Karl-Heinz Ohlig
Die Inkulturation der christlichen Theologie in der sogn. Dritten Welt (III)
Theologische Schwerpunkte in Asien, Afrika, Ozeanien und Lateinamerika





In den beiden vorherigen Folgen ging es um den problematischen Begriff Dritte Welt, einen Überblick zur Kolonialisierung, den engen Zusammenhang von Kolonisati-on und Mission sowie eine Charakterisie-rung der Missionstheologie.

2. Das Christentum in Asien

2.1 Der fernöstliche Monismus

Die asiatischen Religionen, auf die das Christentum bei seiner Mission traf, reprä-sentieren eine spezifische Form menschli-cher Religiosität, die nicht so ohne weiteres Affinitäten zu christlichen Eigentümlich-keiten erkennen lässt. Die Andersartigkeit soll durch einen kleinen, natürlich verein-fachten Hinweis auf religionsgeschichtliche Entwicklungslinien verdeutlicht werden:

Um 500 v.Chr. entstanden in manchen Kulturen in Asien und im Nahen Osten auf dem Boden der jeweiligen Hochreligionen universale religiöse Theorien und somit (prinzipiell) „Weltreligionen“. Im fernen Osten gab es zwei Zentren dieser dynami-schen Entwicklung: Einmal Indien, zum andern China. In Indien folgten auf die ve-dische Religion der Hinduismus, der Budd-hismus und der wirkungsgeschichtlich nicht so bedeutsame Jainismus, in China lösten Taoismus und Konfuzianismus die chinesische Reichsreligion ab bzw. führten sie – mit ihr und in ihr koexistierend – auf einem neuen Niveau weiter. Im Nahen Os-ten formte sich der jüdische Monotheis-mus.

Das Judentum, bisher ein Monokult, ent-schied sich als einzige Religion – während des babylonischen Exils – zu einer alleini-gen Geltung von Person und Geschichte: Jahwe wurde zum einzigen personalen Gott, Schöpfer von allem und Herr über den Kosmos, für den die hebräische Spra-che noch nicht einmal einen Begriff besitzt, und seine Gesetze. Jahwe ist Anfang, Be-wegkraft und Ende der Geschichte, absolut einmalige und universalgültige Person. Die fernöstlichen Weltreligionen gehen den entgegen gesetzten Weg: Sie erklären "das Selbst" des Menschen und seine Geschichte zu einem vorübergehenden Phänomen – mehr noch: zu einer im Grunde nicht sein sollenden Größe, die Leid hervorruft –; al-leinige Relevanz und Geltung hat die un-persönliche göttliche Weltkraft. Gott ist All-Gott, kosmischer Gott, immanentes Prinzip der Welt und alles Seienden; er ist in der Welt und ist in uns als tragender Grund und einziges Ziel. Er ist ein monistischer Gott.

Als das Christentum nach Asien kam, traf es dort – und trifft bis heute – auf monisti-sche Religionen, für die Geschichte und Person entweder vorübergehende Stadien auf dem Weg zur Selbstaufhebung in das All-Eine hinein oder sogar negativ besetzte, das Heil störende Faktoren sind. Diese Si-tuation muss berücksichtigt werden, wenn man die Eigenart der sich in Asien bilden-den christlichen Theologien verstehen will.

Die christliche Mission findet also uralte religiöse Schrifttraditionen vor, die zwar von der fundamental vielleicht bei allen Menschen strukturell gleichen Sinnfrage ausgehen, diese aber von gänzlich anders-artigen Erfahrungen und Reflexionen her konkret stellen und beantworten.

Nun sind die asiatischen Kulturen und Re-ligionsgeschichten vielfältig; es gibt eine Fülle ethnischer, regionaler und kulturel-ler Ausprägungen. Natürlich kennt der ferne Osten neben den beiden genannten Kristallisationspunkten oder dynamischen Zentren Indien und China eigenständige und recht beachtliche Religionen und Reli-gionsgeschichten, wie z.B. in Korea oder Japan. Diese sind aber im Lauf der Geschichte sehr stark von Indien und/oder China beeinflusst worden, entweder durch direkte Übernahme (z.B. Buddhismus in Korea und Japan oder chinesische und buddhistische Religionsformen in Korea) oder doch durch indirekte Beeinflussung. Deswegen ist es legitim, diese beiden Hauptkulturen in den Mittelpunkt der Un-tersuchung zu stellen.

2.2 Das Christentum in Indien

2.2.1 Vorbemerkung: Zum Hinduismus

Der heutige Hinduismus kennt zwei Ur-sprungskulturen und -religionen: einmal die vedische Religion der indoeuropäischen Eroberer und Herrenschicht, die sich im Verlauf von tausend Jahren (1.500 bis 500 v. Chr.) von einem bunten (rigvedischen) Polytheismus, in dem allerdings die Souve-ränität der personalen Götter durch die Weltordnung, rita, sowie die Macht des priesterlichen Kultes eingeschränkt war, zum reinen Monismus der Upanishaden oder Vedanta (=Ende der Veden) gewan-delt hatte; zum zweiten die ältere Indus- oder Harappa-Kultur der nicht-indoeuropäischen einheimischen Bevölke-rung, die auch nach ihrer Überlagerung durch die Religion der Eroberer fortbe-stand. Sie war im wesentlichen agrarisch geprägt und kreiste um das Motiv der Fruchtbarkeit der Natur, in deren Gesche-hen und immer währenden Zeugungspro-zess sich auch der Mensch eingegliedert sah.

Beide Traditionen haben sich etwa seit der Mitte des letzten vorchristlichen Jahrtau-sends zum "Hinduismus" verschmolzen. Diese Religion mit ihrer zweieinhalb Jahr-tausende alten Geschichte (und ihrer mehr als tausendjährigen Vorgeschichte) ist nicht einfach zu charakterisieren; sie kennt kein "Dogma" und keine kirchenähn-liche Organisation und stellt ein faszinie-rendes Mit- und Ineinander verschiedens-ter religiöser Überzeugungen und Prakti-ken dar; die kanonische, die quasi-kanonische und sonstige religiöse Literatur ist äußerst reichhaltig und vielgestaltig. Ebenso aber finden sich primitiv-religiöse Formen, Magie und Aberglauben, dazu ge-meinindische oder regional und lokal spezi-fizierte Polytheismen, die selbst wiederum im Lauf der Geschichte im Vishnuismus und Shivaismus zu henotheistischen Kon-zentrationen auf die Verehrung nur eines Gottes führten (nur oder vor allem Vish-nus oder Shivas); daneben entfalten ver-schiedenste Vedanta-Schulen, in denen der Upanishaden-Monismus und die entspre-chende Soteriologie oft in extremer Weise auf den Begriff gebracht werden, ihre Wirk-samkeit vor allem unter Gebildeten; auch hinter den zahlreichen Formen der Yoga-Tradition und den Lehren der zahlreichen Gurus steht eine monistische Anschauung.

Allein schon die mehr oder weniger fried-fertige Existenz all dieser pluralen Traditi-onen – der Vedanta-Schüler geht auch in den Tempel Vishnus, der Vishnugläubige praktiziert auch Yoga oder verehrt irgend-eine lokale Gottheit usf. – und die gerühmte religiöse Toleranz des Inders machen deut-lich, dass die Pluralität von Welt und Ge-schichte nicht im Sinne realer Verschie-denheit aufgefasst wird; die pluralen For-men sind vielmehr je eigentümliche Kon-kretionen des all-einen Göttlichen: die je-weiligen Ausprägungen sind nicht „als sol-che" wichtig, die Relevanz des Konkreten ist vielmehr aufgehoben in einem prinzi-piellen Monismus. Dies gilt selbst für die henotheistischen Strömungen des Vishnu-ismus und Shivaismus und die in ihnen zu findende Analogie mancher Vorstellungen zu christlichen soteriologischen Topoi, wie z. B. des Gedanken der Bhakti („Liebe“) zu Vishnu und der begnadenden Erlösung des Frommen durch diesen Gott gemäß der Bhagavadgita, dem indischen "Neuen Tes-tament"; auch Motive dieser Art sind unter-fangen von dem indischen monistisch-soteriologischen Denken, und in dieses münden auch alle reflexen und begriffli-chen Vertiefungen der indischen Religions-praxis ein.

Den Menschen fasziniert im Hinduismus das all-eine Göttliche, Grund und Wirklich-keit von Welt und Mensch; ihm steht ge-genüber der Mensch in seiner geschichtli-chen Besonderheit, in seinem Selbst. Sote-riologischer Ausgangspunkt ist also die ge-schichtliche Existenz und ihr Zentrum, das Atman („Selbst") des Menschen. Dieses wird vom Hindu erfahren als Ursache der Zweiheit, der Diastase zur eigentlichen und anzuzielenden Wirklichkeit. Soteriologisch geht es dem Inder – mehr oder weniger ausdrücklich, mehr oder weniger intensiv – um die Aufhebung des Atman in das all-eine Göttliche, das Brahman, in einen Zu-stand völliger und unterschiedsloser Iden-tität. Erst in ihm findet es seine Ruhe, hat alle Zerrissenheiten der geschichtlichen Existenz hinter sich gelassen und ist eins geworden mit allem.

Dieses Ziel muss jeder Mensch allein und für sich anstreben („Selbsterlösung"), weil ein unpersönliches Prinzip, der monisti-sche Gott, nicht tätig werden kann; das Ziel kann nur dadurch erreicht werden, dass die Ursachen für den Zwang, geschichtlich existieren zu müssen, das Karma, entfal-len. Das Karma ist so etwas wie die Summe aller Taten oder die Lebensbilanz eines Menschen. Solange ein Mensch im Augen-blick des Todes Karma besitzt, gibt es einen Grund für ihn zu existieren; er muss wie-dergeboren werden. Der fromme Hindu will aus diesem Zwang, aus dem Kreislauf sei-ner Existenzen, ausbrechen. Dies kann nicht gelingen durch ein neues, vielleicht sittlich besseres Tun, sondern nur durch einen Rückzug aus der Geschichte. Von ihr muss er sich innerlich lösen, vorbereitend durch Vermeidung von Bösem, durch das man sich selbst auf Geschichte und Exis-tenz fixiert, und ein sich-nicht-bindendes Gutsein – auf dieser Ebene gibt es eine Ent-sprechung von hinduistischer und christli-cher (oder islamischer) Ethik –, endgültig aber durch den Rückzug aus der Geschich-te auf das Selbst und die Entgrenzung die-ses Selbst auf das All-Eine hin. Wer sich bei seinem Tod noch nicht gänzlich von allen Bindungen gelöst hat, muss wiedergeboren werden in einer neuen Existenz nach Maß-gabe seiner noch vorhandenen Verhaftung an die Geschichte; diesem verhängnisvollen Kreislauf kann nur entrinnen, wer die völ-lige Freiheit des Selbst realisiert hat; dann kann er mit den Upanishaden sprechen: „Ich bin das All".[1]

Wie in allen monistischen Soteriologien ist der einzelne auf sich selbst verwiesen. Was er aber dennoch braucht, ist das richtige Wissen („Veda“) um die Zusammenhänge; nur dann kann er sich richtig verhalten. Lehre und Wissen stellen die „Restbestände christologischer Vermittlung" von Heil dar.

2.2.2 Zur Missionsgeschichte

Das Christentum in Indien hat eine alte Geschichte. Schon Ende des zweiten nach-christlichen Jahrhunderts[2] kamen Ein-wanderer aus Mesopotamien, also dem ost-syrischen Raum, nach Südwestindien (Ke-rala), wo sie christliche Gemeinden be-gründeten. Diese alte Kirche führt sich auf den Apostel Thomas zurück („Thomas-christen“) und umfasst heute beinahe zwei Millionen Mitglieder.

Um 1500 begründete Portugal einige Kolo-nien an der indischen Küste, bald folgten niederländische und englische Handels-kompanien. Mit den Portugiesen begann eine europäisch-katholische Mission. 1518 landeten die Franziskaner in Indien, l542 die Jesuiten unter Franz Xaver. Diese por-tugiesische Patronatsmission brachte einige Erfolge, Goa und angrenzende Küstengebie-te wurden christianisiert (heute etwa 5 - 7 Millionen Katholiken).

Die syrischen Christen, mehr als ein Jahr-tausend isoliert, hatten keine nennenswer-te Mission betrieben, sondern sich als eine Art von (christlicher) Kaste in das indische System eingefügt. Das hatte den Vorteil, dass sie unbehelligt ihr religiöses Leben praktizieren konnten; als nachteilig kann die Beschränkung auf den eigenen Binnen-raum und das Fehlen einer Dynamik nach außen angesehen werden: Sie brachten keine nennenswerte Theologie hervor und hatten keinen Kontakt zu anderen christli-chen Kirchen[3]. Als die Portugiesen kamen, erkannten die sog. Thomaschristen die abendländischen Katholiken als Glaubens-brüder an.

Nun begann eine verwickelte Geschichte des Verhältnisses beider Gruppen: Portugal und die europäischen Missionare betrieben eine weit gehende Latinisierung der Tho-maschristen, woraufhin es zu Unruhen und auch Abspaltungen kam. Erst Ende des l9. Jahrhunderts erhielten die Thomas-christen wieder einheimische Bischöfe und einen eigenen Ritus. Seitdem sind sie unter dem Namen Syro- oder Chaldäo-Malabarische Kirche[4] mit Rom uniert. Ver-schiedene Gruppen hatten sich – aus Oppo-sition gegen die Latinisierung – abgetrennt. Die größte dieser Gruppen, heute knapp 200.000 Christen, hat in verschiedenen Schritten den Anschluss an Rom vollzogen (l930 traten zwei Bischöfe über, l977 auch der Erzbischof selbst). Unter dem Namen Syro-malankarische Kirche ist auch sie heute mit Rom uniert (westsyrischer Ri-tus).

Die protestantische Mission setzte erst viel später ein: l706 kamen deutsche Luthera-ner nach Indien, l793 englische Baptisten, 1813 Anglikaner. Die evangelische Mission ist bis heute vor allem auf den Süden kon-zentriert.

Die eigentliche Auseinandersetzung zwi-schen indischem Denken und christlicher Theologie vollzog sich im Kontext der ka-tholischen und der protestantischen Missi-on. Die europäischen Missionare standen zunächst der indischen Kultur ohne Ver-ständnis gegenüber. Man hielt die Inder für Heiden, ihre Kultur wurde gering geschätzt - eine Meinung, die bis ins l9. Jahrhundert hinein eine gewisse Stütze darin fand, dass sich damals die indische Kultur tatsächlich in einer Phase des Niedergangs befand. Dem äußeren Anschein nach schien es sich um einen abstrusen Polytheismus und Aberglauben zu handeln, die großen religi-ösen und philosophischen Traditionen wa-ren weithin unbekannt und schienen auch im eigenen Land weithin vergessen zu sein; noch Mahatma Gandhi lernte die Bhaga-vadgita, das indische „Neue Testament“, während seines Studiums in England ken-nen.

Die katholischen Missionare waren über-zeugt, dass nur gerettet wird, wer sich tau-fen lässt und der katholischen Kirche an-schließt. Ähnlich schwer tat sich die pro-testantische Mission, die von ihrer exklusi-ven Bindung an die Rechtfertigungslehre her in allem Nicht-christlichen nur Sünde und Abfall sehen konnte; ähnliche Raster lebten auch in diesem Jahrhundert durch die Theologie Karl Barths noch einmal auf: Der evangelische Indienmissionar William Ward schrieb noch l822 in seinem Buch „A View of the History, Literature and Mytho-logy of the Hindoos, Including a Minute Description of their Manners and Customs, and Translations from their Principal Works“, dass durch die Erbsünde die Menschheit gänzlich verdorben und so dem Satan ausgeliefert sei[5]; also blieb auch für die Inder nur, von ihrem satanischen Trei-ben zu lassen und Christen zu werden.

Im katholischen Raum, damals der zah-lenmäßig größten christlichen Richtung, gab es im frühen l7. Jahrhundert erste Bemühungen um eine positive Würdigung der indischen Kultur. Der Jesuit Roberto de Nobili, bald auch andere (C.G. Beschi, Th. Stephens u.a.) brachte es fertig, die hei-lige Sprache der Inder, das Sanskrit, dessen Kenntnis den oberen Kasten reserviert war, zu lernen. De Nobili begründete die Bedeutung dieser Sprachbeherrschung:

"Die zukünftigen katholischen Priester sol-len dem indischen Volk das Christentum in ihrer eigenen Sprache darstellen und nicht in einem Kauderwelsch, in dem alle religiö-sen Ausdrücke portugiesisch sind. Sie soll-ten ... zugleich auch Fachleute für die Reli-gion der Hindus sein, unter denen sie le-ben“. [6]

In einem Brief schrieb er: "Der Rat des Bu-ches Exodus: ›Sagt nichts gegen die Götter!‹ gilt auch gegenüber den Gottheiten unserer Heiden; nicht, als ob sie nicht zu verwerfen wären, sondern deswegen, weil es keines-wegs von gutem ist, sondern die Bekehrung der Seelen behindert, wenn man etwas ge-gen sie sagt. Will man die Finsternis aus einem Zimmer vertreiben, so verschwendet man seine Zeit nicht damit, daß man mit Besen gegen sie ficht, sondern man zündet eine Lampe an, dann verschwindet die Finsternis von selbst. So ist es auch mit dem Herz des Heiden: Man muß in es ein-treten, indem man seine Hochachtung und seine Liebe gewinnt, und darin die Lampe der Wahrheit zum Leuchten bringen, die den Schatten der Idolatrie zu vertreiben vermag, ohne daß man irgendwelche Ge-walt anzuwenden braucht."[7]

Er versuchte auch, die indische Lebenswei-se zu übernehmen, indem er sich entspre-chend kleidete, einsam in einer Hütte lebte und vegetarisch aß.[8]

De Nobili übersetzte eine scholastische Ab-handlung über die Existenz und Natur Got-tes ins Tamilische und versuchte, den Glauben an eine Seelenwanderung mit bib-lischen und scholastischen Argumenten zu widerlegen. Sein Umgang mit dem Hindu-ismus war also durchaus differenziert. Er wandte sich gegen alles, was ihm als „Göt-zendienst" erschien, so dass er noch keinen interreligiösen Dialog im heutigen Sinn praktizierte; dennoch aber konnte er durch seine Aufgeschlossenheit viele Anliegen und Standpunkte des Hinduismus ver-ständlich machen. Durch ihn angestoßen, verfassten auch andere Missionare eigene Schriften in der jeweiligen Landessprache, die heute unter Indern als klassisch gelten.

Diese Missionare versuchten einen ersten Schritt zu einer tieferen Verständigung mit dem Hinduismus zu gehen. Dabei ist eines deutlich: der Sache nach blieben sie aber noch bei der Überzeugung, der Hinduismus sei – biblisch und scholastisch – zu wider-legen. Immerhin aber waren sie schon der Meinung, dass die Inkarnation Gottes in Jesus nur der Anfang eines weiterführen-den Inkarnationsprozesses Gottes in frem-de Kulturen, hier also die indische, sei. Da-durch fand die christliche Mission einen Zugang auch zu höheren Kasten. Für die Praxis und den Gottesdienst übernahm man indisches Brauchtum.

Hieraus entwickelte sich der sog. Riten-streit, der gleichzeitig auch in China ausge-tragen wurde. In Indien verknüpfte sich die Frage nach der Zulässigkeit indischer Riten im Gottesdienst noch zusätzlich mit dem Problem der Anerkennung der mala-barischen Riten der Thomaschristen.

Portugiesische Missionare polemisierten gegen De Nobili, l623 aber bestätigte Gregor XV. zunächst einmal die Methoden De No-bilis[9]. Der Kampf gegen ihn ging aber wei-ter und führte rund 100 Jahre später zu einem Verbot der indischen Riten (endgül-tig l744 durch eine Bulle Benedikts XV.)[10] . Von l739 an mussten alle in Indien tätigen Priester den sog. Riteneid schwören. Bald danach, l760, wurden die Jesuiten vertrie-ben, erst im l9. Jahrhundert konnten sie wieder neu in Indien beginnen. Eine Wende in der Missionspolitik kündigte sich erst an, als sich auch das Ende der Kolonialzeit abzeichnete; l940 ließ Rom eine vorsichtige Duldung der indischen Riten zu, der Riteneid wurde abgeschafft.[11]

(wird fortgesetzt)





© imprimatur Dezember 2006
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[1]Vgl. vom Verf., Fundamentalchristologie, aaO. 564.
[2]Vgl. Stietencron, aaO. 295.
[3]Vgl. Felix Wilfred, Entwicklung der katholi-schen Theologie in Indien, in: Ders./M.M. Tho-mas, Theologiegeschichte der Dritten Welt. In-dien (Aus dem Engl. übers. von E. A. Gensi-chen, H.- W. Gensichen u. Th. Karnasch; Theo-logiegeschichte der Dritten Welt, hrsg. von Theo Sundermeier und Norbert Klaes [Hrsg.]), Mün-chen 1992, 153.154.
[4]Malabar ist das Land des Pfeffers: Kerala.
[5]Vgl. hierzu Richard V. de Smet, Die Theologie in Indien, in: Bilanz der Theologie im 20. Jahrhundert. Perspektiven, Strömungen, Mo-tive in der christlichen und nichtchristlichen Welt, hrsg. von Herbert Vorgrimler und Ro-bert vander Gucht, Bd. 1, Freiburg, Basel, Wien 1969, 407.408 (der ganze Aufs.: 405-421).
[6]Zitiert nach: Vincent Cronin, A Pearl to India. The Life of Robert de Nobili, London 1959, 168; im Deutschen zitiert nach: Ignatius Puthiadam, Überlegungen zu einer indischen Theologie, in: ZMR 67, 1983, 206 (der ganze Aufs.: 206-219).
[7]Zitiert nach: H. Heras, The Missionary Me-thods in the Nations of Ancient Civilisation, in: Studia Missionalia (Rom 1951), 181-198; deutsch nach der Übersetzung bei R.V. de Smet, aaO. 406.
[8]Vgl. F. Wilfred, aaO. 157.
[9]Johannes Beckmann, Die Glaubensverbreitung in Asien, in: Handbuch der Kirchengeschich-te, hrsg. von H. Jedin, Bd. V: Die Kirche im Zeitalter des Absolutismus und der Aufklä-rung, Freiburg, Basel, Wien 1970, 322 (der ganze Beitrag: 305-350).
[10]Ebd.
[11]J. Metzler, Die jungen Kirchen in Asien, Afri-ka und Ozeanien, in: Handbuch der Kirchen-geschichte, hrsg. von H. Jedin, Bd. VII, aaO. 782 (der ganze Beitrag: 769-820).