Jan Ross

Konservativ, Liberal, Sozialistisch

 


Es gibt, bei aller Chamäleonhaftigkeit und allen historischen Irrfahrten des politischen Konervativismus, in ihm am Ende doch so etwas wie einen eisernen Bestand, ein Leitmotiv, einen Kern, und der ist im Lichte von Kohl und Haider überraschend aktuell. Er hat mit dem Menschenbild zu tun. Aus linker und liberaler Sicht ist der Mensch im Prinzip gut. Für die marxistisch inspirierte Linke versteht sich das von selbst: Es sind die ungerechten Verhältnisse, die geändert werden müssen, dann steht dem Reich der Gerechtigkeit nichts mehr im Weg. Der Liberalismus hält nichts von solchen Utopien. Aber optimistisch ist er auch: Freie Individuen, entlastet vom Ballast der Tradition und der Bevormundung, schaffen eine Gesellschaft des Wachstums und des Fortschritts. Auch das ist, wie der Marxismus, im Grunde eine Glücksphilosophie. 

In den Augen des Konservativen dagegen ist der Mensch tendenziell schlecht. Oder, weniger krass gesagt, der Mensch ist unvollkommen, schwach, zum Bösen alleweil verführbar. Daher beispielsweise ist für den Konservativen der Staat wichtig. Er ist für ihn nicht, wie für den  
Liberalen, eine ärgerliche Freiheitseinschränkung, die auf ein Minimum reduziert gehört. Er ist auch nicht, wie für den klassischen Sozialdemokraten, ein gütiger Riese, der Geld und Lebenschancen verteilt. Für den Konservativen ist der Staat eine anthropologische Notwendigkeit, Stütze und Fessel zugleich für ein ansonsten ziemlich haltloses Wesen. Man muss vorsichtig sein mit  
der Schleifung von Institutionen und mit dem Abbau von Autorität, weil die Gesellschaft sonst in sich zusammenfällt oder außer Rand und Band gerät. 
Zum Konservativen gehört die Skepsis und sogar ein Schuss Pessimismus. Weil der Mensch nicht gut ist und nicht fürs Glück geschaffen, darum ist es nichts geworden mit der sozialistischen Geschichtserlösung. Darum wird es aber auch nichts mit der Happiness-Moderne aus Wirtschaftsinternationalisisierung und Kosmopolitentum, aus Freihandel und universalem Humanismus, woran die Westerwelles dieser Welt glauben. Deren Glaube ist auch wieder eine Ideologie, und wenn man sie den Leuten mit aller Gewalt eintrichtern will, wehren sie sich und verhaidern. 

Letztlich liegt, wie säkularisiert auch immer, dieser konservativen Skepsis ein theologisches Motiv zugrunde. Es ist die Lehre von der Erbsünde. Der Mensch hat, immer schon und ausnahmslos, einen Bruch in sich, einen Knacks, einen Fehler. Er strahlt überallhin aus, vom Banalen bis zum Schrecklichen, von der schwarzen Kasse bis zum Fremdenhass, und er ist nicht zu kurieren, weder durch neue Partelengesetze noch durch den neuen kategorischen Imperativ "Nie wieder Auschwitz!". Der Urknacks lässt sich nicht beseitigen, nur in Rechnung stellen. Mit der Bergpredigt, lautet eine einst berühmte Weisheit aus der Zeit des Nachrüstungsbeschlusses, kann man keine Politik machen. Mit der Erbsünde muss man. 

Auszug: Jan Ross: Zwischen Kirch und Kirch

  

Quelle:

Feb 2000

DIE ZEIT







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