OSTDEUTSCHLAND |
Religiöser Wandel |
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Religiöser Wandel im Osten Bericht aus einem theologischen Forschungsprojekt
Von Uta Karstein, Mirko Punken, Thomas Schmidt-Lux und Prof. Dr. Monika Wohlrab-Sahr, Institut für Praktische Theologien!
Im Osten Deutschlands hat sich während der Zeit der DDR im Bereich von Religion und Kirche ein Traditionsbruch vollzogen, der historisch seinesgleichen sucht. Gehör- ten im Gründungsjahr der DDR noch 91 Prozent der Bevölkerung einer der beiden Kirchen an, waren es im Jahre 1989 nur noch 29 Prozent. Seitdem gingen die Zah- len weiter nach unten. Auch wenn der Osten Deutschlands auf- grund vorangehender Entwicklungen am Ende des Krieges bereits merklich „ent- kirchlichter“ war als der Westen, hatte doch die repressive Kirchenpolitik der SED und ihre Kult- und Weltanschauungskonkur- renz gegenüber den Kirchen einen erheb- lichen Anteil an diesem Prozess. Es ist je- doch anzunehmen, dass der äußeren Ent- kirchlichung oft auch Prozesse subjektiver Säkularisierung entsprachen. Nach der Wende erwarteten viele, dass es unter den veränderten Rahmenbedingun- gen zu einer Revitalisierung des religiösen Lebens in den neuen Bundesländern kom- men würde. Diese Annahme hat sich nicht bestätigt, doch ist die „religiöse Lage“ auch nicht einfach dieselbe geblieben. Während sich insbesondere bei den „DDR- Generationen“ eine hohe Resistenz gegen- über religiösen Angeboten zeigt, deuten die aktuellen Umfragen auf eine gewisse Öff- nung gegenüber religiösen Fragen bei den 19- bis 29-Jährigen hin, vor allem auf eine deutliche Zunahme des Glaubens an ein Leben nach dem Tod. Im Bereich des Re- ligiösen bilden sich zunehmende Differen- zen zwischen den Generationen heraus. Im Rahmen eines DFG-Projektes geht eine Gruppe von Soziologen an der Abteilung Religionssoziologie der Theologischen Fakultät (Leitung: Prof. Monika Wohlrab- Sahr) diesen Prozessen genauer nach. Untersucht wird, wie sich ostdeutsche Fa- milien mit der staatlich forcierten Abkehr von Religion und Kirche in der DDR aus- einandersetzten, diese aktiv mit vollzogen, sich ihr entzogen oder widersetzten, und wie sie mit den veränderten Rahmenbedin- gungen seit der Wende umgehen. Der Wandel im religiösen Feld ist freilich nicht isoliert zu betrachten, sondern un- mittelbar mit dem gesellschaftlichen Wandel in anderen Bereichen verknüpft. Gleichzeitig hatte er für die Angehörigen verschiedener Generationen unterschied- liche Implikationen: Diese brachten ver- schiedene Vergangenheiten und Prägungen mit, standen unterschiedlichen Chancen- strukturen und Selbstverständlichkeiten gegenüber und antizipierten ihre Zukunft in je verschiedener Weise. Das Projekt nähert sich der Logik dieser Prozesse über Familieninterviews, in de- nen Vertreter dreier Generationen gemein- sam die Geschichte ihrer Familie erzählen. Ergänzt werden diese Darstellungen durch Fragen zu bestimmten Epochen der DDR- und Wende-Geschichte sowie zu Entwick- lungen in Politik, Beruf, Freizeit, Schule und Religion und durch diskussionsgene- rierende Stimuli. Zusätzlich werden Ein- zelinterviews durchgeführt. In der ältesten befragten Generation (Jahr- gänge 1920–1935) existierten zu Beginn der DDR in vielen Fällen noch kirchliche Bindungen. Es war vor allem diese Gene- ration, die angesichts der repressiven Kir- chenpolitik der SED in den 50er und 60er Jahren im Hinblick auf die eigene Kir- chenmitgliedschaft Entscheidungen treffen musste und damit auch die Rahmenbedin- gungen für die mittlere Generation setzte. Dabei hing es u. a. vom sozialen Umfeld, von der Positionierung der Ehepartner, von der religiös-weltanschaulichen Tradition in der Familie, vom persönlichen Erfahrungs- hintergrund sowie von den biographischen der jeweiligen Person ab, wie diese Ent- scheidungen letztlich ausgingen. Deutlich wird einerseits, in welchem Maße sich der Aufbau der DDR und der persönliche „Wiederaufbau“ nach den Erfahrungen von Krieg und Vertreibung überlagern. In dieser Situation bindet sich ein Teil der Be- fragten an den sozialistischen Staat, weil er für sie Entwicklungschancen eröffnet, und kappt konkurrierende – insbesondere kirchliche – Bezüge. Andererseits tragen starke Einbindungen in lokale und ge- meindliche Zusammenhänge sowie eine selbstverständlich gepflegte religiöse Iden- tität dazu bei, auch unter problematischen Rahmenbedingungen an kirchlichen Bin- dungen festzuhalten. Auffällig ist bei vie- len Repräsentanten dieser Generation eine explizite weltanschauliche Positionierung – sei sie christlich oder atheistisch. Die mittlere Generation (1945–1960) wächst in einem schon weitgehend säkula- ren Umfeld auf, in dem das Gesellschafts- system der DDR bereits alternativlos ge- worden ist. Die von der SED propagierte „wissenschaftliche Weltanschauung“ und deren Opposition zu religiösen Deutungen sind für diese Generation oft auch subjek- tiv plausibel. Im Bezug auf ihre Umwelt zeigt sich bei diesen Interviewpartnern oft eine Orientierung an zweierlei Wirklich- keiten. Mit dem Motto „Gebt dem Kaiser was des Kaiser ist und Gott was Gottes ist“ charakterisieren kirchlich gebundene Per- sonen ihre Versuche, den Anforderungen beider Bereiche gerecht zu werden. Auch nicht kirchlich Gebundene greifen zum Teil auf diese Unterscheidung zurück und grenzen damit den familialen Binnenraum vom gesellschaftlichen Außenraum ab. Die jüngste Generation (1975 – 1985) ist mit dem Umbruch 1989 in einer prägenden Phase konfrontiert, die gleichzeitig auch die Generation der Eltern und Großeltern be- trifft. Dies gilt im Hinblick auf berufliche Destabilisierungen ebenso wie im Hinblick auf die erschütterte Legitimität früherer Po- sitionierungen. Diese Interviewpartner sind in der neuen Gesellschaft über Studium und Beruf oft gut integriert und auch mobil. Gleichzeitig müssen sie eine Brücke schla- gen zu den Erfahrungen der vorangehenden Generationen. In religiöser Hinsicht sind sie offener, aber auch uneindeutiger. Bis- weilen kommt es hier zum Anschluss an die religiösen Traditionsbestände der Großel- tern, die für die eigenen Bedürfnisse zu- rechtgeschnitten werden. Hier fanden wir z. T. Gemeinschaftskonstrukte, Mythenbil- dungen und Formen kosmisierender Deutung, aber auch Re-Interpretationen von Fragmenten des wissenschaftlichen Atheismus. Mit dieser jüngsten Generation und deren Bezugnahme auf die älteren Ge- nerationen wird sich das Projekt in der nächsten Zeit eingehender beschäftigen.
UNIVERSITAET LEIPZIG Februar 2005 Heft 1/2005 ISSN 0947-1049 |
Quelle: UNIVERSITAET LEIPZIG |
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Februar 2005 Heft 1/2005 |
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