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Ruckriegel: Glück und Mitmenschlichkeit
Glücksforschung





Erforschung von Glück und Mitmenschlichkeit

Prof. Dr. Karlheinz Ruckriegel



Georg-Simon-Ohm-Fachhochschule Nürnberg, Fachbereich Betriebswirtschaft



Die deutsche Wirtschaftspolitik will das Wirtschaftswachstum fördern. Die Glücksforschung sagt, dass funktionierende zwischenmenschliche Beziehungen mehr zur individuellen Zufriedenheit beitragen als materieller Wohlstand.



Im Englischen unterscheidet man zwischen
„lucky“ und „happy“, also zwischen Glück haben, zum Beispiel im Lotto, und glücklich sein, weil man sich so fühlt. Im Deutschen existiert für beide Bedeutungen nur das Wort Glück. Die Glücksforschung beschäftigt sich mit Glück im Sinne des Glücksgefühls. Ihr Ziel ist, herauszufinden, was die subjektiv empfundene Zufriedenheit mit dem Leben fördert oder hemmt. Daraus können Handlungsempfehlungen für die Wirtschaftspolitik und die Unternehmen, aber auch für den Menschen
als Individuum abgeleitet werden:



Richard Layard, Glücksforscher an der London School of Economics, gibt zum Beispiel mit seinen Vorschlägen für eine „aktivierende Arbeitsmarktpolitik“ Empfehlungen für die Wirtschaftspolitik;
Unternehmen sollten Rahmenbedingungen

schaffen, die die Zufriedenheit der Mitarbeiter am Arbeitsplatz und damit ihre Motivation sowie ihr Engagement erhöhen;
für den Einzelnen ist die Erkenntnis entscheidend, dass in den westlichen Industrieländern weniger ein Zuwachs materieller Güter, sondern vielmehr die Zunahme von sozialen Kontakten
und von Mitmenschlichkeit die Lebenszufriedenheit erhöht.



Wie wird Glück gemessen?
Ausgangspunkt für die Glücksforschung ist die Annahme, dass Menschen nach Glück streben und dass das oberste Ziel des Menschen Zufriedenheit,
also mehr als bloße Einkommenserzielung, ist.



Glück ist, wenn wir uns gut fühlen, und Elend bedeutet, dass wir uns schlecht fühlen“, so Layard.
Das menschliche Streben nach Glück (Pursuit of Happiness) wurde 1776 in der US-Verfassung als unveräußerliches Recht verankert. Es wurde neben der Freiheit,
der Gleichheit, der Bildung und
dem Eigentum zum Leitwort der bürgerlichen Revolution.


Jeder Mensch hat eigene Vorstellungen von Glück, und das beobachtete Verhalten ist kein ausreichender Indikator für das persönliche Wohlbefinden. Dennoch lässt sich Glück erfassen und analysieren: Menschen können gefragt werden,
wie zufrieden sie mit ihrem Leben sind.
In umfangreichen Studien werden die Befragten gebeten, ihre Lebens-zufriedenheit allgemein bzw. ihre Zufrie-
denheit in unterschiedlichen Lebensbereichen (Gesundheit, Arbeit, Haushaltseinkommen, Lebensstandard, Freizeit, Wohnung, Angebot von
Waren und Dienstleistungen, Umweltzustand) auf einer Skala, die verbal von „ganz und gar unzufrieden“ bis „ganz und gar zufrieden“ oder numerisch
von 0 bis 10 reicht, zu bewerten.



Auf die Frage „Hat die Glücksforschung das Zeug, eine echte Wende im ökonomischen Denken herbeizuführen?“ antwortete Bruno S. Frey, Schweizer Pionier auf dem Gebiet der Glücksforschung, in einem Interview mit Der Zeit vom 5. Juli 2007: „Ja,
der Effekt ist schon einigermaßen revolutionär. Heute messen wir Zufriedenheit empirisch, Nutzen ist also kein abstraktes Konzept mehr wie zu-
vor seit den dreißiger Jahren.
Unsere Maße sind zwar nicht ideal,
aber gute Annäherungen sind sie
schon. Das Bruttosozialprodukt als vorrangige Zielgröße wird ja auch ungenau gemessen. Aber an das Sozialprodukt haben wir uns gewöhnt, und es wird überall akzeptiert, gerade von traditionellen Ökonomen. Die Schätzung der Zufriedenheit fügt dem etwas hinzu,
und das ist ein großer Schritt vorwärts.“



Was die Menschen wirklich glücklich macht
Die Glücksforschung hat sieben Glücksfaktoren identifiziert: familiäre Beziehungen, befriedigende Arbeit, soziales Umfeld, Gesundheit, persönliche Freiheit, Lebensphilosophie (Religion) und
die finanzielle Lage (Einkommen).
Gerade den zwischenmenschlichen Beziehungen – zu Familienmitgliedern, Freunden oder Arbeitskollegen –
kommt dabei eine besondere Rolle zu,
denn „… unser Glück hängt vor allem davon ab, wie unsere Beziehungen zu anderen Menschen aussehen. Wir
brauchen daher eine Politik, in der die Zwischenmenschlichkeit eine große Rolle spielt… Wenn wir nicht erkennen, wie schnell uns unsere materiellen
Besitztümer langweilen, dann geben wir zu viel Geld für ihre Anschaffung aus, und zwar auf Kosten unserer Freizeit. Wir unterschätzen gern, wie schnell wir uns an neue Gegenstände gewöhnen;
die Folge ist, dass wir viel zu viel Zeit darauf verwenden, zu arbeiten und Geld
zu verdienen, und andere Aktivitäten vernachlässigen.“


Die hedonistische Tretmühle betrifft aber nicht alle Erlebnisse. „Das Zusammensein mit der Familie, mit Freunden, Sex, ja sogar die Qualität und Sicherheit unserer Arbeit stellen Erfahrungen dar, an deren positive Auswirkungen wir uns nicht gewöhnen. Glück rührt also von unseren Erfahrungen her, vor allem von unseren Erfahrungen mit
anderen Menschen.“ Nicht die materiellen Güter, sondern die Beziehungsgüter (Relational Goods) sind entscheidend.
Dies wird durch Erkenntnisse aus der Neurobiologie gestützt und erklärt.
Danach ist der Mensch darauf aus, vertrauensvoll zu agieren und gute Beziehungen zu anderen zu gestalten,
so dass er kooperatives Verhalten einzel-
kämpferischen Strategien vorzieht.9



Für die Ökonomie moderner Prägung hat diesen Grundgedanken Hermann
Heinrich Gossen Mitte des 19. Jahrhunderts in seinem Zweiten Gossenschen Gesetz,
das vom Ausgleich der gewogenen
Grenznutzen handelt, herausgearbeitet. Dahinter steht der Gedanke, dass es
nachteilig ist, wenn man nicht danach strebt, alles in ein inneres Gleichgewicht
zu bringen. Auf die heutige Situation bezogen, in der in den westlichen
Industrieländer n die materiellen Bedürfnisse mehr als gedeckt sind,
geht es also darum, den Nutzen aus
materiellen Gütern und den aus Beziehungsgütern abzuwägen und in ein inneres Gleichgewicht zu bringen.
Während ein Zuwachs bei materiellen
Gütern aufgrund des Gewöhnungseffekts nicht zwangläufig einen höheren Nutzen bedeutet, tritt die hedonistische Tretmühle bei Beziehungsgütern nicht auf.


Of fensichtlich sollten sich Ökonomen mit der Glücksforschung und den ihr zugrundeliegenden Erkenntnissen aus der Psychologie und Neurobiologie beschäftigen. Es handelt sich hierbei um
ihr ureigenstes Terrain. Allerdings bliebe dies nicht ohne Konsequenzen für die ökonomische Theorie selbst. Sie müsste radikal reformiert werden, da sie
Schlüsselergebnisse der modernen Psychologie bislang ignoriert. So kann das Konstrukt des Homo oeconomicus nicht
mehr länger als Leitbild des menschlichen Verhaltens angenommen werden.
Daneben kann sich die Volkswirtschaftlehre
als Sozialwissenschaft nicht nur darauf beschränken, was Menschen tun, sondern sie muss auch berücksichtigen, was Menschen fühlen und sagen –
etwas, womit sich die moderne Psychologie schon seit über einem halben Jahrhundert befasst.


Glücksforschung und Wirtschaftspolitik –



Wo steht Deutschland?



In der deutschen Wirtschaftspolitik spielen die Erkenntnisse der Glücksforschung bisher noch keine Rolle. Vielmehr konzentriert sich die Politik auf
das Wirtschaftswachstum. Es stellt sich aber die grundsätzliche Frage, warum Wirtschaftswachstum als politisches Ziel verfolgt werden soll, wenn Wachstum
nicht unbedingt der Schlüssel zu mehr
Glück ist. „Wir wissen aus der Glücksforschung, dass reiche Nationen, wenn sie noch reicher werden, nicht unbedingt glücklicher werden.
Wir gewöhnen uns an das, was wir erreicht
haben“, so Klaus Zimmermann, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin.12



Ganz anders sind die politischen Verhältnisse in den OECD-Ländern, die auf der Glücksskala deutlich vor Deutschland rangieren: Australien, Dänemark, Großbritannien, Irland und USA.
Diese Länder erfüllen die Forderungen, die die World Commission on Environment and Development (die sogenannte Brundtland Commission) der Vereinten Nationen 1987 formulierte: neue Wege zu beschreiten, um den nachhaltigen Fortschritt von Ländern zu messen und zu bewerten. Die Politiker dieser Länder beschäftigen sich intensiv
mit der Frage, was für das Wohlergehen ihrer Bürger wichtig ist. So ließ sich der ehemalige britische Premierminister Tony Blair von Richard Layard beraten,
der ihm einen „Happiness-Index“
vorschlug. 2005 rief Blair die Arbeitsgruppe „Whitehall Well-Being Working Group“ ins Leben. Sie hat den Auftrag, die Nutzbarmachung von Wohlfühl-Konzepten für die Politik zu untersuchen.

Der Psychologe Ed Diener kommt zu dem Schluss, dass sich Glück auf die gesamte Lebensführung positiv auswirkt. Es ist
daher politisch notwendig, das subjektive Wohlbefinden der Bürger zu messen
und im Zeitverlauf zu beobachten.
Dafür müssen aber auch in Deutschland Glück und Lebenszufriedenheit explizit in den Zielen der Politik vorkommen.
Das BIP misst zwar die wirtschaftliche
Leistung, nicht aber die gesellschaftliche Wohlfahrt, für die letztlich subjektive Indikatoren entscheidend sind.



ORIENTIERUNGEN 113



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Prof. Dr. Karlheinz Ruckriegel

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