Topografie des Todes 1

Ruanda und das UN-Tribunal


Zwischen den Stuhlreien der Kirche lagen zerstückelte Leichen.

Abgeschlagene Gliedmassen, zertrümmerte Schädel,

blutverschmierte Kleider, verdorrte Hautfetzen, Oberschenkel

im fortgeschrittenenen Stadium der Verwesung, verstreute

Wirbelknochen, Fingerglieder, Zähne. Das Szenarium hatte etwas

Unwirkliches, künstlich Arrangiertes - nature morte,

ein Stilleben der Grausamkeit. Die Wahrnehming wollte sich in

ästhetische Kategorien flüchten, um der unerträglichen

Wirklichkeit zu entkommen. Weil es einfach nicht wahr

sein durfte, was in der Kirche von Ntarame zu sehen war.

Aber es blieb dieser unsägliche Leichengestank. Und die Stille.

Die Toten stille, die aller Auslöschung folgt.

15. April 1994


Quelle:

27.Dez. 01

DIE ZEIT






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