 23.


1) Darüber die bekannte Schrift von Baentsch über das Bundesbuch, und die gemeinverständliche Darstellung von Adalbert Marx in den „Religionsgeschichtl. Volksbüchern“.


1) Reste ähnlicher Auffassung finden sich in der altrömischen actio de paupere.


2) Anders in den späteren Rechtssammlungen, bei charakteristischen Abweichungen.


1) Die Art der Formulierung der Talion (Hammurapi § 196), der Gefährdung einer Schwangeren (§ 210), vor allem aber die Behandlung stößiger Rinder (§ 251) ist bei Hammurapi so ähnlich, daß ein Zufall ausgeschlossen ist. (Auch die Behandlung der von der kinderlosen Ehefrau dem Manne beigelegten Kebse (§ 145) stimmt genau mit der Hagar - Erzählung.)


2) Nur ist gegen Baentsch zu berichtigen, daß von geprägtem Geld im Bundesbuch keine Rede ist. Das Geld wird natürlich dargewogen. Aber, daß das kein „primitiver“ Zustand ist (wie Procksch meint), daran sollte, abgesehen von der alten, schon lange vor der eigenen Münzprägung Handelsverträge mit Uebersee abschließenden Handelsstadt Rom, der Umstand erinnern, daß z. B. eine Handelsstadt wie Karthago die Münze erst mit dem Uebergang zum ausländisch rekrutierten Soldheer annahm. Die ganze Handelsexpansion der Phöniker geschah ohne Münze.


3) Denn dies ist 21, 1 f. gemeint, sonst könnte die Bestimmung ja durch Weiterverkauf umgangen werden.


1) Juristisch sehr korrekt formuliert, da das Recht an der Mutter entscheidet.


2) Die Bestimmungen über das Sabbatjahr in ihrer jetzigen Fassung sprechen im Gegensatz zu denen über den Sabbattag wesentlich abstrakter von armen Stammesgenossen (ebjonej`am, - `am ist in den älteren Quellen der Ausdruck für die wehrhafte Mannschaft), denen die Früchte zugutekommen sollen. Dies und die doktrinäre Bestimmung: daß eventuell das Wild die Früchte fressen soll, macht spätere theologische Konstruktion wahrscheinlich.


1) Der später häufige Ausdruck „ribbith“ für Zins ist offenbar erst aus Babylonien übernommen worden. Dort war er aus der Begriffsphäre „Steuer“ oder „Untertanentribut“ in die privatrechtliche Sphäre eingedrungen, vermutlich, weil der ursprüngliche privatrechtliche Zins auch hier in der Regel kein fester Zins war, sondern ein Anteil an der Ernte oder am Gewinn. Lev. 22, 36, 37 kommt „marbit“ für „Wucher“ vor.


1) Darüber s. aus der neuesten Literatur namentlich A. F. Puukko,


. Das Deuteronomium (Beitr. z. W. v. A. T. ), welcher gerade diese Partien davon ausschließen möchte. Ich halte diese Annahme für einen Teil der Rechtssatzungen, nämlich für das sehr charakteristische Königsrecht, aus politischen Gründen für derart unwahrscheinlich (s. später), daß mir auch für andere Bestandteile dieses Abschnittes die Zugehörigkeit zu Josias Sefer hattorah sehr wahrscheinlich erscheint. Wellhausen (Komposition des Hexateuch S. 189 f.) hatte geradezu Kap. 12 - 26 als das Urdeuteronomium angesehen.


1) Eine Stadt der Gerechtigkeit soll Israel nach Jesajas Verheißung (1, 26) werden.


2) Dieser Name für die Sammlung Lev. 17 - 26 rührt bekanntlich von Klostermann her. Vorexi-lisch ist sie, weil ihr Grundstock anscheinend Priester und Leviten nicht scheidet, nachexilisch überarbeitet aber deshalb, weil (Lev. 21) der Hohepriester (mit gesonderten kultischen Reinheitspflichten) existiert und mehrfach eine kleine Kaltgemeinde vorausgesetzt wird (s. dazu aus neuerer Zeit: Puukko, Das Deuteronomium S. 49).


1) Die Priesterschrift zeigt ganz unverkennbare Beziehungen zu Hesekiel. Da aber die Aaroniden, nicht die Zadokiden (s. später) es sind, die sie auf den Schild hebt, ist sie sicherlich jünger, dem Esra näherstehend, als die Prophetie Hesekiels.


1) Nach Ruth 4, 3 beerbten zur Zeit der Redaktion dieser Legende auch Mütter ihre kinderlosen Söhne. Die ganze Erzählung ist freilich juristisch unpräzis.


2) Sulzberger a. a. O. ist, so viel ich sehe, der Einzige, der ähnliche Zusammenhänge vermutet. Nur hat er meines Erachtens eine ganz unwahrscheinliche Vorstellung von der Macht des israelitischen Bundes nach Innen, der doch nur intermittierend reagierte und gar keine Organe besaß.


1) Gerade die Derivate des Zeitworts nachal, welches „erben“, „zum Besitz erhalten“ und dessen Hiphil „zum Erben machen“, „das Erbe austeilen“, „in Besitz geben“ bedeutet, werden vom kanaanäischen Lande gebraucht; das „Erbe“ sowohl wie das „Besitztum“ heißen nachalah.


1) Höchst merkwürdigerweise hat noch ein so verdienter Forscher wie Procksch den Versuch gemacht, wenigstens für das Deuteronomium im Verhältnis zum Bundesbuch das gerade Gegenteil zu verfechten (Die Elohinquelle S. 263 ff.).


1) Darüber die in vielem von Nachstehendem abweichende Arbeit von Kraetzschmar, Die Bundesvorstellung im A. T. Marburg 1896 (war mir während des Abschlusses dieser Arbeit nicht zugänglich). Stade, der das erst späte Hervortreten der Bundesvorstellung behauptet, will letztlich nur sagen, daß die berith des Mose nicht die Form einer Gesetzgebung gehabt habe, was sicherlich zutrifft. Aber die beherrschende Bedeutung des berith - Gedankens wird sich stets erneut zeigen.


2) Knudtzon Nr. 67.


1) Die Münzumschrift der makkabäischen Priesterfürsten heißt: „kohen ha gedol w cheber hajjehudim“: „Hoher Priester und Genossenschaft der Juden“.


2) Im Krieg gegen Benjamin wegen des Frevels von Gibea. Sonst kommt das Wort namentlich bei Jesaia (47, 9. 12) für die Genossenschaften der Zauberer und der Räuber, bei Hosea (6, 9) für die Genossenschaft der Priester, Prov. 21, 9 und 25, 24 für die Hausgemeinschaft, in den Psalmen (119) für den Glaubensbruder vor. Das Wort wurde damals etwa gleichbedeutend gebraucht mit dem in der alten Tradition benutzten Ausdruck für Freund, Nächster: „rea`“, welches charakteristischerweise von ra`ah, „weiden“, Piel: re`ah, „zum Gefährten nehmen“, gebildet ist, also doch wohl von der Lagergemeinschaft der Beduinen- oder Viehzüchtersippen abgeleitet ist.


3) S. jetzt die Ausführungen von Böhl (Kanaanäer und Hebräer, Beitr. z. Wiss. v. A. T. 9. Lpz. 1911) S. 85. Die Identifikation mit `Ibrim scheint darnach doch möglich und wahrscheinlich. Jedenfalls fehlt aber der Begriff des „Glaubensbruders“ der vorisraelitischen Zeit nicht, wie ein später zu erwähnender Brief eines Kanaanäers aus dem 15. Jahrhundert zeigt. In der Anrede an den Mitisraeliten wird aber nicht der Ausdruck chaber, sondern anscheinend stets „ach“ (Bruder) gebraucht.


1) Abraham ist durch berith ein ger in Beerseba (Gen. 21, 31. 34): Isaak schließt einen Schwurbund mit Abimelech von Gerar (Gen. 26, 28). Abimelech erscheint dabei trotz der v. 31 betonten Beiderseitigkeit der Verpflichtung ganz ebenso allein als derjenige, welcher die berith „macht“ (26, 8) wie später Jahwe gegenüber Israel, weil in beiden Fällen der andere Teil der schwächere, minderberechtigte ist (Israel gar Jahwes !), Ebenso Israel gegenüber Gibeon ( Jos. 9, 6 ff.). Kraft Vertrages zeltet in der Deboratradition der Mann der Jael als ger auf kanaanäischem Königsgebiet. König Asa sendet kraft berith dem Benhadad Tribut (I. Kön. 15, 19); Ahab und der von ihm gefangene Benhadad schließen eine berith (I. Kön. 20, 34) wie Jonathan mit David (I. Sam. 18, 3; 20, 8); David mit Abner (2. Sam. 3, 12); Jabes erbittet eine solche von Nachas (I. Sam. 11, 1 ). In allen diesen Fällen handelt es sich wie zwischen Jahwe und Israel um ein „foedus iniquum“ zwischen Ungleichstehenden; dagegen ist die berith zwischen Jakob und Laben ein „foerius aequum“ (Gen. 31, 44). Das Völkerrecht, welches Tyros getragen hat, heißt (Amos 1. 4) „Bruderbund“ berith achim). Schon aus diesen Beispielen folgt aber unter allen Umständen, daß berith mit vollem Recht durch „Bund“ übersetzt wird und Kautzsch (Bibl. Theologie des A. T. S. 60) durchaus im Unrecht ist, wenn er diesen für die ganze altisraelitische Religion absolut zentralen Sinn leugnet. David wird 2. Sam. 5, 3 genau im gleichen Sinn durch berith mit den Aaltesten König von Israel wie früher Jahwe dessen Gott. Daß die Septuaginta berith mit , nicht mit , übersetzt, entspricht der Auffassung ihrer Zeit, nicht der althistorischen. Der Gotteskonzeption der priesterlichen Redaktion („P“), wie sie z. B. bei der Darstellung von Gottes Verheißung an Noah, Abraham, Pinehas (Num. 25, 12) zum Ausdruck kommt, entspricht allerdings die Auffassung von berith als einer einseitigen, nur durch besondere Feierlichkeit und äußere Zeichen verbürgten privilegartigen Zusage Gottes (Gen. 9, 10). (Vgl. dazu u. A. Holzingers Genesis - Kommentar S. 129 f., vor allem aber die sehr eingehenden Untersuchnngen des Sprachgebrauchs von Valeton Z. f. A.T. W. XII. X (1892) S. 1 f. 224 ) Für die Eschatologie gab es auch einen berith mit dem Tiere (Hor. 2, 18). lm Sinn von „Priveleg“ steht berith Nom. 18, 19, im Sinn von „Vorschrift“ („Salzberith“) Lev. 2, 13. Das Sinaigesetz nennt P niemals „berith“, während bei J der Horebbund und die berith auf den Gefilden Moabs typische bilaterale foedera sind. Den „ewigen Bund“, (berithgolam) hat Israel (nach Jesaja 24, 5) gebrochen. Der Ausdruck „karah berith“ entspricht, wie oft bemerkt ist, durchaus dem „foedus icere“,   der Römer und Hellenen. Bei Nehemia ist der Sprachgebrauch verblaßt und wird (Neh. 10, 1) amanah statt berith gebraucht.


1) Es bleibt freilich für das Bundesbuch sowohl wie für diese Bundesworte fraglich, auf welchen Bestandteil der Sammlungen sich die Ausdrücke der ältesten Tradition bezogen. Die a. a. O. jetzt Bundesbuch genannte früher besprochene Rechtssammlung wird in ihrem eigenen Text, in welchem das Wort „Bund“ gar nicht vorkommt, niemals so bezeichnet, während dagegen die rituellen Vorschriften Ex. 34 sich ausdrücklich als berith einführen und auch durch die Zweiseitigkeit der Versprechungen dem Charakter eines Bundes besser entsprechen als jene anderen Sammlungen, die im wesentlichen einseitige Vorschriften (mischpatim) enthalten. Die „Worte des Bundes“ Ex. 34, 28 identifiziert der vermutlich spätere Zusatz: „Die zehn Worte“ mit dem Dekalog. Aber ursprünglich bezog sich der Ausdruck offenbar auf die soeben erwähnten unmittelbar vorhergehenden rituellen Vorschriften (s. zu der ganzen Frage Baentsch a. a. O.).


2) Das betreffende Kapitel (27) des Deuteronomium gilt allerdings für eine junge Kompilation und Einschiebung. Aber das ursprüngliche Material dafür kann unmöglich jungen Ursprungs sein. Die starken Widersprüche des Berichts und die Repräsentation der 12 Stämme durch je einen Mann kommen wohl auf Rechnung des Redaktors, ebenso der unklare Wechsel des Standorts (auf dem Ebal oder unten im Tal bei Sichem). Das Fragment gilt wohl mit Recht als elohistischen Ursprungs


1) Die Schwierigkeit, daß der Bundesbaal einen Tempel hat, die Zeremonie aber anscheinend vom Hain (oder Gottesbaum) More ausgeht, ist wohl nicht unüberwindlich. Der Zusammenhang mit dem Kult in Hainen und auf Bergen spricht für das Alter und die Bedeutsamkeit der Zeremonie, welche, obwohl sie zur Zeit des Deuteronomium nur noch Reminiszenz sein konnte, doch von dessen allen jenen Kulten feindlichen Redaktoren nicht fortretouchiert worden ist. Möglich ist, daß ihr Sinn sich inzwischen dem Geist des Deuteronomium entsprechend gewandelt hatte: Ursprünglich wohl eine feierliche Dämonenverfluchung in Verbindung mit Anrufung des Gottessegens, dürfte sie für die Auffassung der damaligen Zeit die feierliche Abwälzung der religiösen Solidarhaftung des Volkes für die Sünder auf diese allein durch ihre feierliche Verfluchung bezweckt haben.


1) Allerdings hier durch eine berith „v o r“ Jahwe, nicht durch eine berith m i t Jahwe. Dies erklärt sich zwanglos aus der Fiktion, daß es sich nur um erneute Verpflichtung des einen Vertragsteils: des Volkes, auf den alten Bund mit dem Gott, den es nicht gehalten habe, handelte.


1) Der einseitige Treuschwur des Volkes unter Nehemia wird nicht berith genannt, sondern amanah (Neh. 10, 1).


1) Wie alt die Jahwefrömmigkeit bei den Kenitern ist, steht dahin. König (Z. D. M. G. 69, 1915) macht darauf aufmerksam, daß der erste sicher bezeugte kenitische Jahwe - Name der des Jonadab b. Rechab ist. Dieser Prophet spielte also vielleicht dort die Rolle des Mose.


2) Das Kainszeichen. Z. f. A.T. W. 14 (1894) S. 250 f.


1) Den Namen „Israel“ erhält Jakob im Mythos nach seiner berith mit Gott (Gen. 35, 10).


2) Spiegelberg in den Ber. der Berl. Ak. d. Wiss. 1896. Steindorf in der Z. f. A.T. W. 16.


1) Stade, Bibl. Theologie des A. T. (1905) S. 285 f.


2) Klostermann, Der Pentateuch (1907). Eingehend kritisiert von Puukko. Das Deuteronomium S. 176 - 202. K. sucht durch seine Hypothese den eigentümlichen schriftstellerischen Charakter des Deuteronomium verständlich zu machen. Es sei ein öffentlicher paränetischer Gesetzesvortrag gewesen. Der Vergleich der „Auffindungs“ - Geschichte mit den „Gesetzen“ Numas ist kaum sehr fruchtbar zu nennen.


1) Auch Micha (7, 3) eifert dagegen, daß der Richter nach Willkür der Fürsten urteile.


1) Chuk (und Chukah) bedeutet außer traditionellem Recht und traditioneller Sitte auch: Naturgesetz (im Hiobbuch und bei Jeremia). Die priesterliche Sprache besonders in Lev. und Num. braucht es für die göttliche Ordnung, oft mit Adjektiven im Sinn von „ewig“, unabänderlich“. Chuk und thora wird bei Amos (2, 4) und Jesaja (24, 5) zusammen benannt.


2) Der Chokek macht falsche Urteile (Chuk): Jer. 10, 1.


3) In der vorexilischen prophetischen Sprache ist diese Bedeutung leidlich rein festgehalten (Amos 6, 11 und später oft).


4) Gelegentlich findet sich neben mischpat und chuk auch „mischmereth“ (Gen. 26, 5). Das Wort bezeichnet ursprünglich „Geschäft“ im Sinn von: zugewiesene Arbeit und „Ordnung“, entstammt also bürokratischen Vorstellungen.


1) Die altbabylonische Ziviljustiz hatte sich aus der Tempeljustiz entwickelt. Darüber und über die Mitwirkung der Priester in neubabylonischer Zeit E. Cuq Essay sur 1'organis. judic. de la Chaldée Rev. d'Assyr. 7 (1910).


1) Ueber die mit diesem Umstand zusammenhängenden Einzelerscheinungen hat in ausgezeich-neter Art Schwally, Semit. Kriegsaltertümer, I (Der heilige Krieg im alten Israel, Leipzig 1901) gehandelt.


1) Doch ist gerade neuerdings Gunkel mit starken Gründen gegen Reitzenstein für die Universalität der Beschneidung in Aegypten eingetreten (Archiv f. Pap. Forschung II, I S. 13 f ). Die späte Notiz des Origenes, wonach die Priester die Hieroglyphen nur an Beschnittene hätten lehren dürfen, ist wohl nicht verwertbar. Die Notiz Jos. 5, 8 ergibt vielmehr klar, daß dem Verfasser die Beschneidung eine Angelegenheit des Heeres war: um dem Hohn der Aegypter zu entgehen, habe Josua sie vollzogen.


2) Die Beschneidung wurde in Aegypten nach den Denkmälern nicht im Kindes-, sondern im Knabenalter vorgenommen.


1) Die Sklavenbeschneidung war sicherlich eine Neuerung, was auch in der späten Erzählung vom Bunde mit Abraham (Gen. 17, 12) deutlich erkennbar ist.


2) Ohne Motivierung, als Bundeszeichen und als im Kindesalter vorzunehmen, wird die Beschneidung von den pazifistischen Erzväterlegenden durch einfachen Befehl Gottes an Abraham eingeführt.


3) Die Möglichkeit, daß das Passah ursprünglich eine Fleischorgie beduinischer Krieger gewesen sei, ist zu unsicher, um für die Deutung in Betracht zu kommen. Natürlich wäre es an sich wohl denkbar, daß die Umwandlung in ein häusliches Fest erst Folge der früher geschilderten Zersplitterung der Stämme der Viehzüchter mit steigender Siedelung gewesen sei. (Aehnlich E. Meyer, Die Israeliten pp. S. 38 f.) Aber die Bestreichung der Pfosten mit Blut und das Verbot des Blutgenusses scheinen zu zeigen, daß die Fleischorgiastik schon in älterer Zeit beseitigt war, wenn sie bestand.


1) Ein Widerspruch gegen die humanen fremdenrechtlichen Bestimmungen der älteren Rechtssammlung ist dies natürlich nicht, denn diese betreffen den ger, nicht aber den ganz Landfremden. Jene rituell geschiedenen Metöken sollte es aber eben jetzt gar nicht mehr geben.


1) Man unterhielt in Konstantinopel noch in später Zeit einige dieser nordischen Wilden, etwa so, wie man früher Kriegselefanten hielt. Die Frage, ob die Kriegsekstase bei den Berserkern planvoll durch Vergiftung herbeigeführt worden sei, wird jetzt meist verneint.


1) Der Talmud zeigt, daß Nasiroth und Perischot (wovon „Pharisäer“) damals dem Begriff nach identisch waren.


2) Daß Unterlassung der Haarschur und Alkoholabstinenz zwei verschiedene Arten von Kriegeraskese repräsentiert hätten, wie teilweise (Kautzsch) angenommen wird, scheint nicht sicher.


1) Für die Etymologie pflegt man das arabische naba': verkünden und den babylonischen Nabu, den Schreiber und Künder der Beschlüsse des Götterrats, heranzuziehen. Vgl. die Bedeutung des Berges „Nebo“, dessen Name wohl mit Nabu zusammenhängt. Mose sowohl wie Elia werden auf ihm bzw in seiner Nachbarschaft von Jahwe fortgerafft. Ueber die Prophetien der Zeit vor den Schriftpropheten jetzt zu vgl. Sellin, Der alttestamentliche Prophetismus, Leipz. 1912, S. 197 ff., und G. Hölscher, Die Propheten (1914). Vgl. Absch. II.


1) Vision und Audition sind natürlich nicht streng geschieden, sondern in verschiedener Art verknüpft. Von Hosea als erstem wird stets nur gesagt, daß das „Wort Jahwes“ (debar Jahwe) zu ihm kam. Amos berichtet von allerhand Bildern, die ihm dann durch Jahwe gedeutet werden (1, 1; 7, 1. 4. 7; 9, 1). Aehnlich gelegentlich noch bei Jeremia und, etwas anders, bei Hesekiel. Jesaja dagegen sieht nicht Bilder, die zu deuten sind, sondern er sieht und hört das, was er verkünden soll; oder er sieht Gottes Herrlichkeit und empfängt dann seine Befehle. Jedenfalls aber überwog die Bedeutung der Audition. Als „Seher“ heißt der Prophet choseh (die Derivate von chasah bedeuten später: „Nachtgesicht“). Näheres Abschnitt II

1) Micha (3, 5) wettert gegen jene Propheten, welche Heil weissagen, wenn man sie bezahlt und Unheil bei schlechtem Entgelt (wobei immer zu beachten ist: daß die Orakel als Omina mit magischen Folgen galten). Ebenso (3, 11) gegen das Geldnehmen der Propheten überhaupt.


1) Den viel umstrittenen Begriff deutet Wellhausen und nach ihm Hahn (Die biblische und die babylon. Gottesidee) relativ universalistisch: Jahwe ist Herr aller jener Geister, die in der Welt sind. Indessen ist doch die Beziehung zu kriegerischen „Scharen“ ganz unverkennbar.


1) Amos 7, 10. 13: Gegen den Propheten klagt der Priester von Bethel beim König Jerobeam wegen Erregung von Aufruhr an der Kultstätte und weist jenen dann aus „des Königs Heiligtum (mikdasch) und Haus (beth)“.


1) Im Zorn hat (Hosea 13, 11) Jahwe Israel den König (es handelt sich allerdings hier um die illegitimen Usurpatoren in Nordisrael) gegeben.


1) Vgl. dazu K. Budde, Die Schätzung des Königstums im A. T. (Marb. Ak. Reden Nr. 8, Marburg 1903).


1) Dagegen ist Schwallys Ableitung des Worts nadib für „Fürst“, „Edler“ von dem Sichweihen zum Krieg sehr fraglich. Nadib heißt der Fürst doch offenbar hier wie überall als „Gebender“, „Gabenspender“; nur das Hithpael könnte ja wie im Deboralied (Jud. 5, 1) die Bedeutung „sich hingeben“ haben (so auch, nach einer fragwürdigen Lesart, an einer anderen Stelle - Jud. 5, 9 - des Deboraliedes).


1) Mit Recht macht Hahn (Die biblische und die babylon. Gottesidee) S. 272 darauf aufmerksam, daß dieser Begriff schon als solcher auf dem Boden keiner andern Religion Vorderasiens wiederkehrt. Er ist eben nur aus dem alten berith - Verhältnis überhaupt erklärlich.


1) Darüber Küchler, Z. f. A.T. Wiss. 28 (1908) S. 42 f., der zugleich nachweist, wie seit der Zerstörung Jersualems dieser „Eifer“ sich bei Hesekiel nicht mehr gegen andere Götter und also gegen Israel, wenn es diesen dient, sondern nunmehr gegen die Feinde Israels kehrt.


2) Dies ist namentlich von Budde nachdrücklich betont worden (Das nomadische Ideal im älten Testament, Preuß. Jahrh. Bd. 85, 1896 und „Die altisraelitische Religion“).


1) Die Etymologie des Tetragrammaton Jhwh ist ebenso bestritten geblieben wie die Frage, ob es aus Jah (in Eigennamen vorkommend) und Jahu (oder Jao, - dem Namen, welchen die jüdische Gemeinde in Elefantine im 6. Jahrhundert braucht und der auch in theophoren Eigennamen erscheint) zu Jahwe ergänzt wurde oder ob umgekehrt Jahu und Jah Kurzformen des letzteren Namens waren. S. über diese Fragen und die masoretische Vokalisation außer der gangbaren Literatur auch J. H. Levy in der Jewish Quart Rev. XV. p. 97. Die Abteilung von dem babylonischen Ea (A. H. Krone ebenda p. 559) erscheint phan-

1tastisch. Daß die Namen auf ja in den Amarnatafeln oder die ähnlichen Bestandteile babylonischer Namen mit Jahwe zu tun haben sollten, ist im ganzen recht unwahrscheinlich. (Vgl. jedoch Marti in den Theol. St. u. Kr. 82, 1908, S. 321, und W. Max Müller, Asien und Europa S. 312/ 3.) Den Namen mit Hahn (Bibl. und babyl. Gottesidee) für ein Theologumenon des Mose zu halten („er ist gegenwärtig“) ssheint nicht möglich, da Jahwe nicht nur in Israel verehrt wurde.


) Jethro opfert dem Jahwe als sein Priester und Aaron und die Aeltesten Israels halten Tischgemeinschaft mit ihm.


1) Die Identität von Sa Gaz und Chabiru nehmen nach Wincklers Fund in Bhögazköi (M. d. D. O. G. 35, 25) jetzt die meisten Forscher, so Böhl (Hebräer und Kanaanäer) als erwiesen an. Immerhin ist es schwerlich Zufall, daß die Chabiru offenbar von Südosten, die Sa Gaz von Norden und Nordosten her angreifen und nur die letzteren in Mesopotamien genannt werden.


2) Dort wird der Schuldsklave als „hebräischer Knecht“ bezeichnet (Ex. 21, 2 ebenso im Seisachthiebeschluß Zedekias Jer. 34, 9 - 14 und Deut. 15, 12). Der Ausdruck stand hier vielleicht in Erinnerung an den Sprachgebrauch alter Seisachthie - Verträge des Stadtadels mit den Bauern im Gegensatz zum nicht „hebräischen“, das hieße in diesem Fall stadtsässigen, Patrizier. Auf ähnlichen Gründen könnte die an sich auffällige Unterscheidung der bei den Philistern verknechteten Stammesgenossen als „Hebräer“ von „Israel“ I. Sam. 14, 21 beruhen.


3) Eber ist Stammvater auch der Stämme in Arabien bis nach Yemen: Gen. 10, 21. 24 f. (jahwistisch). Die in ältere Zeit als die Priesterredaktion zurückgehenden Fälle der Verwendung von `Ibrim in der Genesis (Kap. 38 f.) und ebenso beim Auszug (Ex. 1, 15 f.; 2, 6 f.) und im Samuelbuch (4, 6 f.; 13, 3. 19; 14, 11; 29, 3) betreffen stets Beziehungen zu Aegyptern oder Philistern (dazu Böhl a a. O. S. 67). Auffällig ist, daß Num. 24, 22 (Bileamspruch) „Eber“ mit „Assur“ zusammen Unheil prophezeit wird.


1) Ueber Mose s. Volz, Mose (Tübingen 1907) und Greßmann, Mose und seine Zeit (Göttingen 1913). Gegen seine Deutung als „Medizinmann“ K ö n i g Z. D. M. G. 67 (1913) S. 660 f.


1) Abgesehen von der inneren Unwahrscheinlichkeit der Erfindung gerade dieser in der Tradition rein menschlichen Gestalt an sich wird die Geschichtlichkeit durch manche höchst auffälligen Züge der Ueberlieferung, welche auf unverstandene Reste alter Gegensätze schließen lassen, nur wahrscheinlicher. Der Name (Musi) findet sich unter levitischen Geschlechtern wieder (Ex. 6, 19; Num. 26, 58 u. öfter). Von Kindern des Mose weiß eine alte Tradition (Ex. 2, 22; 4, 20) und die danitische Priesterschaft wurde von ihm genealogisch abgeleitet. Aber die gesamte spätere priesterlich redigierte Genealogie kennt Nachfahren des Mose gar nicht. Nach Ex. 18, f. hat Mose seine Kinder mit seinem Weibe zu Jethro gesandt, der sie ihm dann in die Wüste nachbringt. I. Chron. 7, 1. 16. 17 bzw. 3 werden aber die Ex. 2, 22 als Kinder des Mose genannten Gersom und Eleasar als Kinder des Levi bzw. Aaron gerechnet (Eleasar ebenso schon Num. 26, 1 und dann öfter). Um Mose zum absolut reinen Leviten zu stempeln wird seinem Vater Amram (Ex. 6, 20 f.) dessen Nichte Jochebed zum Weibe gegeben. (Die Verwirrung in den Levitenstammbäumen zeigt sich besonders deutlich Num. 26, 57 verglichen mit 58.) Moses kuschitische Frau wird ihm vorgerückt. Die Zadokiden und Aaroniden hatten eben ein Interesse daran, daß ein auf Mose zurückgehendes blutreines Levitengeschlecht nicht existierte. Aegyptische Namen, wie Mose selbst einer ist, finden sich bei ihrem Hauptkonkurrenten, dem Elidengeschlecht (Pinehas). In der ganzen historischen Tradition und bei den Propheten sowohl wie der prophetisch stilisierten Chronistik spielt Mose freilich eine ganz auffallend geringe Rolle, was vielleicht mit der ursprünglichen Beziehung nur der nordisraelitischen Stämme (Ephraim) zur Dornbusch - Epiphanie zusammenhängt.

1) Die verschiedensten Körperteile Jahwes: Augen, Ohren, Nase, Lippen, Hand, Arm, Herz, Atem werden teils genannt, teils als vorhanden vorausgesetzt.


1) Es scheint, daß auch Kamos ein mehreren Stämmen gemeinsamer Gott gewesen ist.


1) Wen Amon (Breastead Records IV, S. 80) trägt dem König von Byblos vor: daß die Pharaonen (deren Silbersendungen der König von Byblos vermißt) nicht das haben leisten könne, was der Gott Amon zu leisten vermöge (der eben deshalb keinen materiellen Geschenke schicke), nämlich: Leben und Gesundheit zu verleihen (was freilich mit dem Hofstil des Alten Reiches nicht harmoniert). Auch der König von Byblos „gehöre“ dem Amon, dem zu gehorchen für jedermann Heil bringe.


2) Ueber die Unterschiede der Göttergestalten der Umwelt, insbesondere Mesopotamiens, von Jahwe, ausgezeichnet: Hahn, Die biblische und die babylonische Gottesidee Leipzig, 1913.


1) In Aegypten bedürfen die Götter im Gegensatz dazu der Nahrung


1durch das Opfer der Menschen (v. Bissing, Sitz.b. der Münchener Ak. d. W. Phil. - hist. K1. 1911 Nr. 6), ganz ebenso wie die Totenseelen.


) Zu allen diesen Zusammenhängen vgl. besonders Buddes Vortragszyklus über die altisraelitische Religion, der wohl am schärfsten die Bedingtheit des ethischen Charakters der Religion Israels durch den Charakter des Gottes als eines Wahlgottes gesehen und betont hat.


1) Gegen die sehr prononcierte Ansicht von Eerdmans (in den Alttest. Studien), wonach manche Teile des A. T. Jahwe überhaupt nicht kennen und spezifisch polytheistisch seien, s. Steuernagel in der Theol. Rundschau 1908, S. 232 f .


1) Im Herzen sitzt der Verstand, in den Nieren die Affekte.


1) In Aegypten ist Kai die „Lebenskraft“, also „Seele“ und zugleich die Nahrung, deren die Seele bedarf, um zu existieren. Sie entspricht der nephesch insofern, als sie es ist, die in das Totenreich geht. (v. Bissing, Sitzb. der Münch. Ak. d. W. Phil. - hist. K1. 1911 Nr. 6.)


1) Jedoch schwört Jahwe bei seiner „nephesch“.


2) Aus einer Vermischung der beiden dichotomischen Vorstellungen wäre also die spätere Trichotomie entstanden. Auch Kautzsch, der sich entschieden gegen die Trichotomie wendet, muß doch im Wesen der Sache ihre spätere Existenz zugeben.


3) Giesebrecht, Die alttestam. Schätzung des Gottesnamens und ihre religionsgesch. Grundlagen, Königsberg 1901.


1) Wenn Hiob seine Zuversicht darauf setzt, daß „sein Bluträcher lebe“, so meint er damit: daß Jahwe seinen durch die Verdächtigungen der Freunde


1angetasteten guten Namen wieder herstellen werde. Den Eunuchen, deren Zulassung zur Gemeinde - entgegen dem älteren, auf dem Gegensatz gegen die Königseunuchen beruhenden Verbot - Tritojesaja (56, 4. 5) ausspricht, stellt er „einen besseren Namen“, als durch Söhne und Töchter, in Aussicht, wenn sie die göttlichen Gebote erfüllen.


) Auch in Aegypten ist es der Name, der fortleben muß, nicht die Nachkommenschaft des Toten als solche. Der Kult liegt bei den Vermögenden nicht den Nachfahren, sondern den mit Pfründen bewidmeten Totenpriestern ob. Die Fortexistenz des Namens aber bedingt die Fortexistenz der Seele im Jenseits. Gerade diese nahe Verwandtschaft der Auffassung von der Bedeutung des Namens in Israel mit der in Aegypten beleuchtet das Tendenziöse der Ablehnung aller Jenseitserwartungen und Totenkulte nur um so stärker. - Dem Mißbrauch des Namens Jahwes entspricht die Strafe (Erblindung), welche Ptah nach einer Inschrift (im Brit. Mus.) wegen Mißbrauchs seines Namens verhängt hat. (Erman, Sitz.b. der Berl. Ak. d. Wiss. Phil. - hist. Kl. 1911, p. 1098 f.)


2) Ed. Meyers oft ausgesprochene Ansicht, daß die Totenopfer nicht um der Macht der Toten willen gebracht werden, sondern umgekehrt die Ohnmacht der Toten zur Voraussetzung haben, die ohne sie nicht bestehen können, ist einseitig. Es ist z. B. im Allgemeinen ganz richtig, daß sowohl Götter wie Totenseelen der Opfer bedürfen (wie die homerischen Schatten im Hades des Blutes). Aber für Aegypten ergeben die Inschriften schon des Alten Reichs die Macht der Toten. Der Tote stellt dem, der sein Heil verletzt, Rache, dem, der ihm Gebete und Opfer bringt, Fürsprache bei dem großen Gott oder anderen Segen in Aussicht. Und der ganze chinesische Ahnenkult, vor allem gerade die in ihrem Sinn ganz vergessenen Trauerbräuche dort, haben die Macht der Totenseele zur Voraussetzung. Das Machtverhältnis ist also gegenseitig: der Tote bedarf der Opfer, aber er hat, wie die Götter, auch die Macht, sie oder ihr Unterlassen zu vergelten. Durchaus zutreffend ist nur: daß der „Ahnenkult“ a1s solcher keine universelle Durchgangsstufe der Religion ist. Schon deshalb, weil - wie Aegypten zeigt - Totenkult und Ahnenkult in keiner Art notwendig zusammenfallen.


1) Schon die Toten des Alten Reichs wenden sich in den Grabaufschriften nicht an die Nachfahren, sondern an jedermann, der ihrem Grabe naht, um Gebete und Opfer und versprechen jedem, der ihnen willfährig ist, Fürsprache. Der Totendienst aber wird durch Priesterpfründen gesichert, nicht durch religiöse Pflicht der Nachfahren.


2) Die Ablehnung der ägyptischen Totenkulte folgte keineswegs schon an sich aus der Stammfremdheit und der Verschiedenheit der Lebensverhältnisse. Die ebenfalls stammfremden libyschen Beduinen hatten das gesamte Totenzeremoniell der Aegypter übernommen (s. Breastead, Records IV, 669, 726 ff.). Ebenso wie libysche sind aber auch semitische Beduinen - Schachs sehr oft in Aegypten und auch am Hof zu finden. Auch Syrer mit ägyptisch theophoren Namen kamen dort vor.

1) Das ausdrückliche Verbot der Selbstverwundung bei der Totentrauer (Lev. 19, 18) freilich ist gegen Ekstatik und ekstatische Magie gerichtet (s. u). Die Technik der Einbalsamierung aber war in Israel bekannt: Gen. 50, 2. 3.


1) So in der Vision Hesekiels von den Totengebeinen, deren Wiederbelebung durch Zauberwort ausschließlich als ein Machtbeweis Jahwes gewertet wird. Auch dem 'Ebed Jahwe Deuterojesajas ist nur ein ruhmvolles Zukunfts-


1leben in Aussicht gestellt, wobei aber diese zwischen eschatologischer Persönlichkeit und Personifikation gleitende Gestalt offenbar in der zweiten Qualität in Betracht kommt.


) Ueber die ganze Frage Beer in der schönen Abhandlung über den biblischen Hades (Theol. Abh. für H. Holtzmann 1902).


1) Ueber den Sabbat vgl. jetzt besonders die sehr präzise Abhandlung von G. Beet, Einleitung in die Uebersetzung des Mischna -Traktats Schabbathe (in den Ausgew. Mischnatraktaten, herausgeg. v. P. Fiebig, Nr. 5, Tübingen 1908) S. In f. Ferner: Hehn, Siebenzahl und Sabbat bei den Babyl. u. im. A. T. (Leipz. Semit. Stud. II, 5, 1905).


1) Neumonde und Sabbate galten den frühem Propheten als Festtage Jahwes.


2) Meinholds Gedanke (zuletzt: Z. f. A.T. Wiss. 29, 1909), daß der Sabbat erst im Exil zum Wochentag geworden sei, erscheint deshalb nicht annehmbar. Gerade die in Palästina Gebliebenen kannten offenbar den festen Wochensabbat als Markttag. Aus eben diesem Grunde kann ich auch Beer's Annahme, daß der Sabbat gerade und erst im Exil in Babylon zum durchlaufenden Wochentag geworden sei, nicht teilen.


1) Budde weist immerhin auf Amos 5, 26 hin (assyrische Namen des Saturn). Gegen den Glauben an die große Bedeutung des Mondkults (Sinai - Name, Namen der Frauen Abrahams) für die Jahwereligion jetzt König, Z D. M. G. 69 (1915) S. 280 f.


1) Baumgärtel, Elohim außerhalb des Pentateuch (Beitr. z. Wiss. v. A. T. 19, 1914) weist nach, daß Elohim als Gottesname vom Richterbuch zu den Samuel- und weiter zu den Königsbüchern an Häufigkeit abnimmt, im zweiten und dritten Psalmen - Komplex und im Koheleth - Buch durchweg bei den Propheten fast nie gebraucht wird und das die offenbar sprichwortlichen Wendungen mit „Elohim“ altkanaanäisches Sprachgut sind. Der Gebrauch in späten Schriften hat natürlich in der Scheu vor dem Tetragrammaton seine Ursache.


1) Hahn a. a. O. (etwas abweichend und meines Erachtens nicht ganz unbedenklich formuliert).


2) Späte Quellen, so der Sirachide und gelegentlich die Psalmen und das Danielbuch, kennen -wohl mit Rücksicht auf eine Proselyten - Umwelt - wieder den „höchsten“ Gott. (Hahn a. a. O.)


3) Bei Hiob (5, 17; 8, 5) wird es mit  übersetzt. Die Priester - Rezension der Genesis verwendet es zum Zweck der Identifikation der alten ephraimitischen El - Kulte mit dem späteren Jahwekult.


1) Daß der König (Echnaton) „seinen Namen für ewig auf das Land (Jerusalem) gelegt hat“ (Amarnatafeln), bedeutet nicht, wie geglaubt worden ist, daß dort solarer Monotheismus bestand, sondern: politische Herrschaft.


2) Greßmann (Z. A.T. W. 30, 1910, S. 1 f.) vertritt die Ansicht, daß die „Elim“ die Götter der halbnomadischen Stämme im Gegensatz zu den Baalimden Göttern der ansässigen Ackerbauern, gewesen seien. Dafür spricht in der Tat sehr vieles. Zunächst, daß der Name „Baal“ in den ganzen Erzvätergeschichten, überhaupt in der Genesis, nie vorkommt. Dann die Natur der Sache, welche Baal als „Herrn“ des Ackerbodens erscheinen läßt, und die zweifellose Beziehung zu den Baalen der Küstenstädte, vor allem Phöniziens, während El nach Osten weist, wo die Nomadenstämme zwischen Mesopotamien und Syrien hin- und herwechselten. Die Bezeichnung der Chabiri - Götter als „ilani“ läßt sich dagegen eher für das Gegenteil anführen: der Name muß darnach den ansässigen Bewohnern ebenfalls bekannt gewesen sein. Und ebenso ist „El eljon“ doch wohl ein Gott eines Kulturvolks. In jedem Fall aber scheint die These fachmännischer Erwägung wert, da sie der Konstruktion des Priesterkodex über die vormosaische Gottesverehrung bei den Erzvätern (El schaddaj) ihr Recht geben würde.


1) Luther bei Ed. Meyer (Die Israeliten usw.) nimmt an, daß zu Davids Zeit die Baal - Kulte kanaanäische Bauernkulte (also wohl orgiastischen Charakters) waren, die El - Kulte an Bäumen und Hainen hafteten, der Jahwekult in Gibeon (?) und Silo Kult des Kriegsgottes war.


2) So Hahn a. a. O. in Uebereinstimmung mit Dhomme, La relig. baby1. et assyr.


1) Dies war in Syene nach den Papyri in der dortigen, nach den vielen ephraimitischen Namen zu schließen, aus Nordisrael stammenden Gemeinde (Becher J. Q. R. XIX, 1907, S. 441) der Fall. (Näheres darüber bei Margolis J. Q. R. N. S. 2 (1911 /12) S. 435: die Opfergaben werden unter Jasu, einen Gott und eine Göttin verteilt.


1) Für die Ausländer scheint bei dem durch berith festgelegten nationalen Charakter Jahwes Baal in der Mischgottheit die Hauptrolle gespielt zu haben. In Aegypten findet er sich, wie W. Max Müller nachweist, als kriegerischer auf Bergen wohnender fremder Gott rezitiert, also mit Zügen, die sicherlich nicht seinem Bild, sondern dem Jahwes entstammen.


1) Unter den neueren Bearbeitungen vgl. Sellin in der Nöldeke - Festschrift (1906).


1) Foote, Journ. of Bibl. Lit. 21, 1902.


2) Die Lade Jahwes (Forsch. z. Rel. u. Lit. des A. T. J. Gött. 1906). Ueber den bildlosen Kult auf Kreta A. f. Rel.-W. VII S. 117 f.


1) Auch die höchsten babylonischen Götter wurden anscheinend nicht in Idolform auf ihren Thron gesetzt, sondern, statt ihrer, Symbole (so Anu, Enlil).


1) Auch der phönikische Arztgott Eschmun hat ein Schlangensymbol.


2) Der angebliche Zorn des Propheten Ahia (I. Kön. 14) darüber ist spätere Legende. Den wirklichen Grund der Gegnerschaft der Leviten zeigt I. Kön. 12, 31 sehr klar: die Anstellung von Plebejern als Priester.


1) Grundlegend Graf Baudissins Gesch. des alttest. Priestertums (Leipzig 1889). Manche Annahmen, vor allem die zeitliche Priorität des Priesterkodex vor dem Deuteronomium, sind heut aufgegeben.


1) Ussias Opfer behandelt auch erst der (nachexilische) Chronist (2. Chron. 16 ff.) als schwere Sünde.


1) 2. Sam. 8, 18. Ebenda 20, 26 wird ein Jairit als sein Erzkaplan neben den Priestern Zadok und Abjathar erwähnt. Die nachexilische Chronistik tilgte dann die Söhne Davids.


1) Vgl. Struck, Das alttest. Oberpriestertum, Theol. St. u. Kr. 81 (1908) S. 1 f.


1) Kurzer (aber nicht unbestreitbarer) Abriß bei Stade.


1) Es ist aber durchaus fraglich, ob außer der Beschneidung und den Vorschriften für die Krieger (insbesondere die Nasiräer) irgendwelche allgemein gültigen Riten bestanden.


2) Chattat und ascham, die in der jetzigen Redaktion in schlechthin unentwirrbarer Art ineinandergreifen und doch als zweierlei behandelt werden, sind als feststehende gemeinisraelitische Institution erst bei Hesekiel erwähnt. Vorher ist weder I. Sam. 3, 14 (wo von Sebach- und Mincha - Opfern als Sühnemitteln die Rede ist), noch Deut. 12, wo ausführlich von Opfern gesprochen wird, die Rede von ihnen. Das letztere zeigt sehr deutlich, daß die beiden Opferarten nicht dem Jerusalemiter Tempelkult entstammen. Daraus aber zu schließen, daß sie sich überhaupt erst in der Exilzeit oder kurz vorher entwickelt hatten, wie hie nnd da geschieht (u. a. von Benzinger), wäre sicher Falsch. Hesekiel mag der Erste sein, der sie als gemeinisraelitische Opfer ansah. Aber der Begriff ascham findet sich schon in der Samueltradition (Buße der Philister). Die beiden Opferarten gehörten eben (sozusagen) der levitischen „Privatpraxis“ an, für die sich das Deuteronomium nicht weiter interessierte. Nach den Vorschriften des Priestergesetzes wäre chattat die umfassendere der beiden Opferarten.

1) Deut. 18, 10. 11. 14; Lev. 19, 21. 26. 28; Num. 23, 23.


1) Die Bemerkung Lev. 20, 6 zeigt, daß der Gegensatz gegen die ekstatische Magie (s. u.) auch hier hineinspielte.


1) Schneider, Die Entwicklung der Jahwereligion und der Mosessegen (Leipzig Semit. Stud. V, 1. 199) glaubt „Levi“ von der „Schlange“ herleiten zu können, beruft sich auch auf Adonijas Zug zum Schlangenstein und auf den Namen eines Vorfahren von David.


1) So Ed. Meyer. Vgl. die Inschrift bei D. H. Müller, Denkschr. d. Kais. Ak. d. Wiss. Wien, phil. - hist. K1. 37 (1888).


2) Der Jakobsegen kennt keine levitischen Priester. Erst der Mosessegen kennt die Leviten und zwar als Thoralebrer und Priester. (Vgl. Ed. Meyer, Die Israeliten usw. S. 82 f.)


3) Isch chasidecha, „Mann deines Getreuen“, des Mose im Mosessegen (Deut. 33, 8) für Levit.


1) Vielleicht auch die Inschrift dar Ramessidenzeit, die einen „Lui - el“ als Stammesnamen zu kennen scheint.


1) Ed. Meyer (Die Israeliten usw.) hält es für sicher, daß der „Stamm Levi in Meriba (dem „Prozeßwasser“) ansässig war (also eine Art von Pandit - Geschlechtern indischer Art darstellte).


1) Genau so, wie übrigens jeder Israelit in dem Gebiet eines anderen israelitischen Stammes.


1) Zu ihnen gehören auch die Asylstädte.


2) Ihr Vieh wird (Num. 3, 41 45) als „Vieh Jahwes“ bezeichnet.


3) Sie wohnen (Jos. 14, 1) wie alle gerim, in den „Vorstädten“ (migraschim). Anteil am Acker erhalten sie nicht: den behält z. B. in Hebron Kaleb für sich.


1) Der Name „Thora“ wird von „Loswerfen“ abgeleitet. So Ed. Meyer (Die Israeliten usw.) S. 95 f.


1) S. dazu Ungnad, Die Deutung der Zukunft bei den Babyloniern und Assyrern, Leipzig 1909.


1) So die vormutlich aus den orgiastischen Kulten stammenden „Sänger“ und „Nethinim“ der nachexilischen Zeit.


1) Ueber Aaron vgl. Westphal, Aaron und die Aaroniden, Z. f. A. - T. W 26 (1906).


1) Schneider a. a. O. will die Aaroniden von der Bundeslade ableiten, was an sich nahe läge. Aber sie sind nirgends, wie er annimmt, mit Silo verknüpft.


1) Beispiele davon hat z. B. Fiebig (Altjüd. Gleichnisse und Gleichnisse Jesu, Tübingen 1904) gesammelt.


2) Hiervon sind gerade manche der älteren, der palästinensischen Tannaiten - Epoche angehörende, am meisten ausgenommen, namentlich einzelne im Traktat Pirke' aboth. Ueberhaupt ist das Urteil natürlich nur relativ gemeint.


3) Röm. 11, 17 das völlig falsche Gleichnis vom Okulieren!


1) Der Reisebericht Wen Amons ist jetzt in Breasteads Records IV 563 ff. bequem zugänglich.


1) Auch das ägyptische Allerheiligste ist dunkel und darf nur vom König, wie später in Israel nur vom gesalbten Hohenpriester, betreten werden.


2) Reisebericht, Breastead a. a. O. 579.


1) Die rituelle Fremdheit der Aegypter gegenüber den Hellenen beruhte nach Herodot darauf, daß diese Kuhfleisch aßen und es deshalb für Aegypter unmöglich war, sie zu küssen oder ihre Eßgeräte zu benutzen. Dies, nicht die Viehzüchterqualität als solche, könnte der Vorstellung des Berichts Gen. 43, 32 zugrunde liegen.


1) Wie wir sahen, sogar den Totenkult.


2) Erman, Sitzungsber. der Berl. Ak. d. Wiss. Phil. - hist. Kl. 1911, p. 1109.


1) z. B. von Klamroth, a. a. O.


1) Ueber die Verteilung des Stoffes des Hexateuch auf die beiden Sammlungen und auf spätere (deuteronomische, priesterliche, sonstige) Einschübe haben seit de Wette Generationen von Forschern gearbeitet. Die grundlegenden Resultate sind unter der großen Mehrheit der Forscher nicht bestritten, soviel Einzelpunkte zweifelhaft bleiben. Nur die Versuche, die großen Sammlungen immer weiter in Schichten zu zerlegen, haben als Rückschlag den aussichtslos scheinenden Versuch gezeitigt, auch die gesicherten Resultate wieder anzufechten.

1) Ueber das Verhältnis beider jetzt sehr schön die Schrift von Procksch, Die Elohimquelle (Uebersetzung und Erläuterung) Leipzig 1906. Procksch nimmt einen gewissen Einfluß des Elia auf die Redaktion an und sucht (p. 197) in geistreicher Art namentlich den Gebrauch des Elohim - Namens von daher (Absicht, die Einzigkeit des Werts zu betonen) zu erklären. Ueber die wichtige, aber für den Nichtfachmann ganz unentscheidbare Frage eines ursprünglich rhythmischen Charakters der Erzählung s. Sievers, Abh. der Kgl. Sächs. G. d. Wiss. XXI - XXIII (1901, 1904, 1906), mit dem Procksch S. 210 f. sich auseinandersetzt.


1) Vgl. über die Entwicklung der Vorstellung namentlich Löhr, Sozialismus und Individualismus im A. T. (Beiheft to zur Z. f. A. T. W. 1906) Die Schrift ist gut, nur der Titel vielleicht etwas irreführend.


1) Andeutungen über die Bedeutung des, wie er sich ausdrückt, „demokratischen“ Charakters Israels für die Eigenart der israelitischen Ethik finde ich namentlich bei Hehn a. a. O. S. 348.


1) Ueber den Dämonenglauben als Produkt eines Theodizeebedürfnisses hat J. Morgenstern M. d. V. A. Ges. 1905, 3 einige Andeutungen gemacht.


1) Die Beziehungen der Nichtisraeliten zu Jahwe nach der Anschauung der altisraelitischen Quellenschriften (Beih. z. Z. f. A.T. Wiss. XV, 1907).


1) Relig.-gesch. Unters. Bonn 1899, S. 210 f.


1) Für den babylonischen Mythos vom Urmenschen ist Adapa keineswegs im Stande der Unschuld, sondern ein unreiner Mensch, dessen Eindringen in Anus Himmel bedenklich ist (v. 57 der Uebersetzung bei Gunkel a. a. O.). Sonst sind, wie schon bemerkt, die Urmenschen meist Träger hoher gottverliehener Weisheit.


1) In der vorzüglichen Abhandlung: Der Ursprung der israelitisch - jüdischen Eschatologie (Forsch. z. Rel. und Lit. des A. und N. T. 6. Göttingen 1905. Zur Kritik: Sellin, Der alttest. Prophetismus, Leipzig 1912, S. 105 ff.).


1) Der Pharao (Ramses II) als Fürsprecher zur Erwirkung von Regen: Breastead Records II, 426 (sogar für das Land der Cheta !).


2) Dies: daß Jahwe dereinst Herr der Welt werden solle, nicht: daß er - wie Schön a. a. O. es deutet - es jetzt schon sei, ist die alte Hoffnung auch des Schilfmeerliedes Ex 15. Auch ist nicht, wie Sellin annimmt, ein „Ge-


1richt“ Jahwes, sondern das Entbrennen seines Zorns das, was erwartet wird. Der Gedanke eines eigentlichen „Weltgerichts“ ist zum mindesten nie wirklich ausgeführt, und wo er anklingt, ist es Jahwe, der - als Partner der berith - einen Prozeß hat mit den Einwohnern des Landes: er ist Partei, nicht: Richter (so bei Hosea und im Deuteronomium).


) Ueber diese Konzeption s. Dittmann, Theol. St. u. Kr. 87 (1914) S. 603 f.


1) Die ägyptischen Unheils- und Heilsprophetien finden sich erörtert von J. Krall in der Festgabe für Büdinger (ein sprechendes Lamm prophezeit vor einem gewissen Psenchor unter König Bokchoris zuerst ein vom Nordosten über Aegypten hereinbrechendes Unheil, dann eine Glückszeit und stirbt dann), von Wessely (Neue griechische Zauberpapyri in den Denkschr. d. Kön. Ak. d. Wiss. Phil. - hist. Kl. 42) und ergänzend und abschließend von Wilcken (Hermes 40: die sog. „Prophezeiung des Töpfers“, Unheil von Osten und die Zerstörung von - anscheinend - Alexandria, vielleicht nach einem älteren Muster). Ed. Meyer (Sitz. - Ber. der Ak. d. Wiss. 31, 1905) nahm u. a, auf Grund eines von Lange kommentierten papyrus, an, daß die Prophezeiung eines Heilskönigs auch für Aegypten nachgewiesen sei. Indessen die neue Lesung von Gardiner zeigt, daß in diesem Fall ebenso wie beim Pap. Golenischeft, der ähnlich gedeutet wurde, dies nicht zutrifft, sondern im einen Falle ein Gott, im anderen ein lebender König gemeint ist. Die von Herodot erwähnte Prophezeiung an Mykerinos und die von Manetho erwähnte Amenophis - Prophezeiung (E. Meyer a. a. O., S. 651) sind nicht hinlänglich authentisch überliefert. Alles beweist nur: daß Unheils- und Heils - Prophetie auch in Aegypten existierten, ergibt aber bisher nichts genügend bestimmtes für die behauptete Uebernahme eines in Aegypten bestehenden festen „Schemas“, durch die israelitische Prophetie. S. Abschnitt II.


1) Ueber den Dekalog s. Matthes Z. f. A. T. Wiss. 24, S. 17.


1) Es wird nur als für die Treue gegen Jahwe gefährlich hingestellt. Allerdings scheint die Fassung zu zeigen, daß gleichgeordnetes connnbium nur bestand, wo ein berith geschaffen war, was anderen, z. B. römischen; Verhältnissen entspräche und auch mit den Voraussetzungen der Dina - Geschichte stimmen würde.


1) Vergleicht man die Ethik speziell des ethischen Dekalogs mit der Ethik der vorexilischen Propheten, so fällt auf, daß diese niemals eine Anspielung auf die besondere Dignität dieser Zusammenstellung machen, wie es zu erwarten wäre, wenn sie schon damals gegenüber anderen Normen durch das Prestige des Ursprungs von Mose selbst ausgezeichnet gewesen wäre. Zunächst fällt es den Propheten der vorexilischen Zeit in keiner Weise ein, ihrerseits mit dem Namen Jahwes sparsam umzugehen. Indessen dies konnte als ihr Vorrecht in ihrer Eigenschaft als Propheten angesehen werden. Allein auch sonst finden wir, daß die Tugend- und Sünden - Aufzählungen der Propheten mit den dekalogischen im Ganzen nicht viel gemein haben. Sehen wir von den Vorschriften der spezifischen sozialpolitischen Paränese ab, die bei den Propheten besonders stark in den Vordergrund treten, wie wir später sehen werden, und die im Dekalog gar keine Stelle finden, so ist der Kampf gegen die „anderen Götter“ und gegen die Bilder freilich die eigentlichste Domäne der Prophetie. Anklänge an die Formulierungen des dekalogischen „1. Gebotes“ finden sich am ehesten bei Hosea (12, 10; 13, 4). Aber im übrigen werden bei Amos Geiz (9, 1) als Kardinallaster, daneben Kornfeilschen (8, 5, am Sabbat) falsche Wage (8, 5) und Betrug gegen Arme (8, 6), ferner Unzucht (2, 7: Schlafen von Vater und Sohn bei der gleichen Dirne) gegeißelt. Die erstgenannten Laster gehören offensichtlich mit der prophetischen Sozialethik zusammen, das letzte mit dem Gegensatz gegen das Hierodulenwesen. Zur Ethik des Dekalogs hat kein von diesen Propheten besonders hervorgehobenes Laster eine charakteristische Beziehung. Bei Hosea werden (4, 2) Gotteslästerung, Lügen, Morden, Stehlen, Ehebrechen als verbreitete Sünden aufgezählt. Das sind Dekalogsünden. Es fehlt außer dem Sabbat und der Elternpietät das 10. Gebot, und das „Lügen“ ist im Dekalog bekanntlich nur vor Gericht verboten. Immerhin aber ist dies bis auf Jeremia die stärkste Annäherung eines prophetischen an den dekalogischen Sündenkatalog. Sollte Hosea den Dekalog - was unsicher bleibt - tatsächlich gekannt haben, so wäre das vielleicht ein Hinweis auf dessen Ursprung im nordisraelitischen Gebiet: Hosea nennt das Wissen von jenen göttlichen Geboten: Kenntnis (dagath) von „Elohim“. Immerhin bleibt alles ganz unsicher. Bei Micha (6, 10 - 12) werden falsches Gewicht und Maß und unrechtes Gut erwähnt, was alles zum Dekalog nicht in charakteristischer Beziehung steht. In den echten Jesajaorakeln und bei Zephanja ist keine zum Dekalog in Beziehung zu setzende Reihe von Sünden aufgeführt. Von eigentlich privaten Lastern erwähnt Jesaja das im Dekalog ganz fehlende Saufen (5, 10), alle anderen Stellen sprechen wesentlich Klagen aus, die sich gegen das ungerechte Treiben der Vornehmen richten. Eine Anspielung auf das zehnte Gebot könnte vielleicht bei Micha (2, 2) gefunden werden, doch ist das Aneinanderreihen von Aeckern durch Wucher eine allgemeine sozialethische Klage der Propheten gegen die Reichen. Erst bei Jeremia findet sich wieder die Mehrzahl der Dekalogsünden: Raub und Diebstahl, Mord, Meineid (7, 9), Ehebruch (5, 8), Betrug gegen den Freund (9, 4), Sabbatverletzung (17,


. 22), also hier zuerst der Sache nach alle dekalogischen Sünden außer dem Mißbrauch des göttlichen Namens und dem 10. Gebot. Aber irgend eine Bezugnahme auf die besondere Heiligkeit gerade des Dekalogs oder auf seine so charakteristischen Formulierungen oder auch nur auf die Existenz einer solchen Sammlung läßt sich weder bei ihm noch bei anderen Propheten erkennen. Es sei denn, daß man wiederum bei Micha (6, 8) eine sehr allgemein gehaltene Betonung der Bedeutung des Haltens der Mischpatim darauf beziehen wollte; was aber schon formell unzulässig erscheint, da die Dekaloge debarim, nicht mischpatim sind. Dagegen findet sich namentlich bei Jeremia eine gegenüber dem Dekalog viel weiter gehende gesinnungsethische Sublimierung und Systematisierung der sittlichen Gesamthaltung, von der später zu reden sein wird. Und schon bei Micha treten gesinnungsethische Ansprüche auf, wie, neben der „Demut“ vor Gott, die Uebung von „Liebe“ (6, 8), welche der Dekalog gar nicht kennt. Alles in allem: die Prophetie weiß nichts von einem „mosaischen“ Dekalog, vielleicht überhaupt von keinem solchen. Das alles scheint die hier vertretene Annahme von der relativen Jugend und dem rein pädagogischen Zweck des ethischen Dekalogs zu bestätigen. Andrerseits geht die Herabrückung in nachexilische Zeit nicht nur (wie selbstverständlich) für den sexuellen und kultischen Dekalog zu weit, sondern auch für den ethischen.

1) Vgl. für die vorexilische Zeit darüber jetzt die in ihrer Art gute Abhandlung von Schultz in den Theol. Stud. u. Krit. 63 (1896).


1) Dennoch ist eine solche Sündenangst wie etwa bei Alphons v. Liguori oder bei manchen Pietisten in Israel sowohl wie im Judentum nirgends auffindbar.


1) Von den babylonischen Sündenlisten ist clie von Zimmern (Beitr. 1) edierte, auch von Sellin a. a. O. S. 225 angezogene die der dekalogischen Ethik am meisten verwandte. Verachtung der Eltern und Beleidigung der älteren Schwester, Ehebruch, Töten, Betreten des Hauses des Nächsten, Fortnahme des Kleides des Nächsten stehen dekalogischen Sünden am nächsten. Grenzverrückung, Festhaltung oder Nichtbefreiung Eingekerkerter (zweifellos: Schuldhäftlinge), lose und unflätige Reden, Lüge und Unaufrichtigkeit gehören zu den zwar nicht im Dekalog, aber doch in der levitischen Paränese verpönten Untugenden, während die Verschuldung von Streit unter Eltern und Kindern oder unter Geschwistern und das Unrecht, „im Kleinen zu geben, im Großen zu verweigern“, keine direkten Parallelen finden. Daß damit rein rituelle Fehler auf eine Stufe gestellt werden, entspricht dem „kultischen“ und dem „sexuellen“ Dekalog Israels. Auffällige Parallelen der beiderseitigen Ethik finden sich im übrigen, soviel bisher erkennbar, nicht. Insbesondere scheint es, daß der babylonischen (im Gegensatz zur ägyptischen und levitischen) Paränese die Betonung der „Nächstenliebe“ gefehlt hat: vermutlich eine Folge der weit stärkeren Entwicklung des kaufmännischen Geschäftslebens in der Großstadt Babylon. Ebenso fehlt (wiederum im Gegensatz zu Aegypten) die gesinnungsethische Sublimierung: die Bekämpfung des „Gelüstens“ wie im 10. Gebot. In Aegypten ist die stärkere Betonung der „Gesinnung“ vermutlich durch die besondere Bedeutung, welche dem „Herzen“, als dem Träger des Wissens von eigenen Sünden, im Totengericht beigelegt wurde, zuerst veranlaßt worden.


1) Es ist hier nach der Uebersetzung von Pierret (Le Livre des Morts, Paris 1882) zitiert. Dabei sind mit „E“ die Einleitung, mit „S“ der Schluß, mit „A“ und „B“ die beiden je 21 Bekenntnisse umfassenden Hälften des 125. Kapitels bezeichnet.


1) Dagegen galt wenigstens der deuteronomischen Tradition (I. Sam. 24; 26, 9; 31, 4; 7. Sam. 1, 14) der Mord des Königs, auch des von Jahwe schon verworfenen Königs, wegen der magischen Bedeutung der Salbung als schwerer Frevel, - offenbar im bewußten Gegen-satz gegen die Usurpationen und Blutbäder im Nordreich, die, obwohl doch Jehu gerade mit Hilfe und auf Anstiftung der Jahwepartei die erste derartige Schlächterei verübt hatte, auch Hosea scharf mißbilligt.


1) Ueber die Konzeption der Sünde und ihre Entwicklung in der babylo-


. nischen Religiosität Schollmeyer, Sumerisch - babylonische Hymnen und Gebete an Samas (Stud. z. G. u. Kr. d. Alt. Erg. - Bd. Paderborn 1912) J. Morgenstern, The doctrine of sin in the Bab. Rel. (M. d. V. A. Ges. Berlin 1905, 3).


1) Z. B. Breastead, Records III, 51: Verbot, einen Armen, der dem König Frondienste leisten muß, inzwischen um seine Existenz zu bringen (19. Dynastie).


1) Breastead, Records I, 239. 240. 281. 328 f. 459 523 (durchweg aus dem alten Reich, von der I. Dynastie angefangen).


1) Dokumente der ägyptischen Volksfrömmigkeit der Ramessidenzeit bei Erman, Sitz. - Ber. d. Berl. Ak. d. W. Phil. - hist. Kl. 11, 1086 f. Ueber den zunehmenden Vergeltungsglauben im Neuen Reich: Poertner, Die ägyptischen Totenstelen als Zeugen des sozialen und religiösen Lebens ihrer Zeit (Stud. z. G. u. Kr. d. Alt. 4, 3 Paderborn 1911).


1) Ueber die Inschrift Kalumus s. Littmann, Sitz. - Ber. d. Berl. Ak. Phil. - hist. Kl. vom 16. XI. 11 (S. 976 f.).


1) Auch R. Chanina, den Büchler (Der galiläische Amhaarez S. 14, Anm.) gegen protestantische Forscher polemisch als Muster jüdischer Sittlichkeit vorführt, starb in eine Thorarolle gewickelt, weil er so der Rache Gottes an seinen Peinigern sicherer zu sein glaubte.


1) Aus der neuesten Literatur, vor allem das, bei einzelnen anfechtbaren, Aufstellungen, sehr verdienstvolle Werk von G. Hölscher, Die Propheten, 1914, welches die ganze Vorge-schichte mit Verwertung moderner psychologischer Erfahrung bietet. - Für die einzelnen Propheten die modernen Kommentare.

Ueber die ekstatischen Zuständlichkeiten der Propheten glänzend wie immer: H. Gunkel, Die geheimen Erfahrungen der Propheten (Vortrag, „Suchen der Zeit“ I 1903), im Auszug in den „Schriften des A. T.“ II, 2, der Uebersetzungen und z. T. vortreffliche Einzelkommentare von H. Schmidt bringt (Amos und Hosea in II, 1), nebst einer zur Einführung sehr geeigneten Analyse der literarischen Eigenart. Aus der sonstigen Literatur: Giesebrecht, Die Berufsbegabung der alttest. Propheten, Göttingen 1897. Cornill, Der Israelit. Prophetismus (6. Aufl. Straßburg 1906). Sellin, Der alttest. Prophetismus Leipzig 1912). Weitere Literatur am gegebenen Ort, Ueber das „Ethos“ alttest. Propheten vieles Zutreffende bei Troeltsch im „Logos“ Bd. VI S. 17, wo der utopische Charakter der „Politik“ mit Recht stärker betont ist als sonst. - Hier wird auf alle Einzelanalyse verzichtet.


1) So Jesajas Pamphlet gegen Sebna (22, 15 f.) mit dem Postskript gegen den in der ersten Redaktion lobend erwähnten Eljakim, Ebenso Jeremias schriftlicher Fluch gegen Semaja.


1) Daß das vorkam, zeigt die Einsiegelung eines Orakels des Jesaja durch seine Jünger (8, 16) und das schriftliche Fluchorake1 des Jeremia gegen Babel (51, 59 f.)


1) S. für Jeremia: 26, 24; 29, 3; 36, 11; 40, 6.


2) S. über Jesajas politische Stellung insbesondere: Küchler, Die Stellung des Propheten Jesaia zur Politik seiner Zeit (Tübingen 1906). Bemerkungen darüber auch bei Procksch, Geschichtsbetrachtung und Geschichtsüberlieferung bei den vorexil. Propheten (Leipzig 1902).


1) Dafür spricht, daß dem von ihm eingesetzten König ein theophorer (Jahwe-) Name gegeben wurde.


1) Dies ist namentlich für Amos (z. B. von Winckler) behauptet worden. Mit Recht dagegen: Küchler a. a. O.


1) Für diese natürlich unbeweisbare Annahme spricht die Art, wie er wiederholt Silo als die erste Stätte der reinen Jahwe - Verehrung erwähnt und die Zerstörung Jerusalems mit der zweifellos halb vergessenen, Jahrhunderte zurückliegenden, Verwüstung von Silo vergleicht.


1) Daß an einer andern Stelle unter den Göttern, die Jahwe vernichten wird, geradezu Osiris genannt sei, ist eine Konjektur Duhms.


1) In der jetzigen Fassung bei Micha (1, 55) stimmt das nicht ganz.


1) Daß Jer. 17, 19 f. nicht von Jeremia stammt, ist mit Recht allgemein angenommen worden.


1) Bei Hesekiel (8, 1) tritt allerdings die Ekstase einmal in Anwesenheit der ihn konsultierenden Aeltesten auf.


1) Mit Recht macht übrigens Sellin a. a. O. S. 227 darauf aufmerksam,


. daß die Art, in welcher das göttliche Wort an den Propheten gelangt, in aller Regel gar nicht näher angegeben wird. Das Entscheidende war eben: die für die Propheten evidente und also gelungene Deutung seiner Absichten.


1) Das „Zungenreden“ durchweg, aber auch die (damals Gegenwarts-) „Prophetie“. Aehnlich wieder bei den Täufern und Quäkern des 16. und 17. Jahrliunderts, heute am ausgeprägtesten in amerikanischen Negerkirchen (auch der Negerbourgeoisie, z. B. in Washington, wo ich es erlebte).


1) Es muß natürlich stets der Vorbehalt gemacht werden, daß alle Gegensätze durch Uebergänge verbunden sind und auch bei den Christen Aehnliches sich findet. Vor allem sind auch dort die Einzelnen der psychische „Ansteckungsherd“.


1) Denn die Karitätsgebote der Thora waren selbstverständlich nicht












mehr aus der bäuerlichen Nachbarschaftsethik als solcher, welche von solcher Sentimentalität wie alle Bauernethik weit entfernt war, sublimiert. Sie gehörten der Ideologie des vorderasiatisch - ägyptischen Königtums und seiner Literaten: Priester und Schreiber, an.


1) Vgl. Sellin a. a. O. S. 125.


1) Am ehesten könnte der „große“ Tag Jahwes bei Zeph. 1, 14 an die großen Welttage erinnern. Aber es zeigt sich sofort, daß davon keine Rede ist. Vor dem Exil ist von alledem nur sehr allgemeine Kunde nach Israel gedrungen.


1) Bei Amos (mit Ausnahme einer Stelle) und selbst an einer Stelle Hoseas (5, 4) tritt das Unheil als unabwendbar auf, offensichtlich, weil der Inhalt der Vision dahin ging. Aehnlich mehrfach bei Jesaja und wieder ganz überwiegend bei Jeremia.


1) Merkwürdigerweise glaubt auch Hölscher (S. 229 Anm. 2), es könne sich nicht um eine eschatologische, sondern um eine reale und bekannte Figur (eventuell: Jesajas eigenes Weib und Sohn !) handeln, weil sonst mit dem Wunderzeichen ja „nichts bewiesen“ sei: allein es soll gar nichts „bewiesen“ werden, sondern die Folge der Ungläubigkeit des Ahas ist die visionär, aber als aktuelle Erwartung geschaute Begebenheit: seine Verwerfung zugunsten der Heilsknaben.

1) Vgl. dazu die gute Arbeit von Peisker. Ueber die im einzelnen nicht weiter feststellbare Bedeutung des palästinischen Kriegsvölkerrechtsbundes ist schon oben gesprochen.


1) Mit Recht betont bei Klamroth, Die jüdischen Exulanten in Babylonien (Beitr T. Wiss. v. A. T. 10, Leipzig 1912). Die wertvolle Schrift ist weiterhin wiederholt benützt. Ihre einzige schwache Seite ist vielleicht, daß sie zuweilen noch mehr Angaben über die tatsächlichen Verhältnisse der Exilsgemeinde in Prophetenstellen zu finden sucht, als ihnen entnommen werden kann und daß sie die Schilderungen vom Elend der Exulanten allzuwörtlich glaubt.


1) Vgl. S. Daiches, The Jews in Babyl. in the time of Ezra and Nehemia acc. to Bab. inscr. (Publ. Jev. Con. No. 2, London 1910).


1) Jud. 13, 4 scheint zu ergeben, daß das Verbot, „Unreine“ zu essen, ursprünglich für Laien nur kraft Gelübdes verpflichtend war.


1) Korrekte Juden trugen infolge der Speisegesetze zwar im allgemeinen kein Bedenken, Nichtjuden bei sich Gastfreundschaft zu gewähren, lehnten aber die Gastfreundschaft der Heiden und Christen ihrerseits ab. Hiergegen eifern die fränkischen Synoden als gegen eine Erniedrigung der Christen und schärfen ihrerseits den Christen Ablehnung der jüdischen Gastfreundschaft ein.


1) Juden und Samaritaner (Beitr. z. W. v. A. T. 3, Leipzig 1908). Zu Jeremias Zeit (41, 5) kamen Leute aus Sichem und Samaria zur Teilnahme am Tempelopfer.


1) Der Vorgang hat sich jedoch vielleicht schon in nehemianischer Zeit abgespielt.


1











) Ueber Hesekiel vgl. Hemmann, Ezechielstudien, Berlin 1908.


1) Denn da das Zukunftsgericht den späteren kirchenpolitischen Projekten

der Exilspriester und deren Ausführung durch Esra und Nehemia nicht entspricht, so ist keinerlei Grund für die Annahme, daß diese Partien spätere Zusätze seien wie oft angenommen wird. Der Umschlag von halb pathologischer und eschatologischer Apokalyptik des Ekstatikers zum intellektualistischen Ausklügeln eines Zukunftsstaatsprojektes ist durchaus nichts Singuläres.


1) Während die Entstehung dieser Kapitel des jetzigen Jesajabuchs in der Exilszeit völlig feststeht und auch die Nichtidentität ihres Verfassers mit der der nachfolgenden Stücke (Tritojesaja) zunehmend anerkannt ist, bleibt die Frage, ob die dem Deuterojesaja zugerechneten Kapitel einem Verfasser zuzuschreiben sind oder die sog. `ebed - Jahwe - Lieder einem anderen, bestritten und sind jene Lieder vom „Gottesknecht“ selbst nach wie vor eine crux interpretum. Aus der Literatur sei außer auf Duhms Jesaja - Kommentar auf Sellins Schrift: Die Rätsel des deuterojesajanischen Buchs (1908), von anderen Arbeiten auf Greßmanns Erörterung in seiner früher zitierten „Eschatologie“ (1905) und Laues Artikel in den Theologischen Studien und Kritiken (1904) sowie Giesebrechts Arbeit: Der Knecht Jahwes des Deuterojesaja (1902) verwiesen, namentlich aber auf Rothsteins sehr eingehende Besprechung der älteren Darlegungen Sellins (im ersten Band von dessen Studien zur Enstehungsgeschichte der jüdischen Gemeinde nach dem babylonischen Exil, 1901) in den Theologischen Studien und Kritiken 1902 I S. 282. Aus der neuesten Literatur besonders: Staerk in den Beitr. z. Wiss, v. A. T. 14 (1912), der zwischen den vier Liedern Jes. 42, 1 f., 49, 1 f., 50, 4 f., 52, 13 f. und den sonstigen Gottes-


1knechtsliedern, in welchen der 'ebed zweifellos das Volk Israel sei, scheidet. In jenen vier Liedern sei er eine individuelle Figur und zwar in den drei ersten teils eine heroische, teils eine Märtyrergestalt, vorgestellt als ein präexistenter universeller Erretter, in Wahrheit eine Uebertragung der Davididenhoffnung auf das Prophetentum. Die Kritik an Sellin wirkt vielfach überzeugend. Dennoch bleiben dessen Aufstellungen in wichtigen Punkten dauernd wertvoll. Sellin ist der Hauptvertreter der Jojachin - Hypothese und zugleich der Einheitlichkeit des deuterojesajanischen Buches. Von dieser Einheitlichkeit der Verfasserschaft des unter dem begeisternden Eindruck der Hoffnungen auf Kyros vermutlich stückweise entstandenen und dann zusammengefaßten Buchs legt der Inhalt ein bei unbefangener und unvoreingenommener Lektüre steigend empfundenes Zeugnis ab. Dagegen scheint die Deutung auf Jojachin schwer annehmbar, namentlich weil es sich um einen Mann mit Thora - Lehrgabe, also einen Propheten, nicht einen König handelt. Das Buch macht den Eindruck der religiösen Kunstdichtung eines geistig sehr hochstehenden enthusiastischen Denkers, der für einen kleinen Kreis ähnlich Gestimmter schrieb. Es ist daher die Annahme statthaft, daß das Schwanken zwischen individueller und kollektiver Deutbarkeit absichtsvolle Kunstform dieser prophetischen Theodizee ist. Der für uns entscheidende Kernpunkt der Hypothese Sellins liegt aber darin: daß die bei der Entstehung auf ein Individuum (Jojachin) bezogenen Lieder nach dessen Tod vom Verfasser selbst auf das Volk Israel übertragen worden und deshalb in den Zusammenhang mit den erst damals, unter dem Eindruck des Anrückens des Kyros, entstandenen Stücken verarbeitet worden seien. Damit akzeptiert Sellin im Resultat die Behauptung: daß Deuterojesaja bei der Schlußredaktion jedenfalls nicht mehr Jojachin, sondern das Volk Israel bzw. dessen frommen Kern als den Träger der ursprünglich auf den König bezogenen Qualitäten ansah. Nur philologische Fachleute können das entscheidende Wort über die geistreiche Konstruktion sprechen. In jedem Fall war auch dann die Absicht des Verfassers bei der Schlußredaktion die hier vorausgesetzte: Mehrdeutigkeit.


) Merkwürdigerweise hat sich außer Duhm neuestens auch Hölscher (wegen Jes. 52, 11 und 43, 14) für außerbabylonische Provenienz ausgesprochen und auf Aegypten (insbesondere Syene wegen 49, 12) geraten. Allein dies scheint schon wegen des aktuellen Interesses an Kyros nicht annehmbar, ganz abgesehen von dem starken Interesse an rein babylonischen Dingen.


1) Die „Berufung vom Mutterleibe an“ (49, 1) entspricht babylonischer Königsterminologie einerseits, der providentiellen Berufung Jeremias im Mutterleib (Jer. 1, 5) andererseits. In der Diktion des Schriftstellers hat Sellin (a. a. O. S. 101 ff.) starke Anklänge an babylonische Hymnen und Klagelieder überzeugend nachgewiesen (vgl. übrigens schon Kittel Z. f. A. T. W. 1898: Cyrus und Deuterojesaja).


1) Die Perikope vom Gottesknecht ist besonders stark bei den Synoptikern und in der Apostelgeschichte, demnächst im Römer- und ersten Korintherbriefe, aber auch bei Johannes benutzt. 1. Kor. 15, 3 ergibt, daß die Vorstellung von dem als Sühnopfer sterbenden Heiland dem Paulus schon durch Tradition vorlag. Die Bezugnahme auf die prophetische Verkündigung findet sich als von Jesus ausgesprochen Matth. 26, 24 (= Jes. 53, 7. 8). Daß Jesus der Erwählte (Luc. 9, 35 = Jes. 53, 12), das Wohlgefallen Gottes (Matth. 3, 17 = Jes. 42, 1), sündlos (Joh. 8, 46 = Jes. 53, 5), das Lamm Gottes (Joh. 1, 29. 36 = Jes. 53, 4 f.), das Licht der Völker (Joh. 1, 5 = Jes. 42, 6 f.), berufen, die Mühseligen zu erquicken (Matth. 11, 28 = Jes. 55, 1 f.), in Niedrigkeit gelebt habe (Phil. 2, 7 = Jes. 53, 2. 3), Verkennung (Act. 8, 32 f. = Jes. 53, 7. 8), Anklage (Math. 26,63) und Mißhandlung (Matth. 27, 26) schweigend wie ein Lamm geduldet, Fürbitte für die Frevler eingelegt (Luc. 23, 34 = Jes. 53, 5 f.), als Lösegeld für die Sünden anderer gestorben (Matth. 20, 28 = Jes. 53, 10 f.) sei, dadurch Sündenvergebung erwirkt habe (Luc. 24, 47 = Jes. 53, 5 f.) und von Gott verherrlicht worden sei (Joh. 13, 31; 14, 13; Act. 3, 13 = Jes. 49, 5; 55, 5), wird in oft wörtlicher Parallele mit Deuterojesaja ausgeführt. Besonders charakteristisch ist Röm. 4, 25 ( =


1Jes. 53, 12), wo Paulus die gänzlich mißverständliche Uebersetzung der LXX zugrunde legt. Auch die Rolle der Apostel wird übrigens gelegentlich (Act. 13, 47 = Jes. 49, 6) mit deuterojesajanischen Bildern bezeichnet. Alle Stellen sind sehr bequem zusammengestellt bei E. Huhn, Die messianischen Weissagungen des israelitisch - jüdischen Volks II (1900).


) Sehr oft wird statt des „Gottesknechts“ einfach der „Menschensohn“ eingesetzt, was den Weg der Uebernahme (Mysterien) kennzeichnet.


2) Vers 17, wo von den Händen und Füßen geredet wird, ist in der Lesart verderbt. Es kann also fraglich sein, ob dort von Einschnürung oder Durchbohrung der Knöchel wie bei einem Gefangenen die Rede ist. Aber schon die Uebersetzung der LXX scheint zu beweisen, daß es der Fall war. Und das gleiche zeigen die folgenden Verse, wo von der Verteilung der Ge- wänder und dem Loswerfen darüber gesprochen ist. Die christliche Gemeinde aber muß, vielleicht infolge der LXX, jenen Vers unbedingt auf eine Kreuzigung bezogen haben, denn die ganze Darstellung der Evangelien ist offensichtlich durch Psalm 22 beeinflußt. Danach ist es doch recht wahrscheinlich, daß der „Durchbohrte“ des Deuterojesaja hier vorgeschwebt hat, jedenfalls aber, daß die übliche Auffassung Psalm 22 so deutete, wie denn die christliche Gemeinde auch sonst die Gottesknechtslieder and diesen Psalm promiscue als Weissagungen auf Christus benutzt und die Darstellung der Passion danach geformt hat.


1) Hierzu Dalmann. Der leidende und sterbende Messias der Synagoge im ersten nachchristlichen Jahrhundert (Schriften des Inst. Jud. IV, Berlin 1888). Das stellvertretende Leiden an sich war dagegen der rabbinischen Zeit ein durchaus geläufiger Gedanke (4. Makk. 6, 29; 17, 22).


1) Bei Hosea ist der Prophet der „Mann des Geistes“.


1) Die schwere Gefahr der Hellenisierung meint wohl Psalm 12, 2.


2) S. Makkab. 7, 12.


3) Einerlei ob ihre direkt militärische Leistung vielleicht, wie Wellhausen annimmt, gering war.


1) Man rechnet ihr Ende gewöhnlich mit Joshua Katnuta.


2) Ueber sie jetzt: Elbogen, Die Relig. Ansch. der Pharisäer. Berlin 1904.


1) Der Name 'am ha - arez ist seit der Redaktion der Bücher Esra (IX, 1) und Nehemia (X, 31) technisch. Als eine religiös minderwertige „Masse“ aber entstanden sie im Gegensatz zunächst zu den Chasidim, dann den Pharisäern, seit der Makkabäerzeit.


1) Geschrieben Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. Charles, The Book of Jubilees London 1902.


1) Stets freilich hat wenigstens die orthodoxe heidnische Prädestination die behirah, die ethische Willensfreiheit: Wahlfreiheit zwischen Heil oder Verderben, unangetastet gelassen. Man hat es gelegentlich vorgezogen, Gottes Allwissenheit als eine nur bedingte vorzustellen, als daran zu rütteln.


1) So heißt es auch im täglichen Gebet, der „Schoma“


1) Zuerst für Gamaliel den Aelteren.


2) Jüdischerseits wird deshalb. Matth. XXIII, 7, 8 als „Anachronismusa“ erklärt.


1) Im allgemeinen war dies freilich nur dann der Fall, wenn der Betreffende nicht nur Lehrer, sondern ein durch Wundermacht qualifizierter „Prophet“ war.


1) Auch bei indischen Gurus kam und kommt es gar nicht selten vor, daß sie im Hauptberufe etwa Händler oder Grundbesitzer und Rentner sind - aber für die jüdischen Rabbinen der älteren Zeit war es notwendig, ihren Unterhalt aus andern Quellen als dem „geistlichen“ Beruf zu suchen, während der indische Guru in aller Regel mindestens auch, meist vorwiegend, von den Sporteln und Spenden lebte, die seine geistliche Funktion ihm eintrug. Dem Guru entsprach darin im (östlichen) Judentum nicht der Rabbi, sondern der neuchassidische charismatische Mystagoge, von dem später die Rede sein wird.


1) Im Talmud heißt das: den ordinierten Rabbinen.


2) B. B, 22 a.


1) Gemeint sind, wo nichts andres gesagt ist, hier stets a priori: die Rabbinen der Epoche, mit der wir es hier zu tun haben: der Zeit, welche das Material für die Talmud - Komposition geliefert hat.


1) Deut. 13, 2 - 3 18, 20 f.


1) Deut. XVIII, 11.


1) Wo diese Selbstverständlichkeit, wie etwa bei dem Hiob - Problem und sonst gelegentlich, vielleicht in Wahrheit nicht vorhanden war, da schien es wenigstens so.


1) Oder: die chinesische Jugendlehre, aber diese aus absolut andren Gründen.


1) Lev. XVIII, 2. 3.


1) Auch der Ausdruck  wird für ihre Gemeindeversammlungen gebraucht.


1) Philo braucht den Ausdruck für den „Logos“, der den Hohenpriester stützt.


2) III V. 1. 2.


1) Das Lukas - Evangelium läßt in auffallender Art zu wiederholten Malen (VII, 36. 39; XI, 38 ff.; XIV, 1) Jesus bei einem Pharisäer (beim letztenmal sogar: einem Obersten der Pharisäer -gemeint ist, wie die Parallelstelle zeigt, ein „Oberster der Schule“ -) essen, wo die beiden älteren Evangelien davon nichts wissen. Da Lukas auch in der Apostelgeschichte die Bekehrung von „Pharisäern“ hervorhebt und die Tischgemeinschaft des Petrus mit dem Hellenen Antiochias für Paulus so wichtig war, so könnte dies Tendenz sein. Wirklich strenge Pharisäer würden einem 'am ha - arez oder unkorrekt Lebenden (Joh. 8, 48 nennen die Juden Jesus einen „Samariter“) die Kommensalität verweigert haben.


1) Nicht nur zwei.


1) Act. 15, 23 ff.


2) Act. 21, 21 ff.


3) Act. 21, 28. 29. Nur die Stelle Act. 22, 21 nimmt scheinbar einen etwas


1andern Standpunkt ein (Entrüstung der Menge darüber, daß er sich als Heiland zu den Heiden gesendet bezeichnet), aber es ist offensichtlich, daß, wenn irgendeine Version, dann die Darstellung der Stellungnahme des Jakobus und die Motivierung des Lynchversuchs authentisch ist. Im übrigen konnten naturgemäß die Juden auch über das Abspenstigmachen ihrer unbeschnittenen Proselyten gewiß nicht erfreut sein. Aber ein Angriff auf das Gesetz war darin an sich nicht zu finden.


) Act. 21, 20.


1) Gal. II, 11 ff.


2) Gal. II, 3.


3) Act. 16, 3. Timotheos hatte freilich eine jüdische Mutter, während sein Vater Grieche war: eod. v. 1.


4) Act. 10, 45 - 47.


1) Namentlich im Johannes - Evangelium. Nicht nur sind dort die „Schriftgelehrten“ und „Pharisäer“ als Gegner von Jesus sehr oft durch die „Juden“ schlechthin ersetzt, sondern vor allem ist das Maß, in welchem die Juden ihn verfolgen, aufs Aeußerste gegenüber den andern Evangelien gesteigert: sie trachten ihm bei Johannes fast unausgesetzt nach dem Leben, was bei den Synoptikern nicht in gleichem Maß der Fall ist. (Schon bei Lukas sind in mehreren Fällen, z. B. VIII, 7, XI, 15, die „Pharisäer“ als die Gegner von Johannes und Jesus durch „das Volk“ oder „Etliche“ ersetzt.)