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SOZIALISMUS GERHARD BESIER FREIHEIT
Freiheit oder Sozialismus? Freiheit und Soziale Gerechtigkeit!
WELCHER BESIER SPRICHT HIER? ES GIBT AUCH EINEN BESIER
BEI DER LINKEN
Von Gerhard Besier
Freiheit oder Sozialismus – das war eine Wahlkampfparole, die verschiedentlich von der CDU gebraucht wurde. Warum es sich dabei nicht um eine Alternative handelt und dass Freiheit mit sozialer Gerechtigkeit sehr gut zusammengehen kann – das möchte ich im Folgenden erläutern.
Der historische Zugriff
In Deutschland hat Freiheit als gelebte, als praktizierte Haltung keine allzu große Tradition. Das ist in anderen europäischen Staaten und den USA anders.
Freiheit – das ist in der angloamerikanischen Welt seit jeher ein Zauberwort gewesen. Im Namen der Freiheit kämpfte „der Westen“ im 20. Jahrhundert gegen Faschismus, Nationalsozialismus und Kommunismus und befestigte damit sein Selbstbild als Verteidiger einer „Freien Welt“. In dem Treuegelöbnis an die Nation, das amerikanische Schulkinder sprechen, ist von „Freiheit und Gerechtigkeit für alle“ die Rede. Hier sehen Sie bereits, dass Freiheit allein anscheinend nicht ausreicht. Die berühmte Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika vom 4. Juli 1776, also heute vor 232 Jahren, beginnt mit dem Satz: „Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, dass alle Menschen gleich erschaffen worden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, darunter sind Leben, Freiheit und das Bestreben nach Glückseligkeit.“ Auch in der Präambel der Verfassung der Vereinigten Staaten von 1787 nimmt der Freiheitsbegriff eine zentrale Stellung ein: „Wir, das Volk der Vereinigten Staaten, von der Absicht geleitet, unseren Bund zu vervollkommnen, die Gerechtigkeit zu verwirklichen, die Ruhe im Inneren zu sichern, für die Landesverteidigung zu sorgen, das allgemeine Wohl zu fördern und das Glück der Freiheit uns selbst und unseren Nachkommen zu bewahren, setzen und begründen diese Verfassung für die Vereinigten Staaten von Amerika.“ Sehr bald begriffen die Gründungsväter freilich auch, dass das „Glück der Freiheit“, um es wirklich zu genießen, an bestimmte weitere Voraussetzungen gebunden war. So erkannten sie die vitale Bedeutung des Rechts. Wirkliche Freiheit konnte nur Freiheit unter dem Recht sein, wie Thomas Jefferson 1823 hervorhob. Unterstützende Werte erschienen nötig, um Freiheit überhaupt erst zu ermöglichen. 1941 proklamierte Präsident Roosevelt die vier Freiheiten, von denen er meinte, sie bedingten einander: Religionsfreiheit, Redefreiheit, die Freiheit von Not und die Freiheit von Furcht. Menschen, die täglich ums Überleben kämpfen müssen, sind nicht wirklich frei. Auch Menschen, die besorgt sein müssen, dass ihre Überzeugungen, wenn sie sie offen aussprechen, ihnen zum Nachteil gereichen können, leben nicht in wirklich freien Verhältnissen. Aber das ist natürlich nicht alles: Das Bedürfnis nach Freiheit erlebten viele Menschen zu verschiedenen Zeiten anders: Arbeiter mussten um das Recht kämpfen, sich in freien Gewerkschaften organisieren zu können, Schwarze mussten um Gleichberechtigung mit Weißen kämpfen, Frauen um die Gleichstellung mit Männern, Homosexuelle um ihr Recht, öffentlich anerkannt so zu leben, wie sie es wollten. Freie Menschen haben die freie Wahl zu leben, wo sie wollen, die Freiheit zu tun, was sie wollen und die Freiheit, so nach ihrem Glück streben, wie sie es möchten. Eine verantwortliche Wahlfreiheit findet freilich da ihre Grenze, wo die Gefahr besteht, andere Menschen einzuschränken und zu verletzen.
Systematisieren wir im zweiten Zugriff noch einmal, was wir im ersten am historischen Beispiel erläutert haben :
Die klassische Definition „Freiheit ist die Abwesenheit von Zwang“ trifft zu. Es handelt sich hier um den Kern des Freiheitsbegriffs, den Ausgangspunkt für die politische Freiheitstheorie. Menschen sind in dem Maße frei, in dem sie ihre eigenen Entscheidungen treffen können, und im Zustand der Freiheit finden sie Verhältnisse, die Zwänge auf ein Minimum reduzieren.
Der moderne Freiheitsbegriff schillert etwas, weil er einmal den Einzelnen meint, aber auch kollektiv verwandt wird – etwa, wenn wir von einem „freien Land“ sprechen. Im letzteren Fall sprechen wir auch von der „Verfassung der Freiheit“.
Schließlich muss die Idee der Freiheit als gelebte Freiheit in der wirklichen Welt im Interesse der anderen durch einen „Gesellschaftsvertrag“ begrenzt werden. Hier liegen die Wurzeln der Debatte um die Freiheit.
Dass Einschränkungen der gelebten Freiheit in der menschlichen Gesellschaft unvermeidlich sind, mag kaum einer bezweifeln. Die entscheidende kontroverse Frage lautet, wie viel Beschränkung der nach unserer Vorstellung unbeschränkten Freiheit wir hinnehmen können und wie hoch wir andere Werte, die mit dem Freiheitswert in Konkurrenz treten, einschätzen.
Klar ist also, dass Freiheit in einer Verfassung der Freiheit festgelegt werden muss. Dabei handelt es sich um einen Rahmenvertrag, der die Grenzen der Freiheit im Konsens festlegt. Dieser Rahmenvertrag darf nicht mit einem ewigen Gesetz verwechselt werden. Ein solcher Vertrag kann selbstverständlich, wenn sich die Verhältnisse ändern, entsprechend den neuen Bedürfnissen angepasst werden – wenn die Mehrheit das will.
Die Verfassung der Freiheit besteht aus zwei Teilen. Der erste ist das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Hier geht es um die Herrschaft des Rechts. Menschliches Recht liegt in Gestalt von Gesetzen vor. Gesetze bilden die oberste Instanz. Niemand steht über dem Gesetz. Das Gesetz „gehört“ allen freien Bürgern.
Es genügt nicht, Gesetze zu verabschieden. Zur Durchsetzung von Gesetzen braucht es Macht. So wie Menschen nun einmal sind, bleiben Gesetze unwirksam, wenn ihrer Nichtbeachtung keine Strafe folgt. Der zweite Teil der Verfassung der Freiheit ist die Art, wie Macht organisiert ist, oder genauer, wie sie begrenzt wird. Hier kommt die Demokratie ins Spiel. Ihre Institutionen – Wahlen, Parlamente, Gewaltenteilung – stellen die Instrumente, um die Macht zu beschränken, die für die Herrschaft des Rechts zwar nötig ist, aber ständig kontrolliert werden muss.
Dass wir eine Regierung, einen Staat brauchen, wird von den meisten ebenso wenig bezweifelt wie die rechtliche Beschränkung von Freiheit. Aber heftig gestritten wird darüber, wie viel Staat nötig ist und wie er organisiert sein soll. Auf die Institutionen der Demokratie gewendet, lautet die Frage: Wie viel Zwang und Beschränkung sind in einer freiheitlichen Gesellschaft gerechtfertigt?
Der britische Philosoph Isaiah Berlin hat zwischen zwei Freiheitsbegriffen unterschieden, die er etwas missverständlich „negative“ und „positive“ Freiheit nannte. Unter „negativer“ Freiheit versteht er sozusagen „Freiheit pur“ – Freiheit ohne Zusatzbedingungen, also jegliche Abwesenheit von Zwang. „Positive Freiheit“ setzt dagegen ein Menschenbild voraus, in dem der Mensch darauf verzichtet, sein eigener Herr zu sein. Er unterstellt seine Freiheit Gott oder einer anderen Instanz und meint, durch den Gehorsam gegenüber dem höheren Wesen die „wahre“ Freiheit für sich gewonnen zu haben. Papst Benedikt XVI. hat in seiner Regensburger Rede von 2006 ausdrücklich den säkularen Westen kritisiert, dessen „Vernunft dem Göttlichen gegenüber taub ist und Religion in den Bereich der Subkultur abdrängt“. Er sieht in der Abwendung vom Religiösen die Krise der Gegenwart begründet und geißelt demzufolge die „Diktatur der positivistischen Vernunft“. Umgekehrt sagt der kritische Rationalist, dass der Klerus die raffinierteste Diktatur errichtet hat, weil er vorgibt, nicht im eigenen Namen, sondern im Namen eines Anderen Herrschaft über die Menschen auszuüben, ja im Auftrag jenes Ganz Anderen ausüben zu müssen. Also nicht im eigenen Herrschaftsinteresse redet der Papst, sondern in dem Gottes, und er verkündet nicht seine eigene Heilslehre, sondern die Gottes. Wenn man freilich davon ausgeht, dass Religion eine Erfindung der Menschen ist, weil sie in Situationen tiefster Verunsicherung meinen, einen Anker zu brauchen, dann ist Religion eine Herrschafts-Ideologie unter anderen. Und der Mensch hat seine „negative“, also seine absolute Freiheit gegen eine „positive“, eine ideologisch gebundene, in diesem Falle die „katholische“, eingetauscht. Solchen irrationalen Ansätzen wohnt das romantische Schwärmen inne – für das große Ganze, für herrliche Führungsgestalten und für die Freude, in freiwilligem Gehorsam treu zu folgen, im kollektiven Selbst aufzugehen.
Es gibt eine andere Form der „positiven“ Freiheit, die häufig mit der Berlins verwechselt wird und die wir oben schon im Zusammenhang mit Roosevelt kennen gelernt haben. Es ist die soziale Freiheit, die Roosevelt 1941 meinte, als er Freiheit von Furcht und Freiheit von Not proklamierte. Körperliche Gefährdung und Armut gelten in den freien westlichen Gesellschaften als Verletzungen der Freiheit.
Seit dem Aufkommen der sog. „Sozialen Frage“ im 19. Jahrhundert wurde über die soziale Freiheit gestritten. Karl Marx suchte in seinen Frühschriften das tatsächlich bestehende Problem zu lösen, indem er zwischen der „formellen Freiheit“ der bürgerlichen Gesellschaft und der noch zu schaffenden „reellen Freiheit“ einer utopischen klassenlosen Gesellschaft unterschied. Halten wir uns nicht mit dem triumphalen Ritual auf, das jetzt üblicherweise abläuft: Mit einer Beschreibung des Scheiterns des realen Sozialismus. Festzuhalten ist doch, dass von Marx bis hin zu dem Unionspolitiker Ludwig Ehrhardt so etwas wie „reelle Freiheit“ in der Ökonomie angestrebt wurde. Nicht den „Raubtierkapitalismus“ wollte die alte Bundesrepublik dulden, sondern eben einen gezähmten – einen, der „soziale Freiheit“ gewährleistet. Warum dieser Ansatz heute keine Chance mehr hat, wollen wir hier nicht erörtern. Selbstverständlich haben jene, die für wirtschaftliche und unternehmerische Freiheit kämpften, gegen sozialstaatliche Maßnahmen opponiert, die ihre Freiheit einschränkten. Die Profiteure ungebremster Kapitallust argumentierten meist damit, dass eine freie Marktwirtschaft die wirksamsten Rahmenbedingungen zur Förderung des Wohlstands böten. Dem ist entgegenzuhalten, dass sehr wohl andere Regelmechanismen denkbar wären, die ebenfalls zu Wohlstand führen können. Außerdem könnte das entscheidende Kriterium sein, bescheidenen Wohlstand für möglichst Viele zu erreichen. Großer Wohlstand für wenige und eine immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich sind keine Empfehlung für das aktuelle Wirtschaftssystem.
Es ist keine Frage, dass soziale Rechte, die so oft mit Freiheit verbunden werden, eine Beschränkung derselben bedeuten. Aber eine Gesellschaft, die sich dazu entschließt, um sozialer Rechte willen Freiheit einzuschränken, muss nicht notwendig einem autoritären Regime das Wort reden, wie so oft behauptet wird.
Mit Recht ist dagegen eingewandt worden, dass es zu einer Begriffsverwirrung führt, wenn man den Freiheitsbegriff mit anderen Begriffen verschmelzen will, die ebenfalls Werte, aber eben andere, bezeichnen. Freiheit ist Freiheit und soziale Gerechtigkeit ist soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit ist Chancengleichheit und gerechte Teilhabe ist gerechte Teilhabe.
Die andere Verwirrung besteht darin, dass wir Freiheit und die Bedingungen, unter denen Freiheit herrschen kann, nicht immer klar unterscheiden. Durch Armut zum Beispiel kann Freiheit zu einer Illusion werden. Hier ist nicht die Freiheit zum Konsum gemeint. Natürlich ist ein Landstreicher nicht „wirklich“ frei, im Ritz zu dinieren, weil ihm die notwendigen Mittel dazu fehlen – und das, obwohl ihn niemand daran hindert.
John Rawls, der große Philosoph der Gerechtigkeit, hat darauf hingewiesen, dass Armut und mangelnde Bildung zwar kein geringeres Maß an Freiheit begründen, aber doch eine Ungleichheit in Gestalt eines geringeren Wertes von Freiheit. Mit anderen Worten: Für einen Armen besitzt Freiheit einen geringeren Wert, weil er elementare Bedürfnisse befriedigen muss. Einem Sozialstaat, der diesen Namen verdient, muss es darum gehen diese Werte-Ungleichheit zu verkleinern, indem er Bedingungen schafft, die es jedem Bürger ermöglichen, sich seiner Freiheit zu erfreuen.
Im wirklichen Menschenleben erhält Freiheit erst einen Wert, wenn konkrete Freiheiten auch erlebbar werden. Wer in Unterdrückung lebt, Zwangsarbeit verrichten muss oder auf andere Weise versklavt wird, kann den Wert der Freiheit nicht schmecken. Denn durch solche Formen von Zwang verliert der Einzelne den Status einer zu eigenen Entscheidungen fähigen Person. Freiheiten müssen also von einer großen Mehrheit in der Gesellschaft erlebbar sein. Es darf sich bei diesen Freiheiten nicht um den Luxus kleiner Eliten aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft handeln.
Freiheit ist nicht der einzige Wert, wie wir bereits wahrgenommen haben. Vielmehr sind wir genötigt, mit einer Vielzahl oft widersprüchlicher und miteinander konkurrierender Werte zu leben. Die Einlösung der Forderung nach staatsbürgerlicher Gleichheit beispielsweise hat zur Folge, dass bestimmte Freiheiten aufgegeben werden müssen. Soll Gleichheit als Wert dominieren, muss ein Stück Freiheit geopfert werden. In offenen Gesellschaften liegen die Freiheits- und die Gleichheitsliebhaber oft im Streit miteinander, und nur gelegentlich kann es wegen des verschiedenen politischen Ansatzes zu Koalitionen kommen.
Um das Überleben der Freiheit zu sichern, müssen freiheitlich handelnde Menschen verantwortlich tätig werden. Freiheit kann immer nur tätig sein, sie ist kein ein für allemal erreichter Zustand, sondern muss gegen die Trägheit der Menschen, ihre Bereitschaft sich unterzuordnen und sich gedankenlos führen zu lassen, immer wieder auf Neue geweckt werden. “Wenn das aktive Streben nach Freiheit nachlässt ist sie [auch schon] in Gefahr.“ Führerschaft, Ideologie und Mobilisierung der Massen durch populäre Propaganda sind die Vorboten autoritärer Verhältnisse und zeigen den allmählichen Verlust von Freiheit an. Freiheit geht nicht sofort, wir verlieren sie in kleinen Stücken. Im Namen von Sicherheit und Freiheit erfolgen die Machtausweitung der Exekutive, eine Einschränkung der Bürgerrechte durch Reglementierung und Überwachung; solche Schritte gehen auf der anderen Seite einher mit rückläufiger politischer Beteiligung und wachsender Lethargie. Freiheit wird dann zu einem Anliegen von Minderheiten. Das ist die Situation, in der sich die Verteidiger der Freiheit Anfeindungen ausgesetzt sehen.
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