RGG III - Kraemer
Synkretismus
II. Im Wirkungsbereich der Mission
»S. im Wirkungsbereich der Mission« kann erstens meinen: Welche Rolle spielt der S. in den Religionen, unter denen die Mission der Neuzeit (seit dem 18. Jh.) ihre Arbeit ausübt? Bei dieser Fragestellung kommen, vom Standpunkt der Mission aus gesehen, weniger die sog. primitiven Religionen und der Islam als vielmehr die asiatischen Hochreligionen in Indien, China, Japan und Südostasien in Betracht, die wegen ihrer ganzen Orientierung und Verwurzelung in bestimmten Grundgefühlen und Grundkonzeptionen Hauptgebiete des s.en Bewußtseins sind. Damit ist nicht gemeint, daß sie alle als s.e Gebilde anzusprechen sind. Teilweise ist das wohl der Fall, aber es ist, religionswissenschaftlich gesehen, nichts Besonderes, weil s.e Gebilde überall vorkommen, sogar im Christentum und Islam, die wesensmäßig nicht-, ja anti-s. sind. Gemeint ist vielmehr, daß die Hochreligionen Asiens ihrem Wesen nach gigantische Beispiele des S. als Naturanlage sind. Daher gibt es zum Studium des S. in den Quellen und im konkreten religiösen Leben kein ergiebigeres Feld als diese. Zur Auseinandersetzung des Christentums mit ihnen vgl. ð Amida: II, ð Bhakti: II, ð Buddhismus: III, ð China: III, ð Hinduismus: II, ð Japan: III, ð Indien: III, ð Indonesien: III, ð Shintoismus: II.
»S. im Wirkungsbereich der Mission« kann zweitens bedeuten, daß die Mission dem S. als Problem begegnet und sich daher um eine motivierte Ansicht bemühen muß, um damit in solcher Art fertig zu werden, daß der christliche Glaube und das christliche Gemeinschaftsleben sich art- und umweltgemäß entfalten können. Der S. ist also nicht nur ein religionswissenschaftliches, sondern auch ein Missionsproblem (ð Mission: III). Als solches hat er in der ð Missionswissenschaft eigenartigerweise lange Zeit keine Beachtung gefunden und ist erst seit ca. 30 Jahren ein viel diskutiertes theologisches Problem. Das hat vor allem zwei Gründe: Einmal hat es einer jahrzehntelangen angestrengten religionswissenschaftlichen Arbeit bedurft, um die asiatischen Hochreligionen einigermaßen zu ergründen, zu verstehen und so auch ihren S. zu durchschauen. Wie sehr man sich, bes. auf missionarischer Seite, über die Bedeutung des S. in der Totalwirklichkeit der Religionen im unklaren war, zeigt beispielhaft die Verurteilung der ð Taiping-Bewegung als eines hoffnungslosen S. - Im Falle der Mission kam hinzu, daß man als Ziel mehr die Bekämpfung und Beseitigung jener Religionen durch das Christentum und weniger ihre Ergründung im Auge hatte. Zu letzterem kam es erst allmählich als Folge der religionswissenschaftlichen Ergebnisse und eines vertieften Nachdenkens über den zähen Widerstand dieser Hochreligionen, verbunden mit einer erneuerten Auffassung dessen, was eigentlich der Auftrag der ð Mission (: III A) sei. Dazu kam, daß infolge der gerechteren Wertschätzung der Religionen von seiten der Religionswissenschaft die Frage an Theologie und Mission gestellt wurde, wie es mit der ð Absolutheit des Christentums gegenüber dem Wahrheitsanspruch der anderen Hochreligionen nun eigentlich stünde. Diese Frage berührte den Lebensnerv der Mission, die Berechtigung zu ihrer Arbeit.
Beide Faktoren fanden ihren Ausdruck im Programm und dem Geist der Weltmissionskonferenz in Jerusalem (1928; ð Internationaler Missions-Rat, 6). Seitdem ist der S. ein Thema geworden, dessen man sich in der gesamten missionswissenschaftlichen Diskussion bewußt ist. In Jerusalem ging es bes. darum, die Beziehung des Christentums zu den lebenden nichtchristlichen Religionen vom Standpunkt der religiösen Wahrheitsfrage zu formulieren und den »Wert« dieser Religionen zu bestimmen. Die Konferenz hat ferner erstmals den ð Säkularismus (: II) der modernen Welt als ein eigenes und erstrangiges Problem erfaßt und dabei auch die Frage berührt, ob sich nicht angesichts des Säkularismus alle Religionen zusammenfinden sollten. Im Zusammenhang mit diesen Fragen wiesen manche, die dem aufstrebenden ð Nationalismus (: II) im Osten als einer nicht nur politischen Erscheinung Verständnis entgegenzubringen suchten, nachdrücklich auf das große geistige und kulturelle Erbe der Hochreligionen hin und plädierten darum für eine weniger dogmatische Beurteilung dieser Religionen. - So zeigte die Jerusalemer Konferenz, obwohl sie bestimmt missionarisch inspiriert war, eine verwirrende Verbindung von Offenheit für die anderen Religionen und eine nur halbbewußte Ungewißheit hinsichtlich des eigenen Erbes. Darum ist sie, bes. von kontinentaleuropäischer Seite, verschiedentlich kritisiert worden.
Diese Kritik äußerte sich in der Form, daß viele eine deutliche Gefahr des S. schon in den Fragestellungen feststellten. In der Diskussion des S. als eines missionarischen Problems hatte das Wort S. einen stark negativen Beigeschmack, z. B. bei H. W. Schomerus in Bd. II seines Werkes »Indien und das Christentum« (1932). Auch K. ð Hartenstein behandelte das Thema in verschiedenen Aufsätzen vorwiegend in diesem Sinne, war aber der erste, der anfing, die Dinge in biblischem Licht zu sehen. Die Erfahrungen der Zeit des Nationalsozialismus und das Phänomen der Deutschen Christen trugen begreiflicherweise dazu bei, den S. zu verabscheuen.
S. als ernsthaftes Diskussionsthema ist also noch jung. Die Diskussion ist lange ein innertheologisches Anliegen der westlichen Theologie geblieben. Versuche, das Thema in gründlicher theologischer und missions- oder kirchlich-pädagogischer Weise im Zusammenhang mit der Wirklichkeit zu durchdenken und zu formulieren, sind auf seiten der westlichen und östlichen Christenheit noch Ausnahmen,
& Lit. meist in Zs.en, vgl. dazu die International Missionary Bibliography in der IRM, seit 1928. - Ferner: The Jerusalem Meeting of the IMC, 8 Bde, London 1928 - H. KRAEMER, The Christian Message in a Non-Christian World, London 1938; dt. 1940 - DERS., Religion and the Christian Faith, ebd. 1956; dt. 1959, bes. 379. 396 ff. - H. J. MARGULL, Aufbruch zur Zukunft. Chiliastisch-messianische Bewegungen in Afrika u. Südostasien, 1962 (Lit.).
H. Kraemer
[Synkretismus, S. 12 ff. Digitale Bibliothek Band 12: Religion in Geschichte und Gegenwart, S. 31793 (vgl. RGG Bd. 6, S. 567 ff.) (c) J.C.B. Mohr (Paul Siebeck)]