Bei
Bert und den Havanna - Jungs
Martin
Zips
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Wenn
sich unsere Nachbarn irgendwann einmal beschweren - ich würde
es ihnen nicht verübeln. Jeden Abend die gleiche Platte:
"Valencia". Mehrmals hintereinander. Inmitten des Wohnzimmers erhebt sich der große Holzkasten mit Kurbel und Trichter. Ein etwa 80 Jahre altes Prunkstück, aus dem - unglaublich! - Musik erklingt. Kein Strom, kein Verstärker. Nur eine Membran und eine Nadel, die über eine rotierende Lackscheibe hinweggleiten, auf welcher kleine, kaum sichtbare Muster eingeritzt sind. So entstehen Laute, die von einer anderen Zeit erzählen. Von einer Zeit, in der man sich noch nicht dafür interessierte, ob ein CD-Rom-Player mit sechsfacher Geschwindigkeit nicht viel schlechter ist als einer mit zehnfacher. Von der Zeit der Grammophone und Phonographen. Valencia tanzt Vorsichtig beginne ich, die Kurbel des Grammophons zu drehen. 20, höchstens 30mal. Sonst könnte die Feder brechen. Der Plattenteller wird freigegeben und dreht sich langsam auf die notwendigen 78 Umdrehungen pro Minute hoch. Dann wird die fahrradklingelgroße Metalldose, aus der die Nadel hervorragt, auf die erste Rille gesetzt. Knistern, Knacken, Kastagnetten - Valencia tanzt. Schon
lange vor der christlichen Zeitrechnung wird von geheimnisvollen
Aufzeichnungs und Wiedergabemaschinen Aufnahme und Wiedergabe weltlicher Laute gehörten eben von Anfang an zu den Wunschträumen der Menschheit. Der Wiener Hofrat Wolfgang von Kempelen tüftelte Ende des 18. Jahrhunderts an einer Maschine, die mit Blasebalg, Rohrpfeifen und Tastatur eine menschliche Stimme imitieren sollte. Das muß so komisch geklungen haben, daß Geräte wie diese in Sachen Volksbelustigung auf Jahrmärkten große Erfolge feierten. Die Imitation der menschlichen Stimme war das eine Ziel, welches als unerreichbar erschien. Doch was die Wiedergabe betrifft, gab es Mitte des 19. Jahrhunderts bereits erste Erfolge. Leon Scott de Martinville führte 1857 in Paris seinen "Phonautographen" vor, der mit einem Schreibstift auf einer rotierenden, berußten Platte die Schwingungen einer Stimme nachzeichnen konnte. Mit der Wiedergabe allerdings haperte es noch. Dann
hatte der Franzose Charles Cros vor 120 Jahren den zündenden
Einfall einer Maschine, die die Schwingungen nicht in Ruß
malen, sondern mit Hilfe eines Stichels in gehärtetes Wachs
schneiden sollte. So könne die Aufnahme auch wieder
abgespielt werden, meinte Monsieur Cros und lieferte so die
Grundidee für alle späteren "Sprechmaschinen".
Um die Idee seines "Parléophone" allerdings auch
zu verwirklichen, dafür fehlte dem Dichter und
Wissenschaftler das Geld. Als er aber davon hörte, daß
ein gewisser Thomas Alva Edison zeitgleich Auf die Idee des Phonographen war Edison während seiner Arbeiten an einem automatischen Telegraphiergerät gekommen. Er hatte bemerkt, daß Vertiefungen der Morse-Schrift auf Papier beim schnellen Vorbeigleiten an einer Stahlfeder menschenähnliche Laute erzeugen. Edison hatte nun die Idee, anstelle von Papier Zinnfolie zu verwenden, die er um eine rotierende Holzwalze wikkelte. Während sich diese Walze drehte, zeichnete ein kleiner Stift, der mit einer Membran verbunden war, die akustisehen Vibrationen als Spirale von links nach rechts in das Stanniolpapier. Über eine zweite Membran konnte die Aufnahme dann wiedergegeben werden. "Es besteht kein Zweifel daran, daß ich die menschliche Stimme speichern und jederzeit genau reproduzieren kann", schrieb er am 18. Juli 1877. Der Kinderreim "Mary Had A Little Lamb", den Edison höchstpersönlich in den Trichter sprach, war die erste gelungene Aufnahme der Menschheit. Der Erfinder konnte sich selber hören - und das, obwohl er bereits damals schwerhörig war. Die ersten Vorführungen seines Apparates waren ein Knaller. Die Journalisten kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus, bezeichneten Edisons Erfindung als das"Wunder des 19. Jahrhunderts " und nannten ihn selbst den "Professor". Er war auch in der Präsentation seiner Maschine ein Profi. Auf der ersten Pressekonferenz begrüßte sein Phonograph die anwesenden Journalisten mit den Worten: "Wie geht es ihnen?" - Als diese "Danke gut" geantwortet hatten, hallte ein gutgelauntes "mir auch" aus dem Messingtrichter. Als die Konferenz zu Ende war, verabschiedete sich das Gerät, indem es allen eine "gute Nacht" wünschte. Die Sensation war perfekt. Edison sah schon damals eine Vielzahl von Einsatzmöglich- keiten seiner Erfindung: als Diktiergerät, als Hilfe für den Sprach- und Blindenunterricht, als sprechende Uhr. Sogar als "Verbindung mit dem Telephon" sei die Maschine zu gebrauchen, damit das Telephon nicht "ein flüchtiger Empfänger von Mitteilungen ist, sondern bleibende und unschätzbare Dokumente liefert". Der Phonograph als Anrufbeantworter, eine Idee, die belächelt wurde. Seine Sprechmaschine ließ Edison daraufhin ruhen. Die Weiterentwicklung einer anderen Erfindung schien ihm wichtiger zu sein: die Glühbirne. Doch in anderen Erfinderstuben drehten sich ebenfalls die Walzen. Die Tüftler Bell und Tainter ersetzten die Zinnfolie durch Wachs, in die ein Schneidstichel die Aufnahme hineinschneiden sollte. Eine Idee, die Monsieur Cros Jahre vorher gehabt hatte. Am 8. November 1887 stellte der deutsche Einwanderer Emile Berliner in Washington D.C. dann die erste Version des "Plattengrammophones" vor - ein Gerät, mit dem Aufnahmen lediglich wiedergegeben werden sollten. Anstelle der Walze benutzte der Buchhalter eine bienenwachsbeschichtete Zinkplatte und ätzte die freigekratzten Rillen mit Säure in das Metall. Nun
erinnerte sich auch Edison wieder an seine Erfindung. Ebenfalls
1887 ersetzte er das Stanniol durch einen Wachs- zylinder und
entwickelte den sogenannten "Perfected Phonograph", der
Aufnahme und Wiedergabevorrichtung voneinander trennte. Dabei
dachte er immer noch Emile Berliner war übrigens recht verbittert darüber, daß Edison ihn ausgerechnet in seinem Heimatland überrundet hatte. Auch er eilte - wenn auch leicht verspätet - nach Berlin, um sein Grammophon der deutschen Öffentlichkeit zu präsentieren. Und was titelten die Zeitungen? "Phonograph verso Grammophon Sieger Grammophon". Na also. Eine Möglichkeit zur Vervielfältigung der Aufnahmen gab es damals jedoch noch nicht. Jedes Stück war ein Original, die Musiker verbrachten Tage und Wochen damit, eine Platte nach der anderen zu bespielen. Eine teure Angelegenheit. Bald jedoch gab es Dupliziermaschinen, bei denen ein Tonarm eine bereits bespielte Walze abtastete und die Vertiefungen am anderen Ende mit einem Stichel in eine frische Walze übertrug. 1892 gelang es Berliner dann, erste Kopien zu ziehen. Er nahm von der "Vaterplatte" ein Wachs-Negativ ab und preßte mit dieser Form Positive aus vulkanisiertem Gummi, das er drei Jahre später durch ein Gemisch aus 30 Prozent Schellack und 70 Prozent Gesteinsmehl ersetzte. Die Schellackplatte als Massenartikel war geboren - damals noch mit einem einzigen Musikstück bespielt. Erst die International Talking Machine Co. brachte von 1903 an beidseitig bespielte Platten heraus. Vor genau 100 Jahren, also 1897, verbesserte Eldrige Johnson das Grammophon, stattete es mit einem tüchtigeren Federmotor und einer neuartigen Schalldose aus. Für dessen Vertrieb wurde ein Jahr später in England dann die Gramophone Company gegründet, ein Jahr später entstand die Schutzmarke His Masters Voice, deren Produkte sich später in der ganzen Welt wiederfanden. Perfekter, ausgereifter, steriler Zum
Beispiel bei mir. Ein verschnörkelter Metallarm hält den
Tonabnehmer, der sich nach oben hin zu einem gewaltigen Trichter
erhebt. In die Innenseite des Trichters hat jemand Blumen, einen
Pferdekopf und das Label von His Masters Voice gemalt: den Hund
Nipper, weiß, mit schwarzen Ohren, den Francis Baraud vor
einem Grammophon sitzend im ... |
Martin Zips
Auszug
aus: SZ, Jan 2001