US-Vasallen

Als Willy Brandt 1974 gestürzt wurde, brach für mich zwar keine Welt zusammen, aber doch etwas aus ihr weg, das dann nicht mal ein Helmut Schmidt ersetzen konnte: Der Übergang vom visionären Idealismus der frühen zum Realo-Pragmatismus der späten siebziger Jahre ist die Generationserfahrung der 78er; und weil 1982 auch der Sturz von Schmidt hingenommen werden musste, kam den meisten von uns selbst die kümmerlichste Resthoffnung aufs Politische abhanden.

Einige weltgeschichtliche Umdrehungen später, da die Staatengemeinschaft der ehemals "freien westlichen Welt" in einen Kordon mehr oder weniger unfreier US-Kolonien umgewidmet ist, kann auch das Amt eines Bundeskanzlers nur mehr als das des obersten Büttenredners verstanden werden - insofern ist es mit einer gut geölten Phrasendreschmaschine nahezu perfekt besetzt. Dass sich die Phrasendreschmaschine jetzt auch noch, wahlkampfbedingt, zum Repräsentanten ihrer Generation aufspielt, zeigt uns das wahre Gesicht der 68er, das dem der 89er überraschend ähnelt: verdruckst-verschämtes beziehungsweise nonchalant-offenes Sammeln von Miles & More.

Nicht dass es mit einem Stoiber besser werden würde. Wie sollte er, aus dem vaterländischen Rollenfach stammend (und auf seine Paraderolle als vorbildlicher Verlierer jetzt schon hinarbeitend), wie sollte er das auch hinkriegen, wenn sich ein nichtamerikanischer Regierungschef lediglich als Teil eines Komödienstadels begreifen darf? Und was also bliebe uns Wählern, bei alldem noch ernsthaft zu vermissen oder herbeizuwünschen? Allenfalls eine neue Utopie, einen neuen visionären Idealismus, sprich, die Abschaffung unsres ganzen elenden Politzirkus zugunsten einer ersten gesamteuropäischen Regierung, deren Chef hoffentlich ein Franzose sein wird oder ein Pole. Bis es irgendwann so weit sein könnte, haben wir nur die Qual der Wahl. Und dürfen uns ausmalen, was wir am Darsteller des Bundeskanzlers vermissen würden, so er denn neu besetzt werden sollte. Seine ungefärbten Haare, sein Changieren zwischen Hallodri- und Onkeltum, seine (im umfassenden Sinn) impotente Ausstrahlung? Am ehesten vielleicht seine Bühnenpartnerin, die muntere Darstellerin der Kanzlergattin, genau genommen, deren Lachen: So viel Zahn wird ihre Nachfolgerin wohl kaum für uns erblecken.

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