THEMEN
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Krieg der Kanäle |
Im
Kampfgegen den Terror setzen die USA auf eine gezielte
Desinformationskampagne.
Der Erfolg scheint fraglich
VON
RALF BENDRATH
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Dieser Gegner ist Teil eines Netzwerks, das keine Zentrale hat, die vernichtet werden könnte. An der Konzentration auf bin Laden zeigt sich das Dilemma der Informationsfronten, an denen die amerikanische Regierung kämft. Es deutet tatsächlich einiges darauf hin, dass der infowar nach zehn Jahren intensiver Debatte eine zentrale Rolle im strategischen Denken der amerikanischen Militärs eingenommen hat. Genau eine Woche vor Beginn der Angriffe, am 1. Oktober, wurde vom Pentagon die Quadrenni Defense Review veröffendicht, eine Art Weißbuch der US-Militärstrategie. Klar heißt es dort: »Die Fähigkeit, Informationsoperationen durchzuführen, ist eine Kernkompetenz für das Verteidigungsministerium geworden.« Ebenfalls Anfang Oktober wurde mit Richard B. Myers ein Mann neuer Generalstabs-vorsitzender, der für den Kampf an der Informationsfront geeignet scheint wie kaum ein anderer. Er war bis Februar letzten Jahres als Chef des Weltraumkommandos auch für die Entwicklung des Informationskrieges in den US-Streitkräften zuständig. Unter ihm erhielten die USA eine eigene Doktrin für »Informationsoperationen«, die im Jahr 1998 als Dokument JP 3-13 veröffentlicht wurde. Darin heißt es: »Informationsoperationen beinhalten die Beeinflussung gegnerischer Informationen und Informationssysteme, während die eigenen Informationen und Informationssysteme verteidigt werden.« Die Informationskrieger von heute beziehen sich gerne auf die Ideen des chinesischen Militärtheoretikers Haben die USA in diesem Krieg den eigentlichen Gegner aus dem Blick verloren? Dieser sollte doch gerade der globale Terrorismus mit seinen Netzwerken sein, nicht ein zerschundenes Land. Noch einmal Sun Tsu: »Wenn du den Gegner kennst und dich selbst, dann brauchst du hundert Schlachten nicht zu fürchten. Wenn du dich selbst kennst, aber nicht den Gegner, wirst du für jeden errungenen Sieg eine Niederlage erleiden.« Die USA betreiben viel Aufklärung, um langsam ein Bild von den Netzwerken des transnationalen Terrorismus zu erlangen. Hoch technisierte Spionagesysterne helfen dabei nicht viel. Entscheidend wäre es, zu verstehen, wie die Denkstrukturen des Gegners beschaffen sind. Kulturelle Kompetenz ist hier gefragt, nicht nur der militärisch-technische Blick. Doch dafür seien die US-Geheimdienste kulturell nicht qualifiziert, so Jörg Becker, Professor für Politik und Medienforschung der Universität Marburg. Die Kommunikationsstrukturen der Terroristen basieren auf einfachen Mitteln wie E-Mail-Adressen bei Hotmail und Yahoo. Wer sie angreift, kann nicht verhindern, dass sofort neue entstehen. Auch Osama bin Ladens Rolle war bisher die eines Diplomaten und Vermittlers zwischen den verschiedenen autonomen Terroristengruppen. Die US-Medien hatten sich nach dem 11. September freiwillig in den Dienst der Nation gestellt, so dass Verteidigungsminister Rumsfeld den Vorschlag seiner PR-Chefin Victoria Clarke für unnötig hielt, eine Medienkarnpagne zu lancieren. Man war sich am heimatlichen Ende der Informationsstrategie sicher - und rechnete nicht mit dem Gegner. Doch dann platzte in die ersten Live-Berichte zum Thema »America strikes back« das Video von bin Laden, das der arabische TV-Sender AI-Jazeera an CNN verkauft hatte. Alle Versuche, die Medienattacke zu vereiteln, schlugen fehl. In einer Zeit, in der Nachrichtenmoderatoten mit dem Sternenbanner wedeln, ist es nicht schwierig, die eigenen Medien zur Zurückhaltung anzuhalten. Im globalen Maßstab funktioniert dies jedoch nicht. Nun müssen die USStrategen des Informationskriegs nicht nur fürchten, dass die Tricks, die sie zur Überlistung des Gegners entwickelten (wie die Instrumentalisierung von TVProgrammen) gegen sie selbst gerichtet werden. Die USA, die stets stolz waren auf die Meinungsfreiheit, werden nun mit den Mitteln der freien Berichterstattung in die Enge gedrängt. Der arabische Sender Al Jazeera wird weltweit täglich von 20 Millionen Menschen eingeschaltet. Die dritte Informationsfront ist die eigentlich entscheidende. Hier bieten sich Ansätze, um dem Terrorismus seine Anhängerschaft zu nehmen. Dazu müsste man Bilder und Deutungsmuster erzeugen, die anschlussfähig sind an die Denksnuktuten fanatischer oder arnerikanischer Muslime. Direkt nach dem 11. September bestand dazu eine einzigartige Chance: Sie lag in der eindringlichen Macht der Fernsehbilder, die eine globale Betroffenheit erzeugten. Wie in Washington und Berlin, so waren sich auch die TV-Zuschauer in Amman, Kairo, Damaskus - und sogar in Teheran - einig, dass der Massenmord Tausender Zivilisten ein Verbrechen ist. Diese Synchronizität öffentlicher Meinung hat die große Antiterrorkoalition erst möglich gemacht. Aber offenbar wurde von den Protagonisten des infowar vergessen, dass ein Krieg das Potenzia!. hat, diese Koalition zu zerstören. Man hatte sich daraufverlassen, dass CNN nicht in Kabul vor Ort sei und moderne Distanzwaffen eine Kriegsberichterstattung durch amerikanische Medienvertreter ohnehin unmöglich machen würden. Informationen
strategisch zu nutzen heißt gerade nicht, die Kanäle zu
zerstören - weder mit Bomben noch mit Störsendern,
Hackern oder Zensur. Der infowar-Vordenker John Arquinala der seit
Jahren das Pentagon in diesen Fragen berät, warnt vor solchen
Fehlern. Informationskrieg bedeutet für ihn, die andere Seite
zu verstehen und daran anknüpfend, die eigene Sicht der Dinge
zu kommunizieren. Das Femsehen kann hier eine wichtige Funktionn
übernehmen - ähnlich wie früher diplomatische
Vertretungen. Nach den irr das US-Außenministerium noch
kurz, vor Beginn der Angriffe auf Afghanistan versuchte,
Al-Jazeera schließen zu lassen, hat man in der Zwischenzeit
of- fenbar dazugelernt. Das Weiße-Haus signalisierte, dass
der Präsident interessiert sei, dem Sender ein Interview zu u
geben. Vielleicht liegt hierin eine Chance, die Informationssphäre
nicht als Raum des Kriegs, sondem der Verständigung
anzusehen. In einem solchen Interview wäre George W Bush näm-
lich gezwungen, die arabische Version der Wahrheit wenigstens zur
Kenntnis zu nehmen. Tony Blair hat ihm da eine Erfahrung voraus.
Als er AI-Jazeera vor wenigen Tagen ein Interview gab, behauptete
Blair, er lese den Koran. |
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Auszug
aus: Frankfurter Rundschau 3/2002
Ralf
Bendrath