Goerge W. Bush

Good & Evil



Im Namen von Antiterrorismus und Freihandel: Amerika sichert seine Großmachtstellung für alle Zukunft

von Michael Naumann

Seit dem traumatischen 11. September 2001 fügt sich die unbestrittene moralische Rechtfertigung von Antiterrorismus nahtlos in Washingtons machtpolitische Überlegung, die Gunst der Stunde zu nutzen, um eine globale amerikanische Hegemonie auszubauen und für immer zu sichern. Deutlichster Ausdruck solcher Absicht ist George W. Bushs neue Doktrin des Präventivkriegs.

Im ersten Golfkrieg und auf dem Balkan hatte die amerikanische Generalität entdeckt, dass ihr militärtechnischer Fortschritt, ihre Fähigkeit, dem Feind tausendfache Verluste ohne eigenes Risiko beizubringen, so außerordentlich war, dass Europa mit seinen minimalen Verteidigungsbudgets rettungslos ins Hintertreffen geriet. Es wurde zum Reservoir für harmlose Hilfstruppen.

Mehr noch, aus Europas militärischer Verzagtheit, so eine neokonservative These in Washington, sei eine Toleranz des Untolerierbaren erwachsen - der Mörder nebenan werde allein deshalb hingenommen, weil man ihn leider nicht verhaften könne. Europa habe die Lektion von München 1938, nämlich die verheerenden Folgen von Appeasement, nicht gelernt. Es sei, anders gesagt, ethisch verludert und militärisch verweichlicht.

Dass aber ein kollektives Gedächtnis Europas zugleich die Folgen "unilateralen Handelns" in Kriegen präsent hält, taucht in solcher Welterklärung nicht auf. Die prägende Erfahrung Europas, dessen tiefe Wunden nie vernarben werden, ist ein einziger Weltkrieg, der nicht erst 1938, sondern bereits 1914 begann und erst 1945 endete. Dieser Kontinent, der in zwei Jahrtausenden die Kunst der Kriegsführung verfeinerte und dessen Forscher in der amerikanischen Emigration schließlich die ultimative Waffe entwickelten, hat sich aus der klassischen Machtpolitik verabschiedet, von Präventivstrategien ganz zu schweigen.

"Unsere Verantwortung vor der Geschichte ist klar", sagte Bush am dritten Tag nach dem Anschlag, es gälte, "diese Angriffe zu beantworten und die Welt vom Bösen zu erlösen." Diesem "Kreuzzug" sollte sich niemand in den Weg stellen. "Jede Nation muss jetzt eine Entscheidung treffen", forderte der Präsident am 20. September 2001, "entweder steht sie bei uns oder bei den Terroristen."

"Die Geschichte hat unsere Nation zum Handeln aufgefordert. Die Geschichte hat uns vor eine große Herausforderung gestellt: Wird Amerika mit seiner einzigartigen Stellung und Macht vor dem Terror die Augen verschließen oder uns in eine freiere und zivilisiertere Welt leiten? Darauf gibt es nur eine Antwort: Dieses großartige Land wird die Welt zu Sicherheit, Frieden und Freiheit führen."

Sollte der Militärschlag ohne UN-Mandat stattfinden, wäre die Kernregel des Völkerrechts, das Gewaltverbot, gebrochen. Artikel 2, Absatz 4 der Charta der Vereinten Nationen von 1945 sagt: "Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt." Ein militärisch erzwungener Regimewechsel "als Ziel einer Militärintervention", schreibt Henry Kissinger, "verstößt gegen das System internationaler Beziehungen, das 1648 durch den Westfälischen Frieden errichtet wurde und das Prinzip der Nicht-Intervention in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten verankerte. Außerdem läuft der Begriff einer gerechtfertigten Präemption dem modernen Völkerrecht zuwider, das den Einsatz von Gewalt zur Selbstverteidigung nur gegen akute, nicht aber gegen potenzielle Drohungen erlaubt."

Der Vorschlag des amerikanischen Verteidigungsministers Rumsfeld, eine Nato-Eingreiftruppe (Rapid Response Force) zu bilden, die - ganz gewiss unter amerikanischem Kommando - mit rund 20 000 Mann überall dort auftritt, wo Terroristen zündeln, würde das völkerrechtliche Risiko eines Präventivkriegs amerikanischen strategischen Zuschnitts auf das gesamte Bündnis verlagern. Es müsste seine Vertragsgrundlagen ändern.

Denn die Vereinigten Staaten setzen im Namen des war on terrorism zu einem großen moralischen Macht-Monolog an. Wer ihm nicht zuhören will, das lassen die Falken Washington Europas Tauben bereits wissen, der muss eben fühlen.

(Auszüge!)


DIE ZEIT


Politik 46/2002

Das Reich des Guten

Quelle:

01/10/02

DIE ZEIT





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