KRITIK ROBERT LEICHT WIESO EIN PAPST
Seligsprechung
Wieso gerade ein Papst?
Das Himmelreich gebührt den zurückgesetzten Menschen. Ein Einwand gegen die Seligsprechung Johannes Paul II.
Wer eigentlich ist selig zu nennen? Für Christenmenschen empfiehlt es sich, dazu die Bibel zurate zu ziehen. So liest man bei Matthäus im fünften Kapitel zu Beginn der Bergpredigt Jesu: »Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.« Im weiteren Fortgang werden die Leid Tragenden, die Sanftmütigen, die nach Gerechtigkeit Hungernden und Dürstenden, die Barmherzigen, die Menschen reinen Herzens und die Friedfertigen sowie jene, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, als selig gepriesen.
Was also heißt selig sein? Letzten Endes: Diesen Menschen soll das Himmelreich gehören, sie werden Gott schauen. Mit einer gewissen Pointierung lässt sich sagen: Seligpreisungen gelten den kleinen und zurückgesetzten Leuten, den Zukurzgekommenen, denen, die auf dieser Welt unter die Räder zu geraten drohen – jedenfalls nicht zuerst den Privilegierten. Und was ihnen zugesagt wird, verweist auf jene andere, hier nur im Vorschein zu erhoffende Welt. Wer aber dort wirklich selig sein wird, entscheiden nicht unsere hiesigen Instanzen, auch nicht die kirchlichen. Dies liegt außerhalb ihrer und unserer Verfügung. Erbitten, erhoffen kann man vieles – zusagen jedoch nichts.
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Katholizismus | Papst | Heiliger | Religion | Christentum
Denn das Maximum jüdischer wie christlicher Glückseligkeit, nämlich Gott von Angesicht zu Angesicht zu schauen, ist in dieser Welt unerreichbar und von den Kindern dieser Welt nicht zu versprechen – es wäre nach jüdischer Frömmigkeit überdies tödlich. Sogar Moses muss sich das sagen lassen. Er fordert: »Lass mich deine Herrlichkeit sehen!« Doch das wird ihm verweigert mit dem Zusatz: »Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir hersehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.«
Dies alles sollte man bedenken, wenn man am 1.Mai auf das römische Schauspiel der Seligsprechung von Johannes Paul II. blickt. So außergewöhnlich die Gestalt, so außergewöhnlich das Verfahren! Doch passt das eine zum anderen? Ganz gewiss war der Papst aus Polen eine säkulare Gestalt. So einhellig dieses Bewusstsein, so umstritten allerdings erscheint für viele, auch für manche Katholiken, das Seligsprechungsverfahren. Im Einzelnen wie im Ganzen. Eigentlich sollte ein solches Verfahren frühestens fünf Jahre nach dem Tod des zu Ehrenden eingeleitet werden können. Aber von diesem Detail abgesehen, weckt der römisch-katholische Brauch der Selig- und Heiligsprechung schon für sich genommen Einwände.
Wurden denn nicht schon ein paar Leute zu viel heiliggesprochen, die es aus heutiger Sicht kaum verdient hätten? Bernhard von Clairvaux zum Beispiel mit seinen gewalttätigen Kreuzzug-Predigten und seiner Forderung, wenn sich der Aberglaube der Slawen nicht ausrotten lasse, müsse man eben die Slawen ausrotten – wirklich ein Heiliger? Vor allem aber lassen sich gegen die Verleihung solcher Titel fundamentale theologische Bedenken geltend machen. Außerdem dürfte weder das Andenken Johannes Pauls II. noch sein ewiges Seelenheil von solchen Prädikaten abhängen, obwohl gerade er die Zahl dieser Erhebungen massiv ausgeweitet hatte.
Kurzum: Selbst wenn man nicht so streng und konsequent wie die Reformatoren urteilt (»Aus der Hl. Schrift kann man aber nicht beweisen, dass man die Heiligen anrufen oder Hilfe bei ihnen suchen soll« – so steht es im Augsburger Bekenntnis von 1530), spricht doch vieles für äußerste Zurückhaltung gegenüber solchen Prädikationen. Unverkennbar wollen auch die römisch-katholischen Regularien diese Zurückhaltung absichern. Deshalb die fünfjährige Wartefrist zwischen der Einleitung eines Verfahrens zur Seligsprechung und dem Tode der betreffenden Person.
Noch ist kein theologischer und kirchenrechtlicher Gesichtspunkt zu erkennen, aus dem im Falle von Johannes Paul II. von dieser stehenden Regel abgewichen wurde – es sei denn, man wolle Benedikt XVI. zugutehalten, dass er immerhin den subito sancto-Rufen bei der Beisetzung seines Vorgängers widerstanden hat, also der Forderung nach einer Spontan-Heiligsprechung. Jedenfalls steckt das weitere Verfahren voller Ambivalenzen, die sich immer deutlicher aufdrängen, je mehr man darüber nachdenkt.
Es ist wiederum ein Zeichen für die ursprüngliche vatikanische Zurückhaltung, mit der Rom einer Inflationierung der Seligsprechungen entgegentreten möchte, dass ein solcher Akt nur möglich ist, wenn ein Wunder mit der Person des zu Erhebenden verbunden ist. Wunder gibt es immer wieder, aber gewiss nicht alle Tage. Diese im Verfahren eingebaute Hürde kann zu merkwürdigen Anstrengungen führen, wenn man jemanden der Seligsprechung für würdig hält, aber irgend so etwas wie ein Wunder aufbieten muss, dem nicht einmal der »Advocatus Diaboli« (der nur aus diesen Verfahren bekannte »Anwalt des Teufels«) mehr widersprechen kann.
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Im Falle der Seligsprechung Johannes Pauls II. soll eine Parkinson-Patientin auf wundersame Weise vollständig genesen sein, nachdem sie zu dem im Verlauf einer Parkinson-Erkrankung verstorbenen Papst gebetet hatte. Ohne dass man nun der Frage nachgeht, ob Wunder überhaupt möglich sind, muss doch die hier zugrunde gelegte Struktur des Wunders dem durch die Aufklärung gegangenen heutigen Zeitgenossen eine starke Zumutung sein. Und dies deshalb, weil hier das Gebet der Patientin streng kausal für ihre Heilung gedacht wird (und auch das unterstellte hilfreiche Eintreten des verewigten Papstes für sie), also eine Beweiskette geschmiedet wird, die es mit jeder anderen Ursachenkette aufnehmen soll und die nicht einmal der Advokat des Satanas mit seinen scharfsinnigen Argumenten mehr sprengen kann.
Doch die eigentliche theologische Zumutung dieser Vorstellung von Wunder liegt noch auf einer ganz anderen Ebene: Weshalb soll diese eine Patientin durch päpstliche postmortale Intervention gerettet worden sein, alle anderen Parkinson-Kranken aber – auch alle anderen, die ebenso heiße Gebete gen Himmel gesandt oder direkt an den verstorbenen Papst adressiert haben – dem erschütternden Verlauf ihrer Krankheit hilflos überlassen bleiben? Eine merkwürdige katholische Gnadenwahl, der unbarmherzigen doppelten Prädestination eines Johannes Calvin durchaus ebenbürtig.
Selbst wenn die bevorstehende Würdigung Johannes Pauls II. der gefühlten Frömmigkeit angemessen erscheinen mag, dem frommen Denken legt der Vorgang so manches Opfer auf. Der Heilige in der christlichen Tradition, das war im jüdischen Denken bis weit ins Neue Testament hinein der »Zedek«, der Gerechte. Wer diese und jede andere Seligsprechung mit einem Störgefühl verfolgt, mag sich an Lukas 15,7 halten. »Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.«
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